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Das angefochtene Urteil wird, soweit mit ihm der Klage stattgegeben worden ist, geändert.
Die Klage wird im Umfang der erstinstanzlichen Stattgabe abgewiesen.
Dem Kläger werden unter Einbeziehung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung, soweit diese rechtskräftig geworden ist, die Kosten des Verfahrens beider Instanzen auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Freizeitausgleich für nicht vollständig als Arbeitszeit anerkannte Fahrzeiten.
2Der mittlerweile in den Ruhestand getretene Kläger stand als Bundesbeamter im Amt eines Steueroberamtsrats (Besoldungsgruppe A 13) im Dienst der Beklagten und war für diese seit März 2001 als Bundesbetriebsprüfer des gehobenen Dienstes tätig. Er war bei dem in T. ansässigen Bundeszentralamt für Steuern (im Folgenden BZSt) als Prüfungskraft im Außendienst tätig und wurde im Rahmen der Betriebsprüfung von Versicherungsunternehmen im Referat Bp II 3 grundsätzlich bundesweit eingesetzt. Sein tatsächlicher Einsatzraum befand sich überwiegend in den Städten Heidelberg, Mannheim, Karlsruhe, Mainz, Saarbrücken und Freiburg und damit im (teilweise) weiteren Umkreis seines Wohnorts (V. im Kreis H.).
3Bundesbetriebsprüfer wirken an Betriebsprüfungen aller Landesfinanzverwaltungen mit. Während der Prüfung üben sie ihre Tätigkeit überwiegend in den Räumen des jeweils zu prüfenden Unternehmens aus. Das BZSt gibt ihnen hinsichtlich der Prüfungstätigkeit lediglich vor, an welchen Prüfungen sie mitzuwirken haben. Dies legt die zuständige Referatsleitung rollierend mit einem regelmäßig mehrmonatigen Vorlauf, nämlich halbjährlich, aber niemals taggenau fest, wobei Änderungen aufgrund von nachgemeldeten oder nachzumeldenden Prüfungen im Einzelfall mit Zustimmung der zuständigen Abteilungsleitung des BZSt vorkommen können. Die Festlegung erfolgt u. a. unter Berücksichtigung der Prüfungsgeschäftspläne der Landesfinanzverwaltungen, der laufenden Prüfungen, der Arbeitsauslastung der referatsangehörigen Bundesbetriebsprüfer und besonderer Umstände (z. B. Anforderungen der Landesfinanzverwaltungen, Rotationsvorgaben aus Gründen der Korruptionsbekämpfung).
4Im Rahmen dieser Vorgaben der Referatsleitung entscheiden die Prüfer selbst, welches Unternehmen sie in welcher Woche bzw. an welchem Tag prüfen, und stimmen die Termine mit den Kollegen der Landesfinanzverwaltung ab. Sie bestimmen den jeweiligen Prüfungsablauf auch in zeitlicher Hinsicht und sprechen sich, wenn sie im Rahmen einer mit den Kollegen der Landesfinanzverwaltung begonnenen Prüfung einzelne Prüffelder eigenständig übernehmen, terminlich auch mit den Unternehmen ab. Die Planung der Dienstreisen im Rahmen der Betriebsprüfung einschließlich deren zeitlicher Lage obliegt ihnen eigenverantwortlich. Bei der Wahl der Verkehrsmittel sind die – nicht mit einem Dienstfahrzeug ausgestatteten – Prüfer frei, wobei sie gewöhnlich von ihrer Wohnung direkt zu dem zu prüfenden Unternehmen und nach Arbeitsende von dort wieder zurück zu ihrer Wohnung fahren. Erforderlichenfalls können sie am Prüfungsort in einem Hotel übernachten, das sie grundsätzlich frei wählen können. Zur Durchführung der Prüfungen sind sie insbesondere mit einem Dienstlaptop und einem Diensthandy ausgestattet, mit denen sie ihre Mitwirkung koordinieren können und auch für ihre Referatsleitung erreichbar sind. Ferner erhalten sie einen Trolley.
5Neben den Betriebsprüfungen fallen als dienstliche Tätigkeiten in geringerem Umfang auch Referatsbesprechungen in der Zentrale in T. oder anderenorts und Fortbildungsveranstaltungen an.
6Die geleisteten Arbeitszeiten werden auf der Grundlage der am 10. Februar 2014 in Kraft getretenen Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit zwischen dem BZSt und dem Personalrat beim BZSt (Gleitzeit-DV BZSt) vom 30. Januar 2014 berechnet. Für die Anrechnung von Reisezeiten gilt deren § 8 Abs. 8. Danach werden Reisezeiten grundsätzlich nur insoweit als Arbeitszeit angerechnet, als sie innerhalb der Regelarbeitszeit anfallen. Außerhalb der Regelarbeitszeit liegende Reisezeiten werden nur in einem eingeschränkten Umfang als Arbeitszeiten anerkannt. Die angefallenen Arbeits- und Reisezeiten trugen die Prüfer während der hier betroffenen Jahre monatlich in Excel-Gleitzeittabellen eines Zeiterfassungsprogramms der Beklagten ein. Der zuständige Referatsleiter zeichnete die monatlichen Meldungen gegen.
7Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 19. November 2015 bei der Beklagten, ihm für den Zeitraum August 2012 bis Oktober 2015 nicht als Arbeitszeit anerkannte Fahrzeiten von insgesamt 394,42 Stunden als Arbeitszeit anzurechnen. Zur Begründung verwies er auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH; im Fließtext: Gerichtshof) vom 10. September 2015 – C-266/14 –. Hiernach seien auch solche Reisezeiten als Arbeitszeiten anzuerkennen, die die Beklagte im Antragszeitraum nicht anerkannt habe. Den Antrag ergänzte er für die Folgemonate November 2015 bis März 2016 mit Anträgen vom 10. Dezember 2015, 21. Januar 2016, 16. Februar 2016 und 16. April 2016 (auf insgesamt nunmehr 440,75 Stunden). Mit weiterem Schreiben vom 21. April 2016 forderte er insoweit ausdrücklich die Gewährung von Freizeitausgleich und, wenn dies nicht möglich sein sollte, einer angemessenen Entschädigung in Geld.
8Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. Juli 2016 ab. Sie verwies darauf, dass nach geltender Rechtslage Reisezeiten keine Arbeitszeiten seien (§ 11 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung über die Arbeitszeiten der Beamtinnen und Beamten des Bundes - AZV). Reisezeiten, die innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit anfielen, würden bereits nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AZV berücksichtigt. Auch werde der Ausgleich nach § 11 Abs. 3 Satz 1 und 2 AZV gewährt. Das Urteil des Gerichtshofs gelte nur für die jeweiligen Parteien in der Rechtssache. Eine unionsrechtskonforme Auslegung des geltenden Rechts sei aufgrund des entgegenstehenden Wortlauts der Norm und der Vorgaben des Bundesministeriums des Inneren nicht erlaubt.
9Der Kläger legte hiergegen am 11. August 2016 Widerspruch ein und ergänzte sein Begehren schon zuvor bzw. danach mit Anträgen vom 7. Juli 2016, 15. November 2016, 23. Dezember 2016, 3. März 2017 und 21. Juni 2017 um weitere 117,75 Stunden für die Monate April 2016 bis Mai 2017 (insgesamt nunmehr 558,50 Stunden). Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Rechtsprechung des Gerichtshofs sei vom nationalen Gesetzgeber zu berücksichtigen. Weder die Arbeitszeitverordnung noch Vorgaben des Ministeriums könnten die eindeutige Rechtsprechung des Gerichtshofs aushebeln. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes gehöre die Reisetätigkeit bei Außendienstmitarbeitern zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten. Diese könnten mangels festen Arbeitsortes ihre vertraglich geschuldete Arbeit ohne dauernde Reisetätigkeit nicht erfüllen.
10Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2017, zugestellt am 7. August 2017, zurück. Zur Begründung vertiefte sie ihre Ausführungen aus dem Ausgangsbescheid und führte weiter aus: Reisezeiten seien nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AZV keine Reisezeiten. Soweit sie innerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit anfielen, seien sie nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AZR als Arbeitszeit zu berücksichtigen. Mit Erlass vom 10. Februar 2017 habe das Bundesministerium der Finanzen mitgeteilt, dass das vom Kläger angeführte Urteil des Gerichtshofs (C-266/14) auf den Bundesbetriebsprüfungsdienst keine Anwendung finde und die Regelung des § 11 Abs. 1 AZV abschließend sei. Die Nichtanerkennung der Reisezeiten als Arbeitszeiten entspreche auch europarechtlichen Vorgaben, insbesondere der Richtlinie 2003/88/EG. Voraussetzung sei nach Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie, dass die Fahrzeiten das Kriterium der Weisungsgebundenheit erfüllten. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Die Bundesbetriebsprüfer bestimmten vielmehr die Planung, Durchführung und den Ablauf der Betriebsprüfungen weitgehend selbst. Daher unterscheide sich der vom Gerichtshof entschiedene Fall vom vorliegenden Sachverhalt. Dort seien die Arbeitnehmer nicht frei in der Planung und Gestaltung ihrer Einsatzorte, Fahrtrouten und Fahrzeiten gewesen. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 22. April 2009 – 5 AZR 292/08) sei Voraussetzung für die Anerkennung als Arbeitszeit, dass die Fahrt durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers bestimmt werde.
11Der Kläger hat am 6. September 2017 Klage erhoben. Zu deren Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Im Rahmen seiner Außendiensttätigkeit seien sämtliche Fahrten zu und von den zu prüfenden Unternehmen als Arbeitszeit anzuerkennen, während es nicht angerechnete Fahrzeiten zwischen Hotel und Unternehmen nicht gebe. Dem Anerkennungsverlangen könne die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er seine Arbeits- und Reisezeiten weitgehend selbständig festlegen könne. Zwar organisierten die Bundesbetriebsprüfer ihre Tätigkeiten selbst, sie unterlägen aber hinsichtlich der Mitwirkungsfälle den zeitlichen Vorgaben der jeweiligen Landesbetriebsprüfung. Diese legten die Zeiten für die Prüfungen (den Beginn und das voraussichtliche Ende der jeweiligen Prüfung) in den Unternehmen fest. Da die Landesbetriebsprüfer oftmals viel näher am Prüfungsort wohnten, müsse der Bundesbetriebsprüfer gerade in den ihm zugewiesenen Prüfungsfällen, die mehr als 50 km von seinem Wohnort entfernt lägen, auch Fahrzeiten in Kauf nehmen, die außerhalb der Regelarbeitszeit lägen. Zu beachten sei auch, dass die Bundesbetriebsprüfer gleichzeitig drei bis fünf Fälle zu prüfen und dementsprechend die Zeiten der angesetzten Prüfungen sowie zusätzlicher Sonderaufgaben in Einklang zu bringen hätten. Daher müsse er häufig täglich zu einem anderen Mitwirkungsfall reisen, weshalb die Anmietung eines Hotelzimmers auch in den Fällen, in denen dies aufgrund der Regelungen zu mehrtägigen Dienstreisen grundsätzlich möglich sei, oft nicht praktikabel sei. Mit der Erteilung des Prüfungsauftrages bestimme die Beklagte faktisch die täglichen Fahrzeiten des Prüfers für den gesamten Zeitraum der Prüfung im Unternehmen. Auch gebe die Beklagte durch ihre Standards für Dienstreisen bestimmte Mindestanwesenheitszeiten in den Unternehmen vor. Diese seien durch die zum 1. Juli 2018 aktualisierte Verwaltungsregelung (BpVerwR 2018) lediglich schriftlich fixiert worden, hätten jedoch schon vorher bestanden. Danach sollten eintägige Dienstreisen zum selben Geschäftsort nur in Betracht kommen, wenn die einfache Fahrtstrecke weniger als 150 km betrage und die Fahrzeit ohne Stau 90 Minuten voraussichtlich nicht übersteige. Gleiches gelte für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Die tägliche Anwesenheit in zu prüfenden Unternehmen solle bei eintägigen Dienstreisen in der Regel mindestens sieben Stunden betragen. Bei mehrtägigen Dienstreisen sollten am An- und Abreisetag zusammengerechnet noch mindestens sieben Stunden Dienst im zu prüfenden Unternehmen verrichtet werden. Faktisch sei zudem vorgesehen, dass bei eintägigen Dienstreisen eine Fahrt außerhalb der Regelarbeitszeit erfolgen sollte, eine ausdrückliche Regelung hierzu habe jedoch nicht vorgelegen. Weiter seien Verkehrsstörungen, die zu längeren Fahrzeiten führen würden, für den Betriebsprüfer nicht planbar. Eine freie Wahl des Verkehrsmittels bestehe kaum, weil die Betriebsstätten vielfach mit öffentlichen Verkehrsmittel nur zeitaufwändiger zu erreichen seien. Die Reisetätigkeit kennzeichne das Berufsbild des Betriebsprüfers und sei auch von ihrer Intensität her mit der eigentlichen Dienstausübung gleichwertig. Die Nichteinhaltung der Dienstreisestandards sei durch die Referatsleitung zu sanktionieren. Abweichungen von den Standards seien nur im Einzelfall nach Abstimmung möglich. Der vorliegende Fall sei mit dem Sachverhalt in dem vom Gerichtshof entschiedenen vergleichbar. Auch ihm, dem Kläger, werde kein eingerichteter Arbeitsplatz an der Dienststelle zur Verfügung gestellt. Er befinde sich ständig auf Dienstreisen, bei welchen er den zeitlichen Rahmenvorgaben sowie den Planungen der Landesbetriebsprüfer unterliege. Für die Einordnung als Arbeitszeit sei die Einschränkung des Arbeitnehmers in seiner Dispositionsfreiheit vorrangig vor der Frage der Intensität der dienstlichen Inanspruchnahme. Auch bei den von ihm ausgeübten Sonderaufgaben, zu deren Wahrnehmung so gut wie ausschließlich mehrtägige Dienstreisen notwendig seien, sei er in der Zeiteinteilung nicht frei, weil der Dienstherr den Ort, die Unterbringung sowie Beginn und Ende der entsprechenden Veranstaltungen bestimme. Insoweit gehe es um die Teilnahme an (Fach)Tagungen, Fortbildungen und Referatsbesprechungen, die Mitwirkung in der Arbeitsgruppe Umsatzsteuer sowie Vortrags- und Lehrtätigkeiten, die insgesamt etwa ein Drittel seiner Tätigkeiten ausmachten. Die Summen der bislang nicht anerkannten Reisezeiten, welche Streitgegenstand seien, ergäben sich aus den monatlich vorgelegten Excel-Gleitzeittabellen.
12Der Kläger hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2020 den Antrag aus dem Schriftsatz vom 14. Dezember 2017 gestellt und damit beantragt,
13die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundeszentralamtes für Steuern vom 14. Juli 2016 (Gz.: Q 2- Pers Schildhorn, Norbert) sowie unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Bundeszentralamtes für Steuern vom 03. August 2017 (Gz.: Q 2 - Pers Schildhorn, Norbert) zu verpflichten, für den Zeitraum August 2012 bis Mai 2017 nicht als Arbeitszeit angerechnete Fahrtzeiten i. H. v. 558,50 Stunden in vollem Umfang als Arbeitszeit zu berücksichtigen und ihm gutzuschreiben, hilfsweise ihm für jede dieser Stunden einen finanziellen Ausgleich/eine Entschädigung zu gewähren und die sich hieraus ergebenden Beträge mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verzinsen,
14hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.Juli 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 03. August 2017 zu verpflichten, über seine Anträge auf Berücksichtigung der nicht als Arbeitszeit angerechneten Fahrtzeiten als Arbeitszeit vom 19. November 2015, 10. Dezember 2015, 21. Januar 2016, 16. Februar 2016, 16. April 2016, 7. Juli 2016, 15. November 2016, 23. Dezember 2016, 3. März 2017 und 21. Juni 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
15Die Beklagte hat beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anrechnung der Reisezeiten als Arbeitszeit. Dem stehe die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AZV entgegen. Danach seien Reisezeiten keine Arbeitszeit, würden jedoch als solche anerkannt, wenn sie innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit lägen. Eine Anrechnung mit einem Anteil von einem Viertel erfolge, wenn Reisezeiten außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit in Höhe von mindestens 15 Stunden im Kalendermonat anfielen. Die Reisezeiten könnten auch nicht nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG als Arbeitszeit anerkannt werden. Originäre Aufgabe des Klägers sei die Mitwirkung an Prüfungen der Landesfinanzverwaltung. Die Dienstreisen seien für die Wahrnehmung der Aufgabe zwar erforderlich, aber nicht mit der eigentlichen Tätigkeit gleichzustellen. Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei maßgebliche Voraussetzung für die Anerkennung als Arbeitszeit, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Fahrzeiten verbindlich vorgebe. Derartige Umstände lägen hier nicht vor. Die Referatsleitung gebe nur die zu prüfenden Unternehmen vor. Sie erteile aber auch unter Berücksichtigung des nur allgemeinen, Abweichungen zulassenden Rahmens der Dienstreisestandards, welche sich aus der BpVerwR 2018 ergäben, aber auch schon zuvor gelebt worden seien, keine Anweisungen zu der Art, dem Umfang und der zeitlichen Lage der konkreten einzelnen Fahrten. Die konkrete Planung der Prüfungsreihenfolge sowie der zeitlichen Lage obliege vielmehr dem jeweiligen Betriebsprüfer in Abstimmung mit der Landesfinanzverwaltung und dem zu prüfenden Unternehmen. Dass das so sei, werde gerade durch den Klagevortrag bestätigt, die Tätigkeit erfordere von dem Kläger auch die Bereitschaft, den Landesbetriebsprüfern kurzfristig zu Gesprächen zur Verfügung zu stehen, was eine große Flexibilität und Mobilität von ihm verlange. Weiter stehe dem Kläger auch die Wahl des Verkehrsmittels frei. Zudem beruhten die Zeitangaben in den Anträgen des Klägers ausschließlich auf dessen Angaben. Die von dem Kläger hervorgehobenen Sonderaufgaben seien für die von ihm wahrgenommenen Aufgaben nicht prägend; hinsichtlich der Planung der insoweit notwendigen Reisen sei der Kläger abgesehen von der Festlegung des Sitzungstags, -orts und des Beginns und Endes der Sitzung durch den Dienstherrn nur an die Regelungen des Reisekostenrechts gebunden.
18Mit Urteil vom 23. November 2020 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 14. Juli 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2017 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung weiteren Freizeitausgleichs für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. Mai 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers auf Freizeitausgleich ergebe sich für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. Mai 2017 aus dem auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch) gestützten beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch, soweit nicht anerkannte Reisezeiten für Fahrten zu den zu prüfenden Unternehmen und zu dienstlich angeordneten Lehrgängen und Tagungen angefallen seien, nicht indes für Fahrten von der Wohnung des Klägers zu Referatsbesprechungen nach T., wo sich sein dienstlicher Wohnsitz befinde. Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, dass die Anfahrtszeiten von seinem Wohnsitz zum zu prüfenden Unternehmen bzw. – bei einer mehrtägigen Prüfung – zum Hotel und die Zeiten für die Rückfahrt zu seinem Wohnsitz als Arbeitszeiten in vollem Umfang anerkannt werden und nicht nur – wie erfolgt –, soweit sie innerhalb der Regelarbeitszeit angefallen seien. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG definiere den Begriff "Arbeitszeit" als jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeite, dem Arbeitgeber zur Verfügung stehe und seine Tätigkeit ausübe oder seine Aufgaben wahrnehme. Dieser Begriff sei im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen, beide Begriffe schlössen einander aus. Zu den Aufgaben, die der Kläger auf seinem Dienstposten wahrzunehmen habe, gehöre die steuerrechtliche Prüfung der maßgeblichen Unterlagen im zu prüfenden Unternehmen. Er sei insoweit verpflichtet, sich am Ort des zu prüfenden Unternehmens aufzuhalten, um dort seine dienstlichen Aufgaben verrichten zu können. Dies setze zwingend voraus, dass der Kläger das auswärtige Unternehmen aufsuche, wodurch die Einstufung der Fahrzeiten von seinem Wohnsitz zu den zu prüfenden Unternehmen und zurück als Arbeitszeiten gerechtfertigt sei. Die Entscheidung des Gerichtshofs sei vorliegend einschlägig. Für das Vorliegen von Arbeitszeit sei es unter anderem erforderlich, dass ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Verfügung stehe, weil er sich in einer Lage befinde, in der er rechtlich verpflichtet sei, den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge zu leisten und seine Tätigkeit für ihn auszuüben. Diese Voraussetzungen lägen bei den Fahrzeiten des Klägers zu den zu prüfenden Unternehmen vor, auch wenn er bestimmte Modalitäten der Fahrten selbst bestimmen könne. Entscheidend sei, dass der Kläger die von der Beklagten benannten Unternehmen aufsuchen müsse und keine Möglichkeiten habe, auf die Fahrten zu verzichten oder diese abzukürzen. Damit könne er aufgrund der Anweisungen seines Arbeitgebers während der Fahrten nicht über seine Zeit verfügen und seinen eigenen Interessen nachgehen, weshalb er seinem Arbeitgeber zur Verfügung stehe, um dessen Anweisungen (Aufsuchen des zu prüfenden Unternehmens) Folge zu leisten. Für die Qualifizierung als Arbeitszeit unerheblich sei, dass das Fahren möglicherweise eine Tätigkeit sei, die sich als weniger belastend darstelle als die eigentlichen Arbeitsaufgaben des Klägers. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehöre zu den wesentlichen Merkmalen des Begriffs „Arbeitszeit“ nicht die Intensität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit oder dessen Leistung. Der Einstufung der Fahrzeiten als Arbeitszeit stehe schließlich nicht die Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 3 AZV entgegen, die bestimme, dass Reisezeiten keine Arbeitszeiten seien. Denn diese Bestimmung der Arbeitszeit decke sich nicht mit dem Begriff der Arbeitszeit des Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG. Maßgeblich für die Auslegung des Begriffs Arbeitszeit sei aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts die inhaltliche Reichweite des Begriffs Arbeitszeit, wie sie sich aus der Richtlinie ergebe. Die Bestimmung des Begriffs der Arbeitszeit in § 11 Abs. 1 Satz 3 AZV könne auch nicht mit der Beklagten dahingehend ausgelegt werden, dass sie (auch) eine Festlegung treffen wolle, in welchem Umfang Reisezeiten als Arbeitszeiten angerechnet werden können. Nach dem Wortlaut der Vorschrift handele es sich bei Reisezeiten ausdrücklich nicht um Arbeitszeit. Daher könne die Vorschrift nicht zugleich den Umfang einer Anrechnung von Reisezeiten als Arbeitszeit regeln. Nichts anderes ergebe sich aus § 11 Abs. 3 Satz 4 AZV, wonach Reisezeiten als Arbeitszeit berücksichtigt würden, soweit sie innerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit anfielen (Nr. 1) oder die Arbeitszeit innerhalb eines Tages durch Dienstreisen unterbrochen werde (Nr. 2). Regelungsgegenstand dieser Vorschrift sei die Begründung eines Anspruchs auf Berücksichtigung von Reisezeiten als Arbeitszeiten, nicht hingegen die – davon zu trennende – Frage, ob ein solcher im rechtlichen Ausgangspunkt zunächst entstandener Anspruch im Wege einer nur teilweisen Berücksichtigung von Reisezeiten (gegebenenfalls bis „auf Null“) zu kürzen sei. Als Arbeitszeiten seien auch nicht anerkannte Fahrzeiten zu Fortbildungsmaßnahmen (Tagungen, Lehrgänge) einzustufen, die nicht am Dienstort in T. stattgefunden hätten. Auch hier habe der Kläger seinen Dienst auf Anordnung der Beklagten an einem bestimmten Ort ausgeübt; seiner Dienstpflicht habe er nur nachkommen können, indem er zu den betreffenden Orten gefahren sei. Anderes gelte für Fahrten zwischen dem Wohnort des Klägers und seinem dienstlichen Wohnsitz in T.. Mit dem eigennützigen Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück erbringe der Arbeitnehmer regelmäßig keine Arbeit für den Arbeitgeber.
19Gegen das der Beklagten am 3. Dezember 2020 zugestellte Urteil hat diese am 21. Dezember 2020 im Umfang der eigenen Beschwer die durch das Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt.
20Zur Begründung trägt sie vor: Reisezeiten könnten im Hinblick auf beamtenrechtliche Grundsätze nicht als Arbeitszeit berücksichtigt werden, weil es sich bei diesen nicht um Dienst handele. Arbeitszeitrechtlich relevanter Dienst sei nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 1. Juni 2017 – 6 A 523/14 –, juris) immer dann anzunehmen, wenn die ausgeübte Tätigkeit den Beamten in seiner Aufmerksamkeit und Dispositionsfreiheit so erheblich in Anspruch nehme, dass sie der Erfüllung der dienstlichen Aufgaben gleich zu achten sei. Dafür sei maßgeblich, wie die Tätigkeit ihn nach Art und Weise, Zeitpunkt und Ort der Inanspruchnahme belaste. Die An- und Abfahrt zum Ort einer auswärtigen Dienstverrichtung werde daher wegen des geringen Grads der dienstlichen Inanspruchnahme grundsätzlich nicht zur Arbeitszeit gerechnet. Auch die Zeit, die der Beamte für die Fahrten von seiner Wohnung zur Dienststelle und zurück benötige, werde grundsätzlich nicht als Dienst im Sinne des Arbeitszeitrechts behandelt. Diese Grundsätze hätten Geltung auch für Reisen außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit. Die Kompensation des Interesses des Dienstherrn erfolge durch die Gewährung von Dienstunfallschutz sowie einer Reisekostenvergütung nach dem Reisekostengesetz. Ferner sei vorgesehen, dass bei Dienstreisen, die über die regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgingen, bei Überschreiten der nicht anrechenbaren Reisezeiten in einem Kalendermonat um mehr als 15 Stunden auf Antrag Freizeitausgleich gewährt werden könne. Fahrten eines Beamten ohne feste Dienstzeit zu wechselnden auswärtigen Einsatzorten seien nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW, Urteil vom 2. Dezember 2010 – 6 A 1546/10 –, juris) daher kein Dienst im arbeitszeitrechtlichen Sinne. Die Fahrten zu den Betriebsprüfungen bei den betroffenen Unternehmen gehörten für den Kläger nicht zu dessen wahrzunehmenden Dienstaufgaben, sondern stünden lediglich mit diesen im Zusammenhang. Nicht anders zu beurteilen sei daher auch die Reisezeit außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit bei Fortbildungen. Nach § 61 Abs. 2 BBG gehörten auch diese zu den Dienstpflichten eines Beamten, mit denen Fahrten dorthin lediglich in einem Zusammenhang stünden, die eigentliche Dienstpflicht jedoch in der Teilnahme an der Fortbildung zu sehen sei. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts könne der Kläger auch nach unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG keinen Anspruch zu seinen Gunsten erwirken. Soweit das Verwaltungsgericht sich bei der Auslegung des Begriffes „Arbeitszeit“ maßgeblich auf die Entscheidung des Gerichtshofs vom 10. September 2015 (C-266/14) gestützt habe, verkenne es, dass relevante Unterschiede zum vorliegenden Sachverhalt bestünden. Auch den unionsrechtlichen Bestimmungen liege die Auffassung zugrunde, dass es sich bei der Anreise zur Arbeitsstätte, d. h. bei Wegezeiten, grundsätzlich nicht um Arbeitszeit handele. Da sich Arbeitszeit und Ruhezeit nach der Konzeption der Arbeitszeit-Richtlinie und dem Normverständnis des Gerichtshofs gegenseitig streng ausschlössen, müsse es sich bei der Anreise zur Arbeitsstätte also grundsätzlich um Ruhezeit handeln. Lediglich in besonders begründeten Fällen könnten sich von diesem Grundsatz Abweichungen ergeben. In Abgrenzung zu der Entscheidung vom 10. September 2015 (C-266/14) habe der Gerichtshof in zwei aktuellen Entscheidungen vom 9. März 2021 (C-344/19 und C-580/19) ausdrücklich bestätigt, dass die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort – auch im Falle einer Rufbereitschaft – für sich genommen kein Kriterium darstelle, entsprechende Fahrzeiten als Arbeitszeit anzusehen. Da der Kläger seinen Wohnort in Bezug auf das grundsätzliche Einsatzgebiet, in welchem sich ein Großteil der zu prüfenden Unternehmen befinde, frei wählen könne, müsse auch dies bei der Frage der Anrechnung von Arbeitszeit eine Rolle spielen. Ein Prüfer habe insoweit die Dauer der durchschnittlichen Anreise selbst in der Hand. Das Aufsuchen der zu prüfenden Unternehmen durch den Kläger könne nicht allein deshalb zur Arbeit beziehungsweise zur Dienstpflicht erklärt werden, weil es zur Durchführung der eigentlichen Dienstpflicht des Klägers notwendig sei. Etwas anderes folge auch nicht daraus, dass der Kläger die Anreise zu den Dienstorten mit seinem eigenen PKW durchführe. Selbst wenn es für die Beurteilung einer Tätigkeit als Arbeit nach der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht auf die Intensität ankomme, sei es die freie Entscheidung des Klägers, die Fahrten mit seinem PKW statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchzuführen. Eine entsprechende Vorgabe durch den Dienstherrn sei nicht erfolgt, eine Anreise auch mit der Bahn möglich. Nicht gefolgt werden könne der klägerischen Behauptung, jedwede Aufgabenwahrnehmung für den Dienstherrn müsse unabhängig von ihrer Intensität eine (volle) Anrechnung der Reisezeiten zur Folge haben. In diesem Fall hätte es einer Regelung wie § 11 AZV nicht bedurft, da dann nicht danach differenziert werden müsse, ob etwa Dienst innerhalb der Regelarbeitszeit erbracht worden sei oder nicht. In letzter Konsequenz müsste dann auch der tägliche Arbeitsweg zumindest von der Wohnstätte zur Dienststelle als Reisezeit anerkannt werden, da ja auch dieser in irgendeiner Art und Weise zum Nutzen des Dienstherrn erfolge. Im Unterschied zum Kläger hätten die Arbeitnehmer in der Entscheidung des Gerichtshofs vom 10. September 2015 von vornherein keinen Einfluss auf die Planung ihrer Dienstfahrten gehabt, sondern jederzeit mit neuen Anweisungen ihres Arbeitgebers rechnen müssen, wodurch dieser eine viel größere Einwirkmöglichkeit auf seine Arbeitnehmer gehabt habe als im vorliegenden Fall. Zudem sei den Arbeitnehmern in der dortigen Entscheidung auch durch eine arbeitgeberseitige Entscheidung (Schließung von Regionalzentren) die Möglichkeit genommen worden, durch ihre Wohnortwahl die Entfernung zu ihrem Arbeitsort und die damit verbundenen Wegezeiten frei zu bestimmen. Der Kläger könne demgegenüber die Anfahrtsroute selbstständig bestimmen und auch selbst festlegen, wann er zu einer Prüfung anreisen wolle. Ihm sei es unbenommen, während der regulären Arbeitszeit anzureisen, um eine vollständige Berücksichtigung seiner Anreisezeit als Arbeitszeit sicherzustellen. Es sei zudem nicht erkennbar, inwieweit die – im Streitzeitraum nicht gültige – BpVerwR die Eigenständigkeit der Prüfungsdurchführung durch den Kläger ausschließen solle. Zwar lege sie bestimmte Standards insbesondere hinsichtlich Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise der Betriebsprüfung fest und mache grundsätzliche Vorgaben zur Dauer von Dienstreisen. Jedoch seien nach ihrer Ziffer 4.1.1.6.5 Abweichungen von diesen Standards nach Absprache mit der jeweiligen Referatsleitung zulässig. Ferner gehe die Annahme fehl, dass die Festlegung von bestimmten Standards jegliche Eigenständigkeit der Prüfer bzw. sonstiger Beschäftigten ausschließe. Zudem fielen Dienstreisen vom Wohnort des Klägers zu vergleichsweise weiter entfernten Prüforten wie beispielsweise Saarbrücken oder Freiburg keinesfalls täglich und nur innerhalb eines überschaubaren Zeitraums für die Dauer der Prüfung an. Die Aufteilung der Betriebsprüfung bei der Beklagten nach Branchen und nicht nach Regionen diene dem Zweck, Wissen und Erfahrungen zu branchenspezifischen Besonderheiten zu bündeln und zu vertiefen, um dadurch eine richtige und gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen. Unabhängig davon stehe dem Kläger ein Anspruch auf als Zeitgutschrift bezahlten Freizeitausgleich auch dann nicht zu, wenn man die geltend gemachten Dienstfahrten als Arbeitszeit anerkenne. Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs regele die maßgebliche Richtlinie nicht die Art und Weise der Vergütung der Arbeitnehmer. Vielmehr sei bei einem Verstoß der AZV gegen Unionsrecht eine geltungserhaltende Auslegung der AZV erforderlich. Der Verordnungsgeber habe mit der Gesamtregelung erreichen wollen, dass durch Reisezeit allein keine Zusatzstunden entstünden. Aus Fürsorgegründen erfolge allein dann eine Teilanrechnung von Reisezeiten, wenn die Inanspruchnahme über Gebühr erfolge. Damit solle also vergütete Arbeitszeit nur für die Erbringung von Dienstaufgaben angerechnet werden. Hiermit sei automatisch geregelt, dass für Reisezeiten (von den Anrechnungstatbeständen abgesehen) keine Vergütung geleistet werden solle. Im Rahmen einer geltungserhaltenden Auslegung der AZV müsse die Regelung des § 11 AZV als Vergütungsregelung ausgelegt werden. Bei einer solcher Auslegung würde die Nichtanerkennung der Reisezeiten faktisch zu dem Ergebnis führen, dass für Reisezeiten keine Vergütung gezahlt würde. Dem Kläger stehe auch kein Ausgleichsanspruch aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gemäß § 78 BBG zu. Die Inanspruchnahme durch die Fahrten sei nicht wegen der Häufigkeit oder Dauer der Reisen als Aushöhlung des Freizeitanspruchs des Beamten und damit als fürsorgepflichtwidrig anzusehen. Leistungsansprüche gegen den Dienstherrn kämen nur bei einer Verletzung des Wesenskerns der Fürsorgepflicht in Betracht. Der Zeitaufwand des Klägers für Fahrten außerhalb der Regelarbeitszeit habe im Hinblick auf die in seinem abschließenden Klageantrag geltend gemachten 58 Monate insgesamt 558,50 Stunden, mithin ca. 9,6 Stunden pro Monat betragen. Auch wenn der Umfang für den Kläger ein gewisses Gewicht haben möge, sei nicht davon auszugehen, dass dieser zeitliche Mehraufwand von ca. 2,4 Stunden pro Woche (4-Wochen-Monat unterstellt) den Freizeitanspruch des Klägers aushöhle. Auch ansonsten seien keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Fürsorgepflicht ersichtlich. Die Beklagte habe dieser vielmehr dadurch Rechnung getragen, dass sie die Reisekosten außerhalb der Regelarbeitszeit ebenfalls erstattet sowie dem Kläger nach § 11 Abs. 3 AZV a.F. die Möglichkeit geboten habe, sonst nicht anrechenbare Reisezeiten bei Überschreiten von 15 Stunden im Monat auf Antrag mit einem Viertel zu berücksichtigen. Soweit der Kläger darauf verweise, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 17. Oktober 2018, Az. 5 AZR 553/17, juris) bei Dienstreisen, die dem ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers dienten, die Reisezeiten als Arbeitszeit anzuerkennen seien, gebe er das Urteil verkürzt wieder. Ziel der vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Klage sei die Vergütung von Arbeitszeit und nicht ihre Anerkennung im arbeitszeitrechtlichen Sinne gewesen. Überdies reiche die vom Kläger geführte Excel-Tabelle allein nicht aus, die Reisezeiten vollumfänglich nachzuweisen. Diese Tabelle sei mit einem eigenen technischen, konstitutiv wirkenden Zeiterfassungsprogramm nicht vergleichbar, sondern nur ein standardisierter Erfassungsantrag. Die Erfassung der Arbeitszeit beruhe bei einer Tätigkeit im Außendienst daher auf eigenen Eintragungen. Von daher sei diese Liste als Beweis für nicht angerechnete Reisezeiten ungeeignet, zumal sich die genauen Wege und Reiseanlässe aus dieser Liste ohnehin nicht ergäben.
21Die Beklagte beantragt,
22die Klage unter entsprechender Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Köln vom 23. November 2020 auch insoweit abzuweisen, als ihr stattgegeben worden ist,
23hilfsweise für den Fall des vollständigen oder teilweisen Unterliegens die Revision zuzulassen.
24Der Kläger beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Zur Begründung führt er aus, die von ihm als Arbeitszeiten geltend gemachten Dienstreisezeiten beruhten auf dem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Zeiterfassungsprogramm. Er habe mit der Klage allein die nach diesem Programm nicht angerechneten Reisezeiten als zusätzliche Arbeitszeit geltend gemacht. Dass er diese Zeiten selbst ermittelt habe, bestreite er. Die Erfassung der Arbeitszeiten (durch die Angabe der jeweiligen Zeitpunkte des Antritts der Dienstreise, des Arbeitsbeginns und Arbeitsendes an dem der Beklagten vorab bekannten auswärtigen Dienstort sowie der Beendigung der Dienstreise) in der Excel-Tabelle werde vom Dienstherrn verlangt und könne einem Arbeitszeiterfassungsprogramm gleichgestellt werden. In beiden Fällen seien Manipulationen möglich, unabhängig davon, ob die Daten mittels einer Karte oder händisch erfasst würden. Dies werde durch die Beklagte durch persönliche Kontrollen durch die Referatsleitungen zu verhindern versucht. Die Richtigkeit der erfassten bzw. eingegebenen Daten werde durch einen Vergleich mit den erledigten Aufgaben überprüft und von der Referatsleitung durch Gegenzeichnung der Excel-Tabellen festgestellt. Die Feststellung der Richtigkeit der von ihm, dem Kläger, in die Excel-Tabellen eingetragenen Daten durch die Referatsleitung bedeute, dass er seine Reisezeiten nachgewiesen habe.
27Entgegen der Darstellung der Beklagten habe diese den Betriebsprüfern schon immer Dienstreisestandards vorgegeben, die sie dann in der Bp-Verwaltungsregelung vom 1. Juli 2018 nochmals ausdrücklich schriftlich fixiert habe. Dabei handele es sich nicht um die Vorgabe eines allgemeinen Rahmens für die Durchführung von Dienstreisen; vielmehr bestimme die Beklagte unmittelbar die Mindestdauer seiner, des Klägers, täglichen Dienstreisen bei jedem seiner Mitwirkungsfälle und ordne zudem an, dass Dienstreisen auch außerhalb der Regelarbeitszeit durchzuführen seien, ohne dies als Arbeitszeit anzurechnen. Entgegen der Darstellung der Beklagten ergebe sich bereits aus dem Wortlaut von Tz. 4.1.1.6.5 BpVerwR, dass diese Regelung eine absolute Ausnahmeregelung sei und dem Prüfer nicht die Möglichkeit eröffne, die Dienstreisestandards dauerhaft außer Kraft zu setzen. Dies werde durch das Schreiben der Abteilungsleitungen der Betriebsprüfung an den Personalrat im BZSt vom 6. Juni 2018 (Seite 2 Nr. 1a) bestätigt. Zwar treffe es zu, dass die Beklagte ihm das Verkehrsmittel für die Durchführung seiner Dienstreisen nicht vorschreibe. Die Einhaltung der von der Beklagten eingeforderten Dienstreisestandards sei aber nur durch die Nutzung eines PKW möglich, da nur auf diese Weise Dienstreisen und Dienstgeschäft einigermaßen innerhalb der Regelarbeitszeit abgewickelt werden könnten. Die Reisezeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln erwiesen sich entgegen der Darstellung der Beklagten nachweislich als erheblich länger. Daher bestehe auch ein dienstliches Interesse an der Nutzung des PKW. Der Vortrag der Beklagten, er habe die strittigen Reisezeiten durch die Wahl seines Wohnsitzes selbst verursacht, entbehre jeder Grundlage. Das grundsätzliche Einsatzgebiet eines Bundesbetriebsprüfers sei das gesamte Bundesgebiet. Von der jeweiligen Referatsleitung werde bei Zuweisung der Prüfungsfälle aus wirtschaftlichen Gründen darauf geachtet, dass der Prüfer im Referat, der am nächsten zum zu prüfenden Unternehmen wohne, mit der Prüfung beauftragt werde. Sein Wohnort habe sich im streitbefangenen Zeitraum in V. befunden. Die ihm von der Beklagten zugewiesenen Unternehmen seien in Heidelberg, Mannheim, Karlsruhe, Mainz, Saarbrücken und Freiburg und damit an Orten ansässig, die von seinem Wohnort zwischen 15 – 185 km entfernt seien. Bezogen auf diese Prüfungsorte sei kein Wohnort ersichtlich, der die insgesamt angefallenen Reisezeiten hätte geringer ausfallen lassen können. Die Reisezeiten seien durch die Entscheidung der Beklagten verursacht, die Zuständigkeit ihrer Prüfungsreferate nach Branchen und nicht nach regionalen Gesichtspunkten (z.B. Referat für Großbetriebe in Nordbaden, Südbaden, Nordwürttemberg usw.) zu gliedern. Daher sei der Sachverhalt durchaus vergleichbar mit dem des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache C-266/14. Die Fahrzeiten seien als Arbeitszeiten einzuordnen, da es auch zu seinen Dienstaufgaben gehöre, sich an den Ort der Unternehmen zu begeben. Dass diese Aufgabe nicht dem Kernbereich seiner Tätigkeit zuzuordnen sei, sei unerheblich. Die nicht anrechenbaren Reisezeiten fielen nicht in einem eingegrenzten und überschaubaren Zeitraum an. Sie seien tätigkeitsbedingt dauerhaft und entgegen den Ausführungen der Beklagten mit durchschnittlich zehn Stunden pro Monat auch nicht unerheblich. Zwischenzeitlich habe auch das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 17. Oktober 2018 (Az.: 5 AZR 553/17) entschieden, dass bei Dienstreisen, die im ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers erfolgten, die Reisezeiten als Arbeitszeit zu werten seien. Im Unterschied zum vorliegenden Verfahren habe der Beamte in dem vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 1. Juni 2017 (Az.: 6 A 523/14) entschiedenen Fall keine Dienstreisen zur Erledigung seiner Dienstgeschäfte für seinen Dienstherrn ausgeführt. Vielmehr hätten der OVG-Entscheidung Reisezeiten zu nebenamtlichen Tätigkeiten zugrunde gelegen, der Betroffene habe die Dienstreisen nur sporadisch im Zusammenhang mit der Nebentätigkeit unternommen. Daher seien die Fälle nicht miteinander vergleichbar.
28Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf den Inhalt des Protokolls der öffentlichen Sitzung des Senats vom 31. Januar 2025 verwiesen.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
30E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
31Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
32Die Berufung richtet sich gegen die mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. November 2020 erfolgte, die Beklagte allein beschwerende Teilstattgabe, d. h. gegen die unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 14. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2017 ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten zur erneuten Entscheidung über die Anträge des Klägers auf Gewährung weiteren Freizeitausgleichs für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. Mai 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Nicht Streitgegenstand des Berufungsverfahrens geworden sind, da der Kläger keine Berufung eingelegt hat, hingegen dessen weitere, in den erstinstanzlich gestellten Leistungsanträgen sowie im Neubescheidungsantrag (Zeitraum August 2012 bis November 2015) ausgedrückte Klagebegehren, die nach dem Urteilstenor (z. T. ohne entsprechende Ausführungen in den Entscheidungsgründen) abgewiesen worden sind.
33Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die zulässige Klage ist (auch) insoweit unbegründet, als das Verwaltungsgericht ihr stattgegeben hat. Dem Kläger steht der tenorierte Anspruch nicht zu, weil die Voraussetzungen aller in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen in dem jeweils maßgeblichen Zeitpunkt der (dienstlichen) Verrichtung nicht vorgelegen haben.
34Vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt: BVerwG, Urteil vom 29. April 2021 – 2 C 18.20 –, juris, Rn. 16 (für den Anspruch auf finanziellen Ausgleich nach § 88 des Bundesbeamtengesetzes– BBG), und Nds. OVG, Urteil vom 16. April 2024 – 5 LC 35/21 –, juris, Rn. 59, m. w. N. (für Ansprüche auf finanziellen Ausgleich nach § 88 BBG, nach dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch und nach dem beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch für rechtswidrig geleistete Zuvielarbeit).
35Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine die Rechtsauffassung des Gerichts beachtende Neubescheidung seiner Anträge vom 19. November 2015, 10. Dezember 2015, 21. Januar 2016, 16. Februar 2016, 16. April 2016, 7. Juli 2016, 15. November 2016, 23. Dezember 2016, 3. März 2017 und 21. Juni 2017 auf Berücksichtigung der als im Zeitraum vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. Mai 2017 angefallen geltend gemachten, nicht als Arbeitszeit angerechneten Fahrzeiten als Arbeitszeit und auf Gewährung weiteren Freizeitausgleichs beziehungsweise nunmehr – nach Eintritt in den Ruhestand – auf eine entsprechende Entschädigung in Geld.
36Der ablehnende Bescheid vom 14. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2017 ist rechtmäßig. Die Entscheidung der Beklagten, den Berücksichtigungs- und Ausgleichsanspruch zu verneinen, weil schon die tatbestandlichen Voraussetzungen der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen nicht erfüllt seien, ist frei von Rechtsfehlern.
37I. Der Anspruch folgt zunächst nicht aus der Regelung des § 88 Satz 2 BBG i. d. F. vom 5. Februar 2009, nach welcher Beamtinnen und Beamten, die durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht werden, innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren ist. Über die danach erforderliche Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit hat der Dienstherr nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Bei seiner Entscheidung, die sich auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen muss, hat der Dienstherr insbesondere zu prüfen, ob nach dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem oder welchen Beamten sie übertragen werden soll. Die schlichte Festlegung von Arbeitszeiten in Dienst-oder Schichtplänen führt mangels einer Anordnung, die auf § 88 BBG Bezug nimmt, nicht zu Mehrarbeit, sondern lediglich zu regelmäßiger Arbeit oder – bei rechtswidriger Höhe der Arbeitszeit – zu Zuvielarbeit.
38Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 29. April 2021– 2 C 18.20 –, juris, Rn. 33 bis 35, m. w. N.
39An einer solchen Entscheidung der Beklagten fehlt es hier. Der Kläger, der seine Arbeitszeiten grundsätzlich selbstbestimmt geplant hat, hat schon nicht geltend gemacht und belegt, dass ihm hinsichtlich der in Rede stehenden Verrichtungen konkrete dienstliche (und schriftliche, vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 Gleitzeit-DV BZSt) Anordnungen oder Genehmigungen erteilt worden sind. Unabhängig davon kann die Existenz solcher Anordnungen oder Genehmigungen auch deshalb nicht angenommen werden, weil die Beklagte die in Rede stehenden Zeiten gerade nicht als Dienstzeit betrachtet hat.
40II. Der Anspruch folgt auch nicht aus § 11 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes (Arbeitszeitverordnung – AZV) in der für den hier in Rede stehenden Anspruchszeitraum maßgeblichen, vom 19. Dezember 2014 bis zum 28. Februar 2021 geltenden Fassung vom 11. Dezember 2014 (AZV a. F.).
411. Der Anspruch auf Anerkennung der außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit angefallenen Reisezeiten kann sich zunächst nicht aus § 11 Abs. 1 AZV a. F. ergeben. Die Regelungen dieser Norm sehen eine Berücksichtigung außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit angefallener Reisezeiten grundsätzlich nicht vor. Das ergibt sich aus § 11 Abs. 1 Satz 3 und 4 AZV a. F. Nach der Grundsatzregelung in Satz 3 der Norm sind Reisezeiten keine Arbeitszeit. Dies gilt auch für Reisezeiten, die außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit anfallen.
42Auch die beiden Ausnahmetatbestände des § 11 Abs. 1 Satz 4 AZV a. F. führen nicht auf den behaupteten Anspruch: § 11 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AZV a. F. betrifft ausweislich seines Wortlauts von vornherein nur die innerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit anfallenden (hier von der Beklagten unstreitig bereits berücksichtigten) Reisezeiten. Die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 AZV a. F. erfasst Reisezeiten zwar unabhängig von ihrer zeitlichen Lage, greift hier aber nicht ein. Nach dieser Vorschrift werden Reisezeiten entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AZV a. F. als Arbeitszeit berücksichtigt, soweit die Arbeitszeit innerhalb eines Tages durch Dienstreisen unterbrochen wird. Die Voraussetzung einer Unterbrechung der Arbeitszeit durch eine Dienstreise hat hier an keinem Tag des Streitzeitraums vorgelegen. Nach der allgemeinen Bedeutung des Wortes liegt eine Unterbrechung einer Tätigkeit nur vor, wenn diese Tätigkeit vorübergehend, d. h. zeitlich begrenzt, ausgesetzt und sodann wiederaufgenommen wird; als typisches Beispiel mag etwa die Unterbrechung der Tagesarbeit durch eine Mittagspause dienen. Nach einem entsprechenden Begriffsverständnis liegt eine Unterbrechung i. S. d. § 11 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 AZV a. F. nur vor, wenn ein quantitativ und qualitativ ausreichend großer Teil der Arbeitsleistung eines Tages auf den Teil entfällt, der vor und nach der Dienstreise erbracht wird. Beschäftigte, die ihre Dienststelle bzw. ihr häusliches Arbeitszimmer vor Antritt einer Dienstreise nur zu dem Zweck, die für diese Reise notwendigen Arbeitsutensilien und -unterlagen zusammenzustellen und aufzunehmen, aufsuchen und ein entsprechendes Verhalten nach ihrer Rückkehr zeigen, arbeiten insoweit nicht in einem nennenswerten Umfang. Sie umgeben die Dienstreise vielmehr nur mit kurzen Zeiten der Anwesenheit am (möglichen) Ort ihrer Arbeit, vergleichbar mit einem Beschäftigten, der abwechselnd in einer festen Dienststelle und im Homeoffice Dienst leistet und nach einem Tag im Homeoffice seinen Laptop sowie weitere Arbeitsunterlagen zur Mitnahme auf seinen Weg zum Dienst zusammenstellt und aufnimmtoder diese Gegenstände nach einem Arbeitstag in der Dienststelle für den folgenden Heimarbeitstag in seinem häuslichen Arbeitszimmer ablegt. So liegt der Fall hier. Dass der Kläger vor Antritt seiner Dienstreisen in nennenswertem Umfang gearbeitet hat, hat er weder selbst vorgetragen noch ist dies anderweitig ersichtlich.
432. Ansprüche des Klägers aus § 11 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AZV a. F., die im maßgeblichen Zeitraum entstanden sind, bestehen nicht mehr. Nach diesen Regelungen ist, wenn die nicht anrechenbaren Reisezeiten bei Dienstreisen, die über die regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgehen, in einem Kalendermonat insgesamt 15 Stunden überschreiten, auf Antrag ein Viertel der über 15 Stunden hinausgehenden Zeit dem Gleitzeitkonto gutzuschreiben. Diese Ansprüche sind (auch) für den Streitzeitraum bereits erfüllt. Der Kläger macht schon nach seinem eigenen Vorbringen allein nicht anerkannte Reisezeiten geltend. Dass eine Berücksichtigung von Reisezeiten nach den vorstehenden Vorschriften nicht erfolgt ist, ist nicht zu erkennen. Unbeschadet dessen ist zudem weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger im Streitzeitraum jeweils den Antragserfordernissen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 bzw. Satz 2 AZV a. F.) genügt und die Frist nach § 11 Abs. 3 Satz 3 AZV a. F. eingehalten hat.
44III. Der dem Kläger mit „Neubescheidungstenor“ zugesprochene Anspruch auf Gewährung von Freizeitausgleich für im Streitzeitraum (1. Dezember 2015 bis zum 31. Mai 2017) außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit angefallene Fahrzeiten folgt ferner nicht aus dem beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch.
45Der beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch, der auf den auch im Beamtenrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gestützt und auf angemessenen – grundsätzlich vollen – Ausgleich in Freizeit gerichtet ist, hat als Billigkeitsanspruch zur Voraussetzung, dass der Beamte rechtswidrig über die höchstens zulässige Arbeitszeit hinaus in Anspruch genommen, ihm also rechtswidrige „Zuvielarbeit“ abverlangt wird. Das ist der Fall, wenn der Dienstherr einen Beamten auf der Grundlage einer rechtswidrig zu hoch festgesetzten regelmäßigen Arbeitszeit zum Dienst heranzieht oder ihn über die rechtmäßig festgesetzte regelmäßige Arbeitszeit hinaus in Anspruch nimmt, ohne dass die Voraussetzungen für die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit erfüllt sind.
46Vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Oktober 2022– 2 C 24.21 –, juris, Rn. 15, vom 17. Februar 2022 – 2 C 5.21 –, juris, Rn. 22 ff. (Voraussetzungen) und 31 (Rechtsfolge), und vom 28. Mai 2003 – 2 C 28.02 –, juris, Rn. 19 f. (Voraussetzungen) und 21 (Rechtsfolge); ferner etwa OVG NRW, Urteil vom 30. September 2024– 6 A 856/23 –, juris, Rn. 56 f. (Voraussetzungen) und 134 f. (Rechtsfolge), und Nds. OVG, Urteil vom 16. April 2024 – 5 LC 35/21 –, juris, Rn. 135, jeweils m. w. N.
47Die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage sind hier nicht erfüllt. Während der insoweit streitigen, außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit angefallenen Reisezeiten für Fahrten vom Wohnort zu dem zu prüfenden Unternehmen und von diesem zurück zum Wohnort sowie für möglicherweise noch nicht angerechnete „Hotelfahrten“ und Fahrten zu Fortbildungen und Tagungen wird der Kläger schon deshalb nicht über die rechtmäßig festgesetzte regelmäßige Arbeitszeit hinaus in Anspruch genommen, weil die während dieser Reisezeiten ausgeübte Tätigkeit nach dem durch die (bisherige) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geprägten Arbeitszeitbegriff nicht als Arbeitszeit bzw. Dienst einzustufen ist.
48Nach der (bisherigen) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Annahme einer (rechtswidrigen) dienstlichen Inanspruchnahme voraus, dass es sich bei der Tätigkeit dem Inhalt und der Intensität nach um Dienst handelt. Ob dies der Fall ist, richtet sich – vom Inhalt der Tätigkeit gesehen – danach, welches funktionelle Amt dem Beamten übertragen ist und welche Tätigkeit dieser im zu beurteilenden Zeitraum konkret zu erbringen hat. Nur eine solche dienstlich verursachte Inanspruchnahme, die zum Bereich der vom Beamten wahrzunehmenden Aufgaben des ihm übertragenen Amtes gehört oder ihn jedenfalls im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Dienstaufgaben nach den besonderen Umständen des Einzelfalles in seiner Aufmerksamkeit und Dispositionsfreiheit so erheblich in Anspruch nimmt, dass sie den ihm obliegenden Dienstverrichtungen gleich zu erachten ist, kommt als Dienst im arbeitszeitrechtlichen Sinne in Betracht.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1982– 2 C 49.80 –, juris, Rn. 10, und Beschluss vom 11. September 2009 – 2 B 29.09 –, juris, Rn. 5 f; ferner OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2013– 1 A 1434/11 –, juris, Rn. 16, und Urteil vom 1. Juni 2017 – 6 A 523/14 –, juris, Rn. 51 bis 54, m. w. N.
50Von diesen Grundsätzen ausgehend hat die Rechtsprechung Fahrzeiten des Beamten für verschiedene Fallgruppen nicht als Arbeitszeit bewertet. So sind zunächst die Zeiten, die der Beamte dafür benötigt, von seiner Wohnung zu seiner Dienststelle und zurück zu gelangen (sog. Wegezeiten), grundsätzlich nicht als Arbeitszeit einzustufen. Die damit verbundene Tätigkeit der Fortbewegung gehört nicht zu den Aufgaben des ihm übertragenen Amtes und nimmt ihn in seiner Aufmerksamkeit und Dispositionsfreiheit auch nicht in vergleichbarer Weise in Anspruch. Das gilt auch dann, wenn sich die Wegstrecke oder Fahrtdauer etwa durch eine Verlegung der Dienststelle oder durch eine Abordnung oder Versetzung des Beamten aus dienstlichen Gründen verlängert hat. Diese Bewertung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass es auch im Interesse des Dienstherrn liegt, dass der Beamte den Weg zu der Dienststelle zurücklegt, um dort seinen Dienst zu verrichten. Das Interesse des Dienstherrn wird nämlich grundsätzlich dadurch abgegolten, dass er Dienstunfallschutz und ggf. Trennungsentschädigung gewährt.
51Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Juni 2017– 6 A 523/14 –, juris, Rn. 57 f., und Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Januar 2025, BBG 2009 § 87 Rn. 33, jeweils m. w. N.
52Dass während Wegezeiten kein Dienst ausgeübt wird, gilt wegen des geringen Grades der dienstlichen Inanspruchnahme ebenso für Wege zu und von einer Dienstverrichtung außerhalb der Dienststelle, also im Grundsatz auch allgemein für Reisezeiten bei Dienstreisen (vgl. die entsprechende Normierung in § 11 Abs. 1 Satz 3 AZV).
53Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Juni 2017– 6 A 523/14 –, juris, Rn. 55 f., und Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Januar 2025, BBG 2009 § 87 Rn. 34 bis 36, jeweils m. w. N.
54Von dem Vorstehenden ausgehend sind die streitgegenständlichen, nach dem Vortrag des Klägers außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit angefallenen Fahrzeiten mangels Dienstausübung nicht als Arbeitszeiten zu bewerten. Bei dieser Reisetätigkeit handelt es sich weder dem Inhalt noch der Intensität nach um Dienst.
551. Dies gilt zunächst für die Fahrten vom Wohnort zum zu prüfenden Unternehmen und vom letzten Unternehmen zurück zum Wohnort sowie für etwaige „Hotelfahrten“.
56Zunächst ist diese Reisetätigkeit nicht untrennbar mit dem funktionellen Amt eines Bundesbetriebsprüfers verbunden, das dem Kläger nach den beamtenrechtlichen Regelungen übertragen worden ist. Sie fällt lediglich anlässlich der zugewiesenen, grundsätzlich im Wege der Außenprüfung zu erfüllenden Prüfungstätigkeit an, gehört aber nicht zum Kernbereich seines Amtes. Eine entsprechende normative Zuweisung ist nicht ersichtlich. Sie folgt weder aus § 200 AO noch aus der den Ort der Außenprüfungen betreffenden Regelung des § 6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung – Betriebsprüfungsordnung vom 15. März 2000 (im Folgenden: BpO). § 200 AO regelt allein die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzverwaltung und gibt dem Kläger kein subjektives Recht, das den Umfang des ihm nach beamtenrechtlichen Normen übertragenen konkret-funktionellen Amtes vorgibt. Entsprechendes gilt für § 6 BpO. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine ermessenslenkende, allein an die jeweilige Behörde gerichtete Verwaltungsvorschrift (vgl. § 1 Abs. 1 BpO), die Außenwirkung allenfalls über Art. 3 Abs. 1 GG entfalten kann. Der Kläger ist als Prüfer bloß als Verpflichteter und nicht als Begünstigter an die Betriebsprüfungsordnung gebunden.
57Auch in der Sache ist nicht erkennbar, dass die (im Folgenden trotz des Ruhestandseintritts des Klägers der Einfachheit halber im Präsens dargestellte) Tätigkeit, die (auch) an die Stelle sonst erforderlicher Wegezeiten für die Fahrten zwischen der Wohnung und einer festen Dienststelle tritt, zu dem Kernbereich des dem Kläger zugewiesenen Funktionsamtes gehört. Die Fahrten des Klägers vom Wohnort zu dem zu prüfenden Unternehmen und zurück sowie die „Hotelfahrten“, für die der Kläger aufgrund freier Entscheidung seinen privaten Pkw und keine anderen Verkehrsmittel wählt, dienen nämlich ausschließlich seiner Fortbewegung zu der jeweiligen auswärtigen (nicht an seiner Dienststelle in T. befindlichen) Tätigkeitsstätte. Dienstliche Verrichtungen finden in dem Privat-Kfz, das hierfür nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten auch nicht ausgerüstet ist, unstreitig nicht statt. Eine abweichende Bewertung ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass der Kläger seinen dienstlichen Laptop, Prüfungsunterlagen und – bei Prüfungen, die eine auswärtige Übernachtung erfordern – auch persönliche Gegenstände mitführen muss. Das ergibt sich schon aus der Kontrollüberlegung, dass die Wegezeiten eines Beschäftigten, der Dienst in einer festen Dienststelle tut, aber zeitweise auch im Home-Office arbeitet, nicht deshalb zu dessen Arbeitszeit werden, weil der Beschäftigte seinen dienstlichen Laptop und Arbeitsunterlagen wie etwa Akten hin- und hertransportiert. Hinzu tritt der Umstand, dass die Lage der Fahrzeiten außerhalb der regulären täglichen Arbeitszeit der Sphäre des Klägers und nicht der der Beklagten zuzuordnen ist. Der Kläger hat es nämlich auch in Ansehung der (mit ihm abgestimmten) Festlegung des Prüfungsbeginns durch die Landesprüfer und unterstellter mündlicher Sollvorgaben zu Mindestanwesenheitszeiten im zu prüfenden Unternehmen grundsätzlich selbst in der Hand, seine Fahrten innerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit (Montag bis Donnerstag: 7:30 Uhr bis 16:30 Uhr; Freitag: 7:30 Uhr bis 15:00 Uhr, vgl. § 4 Abs. 3 Gleitzeit-DV BZSt) stattfinden zu lassen. Da er unstreitig selbst entscheidet, welches Unternehmen er in welcher Woche bzw. an welchem Tag prüft, und den Prüfungsablauf auch in zeitlicher Hinsicht bestimmt, kann er namentlich erkennen, in welchen Fällen ein rechtzeitiger Abschluss der (ggf. am Folgetag fortzusetzenden) Prüfungstätigkeit und/oder Hotelaufenthalt am Ort der Prüfung anstelle einer Rückkehr zum Wohnort und erneutem Aufbruch von dort geeignet ist, Fahrzeiten außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit zu vermeiden, und sein Verhalten, wenn von ihm gewünscht, entsprechend steuern. Die sich aus den zeitlichen Vorgaben ergebenden Beschränkungen sind optional, zwingende Vorgaben des Dienstherrn, diese Zeiten einzuhalten, bestehen nicht. Die Beschränkungen resultieren allein aus dem Umstand, dass der Kläger sich gehalten sieht, die Regelarbeitszeiten bis zu einer Rückkehr zum Wohnort einzuhalten, damit die Reisezeiten als Arbeitszeit anerkannt werden.
58Angesichts des Vorstehenden ist ferner nicht erkennbar, dass die Tätigkeit bloßer Fortbewegung, die nicht nur mittels des privaten Kfz, sondern auch mittels öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen könnte, den Kläger zumindest im Zusammenhang mit der Wahrnehmung seiner Prüfungstätigkeit nach den besonderen Umständen des Einzelfalles in seiner Aufmerksamkeit und Dispositionsfreiheit so erheblich in Anspruch nimmt, dass sie den ihm obliegenden Dienstverrichtungen gleich zu erachten ist. Dies gilt umso mehr, als der Kläger selbst entscheiden kann, ob er die Fahrten mit dem eigenen Pkw unternimmt oder hierfür – ihn von der Fahrtätigkeit entlastend – öffentliche Verkehrsmittel nutzt. Sein Vorbringen, die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei faktisch bereits deshalb ausgeschlossen, weil es allein durch die Nutzung des Pkw möglich sei, die Dienstgeschäfte noch einigermaßen innerhalb der (anrechnungsfähigen) Regelarbeitszeit abzuwickeln, führt nicht zu einer anderen Bewertung Der nachvollziehbare Wunsch des Klägers, die Reisezeiten als Arbeitszeit angerechnet zu bekommen, stellt keine von der Beklagten auferlegte Einschränkung dar. Daher kommt es auf das Vorbringen des Klägers zu den mit der Nutzung des Pkw in städtischen Ballungsgebieten und anderweit einhergehenden Belastungen nicht an.
59Die Dispositionsfreiheit des Klägers wird entgegen dessen Ansicht auch nicht erheblich dadurch eingeschränkt, dass die Beklagte die zu prüfenden Unternehmen zuweist. Zwar werden die Fahrzeiten des Klägers maßgeblich von der Entfernung zwischen dem zu prüfenden Unternehmen und dem Wohnort des Klägers bestimmt. Da das Einsatzgebiet des Klägers grundsätzlich das gesamte Bundesgebiet ist, kann es – auch wenn die jeweiligen Referatsleitungen bei Zuweisung der Prüfungsfälle unstreitig so weit wie möglich darauf achten, dass der Bundesbetriebsprüfer mit der Prüfung beauftragt wird, der am nächsten zum prüfenden Unternehmen wohnt – zu längeren Fahrstrecken kommen, bei denen der Kläger über die Zeiten der An- und Abreise weniger frei verfügen kann. Auch in diesem Fall existieren aber keine konkreten zeitlichen Vorgaben, wann die An- und Abreise anzutreten ist, welches Verkehrsmittel er nutzt und welches Unternehmen zu welchem Zeitpunkt aufzusuchen ist. Der Kläger kann zudem auch während solcher obligatorischen Reisezeiten – wie ausgeführt – frei über seine Zeit verfügen.
602. Nach den vorstehenden Maßgaben sind darüber hinaus auch die von dem Kläger noch geltend gemachten, vom Verwaltungsgericht als Arbeitszeit eingestuften Fahrzeiten „zu Fortbildungsmaßnahmen (Tagungen, Lehrgänge)“, die nicht am Dienstort in T. stattgefunden haben, mangels Dienstausübung nicht als Arbeitszeiten zu bewerten. Auch bei dieser Reisetätigkeit zu nach Angaben des Klägers bundesweit veranstalteten Fachtagungen und zu Lehrveranstaltungen und Fortbildungsveranstaltungen in Brühl oder Berlin handelt es sich weder dem Inhalt noch der Intensität nach um Dienst. Fahrten zu Fortbildungsveranstaltungen gehören unstreitig nicht zum Kernbereich des dem Kläger zugewiesenen Funktionsamtes. Der Kläger ist durch die Fahrten zwischen seiner Wohnung und den Orten der Veranstaltungen nicht stärker in seiner Dispositionsfreiheit eingeschränkt als bei den Fahrten zwischen seinem Wohnort und den von ihm zu prüfenden Unternehmen.
61Anderes ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Anerkennungsfähigkeit dienstlich veranlasster Fortbildungsveranstaltungen im Freistaat Sachsen.
62Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 2020 – 2 B 17.20 –, juris, Rn. 14.
63Das Bundesverwaltungsgericht hat hier keine Entscheidung zu der Frage der generellen Einordnung von Reisezeiten zu Fortbildungsveranstaltungen als Arbeitszeit getroffen, weil bereits die dem Rechtsstreit zugrundeliegende landesrechtliche Regelung eine Anrechnung der entsprechenden Reisezeiten zu Fortbildungsveranstaltungen ermöglichte.
64Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 2020 – 2 B 17.20 –, juris, Rn. 13.
65IV. Die Regelungen des § 11 AZV a. F., nach denen die in Rede stehenden Fahrzeiten keine Arbeitszeit sind, und die entsprechende Bewertung im Rahmen des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs stehen nicht im Widerspruch zu der unionsrechtlich allein einschlägigen Regelung des Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG und der hierzu in Bezug auf solche Fahrzeiten ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs. Zwar sind die nationalen, teilweise noch aus den 1980er Jahren herrührenden Vorgaben nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben deckungsgleich; aber auch nach Letzteren können die hier fraglichen Zeiten nicht als Arbeitszeit eingestuft werden.
661. Der Begriff der Arbeitszeit wird in Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG bestimmt. Danach ist Arbeitszeit jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit wird nach Art. 2 Nr. 2 RL 2003/88/EG als Ruhezeit definiert. Aus diesen Regelungen folgt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zunächst, dass die genannten beiden Begriffe einander ausschließen und die Richtlinie auch keine Zwischenkategorie vorsieht. Für die Zwecke der Anwendung der RL 2003/88/EG sind daher nicht nur Bereitschaftszeiten eines Arbeitnehmers, sondern auch alle sonstigen im Streit stehenden Zeiten entweder als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ einzustufen.
67Vgl. EuGH, Urteile vom 9. März 2021– C-344/19 – (Radiotelevizija Slovenija), juris, Rn. 29, sowie – C-580/19 – (Stadt Offenbach am Main), juris, Rn. 30, und vom 10. September 2015 – C-266/14 – (Federación de Servicios Privados des sindicato Comisiones obreras), juris, Rn. 25 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2024 – 2 C 19.23 –, juris, Rn. 10 und 16.
68Ob eine Zeit „Arbeitszeit“ oder „Ruhezeit“ ist, ist anhand objektiver Merkmale unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des Zwecks der RL 2003/88/EG zu bestimmen. Nur eine solche autonome Auslegung vermag nämlich die volle Wirksamkeit der Richtlinie und eine einheitliche Anwendung dieser Begriffe in sämtlichen Mitgliedsstaaten sicherzustellen. Daher dürfen diese trotz der Bezugnahme auf die „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten“ in Art. 2 RL 2003/88/EG den Inhalt dieser Begriffe nicht unilateral festlegen, indem sie den Anspruch auf ordnungsgemäße Berücksichtigung der Arbeitszeiten und dementsprechend der Ruhezeiten, der den Arbeitnehmern durch diese Richtlinien unmittelbar zuerkannt wird, irgendwelchen Bedingungen oder Beschränkungen unterwerfen.
69Vgl. EuGH, Urteile vom 9. März 2021– C-344/19 – (Radiotelevizija Slovenija), juris, Rn. 30 f., sowie – C-580/19 – (Stadt Offenbach am Main), juris, Rn. 31 f., und vom 10. September 2015 – C-266/14 – (Federación de Servicios Privados des sindicato Comisiones obreras), juris, Rn. 27.
702. Nach Maßgabe dieser Grundsätze und unter Beachtung des insoweit maßgeblichen, zu Fahrzeiten „Wohnort-Kunden“ ergangenen Urteils des Gerichtshofs vom 10. September 2015 – C-266/14 – erweisen sich die streitigen Fahrzeiten nicht als Arbeitszeit. Die drei Bestandteile (Tatbestandmerkmale) des unionsrechtlichen Arbeitszeitbegriffs müssen schon ausweislich des Wortlauts der Norm („und“) kumulativ gegeben sein. Ihr Vorliegen ist in drei Schritten zu prüfen. Vorliegend ist jedenfalls der zweite der drei Bestandteile nicht erfüllt.
71Zur Prüfung in drei Schritten vgl. Stiebert, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 10. September 2015 – C-266/14 –, EuZW 2015, 794; dazu, dass die drei Bestandteile kumulativ vorliegen müssen, vgl. Gallner, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2024, RL 2003/88/EG Art. 2 Rn. 4, und Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 11. Juni 2015 – C-266/14 –, juris, Rn. 31.
72a) Dies gilt zunächst für die vom Kläger geltend gemachten Fahrzeiten von seiner Wohnung zu einem zu prüfenden Unternehmen und von diesem oder ggf. auch einem anderen zu prüfenden Unternehmen zurück zu seiner Wohnung sowie für „Hotelfahrten“.
73aa) Die Ausführungen in dem o. g. Urteil, mit denen der Gerichtshof das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale des Arbeitszeitbegriffs bejaht hat, beziehen sich– dem Wesen des Vorabentscheidungsverfahrens entsprechend – ausdrücklich allein auf eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens.
74Zu dieser ausdrücklichen Beschränkung vgl. EuGH, Urteil vom 10. September 2015– C-266/14 – (Federación de Servicios Privados des sindicato Comisiones obreras), juris, Rn. 29 et passim; vgl. insoweit auch Stiebert, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 10. September 2015 – C-266/14 –, EuZW 2015, 795, wonach sich dem Urteil (leider) keine weitergehenden, einer Verallgemeinerung zugänglichen Vorgaben für die Abgrenzung von Arbeitszeit und Ruhezeit entnehmen lassen, weil das Gericht schlicht den konkreten Fall entschieden habe.
75Diese Situation war durch die folgenden Umstände geprägt: Die betroffenen Arbeitnehmer hatten arbeitstäglich die Aufgabe, nach einer ihnen ggf. auch erst am Vortag von der Arbeitgeberin per dienstlichem Mobiltelefon übermittelten Kundenliste nebst „Fahrplan“ die vorgegebenen Kunden zu den vorgegebenen Uhrzeiten der Reihe nach aufzusuchen, um dort jeweils Sicherheitssysteme zu installieren oder zu warten. Ihre Fahrten, für die ihnen ein Firmenfahrzeug zur Verfügung stand, begannen und endeten an ihrem Wohnort, ohne dass es zu einer Anfahrt des Zentralbüros der Arbeitgeberin in Madrid kam. Sie hatten mithin keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort, sondern täglich wechselnde Tätigkeitsorte und arbeiteten daher in einer Art Außendienst im Home-Office-Modell.
76So treffend: Schlottfeldt, Anmerkung zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. September 2015 – C-266/14 –, ZESAR 2016, 173 (unter „II. Sachverhalt“).
77Ein oder mehrmals pro Woche mussten sie sich außerdem zu einer Transportlogistikagentur in der Nähe ihres Wohnorts begeben, um für ihren Einsatz benötigte Materialien, Apparate und Ersatzteile abzuholen. Die Arbeitgeberin bewertete dabei die – bisweilen beträchtlich lange – Fahrzeit vom Wohnort zum ersten Kunden des Tages und vom letzten Kunden des Tages zum Wohnort (Fahrzeit Wohnort-Kunden) nicht als Arbeitszeit, sondern nur die Zeit vom Eintreffen bei dem ersten Kunden bis zum Verlassen des letzten Kunden. Sie begründete dies damit, dass die Arbeitnehmer während der nicht anerkannten Zeiten weder ihre Aufgabe als Techniker ausübten noch sonst Aufgaben wahrnähmen. Zuvor, nämlich bis 2011, hatte sie Regionalbüros unterhalten, die Ausgangs- und Endpunkt der entsprechenden Kundenfahrten der Arbeitnehmer gewesen waren. Dabei hatte sie die Zeit vom morgendlichen Eintreffen im Regionalbüro bis zum Verlassen dieses Büros nach Beendigung der Tour und damit auch die für die erste und die letzte Teilstrecke der Tour aufgewendete Zeit als Arbeitszeit bewertet. Ihre Entscheidung, die Regionalbüros zu schließen und den Außendienst in der geschilderten Weise neu zu organisieren, hatte zur Folge, dass die Arbeitnehmer nicht mehr die Wahl hatten, ihr Privatleben und ihren Wohnort auf die Nähe zum Arbeitsort auszurichten, weil sich dieser nun täglich änderte (Kundenstandorte statt Regionalbüro).
78bb) Der „erste Bestandteil des Begriffs 'Arbeitszeit'“ i. S. v. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG, wonach der Arbeitnehmer seine Tätigkeit auszuüben oder seine Aufgaben wahrzunehmen hat, ist im Falle des Klägers allerdings gegeben.
79Der Gerichtshof hat dieses Tatbestandsmerkmal in seinem o. a. Urteil mit der Begründung als erfüllt angesehen, dass die Fahrten von Arbeitnehmern, die eine Beschäftigung wie im Ausgangsverfahren ausübten, zu den von ihrer Arbeitgeberin bestimmten Kunden das notwendige Mittel seien, damit diese Arbeitnehmer bei den Kunden technische Leistungen erbringen könnten. Diese Fahrten nicht zu berücksichtigen, liefe darauf hinaus, dass ein Arbeitgeber wie die vorliegende Arbeitgeberin geltend machen könnte, dass nur die für die Installation und Wartung aufgewandte Zeit Arbeitszeit sei, was diesen Begriff verfälschen würde. Im Übrigen zeige der Umstand, dass die Arbeitgeberin den Zeitaufwand für die erste und letzte Teilstrecke der jeweiligen Tagestour vor Schließung der Regionalbüros als Arbeitszeit bewertet habe, dass die dabei wahrgenommene Aufgabe zuvor zur Tätigkeit der Arbeitnehmer gehört habe. An dem Wesen dieser Fahrten habe sich aber seit der Schließung der Regionalbüros nichts geändert; nur der Ausgangspunkt der Fahrten sei geändert worden.
80Vgl. EuGH, Urteil vom 10. September 2015– C-266/14 – (Federación de Servicios Privados des sindicato Comisiones obreras), juris, Rn. 30 bis 34, m. w. N.
81Diese Argumentation zugrunde gelegt,
82kritisch (nur) zu dieser Begründung Schlottfeldt, Anmerkung zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. September 2015 – C-266/14 –, ZESAR 2016, 174 f., der der Argumentation des Gerichtshofs entgegenhält, dass mit ihr auch Fahrten von der Wohnung zu einer festen Betriebsstätte, also reine Wegezeiten, als „notwendiges Mittel“ zur Arbeitsleistung qualifiziert werden könnten, dass die Begründung, Fahrzeiten müssten begrifflich Arbeitszeit sein, weil die Nichtbewertung als Arbeitszeit eine Begriffsverfälschung wäre, tautologisch sei und dass es schließlich auch nicht überzeuge, den Aspekt auszublenden, dass für die betroffenen Arbeitnehmer nach der Rationalisierungsmaßnahme die täglichen Fahrzeiten zwischen Wohnung und Regionalbüro entfallen seien,
83stellen sich auch die Fahrten des Klägers zu dem zu prüfenden Unternehmen und von diesem zurück ungeachtet ihrer zeitlichen Lage inner- oder außerhalb der regulären täglichen Arbeitszeit vollständig als Ausübung der Tätigkeit bzw. Aufgabenwahrnehmung dar, weil sie „das notwendige Mittel“ dafür sind, dass der Kläger seine Prüfungstätigkeit erbringen kann. Ob die ferner aufgestellte Behauptung des Gerichtshofs, die Rationalisierungsmaßnahme habe das Wesen der Fahrten nicht verändert, im Falle des Klägers dazu führen könnte, das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals dennoch zu verneinen, kann hier offenbleiben, weil insoweit ersichtlich lediglich ein die tragende Argumentation bestätigendes und verstärkendes Begründungselement vorliegt („im Übrigen“, juris, Rn. 33).
84cc) Der „zweite Bestandteil des Begriffs 'Arbeitszeit'“ i. S. v. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG, wonach der Arbeitnehmer während dieser Zeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss, liegt hier hingegen nicht vor.
85Ein Arbeitnehmer steht seinem Arbeitgeber nur dann zur Verfügung, wenn er sich in einer Lage befindet, in der er rechtlich verpflichtet ist, den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge zu leisten und seine Tätigkeit für ihn auszuüben. Entscheidend ist der Umstand, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistung erbringen zu können. Kann der Arbeitnehmer hingegen ohne größere Zwänge über seine Zeit verfügen und seinen eigenen Interessen nachgehen, so spricht dies dafür, dass der betrachtete Zeitraum keine Arbeitszeit im Sinne der RL 2003/88/EG ist.
86Vgl. EuGH, Urteil vom 10. September 2015 – C-266/14 – (Federación de Servicios Privados des sindicato Comisiones obreras), juris, Rn. 35 bis 37.
87Gemessen an diesen Vorgaben, die das Anlegen eines wertenden Gesamtmaßstabs verlangen und nach denen es entscheidend auf den Grad und die Art der rechtlichen Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitgeber in der konkreten Situation ankommt,
88vgl. Stiebert, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 10. September 2015 – C-266/14 –, EuZW 2015, 794 f.; ferner Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 11. Juni 2015 – C-266/14 –, juris, Rn. 43 f., der darauf abstellt, dass die Wegstrecken und Entfernungen, die zurückgelegt werden müssten, ausschließlich vom Willen des Arbeitgebers abhingen und die Arbeitnehmer, wenn sie diese Strecken zurücklegten, der Weisungsgewalt ihres Arbeitgebers unterworfen seien,
89steht der Kläger während der hier in Rede stehenden Fahrzeiten der Beklagten als seiner Arbeitgeberin nicht zur Verfügung.
90Festzuhalten ist insoweit zunächst, dass der Kläger während dieser Fahrten nicht in der Weise den Anweisungen seines Dienstherrn unterlag wie dies für die Arbeitnehmer des von dem Gerichtshof entschiedenen Falls während der Fahrten „Wohnort/Kunden“ gegeben war. Der Gerichtshof hat insoweit darauf abgestellt, dass die Arbeitgeberin die Kundenreihenfolge, also die Reihenfolge der an einem Tag anzufahrenden – mehreren – Orte, ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen konnte. Auch nur annähernd vergleichbaren Einschränkungen unterlag der Kläger nicht. Die Referatsleitung gab ihm lediglich mit einem regelmäßig mehrmonatigen Vorlauf, aber niemals taggenau vor, an welchen Prüfungen er mitzuwirken hatte. Im Rahmen dieser Vorgaben konnte er – jeweils in Abstimmung mit den Kollegen der Landesfinanzverwaltung und im Falle eigenständiger Übernahme einzelner Prüffelder auch in Absprache mit den Unternehmen – selbst bestimmen, welches Unternehmen er in welcher Woche bzw. an welchem Tag prüfen wollte und wie sich die jeweilige Prüfung in zeitlicher Hinsicht gestalten sollte. Die wegen der Mitwirkungsfälle veranlassten Dienstreisen plante er, auch was deren zeitliche Lage anging, eigenverantwortlich. Zudem konnte er selbst entscheiden, welcher Verkehrsmittel er sich hierfür bediente. Er konnte also insbesondere frei zwischen der Nutzung des eigenen Kfz und der Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel wählen. Dass eine Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen der mitzuführenden Gegenstände dem Kläger auch unter Verwendung des dienstlich gestellten Trolleys und/oder eines Rollkoffers nicht möglich gewesen sein könnte, ist nicht erkennbar.
91Der Kläger hatte während der Fahrzeiten auch die Möglichkeit, ohne größere Zwänge bzw. frei
92– vgl. EuGH, Urteil vom 10. September 2015 – C-266/14 – (Federación de Servicios Privados des sindicato Comisiones obreras), juris, Rn. 37 bzw. Rn. 39, letzter Satz –
93über seine Zeit zu verfügen und seinen eigenen Interessen nachzugehen. Das ergibt sich schon aus dem bereits dargelegten Umstand, dass der Kläger die entsprechenden Fahrten, die er (ggf. zur Vermeidung von Hotelübernachtungen) außerhalb der regulären täglichen Arbeitszeit gelegt hat, auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln – namentlich mit der Bahn – hätte zurücklegen können. Während solcher Fahrten wird ein Arbeitnehmer aber nicht, jedenfalls nicht nennenswert, beansprucht.
94Vgl. Schlottfeldt, Anmerkung zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. September 2015 – C-266/14 –, ZESAR 2016, 173 ff. (175).
95Er kann vielmehr ungestört eigenen Interessen nachgehen, insbesondere ausruhen, privat kommunizieren, lesen oder Musik hören. Dies galt auch für den Kläger. Unabhängig davon konnte dieser auch dann, wenn man auf die von ihm tatsächlich unternommenen, mit dem privaten Kfz bewältigten Fahrten abstellt, ohne größere Zwänge über seine Zeit verfügen und eigenen Interessen nachgehen. Zwar war er insoweit durch die – autonom gewählte, nicht zwingende – Fahrtätigkeit gefordert. Er konnte aber ebenfalls – mittels Freisprechanlage – privat kommunizieren oder Radio bzw. Musik oder Hörbücher hören und hatte zudem, anders als die Arbeitnehmer in dem vom Gerichtshof entschiedenen Fall, jederzeit die Möglichkeit, die Fahrt auch für eigene Zwecke zu nutzen, z. B. für Besorgungen oder Besuche.
96dd) Mit Blick darauf, dass der „zweite Bestandteil des Begriffs 'Arbeitszeit'“ i. S. v. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG hier nicht gegeben ist, die drei Bestandteile aber sämtlich vorliegen müssen, damit das Vorliegen von Arbeitszeit bejaht werden kann, muss der Senat nicht mehr entscheiden, ob die Voraussetzungen nach dem „dritten Bestandteil des Begriffs 'Arbeitszeit'“ i. S. v. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG, vorliegen, wonach der Arbeitnehmer während der betrachteten Zeitspanne arbeiten muss.
97b) Nach den vorstehenden Maßgaben sind auch die von dem Kläger geltend gemachten Fahrzeiten „zu Fortbildungsmaßnahmen (Tagungen, Lehrgänge)“, die nicht am Dienstort in T. stattgefunden haben, nicht als Arbeitszeit im Sinne des Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG zu qualifizieren.
98Zwar hat die Beklagte Zeit und Ort dieser Veranstaltungen vorgegeben. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls ist aber nicht feststellbar, dass der Kläger dem Dienstherrn während der Reisezeiten zwischen seiner Wohnung und den Orten der Veranstaltungen in einer ihn in seiner Dispositionsfreiheit in erheblicher Weise einschränkenden Art und Weise zur Verfügung gestanden hat. Er ist nämlich während der Zeiten der An- und Abreise frei in der Wahl seines Transportmittels, seiner konkreten Reisezeiten und des Reiseverlaufs gewesen. Zur näheren Begründung verweist der Senat auf die vorstehenden Ausführungen.
99V. Der Anspruch des Klägers auf Freizeitausgleich folgt auch nicht aus dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch für Schäden, die dem Einzelnen durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht entstanden sind.
100Zu diesem Haftungsanspruch und seinen Voraussetzungen allgemein vgl. EuGH, Urteil vom 25. November 2010 – C-429/09 – (Fuß), juris, Rn. 45 ff., und BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 – 2 C 40.17 –, juris, Rn. 30, m. w. N.
101Danach besteht ein Entschädigungsanspruch, wenn ein Verstoß gegen eine unionsrechtliche Norm vorliegt, diese Norm die Verleihung von Rechten an die Geschädigten bezweckt, der Verstoß gegen diese Norm hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem den Geschädigten entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.
102Vgl. EuGH, Urteil vom 25. November 2010– C-429/09 – (Fuß), juris, Rn. 47, m. w. N.
103Hier fehlt es bereits an einem Verstoß gegen eine unionsrechtliche Norm. Im Fall von Zuvielarbeit kommt es darauf an, ob ein Verstoß gegen die unionsrechtliche Bestimmung über die wöchentliche Höchstarbeitszeit in Art. 6 Buchst. b) RL 2003/88/EG von 48 Stunden vorliegt. Diese Vorschrift verleiht dem Einzelnen ein subjektives Recht, das er unmittelbar mit dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch vor den nationalen Gerichten geltend machen kann.
104Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2022 – 2 C 7.21 –, juris, Rn. 11.
105Nach den vorstehenden Ausführungen liegt ein Verstoß gegen die unionsrechtliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden nicht vor. Die lediglich begrenzte Anerkennung der außerhalb der regulären täglichen Arbeitszeit angefallenen Fahrzeiten des Klägers nach Maßgabe des § 11 AZV a. F. ist nicht nach den Maßgaben des Art. 2 RL 2003/88/EG als Arbeitszeit zu werten. Zur Begründung verweist der Senat zur Meidung unnötiger Wiederholungen auf seine Ausführungen unter IV., namentlich unter IV. 2. a) cc). Dass ohne Berücksichtigung der hier streitgegenständlichen Fahrzeiten eine Überschreitung der zulässigen Höchstarbeitszeit im Streitzeitraum vorgelegen hat, ist weder vorgetragen noch ergibt sich etwaiges aus den im Verfahren vorgelegten Tabellen.
106VI. Auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 78 BBG) lässt sich ein Anspruch des Klägers auf Freizeitausgleich ebenfalls nicht stützen.
107Der Dienstherr hat im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Er hat den Beamten im Hinblick auf dessen amtliche Tätigkeit und in Bezug auf seine Stellung und seinen Status als Beamter zu schützen. Ein unmittelbarer Anspruch aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn kommt jedoch nur in Betracht, wenn die Besonderheiten des Einzelfalles es ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen und eine Nichtgewährung der begehrten Maßnahme ansonsten der Fürsorgepflicht grob widersprechen würde bzw. mit anderen Worten, wenn die Fürsorgepflicht ansonsten in ihrem Wesenskern verletzt wäre. Den Wesenskern können nur andauernde unzumutbare Belastungen des Beamten verletzen.
108Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2003– 2 C 28.02 –, juris, Rn. 16, m. w. N., sowie OVG NRW, Urteil vom 27. April 2017 – 1 A 2064/14 –, juris, Rn. 56 f., und Beschluss vom 7. April 2022 – 1 A 392/18 –, juris, Rn. 15 f., jeweils m. w. N.
109Eine solche Verletzung kann u. a. auch dann vorliegen, wenn der Dienstherr den Beamten durch nicht als Dienstzeit angerechnete Reisezeiten so (wiederholt) zeitlich in Anspruch nimmt, dass die Grenze des ohne Ausgleich Hinzunehmenden unzumutbar überschritten wird, also ein aus Fürsorgegründen ausgleichsbedürftiges Missverhältnis zwischen Dienstzeit und Freizeit vorliegt. Die Frage, ob dies der Fall ist, darf – entgegen der Ansicht der Beklagten – allerdings nicht schon anhand eines Durchschnittswertes einer zeitlichen Belastung beurteilt werden, der auf der Grundlage eines längeren Zeitraums berechnet wird. Mit der – letztlich beliebigen – Festlegung eines längeren Zeitraums können nämlich erhebliche Belastungsspitzen rechnerisch gleichsam zum Verschwinden gebracht werden. Maßgeblich wird ausgehend von § 88 BBG daher vielmehr das Ausmaß der Reisezeiten während eines Monats zu sein haben. Die Bewertung der in einem Monat zu konstatierenden zeitlichen Inanspruchnahme des Beamten darf dabei an der Wertung des § 88 BBG orientiert werden und unter Berücksichtigung der Regelungen des § 11 AZV erfolgen. Zunächst darf daher grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein voller Ausgleich aller nicht als Dienstzeit angerechneten Reisezeiten naturgemäß nicht in Betracht kommt und Beamte gemäß § 88 Satz 2 BBG sogar bis zu fünf Stunden (echte) Mehrarbeit im Monat ohne Anspruch auf Ausgleich leisten müssen, wobei eine Beanspruchung durch die Reisezeiten in aller Regel geringer wiegt als die Beanspruchung im Falle voller Dienstleistung. Ferner darf grundsätzlich berücksichtigt werden, dass Reisezeiten, die innerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit anfallen, nach § 11 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AZV a. F. als Arbeitszeit berücksichtigt – also voll angerechnet – werden, obwohl der Beamte während dieser Zeit nicht der vollen Beanspruchung durch den vorgeschriebenen Dienst ausgesetzt ist, und dass § 11 Abs. 3 AZV a. F. einen gewissen Ausgleich solcher Reisezeiten ermöglicht, die nach den übrigen Regelungen des § 11 AZV a. F. nicht anrechenbar sind.
110Zum Ganzen vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1987 – 2 C 14.85 –, juris, Rn. 26 f.
111Gemessen an diesen Vorgaben ist der Kläger durch den Zeitaufwand für Fahrten außerhalb der Regelarbeitszeit in dem streitgegenständlichen Zeitraum keinen unzumutbaren Belastungen ausgesetzt gewesen. Nach den von ihm im Verwaltungsverfahren eingereichten Excel-Auflistungen stellt sich die monatliche „Summe nicht anerkannter Reisezeiten“ wie folgt dar: Dezember 2015: 6,58 Stunden, März 2016: 6,33 Stunden, April 2016: 11,83 Stunden, Mai 2016: 5,33 Stunden, Juni 2016: 13 Stunden, Juli 2016: 5,5 Stunden, August 2016: 9,83 Stunden, September 2016: 4 Stunden, Oktober 2016: 9,17 Stunden, November 2016: 11,33 Stunden, Dezember 2016: 10,17 Stunden, Januar 2017: 9,67 Stunden, Februar 2017: 8,5 Stunden, März 2017: 11,5 Stunden, April 2017: 7,17 Stunden, Mai 2017: 0,75 Stunden. Für die Monate Januar 2016 und Februar 2016 hat der Kläger zwar keine Excel-Tabellen vorgelegt; seine im Verwaltungsvorgang enthaltenen Angaben zu den Gesamtbeträgen decken sich aber mit den Beträgen, die sich aus den von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Übersichten ergeben. Nach diesen lagen im Januar 2016 11,17 Stunden und im Februar 2016 9,00 Stunden nicht angerechnete Reisezeiten vor.
112Danach lag die aufgeführte monatliche Belastung durch nicht anerkannte Reisezeiten jedenfalls bei acht (Dezember 2015, März 2016, Mai 2016, Juli 2016, September 2016, April 2017 und Mai 2017) von insgesamt 18 zu bewertenden Monaten schon unter bzw. nur geringfügig über dem sich aus § 88 Satz 2 BBG ergebenden Parameter von fünf Stunden. Auch die angegebene Belastung in den verbleibenden Monaten erlaubt noch nicht die Annahme einer fürsorgepflichtwidrigen, den Freizeitanspruch des Klägers aushöhlenden zeitlichen Inanspruchnahme. Diese Bewertung wird schon von der Überlegung getragen, dass der Kläger durch die fraglichen, weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht überhaupt als Arbeitszeit zu qualifizierenden (s. o.) Reisezeiten bei weitem nicht so in Anspruch genommen worden ist wie durch seine Prüfertätigkeit. Weitere Gesichtspunkte treten, ohne dass es hier noch darauf ankäme, hinzu. So sind dem Kläger insoweit zunächst die Reisekosten erstattet worden und ist in den Reisezeiten auch ein fiktiver, für den Kläger nicht anfallender Anteil an Wegezeiten enthalten. Außerdem hat die Anwendung weiterer Regelungen des § 11 AZV a. F. zu einem gewissen Ausgleich der geklagten Belastungen geführt. So sind innerhalb der Regelarbeitszeit anfallende Reisezeiten des Klägers nach § 11 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AZV a. F. bereits – vollständig – als Arbeitszeit berücksichtigt worden, obgleich insoweit kein (ihn stärker belastender) Volldienst erfolgt ist. Der Kläger hat ferner von der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AZV a. F. profitiert, nach der bei ganz- oder mehrtägigen Dienstreisen die regelmäßige Arbeitszeit des jeweiligen Tages als geleistet gilt. In Anwendung dieser Vorschrift hat die Beklagte ihm nämlich unstreitig an Tagen einer Dienstreise auf dem Gleitzeitkonto pauschal 8,5 Stunden (Montag bis Donnerstag) bzw. 7 Stunden (Freitag) gutgeschrieben und dies damit auch dann getan, wenn der Kläger tatsächlich nur eine hinter diesen Beträgen zurückbleibende Zeitspanne von seiner Wohnung abwesend war und keinen weiteren Dienst in der Wohnung geleistet hat. Schließlich ist in die Bewertung, ob eine fürsorgepflichtwidrige Inanspruchnahme vorliegt, noch einzustellen, dass § 11 Abs. 3 AZV a. F. bei sonst nicht anrechenbaren Reisezeiten von mehr als 15 Stunden im Monat einen begrenzten Ausgleich ermöglicht hat.
113Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
114Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Der fallübergreifenden Rechtsfrage, ob Reisezeiten, wie sie hier in Rede stehen, bundesrechtlich bzw. unionsrechtlich als Arbeitszeit zu qualifizieren und daher durch die Gewährung von Freizeit auszugleichen sind, kommt – auch nach Änderung des § 11 AZV a. F. – mit Blick auf den entsprechenden Vortrag der Beklagten Bedeutung für eine Vielzahl von Fällen zu. Diese hat nämlich mit Schriftsatz vom 8. Februar 2018 zwar (noch) nicht durch Zahlen untermauert, aber bereits ohne weiteres nachvollziehbar vorgetragen, dass sie nach der Veröffentlichung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 10. September 2015 „zahlreiche Anträge auf Arbeitszeitanrechnung, vorwiegend von Beschäftigten des Betriebsprüfungsaußendienstes, erreicht“ hätten. Diesen Vortrag hat sie zudem in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht durch die Bezugnahme auf ihr Vorbringen im Parallelverfahren 15 K 11402/17 konkretisiert, in welchem sie mitgeteilt hatte, dass noch Anträge von 511 Bundesbetriebsprüfern (davon 138 im Ruhestand befindlich) auf Freizeitausgleich für vergleichbare Fälle mit einem Umfang von (insgesamt) 270.000 Stunden bei ihr anhängig seien.