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Ist ein Inhaber einer Fahrerlaubnis an Epilepsie erkrankt, genügt allein der behauptete Ablauf eines Jahres ohne einen epileptischen Anfall nicht ohne Weiteres, um den Betroffenen als geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes im Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 26. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses durch das Oberverwaltungsgericht führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.
2Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Androhung unmittelbaren Zwangs durch die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 2. Mai 2024 würden im Klageverfahren aller Voraussicht nach Bestand haben. Die Entziehung der Fahrerlaubnis beruhe auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV, wonach die Fahrerlaubnisbehörde einem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zu entziehen habe, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise. Bei summarischer Prüfung stehe eine solche Ungeeignetheit des an Epilepsie erkrankten Antragstellers fest. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung sei dessen Fahreignung nicht ausnahmsweise anzunehmen gewesen und auch danach nicht wiedererlangt worden. Die in Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV beispielhaft genannte Anfallsfreiheit über einen Zeitraum von einem Jahr habe weder zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts vorgelegen. Außerdem sei die vom Antragsteller vorgetragene Anfallsfreiheit seit dem letzten Anfall am 23. [soll heißen: 13.] Juli 2023 nicht hinreichend dokumentiert. Die Fahreignung werde nicht zwingend mit Ablauf eines Jahres ohne Anfall wiedererlangt. Neben der Anfallsfreiheit seien auch die Auswirkungen der Medikation sowie etwaige Besonderheiten der konkreten Erkrankung in den Blick zu nehmen. Auch die allgemeine, vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung gehe mit Blick auf den Schutz von Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer zu Lasten des Antragstellers aus.
3Das dagegen gerichtete Vorbringen des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Er stellt weder die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 2. Mai 2024 (dazu 1.) noch das Ergebnis der vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängigen Interessenabwägung (dazu 2.) durchgreifend in Frage.
41. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist,
5vgl. zuletzt etwa BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2024 ‑ 3 C 3.23 ‑, juris, Rn. 9, m. w. N.,
6und der Antragsteller im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Ordnungsverfügung vom 2. Mai 2024 ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen war, weil er an Epilepsie erkrankt ist und zu diesem Zeitpunkt die in Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV genannte Anfallsfreiheit über einen Zeitraum von einem Jahr nicht vorlag. Schon deshalb hatte der Antragsteller seine Fahreignung bei Erlass der Ordnungsverfügung auch nicht wiedererlangt.
7Sein Hinweis, er habe bisher genau zwei Anfälle und diese mit langjährigem Abstand gehabt, so dass eine Anfallsfreiheit von sechs Monaten genüge, um seine Fahreignung wieder anzunehmen, greift nicht durch. Nach Nr. 3.9.6 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen vom 27. Januar 2014 in der Fassung vom 17. Februar 2021 mit Stand vom 1. Juni 2022 (im Folgenden: Begutachtungsleitlinien) ist bei einer Erkrankung an Epilepsie die Kraftfahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 sechs Monate nach einem Anfall nur dann wieder gegeben, wenn bei bestehender Fahreignung ein Anfallsrezidiv nach langjähriger Anfallsfreiheit erfolgt und keine Hinweise auf ein erhöhtes Wiederholungsrisiko vorliegen. Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf den epileptischen Anfall des Antragstellers am 13. Juli 2023 nicht erfüllt. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigungen des G. H.-Krankenhauses in M. vom 19. Mai 2023 und vom 15. November 2023 hatte der Antragsteller zuvor Ende Juni 2022 einen epileptischen Anfall gehabt. Der Anfall am 13. Juli 2023 erfolgte demnach nicht nach langjähriger Anfallsfreiheit, sondern etwa ein Jahr nach dem vorhergehenden.
8Die ärztliche Einschätzung auf der vom Antragsteller vorgelegten ersten Seite des Arztberichtes des G. H.-Krankenhauses in M. vom 8. August 2024, wonach der Antragsteller nach einem Jahr Anfallsfreiheit die Voraussetzungen für das Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 gemäß den Leitlinien der Bundesanstalt für Straßenwesen wieder erfülle, wirkt sich auf die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung vom 2. Mai 2024 schon deswegen nicht aus, weil der Bericht auf eine einjährige Anfallsfreiheit Bezug nimmt, die bei Zugrundelegung der Angaben des Antragstellers erst nach dem Erlass der Ordnungsverfügung eingetreten ist.
92. Die allgemeine, vom Ausgang des Klageverfahrens unabhängige Interessenabwägung fällt auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zu Lasten des Antragstellers aus. Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, zum Schutz von Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, den Antragsteller durch eine sofort wirksame Maßnahme vorläufig von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen, auch wenn ihm dadurch konkrete private oder auch berufliche Nachteile drohten.
10Dieses öffentliche Interesse überwiegt im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats weiterhin. Auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstands lässt sich nicht hinreichend sicher beurteilen, ob der Antragsteller im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 ist. Der behauptete Ablauf eines Jahres ohne einen epileptischen Anfall genügt dazu nicht ohne Weiteres.
11Zwar ist gemäß Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV für die Erkrankung Epilepsie die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 ausnahmsweise dann gegeben, „wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr besteht, z. B. ein Jahr anfallsfrei“. Der Kläger macht unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen geltend, dass dies bei ihm der Fall sei, sein letzter Anfall sei am 13. Juli 2023 erfolgt. Zudem trägt er vor, bei ihm liege kein typischer Fall von Epilepsie vor. Dafür sprächen die äußerst niedrige Dosierung des Medikaments „Lamotrigin“, welches bei jeder Untersuchung im „nicht therapeutischen Bereich“ im Blut festgestellt worden sei, die überaus selten aufgetretenen Anfälle in der Vergangenheit und die sonstigen Befunde im Normbereich, insbesondere beim regelmäßig durchgeführten EEG. Beim EEG fünf Tage nach dem Unfall sei ein Normalbefund festgestellt worden; beim EEG am 8. August 2024 habe sich kein Hinweis auf eine erhöhte Anfallsneigung gefunden. Er nehme die ärztlich empfohlenen Verlaufsuntersuchungen im jährlichen oder halbjährlichen Abstand wahr und habe alles getan, um sein geringes Risiko von Anfallsrezidiven hinreichend zu dokumentieren.
12Allerdings steht mit Blick auf die Ausführungen in den Begutachtungsleitlinien gleichwohl nicht hinreichend sicher fest, dass der Antragsteller trotz seiner Epilepsieerkrankung derzeit kraftfahrgeeignet ist. Um die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu beurteilen, können die Begutachtungsleitlinien ergänzend herangezogen werden, die ausweislich ihrer Präambel auf den Ausführungen u. a. der Fahrerlaubnis-Verordnung basieren und die gemäß § 11 Abs. 5 FeV und Anlage 4a zur FeV Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei der Durchführung der ärztlichen und medizinisch-psychologischen Untersuchungen sowie bei der Erstellung der entsprechenden Gutachten sind. Ihnen liegt ein entsprechendes verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde und sie geben den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis wieder.
13Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. März 2021 - 3 C 3.20 -, juris, Rn. 40, und Beschluss vom 7. November 2019 ‑ 1 WB 30.18 ‑, juris, Rn. 29 (bezogen auf die frühere Fassung der Begutachtungsleitlinien).
14Nach der tabellarischen Übersicht zu Nr. 3.9.6 „Epileptische Anfälle und Epilepsien“ der Begutachtungsleitlinien (dort S. 51) setzt die Kraftfahreignung bei Epilepsie neben einer mindestens einjährigen Anfallsfreiheit auch voraus, dass eine medikamentöse Therapie keine eignungsausschließenden Nebenwirkungen hat. In der Begründung dazu wird ausgeführt (S. 52), dass stets im Einzelfall zu klären sei, ob eine verkehrsmedizinisch relevante Gefährdung durch eine Epilepsie bestehe. Die alleinige Angabe einer anfallsfreien Periode sei nicht per se ausreichend; fachärztliche Kontrolluntersuchungen sollten in angemessener Weise vorliegen, um den Krankheitsverlauf und das Rezidivrisiko fundiert beurteilen zu können. Auch die antiepileptische Medikation könne im Einzelfall negative Einflüsse auf die Fahrtüchtigkeit haben. Auf diese Vorgaben der Begutachtungsleitlinien hat die Antragsgegnerin der Sache nach in ihren Beschwerdeerwiderungsschriftsätzen Bezug genommen.
15Vorliegend ist nach Aktenlage schon unklar, ob und ggf. inwieweit sich die medikamentöse Therapie des Antragstellers auf seine Kraftfahreignung auswirkt. Der Hinweis in der ärztlichen Bescheinigung des G. H.-Krankenhauses in M. vom 6. Februar 2024, dass der Lamotriginserumspiegel beim Antragsteller „unterhalb des sogenannten therapeutischen Bereich[s]“ gelegen habe, verhält sich dazu nicht. Dass allein aufgrund des (wohl anzunehmenden) niedrigen Spiegels von fehlenden Auswirkungen auf die Kraftfahreignung auszugehen wäre, ist nicht ersichtlich. Die Hinweise sowohl in der eben genannten Bescheinigung als auch in den weiteren ärztlichen Bescheinigungen dieses Krankenhauses vom 19. Mai 2023, vom 18. Juli 2023 und vom 8. August 2024, wonach der Antragsteller über eine gute Medikamentenverträglichkeit berichte, lassen ebenfalls keinen Schluss auf die Kraftfahreignung zu, zumal eine subjektiv wahrgenommene gute Verträglichkeit nicht zwingend etwas darüber aussagt, inwieweit sich die Medikation tatsächlich auf die Fahreignung auswirkt.
16Weiter sind den ärztlichen Bescheinigungen vom 19. Mai 2023, vom 15. November 2023 und vom 8. August 2024 keine einzelfallbezogenen Aussagen zum Rezidivrisiko zu entnehmen. Sie verweisen hinsichtlich der hierin bejahten Kraftfahreignung des Antragstellers lediglich auf die in den Begutachtungsleitlinien vorgesehene einjährige Anfallsfreiheit, ohne auf die dort angeführten weiteren Kriterien zur Beurteilung der Eignung einzugehen. Die ärztlichen Bescheinigungen vom 18. Juli 2023 und vom 6. Februar 2024 verhalten sich nicht zur Kraftfahreignung des Antragstellers.
17Sollte der Antragsteller aufgrund seiner Erkrankung an Epilepsie auch derzeit noch kraftfahrungeeignet sein, könnte es bei seiner vorläufigen weiteren Teilnahme am Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer erneut zu einem krankheitsbedingten Unfall mit unabsehbaren Folgen für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer kommen. Daher überwiegt das öffentliche Interesse daran, den Antragsteller vorläufig von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen, die Nachteile, die ihm dadurch in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen.
18Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
19Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).