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Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Zwischenentscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. November 2024 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt neu gefasst wird:
Die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 7292/24 der Antragstellerin gegen den Widerrufsbescheid der Bezirksregierung Köln vom 26. September 2024 wird vorläufig bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln im Verfahren 1 L 2206/24, spätestens bis Ende Februar 2025, insoweit wiederhergestellt, als die Antragstellerin diejenigen ärztlichen Gutachten gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV und Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologische Gutachten) abschließen darf, die bis zum 8. Oktober 2024 bereits beauftragt waren. Neue Aufträge zur Erstellung eines ärztlichen Gutachtens gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV oder eines medizinisch-psychologischen Gutachtens darf die Antragstellerin nicht zur Bearbeitung annehmen.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorbehalten.
Gründe
2Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Zwischenentscheidung des Verwaltungsgerichts mit dem sinngemäß formulierten Antrag,
3den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. November 2024 aufzuheben,
4hilfsweise, diesen Beschluss insoweit aufzuheben, als er medizinisch-psychologische Gutachten betrifft,
5hat keinen Erfolg.
6Sie ist zulässig, insbesondere statthaft,
7vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Oktober 2024 ‑ 2 B 937/24 ‑, juris, Rn. 2 f., und vom 19. Juli 2024 ‑ 6 B 664/24 ‑, juris, Rn. 2 ff., jeweils m. w. N.,
8aber nicht begründet. Die vom Antragsgegner dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, den angegriffenen Beschluss ganz oder teilweise aufzuheben (dazu 1.). Der Tenor der Zwischenentscheidung ist zur Klarstellung neu zu fassen (dazu 2.).
91. Eine Zwischenentscheidung in Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dient dazu, den nach Art. 19 Abs. 4 GG von den Gerichten zu gewährleistenden effektiven Rechtsschutz des von einem belastenden Verwaltungsakt Betroffenen für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens zu sichern. Ob sie erforderlich ist, ist im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln. Dabei sind die Folgen, die einträten, wenn der Verwaltungsakt vollzogen würde und der Eilantrag später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die Vollziehung ausgesetzt und der Eilantrag später abgelehnt würde. Auf die Folgen der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts kommt es dagegen nicht an, wenn das Eilverfahren voraussichtlich deshalb erfolglos sein wird, weil der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Eine darüber hinausgehende Prüfung der Erfolgsaussichten des Eilantrags mit einer genaueren Betrachtung der maßgeblichen tatsächlichen Umstände unter Würdigung des gesamten bisherigen Vorbringens kommt wegen des sehr engen zeitlichen Rahmens des Zwischenverfahrens nicht in Betracht.
10Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Oktober 2024 ‑ 2 B 937/24 ‑, juris, Rn. 5 f., und vom 19. Juli 2024 ‑ 6 B 664/24 ‑, juris, Rn. 9 f., jeweils m. w. N.
11Ausgehend von diesen Maßstäben ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts rechtlich nicht zu beanstanden. Da der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nach Aktenlage nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, kommt es – wie vom Verwaltungsgericht durchgeführt – auf eine Interessenabwägung an.
12Die Folgen, die einträten, wenn der Widerrufsbescheid vollzogen würde, die Antragstellerin also ab sofort weder ärztliche Gutachten gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV noch Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologische Gutachten) erstellen dürfte, bestehen nach ihrem Vorbringen […] darin, dass ihr mit Blick auf bestehende vertragliche Verpflichtungen (Personal, Mietkosten) und Rückzahlungspflichten gegenüber Kunden voraussichtlich sogar bundesweit die Insolvenz droht, weil [wird ausgeführt]. Die Untersagung eines Großteils der wirtschaftlichen Tätigkeit der Antragstellerin stellt einen schweren Eingriff in ihr grundrechtlich (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) geschütztes Recht, ihren Geschäftsbetrieb fortzusetzen, dar.
13Vgl. zu dieser Ausprägung der Berufsfreiheit BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2000 - 1 BvR 539/96 -, juris, Rn. 63, m. w. N.
14Dem kann der Antragsgegner nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Tätigkeit als Träger einer Begutachtungsstelle für Fahreignung sei nicht mit einem üblichen Gewerbe vergleichbar, weil sie wegen des erheblichen Einflusses auf die Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr eine amtliche Anerkennung voraussetze. Auch gewerbliche Betätigungen, die mit Gefahren für Rechtsgüter Dritter verbunden sind und deswegen einer behördlichen Genehmigung bedürfen, sind grundrechtlich geschützt.
15Vgl. z. B. zu Atomkraftwerksbetreibern BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 u. a. -, juris, Rn. 240.
16Dass die Folgen ganz erheblicher Einnahmeausfälle, bei denen ausgehend vom oben genannten Vorbringen der Antragstellerin mit ihrer Insolvenz – möglicherweise sogar bundesweit – konkret zu rechnen ist, im Falle eines für die Antragstellerin günstigen Abschlusses des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ohne Weiteres rückgängig gemacht werden könnten, ist nicht anzunehmen.
17Wenn die Antragstellerin dagegen vorläufig weiterhin ärztliche Gutachten gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV und medizinisch-psychologische Gutachten erstellen dürfte und ihr Eilantrag später abgelehnt würde, wäre mit Blick auf die schon seit einigen Jahren wiederholt beanstandete Praxis der Antragstellerin […] damit zu rechnen, dass auch künftig möglicherweise eine gewisse Anzahl der medizinisch-psychologischen Gutachten nicht nachvollziehbar sind. (Ärztliche Gutachten nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV sind von der Bundesanstalt für Straßenwesen nicht untersucht worden.) Auch wenn dies nicht bedeuten muss, dass die gutachterliche Prognose fehlerhaft ist, dürfte damit die Wahrscheinlichkeit steigen, dass aufgrund solcher Gutachten (mit positivem Ergebnis) ungeeignete Personen am Straßenverkehr teilnehmen, die Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer und damit höchstrangige Rechtsgüter gefährden können. Bevor es zu einer solchen konkreten Gefahr im Straßenverkehr kommt, sind jedoch noch weitere Zwischenschritte erforderlich, die jeder für sich keineswegs zwingend aus dem vorherigen folgen: Die Fahrerlaubnisbehörde muss zunächst das von der Antragstellerin angefertigte Gutachten mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln prüfen. Da die Bezirksregierung Köln mit E‑Mails vom 14. Oktober 2024 sowohl die Fahrerlaubnisbehörden in ihrem Regierungsbezirk als auch die übrigen Bezirksregierungen mit der Bitte um Weiterleitung an die dortigen Fahrerlaubnisbehörden über den Widerruf der Anerkennung der Antragstellerin als Begutachtungsstelle für Fahreignung informiert hat, ist anzunehmen, dass die Fahrerlaubnisbehörden in Nordrhein-Westfalen die Gutachten der Antragstellerin, die ihnen bereits vorliegen oder noch vorgelegt werden, besonders aufmerksam prüfen und bei Zweifeln nicht ohne Weiteres akzeptieren. Dabei ist dem Senat bewusst, dass die Fahrerlaubnisbehörden Gutachten der Antragstellerin nicht in gleicher Weise wie die Bundesanstalt für Straßenwesen prüfen können; jedenfalls aber können sie aus sich heraus nicht schlüssige Gutachten beanstanden. Weiter muss die Fahrerlaubnisbehörde nach Prüfung des Gutachtens dessen Verwertbarkeit annehmen und anschließend – bei einem positiven Gutachten – einer Person die Fahrerlaubnis belassen bzw. neu erteilen. Diese Person muss tatsächlich ungeeignet für die Teilnahme am Straßenverkehr sein und die damit verbundene Gefahr muss sich außerdem realisieren.
18Da nicht jedes nicht nachvollziehbare Gutachten der Antragstellerin zwangsläufig zu konkreten Gefahren für Leib oder Leben von Verkehrsteilnehmern führt und die Fahrerlaubnisbehörden in Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der Gutachten der Antragstellerin sensibilisiert sind, ist die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts für den Zeitraum bis Ende Februar 2025 mit Blick auf das Insolvenzrisiko und die damit verbundenen Folgen für die Antragstellerin rechtlich nicht zu beanstanden.
19Aus den vorstehenden Gründen hat auch der Hilfsantrag keinen Erfolg, mit dem der Antragsgegner erreichen will, dass die Antragstellerin zumindest medizinisch-psychologische Gutachten nicht fertigstellen darf.
20Auf die Fragen, welche fachlichen Vorgaben bei der Erstellung von medizinisch-psychologischen Gutachten zu beachten sind, inwiefern die Antragstellerin gegen diese Vorgaben verstoßen hat, inwiefern personelle Veränderungen insbesondere in der Begutachtungsstelle der Antragstellerin in Z. relevant sind, wie Begutachtungsstellen der Antragstellerin in anderen Bundesländern organisiert sind und ob Prognosen der Antragstellerin sich im Nachhinein als richtig erwiesen haben, kommt es nach dem Vorgenannten nicht an.
212. Der Tenor der Zwischenentscheidung ist zur inhaltlichen Klarstellung neu zu fassen.
22Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin „insoweit wiederhergestellt, dass die Antragstellerin in die Lage versetzt wird, bereits beauftragte medizinisch-psychologische Untersuchungen gemäß § 11 Abs. 5 FeV und ärztliche Untersuchungen gemäß § 11 Abs. 2 FeV abzuschließen“. Die Formulierung entspricht derjenigen im Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer Zwischenregelung. Nach den Ausführungen in ihren Schriftsätzen vom 8. November 2024 (S. 69 ff.) und vom 19. Dezember 2024 (S. 11, 14) wollte die Antragstellerin damit erreichen, dass sie die bereits vor Erlass des Widerrufsbescheides beauftragten Begutachtungen (ärztliche und medizinisch-psychologische Untersuchungen) abschließen darf.
23Die Formulierung „bereits“ im Tenor des erstinstanzlichen Beschlusses ist dahingehend zu verstehen, dass sie sich auf den Zeitpunkt „8. Oktober 2024“ bezieht. Denn an diesem Tag wurde der Antragstellerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses ihrer Prozessbevollmächtigten der Widerrufsbescheid zugestellt und damit durfte die Antragstellerin keine weiteren Gutachtenaufträge mehr annehmen. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht die Antragstellerin ausdrücklich gebeten, die Zahl der bis zum 8. Oktober 2024 beauftragten und noch nicht abgeschlossenen medizinisch-psychologischen bzw. ärztlichen Begutachtungen mitzuteilen.
24Inhaltlich erfasst der Tenor der Zwischenentscheidung ärztliche Gutachten gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV und Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologische Gutachten; vgl. die Definition in § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV). Dies ergibt sich aus Folgendem: Der Widerrufsbescheid der Bezirksregierung Köln vom 26. September 2024 betrifft die Anerkennung der Antragstellerin als Trägerin von Begutachtungsstellen für Fahreignung und die Anerkennung ihrer Begutachtungsstellen in Nordrhein-Westfalen. Ohne eine solche Anerkennung darf die Antragstellerin weder ärztliche Gutachten nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV noch Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologische Gutachten) anfertigen. Die Erstellung fachärztlicher Gutachten nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV, welche die Antragstellerin thematisiert hat, ist vom Widerrufsbescheid nicht umfasst. Diese Norm betrifft Gutachten von näher bezeichneten Fachärzten, nicht aber Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer Zwischenregelung ist unter Berücksichtigung ihrer im Schriftsatz vom 8. November 2024 (S. 69 ff.) zum Ausdruck gebrachten Interessen entsprechend § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass er alle bei der Antragstellerin beauftragten medizinisch-psychologischen Gutachten umfasst, unabhängig von der Rechtsgrundlage, aufgrund derer ihre Beibringung angeordnet worden ist, sowie alle bei der Antragstellerin beauftragten ärztlichen Begutachtungen nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV. Dementsprechend ist der verwaltungsgerichtliche Beschluss so zu verstehen, dass er die Bearbeitung all dieser genannten Begutachtungsaufträge vorläufig weiter zulässt, zumal den Entscheidungsgründen keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass das Verwaltungsgericht nach der Rechtsgrundlage für die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (§ 11 Abs. 3 FeV oder andere Vorschriften) differenziert hätte. Dafür wäre im Hinblick auf die Interessenabwägung der vorliegenden Zwischenentscheidung auch kein sachlicher Grund erkennbar.
25Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich. Die durch das Verfahren auf Erlass einer Zwischenentscheidung einschließlich des darauf bezogenen Beschwerdeverfahrens entstandenen Kosten gehören zu den Kosten des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO. Es handelt sich nicht um ein gegenüber jenem Verfahren selbstständiges Nebenverfahren.
26Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2024 ‑ 6 B 664/24 ‑, juris, Rn. 25 f., m. w. N.
27Daher ist auch kein Streitwert festzusetzen.
28Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).