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Das Bundesverfassungsschutzgesetz ermächtigt auch zur Beobachtung von Jugendorganisationen politischer Parteien. Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen steht im Einklang mit Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht und ist Ausfluss des Prinzips der „streitbaren“ oder „wehrhaften Demokratie“, das gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören.
Die freiheitliche demokratische Grundordnung als Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes konzentriert sich auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind.
Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses Verdachts.
Bestrebungen in diesem Sinn erfordern ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives oder illegales Vorgehen zur Realisierung eines bestimmten Ziels. Die Aktivitäten müssen über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehen, auf die Durchsetzung eines politischen Ziels ausgerichtet sein und dabei auf die Beeinträchtigung eines der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen.
Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte setzt nicht voraus, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen tatsächlich bestehen, und verlangt auch keine Gefahrenlage im Sinn des Polizeirechts. Andererseits sind bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, unzureichend. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis geeignet sein, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen.
Ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können bereits dann gegeben sein, wenn aussagekräftiges Tatsachenmaterial lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen, Verlautbarungen und Aktivitäten der Gruppierung widerspiegelt. Deren Aussagekraft wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
Die Beobachtung einer politischen Partei oder deren Jugendorganisation durch den Verfassungsschutz zielt nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken.
Bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ist das Bundesamt grundsätzlich zur Beobachtung Es besteht insoweit kein Entschließungsermessen; die offene Formulierung in § 8 Abs. 1 und 2 BVerfSchG begründet nur ein Auswahlermessen in Bezug auf die Intensität und die Mittel der Beobachtung.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Klägerin zu 1. ist eine im Deutschen Bundestag, in 14 deutschen Landesparlamenten und im Europäischen Parlament vertretene politische Partei. Die Klägerin zu 2. ist die Jugendorganisation der Klägerin zu 1. (§ 2 Abs. 1 der Bundessatzung der Klägerin zu 2., § 17a der Bundessatzung der Klägerin zu 1.). Sie wenden sich dagegen, dass die Klägerin zu 2. vom Bundesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden: Bundesamt) als „Verdachtsfall“ beobachtet wird und das Bundesamt darüber öffentlich berichtet.
3Der Präsident des Bundesamts gab im Rahmen einer Pressekonferenz am 15. Januar 2019 bekannt, dass die Klägerin zu 1. als „Prüffall“ bearbeitet werde. Dem Bundesamt lägen erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Politik der Klägerin zu 1. vor. Diese seien jedoch nicht hinreichend verdichtet, um eine Beobachtung auch unter Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln einzuleiten. Die Klägerin zu 2. und die innerhalb der Klägerin zu 1. gebildete Sammlungsbewegung „Der Flügel“ (im Folgenden: „Flügel“) um den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke würden hingegen als „Verdachtsfälle“ eingestuft. Insoweit lägen jeweils stark verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um extremistische Gruppierungen handele. Dies ermögliche eine personenbezogene Auswertung und eine Speicherung von personenbezogenen Daten in Dateien und Akten des Verfassungsschutzes; unter bestimmten besonderen Voraussetzungen könnten auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Im Hinblick auf die Klägerin zu 1. werde das Bundesamt die Auswertung ihrer offen wahrnehmbaren Aktivitäten kontinuierlich weiterführen.
4Hinsichtlich der Klägerin zu 2. zeige sich bereits an dem sogenannten Deutschlandplan, ihrem zentralen politischen Programm, sowie an zahlreichen Äußerungen von Funktionären, dass sie die Würde des Menschen als obersten Wert der Verfassung nicht respektiere. Sie ziele auf den Vorrang eines ethnisch-homogenen Volksbegriffs und mache diejenigen, die dieser ethnisch geschlossenen Gemeinschaft nicht angehörten, in eindeutiger Weise verächtlich. Neben pauschalen Verunglimpfungen von Flüchtlingen, zum Beispiel wenn wiederholt von „Messermi- gration“ gesprochen werde oder Migranten grundsätzlich als rückständig, unzivilisiert und triebgesteuert bezeichnet würden, fordere die Klägerin zu 2. unter anderem eine generelle abendliche Ausgangssperre für alle männlichen Flüchtlinge, „um die Sicherheit für die Bevölkerung und vor allem der Frauen in Deutschland zu erhöhen“, und spreche mit Blick auf die Migration von einem drohenden „Bevölkerungsaustausch“. Die Klägerin zu 2. richte sich nach bisherigen Erkenntnissen auch gegen das Demokratieprinzip. Es lägen zahlreiche pauschal diffamierende Aussagen vor, die den Parlamentarismus absolut verächtlich machten, ohne dass eine Alternative benannt werde, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben pluralistischer Willensbildung entspreche. Das politische Konzept der Klägerin zu 2. stehe zudem im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip, insbesondere würden das Gewaltmonopol des Staates und die Rechtsbindung der Verwaltung in Frage gestellt.
5Zur Einstufung der Klägerin zu 1. als „Prüffall“ sowie der Klägerin zu 2. und des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ veröffentlichte das Bundesamt am selben Tag auch eine Pressemitteilung und eine sogenannte „Fachinformation“.
6Das Bundesamt stützte seine Bewertung auf ein behördeninternes Gutachten („Gutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der ‚Alternative für Deutschland‘ (AfD) und ihren Teilorganisationen“, im Folgenden: Gutachten I), in dem als (Zwischen-)Ergebnis einer im Frühjahr 2018 eingeleiteten Prüfung programmatische Schriften der Klägerinnen sowie eine Vielzahl sonstiger öffentlich zugänglicher Verlautbarungen von deren Organisationseinheiten, Funktionären und sonstigen Mitgliedern ausgewertet wurden. Unter anderem wurden die Internetseiten und Facebook-Profile aller AfD- und JA-Landesverbände untersucht, aber auch sonstige im Internet veröffentlichte Aussagen sowie Reden auf Parteitagen, im Wahlkampf oder bei sonstigen Versammlungen.
7Auf einen Eilantrag der Klägerin zu 1. untersagte das Verwaltungsgericht Köln dem Bundesamt mit Beschluss vom 26. Februar 2019 im Wege der einstweiligen Anordnung, in Bezug auf die Klägerin zu 1. zu äußern oder verbreiten, diese werde als „Prüffall“ bearbeitet (13 L 202/19, VG Köln). Die Einstufung der Klägerin zu 2. war nicht Gegenstand des Verfahrens.
8Mit Schreiben vom 16. Dezember 2019 forderten die Klägerinnen das Bundesamt auf, es zu unterlassen, die Klägerin zu 2. und den „Flügel“ als Verdachtsfall einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen, sowie es zu unterlassen, Daten über die Klägerin zu 2. und den „Flügel“ als „Verdachtsfall“ zu sammeln, zu speichern und/oder gespeichert zu lassen. Mit Schreiben vom 6. Januar 2020 lehnte das Bundesamt gegenüber den Klägerinnen ab, die geforderten Unterlassungserklärungen abzugeben.
9Am 13. Januar 2020 haben die Klägerinnen die vorliegende Klage erhoben.
10Am selben Tag hat die Klägerin zu 1. auch gegen die Einstufung des „Flügel“ Klage erhoben (13 K 207/20, VG Köln). Im Rahmen einer Pressekonferenz am 12. März 2020 gab der Präsident des Bundesamts bekannt, dass das Bundesamt den „Flügel“ als „erwiesen extremistische Bestrebung“ eingestuft habe. Die bisherigen verfassungsfeindlichen Anhaltspunkte hätten sich zur Gewissheit verdichtet. Das Bundesamt stützte seine Einstufung auf ein zweites behördeninternes Gutachten („Gutachten zur Einstufung des ‚Flügel‘ als erwiesen extremistische Bestrebung“, im Folgenden: Gutachten II), in dem neuere Aktivitäten und Aussagen von Anhängern des „Flügel“ aufgeführt und das Gesamtbild einer aktualisierten Bewertung unterzogen wurden. Am 9. Juli 2020 veröffentlichte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (im Folgenden: BMI) den Verfassungsschutzbericht 2019, in dem über die Einstufung des „Flügel“ und der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ berichtet wird. Am 18. Januar 2021 veröffentlichte die Klägerin zu 1. auf ihrer Website eine „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, die auch von Vertretern der Klägerin zu 2. unterzeichnet ist und in der es unter anderem heißt: „Als Rechtsstaatspartei bekennt sich die AfD vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Unabhängig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine Einbürgerung oder die seiner Vorfahren zurückliegt, er ist vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genießt dieselben Rechte und hat dieselben Pflichten. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht.“ Am 25. Februar 2021 stufte das Bundesamt auch die Klägerin zu 1. als „Verdachtsfall“ ein, wogegen diese bereits am 21. Januar 2021 ebenfalls Klage erhoben hatte (13 K 326/21, VG Köln). Die Beklagte teilte mit, die Entscheidung sei auf der Grundlage einer zweijährigen weiteren Sammlung und Auswertung von offen verfügbaren Informationen seit der Einstufung der Klägerin als „Prüffall“ getroffen worden, die in einem aktuellen behördeninternen Gutachten („Folgegutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Alternative für Deutschland (AfD)“, im Folgenden: Gutachten III) dokumentiert seien.
11Zur Klagebegründung im vorliegenden Verfahren haben die Klägerinnen im Wesentlichen geltend gemacht, dass sie vor der Einstufung durch das Bundesamt hätten angehört werden müssen. Außerdem sei das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) generell nicht auf politische Parteien und deren Jugendorganisationen anwendbar, weil Art. 21 GG eine abschließende Regelung enthalte und weitergehende Einschränkungen der politischen Tätigkeit auch nicht mit Art. 11 Abs. 2 EMRK zu vereinbaren seien. Über die Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheide allein das Bundesverfassungsgericht im dafür vorgesehen Verfahren. Bis zum Verbot müsse eine Partei ungestört und ungehindert agieren dürfen. Bereits die Einstufung als „Verdachtsfall“ und die öffentliche Bekanntgabe dieser Einstufung stellten daher gravierende Eingriffe in die durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Parteienfreiheit dar.
12Unabhängig davon verfolge die Klägerin zu 2. keine verfassungsfeindlichen Ziele, sondern grenze sich mit einer Unvereinbarkeitsliste bewusst von extremistischen Organisationen ab. Insbesondere vertrete sie keinen „ethnischen Volksbegriff“, sondern erkenne vorbehaltlos an, dass zum Staatsvolk nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts alle deutschen Staatsangehörigen zählten und es keine Staatsbürger erster und zweiter Klasse gebe. Es sei dagegen ein legitimes politisches Ziel, das deutsche Volk, seine Sprache und seine gewachsenen Traditionen langfristig erhalten zu wollen, ebenso die Forderung, die traditionell geprägte Zusammensetzung des deutschen Volkes nicht durch eine Masseneinwanderung aus anderen Kulturen strukturell stark zu verändern, solange diese Ziele nicht mit verfassungsfeindlichen Mitteln angestrebt würden, insbesondere deutsche Staatsangehörige nicht wegen anderer ethnisch-kultureller Herkunft ausgegrenzt oder diskriminiert werden sollten. Die rein deskriptive Verwendung des ethnischen Volksbegriffs könne nicht als tatsächlicher Anhaltspunkt für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gewertet werden. Entscheidend sei, welche politischen Forderungen an den Begriff geknüpft würden. Staatsangehörigkeit und Volkszugehörigkeit könnten auseinanderfallen. Bei der Klägerin zu 2. engagierten sich zahlreiche Mitglieder mit Migrationshintergrund, auch im Bundesvorstand.
13Allein der Gebrauch typischerweise von Rechtsextremisten verwendeten Vokabulars sei nicht geeignet, tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu begründen. Maßgeblich sei, ob mit der konkreten Verwendung des jeweiligen Begriffs eine verfassungsfeindliche Forderung zum Ausdruck gebracht werden solle. Den von der Gegenseite angeführten Äußerungen einzelner Mitglieder lasse sich auch keine systematische Herabwürdigung, Verächtlichmachung oder Diskriminierung von Ausländern, Flüchtlingen, Muslimen oder Menschen mit Migrationshintergrund entnehmen. So könne zum Beispiel nicht jede kritische Reaktion auf konkrete Straftaten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität als Ausdruck einer pauschalen Diffamierung von Migranten und Zuwanderern angesehen werden. Dass männliche Zuwanderer im Zusammenhang mit Straftaten, bei denen Messer verwendet würden, überproportional häufig zu finden seien, werde durch die Polizeilichen Kriminalstatistiken bestätigt. Es sei von der Meinungsfreiheit gedeckt und verfassungsrechtlich zulässig, den Islam in Gänze abzulehnen. Daraus lasse sich nicht ableiten, dass die Religionsfreiheit für den Islam und Muslime eingeschränkt würde, wenn die Klägerinnen politische Macht erlangten. Der Bau von Moscheen werde nicht generell abgelehnt, sondern nur „stadtbild-prägende Moscheen als Herrschaftssymbole“. Unabhängig davon sei von der negativen Religionsfreiheit auch die Freiheit geschützt, einen bestimmten Glauben abzulehnen. Daher sei es auch kein Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen, den Bau von Moscheen generell abzulehnen. Auch Vertreter anderer Parteien – insbesondere der CSU – äußerten sich kritisch zum Islam und forderten eine Begrenzung der Zuwanderung.
14Bei der Bewertung der Äußerungen von Mitgliedern der Klägerinnen verkenne das Bundesamt generell die konstitutive Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie. Gerade neuere politische Parteien versuchten häufig, durch überspitzt formulierte Meinungen Aufmerksamkeit zu erregen, um sich im politischen Diskurs zu behaupten. Äußerungen, die für sich genommen verfassungsrechtlich zulässig seien, könnten jedoch nicht als Beleg für eine verfassungsfeindliche Bestrebung dienen. Polemische Kritik einer Oppositionspartei gegenüber den übrigen Parteien oder der Bundesregierung sei nicht sogleich Kritik am parlamentarischen Regierungs- oder Demokratiesystem. Auch unberechtigte oder überzogene Kritik gehöre zur demokratischen Auseinandersetzung. Kritik an „den Parteien“, an den „etablierten Parteien“ oder an der „politischen Klasse“, möge sie auch überzogen oder nicht hinreichend differenziert sein, lasse für sich genommen nicht auf eine Ablehnung des Mehrparteiensystems schließen und dürfe somit auch nicht als Beleg für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung gewertet werden.
15Eine verfassungsfeindliche Abkehr von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung könne auch nicht schon bei sogenannten „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger angenommen werden. Vielmehr sei erforderlich, dass die Partei von einer entsprechenden Grundtendenz beherrscht werde. Dies gelte auch bei der Einstufung als „Verdachtsfall“. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur Partei „Die Republikaner“ seien insoweit übertragbar. Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder sei eine Zurechnung zudem nur dann möglich, wenn jene in einem politischen Kontext stünden und die Partei sie gebilligt oder geduldet habe, obwohl Gegenmaßnahmen möglich und zumutbar seien, zum Beispiel Parteiausschluss, Ordnungsmaßnahmen, Missbilligung oder zumindest „Distanzierung“. Die verfassungsfeindlichen Bestrebungen müssten darüber hinaus stets von einem direkten Vorsatz begleitet sein. Im Jahr 2018 sei der gesamte Landesverband Niedersachsen der Klägerin zu 2. aufgelöst worden, weil er nach Auffassung der Klägerin zu 2. unter anderem gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik verstoßen habe. Dies habe das Bundesamt nicht angemessen gewürdigt. Das Bundesamt habe ebenfalls die „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ der Klägerin zu 1. vom 18. Januar 2021 nicht angemessen gewürdigt. Diese sei zunächst von Damian Lohr, dem damaligen Bundesvorsitzenden der Klägerin zu 2., und anschließend von dem gesamten im April 2021 neugewählten Bundesvorstand der Klägerin zu 2. unterzeichnet worden. Dass die Erklärung nicht taktisch motiviert sein könne, folge aus dem Umstand, dass es sich nicht um eine neue Positionierung handele, sondern um die Klarstellung einer bereits bestehenden Positionierung. Den Klägerinnen sei auch entlastend zuzurechnen, dass Marvin Neumann am 30. April 2021 auf Druck des Bundesvorstands der Klägerin zu 1. aus der Partei ausgetreten sei und damit auch sein Amt als Co-Bundesvorsitzender der Klägerin zu 2. verloren habe. Die Äußerungen Neumanns seien anschließend auch von Carlo Clemens, dem damaligen weiteren Bundesvorsitzenden der Klägerin zu 2., verurteilt worden.
16Das Bundesamt habe sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen und handle aus politischen Motiven. Dies zeige sich insbesondere an der wiederholten Überschreitung rechtlicher Grenzen, zum Beispiel bei der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung der Klägerin zu 1. als „Prüffall“, aber auch an der Ungleichbehandlung gegenüber der „Linksjugend solid“, der Jugendorganisation der Partei „Die Linke“. Die Datensammlung des Bundesamts stelle zudem einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar und unterliege daher einem Beweisverwertungsverbot. Vor dem Hintergrund der jahrelangen Praxis der Beklagten, V-Leute schon vor der Beobachtung in Parteien einzuschleusen, sei es außerdem Aufgabe der Beklagten darzulegen, welche Aussagen von Personen getätigt worden seien, die im Einflussbereich des Staates stünden. Das Vorgehen des Bundesamts führe zudem zu einer unverhältnismäßigen Dauerbeobachtung. Eine Beobachtung als „Verdachtsfall“ müsse beendet werden, wenn sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht bestätigt habe und die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben seien.
17Die Öffentlichkeit dürfe über die Einstufung auch nicht unterrichtet werden. Eine Verdachtsberichterstattung über politische Parteien und deren Jugendorganisationen sei unzulässig, insbesondere im Vorfeld von Wahlen. Die Regelung des § 16 BVerfSchG sei insoweit verfassungskonform einschränkend auszulegen.
18Die Klägerinnen haben beantragt,
191. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
hilfsweise,
22die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Klägerin zu 2. aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung und der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
232. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass die Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
24hilfsweise,
25die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung und der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass die Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
263. der Beklagten für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot der Ziffern 1 und 2 ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000 Euro anzudrohen,
274. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ am 15. Januar 2019 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
285. festzustellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ am 15. Januar 2019 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
296. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war.
30Die Beklagte hat beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Sie hat zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, die Klage sei hinsichtlich der Einstufung zum Verdachtsfall unzulässig, da es sich dabei um eine rein behördeninterne Maßnahme ohne Außenwirkung handele. Erst wenn an die behördeninterne Einstufung Maßnahmen im Außenverhältnis geknüpft würden, sei Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen möglich. Jedenfalls sei die diesbezügliche Einordnung und Prüfung durch das Bundesamt in der Sache nicht zu beanstanden. Ausreichend sei dabei, dass konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis existierten, die bei vernünftiger Betrachtung auf das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen hindeuteten und die deshalb eine weitere Klärung erforderlich erscheinen ließen. Eine Beobachtung setze nicht voraus, dass die Gruppierung von einer verfassungsfeindlichen Grundtendenz beherrscht werde. Abstufungen hinsichtlich der Art und Intensität der Beobachtung ergäben sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
33Es lägen eine beträchtliche Zahl von programmatischen Aussagen und weiteren Bekundungen vor, teils von der Klägerin zu 2. als Bundesverband selbst, teils von ihren Landesverbänden sowie hochrangigen JA-Funktionären, die insgesamt erhebliche tatsächliche Anhaltspunkte dafür böten, dass die Klägerin zu 2. gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge. Eine der zentralen politischen Vorstellungen der Klägerin zu 2. sei die Vorstellung, dass das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand erhalten werden müsse und ethnisch „Fremde“ nach Möglichkeit ausgeschlossen bleiben müssten. Ein derartiger völkisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff stehe in Widerspruch zu dem Volksbegriff des Grundgesetzes. Das Konzept der Erhaltung der „ethnisch-kulturellen Identität“ ziele darauf ab, das grundgesetzliche Verständnis des deutschen Volkes durch einen hiervon abweichenden, engeren Volksbegriff zu ersetzen, unter Ausklammerung der – nach welchen Kriterien auch immer – ethnisch nicht diesem Volk zugerechneten Menschen ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit. Dabei stelle es keinen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen dar, überhaupt für eine restriktive Einwanderungspolitik oder für eine Förderung der nationalen Identität und Kultur einzutreten. Mit der Menschenwürdegarantie sei aber nicht zu vereinbaren, wenn die Zuwanderung nach ethnischen oder völkisch-abstammungsmäßigen Kriterien gesteuert werden solle oder das Ziel verfolgt werde, das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand zu erhalten und ethnisch „Fremde“ nach Möglichkeit auszuschließen. Soweit von einem „ethnisch-kulturellen“ Volksverständnis gesprochen werde, stelle das „kulturelle“ Identitätsmoment einen allenfalls untergeordneten, wenn nicht sogar vorgeschobenen Faktor dar, während es tatsächlich um die „ethnische“ Identität gehe. Dies zeige sich auch an der Verwendung von in rechtsextremistischen Kreisen gebräuchlichen Begriffen wie „Umvolkung“ oder „großer Austausch“, mit denen vor dem angeblichen Untergang des deutschen Volkes aufgrund der „Vermischung“ mit Einwanderern gewarnt werde. Bei zahlreichen Mitgliedern der Klägerinnen fänden sich Äußerungen, mit denen zum Ausdruck gebracht werde, dass deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund nicht als vollwertige Mitglieder des deutschen Volkes angesehen würden.
34Die Anhaltspunkte für ein völkisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis entfielen auch nicht durch die „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ der Klägerin zu 1. vom 18. Januar 2021. Es dränge sich der Verdacht auf, dass die Erklärung prozesstaktisch motiviert sei und überdies keine wirkliche Abkehr von völkischen Vorstellungen bedeute. Zwar werde dort das „deutsche Staatsvolk“ als Summe aller Personen bezeichnet, die die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, unabhängig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand habe. In Ziffer 2 der Erklärung werde sodann aber eine Unterscheidung zum „Deutschen Volk“ gemacht, welches langfristig erhalten werden solle. Dies lege nahe, dass das „deutsche Staatsvolk" ein rechtliches Gebilde, wohingegen das „deutsche Volk" ein dem rechtlichen Konstrukt vorausliegendes tatsächliches und „ethnisch-kulturell" bestimmtes Gebilde sei.
35Darüber hinaus finde sich in vielzähligen Verlautbarungen eine ausländer- und fremdenfeindliche Agitation, die in der Gesamtschau den Verdacht begründe, dass die Achtung der Menschenwürde für bestimmte Gruppierungen außer Geltung gesetzt werden solle. In zahlreichen Äußerungen würden Flüchtlinge und andere Migranten pauschal verunglimpft. Insbesondere in den sozialen Medien würden Flüchtlinge und Migranten verächtlich gemacht und in der Folge als minderwertig und vor allem als kriminell herabgewürdigt. Derartige Äußerungen, mit denen Ausländer und insbesondere Flüchtlinge pauschal als kriminell hingestellt würden, zielten darauf ab, Ängste, Unsicherheiten und Vorurteile zu schüren und seien damit letztlich auch geeignet, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber diesen Bevölkerungsgruppen zu bereiten. Insbesondere Muslime würden aufgrund ihres Glaubens kontinuierlich pauschal diffamiert, herabgewürdigt und ausgegrenzt. Die pauschale Ablehnung des Islam führe zu Forderungen nach einer Einschränkung der Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, die sich in ihrer verfassungsfeindlichen Zielrichtung gegen die freie Ausübung der Religionsfreiheit muslimischer Gläubiger richteten, über die Verhinderung von Moscheeneubauten bis hin zu Forderungen nach einer „Remigration" von Muslimen.
36Es lägen überdies gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin zu 2. Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip verfolge. Die Diffamierungen und Verunglimpfungen von politischen Gegnern und Vertretern des Staates zielten nicht auf eine – und sei es auch scharfe und polemische – Auseinandersetzung in der Sache, sondern auf eine generelle Herabwürdigung und Verächtlichmachung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Wiederholt fänden sich auf Seiten der Klägerin zu 2. geschichtsrevisionistische Thesen, mit denen zwar die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht geleugnet und als solches verharmlost würden, aber die Aufarbeitung der Vergangenheit und die daraus gezogenen Lehren diskreditiert werden sollten. Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen zeigten sich auch in den häufigen Aufrufen zum „Widerstand“, die zum Teil auf den Willen zu einem Systemumsturz hindeuteten.
37Die für die Verfolgung von gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen sprechenden tatsächlichen Anhaltspunkte entfielen auch nicht durch die im Februar 2019 beschlossenen Änderungen am „Deutschlandplan“ der Klägerin zu 2., die Auflösung des niedersächsischen Landesverbands der Klägerin zu 2. oder den Austritt von Marvin Neumann, da weiterhin zahlreiche und auch inhaltlich verdichtete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Klägerin zu 2. gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen entfalte.
38Eine zeitliche Obergrenze für die Beobachtung existiere nicht. Es sei vielmehr Aufgabe des Verfassungsschutzes, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten, solange entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte bestünden. Das Bundesamt dürfe die Öffentlichkeit auch gemäß § 16 Abs. 1 BVerfSchG über die Einstufung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ informieren. Der Verfassungsschutz als Instrument der wehrhaften Demokratie diene als Frühwarnsystem hinsichtlich Gefährdungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Information der Öffentlichkeit solle die politische Auseinandersetzung mit den betreffenden Bestrebungen ermöglichen.
39Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei im Hinblick auf den Klageantrag zu 6. unzulässig. Die auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bezogene Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einstufung sei bereits im Rahmen des mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachten Unterlassungsanspruchs zu prüfen. Im Übrigen sei die Klage zulässig, aber unbegründet. Ermächtigungsgrundlage für die Einordnung, Prüfung und Beobachtung der Klägerin zu 2. durch das Bundesamt sei § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 5, § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG. Die Vorschrift stehe insoweit auch im Einklang mit Art. 21 Abs. 1 GG und der EMRK. Die Verteidigung der freiheitlichen Demokratie rechtfertige den Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien. Es lägen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Klägerin zu 2. vor. Es fänden sich viele Äußerungen, die die Menschenwürdegarantie verletzten. Das in den Äußerungen zutage tretende Volksverständnis widerspreche dem im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Verständnis und sei geeignet, Zugehörige anderer Ethnien auszugrenzen und als Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Es trete das Ziel zutage, Migranten – insbesondere Muslime – auszugrenzen und verächtlich zu machen. Es handele sich bei der Vielzahl der Äußerungen erkennbar nicht (mehr) um bloße Entgleisungen einzelner Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger. Aus dem Grundtenor der Aussagen lasse sich ableiten, dass das Volksverständnis und die ausländerfeindliche Agitation Ausdruck eines generellen Bestrebens der Klägerin zu 2. seien. Die Anhaltspunkte entfielen auch nicht durch die Reaktionen der Klägerin zu 2. auf die im Einzelnen beanstandeten Äußerungen. Die Auflösung des Landesverbands Niedersachsen sei zwar beachtlich, insgesamt lasse sich aber kein konsequentes Vorgehen gegen verfassungsfeindliche Äußerungen erkennen. Eine wirkliche Abkehr von dem genannten Volksverständnis ergebe sich auch nicht aus der „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, so dass dahinstehen könne, ob die Erklärung aus (prozess-)taktischen Gründen abgegeben worden sei. Die Entscheidung des Bundesamts für eine entsprechende Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. begegne auch auf der Rechtsfolgenseite keinen Bedenken. Das Bundesamt habe, sofern es hierauf überhaupt ankommen sollte, ermessenfehlerfrei gehandelt. Insbesondere seien die Maßnahmen verhältnismäßig. Die Beobachtung der Klägerin zu 2. durch das Bundesamt sei geeignet und erforderlich, den auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Verdacht der verfassungsfeindlichen Bestrebungen weiter aufzuklären. Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wiege dabei schwerer als der Eingriff in die Rechte der Klägerinnen. Ermächtigungsgrundlage für die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung als „Verdachtsfall“ sei § 16 Abs. 1 BVerfSchG. Sie diene der Aufklärung der Öffentlichkeit zur zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Die Beobachtung einer politischen Partei durch den Verfassungsschutz ziele nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen wie ein Parteienverbot vorzubereiten, sondern solle die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken.
40Ebenfalls mit Urteilen vom 8. März 2022 hat das Verwaltungsgericht auch die Klagen gegen die Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 1. und des „Flügel“ weitgehend abgewiesen (13 K 326/21 und 13 K 207/20, jeweils bei juris).
41Am 26. April 2023 hat das Bundesamt bekanntgegeben, dass es die Klägerin zu 2. nunmehr als „gesichert extremistische Bestrebung“ einstuft. Die Klägerinnen haben dagegen einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt (13 L 1124/23, VG Köln). Daraufhin hat das Bundesamt am 14. Juni 2023 zugesagt, die Klägerin zu 2. im Hinblick auf das laufende Eilverfahren einstweilen weiterhin lediglich als Verdachtsfall zu beobachten und zu behandeln und bis zum Ergehen der Entscheidung der Kammer im Eilverfahren dementsprechend auch nicht öffentlich als gesichert extremistische Bewegung zu bezeichnen. Die Gründe für die Einstufung als „gesichert extremistische Bestrebung“ hat das Bundesamt in einem weiteren Gutachten vom 28. März 2023 („Folgegutachten zu Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der ʹJunge Alternative für Deutschlandʹ (JA)“, im Folgenden: Gutachten IV) dokumentiert. Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht Köln mit Beschluss vom 5. Februar 2024 abgelehnt (13 L 1124/23, juris). Über die von den Klägerinnen eingelegte Beschwerde (5 B 131/24) ist noch nicht entschieden.
42Am 20. Juni 2023 stellten die Bundesministerin des Innern und für Heimat und der Präsident des Bundesamts den Verfassungsschutzbericht 2022 vor, in dem die Einstufung der Klägerinnen als „Verdachtsfall“ erläutert wird. Am gleichen Tag äußerte sich der Präsident des Bundesamts hierzu ebenfalls in einem Interview gegenüber dem ZDF heute journal und führte unter anderem aus, es gebe bei der Klägerin zu 1. starke Strömungen, die verfassungsfeindlich agierten, und es sei wichtig, über die Partei und ihre Bestrebungen aufzuklären, um die gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren, sich diesem Trend stärker entgegenzustellen. Er führte wörtlich aus: „Denn nicht allein der Verfassungsschutz ist dafür zuständig, die Umfragewerte der [Klägerin zu 1.] zu senken, dazu haben wir keinerlei Möglichkeiten. Aber wir können die Bevölkerung wachrütteln, wir können Politiker wachrütteln, und ja, der Kampf für unsere Demokratie muss in der Gesamtgesellschaft geführt werden.“ In einer von der Pressestelle des Bundesamts am 30. Juli 2023 verbreiteten Mitteilung und einem Interview in den Tagesthemen am 7. August 2023 äußerte sich der Präsident des Bundesamts erneut zur Klägerin zu 1. und erklärte, deren Europawahlversammlung belege einmal mehr die Einschätzung, dass innerhalb der Partei starke verfassungsfeindliche Strömungen beständen, deren Einfluss weiter zunehme. Nach dem Austritt des früheren Bundessprechers Jörg Meuthen und anderen gemäßigteren Parteimitgliedern hätten der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke und die Personen, die man dem früheren „Flügel“ habe zurechnen können, deutlich an Einfluss gewonnen.
43Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung nehmen die Klägerinnen zunächst Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und wiederholen und vertiefen ihre bisherige Argumentation. Insbesondere bekräftigen sie, dass es nicht mit der Meinungsfreiheit zu vereinbaren sei, verfassungsrechtlich zulässige Äußerungen als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen heranzuziehen, und machen geltend, dass die vom Verwaltungsgericht angeführte diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts nicht haltbar sei. Unabhängig davon sei die Verwendung eines „ethnischen Volksbegriffs“ kein Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Die Anerkennung einer ethnisch-kulturellen Identität stelle die staatsbürgerlichen Rechte von Deutschen mit Migrationshintergrund in keiner Weise in Frage. Das Grundgesetz selbst unterscheide zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der deutschen Volkszugehörigkeit. Migrations- oder islamkritische Äußerungen seien ebenfalls keine Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen. Die Klägerinnen machen darüber hinaus ergänzend unter anderem geltend, die Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der Erstellung der Gutachten I - III sei rechtswidrig. Neu zu beachten seien nunmehr auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) sowie der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 2022 zu §§ 20, 21 BVerfSchG. Denn danach hätte das Verwaltungsgericht die Anträge zur „Beobachtung“ zumindest in Teilen, vor allem im Hinblick auf den Einsatz von V-Leuten und hinsichtlich der Datenübermittlung an andere Behörden, nicht abweisen dürfen, da die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben des BVerfSchG unter den identischen verfassungsrechtlichen Mängeln des BayVSG litten und daher verfassungswidrig seien. Im gerichtlichen Verfahren sei nicht nur aufzuklären, welche Äußerungen von Personen getätigt worden seien, die im Einflussbereich des Staates stünden, sondern auch ob und in welchem Umfang Vertrauenspersonen und andere menschliche Quellen auf den Führungsebenen der Klägerinnen eingesetzt worden seien und ob und in welchem Umfang staatliche Stellen die Prozessstrategie der Klägerinnen ausgespäht hätten. Für den auf den Zeitpunkt der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung bezogenen Feststellungsantrag zu 6. bestehe wegen der breiten medialen Rezeption des erstinstanzlichen Urteils ein eigenständiges Feststellungsinteresse. Die Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ sei im Übrigen schon deshalb rechtswidrig, weil die Kategorienbildung des Bundesamts („Prüffall“, „Verdachtsfall“ und „erwiesen extremistische Bestrebung“) im BVerfSchG nicht vorgesehen sei. Für die Beobachtung als „Prüffall“ gebe es keine Rechtsgrundlage; dies führe zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der in diesem Zeitraum gesammelten Erkenntnisse. Die politische Motivation des Bundesamts werde nunmehr auch durch die Aussagen des Präsidenten des Bundesamts im Sommer 2023 belegt, insbesondere durch die Erklärung im ZDF heute journal vom 20. Juni 2023, wonach es Aufgabe des Verfassungsschutzes sei, die Umfragewerte der Partei zu senken. Sein Amtsvorgänger habe öffentlich erklärt, dass es politischen Druck gegeben habe, die Klägerin zu 1. unbedingt zu beobachten. Die Bundesministerin des Innern und für Heimat habe sich zum Ziel gesetzt, die Klägerin zu 1. zu bekämpfen. Dies zeige sich nicht zuletzt an den Presseberichten über eine Leitungsklausur im BMI im Januar 2024, in der an einem „BMI-Wunschbaum“ auch die Forderung nach einer „Strategie zur Bekämpfung der AfD“ angebracht und von der Ministerin nicht moniert worden sei.
44Die Klägerinnen beantragen,
45das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln abzuändern und
461. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu Ziffer 1,
49die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Klägerin zu 2. aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung und der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
50äußerst hilfsweise,
51festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ vom 16. Januar 2019 bis zum 25. April 2023 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
522. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass die Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
53hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu Ziffer 2,
54die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung und der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass die Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
55äußerst hilfsweise,
56festzustellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ vom 16. Januar 2019 bis zum 25. April 2023 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
573. der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot der Ziffern 1 und/oder 2 ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro anzudrohen,
584. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ am 15. Januar 2019 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
595. festzustellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ am 15. Januar 2019 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
606. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Köln am 8. März 2022 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
617. hilfsweise, soweit der Senat in der Sache eine weitere Verhandlung für erforderlich hält, weil das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2022 (13 K 208/20) aufzuheben und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Köln zurückzuverweisen.
62Die Beklagte beantragt,
63die Berufung zurückzuweisen.
64Sie verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor: Es könne dahinstehen, ob und inwieweit die Maßgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 zum BayVSG auf die teilweise anders formulierten und konzipierten Vorschriften des BVerfSchG übertragbar seien. Die Rechtmäßigkeit der Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. als Verdachtsfall einer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebung hänge vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 3, 4 BVerfSchG ab, nicht davon, ob und gegebenenfalls welche nachrichtendienstlichen Mittel im Rahmen dieser Beobachtung eingesetzt werden könnten. Die von den Klägerinnen als entlastende Umstände angeführten Erklärungen ließen die tatsächlichen Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen nicht entfallen. Vielmehr werde der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch zahlreiche weitere nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts getätigte Äußerungen bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht habe keine Bedenken gegenüber einem Einsatz von Vertrauenspersonen vor Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens geäußert und auch für das Parteiverbotsverfahren nur festgestellt, dass ein Verbotsantrag nicht „im Wesentlichen“ auf Materialien und Sachverhalte gestützt werden dürfe, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst worden sei. Es würden keine nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt, um Informationen über die Prozessstrategie der Klägerinnen zu erhalten. Sofern zufällig Erkenntnisse anfielen, die die Prozesstaktik der Gegenseite beträfen, würden diese nicht zur Akte genommen und entsprechend nicht berücksichtigt. Der Vorwurf, das Bundesamt lasse sich bei der Entscheidung über die Beobachtung der Klägerinnen von parteipolitischen Erwägungen leiten oder sei einem entsprechenden Druck des BMI ausgesetzt, sei geradezu abwegig. Die Einstufungen der Klägerinnen beruhten auf einer umfangreichen Sammlung von Materialien, die in den verschiedenen Gutachten und Schriftsätzen sachlich und unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung hierzu entwickelten Maßstäbe bewertet worden seien.
65Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Gleiches gilt für die von den Beteiligten eingeführten Inhalte der Verfahren 5 A 1216/22, 5 A 1218/22, 5 B 757/23 und des vor dem Verwaltungsgericht Köln geführten Eilverfahrens 13 L 105 /21 (zur Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 1. als Verdachtsfall).
66Entscheidungsgründe
67Die zulässige Berufung der Klägerinnen ist unbegründet. Ihre Klage ist zulässig, aber unbegründet.
68A. Die Klage ist zulässig.
69I. Für die mit den Klageanträgen zu 1. und 2. geltend gemachten Unterlassungsansprüche ist die allgemeine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage die statthafte Klageart, für die mit den Klageanträgen zu 4., 5. und 6. sowie den neuen Hilfsanträgen zu den Klageanträgen zu 1. und 2. formulierten Feststellungsbegehren die Feststellungsklage.
70Der Senat versteht – wie bereits das Verwaltungsgericht – das von den Klägerinnen formulierte Rechtsschutzbegehren, der Beklagten zu untersagen, die Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen, als einheitliches Unterlassungsbegehren, das darauf gerichtet ist, dem Bundesamt jede Tätigkeit zu untersagen, die an die Einstufung als „Verdachtsfall“ anknüpft. Die Beobachtung schließt das Sammeln und Auswerten von Informationen ein, womit die Klägerin zu 2. zugleich als Beobachtungsobjekt geführt, behandelt und geprüft wird, und setzt die vorherige Einstufung als Beobachtungsobjekt voraus.
71Vgl. zum Begriff der Beobachtung BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 14.
72Die Klägerinnen wenden sich dabei nicht gegen die Beobachtung als solche, sondern konkret gegen die Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ und haben dazu in der Klagebegründung vom 13. Januar 2020 ausgeführt, dass die Klägerin zu 1. zum damaligen Zeitpunkt nur als „Prüffall“ eingestuft und Gegenstand dieses Verfahrens die weitergehende Einordnung, Prüfung und Bearbeitung (nebst entsprechender Äußerungen) der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ sei, an die die Beklagte nachrichtendienstliche Maßnahmen anknüpfe. Die Klägerinnen haben dieses Begehren auch in ihren weiteren Schriftsätzen bestätigt und deutlich gemacht, dass sie bereits die Voraussetzungen für eine Einstufung als „Verdachtsfall“ nicht erfüllt sehen und deshalb in ihren Augen jede daran anknüpfende Maßnahme des Bundesamts rechtswidrig ist. Die auf die Rechtswidrigkeit der Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ sowie deren Bekanntgabe bezogenen Feststellungsbegehren entsprechen inhaltlich den diesbezüglichen Unterlassungsbegehren und beziehen sich lediglich auf einen anderen Zeitpunkt.
73Die von den Klägerinnen formulierten Unterlassungs- und Feststellungsanträge sind damit auch hinreichend bestimmt. Angesichts der Vielzahl möglicher Einzelhandlungen bei der Sammlung und Auswertung von Informationen ist eine weitere Konkretisierung des Klageantrags nicht erforderlich. Eine Unterlassungsklage, mit der ein drohendes tatsächliches Verwaltungshandeln abgewehrt werden soll, ist statthaft, wenn sich das Handeln hinreichend konkret abzeichnet, insbesondere die für eine Rechtmäßigkeitsprüfung erforderliche Bestimmtheit aufweist.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2017 – 6 A 6.16 –, BVerwGE 161, 76, juris, Rn. 12; OVG NRW, Beschluss vom 6. September 1994 – 25 B 1507/94 –, NVwZ-RR 1995, 278.
75Dies ist hier der Fall. Die Klägerinnen haben ihre Anträge dahingehend konkretisiert, dass sie sich gegen eine Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ wenden. Damit beziehen sie sich auf die vom Bundesamt bekannt gegebene Einordnung, mit der das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Satz 5 BVerfSchG beschrieben wird. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Das Vorliegen „tatsächlicher Anhaltspunkte“ im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG ist die zentrale befugnisrechtliche Kategorie des BVerfSchG, die das Bundesamt zur nachrichtendienstlichen Sammlung und Auswertung von Informationen nach Maßgabe der §§ 8 ff. BVerfSchG berechtigt.
76Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 18, und vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 29.
77Die aus § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG abgeleitete Befugnis des Bundesamts, die Klägerin zu 2. wegen des Verdachts gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen zu beobachten, stellt auch ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinn von § 43 VwGO dar. Damit ist nicht lediglich eine Vorfrage angesprochen, die gegebenenfalls bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit konkreter Beobachtungsmaßnahmen zu berücksichtigen ist. Die generelle Berechtigung des Bundesamts zum Sammeln und Auswerten von Informationen stellt ein eigenständiges übergreifendes Rechtsverhältnis dar. Innerhalb dieser Rechtsbeziehung zwischen Klägerin zu 2. und Beklagter können weitere nachgeordnete Rechtsverhältnisse im Streit stehen, die sich zum Beispiel auf die Beobachtung bestimmter Personen oder den Einsatz bestimmter Beobachtungsmittel beziehen. Dies hindert die Klägerinnen aber nicht, die generelle Befugnis des Bundesamts zur Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ überprüfen zu lassen.
78Soweit die Klägerinnen erstmalig im Berufungsverfahren vorgetragen haben, dass ihrer Klage zumindest teilweise, in Bezug auf den Einsatz bestimmter nachrichtendienstlicher Mittel stattzugeben sei, weil einzelne Regelungen im BVerfSchG verfassungswidrig seien, betrifft dies einen anderen Streitgegenstand, der im bisherigen Klagegrund nicht enthalten war. Dessen Einbeziehung im Weg der Klageänderung hat die Beklagte widersprochen; sie ist auch nicht als sachdienlich im Sinn von § 91 VwGO anzusehen. Der Einsatz einzelner nachrichtendienstlicher Mittel ist in den §§ 8 ff. BVerfSchG näher geregelt. Die Klägerinnen haben sich im erstinstanzlichen Verfahren weder ausdrücklich noch sinngemäß mit dem Vorliegen der besonderen Voraussetzungen für den Einsatz dieser Mittel befasst, sondern ausschließlich die Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ angegriffen. Damit haben sie den für den Streitgegenstand maßgeblichen Lebenssachverhalt festgelegt, aus dem sie die mit dem Klageantrag begehrte Rechtsfolge ableiten. Wenn sie ihren Unterlassungsanspruch nunmehr (zum Teil) darauf stützen möchten, dass eine bestimmte Art und Weise der Beobachtung rechtswidrig ist, obliegt es ihnen zum einen, näher zu bezeichnen, welche konkreten aktuellen oder drohenden Maßnahmen sie abwehren möchten, und stellt dies zum anderen eine wesentliche Erweiterung des Klagegrunds dar, die den Abschluss des anhängigen Berufungsverfahrens und die weitere Klärung der bereits erstinstanzlich erörterten und entschiedenen Streitfragen wesentlich verzögern würde. Gegenstand ihres Unterlassungsbegehrens war in erster Instanz zu keinem Zeitpunkt eine bestimmte Form der Beobachtung, sondern generell jede Beobachtung und Behandlung als „Verdachtsfall“, unabhängig von den vom Bundesamt konkret eingesetzten Mitteln. Nur darüber hat das Verwaltungsgericht entschieden; mit der Klageabweisung hat es nicht zugleich festgestellt, dass jede denkbare Form der Beobachtung durch das Bundesamt rechtmäßig wäre. In gleicher Weise beziehen sich auch die Feststellungsanträge auf die generelle Befugnis zur Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. und nicht auf die einzelfallabhängige Berechtigung des Bundesamts zum Einsatz bestimmter Mittel.
79Die zu den Unterlassungsanträgen zu 1. und 2. formulierten ersten Hilfsanträge unterscheiden sich im Streitgegenstand nicht von den jeweiligen Hauptanträgen. Die Klägerinnen haben lediglich Angaben zu dem für die Prüfung der geltend gemachten Unterlassungsansprüche maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eingefügt.
80Die mit den zweiten Hilfsanträgen zu den Unterlassungsanträgen zu 1. und 2. formulierten Feststellungsbegehren erweitern dagegen den Streitgegenstand, da sie sich auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum beziehen und nur insoweit mit den früheren Feststellungsbegehren übereinstimmen, als sie auch die mit dem Klageantrag zu 6. bezeichnete Beobachtung am 8. März 2022 umfassen. Da sich auch die neuen Hilfsanträge auf die generelle Befugnis zur Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. beziehen, kann die damit verbundene Klageänderung jedoch als sachdienlich angesehen werden.
81Bei der unter 3. beantragten Androhung eines Ordnungsgelds handelt es sich nicht um einen eigenständigen Klageantrag, sondern um einen, schon im Erkenntnisverfahren zulässigen, auf die Vollstreckung der begehrten gerichtlichen Entscheidung zu den Klageanträgen zu 1. und 2. bezogenen Antrag nach § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 890 Abs. 2 ZPO.
82Die im Hilfsantrag zu 7. formulierten Bedingungen, mit denen die Klägerinnen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufgreifen, liegen nicht vor, so dass über den Antrag nicht zu entscheiden ist. Der Hilfsantrag zu 7. ist ein zulässiger prozessualer Antrag nach § 130 Abs. 2 VwGO, den die Klägerinnen unter der innerprozessualen Bedingung gestellt haben, dass nach der rechtlichen Bewertung des Senats die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegen. Über diesen Antrag ist nicht zu entscheiden, da – wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt – eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme nicht notwendig, sondern der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist und deshalb die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegen.
83II. Die Unterlassungs- und Feststellungsanträge zu 1., 2., 4., 5. und 6. sind auch im Übrigen zulässig.
84Die für die Unterlassungsanträge entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis der Klägerinnen ergibt sich aus der möglichen Verletzung ihrer durch Art. 21 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 GG geschützten subjektiven Rechte als politische Partei und deren selbständige Jugendorganisation. Die Einstufung als solche ist zwar für sich genommen eine behördeninterne Maßnahme ohne Außenwirkung, die die Klägerinnen nicht in ihren Rechten berührt. Sie ist aber ein untrennbarer Bestandteil der außenwirksamen Beobachtung und Informationssammlung und von den Klägerinnen auch als solcher angegriffen.
85Die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten ist durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln im Eilverfahren über die „Hochstufung“ der Klägerin zu 2. zur „gesichert extremistischen Bestrebung“ nicht entfallen. Das Bundesamt ist weiterhin der Auffassung, dass tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen vorliegen, die es zur Sammlung und Auswertung von Informationen über die Klägerin zu 2. berechtigen, und beobachtet die Klägerin zu 2. damit weiterhin im Rechtssinn als „Verdachtsfall“. Die Einstufung als „gesichert extremistische Bestrebung“ eröffnet dem Bundesamt nach dem BVerfSchG keine weitergehenden Befugnisse als die Einstufung als „Verdachtsfall“. Die von den Klägerinnen im Berufungsverfahren ausdrücklich gerügte Kategorienbildung des Bundesamts („Prüffall“, „Verdachtsfall“, „erwiesen/gesichert extremistische Bestrebung“) ist im Gesetz in der Tat nicht vorgesehen. Bei der „Hochstufung“ vom „Verdachtsfall“ zur „gesichert extremistischen Bestrebung“ handelt sich im Hinblick auf die Beobachtung um eine interne Einordnung ohne Außenwirkung, die den Streitgegenstand eines auf die grundsätzliche Befugnis zur Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln bezogenen Unterlassungs- oder Feststellungsbegehrens nicht verändert. Eine unmittelbare Außenwirkung hat dagegen die Bekanntgabe der „Hochstufung“ zur „gesichert extremistischen Bestrebung“. Die entsprechende Befugnis des Bundesamts stellt gegenüber der Berechtigung zur Bekanntgabe der Beobachtung als „Verdachtsfall“ ein eigenständiges feststellungsfähiges Rechtsverhältnis mit verändertem Streitgegenstand dar, weil das Bundesamt damit die Öffentlichkeit nicht nur über die Beobachtung als solche unterrichtet, sondern für sich in Anspruch nimmt, die Klägerin zu 2. öffentlich als „gesichert extremistische Bestrebung“ bewerten zu dürfen. Dies ändert aber nichts daran, dass die Befugnis zur nachrichtendienstlichen Beobachtung weiterhin von der Einstufung als „Verdachtsfall“ abhängt und das Bundesamt zumindest in der Vergangenheit für sich in Anspruch genommen hatte, diese Einstufung öffentlich bekannt zu geben und zu erklären, so dass auch der dagegen gerichtete Unterlassungsantrag weiterhin zulässig ist.
86Die Klägerinnen haben auch ein besonderes Rechtsschutzinteresse in Bezug auf die begehrte umfassende Untersagung der weiteren Bearbeitung als „Verdachtsfall“, auch wenn der künftige Einsatz einzelner nachrichtendienstlicher Mittel noch nicht soweit bestimmt oder absehbar ist, dass eine diesbezügliche Rechtmäßigkeitsprüfung durch die Gerichte möglich wäre. Die Feststellung, dass tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Satz 5 BVerfSchG vorliegen, ist die Mindestvoraussetzung für die fortdauernde Beobachtung der Klägerin zu 2., unabhängig vom Einsatz bestimmter Beobachtungsmittel.
87Siehe auch Bay. VGH, Beschluss vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 60 ff.
88Die Klägerinnen haben auch ein im Sinn von § 43 Abs. 1 VwGO berechtigtes Interesse an der auf bestimmte Zeitpunkte oder Zeiträume in der Vergangenheit bezogenen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einstufung, Beobachtung und Bekanntgabe als „Verdachtsfall“. Die damit verbundenen Auswirkungen auf ihre durch Art. 21 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 GG geschützte Betätigung als politische Partei und Jugendorganisation begründen ein beachtliches Rehabilitationsinteresse, das nicht bereits durch die zugleich erhobene Unterlassungsklage abgedeckt ist, weil bei der Prüfung der Begründetheit der Unterlassungsanträge (allein) die aktuelle Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist.
89Der Zulässigkeit des Klageantrags zu 6. steht im Berufungsverfahren auch nicht mehr die Subsidiarität der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO entgegen. Das mit dem Klageantrag zu 6. verfolgte Feststellungsbegehren ist auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 8. März 2022 gerichtet; dieses Begehren und der mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachte Unterlassungsanspruch beziehen sich damit nunmehr auf unterschiedliche Zeitpunkte.
90B. Die Klage ist unbegründet.
91I. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Unterlassung der Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt (Klageantrag zu 1.). Die auf die Rechtswidrigkeit ihrer Einstufung und Beobachtung am 15. Januar 2019 und vom 16. Januar 2019 bis zum 25. April 2023 bezogenen Feststellungsanträge sind ebenfalls unbegründet (Klageanträge zu 4. und 6. sowie zweiter Hilfsantrag zum Klageantrag zu 1.).
92Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass die streitgegenständliche hoheitliche Tätigkeit aktuell rechtswidrig ist. Die vergangenheitsbezogenen Feststellungsbegehren beziehen sich auf die Rechtmäßigkeit zu den von den Klägerinnen genannten Zeitpunkten. Die Beobachtung der Klägerin zu 2. durch das Bundesamt war und ist rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Das Bundesamt durfte und darf die Klägerin zu 2. auch weiterhin beobachten und dabei grundsätzlich auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen.
931. Rechtsgrundlage für die Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt ist § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG.
94Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG darf das Bundesamt die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten. Das BVerfSchG knüpft hier an die Begriffsdefinition in § 46 Nr. 2 Bundesdatenschutzgesetz an, wonach die Verarbeitung auch das Erheben, Speichern und Nutzen der Daten umfasst.
95Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) vom 24. Februar 2017, BT-Drs. 18/11325, S. 121.
96Zu den Aufgaben des Bundesamts gehört nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG unter anderem die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung der Informationen ist nach § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für solche Bestrebungen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. In § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannt werden das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen (Buchst. a), die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Buchst. b), das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition (Buchst. c), die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung (Buchst. d), die Unabhängigkeit der Gerichte (Buchst. e), der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (Buchst. f) und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (Buchst. g).
97Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG darf das Bundesamt Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Dabei darf nach § 8 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG in Individualrechte nur nach Maßgabe besonderer Befugnisse eingegriffen werden. So ist in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BVerfSchG unter der Überschrift „Besondere Formen der Datenerhebung“ geregelt, dass das Bundesamt Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit den Mitteln gemäß § 8 Abs. 2 BVerfSchG erheben darf, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können, und die Erforschung des Sachverhalts nicht auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Die Anwendung einzelner Mittel unterliegt weiteren besonderen gesetzlichen Voraussetzungen, so nach §§ 9a und 9b BVerfSchG für den Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern oder Vertrauensleuten.
98Sind zur Erfüllung der Aufgabe nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG verschiedene Maßnahmen geeignet, hat das Bundesamt nach § 8 Abs. 5 Satz 1 BVerfSchG diejenige zu wählen, die den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Nach § 8 Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG darf eine Maßnahme keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.
99§ 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG ist danach die Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung und als solche zugleich Voraussetzung für die einzelfallbezogene Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel im Sinn des § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG, insbesondere nach der diesbezüglichen Generalklausel des § 9 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG.
100Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 18; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 245 ff., 345 ff.; Roth, in: Schenke/Graulich/ Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 8 BVerfSchG Rn. 3 ff.
101Die in Rede stehenden Vorschriften ermächtigen das Bundesamt zu Maßnahmen der Informationsbeschaffung und zwar entsprechend der Aufgabe des Amtes, politische Vorfeldaufklärung ohne operative Verantwortung in Bezug auf konkrete Gefährdungslagen zu betreiben, geknüpft an die niedrige Eingriffsschwelle eines bloßen Verdachts.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 25.
103Die genannten Vorschriften des BVerfSchG ermächtigen auch zur Beobachtung von politischen Parteien und dementsprechend auch von anderen politischen Gruppierungen wie Jugendorganisationen politischer Parteien. Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist Ausfluss des Prinzips der „streitbaren“ oder „wehrhaften Demokratie“, das vor allem in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 und 3 GG verfassungsrechtlich verankert ist und gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören.
104Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 153, 220, 239, vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 418, und Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 u. a. –, BVerfGE 107, 339, juris, Rn. 77 f. (Senatsminderheit).
105Dies gilt auch bei einem bloßen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen, also wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die dafür sprechen, dass die Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt.
106Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 24; BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 31, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 27.
107Die durch Art. 21 GG geschützte besondere Stellung politischer Parteien steht dem nicht entgegen.
108Art. 21 GG stattet die politischen Parteien wegen ihrer Sonderstellung im Verfassungsleben mit einer erhöhten Schutz- und Bestandsgarantie (dem so genannten Parteienprivileg) aus. Diese findet ihren Ausdruck vor allem darin, dass die politischen Parteien im Gegensatz zu anderen politischen Vereinigungen nur durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden können. Das Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts schließt ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus, mag sie sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung noch so feindlich verhalten. Die Partei kann zwar politisch bekämpft werden, sie soll aber in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein. Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Tätigkeit der Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit besteht, um der politischen Freiheit willen in Kauf. Die Partei handelt, auch wenn sie verfassungsfeindliche Ziele propagiert, im Rahmen einer verfassungsmäßig verbürgten Toleranz.
109Vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 224, und Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 –, BVerfGE 107, 339, juris, Rn. 68 f. (Senatsminderheit) m. w. N.
110Die nachrichtendienstliche Beobachtung kann aber zum einen notwendig sein, um ein Parteiverbots- oder ein Finanzierungsausschlussverfahren nach Art. 21 Abs. 4 GG vorzubereiten. Da verfassungswidrige Parteien häufig aus taktischem Kalkül ihre wahren Absichten verschleiern und sich konspirativ verhalten, müssen die Verfassungsschutzämter in der Lage sein, ihre Informationen ebenfalls unter Geheimhaltung und Tarnung zu gewinnen, um der geheimen Arbeitsweise der Verfassungsgegner auf die Spur zu kommen. Daher ist es grundsätzlich erforderlich, zur Informationsgewinnung auch nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen.
111BVerfG, Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 –, BVerfGE 107, 339, juris, Rn. 147 (Senatsmehrheit) m. w. N.
112Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, zielt die Beobachtung einer politischen Partei auf verfassungsfeindliche Bestrebungen aber nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt vielmehr auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken. Um die Überschreitung der Linie feststellen zu können, von der an verfassungsfeindliche Betätigungen zu einer Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung werden, der nicht mehr mit politischen Mitteln, sondern nur noch mit juristischen Mitteln begegnet werden kann, muss dieses Vorfeld notwendig beobachtet werden.
113Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 24, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 19, 27.
114In gleicher Weise hat auch das Bundesverfassungsgericht die Beobachtung politischer Parteien durch den Verfassungsschutz schon früher als vereinbar mit der durch Art. 21 GG geschützten Parteienfreiheit angesehen und dazu ausgeführt, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wenn eine Partei im Verfassungsschutzbericht genannt wird, aber die Bundesregierung es vorzieht, das Parteiverbotsverfahren nicht einzuleiten, weil die politische Auseinandersetzung mit ihr ausreicht oder wirkungsvoller die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen vermag als ein förmliches Parteiverbot.
115Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Oktober 1975 – 2 BvE 1/75 –, BVerfGE 40, 287, juris, Rn. 16, 20, und vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 –, BVerfGE 39, 334, juris, Rn. 62.
116Wie das Bundesverwaltungsgericht weiter dargelegt hat, hat der Gesetzgeber die Aufgaben und Befugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz so bestimmt, dass Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien auf das zur Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie zwingend Gebotene beschränkt bleiben. Die widerstreitenden Prinzipien der Parteienfreiheit und der streitbaren Demokratie sind namentlich in § 8 Abs. 5 und § 9 BVerfSchG mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einem angemessenen Ausgleich zugeführt. Die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall genügt zur Wahrung der Rechte und schützenswerten Belange Betroffener. Dies gilt auch für politische Parteien.
117BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 25.
118Das Bundesverfassungsgericht hat das genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben, weil die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall nicht gewahrt war, hat aber die vom Bundesverwaltungsgericht zugrunde gelegten allgemeinen Maßstäbe zu den Voraussetzungen einer Beobachtung von politischen Parteien und Abgeordneten durch den Verfassungsschutz nicht in Frage gestellt.
119Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 132 ff.
120Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darf dabei nicht als zu enge Vorgabe verstanden werden, sondern erfordert eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht zum Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG sowie zum Finanzierungsausschluss nach Art. 21 Abs. 3 GG aufgestellt hat, lassen sich insoweit vollumfänglich auf die Beobachtung politischer Parteien durch den Verfassungsschutz übertragen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, hat die Grundentscheidung der Verfassung für einen offenen Prozess der politischen Willensbildung zur Folge, dass auch das kritische Hinterfragen einzelner Elemente der Verfassung möglich sein muss, ohne dass dadurch ein Parteiverbot oder ein Finanzierungsausschluss ausgelöst werden kann. Wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die politische Betätigung die Grenzen zulässiger politischer Willensbildung überschreitet, besteht dementsprechend auch kein Anlass für eine nachrichtendienstliche Beobachtung. Die katalogartige Aufzählung einzelner Rechtsinstitute in § 4 Abs. 2 BVerfSchG steht dazu nicht in Widerspruch, sondern knüpft an die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, die nicht die Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, sondern die sich daraus ergebenden Ableitungen in den Vordergrund gestellt hatte.
121Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 248, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 529 ff.; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 49; Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 6. April 1989, BT-Drs. 11/4306, S. 60; Unterrichtung durch den Bundesrat vom 26. Juni 1990, BT-Drs. 11/7504, S. 8.
122Die Anwendbarkeit des BVerfSchG auf politische Parteien steht auch im Einklang mit den Vorgaben der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Soweit sich die Klägerinnen darauf berufen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte insgesamt sehr strenge Anforderungen an ein Parteiverbot stelle, betrifft dies zum einen nicht die hier streitgegenständlichen Maßnahmen des Bundesamts und hat das Bundesverfassungsgericht zum anderen bereits ausführlich dargelegt, dass die grundgesetzlichen Maßstäbe für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei mit der diesbezüglichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vereinbar sind.
123Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 607 ff.; zum Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 302 ff., 311 ff.
124Den für sonstige Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit geltenden Anforderungen des Art. 11 Abs. 2 EMRK kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung getragen werden.
125Vgl. zur Verhältnismäßigkeitsprüfung BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 132 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 35 ff.
126Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen die Ausnahmen in Art. 11 Abs. 2 EMRK bei politischen Parteien eng ausgelegt werden. Nur überzeugende und zwingende Gründe können eine Einschränkung ihrer Vereinigungsfreiheit rechtfertigen. Bei der Beurteilung, ob eine Einschränkung im Sinn von Art. 11 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, haben die Konventionsstaaten nur einen reduzierten Ermessensspielraum.
127Vgl. EGMR, Urteile vom 5. Mai 2020 – 78635/13 – (Ignatencu u. Die Kommunistische Partei Rumäniens/Rumänien), NVwZ 2021, 705, Rn. 77, und vom 13. Februar 2003 – 41340/98 u. a. – (Refah Partisi u. a./Türkei), NVwZ 2003, 1489, Rn. 100.
128Dabei kann ein Staat politische Parteien verpflichten, die von der Konvention garantierten Rechte und Freiheiten zu achten und zu schützen, sowie auch dazu, kein politisches Programm zu vertreten, das den Grundprinzipien der Demokratie widerspricht. Eine politische Partei, deren Führung zu Gewalt aufruft oder eine Politik verfolgt, die nicht die Demokratie achtet oder deren Abschaffung sowie die Missachtung der in ihr anerkannten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat, kann sich nicht auf den Schutz der Konvention gegenüber Sanktionen berufen, die eben deswegen verhängt werden. Jeder Vertragsstaat kann sich entsprechend seinen historischen Erfahrungen im Einklang mit der Konvention gegen derartige politische Bewegungen wenden.
129Vgl. EGMR, Urteile vom 5. Mai 2020 – 78635/13 – (Ignatencu u. Die Kommunistische Partei Rumäniens/Rumänien), NVwZ 2021, 705, Rn. 79, und vom 13. Februar 2003 – 41340/98 u. a. – (Refah Partisi u. a./Türkei), NVwZ 2003, 1489, Rn. 98, 124.
130Diesen Vorgaben entsprechen die dargelegten innerstaatlichen Maßstäbe für die nachrichtendienstliche Beobachtung politischer Parteien. Der Gerichtshof hat ausdrücklich festgestellt, dass die politische Erfahrung der Konventionsstaaten gezeigt hat, dass in der Vergangenheit politische Parteien mit Zielen, die Grundprinzipien der Demokratie widersprechen, das nicht zu erkennen gegeben haben, bevor sie an der Macht waren. Es lasse sich daher nicht ausschließen, dass das Programm einer Partei andere Ziele und Absichten verberge als die, welche sie öffentlich verkündet. Um das zu prüfen, müsse der Inhalt des Programms mit dem Verhalten und den Stellungnahmen der Mitglieder und Verantwortlichen der Partei verglichen werden.
131Vgl. EGMR, Urteil vom 5. Mai 2020 – 78635/13 – (Ignatencu u. Die Kommunistische Partei Rumäniens/Rumänien), NVwZ 2021, 705, Rn. 96.
132Diese Erwägungen rechtfertigen auch eine nachrichtendienstliche Beobachtung politischer Parteien. Der damit verbundene Eingriff in die Rechte der Partei und ihrer Mitglieder ist nicht zu vergleichen mit den konkreten Umständen in dem von der Klägerin angeführten Fall der Entlassung einer Lehrerin aus dem Beamtenverhältnis, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als unverhältnismäßig angesehen hat.
133Vgl. EGMR, Urteil vom 26. September 1995 – 17851/91 – (Vogt/Deutschland), NJW 1996, 375.
134Im Übrigen hat die nachrichtendienstliche Beobachtung auch nach innerstaatlichen Maßstäben zu unterbleiben, wenn sie im Einzelfall unverhältnismäßig ist.
135Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 132 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 35 ff.
136Die Frage, ob sich die streitgegenständlichen Maßnahmen des Bundesamts an den Regelungen der europäischen Grundrechtecharta (GrCh), namentlich Art. 12 Abs. 1 GrCH, messen lassen müssen,
137vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 632,
138bedarf an dieser Stelle keiner Vertiefung. Jedenfalls entspricht der Prüfungsmaßstab von Art. 12 Abs. 1 GrCh demjenigen von Art. 11 EMRK.
139Vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C 303/22; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 1; Rixen/Scharl, in: Stern/Sachs, Europäische Grundrechte-Charta, 2016, Art. 12 Rn. 1 f.
1402. Die Beobachtung durch das Bundesamt war und ist formell rechtmäßig. Eine vorherige Anhörung der Klägerinnen war nicht erforderlich, weder vor der Beobachtung noch vor deren öffentlicher Bekanntgabe. Sie ist weder gesetzlich vorgesehen noch war sie von Verfassungs wegen geboten.
141In Bezug auf die Beobachtung und Informationssammlung durch das Bundesamt ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass auf eine vorherige Anhörung der Betroffenen verzichtet wird. Den Nachrichtendiensten kommt die Aufgabe zu, Aufklärung bereits im Vorfeld von Gefährdungslagen zu betreiben, ohne dass sie über eigene operative Anschlussbefugnisse verfügen. Sie haben mannigfaltige Bestrebungen auf ihr Gefahrenpotenzial hin allgemein zu beobachten und diese gerade auch unabhängig von konkreten Gefahren in den Blick zu nehmen. Der Grundsatz der Offenheit der Datenerhebung gilt für sie nicht, und sie sind von Transparenz- und Berichtspflichten gegenüber den Betroffenen weithin freigestellt. Im Gegenzug und zum Ausgleich zu der Weite dieser Datenerhebungsbefugnisse ist die Zielrichtung der Aufklärung begrenzt und unterliegt die Datenverwendung strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen.
142Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. September 2022 – 1 BvR 2354/13 –, BVerfGE 163, 43, juris, Rn. 117 ff., sowie Urteile vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 –, BVerfGE 162, 1, juris, Rn. 156 ff., 236 ff., und vom 24. April 2013 – 1 BvR 1215/07 –, BVerfGE 133, 277, juris, Rn. 116 ff.
143Dem Informationsbedürfnis der Betroffenen und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes wird durch den Auskunftsanspruch des § 15 BVerfSchG Rechnung getragen. Soweit die Grundrechte die Möglichkeit des Einzelnen schützen, von einer ihn betreffenden informationsbezogenen Maßnahme des Staates Kenntnis zu erlangen, gibt das Grundgesetz nicht vor, wie dies im Einzelnen gesetzlich auszugestalten ist. Denkbar ist auch eine die Datenerhebung begleitende Information oder eine nachträgliche Benachrichtigung des Betroffenen, wie sie hier der Sache nach mit der öffentlichen Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung durch das Bundesamt erfolgt ist.
144Vgl. BVerfG, Urteile vom 20. April 2016 – 1 BvR 966/09 –, BVerfGE 141, 220, juris, Rn. 136, und vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08 –, BVerfGE 125, 260, juris, Rn. 240 ff., sowie Beschluss vom 10. März 2008 – 1 BvR 2388/03 –, BVerfGE 120, 351, juris, Rn. 67 ff.
145Auch im Hinblick auf die Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung durch das Bundesamt gebieten Art. 21 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG keine vorherige Anhörung der Klägerinnen. Soweit die Klägerinnen eine Anhörungspflicht daraus ableiten, dass lediglich über einen Verdacht berichtet wird, hat das Bundesverfassungsgericht – in anderem Zusammenhang – bereits entschieden, dass der Träger der Staatsgewalt unter besonderen Voraussetzungen auch zur Verbreitung von Informationen berechtigt sein kann, deren Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt ist, und ausgeführt, dass in solchen Fällen die Rechtmäßigkeit der staatlichen Informationstätigkeit davon abhängt, ob der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, gegebenenfalls auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit aufgeklärt worden ist.
146Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91 –, BVerfGE 105, 252, juris, Rn. 60.
147Eine Anhörung des Betroffenen kann danach nach den Umständen des Einzelfalls zur sorgfältigen Sachverhaltsaufklärung geboten sein, ist aber keine eigenständige Voraussetzung staatlichen Informationshandelns. Ein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in der Weise, dass die Regierung verpflichtet wäre, Informationen vor ihrer Veröffentlichung den Personen oder Gruppen, die in der Information erwähnt werden, zur vorherigen Stellungnahme zuzuleiten, findet keine rechtliche Grundlage und besteht deshalb grundsätzlich nicht.
148Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 24. Januar 2003 – 11 TG 1982/02 –, NVwZ 2003, 1000, juris, Rn. 8; siehe auch BVerwG, Beschlüsse vom 8. November 2004 – 7 B 19.04 –, KirchE 46, 237, juris, Rn. 24, und vom 13. März 1991 – 7 B 99.90 –, NJW 1991, 1770, juris, Rn. 8.
149Eine Anhörung war im vorliegenden Fall auch nicht aufgrund der Umstände des Einzelfalls zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten. Den Klägerinnen waren die drohende Einstufung, Beobachtung und öffentliche Bezeichnung als „Verdachtsfall“ und die Gründe dafür bereits vor dem 15. Januar 2019 bekannt, wie sich schon daran zeigt, dass die Klägerin zu 1. bereits im Jahr 2018 ein Rechtsgutachten hat erstellen lassen, das sich mit der Rechtmäßigkeit einer möglichen Beobachtung durch das Bundesamt auseinandersetzt und Handlungsempfehlungen enthält, um eine Beobachtung zu vermeiden („Rechtliche Voraussetzungen für die Beobachtung einer politischen Partei durch den Verfassungsschutz – Kurzgutachten und Handlungsempfehlungen für die AfD“ von Professor Dr. Dietrich Murswiek, abrufbar: https://www.afd.de/wp-content/uploads/2019/01/2018-10-22_vs-kurzgutachten_prof-murswiek_voraussetzungen-allgemein.pdf, zuletzt abgerufen am 17. Juni 2024). Am 13. September 2018 hatte der Bundesvorstand der Klägerin zu 1. beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich mit dem Thema einer möglichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz befasst, und am 26. November 2018 beschlossen, im Hinblick auf „menschenverachtende Einzeläußerungen“ von Mitgliedern der Klägerin zu 2. nach Vorliegen eines aktuellen Lagebilds der „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ unverzüglich eine Sondersitzung zur Situation bei der Klägerin zu 2. einzuberufen.
150Unabhängig davon wäre ein möglicher Anhörungsmangel jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft entsprechend § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG geheilt, nachdem die Klägerinnen in den von ihnen geführten gerichtlichen Verfahren umfassend zur Beobachtung und deren Bekanntgabe Stellung genommen und das Bundesamt sich mit dem Vorbringen der Klägerinnen auseinandergesetzt, es in seine fortlaufende Aktualisierung der Informationssammlung und -auswertung einbezogen und an seiner Entscheidung, die Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ einzustufen und zu beobachten und darüber öffentlich zu berichten, auch unter ausdrücklicher Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse festgehalten hat.
1513. Die Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ war und ist auch materiell rechtmäßig.
152a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung der Klägerin zu 2. nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Satz 5 BVerfSchG waren und sind gegeben.
153Bei der Klägerin zu 2. handelt es sich um einen Personenzusammenschluss im Sinn des § 4 Abs. 1 BVerfSchG. Es lagen und liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin zu 2. Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.
154Bestrebungen im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG erfordern als „politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen“ ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives oder illegales Vorgehen zur Realisierung eines bestimmten Ziels. Die Aktivitäten müssen über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehen, auf die Durchsetzung eines politischen Ziels ausgerichtet sein und dabei auf die Beeinträchtigung eines der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen. Die verantwortlich Handelnden müssen auf den Erfolg der Rechtsgutbeeinträchtigung hinarbeiten. Die bloße Kritik an Verfassungsgrundsätzen reicht für die Annahme einer verfassungsfeindlichen Bestrebung nicht aus, wenn sie nicht mit der Ankündigung von oder der Aufforderung zu konkreten Aktivitäten zur Beseitigung dieser Grundsätze verbunden ist.
155Vgl. BVerfG, Urteil vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 –, BVerfGE 162, 1, juris, Rn. 185 f.; BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 20, und vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 59 ff.; OVG NRW, Urteile vom 13. Februar 2009 – 16 A 845/08 –, DVBl. 2009, 922, juris, Rn. 94, und vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 319.
156Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG setzt nicht voraus, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen tatsächlich bestehen, und verlangt auch keine Gefahrenlage im Sinn des Polizeirechts. Andererseits sind bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, unzureichend. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis geeignet sein, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Dabei darf eine Beobachtung nur auf solche Tatsachen gestützt werden, die der Behörde bei Beginn der jeweiligen Beobachtung bekannt waren. Die Behörde hat auf Grund der ihr bekannten tatsächlichen Anhaltspunkte eine Prognose anzustellen, ob ein solcher Verdacht besteht. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses Verdachts.
157Vgl. BVerfG, Urteil vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 –, BVerfGE 162, 1, juris, Rn. 188 f.; BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 23, und vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 270.
158Die Ziele einer Partei ergeben sich in der Regel aus ihrem Programm und den sonstigen parteiamtlichen Erklärungen, aus den Schriften der von ihr als maßgebend anerkannten Autoren über die politische Ideologie der Partei, aus den Reden der führenden Funktionäre, aus dem in der Partei verwendeten Schulungs- und Propagandamaterial sowie aus den von ihr herausgegebenen oder beeinflussten Zeitungen und Zeitschriften oder sonstigen Publikationsorganen.
159Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 263 ff., vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 558, und vom 17. August 1956 – 1 BvB 2/51 –, BVerfGE 5, 85, juris, Rn. 228; OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 – 5 B 1236/93 –, NVwZ 1994, 588, juris, Rn. 46.
160Gleiches gilt für die Jugendorganisation einer Partei oder andere politische Gruppierungen. Ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können dabei bereits dann gegeben sein, wenn aussagekräftiges Tatsachenmaterial lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen, Verlautbarungen und Aktivitäten des Personenzusammenschlusses widerspiegelt. Deren Aussagekraft wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
161Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 49; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 304, und Beschluss vom 21. Dezember 2000 – 5 A 2256/94 –, NWVBl. 2001, 178, juris, Rn. 43.
162Entscheidend sind die wirklichen Ziele der Gruppierung, nicht die vorgegebenen. Es ist nicht erforderlich, dass sie sich offen zu ihren verfassungswidrigen Zielsetzungen bekennt. Eine Beschränkung der Feststellung der von einer Organisation verfolgten Ziele auf das Programm oder offizielle Erklärungen ist daher nicht geboten, auch wenn das Programm regelmäßig ein wesentliches Erkenntnismittel zur Feststellung der Zielsetzung der Organisation darstellen wird.
163Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 559; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 264.
164Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, können insbesondere auch Äußerungen und Taten von Mitgliedern oder sonstigen Anhängern der Organisation sein. Bei Meinungsäußerungen, die von oder innerhalb einer politischen Partei abgegeben werden, liegt zumindest nahe, dass sie mit der Intention einer entsprechenden Änderung der realen Verhältnisse abgegeben werden, denn politische Parteien sind auf politische Aktivität und auf Änderung der politischen Verhältnisse ausgerichtete Organisationen.
165Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 265, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 560 f.; BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 61; Murswiek, NVwZ 2006, 121 (124 f., 128).
166Das gilt in gleicher Weise für die Jugendorganisation einer politischen Partei wie die Klägerin zu 2., die nach § 2 Abs. 2 Satz 2 ihrer Bundessatzung darauf ausgerichtet ist, die Klägerin zu 1. bei ihrer politischen Tätigkeit zu unterstützen. Dabei ist es eine zentrale Aufgabe der Klägerin zu 2., auf die politische Meinungsbildung der Klägerin zu 1. Einfluss zu nehmen. So heißt es in § 17a Abs. 2 Satz 1 der Bundessatzung der Klägerin zu 1., die Klägerin zu 2. diene ihr als Innovationsmotor und habe das Ziel, das Gedankengut der Partei in ihrem Wirkungskreis zu verbreiten sowie die besonderen Anliegen der Jugend innerhalb der Klägerin zu 1. zu vertreten.
167Dabei ist einer Partei grundsätzlich die Tätigkeit ihrer Organe zuzurechnen, besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre. Auch die Tätigkeit von Publikationsorganen der Partei und das Verhalten führender Funktionäre von Teilorganisationen können ihr ohne Weiteres zugerechnet werden. Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder ist eine Zurechnung nur möglich, wenn diese in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie gebilligt oder geduldet hat. Steht die Äußerung oder Handlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Parteiveranstaltung oder sonstigen Parteiaktivitäten, liegt eine Zurechnung nahe, insbesondere wenn eine Distanzierung durch die Partei unterbleibt. Fehlt ein organisatorischer Zusammenhang mit einer Parteiaktivität, muss es sich um eine politische Äußerung oder Handlung des Parteimitglieds handeln, welche von der Partei trotz Kenntnisnahme geduldet oder gar unterstützt wird, obwohl Gegenmaßnahmen (Parteiausschluss, Ordnungsmaßnahmen) möglich und zumutbar wären. Bei Anhängern, die nicht der Partei angehören, ist grundsätzlich eine – wie auch immer geartete – Beeinflussung oder Billigung ihres Verhaltens durch die Partei notwendige Bedingung für die Zurechenbarkeit.
168Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 271 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 562 ff.
169Als tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können dabei nicht nur Meinungsäußerungen und Aktivitäten von Repräsentanten, Funktionsträgern und Gremien der Bundespartei, sondern auch entsprechende Verhaltensweisen in den Landesverbänden und deren Untergliederungen herangezogen werden, insbesondere Äußerungen von Fraktionsmitgliedern auf Landesebene. Die von § 7 PartG vorgeschriebene Untergliederung einer Partei bedeutet nicht, dass ein Landesverband gegenüber der Bundespartei oder gegenüber den übrigen Landesverbänden im Rahmen einer verfassungsschutzrechtlichen Prüfung jeweils als „Dritter“ anzusehen ist, sondern im Gegenteil, dass er insoweit integrierter Teil des Ganzen ist.
170Vgl. Bay. VGH, Beschlüsse vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 88 ff., und vom 7. Oktober 1993 – 5 CE 93.2327 –, NJW 1994, 748, juris, Rn. 21; Nds. OVG, Urteil vom 19. Oktober 2000 – 11 L 87/00 –, NVwZ-RR 2002, 242, juris, Rn. 22.
171Die Gesamtpartei ist als Personenzusammenschluss nur dann darauf gerichtet, Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen, wenn die verfassungsfeindlichen Bestrebungen das Gesamtbild der Partei bestimmen. Wie das Bundesverfassungsgericht sowohl zum Parteiverbot als auch zum Finanzierungsausschluss ausgeführt hat, können Bestrebungen einzelner Parteianhänger bei sonst loyaler Haltung der Partei zu den Schutzgütern des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit führen. In gleicher Weise hat das Bundesverwaltungsgericht zu § 8 Soldatengesetz festgestellt, dass eine verfassungsfeindliche Abkehr von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraussetzt, dass die Partei von einer entsprechenden Grundtendenz beherrscht wird. Das ist bei „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger bei sonst loyaler Haltung der politischen Partei noch nicht der Fall. Die Überzeugung von einer verfassungsfeindlichen Grundhaltung gegenüber der bestehenden Verfassungsordnung kann allein aus einer Gesamtbetrachtung der vielfältigen Einzelakte der Partei und ihrer Funktionäre gewonnen werden, die erst in dieser Zusammenschau ein eindeutiges Bild ergeben.
172Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 293, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 576; BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 14; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 – OVG 3 B 3.99 –, NVwZ 2006, 838, juris, Rn. 190.
173Bei der Prüfung, ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen begründen, bleibt ebenfalls die Gesamtpartei der Bezugspunkt, wenn es um die rechtlichen Voraussetzungen der Beobachtung der Gesamtpartei geht. Auch insoweit genügen „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger nicht, um in Bezug auf die Gesamtpartei den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Ebenso wie bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit reicht aber auch hier aus, dass die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte, d. h. der vielfältigen Einzelakte der Vereinigung und ihrer Funktionäre und Mitglieder, auf entsprechende Bestrebungen hindeuten, selbst wenn jeder einzelne Anhaltspunkt für sich genommen einen solchen Verdacht noch nicht zu begründen vermag.
174Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 30, 45, 54.
175Da insoweit nicht festgestellt werden muss, ob tatsächlich verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt werden, sondern bereits der entsprechende, auf konkrete Tatsachen gestützte Verdacht eine nachrichtendienstliche Beobachtung rechtfertigt, muss auch nicht festgestellt werden, ob die Verdachtsmomente das Gesamtbild der Partei bestimmen, sondern kann ausreichen, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die fraglichen Äußerungen einer Grundtendenz in der Partei entsprechen, also die sich daraus ablesbaren Zielsetzungen in der Partei mehrheitsfähig sind und sich bei innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten durchsetzen können. Auch dies führt zu einem Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der durch eine nachrichtendienstliche Beobachtung aufgeklärt werden kann. Insbesondere können auch verfassungsfeindliche Bestrebungen einzelner Gruppierungen für die künftige Entwicklung der Gesamtpartei von Bedeutung sein. Gerade die innere Zerrissenheit einer Partei, Flügelkämpfe und eine Annäherung an extremistische Gruppierungen oder Parteien können eine Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden erfordern. Nur so ist festzustellen, in welche Richtung sich die Partei letztlich bewegt. Allein durch die Beobachtung können die Regierung, das Parlament und die Öffentlichkeit über den Fortgang der weiteren, noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Partei sachkundig und angemessen unterrichtet werden. So können eindeutige verfassungsfeindliche Bestrebungen einzelner Gruppierungen innerhalb einer Partei Anhaltspunkte dafür liefern, in welche Richtung die Partei sich entwickeln kann. Das erfordert die Beobachtung der Partei insgesamt, nicht nur der einzelnen Gruppierung, mag auch diese für sich einen Personenzusammenschluss im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG darstellen.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 45.
177Voraussetzung für die Beobachtung der Gesamtpartei ist dabei, dass die Gruppierungen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bestehen, innerhalb der Partei einen Einfluss von nennenswertem Gewicht besitzen. Dies ist nicht der Fall, wenn ausgeschlossen erscheint, dass es ihnen gelingt, ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen innerhalb der Partei durchzusetzen.
178Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 46 ff.; OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009 – 16 A 845/08 –, DVBl. 2009, 922, juris, Rn. 70.
179Maßgeblich bleibt immer, ob im Hinblick auf die Gesamtpartei insgesamt konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Wenn zwar hinreichende, aber verhältnismäßig schwache Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen einzelner Gruppierungen vorliegen, müssen mindestens starke Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass diesen Gruppierungen ein bestimmender Einfluss innerhalb der Partei zukommt. Bei eindeutigen verfassungsfeindlichen Bestrebungen einzelner Gruppierungen oder starken dahingehenden Anhaltspunkten kann umgekehrt auch eine geringere Wahrscheinlichkeit dafür ausreichen, dass sich die verfassungsfeindlichen Zielsetzungen innerhalb der Partei durchsetzen. Für das Gesamtbild können daher nicht nur Art und Umfang der Veröffentlichungen und Äußerungen von Bedeutung sein, die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellen, sondern auch mögliche Reaktionen und Gegenäußerungen in der Partei, auch wenn sie die Zurechnung als solche nicht ausschließen.
180In gleicher Weise kommt es bei der Frage, ob bestimmte Verlautbarungen hinreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, nicht auf die abstrakte Interpretierbarkeit und Bewertung der Äußerungen an, sondern auf ihre konkrete Verwendung und ihren Stellenwert in der Gesamtpolitik der Partei.
181Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 31; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 – OVG 3 B 3.99 –, NVwZ 2006, 838, juris, Rn. 47.
182Dagegen ist nicht entscheidend, ob die als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogenen Äußerungen für sich genommen zulässig sind, da sie vom Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst sind. Die Meinungsfreiheit ist ihrerseits ein konstituierender Bestandteil der Demokratie, die auch eine kritische Auseinandersetzung mit Verfassungsgrundsätzen und -werten zulässt. Die bloße Kritik an Verfassungswerten und -grundsätzen ist daher nicht als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuschätzen, wohl aber darüber hinausgehende Aktivitäten zu deren Beseitigung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ebenso erlaubt ist wie die Äußerung der Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern. Es ist allerdings verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Verfassungsschutzbehörde bei der Einstufung und Beobachtung einer politischen Partei insoweit an die Inhalte von Meinungsäußerungen anknüpft, als diese Ausdruck eines Bestrebens sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Es ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt, aus Meinungsäußerungen Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz zu ergreifen. Lassen sich Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus Meinungsäußerungen ableiten, dürfen Maßnahmen zur Verteidigung dieser Grundordnung ergriffen werden.
183Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 – , BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 70 ff., und Kammerbeschluss vom 31. Mai 2022 – 1 BvR 98/21 –, NJW 2022, 3627, juris, Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 61; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 281; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 32; Bay. VGH, Beschlüsse vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 97, und vom 7. Oktober 1993 – 5 CE 93.2327 –, NJW 1994, 748, juris, Rn. 24; Murswiek, NVwZ 2006, 121 (124 f., 128).
184Wie das Bundesverfassungsgericht zum Parteiverbots- und auch zum Finanzierungsausschlussverfahren ausgeführt hat, kommt es bei der Feststellung, ob eine Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung angestrebt wird, nicht darauf an, ob eine Betätigung grundrechtlicher Freiheiten vorliegt. Die „streitbare Demokratie“ will gerade den Missbrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten zur Abschaffung der Freiheit verhindern.
185Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 294, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 579.
186Die vorstehend wiedergegebenen, in der Rechtsprechung zu politischen Parteien entwickelten Maßstäbe lassen sich auch vollumfänglich auf die Jugendorganisationen von politischen Parteien übertragen, die – wie die Klägerin zu 2. – darauf ausgerichtet sind, die Partei bei ihrer politischen Tätigkeit zu unterstützen und auf die politische Meinungsbildung innerhalb der Partei Einfluss zu nehmen (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 der Bundessatzung der Klägerin zu 2., § 17a Abs. 2 Satz 1 der Bundessatzung der Klägerin zu 1.).
187Entgegen der Annahme der Klägerinnen besteht dabei weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen eine starre zeitliche Grenze, nach der bestimmte Äußerungen nicht mehr als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogen werden können. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, inwieweit länger zurückliegende Äußerungen weiterhin Rückschlüsse auf die aktuellen politischen Zielsetzungen der Organisation zulassen. Wenn bestimmte Positionierungen aufgegeben und diesbezügliche Äußerungen über einen längeren Zeitraum nicht wiederholt werden, kann die Aussagekraft der älteren Aussagen vollständig entfallen. Wenn aber auch in jüngerer Zeit weiterhin ähnliche Aussagen getätigt werden, kann dies ein Beleg für die Kontinuität in den politischen Zielsetzungen sein. In diesen Fällen verlieren die älteren Aussagen nicht an Aussagekraft, sondern können auch bei der Bewertung der aktuellen politischen Ziele herangezogen werden. Vielmehr wäre es mit dem bundesrechtlichen Prinzip der streitbaren Demokratie nicht vereinbar und liefe der den Ämtern für Verfassungsschutz übertragenen Aufgabe zuwider, über eine allgemeine, kurz bemessene – etwa zweijährige – Verwertungsfrist Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ohne konkrete Hinweise darauf auszuklammern, dass sie durch Entwicklungen in der Jugendorganisation oder der von ihr unterstützten politischen Partei überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet sind.
188Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 34; siehe auch (zur Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht) OVG NRW, Beschluss vom 8. Juli 2009 – 5 A 203/08 –, juris, Rn. 3; OVG M.-V., Beschluss vom 6. Juni 2013 – 2 M 110/13 –, juris, Rn. 17.
189Der Verdacht einer verfassungsfeindlichen Zielsetzung entfällt auch nicht allein deshalb, weil er sich nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums verifizieren lässt. Auch dies hängt letztlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Unter Umständen kann ein auf öffentliche Äußerungen gestützter Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen entkräftet werden, wenn sich am tatsächlichen Handeln zeigt, dass die wahren Zielsetzungen nicht verfassungsfeindlich sind; jedoch setzt dies bei einer Jugendorganisation einer politischen Partei typischerweise voraus, dass ihre Zielsetzungen mit denjenigen der Partei übereinstimmen und die Partei über politische Mehrheiten verfügt, die ihr erlauben, ihre Ziele vollumfänglich umzusetzen. Solange dies nicht der Fall ist, behalten auch länger zurückliegende verdachtsbegründende Äußerungen in der Regel ihre Aussagekraft. Auch wenn sie dazu nicht verpflichtet ist, haben es die Partei und ihre Jugendorganisation auch in diesem Fall letztlich selbst in der Hand, unbestimmte Äußerungen zu konkretisieren, ihre politischen Ziele offenzulegen und abweichenden Aussagen einzelner Mitglieder entgegenzutreten, wenn sie den begründeten Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen entkräften möchten. Dies setzt allerdings in jedem Fall voraus, dass über einen längeren Zeitraum entweder keine neuen verdachtsbegründenden Umstände auftreten oder zumindest systematisch und umfassend verdachtsbegründenden Äußerungen entgegengetreten wird. Wie bereits dargelegt, wird die Aussagekraft konkreter Einzeläußerungen nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
190Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 49; OVG NRW, Urteile vom 13. Februar 2009 – 16 A 845/08 –, DVBl. 2009, 922, juris, Rn. 46, und vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 304, sowie Beschluss vom 21. Dezember 2000 – 5 A 2256/94 –, NWVBl. 2001, 178, juris, Rn. 43; a. A. in Bezug auf verfassungskonforme Äußerungen zum gleichen „Teilbereich“ Murswiek, Verfassungsschutz und Demokratie, S. 58 f.
191Die Klägerinnen gehen insofern von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab aus, wenn sie die behördliche wie gerichtliche Sachverhaltsaufklärung für unzureichend halten und – in Anlehnung an die von Murswiek als ausdrückliche Gegenposition zu der durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigten Rechtsprechung des erkennenden Senats vertretene Auffassung – eine abschließende Gesamtschau vermissen, bei der die Gesamtzahl der verdachtsbegründenden Äußerungen denjenigen Äußerungen und Verhaltensweisen gegenübergestellt wird, die für eine verfassungskonforme Ausrichtung sprechen. Wenn eine Vielzahl von Äußerungen vorliegt, die für sich genommen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, kann der dadurch begründete Verdacht nur entkräftet werden, wenn konkret diesen Äußerungen in irgendeiner Form entgegengetreten wird oder sie durch Entwicklungen in der politischen Partei oder deren Jugendorganisation überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet sind.
192Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 34.
193So kann zum Beispiel mit einer Ordnungsmaßnahme, die von der Jugendorganisation wegen einer bestimmten Äußerung ergriffen wird, stets nur der sich aus dieser Äußerung ergebende Anhaltspunkt beseitigt oder abgemildert werden – bei einem mit einer vollständigen Distanzierung verbundenen Ausschluss eines Mitglieds oder Landesverbands unter Umständen auch sämtliche von dem Mitglied oder Landesverband getätigten Äußerungen –, nicht jedoch die Verdachtsmomente, die sich aus vergleichbaren Äußerungen ergeben, gegen die keine Maßnahmen ergriffen wurden.
194Für die Frage, ob hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen, kommt es ebenfalls nicht darauf an, mit welcher inneren Motivation die verdachtsbegründenden Äußerungen abgegeben wurden. Eine von einem Mitglied in einem politischen Kontext getätigte Äußerung erlaubt vorrangig nicht deshalb Rückschlüsse auf die möglichen Zielsetzungen der Jugendorganisation, weil es seine eigenen persönlichen Zielsetzungen offenbart. Maßgeblich ist vielmehr der Beitrag, den diese Äußerung zur Meinungsbildung in der Organisation leistet, der sich an ausdrücklicher Unterstützung, aber auch schon an fehlendem Widerspruch anderer Mitglieder zeigt. Ein möglicher innerer Vorbehalt, der sich vom objektiven Erklärungsgehalt der Äußerungen unterscheidet, kann den durch die getätigte Äußerung begründeten Verdacht daher nicht beseitigen. Die nachweisbare innere Billigung oder Missbilligung bestimmter Äußerungen kann hingegen möglicherweise für die Feststellung relevant werden, in welchem Umfang tatsächlich verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt werden. Der Verdacht derartiger Bestrebungen kann aber nur entkräftet werden, wenn ihnen öffentlich wahrnehmbar innerhalb der Organisation entgegengetreten wird.
195Es ist vorliegend ebenfalls rechtlich nicht von Bedeutung, auf Grundlage welcher Gutachten und Materialsammlungen Verfassungsschutzbehörden der Länder die Klägerinnen oder deren Landesverbände beobachten. Das Bundesamt ist an die rechtliche Bewertung der Landesämter nicht gebunden und nicht verpflichtet, deren Gutachten bei seiner eigenen Entscheidungsfindung einzubeziehen. Auch wenn dem Bundesamt die entsprechenden Gutachten bekannt sein sollten, führt dies nicht – wie die Klägerinnen geltend machen – zu einer rechtsstaatswidrigen Informationsasymmetrie. Entscheidungserheblich sind stets nur diejenigen tatsächlichen Anhaltspunkte, die dem Bundesamt bei Beginn der jeweiligen Beobachtung bekannt sind und auf die es seine Beobachtung stützt. Das Bundesamt kann eine Beobachtung, die es auf der Grundlage unzureichender tatsächlicher Anhaltspunkte begonnen hat, nicht nachträglich mit erst während der Beobachtung gewonnenen Erkenntnissen rechtfertigen, mögen diese auch Tatsachen betreffen, die bereits bei Beginn der Maßnahme vorhanden waren. Derartige Erkenntnisse können lediglich als Grundlage einer anschließenden weiteren Beobachtung dienen.
196Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 24.
197Für die eigene Bewertung relevante – belastende wie entlastende – Erkenntnisse der anderen Landesverfassungsschutzbehörden hat das Bundesamt zu berücksichtigen. Anhaltspunkte, dass dies nicht geschehen sein sollte, sind indes nicht ersichtlich. Soweit die Klägerinnen einwenden, dass in den Gutachten der Landesämter auch entlastende Umstände enthalten sein könnten, obliegt es ihnen, diejenigen konkreten Äußerungen oder Vorgänge zu bezeichnen, die nach ihrer Auffassung geeignet sind, die vom Bundesamt angeführten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu entkräften. Derartige entlastende Umstände – wie sie die Klägerinnen zum Teil auch vorgetragen haben, zum Beispiel in Bezug auf die im Februar 2019 beschlossenen Änderungen am „Deutschlandplan“ – sind auch dann vollumfänglich zu berücksichtigen, wenn sie in der vom Bundesamt vorgelegten Materialsammlung nicht enthalten sind. Sie sind von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren auch entsprechend gewürdigt worden.
198Nach diesen Maßstäben lagen und liegen weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin zu 2. Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, namentlich gegen das für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbare Grundprinzip der Menschenwürdegarantie.
199aa) Die vom Bundesamt dokumentierten programmatischen Schriften und Äußerungen verschiedener Verbände und Mitglieder der Klägerin zu 2. begründen den starken Verdacht, dass die politischen Zielsetzungen der Klägerin zu 2. auch beinhalten, den Schutz der Menschenwürde außer Geltung zu setzen.
200Der Schutz der Menschenwürde gehört zu den Wesenselementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht. Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent. Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die – eng zu verstehenden – Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, die sich – ungeachtet der grundsätzlichen Frage nach dem Menschenwürdegehalt der Grundrechte – jedenfalls als Konkretisierung der Menschenwürde darstellen.
201Vgl. nur BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 250 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 538 ff.; Kammerbeschluss vom 2. November 2020 – 1 BvR 2727/19 –, EuGRZ 2020, 719, juris, Rn. 18; Langenfeld, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 25 [Stand Jan. 2024]; Baer/Markard, in: Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 3 Rn. 407.
202Es liegen konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass nach dem politischen Konzept der Klägerin zu 2. jedenfalls Flüchtlingen und anderen Zuwanderern, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund und deutschen und ausländischen Staatsangehörigen islamischen Glaubens die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagt werden soll. Maßgeblich ist, dass die bereits von Bundesamt und Verwaltungsgericht im Einzelnen benannten und den Klägerinnen bekannten Äußerungen in der Gesamtschau mehr als hinreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten. Zu bewerten ist das Gesamtbild aller vom Bundesamt dokumentierten Äußerungen und Veröffentlichungen, denen die Klägerinnen auf tatsächlicher Ebene nicht substantiiert entgegengetreten sind. Soweit die Klägerinnen erstmalig in der zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung in der Sitzung am 6. Mai 2024 vorgetragen haben, sie hätten „aufgrund eigener Befragungen und Auswertungen der von der Beklagten vorgelegten Gutachten, Folgegutachten, Schriftsätze und Verwaltungsvorgänge erhebliche Zweifel daran, dass die darin zum Beleg von (angeblich) (hinreichend gewichtigen) tatsächlichen Anhaltspunkten für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen genannten Äußerungen und/oder menschlichen Verhaltensweisen tatsächlich getätigt wurden bzw. erfolgt sind“, jedenfalls seien diese aber „oftmals aus dem Kontext gerissen“ worden, fehlt es an jeder näheren Substantiierung, welche der vom Bundesamt unter anderem durch Ausdrucke, Kopien und Videodateien auch jeweils kontextbezogen dokumentierten Äußerungen die Klägerinnen in Zweifel ziehen. Auch in dem Schriftsatz vom 23. April 2024, in dem sich die Klägerinnen vorbehalten haben, „zu allen in den Gutachten, Schriftsätzen, Anlagen, Verwaltungsvorgängen und Urteilen benannten Einzelpersonen (natürliche wie juristische Personen) und deren Einzelaussagen bzw. Vorgängen weitere neue Beweisanträge zu stellen“, haben sie nicht ansatzweise aufgezeigt, inwieweit Zweifel an konkreten Tatsachenfeststellungen des Bundesamts bestehen, die Anlass für eine weitere Sachverhaltsaufklärung geben könnten.
203(1) Es besteht der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen der Klägerin zu 2. entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen, weil zu ihren zentralen politischen Vorstellungen gehört, dass es eine von der Staatsangehörigkeit unabhängige „ethnische“ oder „ethnisch-kulturelle“ Volkszugehörigkeit gibt, die von entscheidender Bedeutung für die Bewahrung der deutschen Kultur und Identität ist und es deshalb rechtfertigt, bei rechtlichen Zuordnungen danach zu unterscheiden, ob und gegebenenfalls aus welchem Kulturraum deutsche Staatsangehörige oder deren Eltern zugewandert sind. Dies stellt eine nach Art. 3 Abs. 3 GG unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist.
204Dabei steht außer Frage, dass bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinn von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zukommt. Das Grundgesetz überlässt es dem Gesetzgeber, Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit zu regeln. Danach kann der Gesetzgeber im Staatsangehörigkeitsrecht maßgeblich an das Abstammungsprinzip oder die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinn von Art. 116 Abs. 1 GG anknüpfen. Insbesondere bei einer erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebiets kann er aber auch dem Ziel einer Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft staatlicher Herrschaft Unterworfenen durch eine Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Rechnung tragen. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes.
205Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 377, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 690 f.
206Das schließt es nicht aus, auch bei deutschen Staatsangehörigen „ethnisch-kulturelle“ Gemeinsamkeiten oder Unterschiede in den Blick zu nehmen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um rechtliche Kategorisierungen und ist die Zugehörigkeit zu einer „ethnisch-kulturellen“ Gruppe daher nicht objektiv bestimmbar, sondern hängt von dem jeweiligen Begriffsverständnis ab. Dementsprechend ist auch die deskriptive Verwendung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“ im Rechtssinn weder richtig noch falsch, sondern eine von persönlichen Wertungen abhängige Zustandsbeschreibung, die zum Beispiel soziologische, ethnologische oder historische Differenzierungen einbeziehen kann. Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist allerdings die Verknüpfung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“ mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird.
207Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 105; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 34 ff.
208In den Veröffentlichungen und Äußerungen der Klägerin zu 2. und ihrer Mitglieder finden sich keine eindeutigen Forderungen nach einer rechtlichen Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund. Hinreichende Anhaltspunkte für dahingehende Bestrebungen bieten aber auch abwertende Äußerungen, die kein konkretes Ziel benennen, aber deutlich machen, dass deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund nicht als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft angesehen werden, wenn diese Äußerungen im Zusammenhang mit der politischen Betätigung der Klägerin zu 2. abgegeben werden und sich aus dem Kontext ergibt, dass der Migrationshintergrund als solcher als Problem gesehen wird und nicht lediglich – rechtlich zulässig – eine fehlende Integration beklagt oder für eine restriktive Migrations- und Einbürgerungspolitik geworben werden soll. Da die Klägerin zu 2. als Jugendorganisation der Klägerin zu 1. grundsätzlich darauf ausgerichtet ist, die nach ihrer Überzeugung bestehenden Problemlagen nicht nur zu benennen, sondern etwaigen Fehlentwicklungen mit politischen und rechtlichen Mitteln aktiv entgegenzusteuern, rechtfertigt dies zumindest den Verdacht, dass die wahren Zielsetzungen aus taktischem Kalkül bewusst nicht vollständig offengelegt werden. Gerade in einer derartigen Situation kann es erforderlich sein, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz unter Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln fortzusetzen, um nähere Erkenntnisse über die von der Klägerin zu 2. tatsächlich verfolgten Ziele zu gewinnen.
209Vgl. zu ausgrenzenden und diffamierenden Äußerungen als Beleg für verfassungsfeindliche Bestrebungen BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 635, 721, 773; BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 48 f., 70.
210Gewichtige Anhaltspunkte für mit der rechtlichen Gleichheit aller Staatsangehörigen unvereinbare politische Zielsetzungen ergaben sich im Zeitpunkt der erstmaligen Einstufung als „Verdachtsfall“ am 15. Januar 2019 bereits aus dem „Deutschlandplan“ der Klägerin zu 2., ihrem am 2./3. Juni 2018 beschlossenen politischen Programm. Dort heißt es einleitend im Abschnitt Migration: „Die Migrationspolitik, die wir fordern, setzt an die erste Stelle den kulturellen und ethnischen Erhalt des deutschen Volkes“ (Deutschlandplan vom 2./3. Juni 2018, S. 20 f., Belegsammlung I, S. 3750 f.). Anschließend wird unter der Überschrift „Leitbild des assimilierten und loyalen Einwanderers“ erläutert, dass von allen Einwanderern verlangt werden müsse, sich zu assimilieren, und dies bedeute, dass der Einwanderer sich „soweit dem deutschen Volk und seinem Staat verbunden fühlt, dass er bereit ist, für sie einzutreten und unsere Identität an kommende Generationen so weiterzugeben, wie es autochthone Deutsche tun“ (Deutschlandplan vom 2./3. Juni 2018, S. 22). Das klar formulierte Ziel, das deutsche Volk nicht nur kulturell, sondern auch „ethnisch“ zu erhalten, und die begriffliche Abgrenzung des „assimilierten Einwanderers“ vom „autochthonen Deutschen“ bringen zum Ausdruck, dass deutsche Staatsangehörige erster und zweiter Klasse existieren und Idealbild gerade der autochthone Deutsche ist.
211So bereits treffend VG Berlin, Beschluss vom 28. Mai 2020 – VG 1 L 95/20 –, BeckRS 2020, 50933, Rn. 31.
212Bestätigt wird dieses Verständnis durch den Facebook-Post des Hessischen Landesverbands der Klägerin zu 2. vom 18. Februar 2018, in dem es zur Bevölkerungsstruktur in Frankfurt am Main heißt:
213„Wir wollen keinen Waschlappen wie Herrn Peter Feldmann als Oberbürgermeister mehr in Frankfurt haben, der tatenlos dazu beiträgt, dass die historische Stadt bald vollkommen zur Multikulti-Oase mit Rechtsfreien Vierteln wird. Die heutige Folie zeigt auf, wie rasant sich der Ausländeranteil vermehrt hat und stetig steigt. Seit 2014 bilden die autochthonen Deutschen keine Mehrheit mehr in der einst wunderschönen Großstadt. […] Die Gruppe der Ausländer wuchs im gleichen Zeitraum um rd. 47 Tsd. (+ 29 %). Die ʹfehlendenʹ autochthonen Deutschen wurden entsprechend durch den Zuzug von Ausländern vollständig ersetzt. Passdeutsche sind mit einer Steigerungsrate von fast 117 % (+ rd. 90 Tsd.) die am schnellsten wachsende Gruppe in Frankfurt. […] Inwiefern profitiert der verbliebene Teil der angestammten Bevölkerung von der eigenen Ersetzung und warum sollte man Politiker wählen, die diesen Austausch aktiv vorantreiben?“ (Belegsammlung I, S. 3920)
214Hier wird deutlich, dass deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund nicht als gleichwertig zur „angestammten Bevölkerung“ angesehen werden. Sie werden als „Passdeutsche“ bezeichnet, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass die so bezeichneten Personen nur im Hinblick auf den Pass Deutsche sind, also nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, aber abgesehen davon keine Deutschen sind. Der gestiegene Anteil an Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund wird klar negativ bewertet, als Beitrag zu der „Ersetzung“ und dem „Austausch“ der angestammten Bevölkerung, dem die Politik nicht „tatenlos“ zusehen solle. Diese Aussagen wurden von der Klägerin zu 2. nicht sanktioniert oder korrigiert, sondern mit den Formulierungen „ethnischer Erhalt“ und „autochthone Deutsche“ im Deutschlandplan vom 2./3. Juni 2018 aufgegriffen, so dass die Schlussfolgerung gerechtfertigt war, dass eine zentrale politische Vorstellung der Klägerin zu 2. der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand war und ethnisch „Fremde“ nach Möglichkeit ausgeschlossen bleiben sollen, unabhängig davon, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.
215Ebenso VG Berlin, Beschluss vom 28. Mai 2020 – VG 1 L 95/20 –, BeckRS 2020, 50933, Rn. 30 ff.; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 34 ff.
216Diese tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Klägerin zu 2. wurden nicht durch die im November 2018 beschlossene Auflösung des niedersächsischen Landesverbands entkräftet, weil damit keine Distanzierung von den angeführten verdachtsbegründenden Aussagen im Deutschlandplan der Klägerin zu 2. und im Facebook-Post des Landesverbands Hessen verbunden war.
217Der Verdacht, dass die Klägerin zu 2. deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen abgewerteten Status zuspricht, ist auch in der Folgezeit nicht entfallen, auch nicht im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 8. März 2022.
218Nach der Einstufung zum Verdachtsfall beschloss die Klägerin zu 2. auf ihrem Bundeskongress am 16./17. Februar 2019 einige Änderungen an ihrem Deutschlandplan, hielt aber an den oben genannten Aussagen fest (Deutschlandplan in der Fassung vom 16./17. Februar 2019, S. 28 f. [Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 475 f.]). Auch das ausdrückliche Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen in der am 18. Januar 2021 veröffentlichten „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, zu der sich die Klägerin zu 2. im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich bekannt hat und die auch von Hannes Gnauck, dem aktuellen Bundesvorsitzenden der Klägerin zu 2., sowie den früheren Bundesvorsitzenden Carlo Clemens und Damian Lohr unterzeichnet worden ist, kann den Verdacht gegenteiliger Bestrebungen letztlich nicht ausräumen. Sie enthält nur ein abstraktes Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen, aber konkretisiert nicht, wie dies mit den genannten gegenläufigen Aussagen in dem noch bis Oktober 2022 als Programm beibehaltenen Deutschlandplan in Einklang zu bringen ist. Es kann daher auch im Berufungsverfahren weiterhin offenbleiben, ob die Unterzeichnung der „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ aus taktischen Motiven oder – wie von den Klägerinnen behauptet – „in ernsthafter Weise, im Wissen und Wollen des unterzeichneten Inhalts“ erfolgte. Auch wenn dies zu Gunsten der Klägerinnen unterstellt wird, fehlte und fehlt es auch weiterhin an einer klaren und eindeutigen Distanzierung von konkreten Gegenaussagen, die erforderlich wäre, um den dadurch begründeten Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen entfallen zu lassen.
219Es ist ein erklärtes Ziel der Klägerinnen, die Zuwanderung einzuschränken, um die deutsche kulturelle Identität zu bewahren. In der genannten „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ heißt es unter anderem:
220„Im Sinne unseres politischen Ziels, dem deutschen Staatsvolk auch eine deutsche kulturelle Identität über den Wandel der Zeit zu erhalten, wollen wir die aktuelle Massenzuwanderung, die auf einem Missbrauch der Asylgesetzgebung beruht, beenden. […] Die Zuwanderung muss nach dem Bedarf des deutschen Staates in quantitativer und qualitativer Hinsicht gesteuert werden und findet ihre Grenze an der Aufnahmefähigkeit der deutschen Gesellschaft.“
221Aus dem gleichen Grund wird in der Erklärung – ebenfalls dem Grunde nach zulässig – auch eine restriktive Einbürgerungspolitik gefordert:
222„Nur wer unsere Sprache spricht, unsere Werte teilt und unsere Lebensweise bejaht, soll Deutscher nach dem Gesetz werden können. Und nur wenn die Zahl der in Deutschland aufgenommenen und eingebürgerten Personen die Integrationskraft der deutschen Gesellschaft nicht übersteigt, bleibt das Staatsvolk auf lange Sicht auch Träger der deutschen Kultur und Identität.“
223Das Staatsvolk als Gesamtheit aller deutschen Staatsangehörigen ist demnach nicht an sich „Träger der deutschen Kultur und Identität“, sondern bleibt es nur, wenn nicht zu viele „kulturfremde“ Personen eingebürgert werden. Es gibt folglich nach dem Verständnis der Klägerinnen deutsche Staatsangehörige, die „Träger der deutschen Kultur und Identität“ sind, und deutsche Staatsangehörige, die dies nicht sind. Auf diese Unterscheidung nimmt auch das Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen Bezug:
224„Unabhängig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine Einbürgerung oder die seiner Vorfahren zurückliegt, er ist vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genießt dieselben Rechte und hat dieselben Pflichten. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht.“
225Die Formulierungen „ethnisch-kultureller Hintergrund“ und „Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie“ machen dabei deutlich, dass für die Klägerinnen nicht nur die kulturelle Prägung, sondern auch die Abstammung von maßgeblicher Bedeutung für die „ethnisch-kulturelle Identität“ ist. Insbesondere Björn Höcke verknüpft diese Zuordnung mit dem Begriff „Volk“, das er als „dynamische Einheit aus Abstammung, Sprache, Kultur und gemeinsam erlebter Geschichte“ beschreibt, und fordert, „die Völker [zu] bewahren“ (Belegsammlung I, S. 5203, 5206). Dabei hält er nach eigenen Angaben nicht jegliche Veränderung für problematisch, sondern sieht vor allem eine „Masseneinwanderung“ kritisch (Belegsammlung I, S. 2282). In ähnlicher Weise formulierte im Februar 2019 auch Alexander Gauland, damals Bundessprecher und heute Ehrenvorsitzender der Klägerin zu 1., „[d]as elementare Bedürfnis eines Volkes besteh[e] darin, sich im Dasein zu erhalten“, und erklärte dazu, dass es nicht um eine „ethnische Reinheit“ gehe, gegen eine allmähliche Veränderung des Volkes nichts zu sagen sei, aber eine übermäßige Migration die eigene Identität bedrohe (Belegsammlung III, S. 2651 f.).
226Diese Aussagen stellen für sich genommen keine Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen dar. Sie beinhalten aber auch keine klare Distanzierung von der abweichenden Formulierung im Deutschlandplan, wonach die Klägerin zu 2. nicht nur die Bewahrung der „deutschen kulturellen Identität“ anstrebt, sondern den „kulturellen und ethnischen Erhalt des deutschen Volkes“. Der Deutschlandplan wurde erst nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln auf dem Bundeskongress am 15. Oktober 2022 durch die programmatischen Leitlinien „Jugend, die vorangeht!“ ersetzt. Es gab auch keine anderweitigen Erklärungen von Funktionären oder Mitgliedern der Klägerin zu 2., die den genannten Aussagen im Deutschlandplan deutlich entgegentreten sind, insbesondere hat der damalige bayerische Landesvorsitzende und Vorsitzende der Arbeitsgruppe Verfassungsschutz, Sven Kachelmann, auf einer Pressekonferenz am 25. Juni 2019 zu der Beobachtung durch den Verfassungsschutz Stellung genommen und ausdrücklich verteidigt, dass zwischen ethnischem Volk und Staatsvolk unterschieden und das ethnische Volk als erhaltenswert angesehen werde.
227Der Verdacht entfiel auch nicht deshalb, weil die Klägerin zu 2. darauf ausgerichtet ist, die Klägerin zu 1. bei ihrer politischen Tätigkeit zu unterstützen (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 der Bundessatzung der Klägerin zu 2., § 17a Abs. 2 Satz 1 der Bundessatzung der Klägerin zu 1.). Auch bei der Klägerin zu 1. lagen zahlreiche konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Ausführungen in der „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ die damit verbundenen politischen Ziele der Klägerin zu 1. nicht vollständig erfassten und zur Bewahrung der „ethnisch-kulturellen Identität“ auch Maßnahmen in Betracht gezogen würden, die deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer Abstammung diskriminieren.
228Vgl. dazu ausführlich OVG NRW, Urteil vom 13. Mai 2024 – 5 A 1218/22 –, S. 60 ff. des Urteilsabdrucks.
229Auch zum aktuellen Zeitpunkt liegen weiterhin hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die politischen Zielsetzungen der Klägerin zu 2. nicht mit der vom Schutz der Menschenwürde umfassten rechtlichen Gleichheit aller Staatsangehörigen vereinbar sind.
230Die Klägerin zu 2. hat den Deutschlandplan zwar am 15. Oktober 2022 durch die programmatischen Leitlinien „Jugend, die vorangeht!“ ersetzt. Daraus ergibt sich aber nicht, dass sie sich auch inhaltlich von ihren im Deutschlandplan formulierten Zielsetzungen verabschiedet hat. Vielmehr unterscheiden sich die nur aus 12 Seiten bestehenden Leitlinien „Jugend, die vorangeht!“ vor allem in Umfang und Konkretisierungsgrad von dem früheren 54-seitigen Deutschlandplan, aber stellen keine gegenläufigen Forderungen auf. Dass die Vorstellungen der Klägerin zu 2. vom „ethnischen Erhalt“ des deutschen Volkes und der Minderwertigkeit von deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund weiter aktuell sind, zeigen auch mehrere neuere Äußerungen von derzeitigen Mitgliedern des Bundesvorstands. So erklärte Anna Leisten in einem Interview auf dem Bundesparteitag der Klägerin zu 1. am 29. Juni 2022 sinngemäß, dass sie auch einen vollständig assimilierten deutschen Staatsangehörigen mit türkischen Wurzeln nicht hundertprozentig als Deutschen ansehen würde, „wenn seine Eltern beide Türken sind“ (Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1195). Fabian Küble schrieb im Juli 2022 auf Facebook, dass es sich bei der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer um eine „durchmultikulturalisierte […] Söldnertruppe“ und nicht um eine „echte deutsche (!) Nationalmannschaft (!)“ handele und postete dazu ein Bild von vier Nationalspielern mit dunklerer Hautfarbe (Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1205). Dass sämtliche abgebildeten Nationalspieler in Deutschland aufgewachsen sind und großteils lediglich ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat, lässt dabei erkennen, dass für ihn nicht die deutsche Abstammung und kulturelle Identität, sondern tatsächlich die Hautfarbe das maßgebliche Unterscheidungsmerkmal darstellt und er die Zugehörigkeit zum deutschen Volk in rassistischer Weise auch von erblichen äußerlichen Merkmalen abhängig macht. Ein klarer Beleg für die Ausgrenzung von deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund ist auch der im April 2022 veröffentlichte Facebook-Post von Fabian Küble, in dem er die Meldung, dass im vergangenen Jahr 22,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland lebten und dies einem Anteil von 27,2 % entspreche, mit den Worten kommentierte: „Bereits über 27 % Nichtdeutsche in Deutschland“ (Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1225). Dass Deutsche mit Migrationshintergrund nach Ansicht der Klägerin zu 2. keine vollwertigen Deutschen sind, kommt auch zum Ausdruck, wenn der Bundesverband auf seiner Homepage eine deutsche Journalistin mit türkischen Wurzeln als „antideutsche Migrantin“ bezeichnet (Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1207).
231In keiner der oben genannten Äußerungen wird von Vertretern der Klägerin zu 2. ausdrücklich die Forderung erhoben, deutschen Staatsangehörigen, die von ihr nicht als „ethnisch-kulturell deutsch“ angesehen werden, nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. In den programmatischen Leitlinien „Jugend, die vorangeht!“ heißt es, dass „wir an Migranten die Erwartungshaltung einer Assimilation richten“ sollten (Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1290); es bleibt aber offen, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, wenn diese Erwartung nicht erfüllt wird. Die früheren Aussagen im Deutschlandplan und die aktuellen Äußerungen von Vorstandsmitgliedern, mit denen Migranten auch unabhängig vom Ausmaß ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft ausgegrenzt und trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit in ihrer vollwertigen Zugehörigkeit zum deutschen Volk in Frage gestellt werden, stellen dabei insgesamt betrachtet hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür dar, dass die Klägerin zu 2. die Klägerin zu 1. bei entsprechenden politischen Mehrheiten auch bei Maßnahmen unterstützen würde, die deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer Abstammung diskriminieren, auch wenn sich die konkreten Ziele nicht feststellen lassen.
232(2) Es liegen auch konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin zu 2. Bestrebungen verfolgt, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind.
233Dafür ist wiederum nicht erforderlich, dass die Klägerin zu 2. sich offen zu verfassungswidrigen Zielsetzungen bekennt. Soweit Äußerungen von Funktionären, Mitgliedern und Anhängern einer mit einer Partei verbundenen Jugendorganisation die Menschenwürde Dritter nicht nur vereinzelt beeinträchtigen, sondern systematisch verletzen und missachten, kann auch auf die Verfassungsfeindlichkeit der politischen Ziele dieser Organisation geschlossen werden. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat, stellt sich als derartige Verhaltensweise insbesondere die undifferenzierte, agitatorisch angelegte Zuweisung der Verantwortlichkeit für Missstände an Ausländer und Asylsuchende dar, die – insbesondere in Verbindung mit erniedrigenden Bezeichnungen oder unangemessenen und unhaltbaren Vergleichen – den Zweck verfolgt, beim Zuhörer Hass oder Neidgefühl hervorzurufen, und generell geeignet ist, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen zu bereiten.
234Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 48 f.; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2000 – 5 A 2256/94 –, NWVBl. 2001, 178, juris, Rn. 35 ff.
235Eine Missachtung der Menschenwürde von Muslimen zeigt sich insbesondere, wenn konkrete Forderungen erhoben und Aussagen getätigt werden, nach denen Muslime wegen ihres Glaubens diskriminiert oder ihnen generell der Schutz des Art. 4 GG versagt werden soll. Darin liegt eine gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßende Ungleichbehandlung, die mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist.
236Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 250 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 538 ff.; Kammerbeschluss vom 2. November 2020 – 1 BvR 2727/19 –, EuGRZ 2020, 719, juris, Rn. 18; Langenfeld, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 25 [Stand Jan. 2024]; Baer/Markard, in: Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 3 Rn. 407.
237Eine konkrete Diskriminierung von Muslimen liegt dabei auch in der pauschalen, unabhängig von möglichen allgemein geltenden baurechtlichen Vorgaben erhobenen Forderung, den Bau von Moscheen zu verbieten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Muslime zur Religionsausübung zwingend auf Moscheen angewiesen sind. Die Menschenwürdegarantie wird schon dadurch verletzt, dass Muslimen allein wegen ihres Glaubens der Bau bestimmter religiöser Gebäude unmöglich gemacht werden soll, während Christen oder andere Religionsgemeinschaften vergleichbare religiöse Bauten errichten dürfen.
238Im Gutachten I hat das Bundesamt bereits einige deutliche Anhaltspunkte für mit der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen unvereinbare Bestrebungen der Klägerin zu 2. dokumentiert, die die Einstufung als Verdachtsfall rechtfertigten.
239Ein großes Gewicht ist auch hier wiederum dem am 2./3. Juni 2018 beschlossenen „Deutschlandplan“ als dem zentralen politischen Programm der Klägerin zu 2. beizumessen. Wie bereits das Verwaltungsgericht im Einzelnen dargelegt hat, verstößt die dortige Forderung der Klägerin zu 2., die staatliche Unterstützung für Flüchtlinge auf das bloße physische Existenzminimum zu begrenzen, um eine Verfestigung des Aufenthaltsstatus zu vermeiden (Belegsammlung I, S. 3754), gegen Art. 1 Abs. 1 GG, weil das verfassungsrechtlich gewährleistete Existenzminimum – nach der geltenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – auch die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst.
240Vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 –, BVerfGE 132, 134, juris, Rn. 64, 94 f.; VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 – 13 K 208/20 –, juris, Rn. 354 ff.
241Die weitere im Deutschlandplan vom 2./3. Juni 2018 enthaltene Forderung nach einer „Ausgangssperre für junge Flüchtlinge männlichen Geschlechts ab 20.00 Uhr im gesamten Bundesgebiet“, um „die Sicherheit für die Bevölkerung und vor allem der Frauen in Deutschland zu erhöhen“ (Belegsammlung I, S. 3754), verletzt ebenfalls die Menschenwürde der Betroffenen, weil sie pauschal unter Verdacht gestellt und allein aufgrund ihres Geschlechts und ihres Flüchtlingsstatus in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden sollen. Eine pauschale Verdächtigung und Herabwürdigung von Migranten beinhaltet auch die dortige Beschreibung von Flüchtlingsheimen als „Magneten von Kriminalität und Gesetzlosigkeit, welche den Unmut der heimischen Bevölkerung provozieren“ (Belegsammlung I, S. 3754).
242Hinzu kommen weitere Aussagen, die Anhaltspunkte für ausländer- und islamfeindliche Bestrebungen geboten haben. So schrieb der Landesverband Sachsen-Anhalt der Klägerin zu 2. zu einem Beitrag zum Thema Familiennachzug im November 2017 „Die Invasion geht munter weiter!“ und setzt damit Familienangehörige von Flüchtlingen mit Angreifern gleich (Belegsammlung I, S. 3955). Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern rief im März 2018 dazu auf, den Bau von Moscheen zu verhindern („Keine Moschee an der Ostsee“, Belegsammlung I, S. 4032), der Landesverband Bremen teilte im Juli 2018 einen Eintrag mit der Forderung „Keine Moscheen in unserer Stadt!“ und schrieb dazu „Wir lassen Bremen nicht islamisieren. Reconquista der Heimat – in jedem Stadtbezirk“ (Belegsammlung I, S. 4031). In beiden Fällen wird der Bau von Moscheen grundsätzlich abgelehnt, insbesondere mit dem Begriff „Reconquista“ wird überdies zum Ausdruck gebracht, dass der Bau von Moscheen generell als Angriff empfunden wird, der abzuwehren ist.
243In der Folgezeit waren neue tatsächliche Anhaltspunkte hinzugekommen, die die Einstufung als Verdachtsfall durchgängig bestätigten, auch wenn sich die Klägerin zu 2. von einigen Aussagen im Deutschlandplan distanziert hatte und die früheren Verdachtsmomente damit teilweise entfallen waren.
244Auf ihrem Bundeskongress am 16./17. Februar 2019 hat die Klägerin zu 2. einige Änderungen an ihrem Deutschlandplan beschlossen. Insbesondere die oben genannte Forderung nach einer generellen abendlichen Ausgangssperre für junge männliche Flüchtlinge und die Bezeichnung von Flüchtlingsheimen als „Magneten von Kriminalität und Gesetzlosigkeit“ wurden gestrichen. Die Klägerin zu 2. hat sich damit auch inhaltlich von den genannten Aussagen distanziert. Wie die Beklagte bereits in der Klageerwiderung dargelegt hat, haben Vertreter der Klägerin zu 2. dazu in einer Pressekonferenz am 25. Juni 2019 ausdrücklich erklärt, dass die Änderungen eine Reaktion auf die Einstufung als Verdachtsfall sind, sie hätten sich mit den Vorwürfen des Bundesamts auseinandergesetzt und diese sehr ernst genommen. Dagegen hat die Klägerin zu 2. auch in ihrem geänderten Deutschlandplan an der – vor dem Hintergrund der geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe – diskriminierenden Forderung festgehalten, Flüchtlingen nur das physische Existenzminimum („Nahrung, Sicherheit und Obdach“) zukommen zu lassen (Deutschlandplan in der Fassung vom 16./17. Februar 2019, S. 31 [Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 478]).
245Zugenommen hatten vor allem die von führenden Mitgliedern und ganzen Landesverbänden der Klägerin zu 2. geäußerten diffamierenden Aussagen, mit denen Flüchtlinge und Muslime in pauschaler Form verunglimpft, ausgegrenzt und für Straftaten verantwortlich gemacht werden. So bezeichnete der Landesverband Brandenburg arbeitslose Flüchtlinge als „kulturfremde Sozialschmarotzer“ (Belegsammlung III, S. 3646), der Berliner Landesverband sprach in Bezug auf Flüchtlinge von „Invasion“ (Belegsammlung III, S. 3663), der damalige bayerische Landesvorsitzende und heutige stellvertretende Bundesvorsitzende Sven Kachelmann von einer „Eroberung des öffentlichen Raums durch kulturfremde Migranten“ und „stiller Landnahme“ (Belegsammlung III, S. 3798). Eine undifferenzierte Zuweisung der Verantwortlichkeit für Straftaten beinhaltet auch die Erklärung des Bezirksverbands Südbaden, „Migranten aus kulturell inkompatiblen Ländern begehen jeden Tag Morde, Vergewaltigungen, Messerstechereien und sonstige schwere Körperverletzungen in Deutschland“ (Belegsammlung III, S. 4041). Der Landesverband Berlin beschrieb den Islam als „die größte Bedrohung aller Zeiten“ (Belegsammlung III, S. 4321), der Bezirksverband Südbaden bezeichnete Migranten, die ihre eigene Kultur bewahren möchten, als „Fremdkörper, die hier niemand haben will“, und erklärte dazu „es gibt in Deutschland keinen Islam, keine Moscheen und kein halal. Das ist alles Zeug, was ihr euch importiert, damit ihr über Generationen so bleiben könnt, wie eure Großeltern eingewandert sind“ (Belegsammlung III, S. 4511 f.). Weitere Äußerungen, die den geplanten Bau von Moscheen wegen der damit verbundenen „Islamisierung unserer Heimat“ grundsätzlich ablehnen, gab es vom Landesverband Sachsen („Keine weitere Moschee in Dresden!“, Beweismittel B23) und erneut vom Landesverband Mecklenburg-Vorpommern („Keine Moschee in Rostock!“, Beweismittel B24), so dass auch die Aussagekraft der früheren islamfeindlichen Äußerungen der Landesverbände Bremen und Mecklenburg-Vorpommern nicht entfallen war.
246Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind weitere tatsächliche Anhaltspunkte hinzugekommen, die den Verdacht bestätigen, dass die Klägerin zu 2. möglicherweise Bestrebungen verfolgt, die eine Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen beinhalten. Eine inhaltliche Distanzierung von früheren verdachtsbegründenden Aussagen ist nicht mehr festzustellen.
247Wie bereits oben dargelegt, lässt sich den am 15. Oktober 2022 beschlossenen Leitlinien „Jugend, die vorangeht!“ nicht entnehmen, dass sich die Klägerin zu 2. von ihren im Deutschlandplan formulierten Zielsetzungen distanziert hat. Insbesondere finden sich in den Leitlinien überhaupt keine Ausführungen zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen mehr, also auch keine gegenläufigen Aussagen zu der oben genannten Forderung im Deutschlandplan, Flüchtlingen nicht mehr als das physische Existenzminimum zukommen zu lassen. Es gibt auch keine Äußerungen von Vertretern der Klägerin zu 2., die an den islamfeindlichen Positionierungen verschiedener Landesverbände Kritik üben oder den Bau von Moscheen verteidigen.
248Dagegen gibt es weitere Äußerungen von führenden Mitgliedern und Landesverbänden der Klägerin zu 2., die Ausländer und Muslime pauschal für Gewalt verantwortlich und mit erniedrigenden Bezeichnungen verächtlich machen. So bezeichnete der stellvertretende Bundesvorsitzende Nils Hartwig Migranten als „Invasoren“ (Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1359) und warnte vor einer „immer offenere[n] und aggressivere[n] Landnahme durch afrikanische Zuwanderer“ (Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1353). Der Landesverband Sachsen spricht von einer „Messer-Epidemie“ und schrieb auf Facebook „Hinter jedem Messermann steht ein Politiker, der ihn eingeladen hat. Die Bunten messern stets mit!“ (Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1314 f.). Der Landesverband Nordrhein-Westfalen verwendete den diffamierenden Begriff „Messer-Alis“, mit dem er Muslimen eine besondere Tendenz zu Messerangriffen unterstellte („Keine Lust auf Messer-Alis? Wir auch nicht! Jetzt Mitglied der Jungen Alternative werden – Wir machen noch Politik für Deutsche“, Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1371). In die gleiche Richtung geht auch die Aussage auf den vom Bundesverband der Klägerin zu 2. vertriebenen Aufklebern „Black Knives Matter“, die unter Bezugnahme auf die Protestbewegung „Black Lives Matter“ eine ganze Personengruppe aufgrund ihrer Hautfarbe als gewaltbereit darstellt (Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1317). Noch deutlicher wird dies, wenn die Junge Alternative Altmark ein Bild bzw. Meme veröffentlicht, auf dem die Frage, „wer für die Gewalt in Deutschland verantwortlich ist“, mit der Zeichnung eines dunkelhäutigen Mannes beantwortet wird (Verwaltungsvorgänge Oktober 2023, S. 1309).
249Diese Äußerungen gehen in der Gesamtschau über eine legitime Thematisierung der von Migranten begangenen Straftaten und deren Hintergründe und Ursachen hinaus, da sie sich pauschal gegen sämtliche Migranten oder bestimmte Migrantengruppen richten, dabei herabwürdigende Begriffe verwenden und aufgrund ihrer Anzahl und Schärfe geeignet sind, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen zu bereiten. Schon der Begriff der „Invasoren“ legt nahe, dass Migranten generell kein Aufenthaltsrecht zuzusprechen ist und es grundsätzlich gerechtfertigt ist, sie gewaltsam aus dem eigenen Lebensbereich zurückzudrängen. Die pauschale Zuweisung der Verantwortung für Messerangriffe und Gewalt stellt sämtliche Migranten und Muslime unter Generalverdacht und macht deutlich, dass ein friedliches Zusammenleben für aussichtslos gehalten wird. Dabei mögen einzelne Äußerungen für sich genommen die Grenze der Missachtung der Menschenwürde nicht überschreiten. Insbesondere bei spontanen, als Reaktion auf eine konkrete Gewalttat abgegebenen Äußerungen kann es sein, dass vereinzelt zu generalisierenden Verantwortungszuschreibungen und gruppenbezogenen erniedrigenden Bezeichnungen gegriffen wird, die mit etwas zeitlichem Abstand nicht in gleicher Form verwendet worden wären und weder sichere Rückschlüsse auf die Grundhaltung der betreffenden Person zulassen noch repräsentativ für die Gesamtorganisation sind. Die Vielzahl der diffamierenden und die menschliche Würde missachtenden Positionierungen dokumentiert in der Gesamtschau aber, dass es sich hier nicht um einzelne Entgleisungen, sondern um eine charakteristische Grundtendenz handelt.
250Ähnlich BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 326, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 635, 721; Bay. VGH, Beschluss vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 136 ff.; siehe auch OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 37.
251Diese konkreten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen werden nicht dadurch entkräftet, dass Vertreter der Klägerin zu 2. auch in sachlicher oder nur polemisch zugespitzter, aber nicht pauschal diffamierender Weise zur Kriminalität von Migranten und Muslimen oder kulturellen Unterschieden und Integrationsproblemen Stellung nehmen. Derartige Äußerungen beinhalten keine Distanzierung von den in gleichem Zusammenhang gebrauchten generalisierenden ausländer- und islamfeindlichen Formulierungen und stehen zu ihnen nicht in Widerspruch. Maßgeblich ist, dass aufgrund der auch von Vorstandsmitgliedern und Landesverbänden getätigten grenzüberschreitenden Äußerungen, die keinen Widerspruch innerhalb der Organisation hervorgerufen haben, eine gegen die Menschenwürde gerichtete Grundtendenz festgestellt werden kann. Die älteren Verlautbarungen haben daher ihre Aussagekraft als konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen nicht verloren, die weiteren nach dem 8. März 2022 gesammelten Erkenntnisse bestätigen die Einstufung als Verdachtsfall.
252bb) Angesichts der nach den vorstehenden Ausführungen vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte für mit der Menschenwürdegarantie unvereinbare Bestrebungen kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich aus Äußerungen von Mitgliedern und Anhängern der Klägerin zu 2. tatsächliche Anhaltspunkte für weitere verfassungsfeindliche, gegen die Menschenwürdegarantie, das Demokratieprinzip oder das Rechtsstaatsprinzip gerichtete Bestrebungen ergeben.
253cc) Die vom Bundesamt gesammelten tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen sind uneingeschränkt verwertbar.
254Entgegen dem Einwand der Klägerinnen stellt die Datensammlung des Bundesamts keinen ein Beweisverwertungsverbot begründenden schwerwiegenden Eingriff in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Die grundsätzliche Berechtigung des Bundesamts zur Sammlung und Auswertung von Informationen ergibt sich – wie bereits dargelegt – aus § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG. Ausweislich der vorgelegten Belege hat das Bundesamt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen, indem es die Klägerin zu 2. im Wesentlichen mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung beobachtet hat. Die umfassende Sammlung von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen verstößt auch nicht gegen das Übermaßverbot, da sie dem Zweck dient, ein aussagekräftiges Gesamtbild über die politischen Zielsetzungen der Klägerin zu 2. zu erhalten, und sich nur geringfügig auf ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht auswirkt, da sie ausschließlich ihr zurechenbare öffentliche Betätigungen betrifft und damit keine Informationen umfasst, die dem persönlichen Lebensbereich der betroffenen Personen zuzuordnen wären.
255Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 102 ff.
256Selbst wenn die Speicherung einzelner Informationen unverhältnismäßig sein sollte, weil sie nicht geeignet sind, zur Aufklärung des Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen beizutragen, bliebe die Verwertbarkeit der entscheidungserheblichen Informationen im Übrigen unberührt. Unabhängig davon können selbst Erkenntnisse, die das Bundesamt während einer auf der Grundlage unzureichender tatsächlicher Anhaltspunkte begonnenen Beobachtung gewonnen hat, als Grundlage einer anschließenden weiteren Beobachtung dienen.
257Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 24.
258Dementsprechend gibt es auch kein Beweisverwertungsverbot für Erkenntnisse, die möglicherweise ohne hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte im Rahmen der Bearbeitung als „Prüffall“ gewonnen wurden, so dass vorliegend offenbleiben kann, ob der „Prüffall“ im Rechtssinn nur einen Unterfall des „Verdachtsfalls“ im Sinn eines Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellt, bei dem aus Verhältnismäßigkeitsgründen auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel generell verzichtet wird.
259Entgegen dem weiteren Einwand der Klägerinnen durfte sich das Bundesamt bei der Erstellung der Gutachten auch der Hilfe eines externen Rechtsanwalts bedienen. Das Bundesamt hat seine Entscheidungsbefugnisse damit nicht auf einen außenstehenden Dritten übertragen, sondern lediglich rechtliche Unterstützung bei der Bewertung eingeholt, ob die normativ tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung der Klägerin zu 2. unter Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln vorliegen. Bei den Gutachten handelt es sich in der Sache um behördeninterne Rechtsgutachten, die als Entscheidungsgrundlage dienen und in der abgestimmten Endfassung zugleich die entscheidungstragenden Annahmen des Bundesamts dokumentieren, die Entscheidung aber nicht vorgeben.
260Die Verwertbarkeit der vom Bundesamt angeführten tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen entfällt auch nicht deshalb, weil nicht belegt ist, ob Aussagen von Personen stammen, die als Vertrauensleute im Sinn von § 9b BVerfSchG (V-Leute) tätig sind oder in sonstiger Weise mit dem Bundesamt zusammenarbeiten. Es kann vorliegend offenbleiben, ob – wie die Klägerinnen behaupten – das Bundesamt, die Landesämter für Verfassungsschutz oder sonstige staatliche Behörden V-Leute, Verdeckte Mitarbeiter oder sonstige menschliche Quellen auf den Führungsebenen der Klägerinnen eingesetzt haben und das Bundesamt die Einstufung der Klägerinnen auf Materialien und Sachverhalte gestützt hat, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde. Weder der Einsatz von V-Leuten oder sonstigen Informanten noch die Verwertung der von diesen Personen getätigten Aussagen widerspricht den Grundsätzen eines fairen, rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Verfahrens. Die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren, wonach eine Verwertung von Äußerungen oder Verhaltensweisen von Personen, die nachrichtendienstliche Kontakte zu staatlichen Stellen unterhalten, aus rechtsstaatlichen Gründen zu unterbleiben hat, da sie aufgrund der mit der V-Mann-Tätigkeit verbundenen unterschiedlichen Loyalitäten nicht eindeutig der Sphäre der betroffenen Partei zugeordnet werden können,
261vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 150, 157, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 411,
262lässt sich bereits deshalb nicht auf die nachrichtendienstliche Beobachtung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG übertragen, da diese keine eindeutige „Zuordnung“ voraussetzt, sondern der diesbezügliche – bloße – Verdacht ausreicht. Dies ist eine im Gegensatz zum Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren gerade niedrige Eingriffsschwelle.
263Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 25.
264Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, liegen auch dann vor, wenn nicht festgestellt werden kann, inwieweit die von einem V-Mann getätigten Äußerungen der Partei oder deren Jugendorganisation als Gegenstand eigenständiger unbeeinflusster Willensbildung zuzurechnen sind. Auch für die Gewichtung der verdachtsbegründenden Äußerungen ist dies nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Maßgeblich für den Verdacht ist – wie bereits oben dargelegt – der Beitrag, den die Äußerung zur Meinungsbildung in der Organisation leistet. Diese Außenwirkung hängt grundsätzlich nicht von der hinter der Äußerung stehenden inneren Motivation ab. Erst für die volle Zurechnung, wie sie die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 9 Abs. 2 GG oder Art. 21 Abs. 2 und 3 GG voraussetzt, muss dem Gebot der strikten Staatsfreiheit folgend sichergestellt sein, dass die tatsächlichen Feststellungen auf Beweismaterialien gestützt werden, die nicht im Wesentlichen „staatsgeprägt“ sind, und können daher nicht eindeutig zuzuordnende Äußerungen nicht verwertet werden.
265Das Bundesverfassungsgericht hat zudem klargestellt, dass auch während eines laufenden Parteiverbotsverfahrens eine Beobachtung unter Rückgriff auf die Instrumente heimlicher Informationsbeschaffung gemäß § 8 Abs. 2 BVerfSchG grundsätzlich zulässig ist und V-Leute in den Führungsgremien der Partei erst im Vorfeld eines Verbotsverfahrens abgeschaltet werden müssen. Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen und entsprechender Verdachtsfälle ist – wie ausgeführt – Ausfluss des Prinzips der „streitbaren Demokratie“, das gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören.
266Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 148, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 409, 418; Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 24.
267Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn bereits im Verdachtsstadium in Bezug auf alle Vertreter der Partei oder ihrer Jugendorganisation, deren Äußerungen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, offengelegt werden müsste, ob sie dauerhafte Kontakte zu nachrichtendienstlichen Behörden unterhalten.
268Unabhängig davon darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zudem selbst ein Verbots- oder Finanzierungsausschlussantrag nur nicht „im Wesentlichen“ auf Materialien und Sachverhalte gestützt werden, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde.
269Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 140, 157, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 401.
270Bereits aus diesem Grund kommt es nicht darauf an, ob die Einstufung und Beobachtung der Klägerinnen auch auf Materialien und Sachverhalte gestützt wurde, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor und wird auch von den Klägerinnen nicht behauptet, dass die Einstufung als Verdachtsfall im Wesentlichen auf von staatlichen Quellen beeinflussten Materialien beruht. Die Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, ergeben sich wie gezeigt nicht aus Verlautbarungen einiger weniger Personen, sondern aus einer größeren Anzahl von Äußerungen und Veröffentlichungen, insbesondere auch aus programmatischen Schriften der Klägerin zu 2. und Äußerungen verschiedener Landesverbände. Erst recht liegen keine Anhaltspunkte für eine umfangreiche staatliche Einflussnahme und Steuerung vor, die auch unabhängig von den im Parteiverbots- oder Finanzierungsauschlussverfahren geltenden Maßstäben zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnten.
271Soweit die Klägerinnen geltend machen, dass verdachtsbegründende Äußerungen auf „Provokationen“ durch behördliche „fake-Accounts“ zurückgehen könnten, haben sie bereits nicht dargelegt, welche der vom Bundesamt dokumentierten Äußerungen nach ihrer Auffassung durch anderweitige Veröffentlichungen provoziert worden sind. Im Übrigen gilt auch für den Einsatz von „fake-Accounts“, dass eine zulässige Beobachtung unter Rückgriff auf die Instrumente heimlicher Informationsbeschaffung gemäß § 8 Abs. 2 BVerfSchG nach den vom Bundesverfassungsgericht zugrunde gelegten Maßstäben erst im Vorfeld eines Verbots- oder Finanzierungsausschlussverfahrens eingestellt oder offengelegt werden muss.
272Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beobachtung der Klägerinnen der Ausspähung ihrer Prozessstrategie dient oder dass im Rahmen der Beobachtung zufällig oder von anderen Behörden erlangte Informationen über die Prozessstrategie zulasten der Klägerinnen verwendet werden. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass, sofern zufällig derartige Erkenntnisse anfielen – was bei dem Einsatz von Mitteln der heimlichen Informationsbeschaffung oder den von den Klägerinnen angeführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden kann –, diese nicht zur Akte genommen und verwendet würden. Die ohne greifbare Anhaltspunkte ins Blaue hinein erhobenen Gegenbehauptungen der Klägerinnen geben keinen Anlass für eine weitere Sachverhaltsaufklärung. Insbesondere lassen sich auch dem Prozessverlauf keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Beklagten die „Prozessstrategie“ der Klägerinnen bekannt gewesen sein und sie dieses Wissen im gerichtlichen Verfahren verwendet haben könnte. Unabhängig davon würde sich auch eine etwaige Ausspähung der Prozessstrategie im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich auswirken. Die Rechtmäßigkeit der Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. bliebe davon unberührt. Das gerichtliche Verfahren ist nicht die Grundlage für die Beobachtung der Klägerin zu 2., sondern ermöglicht, die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidungen über die Beobachtung der Klägerin zu 2. zu überprüfen. Die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren geltenden Grundsätze,
273vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 151 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 415 ff.,
274lassen sich daher auf das vorliegende Verfahren nicht übertragen.
275b) Die Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ ist auch auf der Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden.
276Bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ist das Bundesamt grundsätzlich zur Beobachtung verpflichtet. Es besteht insoweit kein Entschließungsermessen; die offene Formulierung in § 8 Abs. 1 und 2 BVerfSchG („Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf …“) begründet nur ein Auswahlermessen in Bezug auf die Intensität und die Mittel der Beobachtung. Dafür sprechen bereits die Regelungen in § 6 Abs. 1 und § 16 Abs. 1 und 2 BVerfSchG, wonach eine Pflicht zum Informationsaustausch mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz und zur Information der Öffentlichkeit besteht, die ohne eine vorherige Sammlung und Auswertung von Informationen nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG nicht sachgerecht erfüllt werden kann. Gestützt wird dies durch den Gesetzeszweck, eine Beobachtung schon bei tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu ermöglichen, um frühzeitig feststellen zu können, ob von ihnen eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgeht. Ob und in welchem Umfang eine weitere Beobachtung im Einzelfall erforderlich und zweckmäßig ist, kann dabei nur beurteilt werden, nachdem erste Informationen im Sinn von § 3 Abs. 1 BVerfSchG gesammelt und ausgewertet wurden.
277Vgl. Warg, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, V § 1 Rn. 40; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 131 ff.
278Die Rechtmäßigkeit der konkreten Auswahl einzelner Beobachtungsmaßnahmen ist – wie oben dargelegt – nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Zum Auswahlermessen zählen allerdings auch die mit der formellen Einstufung als „Verdachtsfall“ verbundene grundsätzliche Bereitschaft zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und die zeitliche Dauer der Beobachtung, die mit den Klageanträgen angegriffen werden. Insoweit liegen keine Ermessensfehler vor.
279aa) Das Bundesamt hat sich bei den Entscheidungen, die Beobachtung fortzusetzen und dabei auch nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen, vom Zweck der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen leiten lassen, bereits im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise entgegenzuwirken.
280Vgl. zum Gesetzeszweck BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 24, und vom 7. Dezember 1999 –1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 19, 27.
281In den behördeninternen Gutachten werden die rechtlichen Maßstäbe für eine nachrichtendienstliche Beobachtung politischer Parteien zutreffend wiedergegeben; ausdrücklich wird auf den hohen Wert der aus den für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlichen Grundprinzipien bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die gesetzgeberische Konzeption des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem hingewiesen, ebenso auf die Pflicht, über die Beobachtungsmittel und -intensität nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (Gutachten I, S. 5 ff., Gutachten III, S. 13 ff.). Diese Maßstäbe werden auf die Beobachtung der Klägerin zu 2. als selbständiger Jugendorganisation der Klägerin zu 1. übertragen (ausdrücklich Gutachten IV, S. 9 ff.). Weder den Gutachten noch den sonstigen Verwaltungsvorgängen oder den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Schriftsätzen lassen sich auch nur ansatzweise Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Entscheidung über die Einstufung und Beobachtung der Klägerinnen nicht auf dem Schutzzweck des BVerfSchG, sondern auf sachwidrigen parteipolitischen Motiven beruhen könnte, mit anderen Worten einem unzulässigen „parteipolitischen Konkurrenzschutz“.
282Die gegenteiligen Behauptungen der Klägerinnen sind vor diesem Hintergrund letztlich aus der Luft gegriffen. Soweit die Klägerinnen in den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen einzelne Vorfälle oder Äußerungen benennen, ergeben sich daraus keine Indizien für eine sachwidrige politische Einflussnahme oder Motivation. Insoweit wird auf die Beschlüsse über die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge Bezug genommen (Anlage zum Protokoll der Sitzung vom 29. April 2024). Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Argumentation der Klägerinnen zum Teil schon auf einem Zirkelschluss beruht: Die Klägerinnen bewerten jede politische Einflussnahme als sachwidrig, weil nach ihrer Auffassung die rechtlichen Voraussetzungen für eine nachrichtendienstliche Beobachtung nicht vorliegen. Wenn aber – wie hier festgestellt – die rechtlichen Voraussetzungen für eine nachrichtendienstliche Beobachtung vorliegen, ist eine dahingehende Einflussnahme politischer Entscheidungsträger für sich genommen noch kein Indiz für eine sachwidrige, gerade auf parteipolitischen Gründen beruhende Einflussnahme. Aber auch die von den Klägerinnen benannten Äußerungen, die sich darauf beziehen, die „Umfragewerte der [Klägerin zu 1.] zu senken“ – so eine Formulierung des Präsidenten des Bundesamts im Rahmen eines Fernsehinterviews – oder eine Strategie zur „Bekämpfung“ der Klägerin zu 1. zu entwickeln – so eine im Rahmen einer Leitungsklausur getroffene Aussage eines Mitarbeiters des BMI –, deuten, wie bereits in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, nicht auf eine sachwidrige parteipolitische Motivation hin, weil sie keine Rückschlüsse auf entsprechende Beweggründe für die zurückliegenden Entscheidungen über die Einstufung und Beobachtung der Klägerinnen zulassen.
283Siehe dazu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 13. Mai 2024 – 5 A 1218/22 –, S. 96 ff. des Urteilsabdrucks.
284Der Hinweis der Klägerinnen auf eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen politischen Jugendorganisationen ist ebenfalls nicht geeignet, die Beweggründe des Bundesamts in Frage zu stellen. Das Bundesamt hat Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in anderen Gruppierungen nicht ignoriert, sondern in der Vergangenheit auch über Jugendorganisationen anderer politischer Parteien wegen des Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen berichtet, unter anderem über die Jugendorganisation der Partei „Die Linke“. Die Entscheidung über die Dauer und Art der Beobachtung und Berichterstattung hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere auch im Hinblick auf die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer länger andauernden umfassenden Beobachtung, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen lediglich in Bezug auf einzelne Untergliederungen festgestellt werden.
285Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 136 ff.
286Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen hat das Bundesamt bei seiner Entscheidung, die Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ zu beobachten, auch entlastende Gesichtspunkte berücksichtigt, zum Beispiel die oben angeführte „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ vom 18. Januar 2021, die im Februar 2019 beschlossenen Änderungen am Deutschlandplan oder die Auflösung des niedersächsischen Landesverbands im Jahr 2018. Sie hat jeweils geprüft, ob und in welchem Umfang sie bestimmte Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen entkräften. Wie bereits dargelegt ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Aussagekraft konkreter Einzeläußerungen aber nicht allein dadurch in Frage gestellt wird, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
287Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 49; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 304; a. A. Murswiek, Verfassungsschutz und Demokratie, S. 58 f.
288Wenn eine Vielzahl von Äußerungen vorliegt, die für sich genommen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, kann der dadurch begründete Verdacht nur entkräftet werden, wenn konkret diesen Äußerungen in irgendeiner Form entgegengetreten wird oder sie durch Entwicklungen in der Organisation überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet sind.
289Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 34.
290bb) Die fortgesetzte Beobachtung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ war und ist auch verhältnismäßig.
291Die Beobachtung einer Partei unter Inanspruchnahme von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen Informanten und Gewährspersonen sowie mittels verdeckter Ermittlungen und Befragungen stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG geschützte Freiheitssphäre der Partei dar. Wie bereits ausgeführt, hat der Gesetzgeber die Aufgaben und Befugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz aber so bestimmt, dass Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien auf das zur Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie zwingend Gebotene beschränkt bleiben. Die widerstreitenden Prinzipien der Parteienfreiheit und der streitbaren Demokratie sind namentlich in § 8 Abs. 5 und § 9 BVerfSchG mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einem angemessenen Ausgleich zugeführt. Die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall genügt zur Wahrung der Rechte und schützenswerten Belange Betroffener.
292Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 25, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 36 ff.
293Für die Jugendorganisation einer politischen Partei und ihre durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützte Freiheitssphäre gilt nichts anderes. Die fortgesetzte Beobachtung der Klägerin zu 2. bezweckt, die bestehenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen weiter aufzuklären. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist auch geeignet, diesen Zweck zu fördern. Dem steht nicht entgegen, dass gegebenenfalls aufgrund spezialgesetzlicher oder dienstlicher Regelungen weitere Anforderungen an die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel zu stellen sind. Es obliegt insoweit der Prüfung im konkreten Einzelfall, ob die jeweiligen Einsatzvoraussetzungen erfüllt sind. Eine generelle Untersagung der Verwendung solcher Mittel, wie sie die Klägerinnen anstreben, rechtfertigt sich daraus nicht.
294So bereits (zur nachrichtendienstlichen Beobachtung von Scientology) OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 346.
295Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist auch nicht deshalb generell ausgeschlossen, weil sie gegenüber einer öffentlich agierenden Jugendorganisation einer politischen Partei nicht erforderlich wären (vgl. § 9 Abs. 1 BVerfSchG). Eine Beobachtung mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung ist nicht in gleicher Weise geeignet, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen aufzuklären, da – wie oben dargelegt – konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Klägerin zu 2. ihre wahren politischen Zielsetzungen nicht vollständig offenlegt. Es sind immer die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist zum Beispiel nicht erforderlich, wenn er nur dazu dient, die Erkenntnisse in Details zu perfektionieren.
296Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 38.
297Vorliegend lassen sich die konkreten politischen Ziele der Klägerin zu 2. aber aufgrund der bisher aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen Erkenntnisse nicht im Einzelnen feststellen, so dass ein genereller Verzicht auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht geboten ist.
298Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kann unter Umständen auch dann generell unverhältnismäßig sein, wenn zwar hinreichende, aber nur relativ schwache tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Vielfach dürfte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch gebieten, beim Vorliegen erster Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zunächst von einer Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln abzusehen, da nicht auszuschließen ist, dass der Verdacht sich bereits bei einer intensiveren Sammlung von allgemein zugänglichen Informationen entkräften lässt. Derartige Umstände sind hier aber nicht gegeben. Wie oben dargelegt, lagen und liegen deutliche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin zu 2. Bestrebungen verfolgt, die nicht mit der Menschenwürdegarantie zu vereinbaren sind, zunächst vor allem die programmatischen Aussagen im Deutschlandplan, später eine große Anzahl von ausgrenzenden und diffamierenden Äußerungen, die bereits für sich genommen den Verdacht verfassungsfeindlicher Zielsetzungen rechtfertigen, aber auch einzelne konkret verfassungswidrige Forderungen, die diesen Verdacht noch einmal verstärken. Das Bundesamt hat die Klägerin zu 2. auch nicht von Beginn an mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet, sondern jedenfalls bis zur Einstufung als Verdachtsfall zunächst über einen längeren Zeitraum auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel verzichtet.
299Dabei kann auch an dieser Stelle dahinstehen, ob die vom Bundesamt im Hinblick auf die Klägerin zu 1. offengelegte Einstufung als „Prüffall“ im Rechtssinn nur einen Unterfall des „Verdachtsfalls“ im Sinn eines Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellt, bei dem aus Verhältnismäßigkeitsgründen auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel generell verzichtet wird, oder diesem zeitlich wie normativ vorgelagert ist. Entscheidend ist hier allein, dass vor der mit der formellen Einstufung zum „Verdachtsfall“ erklärten grundsätzlichen Absicht zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel die Klägerin zu 2. bereits über einen längeren Zeitraum mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung beobachtet wurde, ohne den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen damit ausschließen zu können. Mit anderen Worten: Die von der Klägerin im Berufungsverfahren gerügte Kategorienbildung des Bundesamts ist im BVerfSchG zwar nicht vorgesehen, steht dazu aber auch nicht in Widerspruch, sondern dient gerade der Wahrung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall.
300Im Einzelfall kann es auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar sein, wenn einmal gegebene Verdachtsmomente zu einer „Dauerbeobachtung“ mit nachrichtendienstlichen Mitteln führen, obwohl sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht bestätigt hat und die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind.
301Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 66 (Beobachtungszeitraum von 35 Jahren unverhältnismäßig), und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 34 (Beobachtungszeitraum von vier Jahren unbedenklich).
302Es kann offenbleiben, ob dies nur Fallgestaltungen betrifft, in denen entweder letztlich kein Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen mehr besteht oder eine weitere Beobachtung nicht erforderlich ist, weil nicht zu erwarten ist, dass damit neue relevante Erkenntnisse gewonnen werden können, oder ob auch Fälle denkbar sind, in denen der zu erwartende zusätzliche Erkenntnisgewinn so gering ist, dass nur die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn nicht gewahrt wäre.
303Die Grenze einer unzulässigen „Dauerbeobachtung“ ist hier jedenfalls bei weitem nicht überschritten. Die Beobachtung der Klägerin zu 2. währt zum einen noch nicht übermäßig lang. Zum anderen sind die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände nicht im Wesentlichen unverändert geblieben. Insbesondere die Änderungen am Deutschlandplan im Februar 2019 und dessen Aufhebung im Oktober 2022 deuten darauf hin, dass es gegenläufige Entwicklungen bei der Klägerin zu 2. gab, zunächst noch eine erkennbare Bereitschaft, zumindest einzelne verfassungsfeindliche Inhalte zu korrigieren, später eine Aufhebung ohne inhaltliche Distanzierung, die angesichts der sonstigen Äußerungen von Vertretern der Klägerin zu 2., insbesondere des neugewählten Bundesvorstandsmitglieds Fabian Küble, eher den Eindruck verstärkt, dass verfassungsfeindliche Zielsetzungen bewusst nicht offengelegt werden. Starre Fristen, nach denen die Beobachtung als „Verdachtsfall“ einzustellen ist, wenn der Verdacht unverändert fortbesteht, aber bislang noch nicht weiter aufgeklärt werden konnte, lassen sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ableiten. Insbesondere bei einer wesentlichen Änderung der für die Beobachtung maßgeblichen Umstände gibt es keinen Anlass, die Beobachtung allein deshalb abzubrechen, weil sie schon einen bestimmten Zeitraum andauert.
304II. Die Klägerinnen haben auch keinen Anspruch auf Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt (Antrag zu 2.). Das Bundesamt darf öffentlich bekanntgeben, dass es die Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ einordnet, beobachtet, behandelt, prüft oder führt. Die auf die Rechtswidrigkeit der öffentlichen Bekanntgabe ihrer Einstufung und Beobachtung am 15. Januar 2019 und vom 16. Januar 2019 bis zum 25. April 2023 bezogenen Feststellungsanträge sind ebenfalls unbegründet (Antrag zu 5. und zweiter Hilfsantrag zum Antrag zu 2.).
3051. Rechtsgrundlage für die öffentliche Bekanntgabe durch das Bundesamt ist § 16 Abs. 1 BVerfSchG.
306Nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes vom 17. November 2015 (BGBl. I S. 1938) informiert das Bundesamt für Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, sowie über präventiven Wirtschaftsschutz.
307Mit der Neuregelung sollte das Bundesamt nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich dazu ermächtigt werden, die Öffentlichkeit auch über „Verdachtsfälle“ zu unterrichten, was nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf der Grundlage der bis dahin geltenden Fassung des § 16 BVerfSchG nicht möglich war. Die konkrete Formulierung soll dabei deutlich machen, dass eine Abwägung der Erkenntnisdichte und des öffentlichen Interesses an einer Verdachtsberichterstattung erfolgen muss.
308Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20. April 2015, BT-Drs. 18/4654, S. 32; Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 18/5415, S. 12; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 12 ff.
309Bei Vorliegen einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Öffentlichkeit auch über Verdachtsfälle zu unterrichten, sofern die tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen hinreichend gewichtig sind, um die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung als Verdachtsfall auch angesichts der nachteiligen Auswirkungen auf die Betroffenen zu rechtfertigen.
310Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 –, BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 67 ff.; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 12; siehe auch BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 31. Mai 2022 – 1 BvR 564/19 –, NJW 2022, 3629, juris. Rn. 18, und vom 31. Mai 2022 – 1 BvR 98/21 –, NJW 2022, 3627, juris, Rn. 16.
311Dies gilt auch für politische Parteien oder deren Jugendorganisationen. Die Aufnahme einer Partei in einen Verfassungsschutzbericht ist zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die dafür sprechen, dass die Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, und die belastenden Maßnahmen den rechtsstaatlichen Anforderungen namentlich der Verhältnismäßigkeit genügen.
312Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 24; siehe auch BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 45; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 19; a. A. Murswiek, NVwZ 2004, 769 (775 ff.); Conrad, in: Conrad/Grünewald/Kalscheuer/Milker, Öffentlich-rechtliches Äußerungsrecht, 2022, § 3 Rn. 139.
313Wie oben bereits ausgeführt, findet das Selbstbestimmungsrecht der Parteien seine Schranke in der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“ und zielt die Beobachtung einer politischen Partei auf verfassungsfeindliche Bestrebungen nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt vielmehr auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken.
314Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 24, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 19, 27.
315Politische Parteien müssen sich entsprechend ihrer Aufgabe, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG), der öffentlichen Auseinandersetzung stellen. Teil der öffentlichen Auseinandersetzung sind Äußerungen zur Einschätzung einer politischen Partei als verfassungsfeindlich, sofern sie sich im Rahmen von Recht und Gesetz halten. Solchen Äußerungen kann und muss die betroffene Partei mit den Mitteln des Meinungskampfes begegnen. Auch staatliche Stellen sind nicht gehindert, zum Beispiel das Für und Wider eines Verbotsverfahrens mit der gebotenen Sachlichkeit zur Debatte zu stellen. Das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit verbietet staatlichen Stellen grundsätzlich nur dann, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht.
316Vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014 – 2 BvE 4/13 –, BVerfGE 136, 323, juris, Rn. 26, und Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 20 ff.
3172. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung der Klägerin zu 2. als Verdachtsfall waren und sind gegeben.
318Wie oben bereits dargelegt, lagen und liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin zu 2. Bestrebungen verfolgt, die im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Es lagen und liegen auch „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“ im Sinn von § 16 Abs. 1 BVerfSchG vor.
319Der gesetzliche Maßstab weicht insoweit aus guten Gründen von dem für die Beobachtung maßgeblichen Begriff der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ in § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG ab. Die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung einer Partei oder ihrer Jugendorganisation als Verdachtsfall beeinträchtigt sie deutlich stärker in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit als die bloße Sammlung von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen. Der Eingriff ist möglicherweise weniger schwerwiegend als eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, da sich politische Parteien – wie ausgeführt – der öffentlichen Auseinandersetzung stellen müssen und Teil dieser öffentlichen Auseinandersetzung auch Äußerungen zur Einschätzung einer politischen Partei oder ihrer Jugendorganisation als verfassungsfeindlich sind.
320Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 21.
321Die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung als Verdachtsfall kann aber gravierende Auswirkungen auf die politische Betätigung der Partei und ihrer Jugendorganisation haben, weil sie ihnen erschweren kann, Anhänger und Wähler für sich zu gewinnen sowie mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen.
322Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 95.
323Darin liegt nicht automatisch eine Verletzung des Rechts politischer Parteien auf Chancengleichheit. Es ist – wie bereits dargelegt – gerade ein legitimes Ziel und von der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“ gedeckt, die Öffentlichkeit über den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen auch deshalb zu informieren, um sie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der betreffenden Partei anzuhalten und möglichen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung mit politischen Mitteln entgegenzuwirken. Es ist aber in besonderer Weise darauf zu achten, dass die Äußerungen zur Einordnung als Verdachtsfall mit der gebotenen Sachlichkeit erfolgen und nicht der Eindruck erweckt wird, es stehe fest, dass die betroffene Partei oder ihre Jugendorganisation gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgen.
324Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 22 f., und vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 –, BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 78; siehe auch OVG NRW, Urteil vom 7. August 2018 – 5 A 1698/15 –, juris, Rn. 128 ff. (zu § 3 Abs. 3, § 5 Abs. 7 VSG NRW); Hess. VGH, Beschluss vom 3. März 2021 – 7 B 190/21 –, juris, Rn. 24 ff. (zu § 2 Abs. 1 Satz 4 VSG Hessen); Brandt, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, VIII § 2 Rn. 38 ff.
325Dementsprechend sind an die grundsätzliche Befugnis zur Bekanntgabe der Beobachtung als Verdachtsfall hier im Ergebnis keine strengeren Anforderungen zu stellen als an die grundsätzliche Befugnis zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Die über einen längeren Zeitraum beobachteten deutlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen begründeten bereits am 15. Januar 2019 und begründen weiterhin einen gewichtigen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der es rechtfertigt, die Öffentlichkeit über die Beobachtung durch das Bundesamt zu unterrichten.
3263. Die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung der Klägerin zu 2. als „Verdachtsfall“ ist auch auf der Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden. Das Bundesamt hat bereits in der Vergangenheit ermessensfehlerfrei angenommen, dass ein öffentliches Interesse an der Bekanntgabe besteht und die Klägerinnen dadurch nicht unverhältnismäßig in ihrer politischen Betätigung beschränkt werden.
327Angesichts der auch bereits im Jahr 2019 erheblichen politischen Bedeutung der Klägerin zu 1., die zum damaligen Zeitpunkt im Deutschen Bundestag, in sämtlichen Landesparlamenten und im Europäischen Parlament vertreten war, bestand und besteht ein erhebliches öffentliches Interesse, darüber unterrichtet zu werden, dass ihre Jugendorganisation, die Klägerin zu 2., als Verdachtsfall beobachtet wird. Da die politischen Zielsetzungen der Klägerin zu 2. maßgeblichen Einfluss auf die künftige Ausrichtung der Klägerin zu 1. haben können, muss grundsätzlich auch damit gerechnet werden, dass sich mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen der Klägerin zu 2. auch in der Klägerin zu 1. verbreiten werden. Wie oben bereits dargelegt, ist es ist eine zentrale Aufgabe der Klägerin zu 2., auf die politische Meinungsbildung der Klägerin zu 1. Einfluss zu nehmen, sowohl nach ihrem eigenen Selbstverständnis als auch nach den von der Klägerin zu 1. formulierten Erwartungen. So ist die Klägerin zu 2. nach § 2 Abs. 2 Satz 2 ihrer Bundessatzung darauf ausgerichtet, die Klägerin zu 1. bei ihrer politischen Tätigkeit zu unterstützen, und heißt es in § 17a Abs. 2 Satz 1 der Bundessatzung der Klägerin zu 1., die Klägerin zu 2. diene ihr als Innovationsmotor und habe das Ziel, das Gedankengut der Partei in ihrem Wirkungskreis zu verbreiten sowie die besonderen Anliegen der Jugend innerhalb der Klägerin zu 1. zu vertreten.
328Je größer die Anhängerschaft einer Partei ist, umso größer ist auch das Bedürfnis, möglichen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung mit politischen Mitteln entgegenzuwirken, auch wenn nicht feststeht, ob sie tatsächlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt. Die öffentliche Bekanntgabe ist nicht darauf gerichtet, die Klägerin zu 1. als Partei zu schwächen, sondern soll die Öffentlichkeit auf mögliche Gefahren hinweisen. Gerade wenn möglicherweise trotz entsprechender Anhaltspunkte in Wahrheit keine verfassungsfeindlichen Zielsetzungen verfolgt werden oder nur einzelne Personen verfassungsfeindliche Zielsetzungen verfolgen oder nur einzelne, untergeordnete Zielsetzungen verfassungsfeindlich sind, können sich die Klägerinnen der politischen Auseinandersetzung auch stellen, indem sie ihre Ziele erläutern und missverständlichen Äußerungen und verfassungswidrigen Forderungen einzelner Mitglieder entgegentreten.
329Das Bundesamt konnte sich daher auch bei der erstmaligen Bekanntgabe der Einstufung der Klägerin zu 2. als Verdachtsfall uneingeschränkt vom Zweck der Ermächtigung des § 16 Abs. 1 BVerfSchG leiten lassen, die Öffentlichkeit über gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen zu informieren, um sie in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise entgegenzuwirken. Damit übereinstimmend hat der Präsident des Bundesamts in der Pressekonferenz vom 15. Januar 2019 in sachlicher Form die Gründe erläutert, die ausschlaggebend dafür waren, die Klägerin zu 2. als Verdachtsfall einzustufen und zu beobachten. Seine Ausführungen lassen in keiner Weise Anzeichen für eine sachwidrige Motivation erkennen. Insbesondere wird deutlich, dass die Entscheidung zur Beobachtung der Klägerin zu 2. und deren Bekanntgabe auf den bei ihr konkret festgestellten Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen beruht und unabhängig von der Einstufung und Bekanntgabe der Klägerin zu 1. als „Prüffall“ getroffen wurde.
330Die sachlich richtige und weltanschaulich-politisch neutrale Bekanntgabe, dass das Bundesamt Informationen über mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen bei der Klägerin zu 2. sammelt und dabei grundsätzlich auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzt, belastet die Klägerinnen daher auch nicht unverhältnismäßig. Insbesondere wird mit der Bezeichnung als „Verdachtsfall“ in keiner Weise der Eindruck erweckt, es stehe fest, dass die Klägerin zu 2. gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt. Der Begriff „Verdachtsfall“ findet sich nicht im BVerfSchG, ist aber eine inhaltlich zutreffende Beschreibung für das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen.
331Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 29 und vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 23.
332In welcher Form sich das Bundesamt abgesehen von der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung der Klägerin zu 2. als Verdachtsfall weiter über die Klägerin zu 2. und die Gründe für ihre Beobachtung äußern durfte oder darf, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens, ebenso wenig die Aufnahme der Klägerin zu 2. in den Verfassungsschutzbericht des BMI nach § 16 Abs. 2 BVerfSchG.
333Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
334Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Der Rechtssache kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, weil ein über den Einzelfall hinausgreifendes, allgemeines rechtliches Interesse an der höchstrichterlichen Klärung einer für den erkennenden Senat erheblichen Frage des revisiblen Rechts nicht besteht. Die maßgeblichen Rechtsfragen der Beobachtung einer Jugendorganisation einer Partei auf Grundlage der § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG sowie deren Bekanntgabe nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG sind in der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt.