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Die Anträge werden abgelehnt.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerinnen dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Antragstellerinnen sind Teil der deutschlandweit agierenden U. Unternehmensgruppe. Sie betreiben in Nordrhein-Westfalen 111 Buchhandelsfilialen mit über 1.200 Mitarbeitern (Stand 2/2021).
3Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen erließ am 7. Januar 2021 die auf §§ 32, 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, 28a Abs. 1, 3 bis 6 in Verbindung mit § 73 Absatz 1a Nr. 6 und 24 IfSG gestützte Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) (GV. NRW. S. 2b). Diese enthielt folgende Regelung:
4§ 11
5Handel, Messen und Märkte, Alkoholverkauf
6(1) Zulässig bleiben der Betrieb von
71. Einrichtungen des Einzelhandels für Lebensmittel, Direktvermarktungen von Lebensmitteln, Abhol- und Lieferdiensten sowie Getränkemärkten,
82. Wochenmärkten für Verkaufsstände mit dem Schwerpunkt Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs,
93. Apotheken, Reformhäusern, Sanitätshäusern, Babyfachmärkten und Drogerien,
104. Tankstellen, Banken und Sparkassen sowie Poststellen,
115. Kioske und Zeitungsverkaufsstellen,
126. Futtermittelmärkten und Tierbedarfsmärkten,
137. Einzelhandelsgeschäften, die kurzfristig verderbliche Schnitt- und Topfblumen verkaufen, soweit sie den Verkauf hierauf einschließlich unmittelbaren Zubehörs (Übertöpfe und so weiter) beschränken,
148. Einrichtungen des Großhandels für Großhandelskunden und, beschränkt auf den Verkauf von Lebensmitteln, auch für Endkunden
15sowie die Abgabe von Lebensmitteln durch soziale Einrichtungen (z.B. die sog. Tafeln). In Einrichtungen des Einzelhandels für Lebensmittel und auf Wochenmärkten darf das Sortiment solcher Waren, die nicht Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs sind, nicht gegenüber dem bisherigen Umfang ausgeweitet werden. Der Betrieb von Bau- und Gartenbaumärkten sowie Baustoffhandelsgeschäften ist nur zur Versorgung von Gewerbetreibenden mit Gewerbeschein, Handwerkern mit Handwerkerausweis sowie Land- und Forstwirten mit den jeweils betriebsnotwendigen Waren zulässig, anderen Personen darf der Zutritt nicht gestattet werden.
16(2) Der Betrieb von nicht in Absatz 1 genannten Verkaufsstellen des Einzelhandels sowie von Einrichtungen zum Vertrieb von Reiseleistungen ist untersagt. Zulässig ist insoweit lediglich der Versandhandel und die Auslieferung bestellter Waren; die Abholung bestellter Waren durch Kunden ist nur zulässig, wenn sie unter Beachtung von Schutzmaßnahmen vor Infektionen kontaktfrei erfolgen kann.
17(3) Für Verkaufsstellen mit gemischtem Sortiment, das auch Waren umfasst, die dem regelmäßigen Sortiment einer der in Absatz 1 Satz 1 genannten Verkaufsstellen entsprechen, gilt: bilden diese Waren den Schwerpunkt des Sortiments, ist der Betrieb der Verkaufsstelle insgesamt zulässig, anderenfalls ist nur der Verkauf dieser Waren zulässig.
18(4) Die Anzahl von gleichzeitig in zulässigen Handelseinrichtungen anwesenden Kundinnen und Kunden darf jeweils eine Kundin beziehungsweise einen Kunden pro angefangene zehn Quadratmeter der Verkaufsfläche im Sinne des Einzelhandelserlasses NRW nicht übersteigen; in Handelseinrichtungen mit einer Gesamtverkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern darf diese Anzahl 80 Kundinnen beziehungsweise Kunden zuzüglich jeweils eine Kundin beziehungsweise einen Kunden pro angefangene 20 Quadratmeter der über 800 Quadratmeter hinausgehenden Verkaufsfläche nicht übersteigen.
19(4a) Innerhalb von Einkaufszentren, Einkaufspassagen und ähnlichen Einrichtungen ist für jede räumlich abgetrennte Verkaufsstelle die Höchstkundenzahl gemäß Absatz 4 maßgeblich. Zudem muss die für die Gesamtanlage verantwortliche Person sicherstellen, dass nicht mehr Kundinnen und Kunden Zutritt zur Gesamtanlage erhalten als in Summe für die Verkaufsgeschäfte nach den jeweils zulässigen Personenzahlen zulässig sind. Zusätzlich kann bezogen auf die Allgemeinfläche 1 Person je 20 qm Allgemeinfläche in die zulässige Gesamtpersonenzahl für die Gesamtanlage eingerechnet werden. Durch ein abgestimmtes Einlassmanagement ist sicherzustellen, dass im Innenbereich Warteschlangen möglichst vermieden werden. Befindet sich in einer Verkaufsstelle ein oder mehrere weitere Geschäfte ohne räumliche Abtrennung (zum Beispiel eine Bäckerei im räumlich nicht abgetrennten Eingangsbereich eines Lebensmittelgeschäftes), so ist die für die Gesamtfläche zulässige Kundenzahl nach Absatz 4 zu berechnen.
20(5) Untersagt sind
211. der Verkauf von alkoholischen Getränken zwischen 23 Uhr und 6 Uhr sowie
222. der Verzehr von Lebensmitteln in der Verkaufsstelle und in einem Umkreis von 50 Metern um die Verkaufsstelle (Lebensmittelgeschäft, Kiosk und so weiter), in der die Lebensmittel erworben wurden; der Verzehr von alkoholischen Getränken im öffentlichen Raum ist gemäß § 2 Absatz 5 vollständig untersagt.
23(6) Messen, Ausstellungen, Jahrmärkte im Sinne von § 68 Absatz 2 der Gewerbeordnung (zum Beispiel Trödelmärkte), Spezialmärkte im Sinne von § 68 Absatz 1 der Gewerbeordnung und ähnliche Veranstaltungen sind unzulässig.
24Die Coronaschutzverordnung vom 7. Januar 2021 ist mehrfach geändert worden. Soweit hier von Belang erfolgten Änderungen durch Art. 1 der Änderungsverordnung vom 21. Januar 2021 (GV. NRW. S. 22b, ber. S. 46), wobei in § 11 Abs. 5 Nr. 2 das Verbot des Verzehrs von alkoholischen Getränken im öffentlichen Raum aufgehoben wurde sowie durch Art. 1 Nr. 8 der 16. Verordnung zur Änderung von Rechtsverordnungen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 19. Februar 2021 (GV. NRW. S. 194), wodurch § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, Satz 3 sowie Abs. 5 CoronaSchVO zum 22. Februar 2021 folgende Fassung erhielt:
25„7. weiteren Einzelhandelsgeschäften, die kurzfristig verderbliche Schnitt- und Topfblumen sowie Gemüsepflanzen und Saatgut verkaufen, soweit sie den Verkauf hierauf einschließlich unmittelbaren Zubehörs (Übertöpfe und so weiter) beschränken,“
26Satz 3:
27„Der Betrieb von Bau- und Gartenbaumärkten sowie Baustoffhandelsgeschäften ist nur zur Versorgung von Gewerbetreibenden mit Gewerbeschein, Handwerkern mit Handwerkerausweis sowie Land- und Forstwirten mit den jeweils betriebsnotwendigen Waren zulässig, anderen Personen darf der Zutritt nur für den Verkauf von Waren gemäß Satz 1 Nummer 7 gestattet werden.“
28Absatz 5:
29„(5) Untersagt ist der Verzehr von Lebensmitteln in der Verkaufsstelle und in einem Umkreis von 50 Metern um die Verkaufsstelle (Lebensmittelgeschäft, Kiosk und so weiter), in der die Lebensmittel erworben wurden.“
30Mit Ablauf des 7. März 2021 trat die streitgegenständliche Coronaschutzverordnung gemäß ihrem § 19 Abs. 1 außer Kraft. Sie wurde abgelöst durch die Nachfolgeverordnung vom 5. März 2021 (GV. NRW. S. 216), die zum 8. März 2021 in Kraft getreten ist.
31Am 4. März 2021 haben die Antragstellerinnen den vorliegenden Normenkontrollantrag und bereits am 26. Februar 2021 einen Eilantrag gemäß § 47 Abs. 6 VwGO (13 B 272/21.NE) gestellt, der sich ebenfalls gegen § 11 Abs. 2 CoronaSchVO gerichtet hat. Das Eilverfahren wurde eingestellt, nachdem die Antragstellerinnen den Antrag nach Beendigung des Betriebsverbots infolge der Nachfolgeverordnung im März 2021 zurückgenommen haben.
32Zur Begründung des Normenkontrollantrags tragen die Antragstellerinnen im Wesentlichen vor, dieser sei zulässig, da sie durch das in § 11 Abs. 2 CoronaSchVO vorgesehene Öffnungsverbot in ihren Grundrechten aus Art. 12, 14, 5, 3 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt seien. Insbesondere mit Blick auf Entschädigungsansprüche, aber auch wegen der gravierenden Grundrechtsbeeinträchtigungen und der Wiederholungsgefahr bestehe ein Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit. Der Hauptantrag sei für den Fall gestellt worden, dass der Senat die Vorschrift des § 11 Abs. 2 CoronaSchVO für nicht teilbar erachte.
33Der Antrag sei auch begründet. Es habe an einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage gefehlt. Die §§ 28 Abs. 1, 28a Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. § 32 IfSG hätten nicht der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitsdoktrin genügt. Weder für den Antragsgegner als Verordnungsgeber noch für sie sei erkennbar gewesen, unter welchen Voraussetzungen ein Verbot des Publikumsverkehrs zulässig sein solle. Weiterhin bestünden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 28a Abs. 3 IfSG, da dieser allein auf den vom Robert Koch-Institut ermittelten Inzidenzwert abstelle.
34Zudem habe die Verordnung an formalen Mängeln gelitten, da sie entgegen § 28a Abs. 5 IfSG nicht mit einer hinreichenden Begründung versehen worden sei. Diese sei nicht wie die Verordnung im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet worden, sondern lediglich auf der Internetseite des Antragsgegners unter dem Punkt „Archiv der Begründungen“ abrufbar gewesen. Die Begründung sei zudem nicht zeitnah erfolgt. Sie sei erst nach Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Verordnung bekanntgemacht worden.
35Im Übrigen sei die Verordnung weder mit der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit, noch mit dem Grundrecht auf Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG, noch der nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Informationsfreiheit, noch dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar gewesen. Durch das Öffnungsverbot sei in ihre Berufsausübungsfreiheit eingegriffen worden, da damit der Verkauf von Waren im stationären Einzelhandel weitestgehend verboten worden sei. Das Angebot von „Click & Collect“ sowie die partielle Öffnung von sieben Filialen zum Verkauf von Presseartikeln hätten die verlorenen Umsätze von rund 500.000 Euro netto pro Verkaufstag nicht kompensieren können. Auch das Online-Geschäft habe nicht die mit den Betriebsschließungen verbundenen Ergebnisverluste auffangen können, insbesondere, weil die Margen im Onlinehandel u. a. wegen der Logistikkosten deutlich geringer seien und zudem die weiterlaufenden Fixkosten wie beispielsweise Mieten für die Ladenlokale hätten finanziert werden müssen. Auch sei ihnen das Weihnachtsgeschäft 2020 entgangen. Der Schaden durch die angeordneten Schließungen habe sich in allen deutschen Gesellschaften der U.-Gruppe von März 2020 bis Februar 2021 auf rund 60,9 Millionen Euro Ergebnisverlust (EBT) belaufen. Dabei seien zusätzliche Erträge im Onlinegeschäft bereits berücksichtigt. Der Eingriff in die Berufsfreiheit sei nicht gerechtfertigt gewesen, da mildere Mittel zur Verfügung gestanden hätten wie beispielsweise eine verschärfte Maskenpflicht zum Tragen von FFP2-Masken. Eine solche sei gleichermaßen wirksam gewesen, da es in ihren Geschäften normalerweise nicht zu einem direkten Körperkontakt komme. Sie, die Antragstellerinnen, hätten darüber hinaus über bewährte Hygienekonzepte verfügt, um Infektionsrisiken zu vermeiden. Der Eingriff sei nicht durch Hilfsprogramme des Bundes ausgeglichen worden, da die Muttergesellschaft der U.-Gruppe für die sogenannte „Überbrückungshilfe III“ aufgrund eines Nettoumsatzes der Unternehmensgruppe im Jahr 2020 von rund 1 Milliarde Euro zunächst nicht antragsberechtigt gewesen sei. Auch die sogenannte „Dezemberhilfe“ habe ihnen nicht zugestanden, da sie aufgrund der Schließung erst ab Mitte Dezember 2020 nicht antragsberechtigt gewesen seien. Im Januar 2022 habe die Muttergesellschaft vorläufig Überbrückungshilfe in Höhe von rund 16,2 Millionen Euro für die Unternehmensgruppe erhalten. Die Schlussabrechnung sei noch nicht beschieden. Der Eingriff sei zudem aufgrund seiner langen Dauer nicht mehr angemessen gewesen. Der Antragsgegner hätte vor dem Hintergrund bundesweit fallender Infektionszahlen die Fortsetzung des Öffnungsverbots im Einzelnen überprüfen und weniger einschneidende Maßnahmen diskutieren müssen. Insbesondere hätte die Möglichkeit einer Terminvergabe für Kunden schon früher erwogen werden müssen. Stattdessen habe der Antragsgegner den zunächst für Öffnungen anvisierten Inzidenzzielwert von 50 auf 35 herabgesetzt und die Öffnung von Friseurbetrieben beschlossen, die eine deutlich infektionsträchtigere Tätigkeit als Einzelhändler ausübten. Auch vor dem Hintergrund, dass Infektionen häufig im privaten Umfeld, in der Schule und am Arbeitsplatz erfolgt seien, sei ein so intensiver Eingriff in die Grundrechte der Einzelhändler nicht gerechtfertigt gewesen. Studien aus dem Jahr 2020 (Özcan/Dieterich, Mayer/Dieterich, Möhner/Wolik, Hartmann/Kriegel, Center for Disease Control an Prevention, Lan/et al) seien durchweg zu dem Ergebnis gekommen, dass im Einzelhandel kein besonderes Infektionsrisiko bestanden habe. Die Verordnung habe auch deshalb gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, weil sie keine Abweichung im Einzelfall zugelassen habe. Es seien weder Härtefallregelungen noch Ausnahmegenehmigungen vorgesehen gewesen. Nach § 16 Abs. 4 CoronaSchVO sei eine Abweichung von den Anforderungen der Verordnung unzulässig gewesen. Die abstrakt-generelle Regelung in § 11 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO sei verfassungswidrig gewesen, weil man davon habe ausgehen müssen, dass es mindestens einen Einzelhändler in Nordrhein-Westfalen gegeben habe, von dessen Betrieb keine oder nur vernachlässigbare Ansteckungsrisiken ausgingen. Es habe für den Antragsgegner und die nachgeordneten Behörden genug Zeit zur Verfügung gestanden, um einzelne Konzepte von Einzelhändlern zu prüfen und den Betrieb unter strengen Auflagen zuzulassen.
36Weiterhin sei das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach Art. 14 Abs. 1 GG verletzt worden, welches auch den Kontakt des Betriebs nach außen schütze. Die von der Verordnung angeordneten Einschränkungen hätten zur Existenzvernichtung von Einzelhandelsbetrieben geführt, wie die zunehmende Anzahl an Insolvenzen gezeigt habe.
37Angesichts der verstrichenen Dauer der Beschränkungen sei eine Ungleichbehandlung zwischen Gütern des kurzfristigen und des längerfristigen Bedarfs nicht mehr mit dem Gleichheitssatz vereinbar gewesen. Es habe an Unterschieden von hinreichendem Gewicht gefehlt, denn je länger die Notlage angedauert habe, desto dringender sei das Bedürfnis der Bevölkerung auch nach Gütern des längerfristigen Bedarfs geworden. Dies gelte gerade bei vergleichsweise kurzlebigen Artikeln, wie Büchern, die in der Regel nur einmal gelesen würden, mit ständig aktualisiertem Sortiment. Eine Ungleichbehandlung sei auch darauf zurückzuführen, dass andere Güter des längerfristigen Bedarfs, wie beispielsweise Saatgut und Zeitschriften, privilegiert worden seien. Auch Bücher dienten – wie Presseerzeugnisse nach Art. 5 Abs. 1 GG – einem Lebensbereich von Verfassungsrang. Die Verordnung sei nicht frei von Widersprüchen gewesen, da sie ihnen weitreichende Einschränkungen aufgebürdet habe, andererseits aber in Lebensbereichen Ausnahmen zugelassen habe, die höhere Infektionsrisiken geborgen hätten.
38Die Antragstellerinnen beantragen,
39festzustellen, dass § 11 Abs. 2 CoronaSchVO vom 7. Januar 2021 (GV. NRW. S. 2b) in der Fassung der Sechzehnten Änderungsverordnung vom 19. Februar 2021 (GV. NRW. S. 194) unwirksam war, soweit darin der Betrieb von nicht in § 11 Abs. 1 genannten Verkaufsstellen des Einzelhandels untersagt war,
40hilfsweise,
41festzustellen, dass § 11 Abs. 2 CoronaSchVO vom 7. Januar 2021 (GV. NRW. S. 2b) in der Fassung der Sechzehnten Änderungsverordnung vom 19. Februar 2021 (GV. NRW. S. 194) unwirksam war, soweit darin der Betrieb von Buchhandelsgeschäften untersagt war.
42Der Antragsgegner beantragt,
43den Antrag abzulehnen.
44Das Betriebsverbot für Verkaufsstellen des Einzelhandels habe der erkennende Senat bereits mit Beschlüssen vom 8. und 12. Februar 2021 (13 B 89/21.NE und 13 B 28/21.NE) bestätigt. Den Regelungen habe eine verfassungsgemäße Ermächtigungsgrundlage zugrunde gelegen. Der dem Verordnungsgeber von § 28a Abs. 1 IfSG eingeräumte weite Gestaltungsspielraum sei nicht zu beanstanden. Bei vielgestaltigen, komplexen Lebenssachverhalten oder absehbaren Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse seien geringere Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einfach gelagerten und klar vorhersehbaren Lebenssachverhalten. Aufgrund der Dynamik des Infektionsgeschehens und der sich stetig entwickelnden Erkenntnislage sei es dem Gesetzgeber schlichtweg unmöglich gewesen, mit einer abstrakt-generellen und auf Dauer angelegten Regelung vorausschauend alle Konstellationen und Entwicklungen zu regeln.
45Er, der Antragsgegner, sei dem Begründungserfordernis nach § 28a Abs. 5 IfSG durch Veröffentlichung auf seiner Homepage hinreichend nachgekommen. Eine Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt sei nicht vorgesehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei keine gleichzeitig mit Erlass veröffentlichte Begründung erforderlich, sondern eine möglichst zeitnahe Veröffentlichung der Begründung ausreichend.
46Die Untersagung des Betriebs von nicht in § 11 Abs. 1 CoronaSchVO benannten Verkaufsstellen des Einzelhandels habe der Eindämmung des Coronavirus gedient, um die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zur Behandlung schwer- und schwerstkranker Menschen zu erhalten. Das Infektionsgeschehen habe sich zum Jahreswechsel 2020/2021 besorgniserregend entwickelt. Die im Herbst 2020 ergriffenen Maßnahmen hätten nicht zu einer ausreichenden Eingrenzung und vor allem nicht zu einer Entlastung der medizinischen Versorgungsstrukturen geführt. Die Situation in Krankenhäusern und Intensivstationen sei von einer sehr hohen Auslastung der verfügbaren Kapazitäten geprägt gewesen. Die Lage sei seit Herbst 2020 bis in das späte Frühjahr 2021 hinein dauerhaft sehr ernst gewesen. Es sei damit zu rechnen gewesen, dass die Mitte Dezember 2020 in Großbritannien aufgetretene Virusvariante B.1.1.7, die deutlich leichter übertragbar und vermehrt mit schweren Krankheitsverläufen verbunden gewesen sei, die Situation noch verschärfen würde. Aufgrund der im Einzelhandel auftretenden wechselnden unmittelbaren und mittelbaren Kontakte von Kunden in geschlossenen Räumen habe sich eine Ansammlung und Verbreitung von potentiell virushaltigen Tröpfchen und Aerosolen in der Luft trotz Einhaltung von Hygienemaßnahmen nicht verhindern lassen. Die Schließung von Einzelhandelsgeschäften sei daher grundsätzlich geeignet gewesen, die Entstehung von Infektionsketten zu vermeiden, zumal sie Kontaktmöglichkeiten auf dem Weg zu den Betrieben und die Attraktivität des öffentlichen Raums reduziert habe. Die von den Antragstellerinnen angeführten Studien hätten primär das Personal und nicht die Kunden zum Gegenstand gehabt und nicht die zunehmende Verbreitung ansteckenderer Virusvarianten berücksichtigt. Es stehe außer Frage, dass der Einzelhandel einen Beitrag zum allgemeinen Transmissionsgeschehen geleistet habe, jedoch sei der konkrete Umfang unklar gewesen. Da Buchhandlungen sich in der Regel in Innenstadtlagen befänden, eine Vielzahl wechselnder Kunden anzögen, die sich oftmals beraten ließen, käme es zu länger anhaltenden persönlichen Kontakten zwischen Kunden und Verkäufern sowie zu Kontakten in Warteschlangen an der Kasse und bei der An- und Abreise. Die Anordnung zur Einhaltung bestimmter Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen sei zwar ein gegenüber den Betroffenen milderes Mittel, das aber nicht ebenso effektiv sei, da es die Möglichkeit von Kontakten sowohl in den Läden als auch auf der An- und Abreise nicht gleichermaßen reduziere. Auch eine Beschränkung der Verbote auf bestimmte Bereiche oder Betriebe wäre nicht gleichermaßen geeignet gewesen. Eine punktuelle Öffnung des Einzelhandels hätte unweigerlich zu einer Verlagerung von Kundenströmen in die geöffneten Betriebe und damit voraussichtlich zu einem erheblichen Anstieg der Sozialkontakte und der Infektionsgefahren geführt. Die Maßnahme sei auch angemessen im engeren Sinne gewesen. Der Verordnungsgeber habe sich dazu veranlasst sehen dürfen und müssen, das öffentliche Leben umfassend einzuschränken, um die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems zu schützen und dem täglichen Versterben einer Vielzahl von Menschen am Coronavirus entgegenzuwirken. Die seinerzeitige Lage, die durch ein diffuses, durch die Behörden nicht mehr nachvollziehbares oder kontrollierbares Infektionsgeschehen geprägt gewesen sei, habe es jedoch nicht zugelassen, einzelne „Infektionstreiber“ in den Blick zu nehmen. Stattdessen habe weiterhin durch einen möglichst umfassenden Ansatz versucht werden müssen, die sozialen Kontakte im gesellschaftlichen Leben weitgehend einzudämmen. Die Folgen seien durch die zeitliche Befristung sowie zahlreiche beschlossene Hilfsmaßnahmen abgemildert worden. Im Zuge der Videoschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 3. März 2021 sei beschlossen worden, die Umsatzhöchstgrenze bei der Überbrückungshilfe III von 750 Millionen Euro bei den von Schließungsanordnungen betroffenen Unternehmen des Einzelhandels zu streichen. Zugleich sei die maximale Fördersumme pro Monat für verbundene Unternehmen auf 3 Millionen Euro erhöht und ein Härtefallfonds eingerichtet worden, um in Fällen zu helfen, in denen die Hilfsprogramme bislang nicht haben greifen können. Hinzugetreten seien die Regelungen zum Kurzarbeitergeld, die einen beträchtlichen Teil der Fixkosten auffingen, sowie der Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundes, der ein Gesamtvolumen von 600 Milliarden Euro umfasst und Unternehmen branchenübergreifend Hilfen zur Stärkung ihrer Kapitalbasis und zur Überwindung von Liquiditätsengpässen bereitgestellt habe. Im Übrigen sei der Versandhandel und der Verkauf von Waren mittels „Click & Collect“ weiterhin zulässig gewesen.
47Ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG liege schon deshalb nicht vor, weil die den Antragstellerinnen entgangenen Einnahmen in die Zukunft gerichtete Erwerbschancen gewesen seien, die nicht vom Schutz des Eigentums umfasst seien.
48Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor, weil der nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 CoronaSchVO zulässige Betrieb von Kiosken und Zeitungsverkaufsstellen seine sachliche Rechtfertigung darin finde, dass Zeitungen nicht lagerfähig seien und entsprechende Betriebe – im Gegensatz zu Buchhandlungen – entweder gar nicht oder nur kurz betreten werden müssten. Auch böten sie nur Raum für einige wenige Kunden, wodurch sich die Zahl der Sozialkontakte zwangsläufig reduziere. Im Hinblick auf den gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 CoronaSchVO zulässigen Betrieb von Einzelhandelsgeschäften, die kurzfristig verderbliche Schnitt- und Topfblumen sowie Gemüsepflanzen und Saatgut verkaufen, fehle es an einem vergleichbaren Sachverhalt, der eine Gleichbehandlung erfordere. Anders als bei Gütern des langfristigen Bedarfs hätte ein Verkaufsverbot von Schnitt- und Topfblumen wegen der begrenzten Haltbarkeit (sowohl im Geschäft als auch in der Produktion) zu einer ungenutzten Vernichtung der Produkte geführt. Jahreszeitbedingt habe das auch für Saat- und Pflanzgut zur Frühjahrsbestellung in Gemüsegärten gegolten, denen eine erhebliche Bedeutung bei der nachhaltigen Lebensmittelversorgung zukomme. Im Übrigen habe der Verordnungsgeber nicht primär danach differenziert, ob durch den Betrieb der jeweiligen Verkaufsstellen bei typisierender Betrachtung „kurzfristige“ oder „längerfristige“ Bedarfe der Bevölkerungen gedeckt würden oder nicht. Vorrangig sei vielmehr die Frage gewesen, ob die in einer Verkaufsstelle zumindest schwerpunktmäßig (vgl. § 11 Abs. 3 CoronaSchVO) angebotenen Waren und Güter bei typisierender Betrachtung für die Grundversorgung der Bevölkerung als solche als erforderlich angesehen werden durften.
49Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Gerichtsakte des Eilverfahrens (13 B 272/21.NE), der Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen Bezug genommen.
50Entscheidungsgründe:
51Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, jedoch unbegründet.
52A. Der Hauptantrag ist zulässig.
53I. Der Antrag ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 109a JustG NRW statthaft. Bei der Coronaschutzverordnung handelt es sich um eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende andere Rechtsvorschrift, für deren Überprüfung das Oberverwaltungsgericht in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO zuständig ist. Die Antragstellerinnen konnten die begehrte Feststellung, dass § 11 Abs. 2 CoronaSchVO unwirksam war, auch nur hinsichtlich des Betriebsverbots für den nicht in § 11 Abs. 1 CoronaSchVO genannten Einzelhandel beantragen und den durch dieselbe Vorschrift ebenfalls untersagten Betrieb von Einrichtungen zum Vertrieb von Reiseleistungen davon ausnehmen. In einem Normenkontrollverfahren darf der Antragsteller einen Antrag auf einzelne Teile einer Rechtsvorschrift beschränken, wenn bei verständiger Würdigung der Antrag auf eine Teilkassation der Rechtsvorschrift und nicht auf eine Ergänzung der angegriffenen Norm gerichtet ist und der Anwendungsbereich der Norm, auf den sich die Unwirksamkeitsfeststellung beziehen soll, abgrenzbar und klar definiert ist.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juni 2023 - 13 D 293/20.NE -, juris, Rn. 30 ff., m. w. N.
55Dies war der Fall. Ob die angegriffene Regelung – im regelungstechnischen Sinne oder mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG – in der von den Antragstellerinnen angenommenen Weise teilbar ist und deswegen nur in dem von ihnen begehrten Umfang für unwirksam erklärt werden kann (bzw. nachträglich eine solche Feststellung getroffen werden könnte), ist eine Frage der Begründetheit bzw. der vom Gericht vorzunehmenden Tenorierung. Fehlt es an einer Teilbarkeit der Regelung, wäre das Gericht im Erfolgsfalle gehalten, die gesamte Regelung für unwirksam zu erklären.
56Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juni 2023 - 13 D 293/20.NE -, juris, Rn. 41 ff., m. w. N.
57II. Die Antragstellerinnen sind antragsbefugt (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO), weil sie hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch die angegriffene Rechtsvorschrift bzw. deren Anwendung in einer eigenen Rechtsposition verletzt worden sind.
58Vgl. dazu z. B. BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 3 BN 2.18 -, juris, Rn. 11.
59Hierfür genügt, dass sich die angegriffene Regelung jedenfalls auf ihre durch Art. 19 Abs. 3 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit auswirken konnte. Dies war der Fall, weil sie als Betreiberinnen von Buchhandlungen nicht zu den in § 11 Abs. 1 CoronaSchVO ausdrücklich benannten Ausnahmen von dem in § 11 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO geregelten Betriebsverbot für Verkaufsstellen des Einzelhandels zählten und es ihnen während dessen Geltungsdauer dementsprechend untersagt war, ihre Verkaufsstellen – mit Ausnahme des Versandhandels sowie der Auslieferung bestellter Waren und der kontaktfreien Abholung bestellter Waren durch Kunden unter Beachtung von Schutzmaßnahmen vor Infektionen, vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 CoronaSchVO – zu betreiben.
60III. Den Antragstellerinnen als Adressatinnen einer auf kurzfristige Geltung angelegten Betriebsuntersagung steht jedenfalls deshalb das erforderliche berechtigte Feststellungsinteresse zur Seite, weil sie ihre Berufsfreiheit aus Art. 19 Abs. 3 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG in schwerwiegendem Maße berührt hat und der Normenkontrollantrag während der Geltungsdauer der angegriffenen Verordnungsregelung anhängig gemacht worden ist.
61Vgl. allgemein zur Notwendigkeit eines berechtigten Feststellungsinteresses: BVerwG, Urteil vom 18. April 2024 - 3 CN 12.22 -, juris, Rn. 13, und Beschluss vom 19. Januar 2024 - 3 BN 4.23 -, juris, Rn. 16, jeweils m. w. N., sowie dazu, dass ein solches bei Betriebsuntersagungen durch Coronaschutzverordnungen regelmäßig zu bejahen ist: BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2023 - 3 CN 4.22 -, juris, Rn. 17; OVG NRW, Urteile vom 26. November 2024 - 13 D 245/20.NE -, juris, Rn. 35 f. und vom 24. September 2024 - 13 D 236/20.NE -, juris, Rn. 36 f., jeweils m. w. N.
62Ob zudem auch die Voraussetzungen für ein berechtigtes Feststellungsinteresse mit Blick auf die von den Antragstellerinnen behauptete beabsichtigte Geltendmachung von Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen vorliegen, insbesondere diese Rechtsverfolgung nicht offensichtlich aussichtslos ist, kann mit Blick auf das aus dem oben genannten Grund zu bejahende Feststellungsinteresse offenbleiben.
63Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2024 - 3 CN 12.22 -, juris, Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 22. September 2022 - 13 D 38/20.NE -, juris, Rn. 87 ff.
64B. Der Antrag ist unbegründet. Die Antragstellerinnen haben keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, dass § 11 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO unwirksam war, soweit darin der Betrieb von nicht in § 11 Abs. 1 CoronaSchVO genannten Verkaufsstellen des Einzelhandels untersagt wurde. Die Regelung beruhte auf einer verfassungskonformen Ermächtigungsgrundlage (dazu I.) und war formell (dazu II.) und materiell (dazu III.) rechtmäßig.
65I. Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Regelung ist § 32 Satz 1 i. V. m. §§ 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), in der durch Art. 1 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) geänderten Fassung (im Folgenden: IfSG).
66Nach § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.
67Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Absatz 1 und in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
68§ 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG bestimmt, dass notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag insbesondere die Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel sein kann.
69Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Ge- und Verbote zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit erlassen werden können, lagen vor (dazu 1.). Es handelte sich um eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage, die sowohl den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots als auch denen des Parlamentsvorbehalts als einer Ausformung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips genügte (dazu 2.). Dass die Ermächtigungsgrundlage keine Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen für die von Schließungen betroffenen Betriebsinhaber vorsah, stand ihrer Anwendbarkeit nicht entgegen (dazu 3.).
701. Voraussetzung für den Erlass von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten ist gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden (vgl. § 2 Nr. 4 bis 7 IfSG) oder es sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Diese Voraussetzung lag zum maßgeblichen Zeitpunkt vor. Bei der Coronavirus-Krankheit COVID-19 handelt es sich um eine übertragbare Krankheit gemäß § 2 Nr. 3 IfSG. Das SARS-CoV-2-Virus hatte sich zum streitgegenständlichen Zeitpunkt in Nordrhein-Westfalen verbreitet, sodass dort u. a. eine Vielzahl hieran erkrankter Personen festgestellt worden war.
71Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Stand 7. Januar 2021, S. 1, 4, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/C/COVID-19-Pandemie/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-07-de.pdf?__blob=publicationFile&v=1.
72b. Der Deutsche Bundestag hatte zudem – wie in § 28a Abs. 1 IfSG vorausgesetzt – am 25. März 2020 aufgrund der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus in Deutschland eine epidemische Lage von nationaler Tragweite von unbestimmter Dauer festgestellt, deren Fortbestehen er am 18. November 2020 bestätigt hatte.
73Vgl. Plenarprotokoll 19/154, S. 19169 C, und Plenarprotokoll 19/191, S. 24109 C.
742. Die Ermächtigungsgrundlage genügte den aus dem Wesentlichkeitsgrundsatz folgenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an Regelungstiefe und Bestimmtheit. Dies hat der Senat für den Zeitpunkt der Einfügung des § 28a IfSG mit Wirkung zum 19. November 2020 bereits festgestellt.
75Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juni 2023 - 13 D 293/20.NE -, juris, Rn. 54 ff., sowie dazu, dass dies auch zu Beginn des Jahres 2021 insbesondere mit Blick auf die Verbreitung besorgniserregender Virusvarianten weiterhin der Fall war: OVG NRW, Urteil vom 13. November 2023 - 13 D 102/21.NE -, juris, Rn. 68 ff.
76Entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Umfang der zu ergreifenden Schutzmaßnahmen sich gemäß § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG insbesondere nach der Anzahl der regionalen Neuinfektionen mit dem Coronavirus je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen zu orientieren hatte (sog. 7-Tage-Inzidenz). Nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zur „Bundesnotbremse I“ durfte der Gesetzgeber insoweit an die 7-Tage-Inzidenz anknüpfen: Nahezu sämtliche sachkundige Dritte hätten diesen Maßstab als sensibles Frühwarnzeichen bewertet, das zu einem frühen Zeitpunkt Reaktionen ermöglicht habe. Dabei würden sowohl der Wert an sich als auch seine Steigerungsrate wertvolle Schlüsse über das zu erwartende Infektionsgeschehen gestatten. Bei einem ansteigenden Infektionsgeschehen werde ein Indikator benötigt, der nicht lediglich eine schon eingetretene Überlastung medizinischer Ressourcen anzeigt, sondern frühzeitig auf eine kommende Belastung des Gesundheitsversorgungssystems hinweist, um rechtzeitig entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können. Inzidenzwerte können als früher Indikator genutzt werden, weil sie den anderen Indikatoren wie der von den Antragstellerinnen in Betracht gezogenen Zahl der Hospitalisierungen, einschließlich intensivmedizinisch behandelter Fälle, oder einer steigenden Zahl von Todesfällen zeitlich – circa sieben bis zehn Tage – vorausgingen.
77Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 ‑ 1 BvR 781/21 u. a. -, juris, Rn. 199; ferner Nds. OVG, Urteil vom 17. August 2023 - 14 KN 22/22 -, juris, Rn. 161 f; OVG Bremen, Urteil vom 19. April 2022 - 1 D 126/21 -, juris, Rn. 63 f.
78Der Einwand der Antragstellerinnen, dabei blieben andere Faktoren wie die generelle Güte der medizinischen Versorgung in einer bestimmten Region sowie die Verteilung der Infektionszahlen auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen außen vor, setzt dem nichts Durchgreifendes entgegen.
79Nach § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG war Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen lediglich „insbesondere“ die 7-Tage-Inzidenz. Damit war der Verordnungsgeber grundsätzlich nicht gehindert, auch weitere Indikatoren heranzuziehen oder auch umfangreiche, aber zu lokalisierende und klar eingrenzbare Infektionsvorkommen bei seiner Entscheidung über Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen.
80Vgl. Nds. OVG, Urteil vom 1. Juni 2023 - 14 KN 37/22 -, juris Rn. 47.
81Soweit die Antragstellerinnen rügen, dass die Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder in einer Videoschaltkonferenz (im Folgenden: Ministerpräsidentenkonferenz) am 10. Februar 2021 beschlossen habe, dass Öffnungsschritte erst ab einer Inzidenz von 35 Fällen je 100.000 Einwohner in Betracht gezogen werden könnten, was zeige, dass die Vorgaben des § 28a Abs. 3 IfSG keine Steuerungswirkung hätten, vermag der Senat dieser Einschätzung nicht zu folgen. So sieht der Gesetzgeber selbst in § 28a Abs. 3 Satz 11 IfSG vor, dass nach Unterschreitung eines in den Sätzen 5 und 6 genannten Schwellenwertes (50 bzw. 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner) die in Bezug auf den jeweiligen Schwellenwert genannten Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden können, soweit und solange dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erforderlich ist. Im Übrigen ist eine Unterschreitung des Schwellenwerts von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner während der Geltungsdauer der streitgegenständlichen Verordnung nicht eingetreten. Die Frage, wie lange die beschlossenen Maßnahmen nach einem Absinken des Inzidenzwerts auf weniger als 50 noch aufrecht zu erhalten gewesen wären, stellte sich daher tatsächlich nicht.
823. Ferner scheidet § 32 Satz 1 i. V. m. §§ 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG auch nicht deswegen als Ermächtigungsgrundlage für die streitgegenständliche Maßnahme aus, weil das Infektionsschutzgesetz keine Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen für Betreiber regelte, denen es zeitweise untersagt war, am Markt tätig zu sein. Das Fehlen einer solchen Regelung stellte weder eine planwidrige Reglungslücke dar, noch war der Gesetzgeber zu einer solchen Regelung verfassungsrechtlich verpflichtet.
83Vgl. hierzu eingehend: BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2023 - 3 CN 4.22 -, juris, Rn. 60 ff.
84II. Die Coronaschutzverordnung ist formell ordnungsgemäß zustande gekommen.
851. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen war für ihren Erlass zuständig. § 32 Satz 1 IfSG in der seinerzeit maßgeblichen Fassung ermächtigte die Landesregierungen unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Diese Ermächtigung konnten die Landesregierungen nach Satz 2 der Vorschrift auf andere Stellen übertragen. Von dieser Befugnis hat die Landesregierung durch § 10 IfSBG-NRW in der Fassung vom 14. April 2020 – ein verordnungsvertretendes Gesetz i. S. v. Art. 80 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 GG – Gebrauch gemacht.
862. Die streitgegenständliche Verordnung war auch mit der nach § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG erforderlichen allgemeinen Begründung versehen. Die Begründungspflicht dient nach dem Willen des Gesetzgebers dazu, die wesentlichen Entscheidungsgründe für die getroffenen Maßnahmen transparent zu machen, und damit insbesondere der Verfahrensrationalität und der Legitimationssicherung. Sie soll als prozedurale Anforderung den Grundrechtsschutz durch Verfahren gewährleisten. Innerhalb der Begründung ist zu erläutern, in welcher Weise die Schutzmaßnahmen im Rahmen eines Gesamtkonzepts der Infektionsbekämpfung dienen, ohne dass insoweit eine empirische und umfassende Erläuterung geschuldet wäre. Sie ist möglichst zeitnah nach Erlass der Rechtsverordnung zu veröffentlichen.
87Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, in: BT-Drs. 19/24334, S. 74.
88Diesen Anforderungen war Genüge getan. Der Antragsgegner veröffentlichte die Begründung jeweils zeitnah nach Verkündung der Verordnung sowie der Änderungen,
89vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11. April 2024 - III ZR 134/22 -, juris, Rn. 60; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 11. Januar 2022 - 1 S 3805/21 -, juris, Rn. 75 (Zeitspanne von vier Tagen am äußersten Rand dessen, was noch als „zeitnah“ angesehen werden könne),
90auf der Homepage des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Soweit die Antragstellerinnen einwenden, die Begründung zur Änderungsverordnung vom 19. Februar 2021 sei erst am 26. Februar 2021, und somit nicht mehr zeitnah, auf der Homepage eingestellt worden, handelte es sich nach den Angaben des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung um die nachgereichte konsolidierte Begründung unter Einbeziehung der Begründungen zu den vorangegangenen Verordnungen.
91Vgl. konsolidierte Begründung zur Coronaschutzverordnung vom 7. Januar 2021, abrufbar unter https://www.mags.nrw/system/files/media/document/file/210226_konsolidierte_begruendung_coronaschvo_stand_19.2.2021.pdf.
92Die Begründung zur Mantelverordnung vom 19. Februar 2021, welche die streitgegenständliche Coronaschutzverordnung enthielt, wurde nach Angaben des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung bereits am 22. Februar 2021 auf der Homepage veröffentlicht.
93Vgl. Allgemeine Begründung zur sechzehnten Verordnung zur Änderung von Rechtsverordnungen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 19. Februar 2020, abrufbar unter
94https://www.mags.nrw/system/files/media/document/file/210222_begruendung_sechzehnte_mantelvo.pdf.
95Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerinnen war die Veröffentlichung auf der Internetseite ausreichend und der Verordnungsgeber nicht gehalten, diese Begründung zusätzlich im Gesetz- und Verordnungsblatt zu verkünden. Die Veröffentlichung der Begründung muss in einer Art und Weise erfolgen, dass aufgrund einer einheitlich angewandten Bekanntmachungspraxis für die Normadressaten transparent und einfach nachvollziehbar ist, wie sie die Begründung einsehen können. Eine Pflicht zur Veröffentlichung von Gesetzes- oder Verordnungsbegründungen im Gesetzes- und Verordnungsblatt ist hingegen nicht anzunehmen, da eine solche nur für die Gesetze und Verordnungen selbst besteht. Es ist auch nicht ersichtlich, welchen zusätzlichen konkreten Nutzen dies für die Normadressaten hätte.
96Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 11. Januar 2022 - 1 S 3805/21 -, juris, Rn. 75.
97Die Veröffentlichung auf der Homepage des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales entsprach der einheitlich angewandten Bekanntmachungspraxis des Antragsgegners. Auch die Begründungen zu der vorangehenden Verordnung einschließlich ihrer Änderungen wurden dort veröffentlicht. Dass diese vom Bürger nur mit Mühe und damit in unzumutbarer Weise auffindbar gewesen sein sollen, haben die Antragstellerinnen nicht nachvollziehbar dargelegt.
98In inhaltlicher Hinsicht genügte die Begründung den gesetzlichen Anforderungen. Der Verordnungsgeber erläuterte, dass er bei der seinerzeit herrschenden Infektionslage Infektionsschutzmaßnahmen für erforderlich hielt, um nachhaltig Gefahren für Leben und Gesundheit und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems abzuwenden (S. 3 der Begründung). Ziel der Maßnahmen sei es, durch eine weitgehende Reduzierung von Kontakten zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands während einer erneut eng umgrenzten Zeitspanne die Ausbreitung des Coronavirus weiterhin so einzudämmen, dass sich Gefahren für das Leben und die Gesundheit sowie die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems nicht realisierten. Der Verordnungsgeber messe den für alle Bereiche geltenden Grundregeln „Abstand, Hygiene, Alltagsmasken“ („AHA-Regeln“) entscheidende Bedeutung zu. Die Öffnung von Einzelhandelsgeschäften bliebe auf Lebensmittel und andere notwendige Güter des täglichen Bedarfs beschränkt, was ein unverzichtbarer Beitrag zu einer strikten Kontaktreduzierung durch einen weitgehenden Stillstand des öffentlichen Lebens sei.
993. Die streitgegenständliche Verordnung entsprach auch dem Befristungserfordernis aus § 28a Abs. 5 IfSG. Danach ist die zeitliche Geltungsdauer von einer auf Grundlage des § 32 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 und § 28a Absatz 1 IfSG erlassenen Verordnung zeitlich zu befristen, wobei die Geltungsdauer grundsätzlich vier Wochen beträgt. Diese Vorgabe ist dem Umstand geschuldet, dass die Regelungen unter Berücksichtigung der neuen Entwicklungen der Coronapandemie fortgeschrieben werden müssen. Dabei ist stets unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots und unter Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen zu prüfen, ob die getroffenen Maßnahmen noch aufrechtzuerhalten sind oder eine Lockerung verantwortet werden kann.
100Vgl. BT-Drs. 19/24334, S. 74.
101Diese Vorgaben wurden eingehalten. Die Coronaschutzverordnung vom 7. Januar 2021 (GV. NRW. S. 2b) war gemäß ihrem § 19 Abs. 1 zunächst bis zum 31. Januar 2021 befristet. In der Folgezeit wurde sie unter Berücksichtigung der Pandemieentwicklung regelmäßig, aber stets nicht länger als um vier Wochen, verlängert.
102Durch Art. 1 der Änderungsverordnung vom 21. Januar 2021 (GV. NRW. S. 22b, ber. S. 46) bis zum 14. Februar 2021, durch Art. 1 der 15. Verordnung zur Änderung von Rechtsverordnungen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 12. Februar 2021 (GV. NRW. S. 144) bis zum 21. Februar 2021 sowie durch Art. 1 Nr. 14 der 16. Verordnung zur Änderung von Rechtsverordnungen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 19. Februar 2021 (GV. NRW. S. 194) bis zum 7. März 2021.
103III. Die angegriffene Regelung war materiell rechtmäßig. Wie oben aufgezeigt, lagen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Satz 1 i. V. m. §§ 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG vor. § 11 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO war auch mit höherrangigem Recht, insbesondere Art. 12 Abs. 1 (dazu 1.), Art. 14 Abs. 1 (dazu 2.), Art. 5 Abs. 1 Satz 1 (dazu 3.), Art. 2 Abs. 1 (dazu 4.) und Art. 3 Abs. 1 GG (dazu 5.) vereinbar.
1041. Die streitgegenständliche Regelung verletzte nicht die Berufsfreiheit der Einzelhändler aus Art. 12 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG).
105a. Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Freiheit von Berufswahl und -ausübung. Unter Beruf ist dabei jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage zu verstehen.
106Vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 246.
107Die Untersagung des Betriebs von nicht in § 11 Abs. 1 CoronaSchVO genannten Verkaufsstellen des Einzelhandels stellte einen Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG dar, weil die Einzelhändler Kunden keinen Zutritt mehr zu ihren Geschäftsräumen gewähren durften.
108b. Dieser Eingriff war verhältnismäßig. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG sind Eingriffe in die Berufsfreiheit nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung – und damit auch durch Rechtsverordnung, die ihrerseits auf einer hinreichenden, den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügenden Ermächtigung beruht – erlaubt. Welche Anforderungen an eine Rechtfertigung eines Eingriffs in die Berufsfreiheit zu stellen sind, ist von der Art des Eingriffs abhängig. Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit müssen nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Dreistufentheorie aufgrund einer kompetenzgemäß erlassenen Norm erfolgen, durch hinreichende, der Art der betroffenen Betätigung und der Intensität des jeweiligen Eingriffs Rechnung tragende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
109Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998 - 1 BvR 2296/96 u. a. -, juris, Rn. 35, m. w. N.
110Bei dem vorliegenden Eingriff handelte es sich nicht um eine Einschränkung der Berufswahl, sondern um eine Berufsausübungsregelung. Die Regelung war auf einen überschaubaren Zeitraum befristet. Der Umstand, dass sie zeitweise wie ein Berufsverbot wirkte, ist allerdings bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.
111aa. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Regelung zur Verfolgung der durch die Verordnungsermächtigung vorgegebenen Zwecke geeignet, erforderlich und angemessen war, kam dem Verordnungsgeber ein Einschätzungsspielraum zu.
112(1) Entscheidungen des Gesetzgebers sind gerichtlich nur einer Vertretbarkeitskontrolle zu unterziehen, wenn wegen Unwägbarkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnislage die Möglichkeiten des Gesetzgebers begrenzt sind, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen. In einem solchen Fall genügt es, wenn er sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert.
113Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. -, juris, Rn. 169 ff. (legitimer Zweck), Rn. 185 ff. (Eignung), Rn. 203 ff. (Erforderlichkeit), Rn. 217 (Angemessenheit), jeweils m. w. N.
114Liegen der gesetzlichen Regelung prognostische Entscheidungen zugrunde, kommt es nicht auf die tatsächliche spätere Entwicklung an, sondern lediglich darauf, ob die Prognose des Gesetzgebers sachgerecht und vertretbar war. Voraussetzung dafür ist nicht, dass es – z. B. bei der Frage der Wirkung einer Maßnahme – hierfür zweifelsfreie empirische Nachweise gibt. Eine zunächst verfassungskonforme Regelung kann allerdings später mit Wirkung für die Zukunft verfassungswidrig werden, wenn ursprüngliche Annahmen nicht mehr tragen.
115Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. -, juris, Rn. 186.
116Fehlt ein gesicherter Erkenntnisstand, kann sich die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers mit der Zeit auch dadurch verengen, dass er nicht hinreichend für einen Erkenntnisfortschritt Sorge trägt. Je länger eine unter Nutzung von Prognosespielräumen geschaffene Regelung in Kraft ist und sofern der Gesetzgeber fundiertere Erkenntnisse hätte erlangen können, umso weniger kann er sich auf seine ursprünglichen, unsicheren Prognosen stützen.
117Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. -, juris, Rn. 190.
118(2) Diese Grundsätze waren im streitgegenständlichen Zeitraum auf den auf der Grundlage von § 32 Satz 1 (und 2) IfSG handelnden Verordnungsgeber zu übertragen. Auch diesem war vorliegend beim Erlass von Verordnungen ein Einschätzungsspielraum einzuräumen, weil auch dieser nur mit Prognosen arbeiten konnte. Dem im Vergleich zur ersten Coronawelle fortgeschrittenen Erkenntnisstand war insoweit dadurch Rechnung zu tragen, dass der Verordnungsgeber gehalten war, diesen bei seinen Prognosen zu berücksichtigen.
119Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. Mai 2024 - 13 D 238/20.NE -, juris, Rn. 92 ff.
120Ob die Prognosen des Verordnungsgebers in der erforderlichen Weise auf tragfähigen tatsächlichen Annahmen beruhten und das Prognoseergebnis plausibel war, unterliegt dabei der verwaltungsgerichtlichen Prüfung.
121Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. April 2024 - 3 CN 12.22 -, juris, Rn. 17 (zur Erforderlichkeit) und vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 -, juris, Rn. 59 (zur Eignung).
122Das Ergebnis der Prognose muss hierfür einleuchtend begründet sein. Das Gericht hat nicht eigene prognostische Erwägungen anzustellen, sondern die Rechtmäßigkeit der Prognose des Verordnungsgebers zu überprüfen. Dabei können auch noch im gerichtlichen Verfahren vorgebrachte Erwägungen des Verordnungsgebers berücksichtigt werden.
123Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. April 2024 - 3 CN 7.22 -, juris, Rn. 19 und vom 22. November 2022 - 3 CN 2.21 -, juris, Rn. 17 ff.
124bb. Unter Zugrundelegung des aufgezeigten Prüfungsmaßstabs war das Verbot des Betriebs von nicht in § 11 Abs. 1 CoronaSchVO genannten Verkaufsstellen des Einzelhandels verhältnismäßig. Es verfolgte im Einklang mit der Verordnungsermächtigung einen legitimen Zweck (1) und war zur Erreichung dieses Zwecks geeignet (2), erforderlich (3) und angemessen (4).
125(1) Der Verordnungsgeber wollte durch eine Verlängerung der bereits mit der vorhergehenden Verordnung angeordneten umfassenden Schutzmaßnahmen wirksam und zielgerichtet Gefahren für Leben und Gesundheit und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems abwenden. Letzteres hat er in § 1 Abs. 1 CoronaSchVO klargestellt. Dieses Ziel wurde zudem als Ergebnis der Ministerpräsidentenkonferenz am 5. Januar 2021 in einem Beschluss formuliert,
126abrufbar unter
127https://www.bundesregierung.de/resource/blob/976074/1834306/0c5c3e55624b4bd04e8660e7850cb54c/2021-01-05-beschluss-mpk-data.pdf?download=1,
128der in Nordrhein-Westfalen durch die streitgegenständliche Verordnung umgesetzt werden sollte.
129Vgl. Pressemitteilung der Landesregierung vom 8. Januar 2021, Die Landesregierung setzt die von Bund und Ländern am 5. Januar 2021 getroffenen Beschlüsse konsequent um, abrufbar unter
130https://www.mags.nrw/pressemitteilung/coronaschutzverordnung-angepasst-nordrhein-westfalen-verlaengert-lockdown-bis-31.
131Die Ministerpräsidentenkonferenz vereinbarte die Fortgeltung der bestehenden Regelungen und stellte fest, dass aufgrund der angestiegenen Belastung im Gesundheitswesen, des weiterhin hohen Niveaus des Infektionsgeschehens sowie der Entwicklung von Mutationen des Virus weitere Einschränkungen beispielsweise bei privaten Zusammenkünften erforderlich seien. Ziel bleibe es, die 7-Tage-Inzidenz auf unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner zu senken, um die Gesundheitsämter – unterstützt von Bund und Ländern – wieder in die Lage zu versetzen, die Infektionsketten nachvollziehen und Quarantäne für Kontaktpersonen anordnen zu können.
132Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister erläuterte in der Pressemitteilung, dass zwar das exponentielle Wachstum der Infektionen habe gebrochen werden können und es noch Kapazitäten auf den Intensivstationen der Krankenhäuser gebe. Trotz der Entbehrungen der letzten Wochen seien die Infektionszahlen aber nicht so stark gesunken, dass der „Lockdown“ aufgehoben werden könne.
133Die vom Verordnungsgeber intendierte Reduzierung der Virusausbreitung entsprach dem Zweck der Verordnungsermächtigung, übertragbare Krankheiten zu bekämpfen (§ 32 Satz 1 IfSG) und ihre Verbreitung zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG), um so Leben und Gesundheit des Einzelnen sowie die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems (§ 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG) zu schützen.
134Die Annahme des Verordnungsgebers, es habe eine erhebliche Gefahrenlage für diese Schutzgüter bestanden, die sein Handeln erforderlich machte, beruhte auf hinreichend tragfähigen tatsächlichen Erkenntnissen. Das Robert Koch-Institut beobachtete zu dem Zeitpunkt weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland und insbesondere auch in Nordrhein-Westfalen. Nach seinen Angaben lag die 7-Tage-Inzidenz am 7. Januar 2021 bundesweit bei 122 Fällen pro 100.000 Einwohnern, in Nordrhein-Westfalen bei 117. Aus dem gleich datierten täglichen Lagebericht des Instituts ging hervor, dass aufgrund der Feiertage Ende Dezember 2020 vermutlich weniger Personen einen Arzt aufgesucht hätten, weswegen weniger Proben genommen und weniger Laboruntersuchungen durchgeführt worden seien. Dies könne zu weniger Meldungen geführt haben. Auch könne es zu einer Verzögerung der Detektion, Erfassung und Übermittlung von Fällen gekommen sein. Die hohen bundesweiten Fallzahlen würden zumeist durch diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in privaten Haushalten und Alten- und Pflegeheimen verursacht. In zahlreichen Landkreisen sei es zu einer zunehmend diffusen Ausbreitung von SARS-CoV-2 in die Bevölkerung gekommen, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar gewesen seien. Mitte Dezember sei im Vereinigten Königreich über eine neue Virusvariante (B.1.1.7) berichtet worden, von der noch nicht abschließend geklärt gewesen sei, wie sie sich auf das Infektionsgeschehen auswirke. Die Weltgesundheitsorganisation habe außerdem von einer weiteren neuen Virusvariante in Südafrika berichtet. Die Zahl der Infektionen sei am höchsten unter den Betreuten und Tätigen in Einrichtungen gewesen, was im Einklang mit der Anzahl der berichteten Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen gestanden habe, bei denen besonders hohe Zahlen von Verstorbenen festgestellt worden seien. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Patienten habe bei 5.491 gelegen, was einer Belegung der vorhandenen Intensivbetten von 83 % entsprochen habe.
135Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 7. Januar 2021, S. 1, 2, 4, 5, 9, abrufbar unter
136https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/C/COVID-19-Pandemie/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-07-de.pdf?__blob=publicationFile&v=1.
137Der Verordnungsgeber durfte sich bei der Beurteilung der Infektionslage auch insbesondere auf die vom Robert Koch-Institut – der gemäß § 4 IfSG nationalen Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen – ausgewerteten Erkenntnisse stützen. Durch seine Aufgabe, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, verfügt es über eine besondere fachliche Expertise bei der Risikoeinschätzung und -bewertung einer übertragbaren Krankheit.
138Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. -, juris, Rn. 178; BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 -, juris, Rn. 55 ff.
139Dessen Bewertungen durften vom Verordnungsgeber wie ein Sachverständigengutachten bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Auch die Gerichte dürfen ihre Feststellungen hierauf gründen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Erkenntnisse und Bewertungen des Robert Koch-Instituts, auf die sich der Verordnungsgeber gestützt hatte, nach der maßgeblichen ex ante-Sicht auch für den nicht Sachkundigen erkennbare Mängel aufgewiesen hätten.
140Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 -, juris, Rn. 57.
141Solche haben weder die Antragstellerinnen dargelegt noch sind sie ansonsten ersichtlich.
142Vgl. dazu, dass solche Mängel vorliegend auch nicht aus dem Inhalt der Protokolle des Krisenstabs des Robert Koch-Instituts hergeleitet werden können: OVG NRW, Urteil vom 24. September 2024 - 13 D 236/20.NE -, juris, Rn. 116 ff.
143Da der Verordnungsgeber in Rechnung stellen musste, dass bei einem gewissen Anteil der Infizierten mit einem schweren, intensivpflichtigen Verlauf der Erkrankung zu rechnen war, lag die Annahme nahe, dass bei starkem Anstieg der Neuinfektionen oder bei Neuinfektionen auf dauerhaft hohem Niveau selbst bei einem gut ausgestatteten Gesundheitssystem dessen Kapazitätsgrenzen erreicht würden. Nach späteren (dem Verordnungsgeber seinerzeit nicht verfügbaren) Auswertungen der Daten aus der ersten und zweiten Welle mussten etwa 10 % der infizierten Personen hospitalisiert werden, davon wiederum 33 % auf einer Intensivstation.
144Vgl. Robert Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Ziffer 12: Angaben zu hospitalisierten COVID-19-Erkrankten, Stand 26. November 2021 (online nicht mehr verfügbar, den Beteiligten übersandt).
145Diese Annahme wurde durch Meldungen der Situation in den Krankenhäusern gestützt, die durch steigende Belegungszahlen gekennzeichnet war.
146Vgl. zur Auslastung der Intensivkapazitäten die jeweiligen Tagesreporte aus dem Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Archiv, abrufbar unter
147https://edoc.rki.de/handle/176904/7013.
148Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin wies darauf hin, dass die Zahl der COVID-19-Patienten in den Kliniken weiterhin ansteige. Man steuere kontinuierlich auf die Marke von 6.000 COVID-19-Patienten zu. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung könne bei möglichen Lockerungen nicht mehr aufrechterhalten werden.
149Vgl. Pressemitteilung der DIVI vom 4. Januar 2021, Intensivmediziner: „Lockerungen können wir uns aus medizinischer Sicht absolut noch nicht leisten!“, abrufbar unter
150https://www.divi.de/pressemeldungen/pm-intensivmediziner-lockerungen-koennen-wir-uns-aus-medizinischer-sicht-absolut-nicht-leisten.
151Auch Anfang Februar 2021 sei die Lage auf den Intensivstationen trotz eines Rückgangs der Patienten mit einem schweren COVID-19-Verlauf weiterhin ernst gewesen. Zwar seien nur noch knapp 4.000 Patienten behandelt worden und die Lage auf den Intensivstationen habe sich insoweit verbessert, als dass wieder mehr Stationen in den regulären Betrieb übergegangen seien. Dies sei jedoch keine Entspannung der Situation, man rechne bereits mit einer dritten Welle.
152Vgl. Pressemitteilung der DIVI vom 8. Februar 2021, Intensivmedizinisch gibt es weiterhin keine Alternative zum Lockdown!, abrufbar unter
153https://www.divi.de/pressemeldungen/pm-intensivmedizinisch-gibt-es-weiterhin-keine-alternative-zum-lockdown.
154Vor diesem Hintergrund war vertretbar, dass der Verordnungsgeber von einer erheblichen Gefahrenlage für Leben und Gesundheit der Bevölkerung ausgegangen ist. Dies gilt auch für die gesamte Geltungsdauer der streitgegenständlichen Verordnung vom 22. Februar 2021 bis zum 7. März 2021. Bis zu diesem Tag waren die Infektionszahlen zwar zurückgegangen, aber immer noch auf einem hohen Niveau. Die 7-Tage-Inzidenz lag für Deutschland zu diesem Zeitpunkt bei 66 und in Nordrhein-Westfalen bei 65 Fällen pro 100.000 Einwohnern. Es wurden 2.786 Fälle intensivmedizinisch behandelt.
155Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 7. März 2021, S. 1, 4 und 9, abrufbar unter
156https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/C/COVID-19-Pandemie/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-07-de.pdf?__blob=publicationFile&v=1.
157Dass es – wie im Nachhinein festzustellen ist – nicht zu einer Überlastung des Gesundheitswesens gekommen ist und sich die durch eine solche befürchteten weitergehenden Gefahren für Leben und Gesundheit nicht realisiert haben, führt nicht dazu, dass der Verordnungsgeber sich nicht auf seine diesbezügliche Prognose hätte stützen dürfen. Zum einen sind spätere Entwicklungen, die dem Verordnungsgeber nicht bekannt sein konnten, für die Rechtmäßigkeit der von ihm angestellten Beurteilung wie oben aufgezeigt nicht maßgeblich, wenn seine Prognose vertretbar war. Zum anderen kann dieser Umstand gerade darauf zurückzuführen sein, dass die Infektionsschutzmaßnahmen ihren Zweck erfüllt haben.
158Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. August 2022 - 13 D 29/20.NE -, juris, Rn. 191 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2. Juni 2022 ‑ 1 S 1067/20 -, juris, Rn. 176.
159(2) Die streitgegenständliche Regelung war auch geeignet, um die aufgezeigten Zwecke zu verfolgen. Für die Eignung reicht es aus, wenn durch die Berufsausübungsregelung der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es genügt bereits die Möglichkeit, durch die Regelung den Normzweck zu erreichen. Die Eignung setzt insbesondere nicht voraus, dass es zweifelsfreie empirische Nachweise der Wirkung oder Wirksamkeit der Maßnahmen gibt.
160Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. -, juris, Rn. 185 f., m. w. N.
161Die Eignungsprognose des Verordnungsgebers muss allerdings auf tragfähigen tatsächlichen Annahmen beruhen und das Prognoseergebnis plausibel sein.
162Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 -, juris, Rn. 59.
163Dies war der Fall. Hauptübertragungsweg des SARS-CoV-2-Virus ist die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel – Tröpfchen oder Aerosole –, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen oder Niesen entstehen. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber infektiösen Partikeln jeglicher Größe im Umkreis von ein bis zwei Metern um eine infektiöse Person herum erhöht. Beim Aufenthalt in Räumen kann sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz erhöhen, insbesondere wenn der Raum klein und schlecht belüftet ist, da virushaltige Aerosole auch über längere Zeit in der Luft schweben können. Längere Aufenthaltszeiten und besonders tiefes oder häufiges Einatmen durch die exponierten Personen erhöhen die Inhalationsdosis. Durch die Anreicherung und Verteilung der Aerosole im Raum ist das Einhalten des Mindestabstands zur Infektionsprävention gegebenenfalls nicht mehr ausreichend. Übertragungen im Außenbereich kommen insgesamt selten vor und haben einen geringen Anteil am gesamten Transmissionsgeschehen. Bei Wahrung des Mindestabstands ist die Übertragungswahrscheinlichkeit im Außenbereich aufgrund der Luftbewegung sehr gering.
164Vgl. Robert Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Ziffer 2: Übertragungswege, Stand 26. November 2021 (online nicht mehr verfügbar, den Beteiligten übersandt).
165Aus diesen Erkenntnissen folgt, dass auch die Untersagung des Betriebs von nicht privilegierten Verkaufsstellen des Einzelhandels durch § 11 Abs. 2 CoronaSchVO zur Eindämmung der Virusverbreitung beitrug.
166Es ist anzunehmen, dass in Einzelhandelsbetrieben infektionsträchtige Kontakte erfolgen und damit eine teilweise Schließung von Verkaufsstellen des Einzelhandels zur Folge hat, dass es insgesamt zu weniger infektionsträchtigen Kontakten kommt als bei einer vollständigen Öffnung des Einzelhandels.
167Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. September 2022 - 13 D 38/20.NE -, juris, Rn. 244.
168Zu entsprechenden Kontakten kommt es in Verkaufsstellen unter anderem dann, wenn eine Vielzahl von Menschen Besorgungen aller Art nachgeht, was zu häufig wechselnden Begegnungen in verschiedenen Ladengeschäften führt. Ferner ist davon auszugehen, dass sich Kunden je nach Art des Einzelhandelsgeschäfts auch über einen längeren Zeitraum im Verkaufsraum aufhalten, sodass sich eine Ansammlung und Verbreitung von potentiell virushaltigen Tröpfchen und Aerosolen in der Luft trotz Einhaltung von Hygienemaßnahmen nicht gänzlich verhindern lässt, und auch insoweit eine erhöhte Infektionsgefahr besteht.
169Vgl. dazu, dass auch die Einhaltung von Mindestabständen insoweit zur Infektionsprävention ggf. nicht ausreichend ist: Robert Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Ziffer 2: Übertragungswege, Stand 26. November 2021 (online nicht mehr verfügbar, den Beteiligten übersandt).
170Die Annahme, dass ein unbeschränkter Betrieb von Einzelhandelsgeschäften Infektionsgefahren birgt, teilt auch der Bundesgesetzgeber, der Schließungen oder Beschränkungen des Einzelhandels in den Katalog der möglichen Schutzmaßnahmen nach § 28a Abs. 1 IfSG aufgenommen hat. Er verweist in der Gesetzesbegründung,
171vgl. BT-Drs. 19/23944, S. 33,
172darauf, dass es bei Kunden- oder Besucherverkehr häufig zu Wechselkontakten komme, die eine Weiterverbreitung des Virus an weitere Personengruppen besonders begünstigten und die Kontaktnachverfolgung erschwerten.
173Der Eignung der Beschränkung des Betriebs von Geschäftsstellen des Einzelhandels zur Pandemiebekämpfung steht auch nicht entgegen, dass – wie die Antragstellerinnen meinen – ein kausaler und relevanter Beitrag des Einzelhandels zum Infektionsgeschehen nicht belegt sei. Die von ihnen vorgelegten Studien beziehen sich – worauf der Antragsgegner zurecht hinweist – auf die Risiken für die in Einzelhandelsgeschäften Beschäftigten, befassen sich jedoch nicht mit denjenigen für die sich dort aufhaltenden Kunden. Die Studie von Özcan/Dieterich beispielsweise ermittelt das Risiko für Beschäftigte im Einzelhandel aufgrund der durchschnittlichen Kontaktzeit mit Kunden an der Kasse. Dabei wird aber zum einen außer Acht gelassen, dass u. a. in Buchhandlungen, wie sie die Antragstellerinnen betreiben, der Kontakt zwischen Beschäftigten und Kunden sich aufgrund häufig stattfindender Beratungsgespräche nicht auf die Kasse beschränkt. Zum anderen legt die Studie die durchschnittliche Kontaktdauer Beschäftigter an den Kassen mit den vor ihnen stehenden Kunden zugrunde und ermittelt dabei eine Kontaktzeit von zwei Minuten je Kunden (eine Minute während des Bezahlvorgangs sowie eine Minute Wartezeit des folgenden Kunden). Dies legt nahe, dass die Kunden in der Warteschlange deutlich länger Kontakt untereinander haben können, nämlich so lange wie die Bezahlvorgänge der weiteren Kunden vor ihnen andauern. Im Übrigen weisen die Verfasser der Studie darauf hin, dass ihr eine Schätzung mit epidemiologischen Daten, die außerhalb des Einzelhandels erworben wurden, zugrunde liegt und nicht belegte Parameter vor Ort. Der Umstand, dass bei Beschäftigten in Supermärkten keine vermehrten COVID-19-Fälle aufgetreten sind, wie die Studie von Möhner/Wolik, feststellt, widerlegt ebenfalls nicht die Einschätzung des Verordnungsgebers, dass der Einzelhandel einen Beitrag zur Verbreitung des Virus leistete. Denn die Studie belegt nicht, dass es im Einzelhandel nicht zu Virusübertragungen und Ansteckungen von Beschäftigten – geschweige denn Kunden - gekommen ist, die sich auf dem durchschnittlichen Niveau der Ansteckungsrate bewegten. Die Studie von Hartmann/Kriegel beschäftigt sich mit den Wirkungen eines Lüftungssystems und trifft keine Aussage zur Gefährdung sich unmittelbar unterhaltender Personen. Der Umstand, dass Ansteckungen mit höherer Wahrscheinlichkeit im privaten Umfeld und in Restaurants als im Einzelhandelsbetrieb erfolgten, wie die Studie von Fisher et al. nahelegt, widerlegt ebenfalls nicht die Eignung der angeordneten Schließungen des Einzelhandels als solcher. Die Studie mag zwar Restaurants sowie Kontakte im privaten Umfeld als besondere Risikofaktoren erkannt haben, schließt aber weitere Ansteckungsorte nicht aus. Für die Geeignetheit der Beschränkungen des Einzelhandels zur Eindämmung der Pandemie ist nicht erforderlich, dass es sich bei diesem bekanntermaßen um einen „Hotspot“ oder „Treiber der Pandemie“ handelt.
174Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Februar 2021 ‑ 13 B 89/21.NE -, juris, Rn. 50 f., vom 12. Februar 2021 - 13 B 28/21.NE -, juris, Rn. 9, jeweils zu Einzelhändlern und vom 7. Februar 2022 ‑ 13 B 16/22.NE -, juris, Rn. 91 ff. zu gastronomischen Einrichtungen; ebenso: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18. Februar 2021 - 1 S 398/21 -, juris, Rn. 78.
175Denn der Verordnungsgeber ist in seinen Maßnahmen nicht darauf beschränkt, nur Aktivitäten zu untersagen, die in der Vergangenheit bereits als typische „Treiber der Pandemie“ identifiziert wurden. Das Infektionsgeschehen war im streitgegenständlichen Zeitraum vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass es nicht nur durch solche aufrechterhalten bzw. verstärkt wurde, sondern – neben Ausbrüchen im Zusammenhang mit Alten- und Pflegeheimen sowie privaten Haushalten – eine diffuse Ausbreitung von Infektionen in der Bevölkerung stattfand, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar waren.
176Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 7. Januar 2021, S. 2, abrufbar unter
177https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/C/COVID-19-Pandemie/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-07-de.pdf?__blob=publicationFile&v=1
178sowie vom 5. März 2021, S. 2, abrufbar unter
179https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/C/COVID-19-Pandemie/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-05-de.pdf?__blob=publicationFile&v=1.
180Dass sich das Infektionsgeschehen auf viele Lebensbereiche erstreckt und sich als diffus erweist, ist dabei im Wesentlichen der Natur der Sache geschuldet. Dass eine gesonderte Erfassung von Ansteckungen in Einzelhandelsgeschäfte, in denen es bei unbeschränktem Betrieb zu einer Vielzahl anonymer Zufallsbegegnungen kommt, nur schwer möglich ist, liegt auf der Hand. So dürfte es für ein Gesundheitsamt selbst bei unterstellter optimaler Ausstattung kaum festzustellen sein, ob sich ein Infizierter im Supermarkt, im Bus oder bei einem Aufenthalt im Park mit dem SARS-CoV-2-Virus angesteckt hat. Dies bedeutet aber nicht, dass er sich – gerade bei einer insgesamt stark ausgeprägten Viruszirkulation in der Bevölkerung – nicht bei einer dieser Aktivitäten angesteckt haben kann. Deswegen ist es nicht geboten, sämtliche Bereiche, in denen die Nachverfolgung von Infektionsketten Probleme bereitet, von den Infektionsschutzmaßnahmen auszunehmen.
181(3) Die streitgegenständliche Maßnahme war auch erforderlich. Grundrechtseingriffe dürfen nicht weitergehen, als es der Schutz des Gemeinwohls erfordert. Daran fehlt es, wenn ein gleich wirksames Mittel zur Erreichung des Gemeinwohlziels zur Verfügung steht, das den Grundrechtsträger weniger und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet. Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahmen zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen.
182Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. -, juris, Rn. 203, m. w. N.
183Die Einschätzung des Verordnungsgebers, die angegriffene Maßnahme sei während ihrer Geltungsdauer erforderlich gewesen, ist nicht zu beanstanden.
184Die Anwendung von Hygienekonzepten, eine verschärfte Pflicht zum Tragen von FFP-2 Masken oder die Beschränkung und Steuerung der Zahl der Nutzer durch das Buchen von Zeitfenstern wäre im Vergleich zur streitgegenständlichen Maßnahme zwar ein milderes Mittel, aber zur Eindämmung des Infektionsgeschehens nicht gleich geeignet gewesen.
185Vgl. auch OVG M.-V., Beschluss vom 24. März 2021 - 2 KM 120/21 OVG -, juris, Rn. 42; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2020 - 13 MN 411/20 -, juris, Rn. 49.
186Denn verbleibende Infektionsrisiken durch ein Aufeinandertreffen von Personen beim Besuch der Geschäfte werden dadurch jedenfalls nicht verhindert. Das gilt auch für die Ermöglichung einer Kontaktnachverfolgung, die Infektionen in den Einrichtungen nicht unterbinden kann, sondern lediglich dem Zweck dient, das Risiko von Folgeinfektionen zu reduzieren.
187Die Betriebsuntersagung ging auch nicht deshalb über das erforderliche Maß hinaus, weil sie keine ausdrücklichen Ausnahmen für bestimmte Einzelhandelsgeschäfte, von denen nur vernachlässigbare Ansteckungsrisiken ausgingen, oder Härtefallregelungen vorsah. Im Rahmen der ihm zustehenden Typisierungsbefugnis darf ein Normgeber sich am Regelfall orientieren und dabei von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen.
188Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 190; BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2023 - 3 CN 1.22 -, juris, Rn. 40; OVG NRW, Urteil vom 26. November 2024 - 13 D 245/20.NE -, juris, Rn. 199 ff.; auch Bay. VerfGH, Entscheidung vom 9. Februar 2021 - Vf. 6-VII-20 -, juris, Rn. 88.
189Soweit die Antragsteller auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unzumutbarkeit von Regelungen in Einzelfällen verweisen, beziehen sich diese einerseits auf Härtefallregelungen in Bezug auf Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG,
190vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2018 - 1 BvR 97/14 -, juris Rn. 98 ff.,
191die hier nicht einschlägig sind. Andererseits nehmen sie Bezug auf die Rechtsprechung zu Sanktionen infolge Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Bezug von Bürgergeld.
192Vgl. BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 - 1 BvL 7/16 -, juris Rn. 185 ff.
193Auch diese Erwägungen sind nicht auf die vorliegende Konstellation einer Verordnung übertragbar, da das Öffnungsverbot keine Sanktion infolge einer Pflichtverletzung darstellt, sondern dem Schutz der Bevölkerung vor möglichen Ansteckungen dient.
194Im Übrigen ist die Behauptung der Antragstellerinnen, es gebe Einzelhandelsbetriebe, von denen keine Ansteckungsrisiken ausgingen, nicht belegt. Vor dem Hintergrund, dass Hygienekonzepte nicht gleich wirksam sind und zudem stets das Risiko einer bewusst oder unbewusst fehlerhaften Anwendung besteht,
195vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 197,
196ist dies auch fernliegend.
197(4) Die streitgegenständliche Regelung war auch während ihrer gesamten Geltungsdauer angemessen, also verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Angemessenheit erfordert, dass der mit der Regelung verbundene Mehrwert für die Eindämmung des Infektionsgeschehens nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs steht. Es ist in diesem Fall aus den oben zum Einschätzungsspielraum gemachten Erwägungen Aufgabe des Verordnungsgebers, in einer Abwägung Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits und die Bedeutung der Regelung für die Erreichung legitimer Ziele andererseits gegenüberzustellen. Um dem Übermaßverbot zu genügen, müssen hierbei die Interessen des Gemeinwohls umso gewichtiger sein, je empfindlicher die Einzelnen in ihrer Freiheit beeinträchtigt werden. Umgekehrt wird ein Handeln des Normgebers umso dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können.
198Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. -, juris, Rn. 216, m. w. N.
199Das Betriebsverbot für nicht in § 11 Abs. 1 CoronaSchVO genannte Verkaufsstellen des Einzelhandels stellte für die nicht privilegierten Einzelhändler in seiner Wirkung ein jedenfalls partielles zeitweises Berufsverbot und damit einen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit dar. Denn es führte dazu, dass diese ihren Betrieb nahezu vollständig – bis auf die Abholung bestellter Waren – beschränken mussten. Dieses Öffnungsverbot galt für einen nicht unerheblichen Zeitraum vom 11. Januar bis 7. März 2021. Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass bereits während der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 (vgl. § 5 Abs. 4 CoronaSchVO vom 2. März 2020, GV. NRW, S. 177a) sowie aufgrund der Coronaschutzverordnung vom 30. November 2020 in der ab dem 16. Dezember 2020 geltenden Fassung (GV. NRW, S. 1124b) vergleichbare Maßnahmen galten. Rechtlich unerheblich ist hingegen, dass auch in der Nachfolgeverordnung weiterhin Einschränkungen für den Einzelhandel angeordnet wurden.
200Vgl. dazu, dass bei der Bestimmung des Gewichts des Grundrechtseingriffs zeitlich vorausgehende, aber nicht nachfolgende Maßnahmen zu berücksichtigen sind: BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 -, juris, Rn. 79.
201Insgesamt ist davon auszugehen, dass viele Einzelhändler – wie es auch die Antragstellerinnen vortragen – erhebliche finanzielle Einbußen erlitten haben, weil sie ihre Verkaufsstellen nicht öffnen durften. Zwar dürfte es auf der anderen Seite auch Einsparungen gegeben haben (z. B. bei Energiekosten, ggf. Preisnachlass bei Mieten, wie auch die Antragstellerinnen vortragen), es ist aber bei realistischer Betrachtung nicht davon auszugehen, dass diese die finanziellen Einbußen in erheblichem Maße auffangen konnten.
202Mit Blick auf das Eingriffsgewicht ist allerdings zu berücksichtigen, dass die öffentliche Hand Hilfsprogramme vorgesehen hat, um Existenzgefährdungen abzuwenden und finanzielle Einbußen der Betroffenen jedenfalls zu reduzieren. Dabei ist für die Frage der Reduzierung der finanziellen Einbußen nicht die konkrete Situation der Antragstellerinnen maßgebend, sondern vielmehr eine generalisierende Betrachtungsweise geboten, die auf den betroffenen Wirtschaftszweig als Ganzen, also den gesamten nicht privilegierten Einzelhandel, abstellt.
203Vgl. zur Relevanz dieses Gesichtspunkts: BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022 ‑ 1 BvR 1295/21 ‑, juris, Rn. 28, 31.
204Als Hilfsprogramme sind zunächst die Überbrückungshilfen II und III des Bundes zu nennen. Die Überbrückungshilfe II war ein branchenübergreifendes Zuschussprogramm mit einer Laufzeit von vier Monaten (September bis Dezember 2020), das zum Ziel hatte, Umsatzrückgänge während der Corona-Krise abzumildern. Die Förderung schloss nahtlos an die 1. Phase der Überbrückungshilfe mit dem Förderzeitraum Juni bis August 2020 an. Das Hilfsprogramm unterstützte kleine und mittelständische Unternehmen sowie Solo-Selbstständige und Freiberufler, die von den Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung besonders stark betroffen waren, mit nicht-rückzahlbaren Zuschüssen zu den betrieblichen Fixkosten. Die Überbrückungshilfe II wurde durch die Überbrückungshilfe III bis Juni 2021 verlängert.
205Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz/Bundesministerium der Finanzen, Überbrückungshilfe II, abrufbar unter
206https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/Content/Artikel/Ueberbrueckungshilfe-II/uebh-ii-ueberblick.html; sowie zur Verlängerung: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz/Bundesministerium der Finanzen, Überbrückungshilfe III, abrufbar unter
207https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/DE/Ubh/III/ueberbrueckungshilfe-iii.html.
208Für die Überbrückungshilfe III waren zunächst Unternehmen bis zu einem weltweiten Umsatz von 750 Millionen Euro im Jahr 2020, Soloselbstständige und selbstständige Angehörige der Freien Berufe im Haupterwerb aller Branchen für den Förderzeitraum antragsberechtigt, die in einem Monat des Förderzeitraums (November 2020 bis Juni 2021) einen coronabedingten Umsatzeinbruch von mindestens 30 Prozent im Vergleich zum Referenzmonat im Jahr 2019 erlitten haben. Die Hilfe wurde in Bezug auf die berechtigten Antragsteller sowie die maximale Höhe rückwirkend ausgeweitet. Ab dem 3. März 2021 waren auch von Schließungsanordnungen auf Grundlage eines Bund-Länder-Beschlusses direkt betroffene Unternehmen sowie Unternehmen der Pyrotechnikbranche, des Großhandels und der Reisebranche antragsberechtigt, wenn sie im Jahr 2020 einen Umsatz von mehr als 750 Millionen Euro erzielt haben. Voraussetzung war weiterhin, dass diese Unternehmen im Jahr 2019 mindestens 30 Prozent ihres Umsatzes in von Schließungsanordnungen direkt betroffenen oder in einer der im vorherigen Satz genannten Branchen erzielt haben. Verbundene Unternehmen konnten zunächst eine Förderung in Höhe von maximal 12 Millionen Euro erhalten.
209Vgl. Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 3. März 2021, abrufbar unter
210https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/Content/Downloads/Hinweise-zu-den-Programmbedingungen/pm-bmwk-ubh-iii-750mio-euro.pdf?__blob=publicationFile&v=5; Beschluss der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 3. März 2021, S. 11, abrufbar unter
211https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1872054/bff0487ddbb04e6c1dd117136caff12f/2021-03-03-mpk-data.pdf?download=1 sowie
212Buchstabe A Ziffer 2 Abs. 4 sowie Buchstabe A Ziffer 3 Abs. 3a der Richtlinien des Landes zur fortgesetzten Gewährung von Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen 2021 („Überbrückungshilfe III NRW“ und „Überbrückungshilfe III Plus NRW“), Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie vom 10. Februar 2021 in der aktualisierten Fassung vom 21. November 2023, abrufbar unter
213https://www.wirtschaft.nrw/system/files/media/document/file/rl-uberbruckungshilfe-iii-4.-aktualisierung-mit-ubh-iii-plus.pdf.
214Im weiteren Verlauf wurde die maximale Förderung auf 10 Millionen Euro pro Monat aufgestockt, wobei nach beihilferechtlichen Maßgaben eine maximale Gesamtfördersumme von 40 Millionen Euro geleistet werden konnte.
215Vgl. Buchstabe A Ziffer 5 Abs. 2 Richtlinien des Landes zur fortgesetzten Gewährung von Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen 2021 („Überbrückungshilfe III NRW“ und „Überbrückungshilfe III Plus NRW“), Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie vom 10. Februar 2021 in der aktualisierten Fassung vom 21. November 2023, abrufbar unter
216https://www.wirtschaft.nrw/system/files/media/document/file/rl-uberbruckungshilfe-iii-4.-aktualisierung-mit-ubh-iii-plus.pdf.
217Die Überbrückungshilfe III wurde durch die Überbrückungshilfe III Plus abgelöst, wobei unter gleichen Bedingungen der Förderzeitraum bis Dezember 2021 verlängert wurde.
218Vgl. Übersicht des Wirtschafts- und Finanzministeriums, abrufbar unter
219https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/DE/Ubh/IIIP/ueberbrueckungshilfe-iii-plus.html.
220Von Seiten des Landes Nordrhein-Westfalen wurde das Bundesprogramm durch die NRW Überbrückungshilfe Plus ergänzt (1. Phase in den Fördermonaten Juni bis August 2020). Diese stellte zusätzliche Hilfen für Solo-Selbstständige, Freiberufler und im Unternehmen tätige Inhaber von Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit höchstens 50 Mitarbeitern in Nordrhein-Westfalen bereit. Berechtigte erhielten danach eine einmalige Zahlung in Höhe von 1.000 Euro pro Monat für maximal drei Monate. Das Programm wurde für eine Laufzeit von weiteren vier Monaten (September bis Dezember 2020) fortgesetzt.
221Vgl. Übersicht des Wirtschaftsministeriums über die Überbrückungshilfe (2. Phase),
222https://www.wirtschaft.nrw/ueberbrueckungshilfe2.
223Weiteres wesentliches Instrument zur Unterstützung der von Infektionsschutzmaßnahmen betroffenen Unternehmen war der erleichterte Zugang zum Kurzarbeitergeld, durch das die Unternehmen ihre Personalkosten teils erheblich senken konnten.
224Vgl. Die Bundesregierung, Leichterer Zugang zum Kurzarbeitergeld, abrufbar unter
225https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv/kurzarbeitergeld-1729626?view=renderNewsletterHtml;
226BMF-Monatsbericht April 2020, abrufbar unter
227https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2020/04/Inhalte/Kapitel-2b-Schlaglicht/2b-Mit-aller-Kraft-gegen-Corona-Krise_pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=3;
228BMF-Monatsbericht Dezember 2020, abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Monatsberichte/2020/12.pdf?__blob=publicationFile&v=6.
229Darüber hinaus startete am 23. März 2020 das KfW-Sonderprogramm „Corona-Hilfen“, in dessen Rahmen KfW-Kredite als Liquiditätshilfen bereitgestellt wurden; die erste Kreditzusage erfolgte bereits am 6. April 2020. Am 15. April 2020 wurde zur Unterstützung von Unternehmen in der Coronakrise noch ein KfW-Schnellkredit mit 100%iger Risikoübernahme durch die KfW eingeführt.
230Vgl. https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/Newsroom/Aktuelles/Pressemitteilungen-Details_583809.html; sowie
231https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/Berichtsportal/KfW-Corona-Hilfe/.
232Dieses Sonderprogramm wurde Anfang November 2020 erweitert und auch Kleinstunternehmen angeboten.
233Vgl. https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/Newsroom/Aktuelles/Pressemitteilungen-Details_616256.html.
234Ferner sollten Unternehmen möglichst davor bewahrt werden, wegen pandemiebedingter kurzfristiger Zahlungsschwierigkeiten in die Insolvenz gehen zu müssen. Durch § 1 Abs. 1 des Sanierungs- und insolvenzrechtlichen Krisenfolgenabmilderungsgesetzes (SanInsKG) wurde zunächst die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen ausgesetzt, die pandemiebedingt zahlungsunfähig waren, es sei denn, es bestanden keine Aussichten darauf, die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (Geltung bis 30. September 2020). Bis zum 31. Dezember 2020 galt dies gemäß § 1 Abs. 2 SanInsKG noch für Unternehmen, die überschuldet waren. Danach (bis April 2021) konnten hiervon gemäß § 1 Abs. 3 SanInsKG noch Unternehmen profitieren, die in einem bestimmten Zeitraum einen Antrag auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie gestellt hatten.
235Auch wenn von diesen staatlichen Hilfsmaßnahmen zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses noch nicht alle in Kraft gesetzt waren, durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass die Hilfen, die Teil des am 28. Oktober 2020 von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossenen und am 5. Januar 2021 erweiterten Maßnahmenpakets waren,
236vgl. Nr. 11 und 12 des Beschlusses vom 28. Oktober 2020, abrufbar unter
237https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1805024/5353edede6c0125ebe5b5166504dfd79/2020-10-28-mpk-beschluss-corona-data.pdf?download=1, sowie Nr. 11 des Beschlusses vom 5. Januar 2021, abrufbar unter
238https://www.bundesregierung.de/resource/blob/976074/1834306/0c5c3e55624b4bd04e8660e7850cb54c/2021-01-05-beschluss-mpk-data.pdf?download=1,
239den betroffenen Betrieben alsbald zur Verfügung gestellt würden. Diese können daher eingriffsmildernd berücksichtigt werden.
240Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2023 - 3 CN 6.22 -, juris, Rn. 69.
241Soweit die Antragstellerinnen einwenden, als verbundene Unternehmen, auch mit weiteren Schwestergesellschaften, die keine Filialen in Nordrhein-Westfalen betreiben, seien für sie Fördermittel maßgeblich nur aus der Überbrückungshilfe III – und erst nachdem die Umsatzhöchstgrenze von 750 Millionen Euro am 3. März 2021 weggefallen sei,
242vgl. Nr. 12 des Beschlusses der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder, abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1872054/bff0487ddbb04e6c1dd117136caff12f/2021-03-03-mpk-data.pdf?download=1 –
243sowie der Überbrückungshilfe III Plus in Betracht gekommen, vermag dies die Rechtfertigung des Eingriffs, insbesondere bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise, nicht in Zweifel zu ziehen.
244Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die zunächst (bis zum 3. März 2021) nicht vorgesehene Unterstützung von größeren Unternehmen mit einem Umsatz im Jahr 2020 von mehr als 750 Millionen Euro und die daraus resultierende, aus ex-ante Sicht des Verordnungsgebers während des größten Teils der Geltungsdauer der Verordnung fehlende Abmilderung des Grundrechtseingriffs dazu geführt hätte, dass dieser nicht gerechtfertigt gewesen wäre.
245So in einem vergleichbaren Fall im Ergebnis auch: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18. Februar 2021 - 1 S 398/21 -, juris, Rn. 95.
246Dass diese Regelung (regelmäßig) zu Existenzgefährdungen des gesamten nicht privilegierten Einzelhandels oder des Buchhandels im Besonderen führte, ist nicht ersichtlich.
247Vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1295/21 -, juris, Rn. 28; BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2023 - 3 CN 6/22 -, juris, Rn. 69; zudem OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 11. Mai 2021 - OVG 11 S 41/21 -, juris, Rn. 99, wonach selbst eine Existenzgefährdung einzelner Unternehmen hinzunehmen sei; so auch: BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 449/82 -, juris, Rn. 87.
248Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen lag im Jahr 2020 trotz Krise deutlich unter dem Vorjahreswert. Für die Personen- und Kapitalgesellschaften ermittelte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle für die von der Corona-Krise erfassten Monate April 2020 bis März 2021 einen Rückgang von 15% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Auch in den Monaten April und Mai 2021 bleiben die Zahlen niedrig.
249Vgl. Müller, Unternehmensinsolvenzen seit Ausbruch der Pandemie, Wirtschaft im Wandel, Ausgabe 2/2021, S. 36, abrufbar unter
250https://www.iwh-halle.de/fileadmin/user_upload/publications/wirtschaft_im_wandel/wiwa_2021-02_unternehmensinsolvenzen_seit_ausbruch_der_pandemie.pdf.
251Der von den Antragstellerinnen vorgelegte Artikel des Handelsverband Deutschland setzt dem nichts Durchgreifendes entgegen. Zwar wird dort über eine „ausweglose Situation“ vieler Einzelhändler berichtet. Diese Aussage stützt sich jedoch maßgeblich darauf, dass „mehr als die Hälfte der vom Lockdown betroffenen Einzelhändler“ in einer Umfrage angegeben habe, „ohne weitere staatliche Unterstützung das laufende Jahr nicht überstehen zu können.“ (Anm.: Hervorhebung nicht im Original).
252Vgl. Handelsverband Deutschland (HDE), Corona-Gipfel: Politik versagt – keine Perspektive für den Handel, 11. Februar 2021.
253Gleiches gilt für die von den Antragstellerinnen vorgelegten Ergebnisse einer Umfrage des Handelsverband Deutschland, die dieser im Zuge seiner Jahrespressekonferenz vorstellte.
254Vgl. Handelsverband Deutschland (HDE), Jahrespressekonferenz, 11. Februar 2021.
255Entsprechende Hilfsprogramme wurden – wie ausgeführt – sowohl während der Geltungsdauer der Verordnung als auch danach angepasst bzw. verlängert, um betroffene Unternehmen in finanzieller Hinsicht zu unterstützen.
256Selbst wenn als betroffener Wirtschaftszweig im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
257vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022 ‑ 1 BvR 1295/21 ‑, juris, Rn. 31,
258nicht der gesamte nicht privilegierte Einzelhandel, sondern lediglich die Buchhandelsbranche anzusehen sein sollte, ergibt sich keine andere Beurteilung. Dass der Buchhandel im Besonderen unter den Auswirkungen des Öffnungsverbots gelitten hätte und es vermehrt zu Existenzbedrohungen gekommen wäre, tragen die Antragstellerinnen schon nicht vor.
259Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die den Einzelhändlern gewährten Hilfen den Eingriff in die Berufsfreiheit in finanzieller Hinsicht nicht gänzlich kompensiert, sondern nur abgemildert haben. So beziffern beispielsweise die Antragstellerinnen ihre Nettoverluste in der Zeit vom 16. Dezember 2020 bis 22. Februar 2021 auf mehr als 46 Millionen Euro. Dem Verlust der gesamten U.-Gruppe in Höhe von rund 60,9 Millionen Euro stünden Hilfsleistungen aus der Überbrückungshilfe III in Höhe von rund 16,2 Millionen Euro für die Unternehmensgruppe sowie zwei Darlehen mit einem Subventionswert in Höhe von jeweils rund 864.000 Euro gegenüber.
260Zudem konnten die finanziellen Erleichterungen hinsichtlich der durch die Berufsfreiheit auch geschützten Persönlichkeitsentfaltung im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung,
261vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 1985 - 1 BvR 38/78 -, juris, Rn. 42; Ruffert in Epping/Hillgruber, GG, Stand 15. September 2024, Art. 12 Rn. 14,
262keine Abhilfe schaffen.
263Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1295/21 -, juris, Rn. 28.
264Auch unter Berücksichtigung dessen war der Eingriff aber zugunsten überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt.
265Vgl. zur zeitgleichen Schließung von Fitnessstudios, Sporteinrichtungen, Gastronomiebetrieben und zum Verbot von Übernachtungsangeboten für touristische Zwecke in Sachsen: BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2023 - 3 CN 6.22 -, juris, Rn. 71 ff.
266In diesem Zusammenhang sind insbesondere die gravierenden und teils irreversiblen Folgen zu berücksichtigen, die eine unkontrollierte Virusverbreitung für Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen gehabt hätte. Der Verordnungsgeber sah sich auch zu Beginn des Jahres 2021 weiterhin mit einem sehr dynamischen Infektionsgeschehen konfrontiert, das sich durch eine hohe Zahl infizierter Personen sowie einer starken Auslastung der intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten auszeichnete. Der Verordnungsgeber wusste aus den Erfahrungen in der ersten Infektionswelle sowie aus dem Beginn der zweiten Welle im Herbst 2020, dass bei einem bestimmten Anteil der Infizierten die Erkrankung schwer verlief, bei manchen auch trotz Behandlung tödlich. Er musste also davon ausgehen, dass das Infektionsgeschehen zwangsläufig zu vielen Todesfällen führen würde. Eine zunehmende Viruszirkulation, zumal unter Beteiligung der ansteckenderen Variante B.1.1.7, hätte insbesondere deutlich mehr Angehörige vulnerabler Personengruppen der Gefahr einer schweren Erkrankung oder sogar des Todes ausgesetzt, vor der sie sich selbst nicht effektiv hätten schützen können. Dies gilt z. B. für pflegebedürftige Personen, die regelmäßig auf eine Vielzahl von Kontakten zu anderen Personen angewiesen sind. Gerade die Gefahr für vulnerable Personengruppen hatte sich bereits verdichtet: Der Anteil älterer Personen unter den COVID-19 Fällen war zu diesem Zeitpunkt steigend und es wurden Häufungen des Ausbruchsgeschehens in Alten- und Pflegeeinrichtungen beobachtet. Bis zum 7. Januar 2021 waren bereits mehr als 37.000 Menschen an oder mit dem Coronavirus verstorben.
267Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 7. Januar 2021, S. 1, abrufbar unter
268https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/C/COVID-19-Pandemie/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-07-de.pdf?__blob=publicationFile&v=1.
269Darüber hinaus war zum damaligen Zeitpunkt weder für die gesamte Bevölkerung ein effektiver Schutz vor einer Infektion durch eine Impfung möglich – die Impfungen begannen erst am 27. Dezember 2020,
270vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 27. Dezember 2020, S. 1, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/C/COVID-19-Pandemie/Situationsberichte/Dez_2020/2020-12-27-de.pdf?__blob=publicationFile&v=1 –
271noch stand eine zuverlässige Therapie zur Verfügung. Ferner lagen weiterhin wenige Erfahrungen dazu vor, wie Erkrankte optimal behandelt werden konnten, um die Überlebenschancen zu erhöhen. Zudem hatte der Verordnungsgeber die – wie oben aufgezeigt – vertretbare Prognose angestellt, dass dem Gesundheitssystem eine Überlastung drohte. Dies hätte weitere Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung begründet: zum einen, dass schwer an COVID-19 erkrankte Personen versterben, die bei einer Behandlung auf der Intensivstation hätten gerettet werden können, zum anderen, dass Personen mit anderen akut behandlungsbedürftigen Verletzungen oder Erkrankungen keinen Zugang mehr zu einer adäquaten Versorgung gehabt hätten. Mit der Vermeidung einer solchen Situation verfolgte der Verordnungsgeber den Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter. Er durfte insoweit auch aufgrund der von ihm vertretbar angestellten Prognose davon ausgehen, dass diese Rechtsgüter nicht nur entfernt oder abstrakt, sondern konkret gefährdet waren.
272Hinzu kommt in der gebotenen Abwägung auch insoweit der Umstand, dass die in § 11 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO geregelte Maßnahme befristet war und keine Anhaltspunkte bestehen, dass der Verordnungsgeber seiner diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Kontrollpflicht – auch im Hinblick auf die Dauer der Schließungen und die damit verbundenen Nachteile für die betroffenen Händler – nicht nachgekommen ist. Vielmehr hat er beständig das Infektionsgeschehen überwacht und insbesondere aufgrund der auf dem Vormarsch befindlichen Virusvariante B.1.1.7, die leichter übertragbar war, eine erhöhte Reproduktionszahl aufwies und zu steigenden Wocheninzidenzen führte, eine Verlängerung der Schutzmaßnahmen über den 31. Januar 2021 hinaus vorgenommen.
273Vgl. konsolidierte Begründung zur Coronaschutzverordnung vom 7. Januar 2021, Stand 19. Februar 2021, S. 6 f., abrufbar unter
274https://www.mags.nrw/system/files/media/document/file/210226_konsolidierte_begruendung_coronaschvo_stand_19.2.2021.pdf.
2752. Die streitgegenständliche Maßnahme verletzte auch nicht das Eigentumsgrundrecht der Einzelhändler aus (Art. 19 Abs. 3 i. V. m.) Art. 14 Abs. 1 GG.
276a. Sie stellte als bloße Nutzungsbeschränkung keine nach Art. 14 Abs. 3 GG entschädigungspflichtige Enteignung dar.
277Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2023 - 3 CN 4.22 -, juris, Rn. 63, m. w. N.
278b. Ein Eingriff in das Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs lag – unabhängig davon, ob der eingerichtete und ausgeübte Gewerbetrieb überhaupt in den Gewährleistungsgehalt der Eigentumsgarantie fällt – jedenfalls nicht vor, weil eingeschränkte Umsatz- und Gewinnchancen oder tatsächliche Gegebenheiten von der Eigentumsgarantie nicht umfasst werden. Selbst wenn man einen Eingriff in das Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs ausnahmsweise bei längerfristigen und existenzgefährdenden Maßnahmen annähme, wäre das Eigentumsrecht vorliegend nicht betroffen gewesen, weil die zeitlich befristete Betriebsuntersagung noch im Rahmen derjenigen unternehmerischen Risiken lag, die – wie z. B. Naturkatastrophen, kriegerische Auseinandersetzungen, Wegbrechen von Märkten, Unterbrechen von Lieferbeziehungen – grundsätzlich jederzeit eintreten können.
279Vgl. OVG NRW, Urteile vom 19. Juni 2023 - 13 D 293/20.NE -, juris, Rn. 241, und vom 25. August 2022 - 13 D 29/20.NE -, juris, Rn. 248 ff., m. w. N.; offengelassen, ob ein Eingriff in das Eigentumsrecht bei coronabedingten Betriebsschließungen vorliegt: BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2023 - 3 CN 4.22 -, juris, Rn. 64; offengelassen, ob der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb von Art. 14 GG geschützt wird: BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2022 - 1 BvR 1073/21 -, juris, Rn. 11; einen Eingriff in Art. 14 GG bei einer sechswöchigen Schließung bejahend: BGH, Urteil vom 11. Mai 2023 - III ZR 41/22 -, juris, Rn. 40; einen Eingriff ablehnend bei einer Betriebsuntersagung über zwei Monate: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2. Juni 2022 - 1 S 1067/20 -, juris, Rn. 205.
280Im Übrigen wäre selbst bei Bejahung eines Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht in seiner Ausprägung als Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs dieser verfassungsrechtlich gerechtfertigt gewesen. Die streitgegenständliche Bestimmung wäre als eine rechtmäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu qualifizieren gewesen.
281Vgl. in diesem Sinne bereits zu Betriebsschließungen in der ersten Coronawelle: OVG NRW, Urteil vom 25. August 2022 - 13 D 29/20.NE -, juris, Rn. 264 ff, sowie in der zweiten Coronawelle: Urteil vom 19. Juni 2023 - 13 D 293/20.NE -, juris, Rn. 246 ff.
282Sie wäre insbesondere verhältnismäßig gewesen. Auf die Erwägungen, aus denen auch der Eingriff in die Berufsfreiheit als verfassungsrechtlich gerechtfertigt anzusehen war, wird verwiesen.
283Die Inhalts- und Schrankenbestimmung wäre auch nicht deswegen rechtswidrig gewesen, weil eine mit ihr korrespondierende Entschädigungs- oder Schadensersatzregelung fehlte.
284Vgl. zu einer Prüfung verschiedener Rechtsgrundlagen: BGH, Urteil vom 17. März 2022 - III ZR 79/21 -, juris, Rn. 16 ff.; sowie VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2. Juni 2022 - 1 S 1067/20 -, juris, Rn. 210 ff.
285Denn es handelte sich bei der streitgegenständlichen Regelung nicht um eine ausgleichspflichtige Schrankenbestimmung. Eine finanziell ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung stellt eine Ausnahme für Fälle dar, in denen der mit der Schrankenbestimmung verfolgte Gemeinwohlgrund den Eingriff grundsätzlich rechtfertigt, aus Verhältnismäßigkeitsgründen allerdings noch zusätzlich einer Ausgleichsregelung bedarf.
286Vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 ‑ 1 BvR 2821/11 u. a. -, juris, Rn. 259 f.
287Die streitgegenständliche Regelung erwies sich aber auch schon – wie oben ausgeführt – ohne eine kompensatorische Ausgleichsregelung als verhältnismäßig. Den durch vorübergehende Betriebsschließungen betroffenen Einzelhändlern wurde auch kein gleichheitswidriges Sonderopfer auferlegt. Allein der Umstand, dass manche Branchen mehr als andere von den Infektionsschutzmaßnahmen betroffen waren, begründet ein solches nicht.
288Vgl. OVG Bremen, Urteil vom 19. April 2022 - 1 D 126/21 -, juris, Rn. 73.
289Von den Auswirkungen der Coronapandemie waren die nicht in § 11 Abs. 1 CoronaSchVO genannten Einzelhändler nicht als einige wenige stark betroffen, sondern diese hatte insgesamt massive wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Auswirkungen.
290Vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2023 - III ZR 41/22 -, juris, Rn. 51 f.
291Im Übrigen gilt der Grundsatz, dass staatliche Ausnahmezustände in ihren finanziellen Auswirkungen nicht über allgemeine gesetzliche Entschädigungsansprüche reguliert werden.
292Vgl. speziell zur Coronapandemie: BGH, Urteile vom 11. Mai 2023 - III ZR 41/22 -, juris, Rn. 46, 53, und vom 17. März 2022 - III ZR 79/21 -, juris, Rn. 61 f.; sowie in diesem Sinne zur Verneinung eines allgemeinen Aufopferungsanspruchs bei Kriegsschäden: BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 - III ZR 140/15 -, juris, Rn. 18.
293Es liegt auf der Hand, dass eine Überforderung der staatlichen Leistungsfähigkeit drohte, wenn für sämtliche von Infektionsschutzmaßnahmen wirtschaftlich Betroffene Ausgleichsansprüche normiert würden. Insoweit kann allenfalls objektiv-rechtlich eine aus dem Sozialstaatsprinzip folgende Verpflichtung bestehen, für die Betroffenen unverschuldete Härten teilweise abzufedern. Dieser Verpflichtung wurde durch die oben dargestellten Instrumente und Hilfsprogramme jedenfalls in ausreichendem Maße genügt.
294Vgl. in diesem Sinne auch für coronabedingte Schließungen in der ersten Novemberhälfte 2020: BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2023 - 3 CN 4.22 -, juris, Rn. 65.
2953. Eine Verletzung der Grundrechte aus (Art. 19 Abs. 3 i. V. m.) Art. 5 GG durch die streitgegenständliche Regelung liegt weder für Buchhändler sowie der sonst an der Erzeugung und Verbreitung von Druckschriften Beteiligten (insbesondere Autoren und Verleger) (a) noch für potentielle Kunden (b) vor.
296a) Buchhändler sowie die sonst an der Erzeugung und Verbreitung von Druckschriften Beteiligten (insbesondere Autoren und Verleger) werden weder in den Grundrechten der Presse- (aa) und der Informations- (bb) noch der Wissenschafts- (cc) und Kunstfreiheit (dd) verletzt.
297aa) Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG werden die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film gewährleistet. Der Schutzbereich der Pressefreiheit umfasst alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckwerke und Informationsträger, die nicht unter den Film- und den Rundfunkbegriff fallen. Er reicht von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung. Geschützt sind alle Tätigkeiten und Verhaltensweisen (einschließlich Unterlassungen), die zur pressespezifischen Verbreitung von Nachrichten und Meinungen gehören. Dazu gehört auch der ungestörte Vertrieb bis zur Post- und Botenzustellung des einzelnen Exemplars einer Zeitung bzw. des Buchs oder sonstigen Mediums. Er beschränkt sich nicht auf die unmittelbar inhaltsbezogenen Pressetätigkeiten, sondern erfasst im Interesse einer ungehinderten Meinungsverbreitung auch inhaltsferne Hilfsfunktionen von Presseunternehmen. Im Einzelnen kommt es für die Definition des Schutzbereichs darauf an, was notwendige Bedingung des Funktionierens einer freien Presse ist. Damit wird allerdings nicht jede selbständige Dienstleistung in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einbezogen, die der Presse zugutekommt und für diese funktionswichtig ist. Für presseexterne Hilfstätigkeiten bleibt es in der Regel beim Schutz anderer Grundrechte, namentlich des Art. 12 Abs. 1 GG. Etwas anderes kann jedoch ausnahmsweise im Interesse eines freiheitlichen Pressewesens dann gelten, wenn eine selbständig ausgeübte, nicht die Herstellung von Presseerzeugnissen betreffende Hilfstätigkeit typischerweise pressebezogen ist, in enger organisatorischer Bindung an die Presse erfolgt, für das Funktionieren einer freien Presse notwendig ist und wenn sich die staatliche Regulierung dieser Tätigkeit zugleich einschränkend auf die Meinungsverbreitung auswirkt.
298Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. April 2003 - 1 BvR 62/99 -, BVerfGK 1, 136 = juris, Rn. 11, vom 20. April 1999 - 1 BvQ 2/99 -, juris, Rn. 15 zum Vertrieb von Tageszeitungen und vom 13. Januar 1988 - 1 BvR 1548/82 -, BVerfGE 77, 346 ff. = juris, Rn. 24 f. (zu Grossisten); Paulus, in: Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 5, Rn. 129, 133, 135.
299Selbst unter Erfassung von Buchhändlern unter den Schutzbereich der Pressefreiheit, wie sie in der Literatur teilweise vorgenommen wird,
300vgl. Bethge, in: Sachs, GG, 10. Aufl. 2024, Art. 5, Rn. 75; Schemmer, in: BeckOK GG, 60. Ed. 28. Dezember 2024, Art. 5, Rn. 40.1,
301wäre ein Eingriff als gerechtfertigt anzusehen.
302Das temporäre Öffnungsverbot war geeignet, die Bevölkerung durch Kontaktvermeidung in ihrer Gesundheit zu schützen. Es war zu diesem Zweck auch erforderlich, da dem Verordnungsgeber mildere Mittel als Öffnungsverbote, die gleich geeignet waren, wie bereits ausgeführt, nicht zur Verfügung standen. Die Regelung war auch angemessen. Insbesondere hatte der Verordnungsgeber bereits Bereichsausnahmen für Zeitungsverkaufsstellen zugelassen, von denen auch die Antragstellerinnen Gebrauch machten, um der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen. Im Übrigen war auch die Abholung bestellter Medien nach telefonischer oder online erfolgter Vorbestellung während der Geltungsdauer der Verordnung, vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 CoronaSchVO, ebenso wie der Online-Versandhandel jederzeit möglich.
303bb) Das Grundrecht der Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, wonach jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, ist, anders als die Antragstellerinnen meinen, mit Blick auf Buchhändler sowie sonst an der Erzeugung und Verbreitung von Druckschriften Beteiligte (insbesondere Autoren und Verleger) bereits deshalb nicht verletzt, weil deren Tätigkeit nicht dem Schutzbereich dieses Grundrechts unterfällt. Informationsfreiheit ist das Recht, sich selbst zu informieren. Sie schützt damit nicht das Verbreiten von Informationen, sondern vielmehr auf der Kehrseite sowohl die schlichte Entgegennahme als auch das aktive Beschaffen von Informationen.
304Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Oktober 1969 - 1 BvR 46/65 -, juris, Rn. 27; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 18. Aufl. 2024, Art. 5, Rn. 1, 25.
305cc) Gleiches gilt in Bezug auf Buchhändler für die von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete Wissenschaftsfreiheit. Diese bezieht in ihrer Ausgestaltung als Freiheit der Forschung zwar auch die Verbreitung von Forschungsergebnissen ein,
306vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 - 1 BvR 424/71 -, juris, Rn. 94,
307nicht jedoch die wirtschaftliche Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Das Grundrecht steht nur demjenigen zu, der in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig ist oder tätig werden will. Hierzu gehören insbesondere Hochschullehrer, Studenten, die selbständig wissenschaftlich tätig sind, sowie juristische Personen, die Wissenschaft betreiben und organisieren, nicht jedoch die bloßen Vertreiber wissenschaftlicher Publikationen.
308Vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 - 1 BvR 424/71 -, juris, Rn. 92; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 18. Aufl. 2024, Art. 5, Rn. 138, 140 f.
309Sofern für diese wissenschaftlich tätigen Autoren durch die vorübergehende Schließung von Buchhandlungen eine gewisse Einschränkung ihrer Verbreitungsmöglichkeiten für ihre Forschungsergebnisse angenommen würde, wäre diese jedenfalls aus den zu Art. 12 Abs. 1 GG aufgeführten Gründen verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
310dd) Der durch das Öffnungsverbot mittelbar hervorgerufene Eingriff in die Kunstfreiheit werkschöpfender Autoren und deren Verleger aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher Weise den „Werkbereich“ wie den „Wirkbereich“ des künstlerischen Schaffens. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schützt nicht nur die künstlerische Betätigung, sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks, die für die Begegnung mit dem Werk als einem kunstspezifischen Vorgang sachnotwendig ist. Die Ausstrahlungswirkung dieser Verfassungsbestimmung erstreckt sich daher auf die Medien (Kommunikationsmittel), da sie durch Vervielfältigung, Verbreitung und Veröffentlichung die zwischen Künstler und Publikum unentbehrliche Mittlerfunktion ausüben. Soweit es zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht allen Personen, die daran mitwirken, ein Kunstwerk geschäftsmäßig zu vertreiben, grundsätzlich die Berufung auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gestattet.
311Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 7. März 1990 - 1 BvR 266/86 -, juris Rn. 47 und vom 27. Juli 2005 - 1 BvR 2501/04 -, juris, Rn. 23.
312In die Kunstfreiheit wird eingegriffen, wenn ein Grundrechtsverpflichteter den Grundrechtsträger im Werk- oder im Wirkbereich behindert.
313Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 18. Aufl. 2024, Art. 5 Rn. 123.
314Ein mittelbarer Eingriff in Form einer Behinderung im Vertrieb der künstlerischen Werke ist aufgrund des Öffnungsverbots anzunehmen.
315Die Kunstfreiheit kann, wie andere vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, aufgrund von kollidierendem Verfassungsrecht beschränkt werden. Der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen ist ein wichtiger Wert von Verfassungsrang, der eine Beschränkung der Kunstfreiheit rechtfertigt. Das Öffnungsverbot verfolgte legitime Zwecke und war hierzu – wie bereits ausgeführt – geeignet und erforderlich Es war zudem unter Berücksichtigung der seinerzeitigen Infektionslage angemessen, zumal die Abholung bestellter Medien nach telefonischer oder online erfolgter Vorbestellung während der Geltungsdauer der Verordnung, vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 CoronaSchVO, ebenso wie der Online-Versandhandel weiter möglich war.
316b) Die streitgegenständliche Regelung verletzte auch nicht das durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Recht potentieller Kunden von Buchhandlungen auf freien Zugang zu Informationen. Nach dieser Vorschrift hat jeder das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
317Das Individualrecht, das eigene Wissen zu erweitern und damit die Persönlichkeit zu entfalten, ist eine zentrale Voraussetzung für eine freie und möglichst gut informierte demokratische Öffentlichkeit. Es stellt im Hinblick auf die Wahrnehmung der Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Informationsfreiheit eine wichtige Möglichkeit für die Bevölkerung dar, Zeitungen und Zeitschriften zu erwerben, sich somit gesellschaftlich, politisch, kulturell und sonst wie zu informieren und auf diese Weise an der Meinungsbildung teilnehmen zu können.
318Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24. März 2021 - 1 S 677/21 -, juris, Rn. 76; Kaiser, in: Dreier, Grundgesetz, 4. Aufl. 2023, Art. 5 Abs. 1 Rn. 73.
319Der ungehinderte Informationszugang wird beeinträchtigt, wenn der Staat rechtlich oder faktisch den Informationsfluss unterbindet, behindert, lenkt oder registriert. Erfasst wird auch eine dem Staat zuzurechnende unzumutbare Verzögerung des Informationszugangs.
320Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 1969 - 1 BvR 30/66 -, BVerfGE 27, 88, 98 f. = juris, Rn. 29; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 18. Aufl. 2024, Art. 5, Rn. 27; Grabenwarter, in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 105. Erg.-lfrg. August 2024, Art. 5 Abs. 1, Rn. 1029.
321Nach diesem Maßstab ist ein Eingriff in die Informationsfreiheit potentieller Kunden nicht ersichtlich. Das Öffnungsverbot in § 11 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO führt nicht zu einer unzumutbaren Behinderung oder Verzögerung des Informationszugangs. Der Erwerb von Zeitungen und Zeitschriften war von vornherein nicht beschränkt. Soweit infolge des Öffnungsverbots der Verkaufsstellen der Erwerb von Büchern im „Click & Collect“-Angebot mit erhöhtem Aufwand aufgrund einer zuvor erforderlichen Bestellung (telefonisch oder online) und gegebenenfalls zeitlicher Verzögerung verbunden waren, war diese Verzögerung jedenfalls aufgrund ihrer Geringfügigkeit nicht unzumutbar.
3224. Die streitgegenständliche Regelung verletzte auch nicht das Grundrecht potentieller Kunden der geschlossenen Verkaufsstellen des Einzelhandels auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG in dessen Ausprägung als allgemeine Handlungsfreiheit. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne. Geschützt ist damit nicht nur ein begrenzter Bereich der Persönlichkeitsentfaltung, sondern jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt.
323Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1989 - 1 BvR 921/85 -, juris, Rn. 62.
324Die Untersagung der Öffnung von Verkaufsstellen von nicht in § 11 Abs. 1 CoronaSchVO genannten Einzelhändlern griff in die allgemeine Handlungsfreiheit von Personen ein, die dort im streitgegenständlichen Zeitraum hätten einkaufen wollen.
325Dieser Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit war jedoch gerechtfertigt. Die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG ist unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Darunter sind alle Rechtsnormen zu verstehen, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen. In materieller Hinsicht bietet – vorbehaltlich besonderer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den allgemeinen verfassungsrechtlichen Maßstab, nach dem die Handlungsfreiheit eingeschränkt werden darf.
326Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u. a. -, juris, Rn. 119 f.
327Bei einer Abwägung mit dem durch die Maßnahme verfolgten Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter in einer Phase, in der die dynamische Entwicklung des Infektionsgeschehens Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen bedrohte, musste das Interesse von Kunden an der Möglichkeit, vor Ort bei den nicht privilegierten Einzelhändlern einzukaufen, vorübergehend zurücktreten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass potentiellen Kunden weiterhin die Möglichkeit zur Verfügung stand, Waren zu bestellen und abzuholen, vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 CoronaSchVO.
3285. Die an sich verhältnismäßige Regelung verstieß schließlich auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind.
329Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21. Juli 2022 - 1 BvR 469/20 u. a. -, juris, Rn. 155 f., und vom 19. November 2019 - 2 BvL 22/14 u. a. -, juris, Rn. 96 ff., m. w. N.
330Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Willkür des Gesetzgebers kann zwar nicht schon dann bejaht werden, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat. Es genügt aber Willkür im objektiven Sinn, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand. Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt. Die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen steigen bis hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere wenn und soweit sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann.
331Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. September 2022 - 13 D 38/20.NE -, juris Rn. 330 m. w. N.
332Dieser Maßstab gilt für die normsetzende Exekutive entsprechend, wenn auch der dem Verordnungsgeber zukommende Gestaltungsspielraum enger ist, weil er nur in dem von der gesetzlichen Ermächtigungsnorm abgesteckten Rahmen gegeben ist (Art. 80 Abs. 1 GG). Der Verordnungsgeber muss im wohlverstandenen Sinn der ihm erteilten Ermächtigung handeln und darf keine Differenzierungen vornehmen, wenn sie über die Grenzen einer formell und materiell verfassungsmäßigen Ermächtigung hinaus eine Korrektur der Entscheidungen des Gesetzgebers bedeuten würden.
333Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2024 ‑ 3 CN 3.22 ‑, juris, Rn. 46; OVG NRW, Urteil vom 22. September 2022 - 13 D 38/20.NE -, juris Rn. 332 m. w. N.
334Eine schwerwiegende Betroffenheit grundrechtlich geschützter Freiheiten liegt bei vielen Infektionsschutzmaßnahmen – auch bei dem hier streitgegenständlichen Öffnungsverbot – vor. Dennoch sprechen die besonderen Umstände bei der Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie dafür, den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers nicht zu sehr zu begrenzen. Der Verordnungsgeber befand sich in einer komplexen Entscheidungssituation, in der eine Vielzahl von Belangen infektionsschutzrechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art berührt waren und in der er zwangsläufig nur mit Prognosen dazu arbeiten konnte, welchen Einfluss Infektionsschutzmaßnahmen oder die Lockerung solcher Maßnahmen auf die genannten Bereiche haben werden.
335Vgl. zum ersten „Lockdown“ im März und April 2020: OVG NRW, Urteil vom 22. September 2022 - 13 D 38/20.NE -, juris, Rn. 348.
336Es ist höchstrichterlich geklärt, dass der Verordnungsgeber, auch wenn nicht die Grundversorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern in Rede steht, danach differenzieren darf, welchen Zwecken Angebote dienen und welche Notwendigkeit damit verbunden ist. In diesem Zusammenhang steht ihm auch eine Typisierungsbefugnis zu.
337Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2023 - 3 CN 6.22 -, juris, Rn. 84 (zu Differenzierung von Handel auf der einen und Freizeitgestaltung auf der anderen Seite); OVG NRW, Urteil vom 24. September 2024 - 13 D 236/20.NE -, juris, Rn. 235.
338Daraus folgt, dass der Verordnungsgeber grundsätzlich bestimmte Geschäfte des Einzelhandels privilegieren durfte.
339Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. September 2022 - 13 D 38/20.NE -, juris, Rn. 342; Thür. OVG, Beschluss vom 26. März 2021 - 3 EN 180/21 - juris, Rn. 135; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2. Juni 2022 - 1 S 1067/20 - juris, Rn. 244; OVG M.-V., Beschluss vom 24. März 2021 - 2 KM 120/21 - juris, Rn. 62; OVG Bremen, Beschluss vom 23. März 2021 - 1 B 103/21 - juris, Rn. 34 f.; Kießling, Infektionsschutzgesetz, 3. Aufl. 2022, § 28a IfSG, Rn. 183.
340Unter Beachtung dieser Maßstäbe ist die vorliegende Ungleichbehandlung von Einzelhandelsgeschäften in Abhängigkeit von der angebotenen Warenstruktur gerechtfertigt.
341Dabei ist im Rahmen der Rechtfertigung zu berücksichtigen, dass die vom Verordnungsgeber getroffene Regelung wiederholt (Einzelhandelsbetriebe blieben auch schon während der ersten Welle im Frühjahr 2020 teilweise geschlossen) und nicht nur ganz kurzfristig (nicht privilegierte Verkaufsstellen waren seit dem 16. Dezember 2020 geschlossen) in die Rechte von Einzelhandelsbetrieben eingriff.
342In einer Situation, in der weite Teile des Einzelhandels gänzlich geschlossen waren und nur bestimmte Einzelhändler zwecks elementarer Grundversorgung überhaupt öffnen durften, ist eine Differenzierung, die sich nicht auf infektiologische Gründe stützt, sondern vielmehr Einzelhändler privilegiert, die Produkte anbieten, die der Verordnungsgeber einem Grundbedarf zuordnet, nur gerechtfertigt, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen muss die Einstufung bestimmter Waren als Grundbedarf vertretbar sein. Zum anderen muss dieser Grundbedarf gerade die konkret vorgenommene Differenzierung rechtfertigen.
343Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. September 2022 - 13 D 38/20.NE -, juris, Rn. 357.
344Unter Berücksichtigung dessen war die vom Verordnungsgeber vorgenommene Differenzierung nicht zu beanstanden. Ausweislich der amtlichen Begründung zur Coronaschutzverordnung vom 16. Dezember 2020,
345abrufbar unter
346https://www.mags.nrw/system/files/media/document/file/201217_begruendung_coronaschvo_ab_16.12.2020.pdf,
347bezweckte der Verordnungsgeber mit der Privilegierung bestimmter Warenangebote, die Versorgung der Bevölkerung mit den erforderlichen Gütern des täglichen Lebens sicherzustellen. Im Zuge der hier streitgegenständlichen Verordnung, welche diese Differenzierung fortsetzte, stützte er sich zudem auf die Erwägung, dass ein großer Teil der Kontakte im öffentlichen Leben aus der Inanspruchnahme von Einkaufsmöglichkeiten einschließlich der Anfahrtswege, begleitender Aufenthalte in Stadtzentren etc. resultiere. Die Beschränkung der Öffnung von Einzelhandelsgeschäften auf Lebensmittel und andere notwendige Güter des täglichen Bedarfs sei ein unverzichtbarer Beitrag zu einer strikten Kontaktreduzierung durch einen weitgehenden Stillstand des öffentlichen Lebens.
348Vgl. Begründung zur Coronaschutzverordnung vom 7. Januar 2021, S. 11, abrufbar unter
349https://www.mags.nrw/system/files/media/document/file/210108_begruendung_coronaschvo.pdf.
350In der mündlichen Verhandlung erläuterte der Antragsgegner vertiefend, dass er für die Frage einer ausnahmsweise zulässigen Öffnung jede Einzelhandelssparte einzeln bewertet habe im Hinblick auf verschiedene Kriterien: Grundbedarf, Verderblichkeit der angebotenen Waren, ersatzweise Verfügbarkeit außerhalb des stationären Einzelhandels (insbesondere durch Online-Handel).
351Damit hat der Verordnungsgeber seine Entscheidung an sachlichen Erwägungen ausgerichtet, die von der Ermächtigungsgrundlage des § 32 Satz 1 und 2 i. V. m. den §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14, Abs. 3, Abs. 6 IfSG gedeckt sind. Nach § 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG hat der Verordnungsgeber in seine Entscheidung neben infektionsschutzrechtlichen Tatbeständen, Umständen und Gesichtspunkten auch soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen. Gemäß § 28a Abs. 6 Satz 3 IfSG darf er darüber hinaus einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, von den Schutzmaßnahmen ausnehmen, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nicht zwingend erforderlich ist.
352Die in § 11 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 und 8 CoronaSchVO benannten Verkaufsstellen des Einzelhandels (Einrichtungen des Einzelhandels für Lebensmittel, Direktvermarktungen von Lebensmitteln, Abhol- und Lieferdienste sowie Getränkemärkte, Wochenmärkte für Verkaufsstände mit dem Schwerpunkt Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs, Apotheken, Reformhäuser, Sanitätshäuser, Babyfachmärkte und Drogerien, Tankstellen, Banken und Sparkassen sowie Poststellen, Kioske und Zeitungsverkaufsstellen, Futtermittelmärkte und Tierbedarfsmärkte, Einrichtungen des Großhandels für Großhandelskunden und, beschränkt auf den Verkauf von Lebensmitteln, auch für Endkunden sowie die Abgabe von Lebensmitteln durch soziale Einrichtungen) bedienen einen elementaren Grundbedarf, der es rechtfertigte, diese uneingeschränkt zu öffnen, um die Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
353Die Zulässigkeit des Betriebs von Kiosken und Zeitungsverkaufsstellen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 CoronaSchVO) bewegt sich, anders als die Antragstellerinnen meinen, innerhalb des Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers. Kioske verkaufen nicht nur Produkte zur Informationsgewinnung, wie beispielsweise Zeitungen und Zeitschriften, sondern leisten auch einen Beitrag zur Notversorgung im Lebensmittelbereich. Dass Zeitungen im Gegensatz zu Büchern privilegiert wurden, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zeitungen erscheinen in der Regel täglich oder zumindest wöchentlich und versorgen die Bevölkerung mit aktuellen Informationen. Ihre Verfügbarkeit wird jedenfalls bei Tageszeitungen täglich erwartet. Dem steht nicht entgegen, dass Presseartikel häufig auch in elektronischer Form konsumiert werden. Der gedruckten Zeitung kam weiterhin eine große Bedeutung zu. Rund 33 Millionen Deutsche ab 14 Jahren lasen 2020 regelmäßig eine gedruckte Zeitung.
354Vgl. Keller/Eggert, Zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Zeitungen, Branchenbeitrag vom 22. Juli 2021, abrufbar unter
355https://www.bdzv.de/alle-themen/marktdaten/zur-wirtschaftlichen-lage-der-deutschen-zeitungen-2021.
356Im 2. Quartal 2020 und 2021 wurden jeweils über 12 Millionen Tageszeitungen verkauft.
357Vgl. Statistik zur Entwicklung der verkauften Auflage der Tageszeitungen in Deutschland im jeweils 2. Quartal ausgewählter Jahre von 1991 bis 2024, abrufbar unter
358https://de.statista.com/statistik/daten/studie/72084/umfrage/verkaufte-auflage-von-tageszeitungen-in-deutschland/.
359Im Übrigen profitierten auch Buchhändler wie die Antragstellerinnen von der Privilegierung von Zeitungsverkaufsstellen, wenn sie Filialen jedenfalls partiell öffneten, um Presseerzeugnisse zu verkaufen.
360Auch die in § 11 Abs. 1 Nr. 7 CoronaSchVO geregelte Privilegierung von Einzelhandelsgeschäften, die kurzfristig verderbliche Schnitt- und Topfblumen verkaufen, soweit sie den Verkauf hierauf einschließlich unmittelbaren Zubehörs (Übertöpfe und so weiter) beschränken, war nicht zu beanstanden. Deren Verkaufsprodukte werden zwar grundsätzlich nicht unbedingt täglich benötigt und stellen auch keinen lebensnotwendigen Grundbedarf dar. Insofern wies der Vertreter des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung jedoch in nicht zu beanstandender Weise darauf hin, dass aufgrund der umfangreichen Beschränkungen des sozialen Lebens auch die psycho-sozialen Folgen bei der Bewertung des Grundbedarfs mit in Betracht gezogen worden seien. So habe zu Beginn des Jahres 2021 ein größeres Bedürfnis nach Blumen bestanden, das zum einen aufgrund des umfassenden Aufenthalts im häuslichen Umfeld sowie der saisonalen Besonderheiten entstanden sei. Zudem würde mit Blick auf die begrenzte Haltbarkeit (sowohl im Geschäft als auch in der Produktion) ein Verkaufsverbot von Schnitt- und Topfblumen zu einer ungenutzten Vernichtung der Produkte führen.
361Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Februar 2021 - 13 B 89/21.NE -, juris, Rn. 65 unter Bezugnahme auf die Begründung zur Coronaschutzverordnung vom 7. Januar 2021, S. 12, abrufbar unter
362https://www.mags.nrw/system/files/media/document/file/210108_begruendung_coronaschvo.pdf.
363Soweit die Antragstellerinnen einwenden, damit würde nicht nur der Abverkauf der vorhandenen Schnitt- und Topfblumen, sondern auch der beständige Neuerwerb von geernteten Blumen ermöglicht, führt dies aufgrund der Verderblichkeit auch in der Produktion nicht zu einer Unzulässigkeit der Privilegierung. Wegen der Produktionsdauer dürften die Blumen, die während der Geltungsdauer der Verordnung als Schnitt- oder Topfblumen zum Verkauf standen, bereits vor Inkrafttreten der Verordnung ausgesät bzw. ausgepflanzt worden sein. Ein Verkaufsverbot hätte unweigerlich zu einer Vernichtung dieser (nahezu) erntereifen Pflanzen geführt.
364Auch der mit der Änderungsverordnung vom 19. Februar 2021 zugelassene Verkauf von Saatgut unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Zwar deckt dieses, wie die Antragstellerinnen zutreffend ausführen, nicht unmittelbar und kurzfristig den Bedarf der Bevölkerung an Lebensmitteln. Gleichwohl kann es jahreszeitbedingt nur im Frühjahr erworben und in Gemüsegärten ausgebracht werden, sodass ihm im Sommer/Herbst eine Bedeutung bei der nachhaltigen Lebensmittelversorgung zukommen kann.
365Vgl. konsolidierte Begründung zur Coronaschutzverordnung vom 7. Januar 2021, abrufbar unter
366https://www.mags.nrw/system/files/media/document/file/210226_konsolidierte_begruendung_coronaschvo_stand_19.2.2021.pdf.
367Mit ihrem Einwand, die nur saisonale Absetzbarkeit von Produkten betreffe beispielsweise auch die Bekleidungsbranche, die ihre Mode teilweise nur während weniger Wochen verkaufen könne, weil das Sortiment sich danach wieder ändere, verkennen die Antragstellerinnen, dass der fehlende Absatz der Kleidungsstücke nicht faktisch zu deren Verderb führt. Die Produkte können gleichwohl, gegebenenfalls marktüblich zu geringeren Preisen, weiterhin verkauft werden. Gleiches gilt für die von Buchhandlungen aufgrund saisonaler Nachfrage nur zu dieser Zeit verkauften Produkte wie Weihnachtsgeschenke, -bücher und Kalender.
368Unter Berücksichtigung der aufgezeigten gleichheitsrechtlichen Maßstäbe hat der Verordnungsgeber seinen Gestaltungsspielraum schließlich auch nicht dadurch in willkürlicher oder unverhältnismäßiger Weise überschritten, dass er Buchhandlungen anders als in vorangehenden Regelungen nicht in den Katalog des § 11 Abs. 1 CoronaSchVO aufgenommen hat.
369Der Verordnungsgeber entschied sich – anders als im Zuge des ersten „Lockdowns“ und der danach folgenden Öffnungen im Frühjahr 2020, als auch Buchläden privilegiert wurden und bereits vor anderen Einzelhändlern (unabhängig von ihrer Verkaufsfläche) öffnen durften,
370vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 22. September 2022 - 13 D 38/20.NE -, juris, Rn. 377 ff.,
371dagegen, auch seinerzeit als erweiterten Grundbedarf angesehene Geschäfte nunmehr zu privilegieren. Dies zeigt sich auch daran, dass beispielsweise anders als im Frühjahr 2020 der Betrieb von Bau- und Gartenbaumärkten nach § 11 Abs. 1 Satz 3 CoronaSchVO nur zur Versorgung von Gewerbetreibenden mit Gewerbeschein, Handwerkern mit Handwerkerausweis sowie Land- und Forstwirten mit den jeweils betriebsnotwendigen Waren zulässig war. Auch im Zuge der Änderung durch die 16. Verordnung zur Änderung von Rechtsverordnungen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 19. Februar 2021 wurde der Betrieb nur insoweit erweitert, als der Zutritt auch anderen Personen für den Verkauf von Waren gemäß Satz 1 Nummer 7 gestattet werden durfte.
372Dies ist vor dem Hintergrund der weiterhin angespannten Infektionslage sowie der vorhandenen Kapazitäten zur intensivmedizinischen Versorgung während der Geltungsdauer der Verordnung rechtlich nicht zu beanstanden. Buchhandlungen haben regelmäßig weder eine besondere Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern der täglichen Lebensführung noch für die speziell im Geltungszeitraum der Verordnung saisonal kurzfristig zu deckenden Bedarfe der Allgemeinheit. Anders als Zeitungen erscheinen Bücher nicht täglich oder wöchentlich und können auch nach Vorbestellung abgeholt werden. Soweit sich die Privilegierung für Presseartikel auch auf die von den Antragstellerinnen benannten „special interest - Zeitschriften“, die teilweise nur monatlich erscheinen, bezieht, ist dies von der Typisierungsbefugnis des Verordnungsgebers gedeckt.
373Soweit die Antragstellerinnen vortragen, Bücher seien ähnlich wie Zeitschriften „kurzlebig“ mit einem „sich ständig aktualisierenden Sortiment“, ist dies nicht nachvollziehbar. Zwar erscheinen beständig neue Bücher, gleichwohl büßen sie in der Regel durch (verhältnismäßig geringen) Zeitablauf nichts an ihrer Attraktivität für die Leserschaft ein, da die meisten Bücher nicht tagesaktuell oder jedenfalls in sehr nahem zeitlichen Zusammenhang über aktuelle Themen berichten, sodass das Interesse der Leserschaft an ihnen schon nach wenigen Tagen wieder entfallen wäre. Unterstellt, dass Bücher nur einmal gelesen werden, führt dies ebenfalls nicht dazu, dass sie – wie Blumen – aufgrund ihrer Verderblichkeit o. Ä. zu vernichten wären, sofern sie nicht verkauft werden. Gleiches würde im Übrigen für die Bekleidungsbranche gelten, die ebenfalls ihre Verkaufsstellen nicht öffnen durfte und somit erhebliche Verluste im Geschäft mit Winterkleidung hinnehmen musste.
374Vgl. zu Betriebsschließungen im Textileinzelhandel VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18. Februar 2021 ‑ 1 S 398/21 -, juris, Rn. 106 ff.
375Es mag zutreffen, dass der Bedarf der Bevölkerung auch nach Gütern des längerfristigen Bedarfs ansteigt, je länger die Notlage andauert. Dass dieser Zeitpunkt jedoch bereits während der Geltungsdauer der streitgegenständlichen Verordnung erreicht war und den Verordnungsgeber zur Aufhebung der Betriebsschließungen hätte veranlassen müssen, ist nicht ersichtlich.
376Soweit die Privilegierung von Buchhandlungen im Frühjahr 2020 damit begründet wurde, dass es sich bei einem Teil des Sortiments um Werke handele, die für Schule, Studium, Ausbildung und Beruf zu einem bestimmten Zeitpunkt benötigt würden und für Bücher, die der Unterhaltung oder privaten Weiterbildung dienten, wegen der geltenden Kontaktbeschränkungen und der Untersagung einer Vielzahl von Freizeitaktivitäten ein höheres als das ansonsten übliche Bedürfnis bestanden haben dürfte,
377vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 22. September 2022 - 13 D 38/20.NE -, juris, Rn. 379,
378vermag dies im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu überzeugen. Anders als im Frühjahr 2020 war nunmehr während der gesamten Dauer die Nutzung von „Click & Collect“-Angeboten (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 CoronaSchVO) möglich, die eine Abholung von online oder auch telefonisch bestellten Büchern ermöglichte.
379Dass im Zuge der Öffnung des Einzelhandels aufgrund der nachfolgenden Verordnung vom 5. März 2021 erneut eine Privilegierung des Buchhandels im Hinblick auf die Kundenanzahl je Verkaufsfläche erfolgte, ist nicht entscheidungserheblich. Die Vereinbarkeit der streitgegenständlichen Regelungen mit dem Gleichheitsgrundsatz ist nicht davon abhängig, wie der Verordnungsgeber die infektionsschutzrechtlichen Regelungen im weiteren Verlauf ausgestaltet.
380Vgl. dazu, dass bei der Bestimmung des Gewichts des Grundrechtseingriffs zeitlich vorausgehende, aber nicht nachfolgende Maßnahmen zu berücksichtigen sind: BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 -, juris, Rn. 79.
381C. Auch dem Hilfsantrag bleibt der Erfolg versagt. Vor dem Hintergrund, dass sich gegenüber dem Hauptantrag keine anderweitigen Rechtsfragen stellen, insbesondere die Situation des Buchhandels im Besonderen bereits einbezogen wurde, wird vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.
382Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
383Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
384Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.