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Die Rüge, eine fehlerhafte Anhörung vor Erlass einer Umstufungsverfügung nach § 8 Abs 1 StrWG NRW habe zu einer fehlerhaften Sachverhaltsermittlung geführt, zielt regelmäßig nicht auf die formelle, sondern auf die materielle Rechtmäßigkeit der Verfügung.
Für die Verkehrsbedeutung einer öffentlichen Straße im Sinne von § 3 Abs 1 StrWG NRW maßgebend sind die von der Straße vermittelten räumlichen Verkehrsbeziehungen. Dabei ist, da der größte Teil der Straßen eine Vielzahl von Funktionen zu erfüllen hat, nicht (allein) der durch den jeweiligen Ausbauzustand der Straße oder das jeweilige Verkehrsaufkommen bestimmte, gegebenenfalls tatsächlich überwiegende Verkehr auf der jeweiligen Straße maßgeblich. Vielmehr ist die Straße als funktionaler Teil eines Gesamtnetzes in Blick zu nehmen und auf die von der Straße nach Verlauf und Zweckbestimmung vermittelte räumliche Verkehrsbeziehung abzustellen.
Bei der Begriffsbestimmung der "überörtlichen Verkehrsbedeutung" im Sinne von § 3 Abs. 3 StrWG NRW ist auf den allgemeinen Wirkungsbereich der Kreise und ihre Verantwortung zur Wahrnehmung der auf ihr Gebiet begrenzten überörtlichen Angelegenheiten abzustellen.
Nach dem gesetzgeberischen Willen ist den Kreisstraßen grundsätzlich die Aufgabe zugewiesen, insbesondere benachbarte Grundzentren oder vergleichbare Gemeindesubzentren mit einem ähnlichen Ausstattungsstandard wie Grundzentren zu verbinden sowie überörtlich bedeutsame Verkehrserzeuger, wie größere gewerbliche Unternehmen (z. B. Kraftwerke), Mülldeponien, Flugplätzen sowie Freizeit- und Erholungseinrichtungen anzubinden.
„Zwischenörtlich“ bedeutet nicht „Durchgangsverkehr“, so dass auch Ziel- und Quellverkehr, der in das Ortszentrum hineinführt, „zwischenörtlicher Verkehr“ im Sinne des § 3 Abs. 3 StrWG NRW sein kann.
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Ziffern 7. und 8. der Umstufungsverfügung des Beklagten vom 3. Dezember 2021 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen die Abstufung zweier Teilstrecken der Bundesstraße B 480 zu einer in ihre Straßenbaulast fallenden Gemeindestraße.
3Die B 480 verläuft von Erndtebrück-Leimstruth über Brilon bis in das Stadtgebiet der Klägerin, wo sie am Kreuz Wünnenberg-Haaren (Kreuzung mit der Autobahn A 44) in die Autobahn A 33 übergeht, die weiter nach Paderborn und darüber hinaus führt. Südlich des Ortskerns der Klägerin schließt die L 956, die hinter Madfeld beginnt und durch Bleiwäsche führt, an die B 480 an.
4Ursprünglich verlief die B 480 unmittelbar durch den Ortskern der Klägerin und kreuzte dort die L 549, die in westlicher Richtung über Leiberg und Hegensdorf nach Büren und in östlicher Richtung über Fürstenberg und Essentho nach Marsberg führt. Im Jahr 2013 begann der Bau einer Ortsumgehung (nachfolgend auch B 480N). Diese zweigt vor dem Ortskern der Klägerin von der alten B 480 ab, führt in einem nordwestlichen Bogen um diesen herum, überquert das Aftetal sowie die L 549 und schließt vor dem Ortsteil Haaren wieder an den ursprünglichen Verlauf der B 480 an.
5Die streitgegenständlichen Teilstrecken liegen zwischen dem südlichen Netzknoten (nachfolgend: NK) 4518 003 (Anschluss der L 956) und dem NK 4418 029A (Kreisverkehrsplatz) sowie zwischen dem dort anschließenden NK 4418 029C und dem NK 4418 001 (Kreuzung mit der L 549 und einer Gemeindestraße).
6Nachdem das Ministerium für Verkehr des Beklagten mit E-Mail vom 15. Januar 2013 den Landesbetrieb Straßenbau des Beklagten (nachfolgend: Landesbetrieb) um die Vorlage eines Umstufungskonzeptes gebeten hatte, übersandte dieser dem Ministerium mit Schreiben vom 5. März 2013 den Entwurf einer Umstufungsverfügung, mit der die streitgegenständlichen Teilstrecken zu Landesstraßen herabgestuft werden sollten (Ziffern 14. und 18.).
7Mit E-Mail vom 12. Februar 2014 schrieb das Ministerium für Verkehr des Beklagten an den Landesbetrieb, dass für die streitgegenständlichen Teilstrecken „(u)nter Berücksichtigung des Gesamtkonzeptes im Landesstraßenbereich und der jeweiligen Verbindungsfunktionen (…) keine Grundlage für die Zuordnung zur Gruppe der Landesstraßen“ vorliege und diese daher zur Gemeindestraße abgestuft werden sollten.
8Mit Schreiben vom 17. April 2014 hörte der Landesbetrieb die Klägerin zu einer beabsichtigten Abstufung unter anderem der streitgegenständlichen Teilstrecken zu Gemeindestraßen an. Die Klägerin antwortete hierauf mit Schreiben vom 8. Juli 2014, die streitgegenständlichen Teilstrecken sollten nicht zur Gemeindestraße abgestuft werden. Sie dienten auch nach Fertigstellung der Ortsumgehung weiterhin den vorhandenen durchgehenden Verkehrsanbindungen. So würden Verkehrsteilnehmer aus Richtung Brilon kommend das alte Stück der B 480 weiter nutzen, um über die L 549 in Richtung Büren bzw. Marsberg fahren zu können. Gleiches gelte für Fahrzeuge, die aus Richtung Bleiwäsche über die L 956 die Zielrichtung Büren und Marsberg verfolgten bzw. für Fahrzeuge aus Richtung Marsberg mit der Zielrichtung Brilon. Stattdessen solle eine Abstufung als Landesstraße erfolgen.
9Unter dem 27. September 2021 kündigte der Landesbetrieb gegenüber der Klägerin die beabsichtigte Abstufung „zum nächstmöglichen Termin“ an.
10Die Klägerin äußerte mit E-Mail vom 30. September 2021 Bedenken gegen die Abstufung der streitgegenständlichen Teilstrecken und trug vor, diese sollten mindestens als Kreisstraßen ausgewiesen werden. Die Teilstrecken hätten einen Anschluss an eine Landesstraße und dienten der zwischenörtlichen Verkehrsverbindung von Bleiwäsche/Madfeld und dem Verkehr aus Alme/Brilon zum Stadtzentrum der Klägerin. Aus Fahrtrichtung L 549-Fürstenberg verbänden die Teilstrecken den Verkehr von Fürstenberg Richtung Alme/Brilon, da nicht davon auszugehen sei, dass der Verkehr über die L 549 zur Anschlussstelle B 480 fahre, um dann in die entgegengesetzte Richtung nach Alme/Brilon zu fahren. Der überwiegende Teil des Straßenabschnittes liege außerhalb der geschlossenen Ortschaft der Klägerin und diene daher nicht überwiegend der Erschließung innerhalb des Stadtteils.
11Mit Verfügung vom 3. Dezember 2021 des Ministeriums für Verkehr des Beklagten wurden u. a. die streitgegenständlichen Teilstrecken mit Wirkung zum 1. Januar 2022 zur Gemeindestraße in der Baulast der Klägerin abgestuft (Ziffern 7. und 8.). Die Verfügung wurde am 10. Januar 2022 im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Detmold bekannt gemacht.
12Die Klägerin hat am 1. Februar 2022 Klage erhoben.
13Zur Begründung hat sie vorgetragen: Die Abstufungsverfügung sei bereits formell rechtswidrig, weil nicht das für die Abstufung zuständige Ministerium, sondern der Landesbetrieb Straßenbau das Anhörungsverfahren durchgeführt habe. Jedenfalls sei nicht ersichtlich, dass die Argumente der Klägerin aus ihrem Schreiben vom 8. Juli 2014 und ihrer E-Mail vom 30. September 2021 vom Ministerium inhaltlich zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden seien. Zudem genüge die Verfügung dem gesetzlichen Begründungserfordernis nicht. Der Hinweis auf die geänderte Verkehrsbedeutung sei nicht ausreichend. Es fehle an jeglicher Begründung gerade auch für die Einstufung als Gemeindestraße und nicht als Kreisstraße. Entgegen § 41 Abs. 4 Satz 2 VwVfG NRW sei in der ortsüblichen Bekanntmachung der Allgemeinverfügung nicht angegeben worden, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden könnten. Die Verfügung sei außerdem inhaltlich nicht hinreichend bestimmt. Soweit darin lediglich von Netzknoten gesprochen werde, genüge dies nicht, weil diese von dritter Seite vergeben und ihre Lage an keiner Stelle definiert werde. Es fehle ein Plan oder eine Flurkarte. Die Verfügung sei auch materiell rechtswidrig. Die streitgegenständlichen Teilstrecken hätten nach wie vor mindestens regionale Verkehrsbedeutung und seien daher als Landesstraße zu klassifizieren. Verkehrsteilnehmer aus Richtung Brilon nutzten weiterhin das alte Stück der B 480, um über die L 549 in Richtung Büren bzw. Marsberg fahren zu können. Das gleiche gelte für Fahrzeuge, die aus Richtung Bleiwäsche über die L 956 in Richtung Büren und Marsberg fahren bzw. für Fahrzeuge aus Richtung Marsberg mit Zielrichtung Brilon. Ohne die Klassifizierung der B 480 mindestens als Landesstraße bildeten die L 956 und die L 549 kein zusammenhängendes Netz. Es sei nicht ersichtlich, wieso nur der Straßenabschnitt zwischen den beiden Strängen der L 549 noch Landesstraße bleiben solle. Denn die Netzfunktion der B 480N sei für Verkehrsteilnehmer, die aus Marsberg oder Büren über die L 549 kommen und in Richtung Bleiwäsche oder Brilon wollen, nicht vorhanden. Verkehrsteilnehmer aus diesen Bereichen führen weiterhin durch die Ortslage der Klägerin, da die Talbrücke bzw. die B 480N das gesamte Aftetal in Nord-Süd-Richtung überspanne und daher keine Anknüpfungspunkte für Verkehrsteilnehmer aus der Ost-West-Richtung biete. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die neue Trasse der B 480N als Kraftfahrstraße ausgewiesen sei und andere Fahrzeuge, die bauartbedingt nicht schneller als 60 km/h fahren könnten, insbesondere landwirtschaftliche Fahrzeuge, weiterhin auf die B 480 angewiesen seien. Jedenfalls sei die Straße als Kreisstraße zu klassifizieren. Sie habe mindestens noch überörtliche Verkehrsbedeutung, was sich bereits aufgrund der bestehenden Anschlüsse an die L 956 und L 549 ergebe. Für die Annahme einer überörtlichen Verkehrsbedeutung sei zudem ausreichend, dass mehrere verkehrsbedeutsame Teile ein und derselben Gemeinde durch die Straße verbunden werden. Dies sei hier der Fall hinsichtlich Fahrten von und nach Bleiwäsche und Leiberg. In besonderer Weise ziehe aber auch die Aatalklinik im Ortskern der Klägerin so viel überörtlichen Verkehr an, dass diese Verkehrsanteile für sich genommen der Straße bereits eine überörtliche Verkehrsbedeutung vermittelten. Schließlich ergebe sich bereits aus § 5 StrWG NRW, dass Ortsdurchfahrten mindestens als Kreisstraßen klassifiziert werden müssten, da Gemeindestraßen dort nicht aufgezählt seien.
14Die Klägerin hat beantragt,
15die Umstufungsverfügung vom 3. Dezember 2021 hinsichtlich der Teilstrecken der B 480 von NK 4518003 nach NK 4418029A (von Station 0,000 nach Station 1,979) und von NK 4418029C nach NK 4418001 (von Station 0,000 nach Station 1,660) mit den Verbindungsstrecken im NK 4418029 (Ziffern 7. und 8. der Verfügung) aufzuheben.
16Der Beklagte hat beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Er hat vorgetragen: Die angefochtene Verfügung sei formell und materiell rechtmäßig. Ein Anhörungsmangel liege entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor, weil der Landesbetrieb Straßenbau als unselbständiger Teil der Landesregierung im Geschäftsbereich des verfügenden Ministeriums als Verwaltungshelfer tätig geworden sei und im Übrigen die gesetzlichen Vorschriften keine Aussage träfen, dass zwingend die Umstufungsbehörde auch die Anhörung durchzuführen habe. Inhaltlich seien die im Anhörungsverfahren vorgebrachten Argumente der Klägerin sehr wohl berücksichtigt worden. Ihnen sei allerdings nicht gefolgt worden. Die streitgegenständlichen Teilstrecken seien nicht als Landesstraße zu klassifizieren. Ihnen komme keine regionale Verkehrsbedeutung zu. Der Streckenzug der B 480/B 7 erfülle vorrangig die weiträumige Verbindungsfunktion im nicht geschlossenen Autobahnnetz des östlichen Sauerlandes zwischen der A 46 und der A 44/A 33 sowie durch Verknüpfungen an das bestehende Landesstraßennetz. Vor dem Neubau der Ortsumgehung habe die B 480 als zentrale Verkehrsachse mit ihrer Führung durch die Ortslage von Bad Wünnenberg gleichzeitig aber auch maßgebliche Bedeutung für die Versorgungsfunktion gehabt. Es habe somit eine Überlagerung von Verbindungs- und Versorgungsfunktion bestanden. Durch den Neubau der Ortsumgehung hätten die streitgegenständlichen Teilstrecken ihre vorherige Verkehrsbedeutung im Sinne einer Verbindungsfunktion verloren. Die Straße diene bei Betrachtung des Gesamtnetzes auch nicht mehr als eine durchgehende Verkehrsverbindung. Für die von der Klägerin genannten überörtlichen Streckenbeziehungen biete das bestehende klassifizierte Straßennetz Alternativen, die eine Nutzung der B 480 nicht erforderlich machten oder in Bezug auf Streckenlänge und Fahrzeit nicht nennenswert nachteilig seien. Entgegen der Auffassung der Klägerin besitze der zur Landesstraße abgestufte Abschnitt der B 480 zwischen den Netzknoten 4418001 und 4418002 eine Netzfunktion im Landesstraßennetz, weil durch die Abstufung zur Landesstraße die durchgehende Verkehrsverbindung in Ost-West-Ausrichtung zwischen den beiden Mittelzentren Büren und Marsberg gewährleistet werde. Aufgrund der zumindest regionalen Bedeutung sei die Einstufung der Straße als Landesstraße erforderlich, um den Netzschluss im Landesstraßennetz aufrechtzuerhalten. Landwirtschaftlicher Verkehr, der die Kraftfahrstraße B 480N nicht nutzen könne, sei ortsnaher und kein mindestens regionaler Verkehr, der eine Landesstraßenverbindung erforderlich machte. Zudem sei auch eine Einstufung als Kreisstraße nicht rechtmäßig möglich. Die Straße diene keinem relevanten zwischengemeindlichen Verkehr, denn sie verbinde keine Gemeindeunterzentren, die wie Grundzentren ausgestattet seien. Schließlich sei die Abstufungsverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt, denn Adressaten seien die zukünftigen Straßenbaulastträger und nicht die Allgemeinheit. Die Klägerin habe Übersichtsskizzen und Lagepläne im Verwaltungsverfahren erhalten.
19In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 14. November 2022 hat der Beklagte die Umstufungsverfügung insoweit aufgehoben und modifiziert, als die Wirkung der Umstufung erst zum 1. Januar 2023 eintritt. Im Hinblick auf den erledigten Teil der streitgegenständlichen Abstufungsverfügung haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
20Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 14. Juni 2024 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfügung sei in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Das Verkehrsministerium des Beklagten als Oberste Straßenbaubehörde sei gem. § 2 Abs. 6 Satz 1 und Satz 1 FStrG für deren Erlass zuständig. Dass die Klägerin vor der Abstufung nicht unmittelbar durch das Ministerium, sondern durch den Landesbetrieb Straßenbau angehört worden sei, sei unschädlich, weil das Bundesstraßenrecht eine Anhörung nicht ausdrücklich vorsehe. Eine etwaig nach Verwaltungsverfahrensrecht erforderliche Anhörung habe jedenfalls stattgefunden. Diese habe auch durch den Landesbetrieb Straßenbau als in dieser Konstellation mangels übertragener Hoheitsgewalt unselbständigem Teil der Landesverwaltung ohne eigenen behördlichen Charakter durchgeführt werden können. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Inhalt der Stellungnahme der Klägerin nicht vollständig bei der Entscheidungsfindung des Beklagten berücksichtigt worden sei. Die Umstufungsverfügung sei in rechtlicher Hinsicht ausreichend begründet worden, denn als öffentlich bekannt gegebene Allgemeinverfügung habe es gem. § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW keiner Begründung bedurft. Jedenfalls sei sie aus sich heraus verständlich. Die Verfügung sei auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie sei inhaltlich hinreichend bestimmt. Das verwendete Netzknotensystem sei zwar verwaltungsintern, doch letztlich mit Flurstücksbezeichnungen vergleichbar, denn die Lage jedes Netzknotens könne über die im Internet zugängliche Fachanwendung NWSIB durch jedermann nachvollzogen werden. Die materiellen Voraussetzungen für eine Abstufung der Teilstrecken zur Gemeindestraße lägen vor. Sie dienten vorwiegend noch dem Verkehr und der Erschließung innerhalb des Gemeindegebietes. Eine überörtliche oder gar regionale Verkehrsbedeutung komme ihnen nicht zu. Aus der Ausweisung der B 480N als Kraftfahrstraße ergebe sich nichts Gegenteiliges. Die Aatalklinik im Ortskern der Klägerin entfalte keine Anziehungswirkung für den überörtlichen und regionalen Verkehr. Aus § 5 StrWG NRW ergebe sich nicht, dass Ortsdurchfahrten mindestens als Kreisstraßen klassifiziert werden müssten.
21Ihre vom Senat zugelassene Berufung begründet die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend wie folgt: Sie sei entgegen § 8 Abs. 6 StrWG NRW vor Erlass der Verfügung nicht angehört worden. Die Anhörung durch den Landesbetrieb habe diese nicht ersetzen können. Es genüge nicht, dass keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Inhalt der Stellungnahme der Klägerin nicht vollständig bei der Entscheidungsfindung des Beklagten berücksichtigt worden sei. Dies müsse für den Betroffenen zumindest nachvollziehbar sein, unabhängig von einem Begründungserfordernis des Verwaltungsakts. Die unterbliebene Anhörung sei auch nicht nach § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Die Verfügung sei nicht wirksam bekanntgemacht worden und zudem unbestimmt; die Verfügbarkeit der Daten zu den Netzknoten im Internet genüge nicht. Der Vergleich mit dem amtlichen Liegenschaftskataster trage nicht. Aufgrund des adressatenlosen Charakters einer Allgemeinverfügung sei unbeachtlich, dass der Beklagte der Klägerin im Vorfeld der Bekanntmachung Kartenmaterial zur Verfügung gestellt habe. Die streitgegenständlichen Teilstrecken hätten mindestens als Kreisstraße ausgewiesen werden müssen. Der Beklagte habe den diesbezüglichen Sachverhalt unzureichend ermittelt. Er habe übersehen, dass die Tatsache, dass die B 480N das gesamte Aftetal überspanne, dazu führe, dass Verkehrsteilnehmer, die von Madfeld nach Büren oder umgekehrt fahren wollten, die streitgegenständlichen Teilstrecken befahren müssten, um von der L 956 auf die L 549 zu gelangen. Entsprechendes gelte für die Ortschaften Bleiwäsche, Leiberg und Hegensdorf, denn der Begriff „überörtlich“ in § 3 Abs. 3 StrWG NRW umfasse auch Verbindungen zwischen Gemeindesubzentren. Dabei komme es im dünn besiedelten ländlichen Raum nicht auf Einwohnerzahlen an. Für all diese Verkehrsteilnehmer stelle es einen Umweg dar, zunächst über die B 480N nach Norden zu fahren, um dann einen Teil der Strecke zurück nach Süden zu fahren, um anschließend die L 549 als Ost-West-Strecke zu erreichen. Auch der Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Detmold gehe nicht davon aus, dass die streitgegenständlichen Teilstrecken ihre Bedeutung für den überörtlichen Verkehr eingebüßt hätten. Indem der Beklagte die parallel zur B 480 verlaufende ehemalige K 36 nicht zu einer Gemeindestraße herabgestuft habe, weil diese im Falle einer Sperrung der B 480 eine Umleitungsfunktion haben könnte, habe er sich zugleich nach Treu und Glauben gebunden, diese Umleitungsfunktion (im Falle einer Sperrung der B 480N) auch für die streitgegenständlichen Teilstrecken zu berücksichtigen. Aus § 5 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW folge, dass Ortsdurchfahrten regelmäßig nicht als Gemeindestraße einzustufen seien. Schließlich sei rechtsfehlerhaft, dass das Verwaltungsgericht durch sein Urteil vom 14. Juni 2024 rückwirkend die von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung auf den 1. Januar 2023 datierte Abstufungsverfügung legitimiert habe, denn eine rückwirkende Übertragung der Straßenbaulast sei unzulässig.
22Die Klägerin beantragt,
23das angefochtene Urteil zu ändern und die Ziffern 7. und 8. der Umstufungsverfügung des beklagten Landes vom 3. Dezember 2021 aufzuheben.
24Der Beklagte beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Er verweist auf seinen Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren und die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
28Entscheidungsgründe:
29Die zulässige Berufung, deren Gegenstand nunmehr noch die Umstufungsverfügung in ihrer durch den Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht modifizierten Gestalt (Wirksamkeitszeitpunkt 1. Januar 2023) ist, ist begründet.
30Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Aufhebung der streitgegenständlichen Verfügung aufgrund formeller Mängel; die Verfügung ist jedoch materiell rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
311. Die Rechtsgrundlagen für den Erlass der Umstufungsverfügung sind § 2 Abs. 4 FStrG und § 8 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW.
32Bei der Umstufung einer Bundesfernstraße hat die für die Entscheidung zuständige oberste Landesstraßenbaubehörde zwei Teilentscheidungen zu treffen: Die erste Teilentscheidung betrifft die Abstufung der Bundesfernstraße mit der Rechtswirkung, dass die Straße ihre bisherige Eigenschaft als Bundesfernstraße verliert. Die zweite Teilentscheidung betrifft die Neueinstufung der abzustufenden Bundesfernstraße in die sich aus dem Landesrecht ergebende Straßenklasse.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. August 1979 – IV C 34.76 –, Buchholz 407.4 § 2 FStrG Nr. 1 = juris, Rn. 15.
34Die auf der Rechtsfolgenseite der Norm angesiedelte Frage, in welche niedrigere Straßenklasse eine Straße ihrer Verkehrsbedeutung nach einzuordnen ist, stellt sich erst, nachdem auf der Tatbestandsseite festgestellt ist, dass die Straße die Voraussetzungen des § 1 FStrG nicht mehr erfüllt. Die neue Einstufung ist nach dem jeweiligen Landesrecht vorzunehmen.
35Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2002 – 4 B 49.02 –, juris, Rn. 6.
36Es handelt sich dabei allerdings nicht um abtrennbare, isoliert aufhebbare Teilregelungen, sondern um Bestandteile einer einheitlichen Regelung, die nur in ihrer Gesamtheit gerichtlich überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden kann.
37Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Februar 1996 – 23 A 3150/94 –, juris, Rn. 28.
38Dabei steht der zuständigen Behörde bei beiden Teilregelungen kein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zu; die Bestimmung der künftigen Straßengruppe unterliegt vielmehr der vollen verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung.
39Vgl. für das Bundesrecht BVerwG, Urteil vom 22. August 1979 – IV C 34.76 –, Buchholz 407.4 § 2 FStrG Nr. 1 = juris, Rn. 16; für das Landesrecht Hengst / Majcherek (Hrsg.), StrWG NW, 21. EL, 2024, § 8 Rn. 2.2; Fickert, Straßenrecht, 3. Aufl. 1989, § 8 Rn. 13.
402. Die Klägerin kann die Aufhebung der streitgegenständlichen Verfügung nicht wegen formeller Mängel verlangen.
41a. Das Ministerium für Verkehr des Beklagten war gemäß § 2 Abs. 6 Sätze 1 und 2 FStrG i. V. m. § 8 Abs. 6 Satz 1 StrWG NRW für den Erlass der streitgegenständlichen Verfügung zuständig. Gemäß § 2 Abs. 6 Sätze 1 und 2 FStrG entscheidet die oberste Landesstraßenbaubehörde über die Umstufung einer Bundesfernstraße, soweit nicht dem Bund die Verwaltung zusteht. Die streitgegenständlichen Teilstrecken der B 480, einer Bundesstraße, befinden sich bisher in der Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen, das nach Art. 90 Abs. 3 GG in Auftragsverwaltung des Bundes tätig ist. Oberste Straßenbaubehörde im Land Nordrhein-Westfalen ist nach § 56 Abs. 1 StrWG NRW das für das Straßenwesen zuständige Ministerium. Dieses bestimmt auch gemäß § 8 Abs. 6 Satz 1 StrWG NRW die neue Straßengruppe.
42b. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin vor dem Erlass der Umstufungsverfügung angehört werden musste und, falls ja, ob eine Anhörung ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Denn jedenfalls könnte die Klägerin gemäß § 46 VwVfG NRW die Aufhebung der Umstufungsverfügung nicht allein wegen dieses – hier unterstellten – Verfahrensfehlers verlangen.
43Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der – wie hier die streitgegenständliche Verfügung – nicht nach § 44 VwVfG NRW nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
44Dabei kann dahinstehen, ob sich ein etwaiges Anhörungserfordernis aus dem StrWG NRW oder dem VwVfG NRW ergäbe. Denn § 46 VwVfG NRW ist auch auf das Anhörungserfordernis nach dem StrWG NRW anwendbar. Verfahrensfehler im Sinne des § 46 VwVfG NRW sind Verstöße gegen diejenigen Vorschriften, die das Verfahren von seiner Eröffnung bis zur abschließenden Entscheidung der Behörde, also bis zum Erlass des Verwaltungsakts betreffen. Vorschriften über das Verfahren im Sinne des § 46 VwVfG NRW sind die im Landesverwaltungsrecht oder in einschlägigen Fachgesetzen enthaltenen Vorgaben über das Verfahren.
45Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. Februar 2010 – 6 A 1978/07 –, DVBl 2010, 981 = juris, Rn. 94.
46Eine „Offensichtlichkeit“ i. S. v. § 46 VwVfG NRW ist bereits dann ausgeschlossen, wenn nach den Umständen des Falls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler eine andere Entscheidung getroffen worden wäre.
47Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. November 2013 – 2 B 60.13 –, Buchholz 232 § 44 BBG Nr. 27 = juris, Rn. 11.
48Eine Unbeachtlichkeit eines Verfahrensfehlers kann danach regelmäßig bei gebundenen Entscheidungen – wie der vorliegenden – angenommen werden.
49Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 6 B 231/22 –, ZfPR online 2022, Nr. 7-8, 16-19 = juris, Rn. 30.
50Anhaltspunkte dafür, dass trotz der Gebundenheit der Umstufungsentscheidung ausnahmsweise die konkrete Möglichkeit besteht, dass bei einer Anhörung nicht durch den Landesbetrieb, sondern durch das Ministerium im Verwaltungsverfahren eine andere Entscheidung getroffen worden wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Dies gilt auch für die Rüge, der Verwaltungsvorgang enthalte keine Anhaltspunkte dafür, dass die von der Klägerin erhobenen Einwände bei der Entscheidung berücksichtigt worden seien. Der Einwand der Klägerin, die ihrer Ansicht nach fehlerhafte Anhörung habe zu einer fehlerhaften Sachverhaltsermittlung geführt, führt zu keiner anderen Bewertung, denn diese Rüge zielt letztlich auf die (verwaltungsgerichtlich ohnehin voll überprüfbare) materielle Rechtmäßigkeit der Umstufungsverfügung.
51Vgl. hierzu Schoch/Schneider/Schneider, VwVfG, 5. EL Juli 2024, § 46 Rn. 61.
52c. Es kann dahinstehen, ob die Umstufungsverfügung, wie von der Klägerin gerügt, deshalb unbestimmt ist, weil die betroffenen Straßenabschnitte lediglich durch Netzknotenpunkte und nicht zusätzlich beispielsweise durch einen Lageplan oder die Angabe von Flurstücken definiert werden. Die Klägerin könnte allein hierauf gestützt eine Aufhebung der Umstufungsverfügung nicht verlangen, denn es fehlte insoweit jedenfalls an einer eigenen Rechtsverletzung i. S. v. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
53Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit aus § 37 Abs. 1 VwVfG NRW bedeutet im Allgemeinen, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts.
54Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2013 – 8 C 21.12 –, BVerwGE 148, 146 = juris, Rn.13.
55Im Falle einer Umstufung lässt sich der Adressatenkreis durch ihre Rechtswirkungen eingrenzen. Zum einen sind dies der alte sowie der künftige Träger der Straßenbaulast; weiter die Anlieger der Straße, weil sich etwa die Frage der Zulässigkeit einer Zufahrt nach der Einstufung der Straße (vgl. § 25 StrWG NRW, § 9 FStrG) richtet.
56Daran gemessen ergibt sich aus der bloßen Angabe von Netzknotenpunkten jedenfalls keine Rechtsverletzung der Klägerin; denn – dies ergibt sich bereits aus dem Verlauf des Verwaltungsverfahrens und wird von ihr im Übrigen auch nicht bestritten – die Klägerin war und ist anhand der Netzknotenpunkte in der Lage, zu bestimmen, auf welche Teilstrecken welcher Straßen sich die Umstufungsverfügung beziehen soll. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass die Umstufungsverfügung möglicherweise gegenüber anderen Adressaten wegen eines abweichenden Empfängerhorizonts zu unbestimmt ist.
57d. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Umstufungsverfügung nach § 41 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW wirksam bekanntgemacht worden. Nach dieser Vorschrift wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsaktes dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Entscheidungssatz des Verwaltungsaktes im vollen Wortlaut veröffentlicht worden ist.
58Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Februar 2001 – 11 A 5502/99 –, juris, Rn. 34.
59Dies ist im vorliegenden Fall geschehen. Ob der verfügende Teil des Verwaltungsaktes neben der Angabe der Netzknotenpunkte auch weitere Bestandteile wie Flurstücksangaben oder Lagepläne beinhalten muss, ist eine Frage der – oben schon behandelten – Bestimmtheit.
603. Die Umstufungsverfügung ist jedoch materiell rechtswidrig.
61a. Zwar ist die auf der ersten Stufe ergangene Abstufungsentscheidung rechtmäßig, denn durch den Bau der Ortsumgehung sind für die streitgegenständlichen Teilstrecken gemäß § 2 Abs. 4 FStrG die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG entfallen. Diese dienen nicht mehr dem „weiträumigen Verkehr“, weil diesem – dies bestreitet auch die Klägerin nicht – nunmehr die Ortsumgehung zur Verfügung steht, die für derartigen Verkehr unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten gegenüber der Ortsdurchfahrt mit ihren Kreisverkehren, Lichtzeichenanlagen und Ein- und Ausfahrten vorzugswürdig ist.
62b. Jedoch ist die auf der zweiten Stufe auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW ergangene Einstufungsentscheidung rechtswidrig. Die streitgegenständlichen Teilstrecken entsprechen nach ihrer Verkehrsbedeutung nicht einer Gemeindestraße.
63aa. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW wird eine öffentliche Straße bei Änderung ihrer Verkehrsbedeutung der entsprechenden Straßengruppe zugeordnet. Gemäß § 3 Abs. 1 StrWG NRW handelt es sich bei den Straßengruppen um die – in den folgenden Absätzen des § 3 StrWG NRW näher bestimmten – Landesstraßen, Kreisstraßen, Gemeindestraßen und sonstigen öffentlichen Straßen.
64Für die Verkehrsbedeutung einer öffentlichen Straße maßgebend sind die von der Straße vermittelten räumlichen Verkehrsbeziehungen. Dabei ist, da der größte Teil der Straßen eine Vielzahl von Funktionen zu erfüllen hat, allerdings nicht (allein) der durch den jeweiligen Ausbauzustand der Straße oder das jeweilige Verkehrsaufkommen bestimmte, gegebenenfalls tatsächlich überwiegende Verkehr auf der jeweiligen Straße maßgeblich. Vielmehr ist die Straße als funktionaler Teil eines Gesamtnetzes in Blick zu nehmen und auf die von der Straße nach Verlauf und Zweckbestimmung vermittelte räumliche Verkehrsbeziehung abzustellen.
65Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Februar 1996 – 23 A 3150/94 –, juris, Rn. 39; Beschlüsse vom 18. Juni 2019 – 11 A 1054/14 –, juris, Rn. 7, und vom 17. November 2023 – 11 A 182/22 –, KommJur 2024, 58 = juris, Rn. 48.
66Ausschlaggebend ist demnach die von der Straße nach ihrem Verlauf und ihrer Lage im Netz vermittelten Verkehrsbeziehung. Wie insbesondere aus der Formulierung „zu dienen bestimmt“ hervorgeht, kann nicht nur die bestehende, sondern auch die ihr zugedachte Verkehrsfunktion von Bedeutung sein.
67Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Februar 1996 – 23 A 3150/94 –, juris, Rn. 41 f.; Beschluss vom 18. Juni 2019 – 11 A 1054/14 –, juris, Rn. 12.
68bb. Daran gemessen entspricht die Verkehrsbedeutung der streitgegenständlichen Teilstrecken nach der Inbetriebnahme der Ortsumgehung nicht der einer Gemeindestraße, sondern mindestens noch der einer Kreisstraße.
69Gem. § 3 Abs. 3 StrWG NRW sind Kreisstraßen Straßen mit überörtlicher Verkehrsbedeutung, die den zwischenörtlichen Verkehrsverbindungen dienen oder zu dienen bestimmt sind; sie sollen mindestens einen Anschluss an eine Bundesfernstraße, Landesstraße oder Kreisstraße haben.
70Bei der Begriffsbestimmung der "überörtlichen Verkehrsbedeutung" ist auf den allgemeinen Wirkungsbereich der Kreise und ihre Verantwortung zur Wahrnehmung der auf ihr Gebiet begrenzten überörtlichen Angelegenheiten abzustellen.
71Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Februar 1996 – 23 A 3150/94 –, juris, Rn. 57.
72Nach dem gesetzgeberischen Willen ist den Kreisstraßen grundsätzlich die Aufgabe zugewiesen, insbesondere benachbarte Grundzentren oder vergleichbare Gemeindesubzentren mit einem ähnlichen Ausstattungsstandard wie Grundzentren zu verbinden sowie überörtlich bedeutsame Verkehrserzeuger, wie größere gewerbliche Unternehmen (z. B. Kraftwerke), Mülldeponien, Flugplätzen sowie Freizeit- und Erholungseinrichtungen anzubinden.
73Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Februar 1996 – 23 A 3150/94 –, juris, Rn. 59; Lt-Drs. 9/860, S. 53.
74„Zwischenörtlich“ bedeutet ferner nicht „Durchgangsverkehr“, so dass auch Ziel- und Quellverkehr, der in das Ortszentrum hineinführt, „zwischenörtlicher Verkehr“ im Sinne des § 3 Abs. 3 StrWG NRW sein kann.
75Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Februar 1996 – 23 A 3150/94 –, juris, Rn. 53 f.
76cc. Daran gemessen kommt den streitgegenständlichen Teilstrecken mindestens noch im Hinblick auf den Verkehr aus dem Mittelzentrum Brilon zum Ortskern der Klägerin, einem Grundzentrum, überörtliche Verkehrsbedeutung zu. Ferner dient die somit auch Gemeindegrenzen überschreitende Verkehrsverbindung insoweit mindestens einer zwischenörtlichen Verkehrsverbindung.
77Dabei geht der Senat nach Auswertung des relevanten Kartenmaterials sowie der Würdigung des Vortrags der Beteiligten zu den örtlichen Verhältnissen davon aus, dass die streitgegenständlichen Teilstrecken jedenfalls im Hinblick auf die Verbindung des Ortskerns der Klägerin über Gemeindegrenzen hinweg in südliche Richtung ihre Bedeutung nicht durch den Bau der Ortsumgehung verloren haben. So müsste ein aus Süden von Brilon kommender Verkehrsteilnehmer, wollte er die Ortsumgehung benutzen, um beispielsweise die jeweils im Ortskern gelegenen Kirchen oder die Aatalklinik zu erreichen, zunächst die Aftetalbrücke überqueren, nördlich des Ortskerns auf die L 549 und von dort in umgekehrter, also südlicher Richtung wieder in Richtung des Ortskerns der Klägerin fahren, wobei zugleich mehrere Höhenmeter auf dem serpentinenartig ausgebauten Heuweg zu überwinden wären. Selbst wenn diese Route, die jedenfalls einen Umweg bedeutet, zu gewissen Tageszeiten aufgrund etwaigen innerörtlichen Verkehrs zeitlich vorteilhaft sein sollte, erscheint es doch fernliegend, dass der überörtliche in den Ortskern strebende Verkehr die Ortsumgehung der sowohl in Himmelsrichtung als auch Distanz direkteren Variante über die streitgegenständlichen Teilstrecken vorziehen würde. Dabei stellt der Senat nicht in Abrede, dass etwaige Zeitersparnisse – die im vorliegenden Fall angesichts der überschaubaren Länge der Ortsdurchfahrt im Vergleich zur Ortsumgehung keineswegs gewiss sind – insbesondere angesichts der weiten Verbreitung GPS-gestützter Navigationshilfen zur Wahl der Ortsumgehung führen können. In der konkreten Konstellation sprechen jedoch die vorgenannten Gründe überwiegend dafür, dass die den Ortskern aus den umliegenden südlich gelegenen Gemeinden ansteuernden und in der Regel ortskundigen Verkehrsteilnehmer wie bisher die streitgegenständlichen Teilstrecken nutzen.
784. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
79Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
80Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.