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Der Bebauungsplan Nr. N01 „G. Stadtkern“ 6. Änderung der Stadt G. ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kostenschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsteller zuvor Sicherheit i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungsplan Nr. N01 „G. Stadtkern“ 6. Änderung der Antragsgegnerin.
3Die Antragsteller sind Eigentümer des an das Plangebiet angrenzenden Grundstücks D.-straße und N02 (Gemarkung G., Flur G01, Flurstück G02). Das Grundstück ist mit zwei Gebäuden bebaut, in denen u.a. verschiedene Gewerbebetriebe angesiedelt sind. Im Innenhof befinden sich Parkplätze. Das Grundstück wird über die Straße N.-straße erschlossen. Unter anderem auch dieser für die Zufahrt notwendige Teil der Straße N.-straße soll nach der Umsetzung der Planung als Fußgängerzone ausgestaltet werden.
4Das Plangebiet liegt in der Innenstadt der Antragsgegnerin am sog. Marktplatz und umfasst Verkehrsflächen der Straßen Q.-straße und N.-straße im südlichen und östlichen Teil des sog. Marktplatzes. Ziel der Aufstellung des Bebauungsplans ist es, die Funktion des „Marktplatzes“ als Bestandteil der Fußgängerzone und als etablierten Standort für ein vielfältiges gastronomisches Angebot zu stärken, indem hinter der Tiefgaragenzufahrt die Befahrung der Straßen Q.-straße und N.-straße ausschließlich mit Ausnahmeregelungen bzw. für Lieferverkehr innerhalb des dafür vorgesehenen Zeitraums ermöglicht wird. Der Bebauungsplan setzt für das Plangebiet eine Verkehrsfläche mit der Zweckbestimmung Fußgängerbereich fest.
5Das Planaufstellungsverfahren verlief folgendermaßen: Am 23.6.2020 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die Aufstellung der 6. Änderung des Bebauungsplanes Nr. N01 im Wege des vereinfachten Verfahrens nach § 13 BauGB sowie die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Bekanntmachung erfolgte im Amtsblatt des X. vom 15.7.2020 und im Internet. Der Antragsteller zu 3. erhob mit Schreiben vom 17.8.2020 Einwendungen. Am 6.10.2020 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die öffentliche Auslegung des Bebauungsplanentwurfs gemäß § 3 Abs. 2 BauGB. Die Bekanntmachung erfolgte im Amtsblatt des X. vom 28.10.2020 und im Internet. Mit Schreiben vom 5.12.2020 machten die nunmehr anwaltlich vertretenen Antragsteller Einwendungen geltend. Der Haupt- und Personalausschuss der Antragsgegnerin beschloss am 26.1.2021 den Entwurf des Bebauungsplanes gemäß § 4a Abs. 3 BauGB erneut öffentlich auszulegen. Dies sei erforderlich, da zwischenzeitlich weitere Details zu den Verkehrsregelungen ermittelt und in die Begründung aufgenommen worden seien. Die Bekanntmachung unter Angabe des Einsichtnahmezeitraums im Internet und im Rathaus II in der Zeit vom 3.3.2021 bis zum 6.4.2021 erfolgte im Amtsblatt des X. vom 24.2.2021 und im Internet. Die Antragsteller wandten sich erneut mit Schreiben vom 23.3.2021 gegen die Planung. Am 29.6.2021 beschloss der Rat der Antragsgegnerin den Bebauungsplan als Satzung. Die Bekanntmachung erfolgte im Amtsblatt des X. am 14.7.2021 und im Internet.
6Die Antragsteller haben am 20.6.2022 den Normenkontrollantrag gestellt.
7Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Der Bebauungsplan verletze das Abwägungsgebot. Durch die beabsichtigte Einziehung der bisher „gemischtgenutzten Verkehrsfläche mit verkehrsberuhigtem Charakter, Fahrrecht für Anlieger“ zugunsten der besonderen Zweckbestimmung Fußgängerbereich würde erheblich in ihre Interessen eingegriffen. Der Bebauungsplan überlasse die Ausgestaltung der Zufahrtsrechte der in ihrem Gebäude ansässigen Gewerbebetriebe der Verwaltung. Damit sei kein gesicherter Zugang für die Inhaber der Gewerbebetriebe, deren Mitarbeiter, der Kunden und der Zulieferer sichergestellt. Dieser Belang sei zwar gesehen, der sich daraus ergebende Zielkonflikt jedoch nicht innerhalb des Bebauungsplans gelöst worden. Vielmehr weise der Bebauungsplan ein erhebliches Abwägungsdefizit im Planergebnis aus. Der Bebauungsplan leide zudem an einem Bekanntmachungsmangel. Die Bekanntmachung sei vor der Ausfertigung erfolgt. Der Ausfertigungsvermerk auf der Planurkunde sei vom Bürgermeister am 13.7.2021 unterzeichnet worden. Die Bekanntmachungsanordnung als Beginn der Verkündung sei hingegen bereits am 12.7.2021 unterzeichnet worden. Weiterhin sei der Bebauungsplan unwirksam, da er als unselbstständige Änderung keine wirksame Grundlage habe. Die 6. Änderung sei ohne den ihr zugrundeliegenden Ursprungsbebauungsplan nicht funktionsfähig. Dieser Ursprungsbebauungsplan Nr. N01 „G. Stadtkern“ in der Fassung des Satzungsbeschlusses vom 26.09.1980 sei unwirksam und könne deshalb nicht Grundlage für Änderungsbebauungspläne sein. Es fehle in dem festgesetzten Kerngebiet an dem notwendigen Übergewicht der Handelsbetriebe bzw. zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, Verwaltung und Kultur. Vielmehr überwiege nach der Planfestsetzung das zulässige Wohnen.
8Die Antragsteller beantragen,
9die 6. Änderung des Bebauungsplans Nr. N01 „G. Stadtkern“ der Antragsgegnerin vom 14.7.2021 für unwirksam zu erklären.
10Die Antragsgegnerin beantragt,
11den Antrag abzulehnen.
12Zur Begründung führt sie aus: Der Normenkontrollantrag sei unbegründet. Insbesondere genüge die Planung dem Abwägungsgebot. Der Rat habe die Folgen der Planung für die Antragsteller gesehen und in seine Entscheidung in nicht zu beanstandender Weise einbezogen. Auch nach Umsetzung des Bebauungsplans sei die Befahrbarkeit des Änderungsbereichs für die Antragsteller, die betroffenen Gewerbetreibenden, deren Mitarbeiter und deren Zulieferer jederzeit möglich und gesichert, sofern vorab eine Ausnahmegenehmigung eingeholt werde. Dies gelte auch für den Fall eines häufigen Nutzerwechsels. Das der Bebauungsplan die Details der Zufahrtsmöglichkeiten nicht benenne, sei unschädlich, da die notwendigen Rahmenbedingungen hinreichend bestimmt benannt seien. Die Bebauungsplanänderung trage zu einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und zum Wohl der Allgemeinheit bei. Auch das Vorfahren mobilitätsbeschränkter Personen sei mit Ausnahmegenehmigung möglich, die unter anderem einige Taxiunternehmen besäßen. Ansonsten müsse lediglich ein Fußweg von ca. 65 m zurückgelegt werden. Hinsichtlich der von den Antragstellern angeführten 10 Stellplätze seien lediglich drei Stellplätze für die Modeboutique im Hinterhof feststellbar. Eine Ortsbegehung habe ergeben, dass diese drei Stellplätze auch außerhalb der Öffnungszeiten fast durchgängig belegt gewesen seien, so dass davon auszugehen sei, dass den Kunden ohnehin in der Regel nicht drei Stellplätze zur Verfügung stünden.
13Der Berichterstatter des Senats hat die Örtlichkeit am 10.7.2024 besichtigt. Wegen der dabei getroffenen Feststellungen wird auf die dazu gefertigte Niederschrift und die Lichtbilder im dortigen Verfahren Bezug genommen.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Vorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
16Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend auf eine solche verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
17Der Antrag ist zulässig
18Die Antragsteller sind antragsbefugt.
19Antragsbefugt ist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO jede natürliche Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt werden zu können. Ein Antragsteller genügt seiner Darlegungspflicht nur, wenn er hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die angegriffene Norm in einer eigenen Rechtsposition verletzt wird. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind keine höheren Anforderungen zu stellen als nach § 42 Abs. 2 VwGO. Die mögliche Verletzung eines subjektiven Rechts kann auch aus einem Verstoß gegen das Abwägungsgebot aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen. Antragsbefugt kann in einem solchen Fall derjenige sein, der sich auf einen abwägungserheblichen Belang berufen kann.
20Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.1.2018
21- 4 BN 33.17 -, BRS 86 Nr. 192 = juris, Rn. 4 f., m. w. N.
22Macht ein Eigentümer eines außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücks- wie hier die Antragsteller - eine Verletzung des Abwägungsgebots aus § 1 Abs. 7 BauGB geltend, muss er einen eigenen Belang benennen, der nach Lage der Dinge von der planenden Gemeinde bei der Abwägung zu beachten war. Nicht jeder Belang ist in der Abwägung zu beachten, sondern nur solche, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben. Im Weiteren können alle (betroffenen) Interessen unbeachtet bleiben, die entweder objektiv geringwertig oder aber - sei es überhaupt, sei es im gegebenen Zusammenhang - nicht schutzwürdig sind.
23Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9.10.2018
24- 2 D G01/17.NE -, BRS 86 Nr. 191 = BauR 2019, 508 = juris, Rn. G01, m. w. N.
25Eine Antragsbefugnis ist danach mit Blick auf das Vorbringen der Antragsteller anzunehmen, mit der Umsetzung der Planung werde die Nutzbarkeit der auf ihrem Grundstück vorhandenen und an die dortigen Gewerbebetriebe vermieteten Stellplätze eingeschränkt bzw. unmöglich gemacht. Dies führe zu Umsatzverlusten der Gewerbebetriebe und Mietausfällen bei ihnen, den Antragstellern.
26Das Rechtsschutzbedürfnis ist ebenfalls gegeben.
27Der Antrag ist fristgerecht innerhalb eines Jahres nach der erfolgten Bekanntmachung des Bebauungsplans gestellt worden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
28Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.
29Der Plan leidet an einem beachtlichen formellen Mangel, weil er nicht rechtzeitig ausgefertigt worden ist.
30Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass förmlich gesetzte Normen verkündet werden.
31Voraussetzung für die Bekanntmachung einer Rechtsnorm ist, dass der Inhalt der bekanntzumachenden Norm feststeht. Ein Bebauungsplan muss deshalb vor seiner Bekanntmachung ausgefertigt werden, damit die Identität des Norminhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen feststeht. Der Bekanntmachungsakt beginnt mit der Unterzeichnung der Bekanntmachung durch das zuständige Gemeindeorgan (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 BekanntmVO NRW). Infolgedessen ist es notwendig, dass der Ausfertigungsvermerk vor der Bekanntmachung unterzeichnet wird. Nur diese Reihenfolge genügt dem genannten Zweck der Ausfertigung, die Identität des Norminhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen sicherzustellen. Das zuständige Gemeindeorgan muss sich vor der Unterzeichnung der Bekanntmachung vergewissern, dass die Planurkunde den richtigen Inhalt hat. Auf den (späteren) Zeitpunkt, zu dem das Amtsblatt erscheint, oder in dem die öffentliche Bekanntmachung auf andere Weise vollzogen wird (vgl. § 4 Abs. 1 BekanntmVO NRW), kommt es hingegen nicht an.
32Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6.9.2018 - 7 D 10/16.NE -, BRS 86 Nr. 16 = BauR 2018, 1974 = juris, Rn. 25f., m. w. N.
33Diesen Anforderungen wird vorliegend nicht genügt.
34Das Bekanntmachungsverfahren begann hier spätestens mit der Unterzeichnung der Bekanntmachung durch den Bürgermeister am 12.7.2021 (Beiakte Heft 3, Blatt 428). Zu diesem Zeitpunkt stand die Identität des Norminhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen nicht fest, weil es an einer Ausfertigung des Plans fehlte.
35Für das nordrhein-westfälische Landesrecht ist geklärt, dass es für die Ausfertigung von Bebauungsplänen erforderlich ist, dass eine Originalurkunde geschaffen wird, auf welcher der (Ober-)Bürgermeister als Vorsitzender des Rates, des zuständigen Beschlussorgans der Gemeinde, zeitlich nach dem Ratsbeschluss und vor der Verkündung der Satzung schriftlich bestätigt, dass der Rat an einem näher bezeichneten Tag diesen Bebauungsplan als Satzung beschlossen habe.
36Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6.9.2018 - 7 D 10/16.NE -, BRS 86 Nr. 16 = BauR 2018, 1974 = juris, Rn. 31, m. w. N.
37Eine solche Ausfertigung erfolgte erst am 13.7.2021, was sich aus dem auf diesen Tag datierten und unterschriebenen Vermerk des Bürgermeisters der Antragsgegnerin auf der Planurkunde ergibt.
38Dass es auf der Planurkunde oberhalb der Unterschrift über dem Datum 13.7.2021 heißt: „Ausgefertigt: 12.7.2021“ führt zu keinem anderen Ergebnis. Entscheidend für die Ausfertigung ist die durch die Unterschrift erfolgte schriftliche Bestätigung des Bürgermeisters, dass die Planurkunde dem Satzungsbeschluss entspricht. Maßgeblich ist somit der Zeitpunkt, an dem der Ausfertigungsvermerk unterschrieben wird, hier der 13.7.2021.
39Darauf, dass die Veröffentlichung im Amtsblatt erst am 14.7.2021 erfolgte, kommt es nach den dargelegten Grundsätzen nicht an.
40Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass es sich bei dem angegriffenen Plan entgegen dem Vorbringen der Antragsteller nicht um einen unselbständigen Bebauungsplan handelt. Unselbständig sind (nur) solche Änderungen, die ohne den zugrunde liegenden Ursprungsplan nicht „lebensfähig“ wären.
41Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5.9.2017 - 7 A 1667/16 -, juris, Rn. 55.
42Der angegriffene Bebauungsplan entfaltet unabhängig von dem Ursprungsplan seine Wirkung als selbständige Straßenplanung. Dass die sich an das Plangebiet anschließenden Straßenflächen von dem Ursprungsplan erfasst werden, steht dem nicht entgegen.
43Einen durchgreifenden Abwägungsfehler hinsichtlich der Interessen der Antragsteller am unveränderten Erhalt der Zu- und Abfahrtsmöglichkeiten zu ihrem Grundstück vermag der Senat - ungeachtet der Frage einer rechtzeitigen Rüge nach § G02 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB - ebenfalls nicht zu erkennen.
44Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
45Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.
46Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.