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Die Regelungen des § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG und § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG sind dahingehend auszulegen, dass mit der rückwirkenden Freistellung von der Rückzahlungspflicht neben den im Freistellungszeitraum ursprünglich fällig gewordenen und zu vormals genannten Zahlungsterminen zu zahlenden Raten auch die an diese Zahlungstermine anknüpfenden und sofort fällig gewordenen Zinsforderungen wieder entfallen. Der durch eine rückwirkende Freistellung bewirkte rückwirkende Wegfall der Fälligkeit einer Tilgungsrate hat zur Folge, dass das in § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG geregelte Tatbestandsmerkmal des Überschreitens eines Zahlungstermins bezüglich dieser Tilgungsrate nicht mehr erfüllt ist.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über eine Zinsforderung der Beklagten hinsichtlich einer Rückzahlungsrate für ein Darlehen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, die zunächst fällig geworden ist und von deren Rückzahlung die Klägerin später rückwirkend freigestellt worden ist.
3Die Klägerin erhielt in den Jahren 2005 bis 2009 zur Durchführung ihres Studiums ein Staatsdarlehen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in Höhe von insgesamt 16.032,00 Euro. Mit Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid vom 13. April 2014 setzte das Bundesverwaltungsamt die Förderungshöchstdauer auf den 30. September 2009 und den Rückzahlungsbeginn auf den 31. Oktober 2014 fest. Es forderte die Klägerin auf, das Darlehen begrenzt auf 10.000,00 Euro und auf Basis der monatlichen Mindestratenhöhe von 105,00 Euro in vierteljährlichen Raten zu 315,00 Euro ab dem 31. Dezember 2014 zurückzuzahlen. Die Höhe der monatlichen Rückzahlungsraten wurde mit Änderungsbescheid vom 17. Oktober 2019 ab dem 1. April 2020 auf monatlich 130,00 Euro neu festgesetzt.
4Auf ihre Anträge wurde die Klägerin mit Bescheiden vom 22. Oktober 2014, 20. Juni 2016, 8. Mai 2018 und 25. Juni 2020 für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis zum 30. April 2021 ohne Unterbrechung von der Rückzahlungsverpflichtung freigestellt. Dem letztgenannten Bescheid zufolge sollte sie die nächste vierteljährliche Rate bis zum 31. Juli 2021 zahlen.
5Mit Mahnung vom 27. August 2021 wurde die Klägerin von der Bundeskasse N. darüber informiert, dass von den zum 31. Juli 2021 fällig gewordenen Beträgen für die Tilgung 390,00 Euro noch offen seien. Zudem wurden Mahnkosten in Höhe von 5,00 Euro erhoben.
6Die Klägerin beantragte am 28. September 2021 beim Bundesverwaltungsamt die weitere Freistellung, die ihr mit Bescheid vom 8. Dezember 2021 für die Zeit vom 1. Mai 2021 bis zum 31. Oktober 2022 erteilt wurde.
7Mit dem ebenfalls auf den 8. Dezember 2021 datierten - hier streitgegenständlichen - Zinsbescheid erhob das Bundesverwaltungsamt Zinsen in Höhe von 96,67 Euro. Zur Begründung führte es aus, dass bei Überschreitung eines Zahlungstermins um mehr als 45 Tage Zinsen in Höhe von 6 Prozentpunkten vom nicht getilgten Rückzahlungsbetrag zu erheben seien. Als Berechnungsgrundlage wurden eine Darlehensschuld in Höhe von 10.000.00 Euro und 58 Zinstage für einen Zahlungsrückstand vom 1. August 2021 bis zum 28. September 2021 ausgewiesen. Nachdem die Bescheide vom 8. Dezember 2021 der Klägerin zunächst nicht zugestellt werden konnten, wurden sie am 24. Januar 2022 erneut als Einschreiben zur Post aufgegeben.
8Mit Schreiben vom 31. Januar 2022 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Zinsbescheid vom 8. Dezember 2021 und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass kein Zahlungsrückstand bestehe, zumal sie von der Zahlungsverpflichtung freigestellt worden sei. Zudem sei der Zinssatz verfassungswidrig.
9Das Bundesverwaltungsamt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2022 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Klägerin habe den Zahlungstermin um mehr als 45 Tage überschritten, da ihr Freistellungsantrag erst 58 Tage nach Fälligkeit eingegangen sei. Der Freistellungszeitraum beginne als Folge der gesetzlich vorgesehenen Rückwirkung vier Monate vor dem Antragsmonat. Die Interimszeit zwischen der ursprünglichen Tilgungsfälligkeit und der (erneuten) Antragstellung lasse jedoch Zinsen anfallen, weil diese bereits mit Fälligkeit entstünden und durch eine später (rückwirkend) erfolgte Freistellung nicht wieder entfielen, wie sich aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 23. Februar 2015 - 25 K 6793/14 - ergebe. Der Widerspruchsbescheid wurde am 12. April 2022 als Einschreiben zur Post aufgegeben.
10Die Klägerin hat am 27. April 2022 die vorliegende Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Sie sei zur Zinszahlung nicht verpflichtet, weil sie zu keinem Zeitpunkt in Verzug gewesen sei. Sie unterrichte die Beklagte jedes Jahr über ihre Vermögensverhältnisse. Ein erneuter Freistellungsantrag sei erst notwendig geworden, nachdem die Beklagte ihren ursprünglichen Antrag nicht aufgefunden und sie nochmals aufgefordert habe, den Antrag einzureichen. Aus diesem Grund sei die Fristberechnung falsch, da sie kein Verschulden treffe.
11Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
12den Zinsbescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2021 und den Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2022 aufzuheben.
13Die Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie hat sich auf die Begründung der angegriffenen Bescheide berufen und ergänzend die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 1999 - 5 C 17.98 - und des Verwaltungsgerichts Köln vom 7. August 2020 - 25 K 4840/18 - angeführt. Im Übrigen liefere die Verwaltungsakte keine Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesverwaltungsamt einen früheren Freistellungsantrag der Klägerin nicht habe auffinden können und daher diesen nochmals angefordert habe. Schließlich sei die Höhe der Verzinsung nicht verfassungswidrig.
16Mit dem angegriffenen Urteil vom 25. Januar 2023 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Zinsbescheid des Bundesverwaltungsamts vom 8. Dezember 2021 sei rechtswidrig. Die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 8 Abs. 1 Nr. 1 DarlehensV i. V. m. § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG in der bis zum 31. August 2019 geltenden Fassung lägen nicht (mehr) vor. Die Klägerin habe zwar den Zahlungstermin vom 31. Juli 2021 zunächst um mehr als 45 Tage überschritten, der Zinsanspruch sei jedoch durch die der Klägerin mit Bescheid vom 8. Dezember 2021 rückwirkend ab dem 1. Mai 2021 gewährte Freistellung entfallen. Eine rückwirkende Freistellung habe zur Folge, dass ein ursprünglich entstandener Zinsanspruch entfalle, wenn danach keine fällige Rate verbleibe. Die Überschreitung des Zahlungstermins, an dem Raten zunächst fällig geworden seien, biete nach lückenloser rückwirkender Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung dieser Raten keine Grundlage mehr für eine Verzinsung. Dies ergebe sich aus der Auslegung des § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG bzw. § 18a Abs. 2 Satz 1 BAföG a. F. Nach dieser Norm erfolge die Freistellung rückwirkend für längstens vier Monate vor dem Antragsmonat. Dabei bedeute Freistellung nach § 18a Abs. 1 Satz 1 BAföG (alter wie aktueller Fassung) die Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung der ansonsten für die betreffenden Monate des Freistellungszeitraums zu tilgenden Raten. Inwiefern sich eine rückwirkende Freistellung auf an die Überschreitung des Zahlungstermins anknüpfende Konsequenzen, insbesondere die Entstehung und Erhebung von Nebenkosten, auswirke, gehe aus dem Wortlaut des § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG bzw. § 18a Abs. 2 Satz 1 BAföG a. F. nicht eindeutig hervor. Maßgeblich seien insoweit Sinn und Zweck der gesetzlich angeordneten Rückwirkung der Freistellung, die Rechtsnatur der jeweiligen Nebenkosten sowie Sinn und Zweck ihrer Erhebung. Anders als die Erhebung von Mahnkosten sei die Erhebung von Zinsen derart unmittelbar mit dem Bestand des Zahlungstermins verknüpft, dass dessen rückwirkender Wegfall zur Rechtswidrigkeit der daran knüpfenden Zinserhebung führe. Der mit den Rückstandszinsen verfolgte Beugezweck, die Darlehensnehmenden zur Erfüllung ihrer Rückzahlungspflicht anzuhalten, gehe jedoch von Anfang an fehl, wenn die betreffende Zahlungsverpflichtung durch eine rückwirkende Freistellung entfallen sei. Zugleich entspreche es dem Sinn und Zweck des § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG bzw. § 18a Abs. 2 Satz 1 BAföG a. F., dass die Darlehensnehmenden mit der rückwirkenden Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung einer Rate auch von der akzessorischen Verpflichtung zur Verzinsung in Bezug auf diese Rate befreit werden. Danach sei die Klägerin mit dem Freistellungsbescheid vom 8. Dezember 2021 nicht nur von der Begleichung der für die Monate Mai, Juni und Juli 2021 zu zahlenden Raten, sondern auch von der Verzinsung wegen Überschreitung des für diese Raten nach § 11 Abs. 1 Alt. 2 DarlehensV maßgeblichen Zahlungstermins vom 31. Juli 2021 rückwirkend befreit worden. Zugleich habe es - insbesondere für frühere Zeiträume - keine anderen fälligen Raten gegeben, deren Zahlungstermine die Klägerin überschritten hätte. Denn sie sei für die Zeit seit Beginn des Rückzahlungszeitraums am 1. Oktober 2014 bis zum 30. April 2021 ohne Unterbrechung von der Rückzahlungsverpflichtung befreit gewesen.
17Die Beklagte trägt zur Begründung der vom Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zugelassenen Berufung im Wesentlichen vor: Dem Wortlaut des § 18a Abs. 3 BAföG lasse sich nicht entnehmen, dass die gesetzliche Zinsfolge des § 18 Abs. 2 BAföG durch die Freistellungsentscheidung im zeitlich nachfolgenden Verwaltungsverfahren rückwirkend beseitigt werde. Die rückwirkende Freistellung habe nach dem Wortlaut der Norm lediglich zur Folge, dass die fällig gewordenen Raten ausnahmsweise nicht zu zahlen seien und mit in den Freistellungszeitraum aufgenommen würden. Es könne dem Gesetz nicht entnommen werden, dass eine zunächst eingetretene Fälligkeit "ex tunc" beseitigt werde. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Änderung des § 18a Abs. 2 BAföG im Rahmen des 12. BAföG-Änderungsgesetzes nicht der Vermeidung einer Entstehung von Zinsansprüchen oder in sonstiger Weise dem erweiterten Schutz der Darlehensnehmer, sondern lediglich der Verwaltungsvereinfachung diene. Die ursprüngliche Regelung ohne Rückwirkung der Freistellung habe der Gesetzesbegründung zufolge auf den Schutz der Darlehensnehmer abgezielt. Eine historische Auslegung der Normen ergebe mithin, dass der Gesetzgeber nunmehr keine weitere Begünstigung der Darlehensnehmer gewollt habe. Auch laufe es der Intention des Gesetzgebers im Hinblick auf die Verwaltungsvereinfachung zuwider, wenn im Falle einer rückwirkenden Freistellung die Pflicht der Behörde entstünde, etwaige Zinsbescheide aufzuheben. Zudem ergebe eine systematische Auslegung, dass die freigestellten Raten bei Anwendung anderer Normen so behandelt würden, als wäre diesbezüglich die Fälligkeit eingetreten. So regele § 6 Abs. 2 Satz 3 DarlehensV, dass die Tilgungsraten selbst bei einer Freistellung von der Rückzahlungsverpflichtung in diesem Zeitraum bei der Bemessung der Bezugsgröße der Nachlassgewährung bei vorzeitiger Rückzahlung keine Berücksichtigung fänden. Seien danach die freigestellten Raten so zu behandeln, als sei die Fälligkeit eingetreten, müsse dies auch bezüglich der Zinsen gelten. Die Normen seien so auszulegen, dass sie nicht im Widerspruch zueinander stünden. Der Gesetzesbegründung sei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber seine ursprüngliche Intention zur Schaffung einer Zinsregelung nicht zugunsten einer "sozialrechtlichen Schutzfunktion" durch Freistellungsentscheidungen aufgegeben habe. Bei systematischer Auslegung könne kein Unterschied gemacht werden zwischen Zinsen und Mahnkosten, da beide nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 DarlehensV zur Voraussetzung hätten, dass der Darlehensnehmende einen Zahlungstermin überschritten habe. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Erhebung von Mahnkosten und von Rückstandszinsen sei nicht vergleichbar, könne daher nicht überzeugen. Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes habe der Gesetzgeber mit der Zinsregelung eine nachlässige Handhabung der Darlehensangelegenheiten sanktionieren wollen. Eine solche nachlässige Handlung liege auch bei der verspäteten Antragstellung mit darauffolgender rückwirkender Freistellung vor.
18Die Beklagte beantragt,
19das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Januar 2023 zu ändern und die Klage abzuweisen.
20Die Klägerin beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesverwaltungsamts Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe:
24Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
25Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage zu Recht stattgegeben. Sie ist zulässig und begründet. Der angefochtene Zinsbescheid vom 8. Dezember 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Februar 2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
26Der Bescheid kann nicht auf die einzig in Betracht kommende Rechtsgrundlage des § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG (in der gemäß § 66a Abs. 6 Satz 1 BAföG maßgeblichen Fassung vom 8. Juli 2019) i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 DarlehensV (in der Fassung vom 16. Juli 2019) gestützt werden. Nach § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG ist der gesamte bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht getilgte Rückzahlungsbetrag mit 6 vom Hundert für das Jahr zu verzinsen, wenn Darlehensnehmende einen Zahlungstermin um mehr als 45 Tage überschritten haben. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 DarlehensV werden nach dem Zahlungstermin Zinsen nach § 18 Absatz 2 des Gesetzes ab dem auf den Zahlungstermin folgenden Monat gesondert erhoben, wobei einem Kalendermonat 30 Tage zugrunde zu legen sind.
27Diese Voraussetzungen lagen in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung - d. h. bei Erlass des Widerspruchsbescheids vom 10. Februar 2022 - nicht vor.
28Die Klägerin hatte zwar ursprünglich den im Bescheid vom 25. Juni 2020 auf den 31. Juli 2021 festgelegten Zahlungstermin für die nächste vierteljährliche Rate um mehr als 45 Tage überschritten, indem sie diese Rate nicht bis zum 15. September 2021 gezahlt hat. Damit lagen für die Zeit ab dem 1. August 2021 zunächst die genannten Voraussetzungen vor und die Zinsen waren entstanden.
29Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist jedoch nachträglich dadurch wieder entfallen, dass das Bundesverwaltungsamt mit weiterem Bescheid vom 8. Dezember 2021 die Klägerin (auch) für die Zeit vom 1. Mai 2021 bis zum 31. Oktober 2022 von der Rückzahlungspflicht freigestellt und zur Zahlung der nächsten drei Monatsraten nunmehr zum 31. Januar 2023 aufgefordert hat, wodurch die zuvor auf den 31. Juli 2021 terminierte Zahlungsaufforderung hinfällig geworden ist.
30Rechtsgrundlage hierfür ist § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG, wonach auf Antrag die Freistellung vom Beginn des Antragsmonats an in der Regel für ein Jahr, rückwirkend für längstens vier Monate vor dem Antragsmonat (Freistellungszeitraum) erfolgt. Eine solche rückwirkende Freistellung hat das Bundesverwaltungsamt auf den am 28. September 2021 eingegangenen Antrag der Klägerin für die Monate Mai bis August 2021 hier vorgenommen. Der in dem Freistellungsbescheid mitgeteilte Zahlungstermin für die nächste vierteljährliche Rate (31. Januar 2023) ergab sich aus § 18 Abs. 7 BAföG und § 11 Abs. 1 DarlehensV.
31Mit dem rückwirkenden Wegfall der Fälligkeit der Tilgungsrate zum 31. Juli 2021 nach § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG war das in § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG geregelte Tatbestandsmerkmal des Überschreitens eines Zahlungstermins nicht mehr erfüllt. Damit entfiel auch die ursprünglich begründete Zinspflicht.
32Das ist zwar nicht explizit gesetzlich geregelt. Weder das Bundesausbildungsförderungsgesetz noch die Darlehensverordnung enthalten eine ausdrückliche Regelung dazu, welche Folge es für die nach § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG mit Überschreitung des Zahlungstermins entstandenen und nach § 18 Abs. 8 BAföG sofort fällig gewordenen Zinsen hat, wenn der für das Entstehen der Zinsforderung maßgebliche Zahlungstermin gemäß § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG rückwirkend verschoben wird.
33Die Regelungen des § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG und § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG sind gleichwohl dahingehend auszulegen, dass mit der rückwirkenden Freistellung von der Rückzahlungspflicht neben den im Freistellungszeitraum ursprünglich fällig gewordenen und zu vormals genannten Zahlungsterminen zu zahlenden Raten auch die an diese Zahlungstermine anknüpfenden und sofort fällig gewordenen Zinsforderungen wieder entfallen.
34Dies entspricht dem systematischen Zusammenhang der Vorschriften zu Fälligkeit, Verzinsung und Freistellung.
35Aus dem von § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG in Bezug genommenen Absatz 1 Satz 1 der Norm ergibt sich, dass Darlehensnehmende "von der Verpflichtung zur Rückzahlung" freizustellen sind. Die Freistellung nach § 18a BAföG befreit von der Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehens durch Aufschub des Fälligwerdens der im Freistellungszeitraum ansonsten zu tilgenden Raten.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1999 - 5 C 13.98 -, juris Rn. 12.
37Sie ist mit einer zinslosen Stundung vergleichbar, die den Eintritt der Fälligkeit hindert bzw. für die Vergangenheit beseitigt.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Juli 2010- 12 B 651/10 -, juris Rn. 11; Rauschenberg, in: Rothe/Blanke, BAföG, Stand: November 2023, § 18a Rn. 5; Pesch, in: Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 8. Aufl. 2024, § 18a Rn. 1; Neu, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 18 BAföG (Stand: 7. Januar 2025), juris Rn. 65, sowie § 18a BAföG (Stand: 7. Januar 2025), juris Rn. 21; Stallbaum, NJW 1987, 1728, 1729; vgl. auch zur Stundung, die zu einem Hinausschieben des Fälligkeitszeitpunktes führt: BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2018- 2 B 32.17 -, juris Rn. 6.
39Bewirkt die Freistellung danach wie die Stundung einen Aufschub des Fälligwerdens der in den Freistellungszeitraum fallenden Raten, muss dies entsprechend auch bei rückwirkender Freistellung gelten. Die dadurch bedingte (rückwirkende) Verschiebung der Fälligkeit der nächsten Ratenzahlung auf einen späteren Zeitpunkt hat zur Folge, dass die tatbestandliche Voraussetzung des "Überschreitens eines Zahlungstermins um mehr als 45 Tage" nicht mehr an den ursprünglichen (rückwirkend entfallenen) Fälligkeitstermin anknüpft.
40Zinsen werden als streng akzessorische Nebenleistung dann nicht ausgelöst, wenn und solange der Auszubildende (rückwirkend) von seiner Rückzahlungspflicht freigestellt worden ist.
41Vgl. Neu, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 18 BAföG (Stand: 7. Januar 2025), juris Rn. 53.
42Sind sie bereits per Bescheid erhoben worden, ist dies nach einer später rückwirkend erfolgten Freistellung, welche die Grundlage für die Erhebung entfallen lässt, durch entsprechende Aufhebung des Zinsbescheids rückgängig zu machen.
43Vgl. Pesch, in: Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 8. Aufl. 2024, § 18a Rn. 17 ("Zinsen […] müssen aber nach der später rückwirkend erfolgenden Freistellung wieder storniert werden").
44Eine vergleichbare Situation besteht im Steuerrecht bei den Säumniszuschlägen nach § 240 AO, wenn eine Steuerforderung rückwirkend gestundet wird. Die Stundungsgewährung hat dort den Sinn, den Steuerschuldner, der trotz bereits eingetretener Fälligkeit keine Zahlungen auf die Steuerschuld geleistet hat, von den rechtlichen Folgen der Säumnis - d. h. in erster Linie von den verwirkten Säumniszuschlägen gemäß § 240 AO - freizustellen, insbesondere dann, wenn das Finanzamt einen rechtzeitig gestellten Stundungsantrag erst einige Zeit später positiv bescheidet.
45Vgl. BFH, Urteile vom 8. Juli 2004 - VII 55/03 -, juris Rn. 28, und vom 22. April 1988 - III R 269/84 -, juris Rn. 18.
46Soweit der Bundesfinanzhof in Bezug auf Säumniszuschläge weiter ausführt, dass diese mit der rückwirkenden Stundung oder dem Erlöschen der Steuerforderung nicht gleichsam entfallen, ist dies dem Umstand geschuldet, dass Säumniszuschläge nicht akzessorisch sind (vgl. § 240 Abs. 1 Satz 4 AO). Auf Zinsen nach § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG ist dies wegen deren Akzessorietät zur Darlehensrückzahlungspflicht nicht übertragbar; hier entfällt vielmehr die akzessorische Verzinsungspflicht für Zeiten, in denen die Darlehensrückzahlungspflicht - in Gestalt der nächsten Rate - nicht (mehr) fällig ist.
47Dieses Verständnis, wonach im Falle einer rückwirkenden Freistellung für den betroffenen Zeitraum womöglich zunächst entstandene Zinsen zusammen mit der Fälligkeit der betreffenden Zahlungstermine entfallen, steht auch im Einklang mit Sinn und Zweck der Regelungen in § 18 Abs. 2 Satz 2 und § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG sowie mit dem diesbezüglich dokumentierten Willen des Gesetzgebers.
48Wie in der Begründung zum Entwurf des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ausgeführt wird, soll durch die Möglichkeit einer Zinserhebung für verspätete Darlehensrückzahlung erreicht werden, dem Darlehensnehmer "jeglichen Anreiz für eine zögerliche Rückzahlung zu nehmen".
49Vgl. BT-Drucks. VI/1975, S. 29 zu § 18 Abs. 1 und 2.
50Eine "zögerliche Rückzahlung" liegt jedoch nicht vor, wenn die Rückzahlung wegen eines beabsichtigten Freistellungsantrags aus - bei Vorliegen der hierfür notwendigen Voraussetzungen - berechtigten Gründen nicht erfolgt. Wird die rückwirkende Freistellung in einem solchen Fall erst nach Überschreitung des Zahlungstermins um mehr als 45 Tage beantragt, kann dem Darlehensnehmenden dementsprechend auch keine daran anknüpfende Nachlässigkeit vorgeworfen werden, die aus Sicht der Beklagten durch ein Fortbestehen zwischenzeitlich angefallener Zinsen zu sanktionieren wäre. Denjenigen Darlehensnehmenden, denen ein Freistellungsanspruch zu keiner Zeit oder jedenfalls vorübergehend nicht zusteht, kann die Zinspflicht weiterhin den Anreiz für eine zögerliche Rückzahlung von in dieser Zeit anfallenden Raten nehmen.
51Denn der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG bewusst die Möglichkeit einer rückwirkenden Freistellung geschaffen, ohne eine Sanktion mit der erst nach dem Fälligkeitszeitpunkt erfolgenden Antragstellung zu verbinden. Hätte der Gesetzgeber bewusst an entstandenen Zinsen in einem von einer rückwirkenden Freistellung betroffenen Zeitraum festhalten wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass er dies regelungstechnisch oder zumindest in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck bringt. Dies ist indes nicht der Fall. Der Begründung zum Zwölften Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 22. Mai 1990 (BGBl. I S. 936) (12. BAföGÄndG), mit dem eine rückwirkende Freistellung eingeführt worden ist, lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, die auf einen Willen des Gesetzgebers deuten, bei rückwirkender Freistellung Zinsen bestehen zu lassen, die für im Freistellungszeitraum fällig gewordene Raten zunächst angefallen sind. Zur Verzinsung finden sich dort keine Ausführungen, sondern nur dazu, dass durch die Erweiterung des Freistellungszeitraums um längstens vier Monate vor dem Antragsmonat das Verwaltungsverfahren vereinfacht werden soll, indem aufwändige Stundungsverfahren vermieden werden.
52Vgl. BT-Drucks. 11/5961, S. 22 zu Nummer 17 Buchstabe b.
53Diesem gesetzgeberischen Ziel läuft ein Normverständnis, wonach bei rückwirkender Freistellung auch die für diesen Zeitraum eventuell angefallenen Zinsen wieder entfallen, auch nicht zuwider. Denn ein Zinsbescheid muss mit Blick auf die für den Zinsanspruch in entsprechender Anwendung des § 195 BGB geltende dreijährige Verjährungsfrist,
54vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. Juni 2012 - 12 A 381/10 -, juris Rn. 40 f.,
55nicht zwingend bereits mit dem Verstreichen der 45-Tage-Frist nach § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG oder kurz danach erlassen werden. Das Bundesverwaltungsamt kann vielmehr abwarten, ob noch rechtzeitig für eine Rückwirkung nach § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG eine Freistellung beantragt wird. Damit würde sogar eine über die Vermeidung von Stundungsverfahren hinausgehende Verwaltungsvereinfachung einhergehen, weil eine frühzeitige Prüfung des Anfallens von Zinsen unterbleiben könnte und die Notwendigkeit der späteren Aufhebung von Zinsbescheiden entfiele.
56Auch die mit dem Sechsundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (26. BAföGÄndG) vom 8. Juli 2019 (BGBl. I. S. 1049) eingeführte Erlassregelung in § 18 Abs. 12 BAföG,
57vgl. dazu die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 19/8749, S. 38 zu Absatz 12,
58deutet nicht auf einen der hier vertretenen Auslegung entgegenstehenden gesetzgeberischen Willen (im maßgeblichen Zeitpunkt der legislativen Beschlussfassungen über § 18 Abs. 2 Satz 2 bzw. § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG). Selbst wenn einem (vorübergehenden) Anfallen von Zinsen gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG für die Frage eines Mitwirkungspflichtverstoßes nach § 18 Abs. 12 BAföG i. V. m. § 2 Nr. 3 DarlehensV besondere Bedeutung zukäme, ließe sich daraus nichts für die Frage herleiten, ob die zwischenzeitlich entstandene Zinsforderung durch spätere rückwirkende Freistellung wieder entfallen ist. Dementsprechend kommt es vorliegend nicht darauf an, wie sich ein zwischenzeitlicher Anfall von Zinsen nach § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG im Falle einer rückwirkenden Freistellung für den betroffenen Zeitraum auf die Frage der Erfüllung der Mitwirkungspflichten auswirkt. Insoweit dürfte aber davon auszugehen sein, dass Zinsen nicht (mehr) im Sinne des § 2 Nr. 3 DarlehensV angefallen sind, wenn sie wegen eines späteren Wegfalls nicht erhoben werden dürfen.
59Die hier vertretene Auslegung der § 18 Abs. 2 Satz 2 und § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG widerspricht auch nicht dem systematischen Zusammenhang mit dem in § 6 Abs. 2 Satz 3 DarlehensV zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken. Nach dieser Vorschrift sind, soweit ein Teil einer Rückzahlung, die nach dem 31. März 2020 vorzeitig geleistet wurde, auf Tilgungsraten entfällt, die zu diesem Zeitpunkt lediglich wegen vorausgegangener Freistellung von der Rückzahlungsverpflichtung noch nicht fällig waren, diese Tilgungsraten für die Bemessung des Nachlasses nicht zu berücksichtigen. Sie sind damit so zu behandeln, als wäre die Fälligkeit der Raten bereits eingetreten.
60Vgl. zu dieser Vorschrift: OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2023 - 12 E 267/22 -, juris Rn. 7 ff.
61Diese Vorschrift ist jedoch speziell auf die Nachlassgewährung nach § 18 Abs. 10 BAföG i. V. m. § 6 DarlehensV bezogen. Für die Verzinsung findet sich weder im Bundesausbildungsförderungsgesetz noch in der Darlehensverordnung eine entsprechende Regelung.
62Auch der Regelungszusammenhang von Zinsen und Mahnkosten in § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 DarlehensV deutet nicht auf ein anderes (Auslegungs-)Ergebnis. Dort werden sowohl die Zinsen als auch die Mahnkosten unter der gemeinsamen Überschrift "Zahlungsrückstand" geregelt und haben nach dem Wortlaut der Norm jeweils als einzige Voraussetzung, dass der Zahlungstermin überschritten wird. Auf die Frage, ob in den Fällen einer rückwirkenden Freistellung einheitlich sowohl die Zinsen als auch die Mahnkosten entfallen, oder ob das Verwaltungsgericht Köln zu Recht annimmt, dass die Mahnkosten von einer rückwirkenden Freistellung unberührt bleiben,
63vgl. VG Köln, Urteil vom 2. Juni 2022 - 26 K 1497/22 -, juris Rn. 28 ff.,
64kommt es im vorliegenden Fall, in dem allein die Verzinsung streitig ist, nicht an.
65Der hier vorgenommenen Auslegung steht auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegen, wonach Zinsen wegen Nichtzahlung rückständiger Raten von einem Darlehensnehmer auch während der Zeit der Freistellung verlangt werden können, weil derjenige, der seine bereits entstandenen, also nicht freigestellten Rückzahlungsverpflichtungen "schleifen" lasse, das Anfallen von Rückstandszinsen nicht als unverhältnismäßige Sanktion rügen könne.
66Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. März 1999 - 5 C 13.98 -, juris Rn.12, und - 5 C 17.98 -, juris Rn. 10 f.
67Dies lässt sich wegen der Unterschiedlichkeit der Sachverhalte nicht übertragen. Die genannten Entscheidungen betrafen Fallgestaltungen, in denen keine lückenlosen Freistellungen erfolgt sind, sondern es bereits vor dem Freistellungszeitraum Darlehensrückstände gab, für die Rückstandszinsen angefallen sind.
68Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711, § 709 Satz 2 ZPO.
69Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil ein Klärungsbedarf durch das Bundesverwaltungsgericht nicht anzunehmen ist.
70Vgl. zu den Voraussetzungen dieses Zulassungsgrunds: BVerwG, Beschluss vom 16. November 2004 - 4 B 71.04 -, juris Rn. 4.
71Die hier maßgebliche Rechtsfrage, ob mit einer rückwirkenden Freistellung nach § 18a Abs. 3 Satz 1 BAföG zugleich eine im Freistellungszeitraum ursprünglich nach § 18 Abs. 2 Satz 2 BAföG entstandene Zinspflicht wieder entfällt, lässt sich mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres wie ausgeführt beantworten.