Seite drucken Seite drucken   Entscheidung als PDF runterladen Entscheidung als PDF runterladen

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 A 856/23

Datum:
30.09.2024
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 A 856/23
ECLI:
ECLI:DE:OVGNRW:2024:0930.6A856.23.00
 
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 757/21
Schlagworte:
Zuvielarbeit Mehrarbeit Arbeitszeit Beamtenrechtlicher Ausgleichsanspruch Unionsrechtlicher Haftungsanspruch Bereitschaftsdienst Feuerwehr Ausrückzeit Bezugszeitraum
Normen:
LBG NRW § 60 Abs. 2; LBG NRW § 61 Abs. 1 Satz 2; BGB § 242; RL 2003/88/EG Art. 2 Nr 1; RL 2003/88/EG Art. 6 Buchst. b); RL 2003/88/EG Art.16 Buchst. b); RL 2003/88/EG Art. 22 Abs. 1; AZVO NRW § 2; AZVO NRW § 6 ; AZVO NRW § 7; AZVOFeu NRW § 2; AZVOFeu NRW § 5; BMVerGV; VwGO § 155 Abs. 2
Leitsätze:

1. Zum Bestehen eines beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs aufgrund rechtswidriger Inanspruchnahme eines Beamten des feuerwehrtechnischen Dienstes über die höchstens zulässige Arbeitszeit hinaus.

2. Maßgeblich für die Qualifizierung von Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit ist das durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf der Grundlage der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung entwickelte Begriffsverständnis, dem der Arbeitszeitbegriff im nationalen Arbeitszeitrecht entspricht.

3. Muss ein Beamter des feuerwehrtechnischen Dienstes während des Bereitschaftsdienstes im Falle einer Alarmierung innerhalb von 90 Sekunden mit seinem Dienstfahrzeug ausrücken, ist diese Bereitschaftsdienstzeit - ungeachtet einer Aufenthaltsvorgabe des Dienstherrn und der Häufigkeit der Alarmierung - als Arbeitszeit zu qualifizieren, sofern nicht die ihm während der Bereitschaftsdienstzeit gewährten Erleichterungen ausnahmsweise die durch die kurze Reaktionsfrist bedingten Einschränkungen in den Möglichkeiten der Freizeitgestaltung überwiegen.

4. Ergeben sich aufgrund der Kürze der vorgegebenen Ausruckfrist für den Beamten erhebliche, nicht kompensierte Einschränkungen in den Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, kommt es für die Einordnung als Arbeitszeit nicht entscheidend auf die Häufigkeit der Alarmierung an.

5. § 6 Abs. 2 Satz 1 AZVO NRW verstößt gegen Unionsrecht und hat deshalb außer Anwendung zu bleiben, soweit die Norm die Anrechnung von Zeiten der Rufbereitschaft als Arbeitszeit ausschließt, die als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG einzustufen sind.

6. Für Beamte des feuerwehrtechnischen Dienstes im Land Nordrhein-Westfalen existiert keine nationale Rechtsnorm im Sinne des Art. 16 Buchst. b) Unterabs. 1 RL 2003/88/EG, die den Bezugszeitraum für die Berechnung der durchschnittlichen Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG wirksam verlängert hat.

7. Rechtsfolge des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs wegen rechtswidriger Zuvielarbeit ist ein Freizeitausgleich in vollem Umfang. Nur, wenn die Gewährung von Freizeitausgleich aus vom Berechtigten nicht zu vertretenden, zwingenden dienstlichen Gründen ausscheidet, wandelt sich der Anspruch in einen solchen auf finanziellen Ausgleich um.

8. Die Richtlinie 2003/88/EG verlangt nicht, dass ein rein mitgliedstaatlicher Ausgleichsanspruch für die Überschreitung der mitgliedstaatlich geregelten regelmäßigen Arbeitszeit eine bestimmte Höhe hat. Soweit allerdings die unionsrechtliche Höchstarbeitszeit überschritten wird, ist die Zuvielarbeit in vollem Umfang auszugleichen.

9. Nebenforderungen, die gemäß § 43 Abs. 1 GKG bei der Streitwertbemessung außer Betracht bleiben, können bei der Bildung der Kostenquote zu berücksichtigen sein.

 
Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Berufung zurückgenommen hat.

Das angefochtene Urteil wird, soweit es nicht rechtskräftig geworden ist, geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 18.1.2021 verurteilt, für die von dem Kläger ab dem 1.9.2013 bis zum 31.10.2023 über die Höchstwochenarbeitszeit von 48 Stunden hinaus geleisteten und noch nicht ausgeglichenen Alarmbereitschaftsdienstzeiten eine Entschädigung in Höhe von 116.865,78 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen tragen unter Einbeziehung des rechtskräftig gewordenen Teils der erstinstanzlichen Kostenentscheidung der Kläger zu 40% und die Beklagte zu 60%.

Das Urteil ist für den Kläger sowie wegen der Kosten für die Beklagte vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 14 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 28 30 31 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176
 

Seite drucken Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen Entscheidung als PDF runterladen

logo_justiz-nrw-online_rechtsprechungsdatenbank