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In Verfahren, in denen die Kläger nur die Verpflichtung der Beklagten zur Bescheidung eines Antrags auf ermessensabhängige Miteinbürgerung nach § 10 Abs. 2 StAG begehren, ist im Regelfall der Streitwert in Anlehnung an Nr. 1.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 auf die Hälfte des Werts der entsprechenden Vornahmeklage zu reduzieren.
Auf die Beschwerde der Kläger wird die in Ziffer 2. des Beschlusses enthaltene Streitwertfestsetzung geändert.
Der Streitwert für das erstinstanzliche Klageverfahren wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
2Über die Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts entscheidet das Oberverwaltungsgericht nach § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG durch die Berichterstatterin, weil die angefochtene Entscheidung nach Einstellung des Verfahrens durch den Berichterstatter erlassen worden ist.
3Die nach § 68 Abs. 1 GKG zulässige Beschwerde der Kläger, mit der sie die Herabsetzung des Streitwerts auf 20.000,00 Euro begehren, ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.
4Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert für das Klageverfahren, in dem der Kläger zu 1. und seine drei minderjährigen Kinder, die Kläger zu 2. bis 4., beantragt haben, die Beklagte zur Bescheidung, hilfsweise zur positiven Bescheidung des Einbürgerungsantrags vom 7. Februar 2023 zu verpflichten, zu Unrecht nach § 52 Abs. 1 GKG auf insgesamt 40.000,00 Euro festgesetzt. Das Interesse des Klägers zu 1. an seiner Einbürgerung ist mit 10.000,00 Euro zutreffend bemessen, für die Kläger zu 2. bis 4. ist dieser Betrag allerdings auf die Hälfte (5.000,00 Euro pro Person) zu reduzieren.
5Die Bedeutung der Einbürgerung für die Kläger, auf die es nach § 52 Abs. 1 GKG für die Streitwertfestsetzung ankommt, bemisst die höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung in ständiger Praxis in Anlehnung an Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs 2013 (NWVBl. 2014, Heft 1, Sonderbeilage, S. 11) grundsätzlich mit dem doppelten Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG.
6Exemplarisch OVG NRW, Beschlüsse vom 16. August 2022 ‑ 19 A 735/21 ‑ juris Rn. 35, und vom 2. Januar 2020 ‑ 19 A 1153/18 ‑ juris Rn. 34, jeweils m. w. N.
7Im Fall des Klägers zu 1. gibt es keine Veranlassung, von dieser Spruchpraxis abzuweichen. Die Rüge der Beschwerde, Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs umfasse in erster Linie Klagen, die bei Spruchreife unmittelbar auf die gerichtliche Verpflichtung der Behörde zur Einbürgerung eines Ausländers in den deutschen Staatsverband durch Vornahmeurteil gerichtet seien, wohingegen der Streitwert für die hier erhobene Untätigkeitsklage auf Bescheidung des Einbürgerungsantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nach Nr. 1.4 des Streitwertkatalogs auf den einfachen Auffangwert pro Kläger festzusetzen sei, greift im Hinblick auf sein Verfahren nicht durch. Ihr liegt ein fehlerhaftes Verständnis der Systematik der Verpflichtungsklage nach der Verwaltungsgerichtsordnung zugrunde.
8Eine Verpflichtungsklage kann nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO entweder auf gerichtliche Verpflichtung des Rechtsträgers einer Behörde auf Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts gerichtet sein, sofern Spruchreife vorliegt (sog. Vornahmeklage), oder nach Satz 2 der Vorschrift ‑ bei fehlender Spruchreife ‑ auf Bescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (sog. Bescheidungsklage). Der Verpflichtungsklage können zwei unterschiedlich gestaltete Verwaltungsverfahren vorausgehen. Die Behörde kann entweder über den Antrag des Klägers noch nicht hin entscheiden (Untätigkeitsklage) oder aber einen entsprechenden Antrag abgelehnt haben (Versagungsgegenklage). Die Untätigkeitsklage unterscheidet sich von der Versagungsgegenklage demnach allein dadurch, dass sie gemäß § 75 Satz 1 VwGO schon vor dem (vollständigen) Abschluss des Verwaltungsverfahrens erhoben werden kann; sie unterliegt aber denselben Statthaftigkeitsvoraussetzungen. Mit ihr kann (nur) der Erlass des begehrten Verwaltungsakts oder die Bescheidung des gestellten Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt werden. Eine Untätigkeitsklage, die auf eine ‑ von der Prüfung des Bestehens materieller Ansprüche unabhängige ‑ Bescheidung schlechthin zielt („reine Bescheidungsklage“), wie sie etwa für die Sozialgerichtsbarkeit in § 88 SGG vorgesehen ist, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung dagegen grundsätzlich nicht.
9Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 1. November 2023 ‑ 10 E 942/23 ‑ juris Rn. 7; Nds. OVG, Beschluss vom 1. August 2018 ‑ 13 OA 279/18 - juris Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2014 ‑ 18 E 634/14 ‑ juris Rn. 3.
10Somit kommt es für die Bemessung des Streitwerts auch im Fall einer Untätigkeitsklage auf das mit der Klage verfolgte (materielle) Begehren an, das im Fall des Klägers zu 1. ‑ bei sachgerechter Auslegung des Klageantrags ‑ auf eine (ermessensunabhängige) Einbürgerung in den deutschen Staatenverband nach § 10 Abs. 1 StAG im Wege einer Vornahmeklage gerichtet war.
11Hinsichtlich der Kläger zu 2. bis 4. hat die Beschwerde hingegen Erfolg. Denn das Begehren der minderjährigen Kläger war bei sachgerechter Auslegung ihres Klageantrags nach § 88 VwGO von Beginn an nicht auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG, sondern nur auf die Verpflichtung der Beklagten zur Bescheidung ihres Antrags auf Miteinbürgerung nach § 10 Abs. 2 StAG gerichtet, wonach u. a. die minderjährigen Kinder des Ausländers nach Maßgabe des Abs. 1 mit eingebürgert werden können, auch wenn sie sich noch nicht seit fünf Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. Insofern war der Streitwert in Anlehnung an Nr. 1.4 des Streitwertkatalogs, wonach im Fall einer Bescheidungsklage der Streitwert einen Bruchteil, mindestens jedoch ½ des Werts der entsprechenden Verpflichtungsklage betragen kann, vorliegend zu reduzieren. Grundsätzlich kann (auch) für Streitfälle im Staatsangehörigkeitsrecht ‑ entsprechend der sonstigen Streitwertfestsetzungspraxis des Senats ‑ auf den Streitwertvorschlag in Nr. 1.4 des Streitwertkatalogs zurückgegriffen werden; entsprechende Ausnahmen für dieses Rechtsgebiet sind nicht ersichtlich. Hintergrund der Reduzierung des Streitwerts für eine Bescheidungsklage im Verhältnis zur Vornahmeklage ist die im materiellen Recht angelegte Kompetenzverteilung zwischen Gericht und Behörde. Das Gericht kann der Behörde im Fall einer Bescheidungsklage nur „Leitlinien“ für deren Entscheidung vorgeben, nicht aber ‑ mangels Spruchreife ‑ den Erlass eines Verwaltungsakts bestimmten Inhalts. Die Prüfung und (Ermessens-)Entscheidung verbleibt bei der Behörde, während das Gericht einen durch die Vorgaben des § 114 Satz 1 VwGO begrenzten Prüfumfang hat.
12Anders als im Fall des § 10 Abs. 1 StAG handelt es sich bei der Einbürgerung von Familienangehörigen nach Abs. 2 um eine Ermessensentscheidung. Es ist zwar anzunehmen, dass der Gesetzgeber angesichts des öffentlichen Interesses an einer einheitlichen Staatsangehörigkeit aller Familienmitglieder die Einbürgerung der Familienangehörigen als „Normalfall“ ansieht. Allerdings hat der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, Familienangehörigen einen unbedingten oder „Regel“-Anspruch auf Einbürgerung zuzubilligen. Daraus folgt, dass bei Erfüllung der gesetzlichen Mindestvoraussetzungen des Abs. 1 ein Ermessensspielraum der Behörde eröffnet ist, der dazu dient, allgemeinen einwanderungspolitischen Erwägungen Geltung zu verschaffen.
13Vgl. Hailbronner/Gnatzy, in: Hailbronner/Kau/Gnatzy/ Weber, Staatsangehörigkeitsrecht, 7. Aufl. 2022, StAG § 10 Rn. 144.
14Insofern hätte das Verwaltungsgericht die Beklagte im Fall eines Obsiegens der Kläger zu 2. bis 4. nur zu einer ermessensfehlerfreien (Neu-)Bescheidung verpflichten können, so dass der Regelfall einer Reduzierung nach Nr. 1.4 des Streitwertkatalogs vorliegt. Vor diesem Hintergrund hält der Senat nicht an der in seiner Entscheidung vom 17. Juni 2024 ‑ 19 E 246/24 ‑ geäußerten Rechtsauffassung fest, wonach die auf Verpflichtung der Behörde zur Bescheidung des auf Ermessenseinbürgerung gerichteten Einbürgerungsantrags nach § 10 Abs. 2 StAG erhobene Untätigkeitsklage in ihrer Reichweite nicht hinter einer Klage auf Einbürgerung zurückbleibt und daher keine Reduktion nach Nr. 1.4 des Streitwertkatalogs geboten sein sollte.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Juni 2024 ‑ 19 E 246/24 ‑ juris Rn. 19, unter Verweis auf Bay. VGH, Beschluss vom 16. November 2011 ‑ 5 C 11.2541 ‑ juris, Rn. 4.
16Danach ist pro Kind die Hälfte des für eine entsprechende Vornahmeklage festzusetzenden Streitwerts, mithin die Hälfte des nach Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs festzusetzenden doppelten Auffangwerts (5.000,00 Euro pro Person), festzusetzen. Daraus ergibt sich vorliegend, dass der Streitwert 25.000,00 Euro (10.000,00 Euro für den Kläger zu 1. + 3 x 5.000,00 Euro für die Kläger zu 2. bis 4.) beträgt.
17Der Kostenhinweis ergibt sich aus § 68 Abs. 3 GKG.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).