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Erfolglose Klage eines Stadtinspektoranwärters gegen seinen Ausschluss von der Wiederholungsprüfung wegen besonders schweren ordnungswidrigen Verhaltens durch Übernahme wesentlicher Teile des Praxisberichts seines Vorgängers in die damit nur vermeintlich eigene Studienleistung.
Hinsichtlich der Frage, ob ein besonders schwerer Fall eines ordnungswidrigen Verhaltens im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. vorliegt, steht dem beklagten Land kein Beurteilungsspielraum zu; die Entscheidung unterliegt vielmehr uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle.
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger war Studierender des Einstellungsjahrgangs 2019 bei der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV) im Studiengang "Kommunaler Verwaltungsdienst - Allgemeine Verwaltung (LL.B.)" und zugleich von der Stadt E. zum Stadtinspektoranwärter ernannt.
3Den fachpraktischen Studienabschnitt in dem Modul 10.1 (Organisation und Personalwesen) absolvierte der Kläger als dritten Praxiseinsatz am Ende seines zweiten Studienjahres im Fachbereich "Vergabe und Beschaffung" der Stadt E.. Zu Beginn des Studienabschnitts teilte der Praxisanleiter dem Kläger mit, dass dieser die fachpraktische Prüfung in Form des Praxisberichts absolvieren solle. Im September 2021 reichte der Kläger seinen Bericht über den Praxiseinsatz ein. Mit E-Mail vom 21.9.2021 teilte ihm die HSPV unter Hinweis auf die Möglichkeit der Stellungnahme mit, bei der Korrektur des Berichts sei der Verdacht entstanden, dass ein Plagiat durch Übernahme von Inhalten aus dem Praxisbericht seines Kommilitonen J. vorliege. Die E-Mail enthielt eine beispielhafte tabellarische Gegenüberstellung des Inhaltsverzeichnisses und der wörtlichen Übereinstimmungen in den schriftlichen Ausarbeitungen einerseits sowie der sinngemäßen Parallelen durch Umformulierungen bzw. Umschreibungen andererseits.
4Der Kläger bestätigte am 27.9.2021 per E-Mail, dass er den von seinem Kommilitonen J. angefertigten Praxisbericht als Grundlage für seinen eigenen Bericht verwendet habe. Er bedaure dieses Vorgehen sehr und entschuldige sich ausdrücklich für dieses unschöne Verhalten. Während der Anfertigung des Berichts habe er zeitlich unter großem Druck gestanden, weil er sich für das bevorstehende Erasmussemester um Flüge und eine Unterkunft habe kümmern müssen und zugleich für eine mögliche Wiederholungsklausur gelernt habe. Außerdem habe er ja während des Praxiseinsatzes arbeiten müssen, weshalb er nach Möglichkeiten Ausschau gehalten habe, sich das Anfertigen des Berichts zu erleichtern. Ihm sei bewusst, dass es nicht ganz fein gewesen sei, den Urheber des Textes nicht zu nennen; dies habe er aber als nicht so problematisch empfunden, da es sich um kein veröffentlichtes oder wissenschaftliches Werk gehandelt habe und weder ein Literaturverzeichnis noch Fußnoten gefordert gewesen seien. Er habe im Grunde nichts anderes gemacht, als das, was in der Praxis üblich sei. Dort arbeite man mit Textbausteinen, was die Arbeit erleichtere und vor Fehlern schütze. Zudem habe er gezeigt, dass Bequemlichkeit eine wertvolle Eigenschaft sei, weil sie zur effektiven Arbeitsweise führe. Dies sei in der Berufspraxis gefordert. Das Inhaltsverzeichnis sei weitgehend identisch mit dem seines Kommilitonen, weil ihm sein Praxisanleiter dieses Inhaltsverzeichnis als Screenshot per E-Mail zugeschickt und ihn dabei ausdrücklich dazu aufgefordert habe, dieses für seine eigene Arbeit zu übernehmen.
5In der daraufhin eingeholten Stellungnahme des Praxisanleiters N. gab dieser an, dem Kläger gegenüber Folgendes erwähnt zu haben: Der vorherige Anwärter, Herr J., habe auch einen Praxisbericht geschrieben, dafür allerdings nur einen Bruchteil der nun dem Kläger zur Verfügung stehenden Zeit gehabt, weil zunächst ein Themenvortag als Prüfungsform geplant gewesen sei. Er, der Praxisanleiter, habe gemeint, der Kläger könne den Kommilitonen J. wegen Ratschlägen bezüglich der Umsetzung des Berichts ansprechen. Das Inhaltsverzeichnis sei von ihm nicht als Lösungshilfe oder Vorgabe mitgegeben worden. Als Orientierungshilfe bezüglich der Migration habe er auf den abteilungsinternen Workflow verwiesen. Insoweit sei das Inhaltsverzeichnis des vorherigen Anwärters nicht hilfreich gewesen, weil es diesen Workflow nicht richtig wiedergebe. Es habe allenfalls als grobe Orientierungshilfe des generellen Aufbaus dienen können.
6Der Prüfungsausschuss Bachelor (im Folgenden Prüfungsausschuss) legte in seiner 36. Sitzung vom 2.11.2021 als Beschluss 54/2021 die Tagesordnung der 35. Sitzung fest (gemeint vermutlich: 36. Sitzung). Unter dem Tagesordnungspunkt 8 des Verlaufsprotokolls für die 36. Sitzung war das ordnungswidrige Verhalten des Klägers aufgeführt. Bestandteil der Beschlussvorlage für diesen Tagesordnungspunkt war eine zehnseitige tabellarische Gegenüberstellung der größtenteils identischen Passagen im Inhaltsverzeichnis und in der schriftlichen Ausarbeitung mit dem Hinweis darauf, dass die übernommenen Ausführungen zum Teil auch fachlich falsch seien. Bei der Würdigung des Fehlverhaltens des Klägers stellte der Prüfungsausschuss ausweislich des Protokolls u. a. auf den Umfang der übernommenen Passagen von 75 % des Praxisberichts, auf die Vergleichbarkeit mit dem Abschreiben von der Klausur eines Anderen und das "Erschleichen" von 13 Leistungspunkten mit einfachsten Mitteln sowie auf die Bedeutung des Praxisberichts als Studienleistung ab. Anschließend fasste der Prüfungsausschuss den folgenden Beschluss 60/2021: "Der Prüfungsausschuss Bachelor bei der HSPV NRW stellt einstimmig ein besonders schweres ordnungswidriges Verhalten des [Klägers] im Rahmen der Anfertigung eines Praxisberichts fest und verhängt eine Sanktion nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 Teil A StudO-BA. Die Studienleistung wird deshalb mit 'nicht ausreichend' (5,0) bewertet und [der Kläger] von der weiteren Fortsetzung des Studiums ausgeschlossen. Das Prüfungsamt wird beauftragt, den entsprechenden Bescheid zu erlassen […]."
7Mit Bescheid vom 16.11.2021 teilte die HSPV dem Kläger mit, dass bei seiner Prüfungsleistung ein ordnungswidriges Verhalten vorliege und die Prüfungsleistung daher mit "nicht ausreichend“ (5,0) bewertet werde. Es handle sich zudem um einen besonders schweren Fall ordnungswidrigen Verhaltens und er werde daher von einer Wiederholung der Studienleistung ausgeschlossen. Die Modulprüfung sei damit endgültig nicht bestanden. Die Fortsetzung des Studiums sei ausgeschlossen. Zur Begründung wird unter vollständiger Wiedergabe der tabellarischen Gegenüberstellung der übernommenen Passagen ausgeführt, der Kläger habe erhebliche Teile des Praxisberichts nicht selbstständig ausgearbeitet und damit über das Vorliegen von Erfahrungswissen sowie darüber getäuscht, wer den vorgelegten Text tatsächlich verfasst habe. U. a. die Angaben des Klägers im Rahmen der Anhörung sprächen eindeutig für das Vorliegen des für den subjektiven Tatbestand der Täuschung notwendigen Vorsatzes. Er habe zugegeben, den von seinem Kommilitonen angefertigten Bericht als Vorlage für seinen eigenen Bericht verwendet zu haben. Dies habe er als in der Praxis übliche Vorgehensweise sogar lobend hervorgehoben. Dass er seinen Angaben nach unter großem zeitlichen Druck gestanden habe, lasse den Vorsatz nicht entfallen. Für den Täuschungsvorsatz spreche auch der Umfang des übernommenen Textes von etwa 75 % des Praxisberichts. Der Prüfungsausschuss habe dieses ordnungswidrige Verhalten ferner als besonders schweren Fall eingeordnet. Der Kläger habe gewusst, dass eine persönliche Ausarbeitung über seine eigenen Erfahrungen erwartet worden sei. Für den Praxisbericht erlangten die Studierenden 13 Leistungspunkte, die relevant für die Abschlussnote des Bachelorstudienganges seien. In der Gesamtschau wirke sich nicht nur die Bachelornote, sondern auch die Täuschung über Wissen, welches nicht vorhanden sei, in relevanter Art und Weise auf den späteren Einsatz im Berufsleben im öffentlichen Dienst aus. Schließlich seien der Umfang der Täuschungshandlung und das Vorliegen des direkten Vorsatzes als besonders schwerer Fall zu werten mit der Folge, dass die Prüfungsleistung mit "nicht ausreichend" bewertet und darüber hinaus deren Wiederholung ausgeschlossen werden könne. Davon habe der Prüfungsausschuss Gebrauch gemacht und bei der Ermessensentscheidung die Intensität des ordnungswidrigen Verhaltens sowie das Maß der Beeinträchtigung der Chancen der übrigen Teilnehmer berücksichtigt. Auch unter Berücksichtigung generalpräventiver Überlegungen komme sowohl die bloße Anordnung der Wiederholung des Praxisberichts als auch die alleinige Bewertung der Prüfungsleistung mit "nicht ausreichend" nicht in Betracht. Es sei auch kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Zweckes ersichtlich. Der Kläger habe durch sein Verhalten das Fairnessgebot gegenüber seinem Kommilitonen in eklatanter Weise verletzt und den Grundsatz der Chancengleichheit in der Prüfung erheblich beeinträchtigt. Dies wiege angesichts des zunehmenden Wettbewerbs der Fachhochschulabsolventen und immer weniger freier Beförderungsstellen im gehobenen Dienst besonders schwer.
8Der Kläger hat am 16.12.2021 Klage erhoben und zu deren Begründung im Wesentlichen vorgetragen, an einen Praxisbericht seien andere Maßstäbe anzulegen als an eine Seminar- oder Bachelorarbeit. Es handele sich dabei nicht um eine wissenschaftliche Arbeit. Er habe weder eine Eigenständigkeitserklärung abgeben noch Fußnoten einfügen müssen. Da es für diesen Bereich keine Regularien gebe, könne ihm nicht einfach unterstellt werden, ihm habe bewusst sein müssen, was von ihm erwartet werde.
9Der Kläger hat die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen, soweit er ursprünglich beantragt hat, das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 16.11.2021 zu verpflichten, das Prüfungsverfahren fortzusetzen.
10Er hat zuletzt beantragt,
11den Bescheid des beklagten Landes vom 16.11.2021 aufzuheben, soweit das beklagte Land darin feststellt, dass ein besonders schwerer Fall des ordnungswidrigen Verhaltens vorliegt und die sich daraus ergebenden rechtlichen Folgen ausspricht.
12Das beklagte Land hat beantragt,
13die Klage abzuweisen,
14und zur Begründung unter Verweis auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides vorgetragen, die "Abschreibleistung" erfülle als Täuschung die tatbestandlichen Voraussetzungen der Nrn. 2 und 3 des § 20 Abs. 1 Satz 1 StudO-BA Teil A.
15Mit Urteil vom 19.10.2022 hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufgehoben, soweit darin festgestellt wird, dass ein besonders schwerer Fall ordnungswidrigen Verhaltens vorliegt, und der Prüfungsausschuss die sich daraus ergebenden Folgen ausspricht. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Das beklagte Land habe zu Unrecht einen besonders schweren Fall der Täuschung angenommen. Ein solcher Fall sei anzunehmen, wenn der Prüfling ‑ objektiv - die Regeln der Leistungserbringung in weitgehendem Maße zu seinen Gunsten verändert habe und darüber hinaus - subjektiv - ein der eingetretenen Verletzung der Chancengleichheit entsprechendes hohes Maß an Täuschungsenergie vorliege. Letzteres sei nicht der Fall. Der Praxisbericht sehe weder Fußnoten noch ein Literaturverzeichnis noch die Abgabe einer Eigenständigkeitserklärung vor und sei außerdem erst im Einstellungsjahrgang des Klägers eingeführt worden, so dass die Studierenden mit den dafür geltenden Regeln noch nicht vertraut gewesen seien. Das habe der Kläger auch gegenüber seinem Praxisanleiter zum Ausdruck gebracht, der ihn auf den Bericht des Kommilitonen hingewiesen habe. Dies erlaube zwar nicht die Übernahme des Inhalts in dem vorgeworfenen Umfang, spreche aber gegen eine gesteigerte Täuschungsenergie. Denn dem Kläger sei bewusst gewesen, dass sein Praxisanleiter den Bericht des Kommilitonen noch im Kopf gehabt habe. Er habe daher eher naiv gehandelt und weder bei der Übernahme der fremden Arbeit planvoll agiert noch täuschungsverschleiernde Maßnahmen ergriffen. Da es an den subjektiven Voraussetzungen eines besonders schweren Falls fehle, könne dahinstehen, ob ein solcher objektiv gegeben sei. Dagegen spreche, dass beide Studierenden offensichtlich identische und weitgehend technisch vorgegebene Arbeitsabläufe zu beschreiben gehabt hätten.
16Mit Beschluss vom 8.4.2024 hat der Senat die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil zugelassen. Zu deren Begründung macht das beklagte Land die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid ergänzend im Wesentlichen geltend: Der Prüfungsausschuss sei für die Entscheidung über das ordnungswidrige Verhalten des Klägers zuständig gewesen, obwohl in der 29. Sitzung dieses Ausschusses am 4.2.2020 u. a. Entscheidungen nach § 20 StudO-BA Teil A dem Vorsitzenden übertragen worden seien. Diese Übertragung sei gemäß § 7 Abs. 4 StudO-BA Teil A widerruflich erfolgt. In seiner 36. Sitzung am 2.11.2021 habe sich der Prüfungsausschuss entsprechend der Verwaltungspraxis, über potentiell besonders schweres ordnungswidriges Verhalten selbst zu entscheiden, mit dem Fall des Klägers befasst. Die objektiven Voraussetzungen eines besonders schweren Falls seien gegeben. Da 75 % des Praxisberichts von der Vorlage abgeschrieben bzw. leicht modifiziert übernommen seien, bleibe kein Raum für eine Bewertung des übrigen Teils als eigenständige Prüfungsleistung. Die Bedeutung des Umfangs der "Abschreibleistung" werde auch nicht durch eine gewisse Übereinstimmung der technischen Abläufe der Praktika geschmälert, denn jeder Prüfling habe doch seinen eigenen Sprachstil, Wortschatz und Denkweise, seine Erfahrungen darzustellen. Aufgrund der Quantität der abgeschriebenen Textstellen spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins für eine gesteigerte Täuschungsenergie. Dies werde auch nicht durch die nicht nachvollziehbare Annahme des Verwaltungsgerichts erschüttert, der Kläger habe bei der Übernahme der fremden Arbeit weder planvoll agiert noch täuschungsverschleiernde Maßnahmen ergriffen, bzw. sei eher naiv davon ausgegangen, dass es nicht auffallen werde. Naivität stehe einer gesteigerten Täuschungsenergie nicht entgegen, da auch in taktisch unklugem Vorgehen besondere Gleichgültigkeit und Dreistigkeit zum Ausdruck kommen könnten, was gegen eine geringe Täuschungsenergie spreche. Dreistigkeit sei hier gegeben, weil der Kläger seine Vorgehensweise nachträglich sogar lobend hervorgehoben habe. Dass bei dem Praxisbericht keine Eigenständigkeitserklärung abzugeben und weder Fußnoten noch ein Literaturverzeichnis vorgesehen seien, dürfe nicht zur Folge haben, dass in solchen Fällen Abschreiben nie als besonders schwerer Fall geahndet werden könnte. Die Verpflichtung zur eigenständigen Anfertigung des Praxisberichts ergebe sich aus der Natur der Sache. Nach dem Zweck dieser Studienleistung solle der Prüfling nachweisen, sich mit den Zielen, dem Ablauf und den Ergebnissen des fachpraktischen Studienabschnitts auseinandergesetzt zu haben. Charakteristisch für diesen Bericht sei, eigene Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem fachpraktischen Studienabschnitt zu verschriftlichen. Selbst wenn der Kläger aufgrund der Einführung des Praxisberichts erst ab seinem Einstellungsjahrgang diese Prüfungsform noch nicht gekannt habe, wisse doch jeder Prüfling, dass er nicht die Leistungen anderer übernehmen dürfe, anstatt eigene Leistungen zu erbringen. Der Kläger sei außerdem bereits mit dem Verfassen häuslicher Arbeiten vertraut gewesen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass mit dem Praxisbericht 13 Leistungspunkte zu erlangen seien. Damit habe diese Prüfungsform im Vergleich zu anderen Prüfungsformen größeres Gewicht. Das gelte auch für den Einfluss der erreichten Benotung auf die Note des Bachelor-Abschlusses insgesamt. Als reine Mutmaßung erweise sich die erstinstanzliche Einschätzung, dem Kläger sei bewusst gewesen, dass der Praxisanleiter den Bericht des anderen Auszubildenden noch im Kopf gehabt habe und seinen eigenen Bericht vor diesem Hintergrund lesen würde. Eine solche Vorstellung des Klägers sei weder dem Verwaltungsvorgang noch dem Protokoll der Sitzung des Prüfungsausschusses und auch nicht dem Vorbringen im Klageverfahren zu entnehmen. Entgegen der Behauptung des Klägers habe der Praxisanleiter ausweislich seiner Stellungnahme im Verwaltungsverfahren das Inhaltsverzeichnis des Kommilitonen weder dem Kläger überlassen noch ausdrücklich als Vorlage anempfohlen.
17Das beklagte Land beantragt,
18das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
19Der Kläger beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Er trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Den von der HSPV vorgelegten Unterlagen sei nicht zu entnehmen, dass der Prüfungsausschuss die Übertragung der Entscheidungen u. a. nach § 20 StudO-BA Teil A auf seinen Vorsitzenden widerrufen habe. Dennoch habe der Prüfungsausschuss über die Folgen des streitbefangenen ordnungswidrigen Verhaltens entschieden. Darüber helfe auch nicht hinweg, dass es vorliegend um einen schweren Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG gehe. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, ihm - dem Kläger - sei bewusst gewesen, dass der Praxisanleiter den Bericht des Kommilitonen noch im Kopf gehabt habe, entbehre nicht jeglicher Grundlage. Dafür spreche, dass ihm das Inhaltsverzeichnis des fraglichen Berichts als Screenshot per E-Mail mit der ausdrücklichen Aufforderung zugesandt worden sei, dieses Inhaltsverzeichnis für die eigene Arbeit zu übernehmen. Aus der Gegenüberstellung der beiden Berichte ergebe sich ferner, dass er die Textpassagen de facto wortgleich und ohne den Versuch einer Verschleierung übernommen habe, was für ein naives Verhalten spreche.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs.
23Entscheidungsgründe:
24Die Berufung des beklagten Landes hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
25A. Die Klage ist zulässig.
26I. Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid der HSPV vom 16.11.2021 ist nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Wird mit einer Klage nicht unmittelbar eine bessere Bewertung einer Prüfungsleistung, sondern - wie im Fall einer verhängten Sanktion - die Aufhebung einer Entscheidung begehrt, die nach der Ausgestaltung der konkreten Prüfungsordnung den weiteren Fortgang des Prüfungsverfahrens versperrt, steht dem betroffenen Prüfling als statthafte Klage die Anfechtungsklage als mit Blick auf sein Rechtsschutzziel notwendiger und zugleich hinreichender Rechtsbehelf zur Verfügung. Einem Prüfling erwächst im Rahmen des durch die Zulassung zu einer Prüfung begründeten Prüfungsrechtsverhältnisses zwischen ihm und der Prüfungsbehörde ein Anspruch auf Durchführung des Prüfungsverfahrens. Das Prüfungsrechtsverhältnis und der Prüfungsanspruch erlöschen mit dem Abschluss der Prüfung. Wird indes eine negative Prüfungsentscheidung durch eine erfolgreiche Anfechtungsklage beseitigt, leben das Prüfungsrechtsverhältnis und der Prüfungsanspruch wieder auf. Die Prüfung ist in dem Stand, in dem sie sich vor Ergehen der angefochtenen Regelung befand, fortzusetzen.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.2.2019 - 6 C 3.18 -, BVerwGE 164, 379= juris Rn. 8; Beschluss vom 14.12.2023 - 6 B 12.23 -, NVwZ 2024, 420 = juris Rn. 8.
28Das wäre auch bei der vorliegend allein begehrten Aufhebung der Regelung des Bescheides der HSPV vom 16.11.2021 betreffend den Ausschluss des Klägers von der Wiederholung der mit "nicht ausreichend" (5,0) bewerteten Studienleistung im Modul 10.1 der Fall.
29II. Der Kläger hat auch zutreffend den Bescheid der HSPV vom 16.11.2021 unmittelbar mit einer Anfechtungsklage angegriffen. Ein Widerspruchsverfahren war nach § 68 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VwGO i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 1 JustG NRW in der hier maßgeblichen Fassung vom 22.3.2018 nicht erforderlich. Danach bedurfte es vor Erhebung einer Anfechtungsklage einer Nachprüfung in einem Vorverfahren abweichend von § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht. Etwas anderes ergab sich auch nicht aus der Ausnahmeregelung des § 110 Abs. 2 Nr. 2 JustG NRW. Nach dieser Vorschrift galt die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens zwar nicht für den Erlass oder die Ablehnung der Vornahme von Verwaltungsakten, denen die Bewertung einer Leistung im Rahmen einer berufsbezogenen Prüfung zugrunde liegt. Eine "Bewertung einer Leistung" im Sinne dieser Vorschrift erfolgt aber nur, wenn die Leistung des Prüflings inhaltlich bewertet wird. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Vorschrift knüpfte an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Überdenkungsverfahren an. Diese Rechtsprechung bezieht sich aber nur auf Fälle, in denen eine inhaltliche Bewertung der Leistung erfolgt und den Prüfern diesbezüglich ein Bewertungsspielraum zusteht, der gerichtlich (partiell) nicht überprüft werden kann. Eben wegen dieser (partiellen) gerichtlichen Nichtüberprüfbarkeit des Bewertungsspielraums der Prüfer ist es geboten, dass die Prüfer ihre eigene Bewertung im Rahmen des Widerspruchs überdenken. Im Streitfall geht es aber darum, dass die Leistung des Prüflings infolge der Annahme eines Täuschungsversuchs gerade nicht inhaltlich bewertet wurde. Hinsichtlich der Frage, ob ein Täuschungsversuch vorliegt oder nicht, steht dem beklagten Land kein Bewertungsspielraum zu. Vielmehr ist die behördliche Annahme eines Täuschungsversuches - ebenso wie die Annahme, es liege ein besonders schwerer Fall eines ordnungswidrigen Verhaltens vor, worauf unten noch einzugehen ist - voll gerichtlich überprüfbar.
30Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.7.2013 - 14 A 880/11 -, NVwBl 2014, 69 = juris Rn. 26 m. w. N. auf die Gesetzesmaterialien und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
31B. In der Sache hat die Klage jedoch keinen Erfolg. Der Bescheid der HSPV vom 16.11.2021, mit dem das Prüfungsamt der Hochschule den Beschluss des Prüfungsausschusses vom 2.11.2021 umgesetzt hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
32I. Der Bescheid begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken.
33Die dem Bescheid zugrundeliegende Entscheidung ist insbesondere durch den hierfür zuständigen Prüfungsausschuss der HSPV getroffen worden. Dessen Zuständigkeit für die Entscheidung über die Folgen der unstreitig ordnungswidrigen Täuschungshandlung des Klägers im Zusammenhang mit der Erstellung des Praxisberichts im Modul 10.1 folgt aus § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StudO-BA Teil A in der hier maßgeblichen Fassung vom 16.4.2021 (gültig ab 4.5.2021, Amtl. Mitteilungen der HSPV Nr. 6; im Folgenden: StudO-BA Teil A a. F.). Nach dieser Vorschrift trifft der Prüfungsausschuss alle Entscheidungen in Prüfungsangelegenheiten.
34Für die Entscheidung war auch nicht der Prüfungsausschussvorsitzende zuständig. Ihm wurden zwar gestützt auf § 7 Abs. 4 Satz 1 StudO-BA Teil A a. F. mit Beschluss 08/2020 in der 29. Sitzung des Prüfungsausschusses vom 4.2.2020 sämtliche Entscheidungen nach §§ 14,15, 18 - 22 StudO-BA Teil A a. F. - also auch die Entscheidung über ordnungswidriges Verhalten nach § 20 StudO-BA Teil A a. F., wie sie hier in Rede steht - übertragen. Der Prüfungsausschuss hat diese Delegation aber in seiner Sitzung vom 2.11.2021 in Bezug auf die Entscheidung u. a. über das ordnungswidrige Verhalten des Klägers im Modul 10.1 durch Abgabe eines Plagiats (Praxisbericht) konkludent widerrufen. In dieser 36. Sitzung hat der Prüfungsausschuss mit Beschluss 54/2021 einstimmig endgültig die Tagesordnung der laufenden Sitzung festgelegt, in der unter Tagesordnungspunkt 8 das Fehlverhalten des Klägers aufgeführt war. Durch diesen Beschluss hat er die Entscheidung über diesen Täuschungsversuch (wieder) an sich gezogen; konkludent hat er damit die Übertragung an den Prüfungsausschussvorsitzenden widerrufen. Dass in dem Beschluss insoweit anstelle der 36. Sitzung die Tagesordnung zur 35. Sitzung aufgeführt ist, steht dem nicht entgegen. Insoweit handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler. Denn die 35. Sitzung hatte bereits zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden und das betreffende Protokoll wurde mit Beschluss 55/2021 in der 36. Sitzung genehmigt. Eine Festlegung der Tagesordnung kann also nur für die letztgenannte Sitzung beschlossen worden sein.
35Dem konkludenten Widerruf der Delegation nach § 7 Abs. 4 Satz 1 StudO-BA Teil A a. F. in Bezug auf die in der Tagesordnung aufgeführten Fälle ordnungswidrigen Verhaltens stand auch nicht entgegen, dass die Übertragung in der 29. Sitzung des Prüfungsausschusses ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Widerruflichkeit dieser Delegation erfolgt ist. In dem Beschluss 08/2020 zum Tagesordnungspunkt 4 heißt es: "Der Prüfungsausschuss Bachelor bei der HSPV NRW delegiert insbesondere die in § 7 Abs. 4 StudO-BA Teil A genannten Aufgaben an den Vorsitzenden." Hierbei handelt es sich jedoch entweder um eine fehlerhafte Wiedergabe des tatsächlich gefassten Beschlusses oder um einen korrekt protokollierten Beschluss, der dahingehend auszulegen ist, dass die Übertragung im Einklang mit der in dem Beschluss genannten Ermächtigung nach § 7 Abs. 4 Satz 1 StudO-BA Teil A a. F. widerruflich erfolgen sollte. Hierfür spricht zunächst, dass die in dem Beschluss ausdrücklich in Bezug genommene Bestimmung des § 7 Abs. 4 StudO-BA Teil A a. F. in ihrem Satz 1 lediglich eine widerrufliche Übertragung vorsieht. Überdies enthält das Protokoll der Sitzung keine Anhaltspunkte dafür, dass der Prüfungsausschuss von dem Beschlussvorschlag, der zu dem Tagesordnungspunkt in die Sitzung eingebracht worden war, hätte abweichen wollen. Nach diesem Vorschlag sollte über eine widerrufliche Übertragung der fraglichen Aufgaben abgestimmt werden. Vor der Abstimmung über die Aufgabendelegation ist deren Sinn und Zweck von einer Mitarbeiterin des Prüfungsamts erläutert worden; eine Diskussion darüber, dass die Übertragung entgegen der Regelung in der Studienordnung unwiderruflich und der Beschluss insoweit anders als vorgeschlagen erfolgen sollte, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen.
36II. Der Bescheid der HSPV vom 16.11.2021 ist auch materiell rechtmäßig.
371. Der Prüfungsausschuss hat seine Entscheidung zu Recht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. gestützt, die ihrerseits ihre rechtliche Grundlage in § 26 des Gesetzes über die Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst in NRW - FHGöD - fand. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 StudO-BA Teil A a. F.
38- abweichend inzwischen die heute maßgebliche Fassung vom 6.5.2024, https://www.hspv.nrw.de/dateien_studium/studium-und-lehre/BA/studienordnung/Studienordnung_BA_-Teil_A__idF_vom_06.05.2024_gltg_08.05.2024_.pdf -
39können als Folgen eines ordnungswidrigen Verhaltens, insbesondere eines Täuschungsversuchs z. B. durch Mitführen oder sonstiges Nutzen nicht zugelassener Hilfsmittel, nach den Umständen des Einzelfalls ausgesprochen werden:
40"1. der Kandidatin oder dem Kandidaten wird die Wiederholung der Studienleistung aufgegeben,
412. die Studienleistung, auf die sich die Ordnungswidrigkeit bezieht, wird mit "nicht ausreichend" bewertet,
423. in besonders schweren Fällen, wie beispielsweise der wiederholten Täuschung im Rahmen der Erbringung eines Leistungsnachweises, wird die Kandidatin oder der Kandidat von einer Wiederholung der Studienleistung ausgeschlossen."
43Die Rechtmäßigkeit der Durchführung einer berufsbezogenen Prüfung, deren Bewertung sowie die darauf beruhende Feststellung ihres endgültigen Nichtbestehens beurteilen sich anhand der zum Zeitpunkt der Erbringung der Prüfungsleistung maßgebenden Sach- und Rechtslage.
44Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 24.4.2024 - 6 C 5.22 -, GewArch 2024, 327 = juris Rn. 15 m. w. N.
452. Das beklagte Land hat zu Recht einen besonders schweren Fall ordnungswidrigen Verhaltens im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. angenommen.
46Die Entscheidung des Prüfungsausschusses, den Praxisbericht des Klägers mit "nicht ausreichend" zu bewerten (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StudO-BA Teil A a. F.), hat der Kläger nicht (mehr) angegriffen; sie ist daher bestandskräftig geworden. Zur gerichtlichen Überprüfung gestellt hat der Kläger die Entscheidung des Prüfungsausschusses nur (noch) insoweit, als der Ausschuss das Fehlverhalten des Klägers als besonders schweren Fall qualifiziert hat. Diese Entscheidung ist aber nicht zu beanstanden.
47a. Bei dem besonders schweren Fall ordnungswidrigen Verhaltens nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Das Vorliegen eines besonders schweren Falls ist Tatbestandsvoraussetzung dafür, die Folge nach dieser Vorschrift aussprechen zu können. Hinsichtlich der Frage, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt, steht dem beklagten Land kein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung über das Vorliegen eines besonders schweren Falls im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. unterliegt vielmehr uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle.
48Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 2.9.2024 - 6 A 2187/21 -, juris Rn. 24 f., sowie zu ähnlichen Regelungen VG Berlin, Urteile vom 6.2.2023 - 12 K 52/22 -, juris Rn. 31, und vom 26.9.2014 - 12 K 978.13 -, juris Rn. 27; siehe auch Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 240 m. w. N.; anders Nds. OVG, Beschluss vom 2.2.2024 - 2 ME 108/23 -, NdsVBl 2024, 211 = juris Rn. 12, in einem Fall, in dem die Entscheidung über das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Falls nach der einschlägigen Prüfungsordnung einem übergeordneten wissenschaftlichen Gremium zugewiesen war.
49Beruht die angefochtene Verwaltungsentscheidung auf der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, so ist deren Konkretisierung grundsätzlich Sache der Gerichte, die die Rechtsanwendung der Verwaltungsbehörden uneingeschränkt nachzuprüfen haben. Unbestimmte Rechtsbegriffe können allerdings wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt.
50Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17.4.1991 ‑ 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83 -, BVerfGE 84, 34 = juris Rn. 48, sowie Bay. VGH, Urteil vom 14.3.2019 - 20 BV 17.1507 -, GesR 2019, 577 = juris Rn. 89.
51Das ist bei der Würdigung der Schwere ordnungswidrigen Verhaltens im Rahmen einer Prüfungsleistung nicht der Fall. Diese Entscheidung zählt aber auch nicht zu den Bewertungen von Leistungen in einer Berufszugangsprüfung, für die das Bundesverfassungsgericht einen prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraum anerkannt hat. Maßgeblich ist insoweit die Tatsache, dass Prüfer bei ihrem wertenden Urteil von Einschätzungen und Erfahrungen ausgehen müssen, die sie im Laufe ihrer Praxis bei vergleichbaren Prüfungen entwickelt haben und allgemein anwenden. Daraus folgt, dass Prüfungsnoten nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern in einem Bezugssystem zu finden sind, das durch die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. Da sich andererseits die komplexen Erwägungen, die einer Prüfungsentscheidung zugrunde liegen, nicht regelhaft erfassen lassen, würde eine uneingeschränkte gerichtliche Kontrolle insoweit zu einer Verzerrung der Maßstäbe führen.
52Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.4.1991 - 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83 -, -, BVerfGE 84, 34 = juris Rn. 52; zum Ganzen: Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Auf. 2022, Rn. 878.
53Um die Anwendung solcher Maßstäbe geht es aber bei der Würdigung der Schwere eines ordnungswidrigen Täuschungsversuchs nicht. Beurteilt wird in diesen Fällen nur das Verhalten des Prüflings und nicht die Qualität der von ihm ordnungswidrig erstellten Studienleistung anhand prüfungsspezifischer Wertungen, die Personen mit einem bestimmten Qualifikationsprofil vorbehalten wäre.
54Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 30.8.1985 ‑ 15 A 706/82 -, NVwZ 1986, 851 = beck-online.
55Einen solchen Vorbehalt sieht im Übrigen auch die vorliegend einschlägige Prüfungsordnung nicht vor. Anders als in dem vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall -
56Nds. OVG, Beschluss vom 2.2.2024 - 2 ME 108/23 -, NdsVBl 2024, 211 = juris Rn. 12 ‑
57kann der Prüfungsausschuss der HSPV - wie bereits oben dargestellt - gemäß § 7 Abs. 4 StudO-BA Teil A a. F. Entscheidungen über ordnungswidriges Verhalten nach § 20 StudO-BA Teil A a. F. auf den Prüfungsausschussvorsitzenden übertragen. Vor diesem Hintergrund ist ein Beurteilungsspielraum auch nicht im Hinblick darauf eröffnet, dass der umstrittenen Entscheidung etwa stark wertende Elemente anhafteten und das Gesetz für sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärte, das weisungsfrei, mit besonderer fachlicher Legitimation und in einem besonderen Verfahren zu entscheiden hätte.
58Vgl. zu diesem vom Bundesverwaltungsgericht bei Gremienentscheidungen wiederholt anerkannten Beurteilungsspielraum ausführlich: Bay. VGH, Urteil vom 14.3.2019 - 20 BV 17.1507 -, juris Rn. 76, mit zahlreichen Nachweisen.
59b. Bei dem Täuschungsversuch des Klägers handelt es sich um einen besonders schweren Fall. Solche Fälle sind durch grobe Täuschungsmanöver charakterisiert, die in besonders hohem Maße die Spielregeln des fairen Wettbewerbs und die Chancengleichheit der anderen, sich korrekt verhaltenden Prüflinge verletzen. Sie liegen nach Umfang und Intensität des Täuschungsverhaltens und dem angestrebten Täuschungserfolg deutlich im oberen Bereich der vorkommenden Fälle.
60Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.12.1976 - VII B 157.76 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 78; OVG NRW, Beschluss vom 16.2.2021 - 6 B 1868/20 -, juris Rn. 2 f.; Nds. OVG, Beschluss vom 2.2.2024 - 2 ME 108/23 -, NdsVBl 2024, 211 = juris Rn. 14; OVG Bremen, Beschluss vom 14.3.2017 - 2 PA 6/17 -, NVwZ-RR 2017, 540 = juris Rn. 23; Hamb. OVG, Beschluss vom 19.11.2013 - 3 Bs 274/13 -, juris Rn. 12; Fischer/ Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 244 m. w. N.; Schnellenbach in: Hartmer/Detmer, Hochschulrecht, 4. Aufl. 2022, Rn. 100.
61Nach diesem Maßstab ist das Verhalten des Klägers als grobes Täuschungsmanöver zu qualifizieren, das er in dem Bewusstsein begangen hat, die Regeln der Leistungserbringung weitestgehend zu seinen Gunsten außer Kraft zu setzen (aa.). Der mit der Täuschung verfolgte Zweck verletzt in hohem Maße den fairen Wettbewerb und das Gebot der Chancengleichheit (bb.). Darüber hinaus belegen die Vorgehensweise und die Motivation des Klägers eine besondere Intensität der Täuschungshandlung (cc.). Soweit mit dem verschiedentlich und auch vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Obersatz ein der eingetretenen Verletzung der Chancengleichheit entsprechendes hohes Maß an Täuschungsenergie gefordert wird,
62vgl. zu diesem Begriff: VG Düsseldorf, Urteil vom 30.10.2018 - 2 K 2519/18 -, juris Rn. 55; VG Minden, Urteil vom 16.5.2013 - 4 K 3124/12 ‑, juris Rn. 21; VG Berlin, Urteil vom 25.08.2006 - 12 A 484.05 -, juris Rn. 22; sowie Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 244 m. w. N.,
63folgt der Senat dem jedenfalls dann nicht, wenn dieses Erfordernis - was nicht immer hinreichend klar wird, vom Verwaltungsgericht aber wohl zugrunde gelegt worden ist - im Sinne einer zusätzlich zu verlangenden, überschießenden subjektiven Voraussetzung verstanden wird. Auch für eine deutlich im oberen Bereich der vorkommenden Fälle liegende Intensität der Täuschung reicht aus, dass die Täuschungshandlung entsprechenden Gewichts bewusst mit dem Ziel begangen wurde, den angestrebten Täuschungserfolg zu erreichen. Es ist nicht ersichtlich, warum ein besonders schwerer Fall ordnungswidrigen Verhaltens eine über diese Täuschungsabsicht hinausgehende weitere subjektive Komponente voraussetzen sollte.
64aa. In der Übernahme von Ausführungen seines Kommilitonen aus dessen Praxisbericht im Umfang von etwa 75 % in seinen Bericht, den der Kläger als eigene Leistung ausgegeben hat, liegt eine schwerwiegende Verletzung der für die Erstellung eines Praxisberichts maßgeblichen Regeln. Nach den Vorgaben des § 3 Abs. 3 StudO-BA Teil E in der hier maßgeblichen Fassung vom 7. 8. 2020 (gültig ab 21.8.2020, Amtl. Mitteilungen der HSPV Nr. 7, im Folgenden: StudO-BA Teil E a. F.), die im Übrigen auch den vom Prüfungsausschuss am 24.6.2020 beschlossenen und auf der Homepage der HSPV veröffentlichten Hinweisen zu dieser Prüfungsform zu entnehmen waren, ist mit dem Praxisbericht nachzuweisen, dass sich der Prüfling mit den Zielen, dem Ablauf und den Ergebnissen des von ihm zuvor absolvierten fachpraktischen Studienabschnitts auseinandergesetzt hat. Dies hat der Kläger nicht getan, denn er hat den von ihm abgegebenen Praxisbericht im Wesentlichen nicht selbst ausgearbeitet, sondern zu einem Großteil die Verschriftlichung der Eindrücke und Erfahrungen seines Kommilitonen übernommen, der diesen Studienabschnitt erfolgreich vor ihm absolviert hatte. Damit hat er einen Bericht abgegeben, der keinen zureichenden Aufschluss über seine eigene Leistung in Bezug auf die in dieser Prüfungsform niederzulegenden Inhalte gibt. Hierzu reichen auch die ausschließlich vom Kläger erstellten Passagen des Berichts nicht aus. Da diese allenfalls ein Viertel des insgesamt nur 13seitigen Berichts ausmachen, verblieb nur eine ans Marginale heranreichende eigenständige Leistung des Klägers.
65Dass der Kläger den Bericht seines Vorgängers nicht zur Gänze übernommen hat, steht der Feststellung einer besonders schweren Täuschungshandlung nicht entgegen. In Fällen, in denen die Täuschung in der Abgabe einer "Abschreibleistung" als vermeintlich eigenständig erstellte Prüfungsleistung besteht, ist ein besonders schwerer Fall nicht generell erst dann erfüllt, wenn die ganze Arbeit eines anderen abgeschrieben und als eigene ausgegeben wird. Ob der Umfang, in dem fremde Textpassagen wörtlich oder sinngemäß als eigene ausgegeben wurden, für die Feststellung eines besonders schweren Falles im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. ausreicht, bedarf vielmehr einer Würdigung des Einzelfalls.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.10.2017 - 6 A 1586/16 -, juris Rn. 27.
67Diese Grundsätze gelten auch für die Erstellung eines Praxisberichts. Der Prüfungsausschuss hat anlässlich seiner Entscheidung über das Fehlverhalten des Klägers hervorgehoben, dass der Praxisbericht in seiner Wertigkeit nicht schlechter stehen solle als andere Prüfungsformen. Das entspricht der Bedeutung dieser Prüfungsform, bei der es sich - ebenso wie bei der alternativ vorgesehenen "Aktenarbeit" i. S. v. § 3 Abs. 1 StudO-BA Teil E - um die das Modul 10.1 abschließende Studienleistung handelt. Darüber hinaus kommt dieser Studienleistung besondere Bedeutung insofern zu, als mit ihr ein Modul abgeschlossen wird, dem 13 Leistungspunkte zugeordnet sind. Damit handelt es sich - zusammen mit den drei weiteren Studienleistungen im Rahmen der fachpraktischen Studienabschnitte - um die am höchsten bewertete Studienleistung im Rahmen des Studiums "Kommunaler Verwaltungsdienst - Allgemeine Verwaltung". Wie sich aus der Modulübersicht ergibt, sind nur noch bei dem praxisbezogenen Projekt und der Bachelorarbeit mit 11 bzw. 10 Leistungspunkten Credits im zweistelligen Bereich zu erzielen. Die in der Anzahl der Leistungspunkte niedergelegte Bedeutung des Moduls 10.1 beeinflusst auch die Gesamtnote, mit der das Studium abgeschlossen wird. Die Bewertung des Praxisberichts mit einer Note zwischen "ausreichend" und "sehr gut" geht gemäß § 18 Abs. 2 StudO-BA Teil A a. F. anteilig in die Durchschnittsnote der Module und darüber in die Studienabschlussnote ein (§ 18 Abs. 2 StudO-BA Teil A a. F.). Dabei werden die in den Modulprüfungen erzielten Noten mit den den Modulen zugewiesenen Leistungspunkten multipliziert, addiert und durch die Zahl der Leistungspunkte, die auf die benoteten Modulprüfungen entfallen, dividiert.
68Dies zugrunde gelegt und unter Würdigung des ordnungswidrigen Verhaltens im Einzelfall hat der Täuschungsversuch des Klägers mit dem Ziel, 13 Leistungspunkte zu erschleichen, besonderes Gewicht. Das folgt bereits aus der Tatsache, dass der Kläger mit dem im Wesentlichen von einem Dritten abgeschriebenen Praxisbericht nur noch in Ansätzen eine eigene Prüfungsleistung im Modul 10.1 erbracht hat. Besonderes Gewicht gewinnt die Täuschung über den tatsächlichen Urheber der in dem Bericht niedergelegten Wahrnehmungen und Folgerungen ferner dadurch, dass der Praxisbericht in mehrfacher Hinsicht seinen Zweck verfehlt. Dem im Wesentlichen übernommenen Bericht des Kommilitonen lässt sich weder entnehmen, welche Erfahrungen der Kläger selbst in diesem Zeitraum gemacht hat, noch belegt er, inwieweit der Kläger die Ziele, den Ablauf und die Ergebnisse des fachpraktischen Studienabschnitts einerseits tatsächlich erfasst hat und andererseits zutreffend wiedergeben konnte.
69Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger den übernommenen Bericht nicht einmal inhaltlich überprüft zu haben scheint. Dafür spricht die erste Stellungnahme des Praxisanleiters (Bl. 30 des Verwaltungsvorgangs), derzufolge die ihm zum Abgleich vorgelegten Praxisberichte mehrere inhaltliche Gemeinsamkeiten aufwiesen, die auch nicht korrekt dargestellt worden seien. Der Kläger hat sich offenbar darauf verlassen, dass sein Kommilitone mit dem fraglichen Bericht das Modul 10.1 erfolgreich abgeschlossen hatte. Das wiegt besonders schwer, weil der Kläger aufgrund der Informationen seitens seines Praxisanleiters Veranlassung gehabt hätte, sich mit den Ausführungen seines Vorgängers kritisch auseinanderzusetzen. Der Praxisanleiter hatte ihn zu Beginn des Studienabschnitts darauf hingewiesen, dass der Kommilitone nur einen Bruchteil der Zeit für die Erstellung des Berichts zur Verfügung gehabt habe, die der Kläger haben werde, weil bei dem Kommilitonen ursprünglich eine andere Prüfungsform geplant gewesen sei. Dass der Kläger den Bericht dennoch ungeprüft als Vorlage genutzt hat, belegt seine Entschlossenheit, sich die Arbeit um jeden Preis zu erleichtern.
70Diese Haltung des Klägers wird ferner dadurch bestätigt, dass er, obwohl ihn sein Praxisanleiter selbst an seinen Vorgänger wegen Ratschlägen bezüglich der Umsetzung des Berichts verwiesen hatte, dieses Vorstücks teils wörtlich, teils sinngemäß in seinen Bericht übernommen hat. Hierbei ist zunächst unerheblich, dass der Prüfer Kenntnis von dem fremden Werk hat, so dass die Gefahr groß ist, dass ihm der Täuschungsversuch auffällt. In einem derartigen Fall liegt zwar gegebenenfalls ein "untauglicher Versuch" vor, der indes prüfungsrechtlich nicht anders zu behandeln ist als ein "tauglicher(er)" Versuch.
71Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18.5.2009 - 2 ME 96/09 -, NJW 2009, 2394 = juris Rn. 6.
72Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts lässt die Einführung des Praxisberichts erstmals seit dem Einstellungsjahrgang des Klägers diese Herangehensweise nicht in einem milderen Licht erscheinen. Der Kläger hat zwar zu Beginn des fraglichen Studienabschnitts, als ihm der Praxisanleiter den Praxisbericht als Prüfungsform ankündigte, darauf hingewiesen, mit dieser Form noch keine Erfahrungen zu haben; daraus folgt aber nicht, dass ihm unklar gewesen wäre, inwieweit dieser Bericht eigenständig auszuarbeiten ist. Dem steht auch seine Einlassung entgegen, er habe allein aus zeitlichen Gründen den Arbeitsaufwand im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des Praxisberichts verringern und sich die Arbeit damit erleichtern wollen.
73Der Täuschungsversuch ist ferner nicht deshalb als weniger schwerwiegend anzusehen, weil bei dem Praxisbericht weder Fußnoten noch ein Literaturverzeichnis vorgesehen sind. Dieser Umstand spielt für die Würdigung der Schwere der Täuschung keine Rolle, weil dem Kläger nicht vorgeworfen wird, übernommene Textpassagen nicht hinreichend belegt zu haben. Das besonders hohe Maß, in dem der Kläger die für die Studienleistung maßgeblichen Regeln verletzt hat, kommt vielmehr darin zum Ausdruck, dass er anstelle eines naturgemäß selbst zu erstellenden Erfahrungsberichts die verschriftlichten Erfahrungen eines Kommilitonen als eigene Auseinandersetzung mit Zielen, Ablauf und Ergebnissen der fachpraktischen Studienzeit ausgegeben hat. Vor diesem Hintergrund wirkt sich auch die Tatsache, dass der Kläger keine Eigenständigkeitserklärung abgeben musste, nicht maßgeblich zu seinen Gunsten aus. Es verstand sich von selbst, dass er den Bericht, in dem er seine eigenen Erfahrungen als den fachpraktischen Studienabschnitt abschließende Studienleistung verschriftlichen sollte, eigenständig und nicht durch eine weitgehende Übernahme des Berichts eines Vorgängers erstellen musste. Aus diesem Grund kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe bei einem Praxisbericht - anders als im Fall einer wissenschaftlichen Prüfungsleistung - keine Veranlassung gehabt, die Herkunft seiner Ausführungen aus Quellen bzw. Abhandlungen Dritter zu belegen. Dies folgte bereits aus der Tatsache, dass er aufgrund eigener Anschauung über den Studienabschnitt berichten und gerade nicht Ausführungen Dritter wiedergeben sollte.
74Das Fehlverhalten des Klägers wiegt ferner nicht insofern weniger schwer, als ihn sein Praxisanleiter unstreitig auf die Anfertigung eines Praxisberichts durch den Vorgänger hingewiesen und ihm empfohlen hat, diesen wegen Ratschlägen bezüglich der Umsetzung des Berichts anzusprechen. Auf die Frage, ob ihm der Praxisanleiter - wie vom Kläger behauptet und von ersterem bestritten - das Inhaltsverzeichnis des Praxisberichts seines Kommilitonen als Screenshot per E- Mail übersandt habe mit der ausdrücklichen Aufforderung, es für seinen eigenen Bericht zu übernehmen, kommt es für den Umfang des Regelverstoßes nicht entscheidend an. Denn auch die Vorgabe, ein Inhaltsverzeichnis zu übernehmen, berechtigte den Kläger nicht, seine in dem Bericht niederzulegenden Wahrnehmungen und Erfahrungen wörtlich oder sinngemäß durch diejenigen seines Vorgängers zu ersetzen.
75bb. Der mit der Täuschung verfolgte Zweck verletzt in hohem Maße den fairen Wettbewerb und das Gebot der Chancengleichheit. Der Kläger hat einen Praxisbericht abgegeben, von dem er wusste, dass sein Kommilitone damit diese Studienleistung bereits erfolgreich absolviert hat. Auf diese Art hat er sich nicht dem Risiko ausgesetzt, mit einem selbst erstellten Bericht die Anforderungen zu verfehlen. Darüber hinaus hat er sich in erheblichem Umfang Zeit und Aufwand erspart, die er auf eine eigenständige Verschriftlichung seiner Erfahrungen in dem fachpraktischen Studienabschnitt hätte verwenden müssen. Mit diesem Vorteil, den der Kläger selbst in seiner Einlassung als ausschlaggebendes Motiv seines Handelns angegeben hat, geht eine weitere Verletzung der Chancengleichheit einher. Denn der Kläger hat erklärt, dass er die eingesparte Zeit auch auf die Vorbereitung einer eventuell anstehenden Nachschreibeklausur verwenden wollte, bei der es sich um seinen letzten Prüfungsversuch gehandelt hätte. In vergleichbarer Situation können sich jedoch auch andere Prüflinge befunden haben, die ebenso wie er neben ihrer Beschäftigung in einer Behörde während des fachpraktischen Studienabschnitts die diesen Abschnitt abschließende Studienleistung absolvieren und sich für mögliche Wiederholungsklausuren vorbereiten wollten. Ihnen gegenüber hat er sich einen Vorteil dadurch verschafft, dass er den zeitlichen Aufwand für die Anfertigung des Praxisberichts auf ein Minimum reduziert und mehr Zeit für die Vorbereitung auf einen möglichen Wiederholungsversuch hatte.
76cc. Die Vorgehensweise des Klägers und seine Motivation belegen eine besondere Intensität der ihm vorgeworfenen Täuschung. Für eine hohe Intensität des Täuschungsverhaltens spricht zunächst, dass er versucht hat, die Übernahme der Vorlage und damit sein ordnungswidriges Verhalten zu verschleiern. Charakteristisch für die besondere Intensität einer Täuschungshandlung durch eine verdeckte Übernahme von Gedanken und Formulierungen Dritter in die eigene Prüfungsleistung ist, dass die Originaltexte umformuliert, Syntax umgestellt und Synonyme verwendet wurden, um die Quellen gezielt zu verschleiern.
77Vgl. zu diesem Gesichtspunkt: Fischer/Jeremias/
78Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 243 m. w. N.
79Das hat der Kläger entgegen seiner Behauptung im Berufungsverfahren getan. Er hat sowohl im Inhaltsverzeichnis als auch in den übernommenen Passagen Worte angefügt oder weggelassen und Formulierungen abgeändert. So hat er bereits in dem Inhaltsverzeichnis die Formulierung der ersten beiden und der letzten vier Gliederungspunkte verkürzt und nur den dritten Gliederungspunkt wörtlich übernommen. Auf den ersten Blick und ohne die Vorlage daneben zu legen, wirkt das Inhaltsverzeichnis daher nicht abgeschrieben. Unter dem Gliederungspunkt 1.1 hat der Kläger im laufenden Text der Vorlage einzelne Worte ersetzt bzw. Satzteile weggelassen oder umgestellt, wie etwa "Ausschreibungen für Aufträge" statt "Vergaben", "Bauvergaben" statt "Bauleistungen" und den Satzteil "Wenn bereits Rahmenverträge […] Möglichkeit" gestrichen sowie den übernommenen restlichen Satz syntaktisch angepasst. Des Weiteren hat er wiederholt die Satzanfänge zu Beginn eines Absatzes minimal verändert, wie z. B. ebenfalls unter Gliederungspunkt 1.1 zu Beginn des letzten Absatzes "Besondere Produkte" durch "Unter anderem Produkte" ersetzt und am Ende dieses Absatzes den letzten Halbsatz weggelassen. Insgesamt hat er den Text der Vorlage verkürzt und an markanten Stellen, die dem Leser unmittelbar ins Auge fallen, verändert. Diese offenkundig in verschleiernder Absicht erfolgte "Überarbeitung" der Vorlage zieht sich durch den gesamten Praktikumsbericht, wie die von der HSPV vorgelegte Gegenüberstellung der Satzanfänge gerade zu Beginn eines Absatzes in der Tabelle zeigen.
80Vor diesem Hintergrund rechtfertigt auch die Tatsache, dass der Kläger auf den Hinweis seines Praxisanleiters den Kommilitonen kontaktiert hat, keine andere Bewertung der Vorgehensweise des Klägers als besonders intensive Täuschungshandlung. Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen, spricht dies bereits weniger für ein naives Vorgehen des Klägers als eher für eine besondere Dreistigkeit. Wie vom Prüfungsausschuss festgestellt, hat der Kläger den Hinweis auf den Bericht seines Kommilitonen zum Anlass genommen, mit einfachsten Mitteln eine Studienleistung zu erschleichen, der eine deutlich überdurchschnittliche Anzahl an Leistungspunkten zugeordnet ist. Dabei spielt es erneut keine Rolle, ob der Praxisanleiter dem Kläger das von dem Kommilitonen erstellte Inhaltsverzeichnis per E-Mail übersandt hat oder nicht. Denn dies hätte ihn - wie bereits festgestellt - nicht zur Übernahme eines wesentlichen Teils des Berichts seines Vorgängers in den eigenen Praxisbericht berechtigt.
813. Die Entscheidung des Prüfungsausschusses, den als besonders schweren Fall zu qualifizierenden Täuschungsversuch des Klägers mit dem in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. vorgesehenen Ausschluss von der Wiederholungsprüfung zu sanktionieren, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
82Ob in dem angefochtenen Bescheid zu Recht davon ausgegangen wird, dass nach der einstimmigen Bewertung des ordnungswidrigen Verhaltens als besonders schwerwiegend durch den Prüfungsausschuss im Rahmen einer (offenen) Ermessensentscheidung über die zu verhängende Sanktion abzustimmen war, kann dahinstehen, weil sich die Entscheidung jedenfalls im Ergebnis als rechtmäßig erweist. Dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. lässt sich allerdings nicht eindeutig entnehmen, ob die - in dieser Fassung mithin missglückte - Bestimmung Ermessen eröffnet, wie dies in der aktuell geltenden Fassung der Fall ist. Nach dem ersten Satzteil des § 20 Abs. 1 StudO-BA Teil A a. F. können nach den Umständen des Einzelfalls die anschließend unter den Nrn. 1 bis 3 aufgeführten Folgen ausgesprochen werden (Hervorhebung nur hier), wodurch Ermessen eröffnet zu werden scheint. Während in den Nrn. 1 und 2 lediglich in dieses Ermessen gestellte mögliche Folgen aufgeführt sind, enthält Nr. 3 eine tatbestandliche Voraussetzung, die ihre Anwendung auf bestimmte Einzelfälle - die besonders schweren Fälle - beschränkt. Wie sich diese drei Varianten zueinander verhalten, ist dem Wortlaut der Vorschrift ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Folge in Nr. 3 ist zudem so formuliert, dass anzunehmen sein könnte, es werde eine gebundene Entscheidung vorgegeben ("in besonders schweren Fällen […] wird […] ausgeschlossen", Hervorhebung nur hier). In welchem Verhältnis die Ermessenseröffnung im einleitenden Satzteil und die (scheinbar) gebundene Entscheidung im folgenden Satzteil stehen, ist wiederum unklar. Es spricht aber auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen Einiges dafür, § 20 Abs. 1 Satz 1 erster Teil i. V. m. der Regelung in Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. dahingehend zu verstehen, dass sie dem Entscheidungsträger auch bei Vorliegen eines besonders schweren Falles im Sinne dieser Vorschrift einen Ermessensspielraum einräumt. Da allerdings die nach § 20 Abs. 1 Satz 1 erster Teil StudO-BA Teil A a. F. bei einer Ermessensentscheidung zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls bei Vorliegen eines besonders schweren Falles bereits für die dahingehende Bewertung des ordnungswidrigen Verhaltens maßgeblich sind, wird in diesen Fällen - im Sinne eines intendierten Ermessens - ein Absehen von der in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. vorgesehenen Folge in der Regel nur in Betracht kommen, wenn besondere Umstände des Einzelfalls, die nicht schon auf Tatbestandsseite Berücksichtigung gefunden haben, das vorgeworfene Verhalten in milderem Licht bzw. den Ausschluss von der Wiederholung der Studienleistung als unverhältnismäßig erscheinen lassen.
83Vgl. zu einer derartigen Regelungssystematik Hamb. OVG, Beschluss vom 19.11.2013 - 3 Bs 274/13, 3 So 102/13 -, juris Rn. 12.
84Dies zugrunde gelegt lässt die Entscheidung des Prüfungsausschusses für die weitest gehende Sanktion, den Kläger von der Wiederholung der Studienleistung und ihn damit faktisch von der weiteren Fortsetzung des Studiums auszuschließen, keine Rechtsfehler erkennen. Handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, reichte ohnehin die Annahme eines besonders schweren Falls ordnungswidrigen Verhaltens aus. Aber auch, wenn von einer Ermessensentscheidung ausgegangen wird, hält diese der Rechtskontrolle Stand.
85Der Prüfungsausschuss ist ausweislich des Verlaufsprotokolls der 36. Sitzung am 2.11.2021 und der dort niedergelegten Abstimmungen von einem Ermessensspielraum ausgegangen. So ist zunächst darüber abgestimmt worden, dass es sich bei dem ordnungswidrigen Verhalten des Klägers um einen besonders schweren Fall i. S. v. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. handelt. Anschließend hat der Prüfungsausschuss über die dafür zu verhängende Sanktion abgestimmt und sich für die weitest gehende Folge entscheiden.
86Ausweislich der Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid soll der Prüfungsausschuss bei seiner Ermessensentscheidung die Intensität des ordnungswidrigen Verhaltens sowie das Maß der Beeinträchtigung der Chancen der übrigen Teilnehmer berücksichtigt haben und aufgrund generalpräventiver Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen sein, dass eine weniger einschneidende Folge nach den Nummern 1 oder 2 des § 20 Abs. 1 Satz 1 StudO-BA Teil A a. F. nicht in Betracht komme. Der Kläger habe durch sein Verhalten das Fairnessgebot gegenüber seinen Kommilitonen in eklatanter Weise verletzt und somit den Grundsatz der Chancengleichheit in der Prüfung erheblich gefährdet. Dies wiege angesichts des zunehmenden Wettbewerbs der Fachhochschulabsolventen um immer weniger freie Beförderungsstellen im gehobenen Dienst, deren Besetzung unter anderem auch von der Prüfungsabschlussnote mitbestimmt werde, die sich anteilig aus den Einzelnoten der Prüfungen zusammensetze, besonders schwer. Das private Interesse des Klägers trete insoweit hinter dem öffentlichen Interesse eines geordneten und fairen Prüfungsverfahrens zurück.
87Ob es sich insoweit tatsächlich zur Gänze um die Erwägungen des Prüfungsausschusses handelt oder ob diese Erwägungen jedenfalls zum Teil auf die Regierungsbeschäftigte X. zurückgehen, die allerdings in der maßgeblichen Ausschusssitzung als Berichterstatterin in Bezug auf das ordnungswidrige Verhalten des Klägers anwesend war und den angefochtenen Bescheid verfasst hat, kann auf sich beruhen. Die Erwägungen als solche sind tragfähig. Dies gilt auch (noch) für den - im Verlaufsprotokoll nicht enthaltenen - Hinweis, die Prüfungsnote könne Bedeutung in Beförderungskonkurrenzen erlangen; dies mag zwar unwahrscheinlich sein, ist aber jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen.
88Selbst wenn in dem angefochtenen Bescheid zusätzlich Erwägungen aufgeführt sein sollten, die der Prüfungsausschuss so nicht angestellt hat, sind durchgreifende Ermessensfehler nicht zu erkennen. Denn es wäre aus den oben genannten Gründen nicht zu beanstanden, wenn sich der Prüfungsausschuss wegen des völligen Fehlens von Anhaltspunkten, die das Verhalten des Klägers in einem milderen Licht und die weitest gehende Folge (ausnahmsweise) als unverhältnismäßig erscheinen lassen könnten, für diese Folge entschieden haben sollte, ohne weitere Ermessenserwägungen anzustellen. Auch eine solche Entscheidung stünde im Einklang mit § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StudO-BA Teil A a. F. Anhaltspunkte dafür, dass trotz Vorliegens eines besonders schweren Falls der Ausschluss von der Wiederholung der Studienleistung aufgrund besonderer entlastender Umstände des Einzelfalls unverhältnismäßig wäre, bestehen im Streitfall nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Tatsache, dass der Kläger sein Fehlverhalten in seiner Stellungnahme vom 27.9.2021 sogar lobend hervorgehoben hat, bestätigt vielmehr gerade die Angemessenheit der vom Prüfungsausschuss verhängten Sanktion. So hat er geltend gemacht, er im Grunde nichts Anderes getan, als in der Praxis üblich sei. Dort arbeite man mit Textbausteinen, was die Arbeit erleichtere und vor Fehlern schütze. Zudem habe er gezeigt, dass Bequemlichkeit eine wertvolle Eigenschaft sei, weil sie zur effektiven Arbeitsweise führe. Diese Bewertung seines Fehlverhaltens offenbart eine Gleichgültigkeit gegenüber der Bedeutung und Qualität seiner Studienleistung als eigenständige Bewältigung der ihm gestellten Aufgaben und darüber hinaus eine Fehlvorstellung von den Anforderungen, die an den Kläger im Rahmen der von ihm mit dem Studium angestrebten Tätigkeit im kommunalen Verwaltungsdienst gestellt werden.
89Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO erfolgt.
90Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.