Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Verwaltungsrechtsschutz ist grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz. Vorbeugender (vorläufiger) Rechtsschutz, der zur Sicherung des eigenen Bewerbungsverfahrensanspruchs darauf gerichtet ist, in einem Auswahlverfahren für die Vergabe von Rettungsdienstleistungen die Zuschlagserteilung an den ausgewählten Mitbewerber einstweilen zu verhindern, setzt voraus, dass dem Betroffenen bei dem Verweis auf nachträglichen Rechtsschutz unzumutbare Nachteile etwa in Form einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung oder der Schaffung irreversibler Zustände drohen.
Die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an einen Mitbewerber berührt grundsätzlich nicht den Schutzbereich der Berufsfreiheit des erfolglosen Bewerbers aus Art. 12 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG). Diese schützt einen Gewerbetreibenden weder davor, dass ihm durch staatliche Maßnahmen Konkurrenz erwächst, noch bietet sie Schutz gegen eine bloß faktische Benachteiligung durch Vereitelung künftiger Erwerbschancen. Als Eingriff in ein subjektives Recht kommt nur die Beeinträchtigung des sog. Bewerbungsverfahrensanspruchs, also des Rechts aus Art. 3 Abs. 1 GG auf eine verfahrenskonforme Auswahlentscheidung, in Betracht.
Dem hier allein geschützten Bewerbungsverfahrensanspruch wird ausreichend Rechnung getragen, wenn für die ausschreibende Stelle im öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem ausgewählten Bewerber eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund für den Fall eingeräumt ist, dass gesetzliche, gerichtliche oder aufsichtsbehördliche Maßnahmen dem Vertrag die rechtliche oder tatsächliche Grundlage ganz oder teilweise entziehen. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB, wonach ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden kann, ist im rettungsrechtlichen Auswahlverfahren nicht anwendbar, wenn die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB greift. Anstelle des Vergaberechts finden § 13 RettG NRW und prozessual die Verwaltungsgerichtsordnung und die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsprozessrechts Anwendung. Eine § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB entsprechende Regelung kennt der Verwaltungsprozess nicht.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 5. Februar 2025 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 15.000 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
2Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde weiterverfolgten Antrag der Antragstellerin,
3dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, im Vergabeverfahren „Auswahlverfahren Rettungsdienstleistungen ab 2025 Verfahrens-Nr.: N01“ in den Losen 5 und 8 den Zuschlag an einen Dritten zu erteilen,
4als unzulässig abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragstellerin fehle für ihren auf vorbeugenden (vorläufigen) Rechtsschutz gerichteten Antrag das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis. Ein solches liege vor, wenn der Betroffene nicht in zumutbarer Weise auf den als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden könne. Unzumutbare Nachteile der Inanspruchnahme nachträglichen Rechtsschutzes könnten etwa bei drohender wirtschaftlicher Existenzgefährdung oder Schaffung irreversibler Zustände vorliegen. Beides lasse sich hier für den Fall, dass die Antragstellerin auf nachträglichen Rechtsschutz nach Zuschlagserteilung und – dem daraus folgenden – Abschluss der öffentlich-rechtlichen Verträge mit den Beigeladenen verwiesen werde, nicht feststellen. Die Antragstellerin mache eine drohende Existenzgefährdung bereits nicht geltend und eine solche sei auch sonst nicht ersichtlich. Zudem würden durch die mit der Erteilung der Zuschläge einhergehenden Abschlüsse öffentlich-rechtlicher Verträge keine vollendeten Tatsachen geschaffen, die nicht im Wege des nachträglichen Rechtsschutzes abgewendet werden könnten. Die Regelung in § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB, wonach in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren ein wirksam erteilter Zuschlag nicht mehr aufgehoben werden könne, gelte vorliegend nicht. Da der Antragsgegner von der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB Gebrauch gemacht habe, sei anstelle des Vergaberechts § 13 RettG NRW anzuwenden. Ferner könne die Auftragsvergabe an die Beigeladenen im Falle einer für die Antragstellerin positiven Hauptsacheentscheidung rückgängig gemacht werden. Denn jedenfalls sehe der Vertragsentwurf für die geplanten Neuvergaben in Nr. 19.3 eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit vor, die nach der Auffassung des Antragsgegners die in Rede stehende Situation der nachträglichen Überprüfung der Auswahlentscheidung zugunsten der Antragstellerin erfassen würde. Schließlich verschlechtere sich durch einen (vorläufigen) Vollzug des Vertrags mit den Beigeladenen deren Stellung nicht derart, dass die Chancen der Antragstellerin bei einer gegebenenfalls erneut zu treffenden Auswahlentscheidung verschlechtert wären.
5Die dagegen von der Beschwerde erhobenen Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.
61. Ausgehend von dem Begehren der Antragstellerin, die Erteilung des Zuschlags an die ausgewählten Beigeladenen vorläufig zu unterbinden, damit das von ihr abgegebene Angebot weiterhin eine Chance habe, den Zuschlag zu erhalten, hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines solchen vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes vorliegend nicht erfüllt sind.
7Verwaltungsrechtsschutz ist grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz. Das folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der der Gerichtsbarkeit nur die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit aufträgt, ihr aber grundsätzlich nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Bereich der Verwaltung einzugreifen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt darum ein System nachgängigen – ggf. einstweiligen – Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) grundsätzlich ausreicht. Vorbeugende Rechtsschutzgesuche sind daher nur zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, wenn mit anderen Worten der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz – einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes – mit für den Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre.
8St. Rspr., vgl. nur BVerwG, Urteile vom 22. Oktober 2014 - 6 C 7.13 -, NVwZ 2015, 906 = juris, Rn. 17, und vom 25. September 2008 - 3 C 35.07 -, BVerwGE 132, 64 = juris, Rn. 26, jeweils m. w. N.
9Ausgehend davon hat der Senat entschieden, dass vorbeugender (Eil-)Rechtsschutz auch bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen grundsätzlich in Betracht kommt, wenn ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis hierfür vorliegt, weil der Betroffene nicht zumutbarerweise auf den als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Der Senat hat erwogen, dass Letzteres insbesondere dann anzunehmen sein dürfte, wenn der Leistungszeitraum für die zu vergebenden Rettungsdienstleistungen an ein fixes Anfangs- und Enddatum geknüpft ist und nachträglicher Rechtsschutz deshalb – zeitlich bedingt – ganz oder teilweise zu spät käme.
10Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Januar 2017 ‑ 13 B 1163/16 -, juris, Rn. 8; siehe auch bereits OVG NRW, Beschluss vom 17. März 2004 - 13 B 2691/03 -, GewArch 2004, 297 = juris, Rn. 10 f., m. w. N.
11Vorliegend hat der Antragsgegner den Leistungszeitraum in der Ausschreibung ab dem 1. Juli 2025 für die Dauer von drei Jahren mit zweimaliger Verlängerungsoption von jeweils einem Jahr festgelegt. Angesichts dieses fixen Anfangsdatums würde nachträglicher Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nach erfolgter Zuschlagserteilung und Vertragsschluss mit dem jeweils ausgewählten Konkurrenten – gegebenenfalls über mehrere Instanzen – jedenfalls in Bezug auf die Zeit der dann möglicherweise bereits erfolgten Durchführung des Vertrags teilweise zu spät kommen, um insoweit rückwirkend eine Überprüfung der Auswahlentscheidung erreichen und ggf. selbst den Zuschlag erhalten zu können.
12Auch bei dieser Sachlage setzt der hier begehrte vorbeugende (vorläufige) Rechtsschutz, der zur Sicherung des eigenen Bewerbungsverfahrensanspruchs darauf gerichtet ist, die Zuschlagserteilung an die Beigeladenen einstweilen zu verhindern, indes voraus, dass dem Betroffenen bei dem Verweis auf nachträglichen Rechtsschutz unzumutbare Nachteile etwa in Form einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung oder der Schaffung irreversibler Zustände drohen.
13Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 19. Juli 2024 - 13 B 106/24 -, juris, Rn. 109, und vom 16. Dezember 2022 - 13 B 839/22 -, NWVBl. 2023, 250 = juris, Rn. 167 f., m. w. N.
14In Anwendung dieser Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass der Antragstellerin ein solches spezifisches qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis gerade für den von ihr begehrten vorbeugenden (vorläufigen) Rechtsschutz fehlt, weil sich nicht feststellen lässt, dass der Antragstellerin entsprechende unzumutbare Nachteile drohen, wenn sie auf nachträglichen Rechtsschutz nach Zuschlagserteilung und dem daraus folgenden Abschluss der öffentlich-rechtlichen Verträge mit den Beigeladenen verwiesen wird. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Subsumtion des Verwaltungsgerichts dazu überwiegend (Beschlussabdruck, S. 4, dritter Absatz, bis S. 5, zweiter Absatz; S. 6, siebter Absatz, bis S. 7 unten) Bezug.
152. Die Einwände der Beschwerde stellen die Annahme, der Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz zur vorläufigen Unterbindung der Zuschlagserteilung sei unzulässig, nicht durchgreifend in Frage.
16a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verlangt vorliegend keine abgesenkten Anforderungen an das qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis.
17Vgl. bereits den Normbereich des Art. 19 Abs. 4 GG für den Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge als nicht einschlägig ansehend, weil öffentliche Aufträge nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt vergeben werden: BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2007 - 6 B 10.07 -, BVerwGE 129, 9 = juris, Rn. 16.
18In Eilverfahren dürfen sich die Fachgerichte dem Bedürfnis nach wirksamer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht dadurch entziehen, dass sie überspannte Anforderungen an die Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes stellen. Das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes gebietet, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich die Maßnahme bei endgültiger rechtlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Daher ist einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn anders dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen.
19Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. August 2002 ‑ 1 BvR 1790/00 -, DVBl 2003, 303 = juris, Rn. 13, m. w. N.
20Der Antragstellerin droht keine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in ihren Grundrechten, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann.
21Der Justizgewährungsanspruch ermöglicht und verlangt in Lagen, in denen – wie hier – unterschiedliche Interessen Mehrerer betroffen sind, keine schlichte Maximierung der Rechtsschutzmöglichkeiten des einzelnen Rechtsuchenden. Er zielt vielmehr auf eine sachgerechte Gewichtung und Zuordnung der betroffenen rechtlich geschützten Belange.
22Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 -, BVerfGE 116, 135 = juris, Rn. 68 und 75 ff.
23Art. 12 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) scheidet in der vorliegenden Konstellation als Grundlage eines subjektiven Rechts der Antragstellerin aus. Die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an einen Mitbewerber berührt grundsätzlich nicht den Schutzbereich der Berufsfreiheit des erfolglosen Bewerbers. Diese schützt einen Gewerbetreibenden weder davor, dass ihm durch staatliche Maßnahmen Konkurrenz erwächst, noch bietet sie Schutz gegen eine bloß faktische Benachteiligung durch Vereitelung künftiger Erwerbschancen.
24Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. Februar 2008 ‑ 1 BvR 437/08 -, VergabeR 2008, 816 = juris, Rn. 2, und vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 -, BVerfGE 116, 135 = juris, Rn. 59 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2022 - 13 B 839/22 -, NWVBl. 2023, 250 = juris, Rn. 139.
25Das hier auf Grundlage von § 13 RettG NRW durchgeführte Auswahlverfahren dient ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einem in effektiver und wirtschaftlicher Weise organisierten, funktionierenden Rettungsdienst zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung.
26Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2024 - 13 B 106/24 -, juris, Rn. 37.
27Als Eingriff in ein subjektives Recht kommt damit nur die Beeinträchtigung des sog. Bewerbungsverfahrensanspruchs, also des Rechts aus Art. 3 Abs. 1 GG auf eine verfahrenskonforme Auswahlentscheidung, in Betracht.
28Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 -, BVerfGE 116, 135 = juris, Rn. 64 f.; BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2007 - 6 B 10.07 -, BVerwGE 129, 9 = juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2024 - 13 B 106/24 -, juris, Rn. 52.
29Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist vorliegend kein vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz geboten, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Die Antragstellerin meint, durch die Zuschlagserteilung würden irreversible Zustände geschaffen, indem jegliche von ihr erarbeiteten Rechtspositionen unwiederbringlich und endgültig verloren gingen, ohne dass sie die monierten Verletzungen ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs und des EU-Primärvergaberechts einer effektiven Rechtsschutzinstanz zuführen könnte. Die dieser Annahme zugrunde gelegte Prämisse, ein erteilter Zuschlag sei auch im Auswahlverfahren für die Erbringung von Rettungsdienstleistungen endgültig, trifft jedoch nicht zu. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt (Beschlussabdruck, S. 4, letzter Absatz, bis S. 5, vierter Absatz), dass wegen der hier einschlägigen Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB die Regelungen des 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 97 bis 184 GWB: Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen) nicht anzuwenden sind.
30Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2024 - 13 B 106/24 -, juris, Rn. 32; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. März 2023 - Verg 28/22 -, juris, Rn. 27; Antweiler, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 107 GWB Rn. 9; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 30. März 2020 - 1 BvR 843/18 -, NZBau 2020, 607 = juris, Rn. 18: „Es sind die Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet, die das Vergaberechtsregime […] eröffnet, wenn die Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB nicht greift.“ (Anm.: Hervorhebung nur hier).
31Deshalb ist insbesondere auch der von der Antragstellerin angeführte § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB, wonach ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden kann, im rettungsrechtlichen Auswahlverfahren nicht anwendbar. Anstelle des Vergaberechts finden § 13 RettG NRW und prozessual die Verwaltungsgerichtsordnung und die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsprozessrechts Anwendung. Eine § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB entsprechende Regelung kennt der Verwaltungsprozess nicht. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass es in diesem hier maßgeblichen Rahmen einen (gewohnheitsrechtlichen) Grundsatz gibt, wonach ein wirksam erteilter Zuschlag im rettungsrechtlichen Auswahlverfahren nicht aufgehoben werden kann.
32Vgl. zur anderen Ausgangslage für das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren: BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004 ‑ 2 BvR 2248/03 -, BVerfGK 3, 355 = juris, Rn. 24 f.
33Vor diesem Hintergrund macht es für die an die Zulässigkeit vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes anzulegenden Maßstäbe letztlich keinen Unterschied, dass in dem dem Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2022 - 13 B 839/22 - zugrunde liegenden Verfahren bereits der Zuschlag an den ausgewählten Mitbewerber erteilt und mit ihm ein öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen worden war. Dort hatte der Senat die Zulässigkeit vorbeugenden Eilrechtsschutzes unter den genannten Maßstäben (vorsorglich) in Bezug auf die (vorläufige) Durchführung des Vertrags mit der ausgewählten Bewerberin geprüft, falls der bereits geschlossene Vertrag über die vergebenen Rettungsdienstleistungen nichtig sein sollte (vgl. juris, Rn. 135 und 166), mithin – so wie hier – noch kein Vertrag geschlossen worden wäre.
34Daran ändert nichts, dass nach der Senatsrechtsprechung ein nach Zuschlagserteilung abgeschlossener öffentlich-rechtlicher Vertrag über die Erbringung von Rettungsdienstleistungen nicht wegen fehlender Zustimmung eines unterlegenen Bewerbers nach § 58 Abs. 1 VwVfG NRW unwirksam sein kann.
35Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2022 - 13 B 839/22 -, NWVBl. 2023, 250 = juris, Rn. 137 ff.
36Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat (Beschlussabdruck, S. 7, erster Absatz), wird unabhängig davon in dem Vertragsentwurf für die geplanten Neuvergaben für den Antragsgegner eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund für den Fall eingeräumt, dass gesetzliche, gerichtliche oder aufsichtsbehördliche Maßnahmen dem Vertrag die rechtliche oder tatsächliche Grundlage ganz oder teilweise entziehen. Damit wird dem hier allein geschützten Bewerbungsverfahrensanspruch ausreichend Rechnung getragen; er ist nicht unwiederbringlich verloren.
37Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 19. Juli 2024 - 13 B 106/24 -, juris, Rn. 111, und vom 16. Dezember 2022 - 13 B 839/22 -, NWVBl. 2023, 250 = juris, Rn. 165; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 15. August 2002 - 1 BvR 1790/00 -, DVBl 2003, 21 = juris, Rn. 19.
38Aus der von der Beschwerde angeführten Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Vergabe einer Konzession für den Bau und Betrieb einer Kindertagesstätte,
39vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 29. Oktober 2018 ‑ 10 ME 363/18 -, NVwZ 2019, 656 = juris, Rn. 15 f.,
40ergibt sich nichts anderes. Sie ist für den vorliegenden Fall schon deshalb unergiebig, weil dort keine Bereichsausnahme, die die Anwendbarkeit des Vergaberechts ausschließt, einschlägig war. Ungeachtet dessen hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht sich ausgehend von der dort angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung zur Frage des qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses nicht verhalten, sondern lediglich festgehalten, dass die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes noch möglich ist (juris, Rn. 15); die Frage einer außerordentlichen Kündigungsmöglichkeit wurde dabei nicht thematisiert. Ebenso wenig hat sich der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem von der Beschwerde angeführten Urteil zur gemeindlichen Vergabe über die Durchführung von Wochenmärkten,
41vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. Mai 2024 - 4 A 2508/22 -, NWVBl. 2025, 77 = juris, Rn. 133 ff.,
42zu dem hier in Rede stehenden vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz verhalten, sondern „unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls“ im dortigen Hauptsacheverfahren eine vorherige Überprüfung der Auswahlentscheidung für geboten erachtet (juris, Rn. 136): „Die Verweisung auf nachgelagerten Rechtsschutz nach Erteilung eines Zuschlags ohne eine vorherige sachliche Überprüfung der durch die Beklagte vorgenommenen Auswahlentscheidung im Hauptsacheverfahren würde dem Anspruch der Klägerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht ausreichend Rechnung tragen.“ (Anm.: Hervorhebung nur hier)
43b) Die Beschwerde legt auch nicht dar, dass aus Unionsrecht etwas anderes folgte. Unabhängig davon, ob vorliegend überhaupt das für die Anwendbarkeit des Unionsrechts erforderliche eindeutige grenzüberschreitende Interesse und damit Binnenmarktrelevanz vorliegt,
44vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2024 ‑ 13 B 106/24 -, juris, Rn. 40 ff., m. w. N.,
45ergibt sich aus der von der Beschwerde angeführten Rechtsprechung und Literatur nicht, dass der unionsrechtliche Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes abgesenkte Anforderungen an die Zulässigkeit vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren oder jedenfalls für rettungsdienstrechtliche Auswahlverfahren im Besonderen verlangte.
46c) Die Antragstellerin macht geltend, ihr alleiniges Interesse liege darin, den Zuschlag in dem laufenden Auswahlverfahren über den ausgeschriebenen Beschaffungsgegenstand zu erhalten, nicht an einem neuen Auswahlverfahren in ungewisser Zukunft teilnehmen zu können. Soweit sie deshalb meint, eine nachgelagerte Entscheidung im Hauptsacheverfahren würde hinter ihrem Rechtsschutzbedürfnis zurückbleiben, weil das Vergabeverfahren nicht wieder „aufleben“ könne, lässt sie zum einen unberücksichtigt, dass ihr auch nachgelagerter einstweiliger Rechtsschutz zur Überprüfung der getroffenen Auswahlentscheidung grundsätzlich offen steht, sofern sie neben einem Anordnungsanspruch einen Anordnungsgrund glaubhaft macht.
47Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2022 - 13 B 839/22 -, NWVBl. 2023, 250 = juris, Rn. 175.
48Die Grundlage der mit den Beigeladenen geschlossenen Verträge entfiele bereits dann, wenn dem Antragsgegner durch einstweilige Anordnung unter Vorwegnahme der Hauptsache aufgegeben würde, eine erneute Auswahlentscheidung zu treffen. Dies ist hier indes nicht beantragt. Zum anderen kann auch Rechtsschutz in der Hauptsache, wenn dies geboten ist, zügig gewährt werden. Dementsprechend hatte das Verwaltungsgericht eine Terminierung der Hauptsache für Ende Mai/Anfang Juni 2025, also sogar noch vor Beginn des ausgeschriebenen Leistungszeitraums am 1. Juli 2025, in Aussicht gestellt.
49Im Übrigen ist das Interesse der Antragstellerin, den Zuschlag gerade im laufenden Auswahlverfahren zu erhalten, für sich genommen nicht schutzwürdig. Die allein zu ermöglichende gerichtliche Überprüfung der Auswahlentscheidung ist nach dem Vorstehenden auch dann noch möglich, wenn der Zuschlag bereits erteilt wurde. Die durch ihre Nichtberücksichtigung in der Zeit der Durchführung des Vertrags mit einem Mitbewerber berührten wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin sind im vorliegenden Zusammenhang – wie ausgeführt – nicht schutzwürdig. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten.
50Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 -, BVerfGE 116, 135 = juris, Rn. 60 f.
51Erhebliche, im Übrigen von der Antragstellerin nicht substantiierte wirtschaftliche Nachteile allein begründen deshalb kein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für den begehrten vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz. Dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte,
52vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 ‑ 1 BvR 1160/03 -, BVerfGE 116, 135 = juris, Rn. 63,
53weil die Antragstellerin infolge entgangener Einnahmen aus dem begehrten Auftrag in eine existenzbedrohende Lage geraten könnte, ist nicht geltend gemacht und auch sonst nicht ersichtlich.
54Sollte die Antragstellerin infolge der Überprüfung der Auswahlentscheidung wegen einer Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs deren Wiederholung erreichen, würde der Antragsgegner zu berücksichtigen haben, den Bewerbern durch die Verfahrensgestaltung eine hinreichende Chancengleichheit zu gewährleisten. Die Berücksichtigung nachträglicher Veränderungen oder Erkenntnisse, die vorliegend in dem verwaltungsrechtlichen Auswahlverfahren gesetzlich nicht ausgeschlossen ist, muss transparent erfolgen und jedem Mitbewerber eine faire Chance belassen, nach Maßgabe der wesentlichen Kriterien und des vorgesehenen Verfahrens berücksichtigt zu werden.
55Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. September 2020 ‑ 4 A 2324/19 -, GewArch 2021, 117 = juris, Rn. 60 f., m. w. N.
56Insoweit würde sich nichts anderes ergeben, wenn der vorliegende Antrag auf vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz zulässig und in der Sache erfolgreich wäre. Denn der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung würde (lediglich) zu einer Aussetzung des Auswahlverfahrens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache führen. Inwiefern die Antragstellerin damit besser gestellt wäre, also das von ihr abgegebene Angebot – wie sie meint – bei einer späteren Entscheidung in der Hauptsache nicht überholt wäre, erschließt sich nicht.
57Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht aus Billigkeitsgründen für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen Sachantrag gestellt und sich mithin selbst keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
58Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG.
59Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).