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Die Füllmenge einer Fertigpackung ist nach den §§ 42 ff. MessEG, sowie der auf § 44 MessEG beruhenden Fertigpackungsverordnung zu bestimmen, mit denen die Vorgaben der Richtlinien 76/211/EWG umgesetzt worden sind. Nach dieser weiterhin maßgeblichen Richtlinie ist unter Füllmenge die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Dabei besteht eine Fertigpackung aus einem Erzeugnis und seiner vollständigen und mengenerhaltenden Umschließung beliebiger Art.
Der nach Maßgabe der Richtlinie 76/211/EWG in das nationale Recht übernommene Begriff des Erzeugnisses ist ein unionsrechtlicher Begriff.
Mit der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV–) hat der Unionsgesetzgeber die bisher geltende Rechtslage bezogen auf die Bestimmung der Füllmenge von vorverpackten Lebensmitteln und Fertigpackungen mit Lebensmitteln nicht geändert, sondern für vorverpackte Lebensmittel hierauf Bezug genommen.
Würste, die nach üblichem Handelsbrauch mit nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipsen gehandelt werden, sind als solche mit Umhüllung handelbare Waren und damit Erzeugnisse im Sinne des Fertigpackungsrechts. Sie sind erst dann als fertigverpackt anzusehen, wenn sie mit einer Umschließung beliebiger Art (Fertigpackung) an die Verbraucher abgegeben werden sollen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts D. vom 28.3.2023 geändert.
Die Untersagungsverfügung des Beklagten vom 10.9.2019 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens für beide Instanzen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist Herstellerin von Wurstwaren. Sie stellt unter anderem Wurstwaren her, welche jeweils mit einer Wursthülle und zwei Wurstendenabbindern (Wurstclipsen) versehen sind. Diese vermarktet sie verpackt in Umverpackungen.
3Am 6.2.2019 führte das Eichamt D. des Beklagten eine Füllmengenkontrolle in dem Betrieb der Klägerin durch. In Verpackungen mit Leberwurst mit auf den Verpackungsetiketten angegebenen Nennfüllmengen von 130 Gramm waren im Mittel 127,7 Gramm essbare Wurstmasse enthalten. Daraufhin untersagte das Eichamt mündlich das Inverkehrbringen dieser Charge. Betroffen war davon laut Angaben der Klägerin eine Partie von 6.690 Packungen mit einem Gegenwert von mehreren tausend Euro. Die Klägerin vernichtete im Zuge dessen die beanstandete Charge als selbstbestimmte Maßnahme. Am 13.8.2019 unterzog das Eichamt D. die Verpackungen mit einer anderen Leberwurst und einer Nennfüllmenge von gleichfalls 130 Gramm einer weiteren Füllmengenkontrolle. Darin waren im Mittel 127,4 Gramm essbare Wurstmasse enthalten. Das Eichamt sperrte die Charge, die sodann vor Ort vernichtet wurde.
4Mit Schreiben vom 15.8.2019 hörte der Beklagte die Klägerin zum beabsichtigten Erlass einer Anordnung nach § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 MessEG an. Bei den Kontrollen sei festgestellt worden, dass lediglich ein Gewicht von 5,8 g für das Taramaterial angenommen worden sei, was in etwa dem Gewicht der Kunststoffschale mit der Kunststofffolie und dem Etikett entspreche. Demnach seien die Wursthülle und die Wurstclipse nicht als Taramaterial berücksichtigt, sondern mit zu der Nettofüllmenge des Lebensmittels gerechnet worden. Hierzu nahm die Klägerin mit Schreiben vom 21.8.2019 Stellung und führte im Wesentlichen aus, Wurstclipse und formgebende Wursthüllen seien nicht als Tara abzuziehen. Dies ergebe sich aus der Richtlinie zur Füllmengenprüfung von Fertigpackungen und Prüfung von Maßbehältnissen durch die zuständigen Behörden (im Folgenden: RFP), die nach wie vor anwendbar sei.
5Mit Verfügung vom 10.9.2019 untersagte der Beklagte der Klägerin mit einer Übergangsfrist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung, Fertigpackungen mit Wurstwaren, bei denen die Wurstclipse und die Wursthüllen nicht austariert, sondern der Nettofüllmenge hinzugerechnet werden, in Verkehr zu bringen. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus: Aufgrund der nach § 22 Abs. 2 FPackV nicht statthaften Unterschreitung des Mittelwerts verstießen die Fertigpackungen der Klägerin gegen die gesetzlichen Anforderungen. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. e) der Verordnung (EU) 1169/2011 (Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV –) sei die Angabe der Nettofüllmenge eines Lebensmittels verpflichtend. Aus der Definition des Begriffs „Lebensmittel“ in Art. 2 LMIV folge, dass Wurstclipse und Wursthüllen dem Taramaterial und nicht dem Lebensmittel zuzuordnen seien. Die RFP könne wegen des Vorrangs des EU-Rechts nicht berücksichtigt werden. Außerdem handele es sich bei der RFP lediglich um eine Empfehlung zum Verwaltungshandeln, eine Bindungs- oder Außenwirkung sei aus ihr nicht ableitbar. Nach Anhang VI, Teil C der LMIV sei ausdrücklich anzugeben, wenn die Wursthülle nicht essbar sei. Daher könne diese nicht zum Gewicht des Lebensmittels hinzugerechnet werden. Eine systematische Auslegung des Art. 9 Abs. 1 Buchst. e) LMIV verbiete ebenfalls, Wursthüllen, Clipse, etc., die nicht essbar seien, zur Nettofüllmenge hinzuzurechnen. Nach der geltenden Rechtslage sei entscheidend, dass die Nettofüllmenge lediglich das verzehrbare Lebensmittel ohne Taramaterial umfasse. Aufgrund des Ergebnisses der Marktüberwachung sowie der Stellungnahme der Klägerin bestehe der begründete Verdacht, dass sie die Anforderungen für Fertigpackungen auch zukünftig nicht erfüllen werde. Hinsichtlich weiterer Chargen dieser Produkte bestehe eine Gefahrenlage. Ohne die Untersagung der erstmaligen Bereitstellung von unterfüllten Fertigpackungen auf dem Markt könne der Verbraucherschutz nicht sichergestellt werden. Weniger belastende Mittel seien nicht gegeben. Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin müsse hinter dem öffentlichen Interesse des Verbraucherschutzes und des Eigentums zurücktreten. Zur Erreichung des rechtskonformen Zustands sei eine Übergangsfrist eingeräumt worden, in der gegebenenfalls hierfür erforderliche Maßnahmen, wie die Umstellung der Produktion, umgesetzt werden könnten. Bei der Festlegung der Frist von drei Monaten sei auch berücksichtigt worden, dass Neuverhandlungen von Verträgen zur Einkalkulierung der Mehrkosten erforderlich sein könnten.
6Mit ihrer Klage hat die Klägerin im Wesentlichen ausgeführt: Die Untersagungsverfügung verstoße bereits gegen das Bestimmtheitsgebot, weil sie nicht zwischen essbaren und nicht essbaren Wurstclipsen und Wursthüllen differenziere. Darüber hinaus lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 MessEG nicht vor. Die Regelungen der LMIV hätten die RFP nicht überholt. Die LMIV ersetze ausschließlich die vormalige Etikettierungsrichtlinie. Bei dem leicht veränderten Wortlaut handele es sich um eine redaktionelle Klarstellung. Die Lebensmitteldefinition aus Art. 2 der Verordnung (EG) 178/2002 (Lebensmittelbasisverordnung) stamme bereits aus dem Jahr 2002. Eine Änderung der Rechtslage sei daher nicht beabsichtigt gewesen. Wegen unklarer Rechtslage stehe nicht fest, ob überhaupt eine Gefahrenlage vorliege.
7Die Untersagungsverfügung sei darüber hinaus unverhältnismäßig. Bei dem endgültigen Bereitstellungsverbot handele es sich um eines der schärfsten Schwerter unter den Marktüberwachungsmaßnahmen. Die Rechtsauffassung des Beklagten als zutreffend unterstellt, wäre durch ein Inverkehrbringen der Fertigverpackungen mit unzutreffender Nettofüllmenge lediglich das Vermögen der Verbraucher gefährdet, das jedoch kein geschütztes Rechtsgut i. S. d. Art. 14 GG sei. Nur das Verbrauchereigentum unterfalle dem Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts.
8Der Beklagte sei unabhängig davon nicht berechtigt, die Anordnung über die beanstandete Fertigpackung hinaus auf sämtliche Fertigpackungen mit Wurstwaren auszuweiten. Die in § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 MessEG geregelte Befugnis, die Bereitstellung eines Produkts zu verbieten, beziehe sich stets auf ein konkretes Produkt. Insofern sei die Regelung an § 26 Abs. 1 bis 3, Abs. 5 ProdSG a. F. angelehnt, die sich ebenfalls nur gegen ein bestimmtes Produkt richte. Erforderlich sei eine genaue Identifikation des Produkts, gegebenenfalls seiner Charge sowie einer genauen Bezeichnung der Non-Konformität.
9Die Klägerin hat beantragt,
10die Untersagungsverfügung vom 10.9.2019 aufzuheben.
11Der Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung hat er seine Ausführungen aus der Untersagungsverfügung wiederholt und ergänzend vorgetragen, die Verfügung sei nicht unbestimmt, weil sich aus dem Gesamtzusammenhang ihr Regelungsgehalt für die Empfängerin ergebe. Während des gesamten Verfahrens seien nur die nicht essbaren Wursthüllen und Wurstclipse betrachtet worden. Dies habe sie auch nochmals gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 15.3.2021 klargestellt.
14Die LMIV gelte als EU-Verordnung unmittelbar. Demnach stehe sie der Anwendung aller nationalen Regelungen, die mit den Verordnungsbestimmungen unvereinbar seien, entgegen. Ein möglicher Rückgriff auf eine bloße Empfehlung für die Auslegung des Begriffs „Nettogewicht“ oder eine ständige Verwaltungspraxis scheide daher aus. Daher suggeriere auch das bloße Bestehen der RFP nicht, dass die darin enthaltenen Bestimmungen weiterhin anwendbar seien. Dass die Deutsche Akademie für Metrologie die RFP weiterhin als zu berücksichtigende Verwaltungsvorschrift nenne, widerspreche dem nicht, weil die RFP in einigen Bereichen, zum Beispiel bei der Berücksichtigung von Schwundwerten oder bei der Bestimmung der Dichte, weiterhin anwendbar sei. Das Land Brandenburg habe in ihrem Amtsblatt die RFP für Brandenburg außer Kraft gesetzt. Dies sei in NRW nicht erforderlich gewesen, weil die RFP hier nicht in einem Publikationsorgan bekannt gegeben worden sei.
15Die Regelungen des Anhangs IX der LMIV stellten Sonderregelungen zu Art. 23 LMIV dar. Aus ihnen erwüchsen keine Auswirkungen auf die allgemeinen Regelungen. Auch greife Art. 42 LMIV nicht, weil danach unter bestimmten Voraussetzungen ausschließlich die Verwendung anderer als in Art. 23 Abs. 1 LMIV genannter Einheiten zur Angabe der Nettofüllmenge auf nationaler Ebene ermöglicht werde. Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Regelung, was zur Nettofüllmenge gehöre, werde dem nationalen Gesetzgeber durch Art. 42 LMIV nicht zugestanden.
16Die am 1.12.2020 in Kraft getretene FPackV habe keine Auswirkungen auf den streitgegenständlichen Sachverhalt. Anforderungen zur Einhaltung der Nennfüllmenge seien bereits in der alten Fertigpackungsverordnung geregelt gewesen. § 22 Abs. 2 Nr. 1 FPackV a. F. lege die Anforderung der Einhaltung des Mittelwertes fest. Eine unklare Rechtslage bestehe nicht. Ein Rückgriff auf das Produktsicherheitsgesetz sei nicht opportun, weil es sich bei § 50 Abs. 2 MessEG um eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage handele.
17Die Untersagungsverfügung verstoße nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung sei auf den aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG abgeleiteten Verbraucherschutz abgestellt worden. Das Eigentum der Verbraucher sei gefährdet, weil der Verbraucher durch den Kauf der Wurstwaren Eigentümer des Produktes mit der berechtigten Annahme geworden sei, dass er die angegebene Menge an Wurstware erworben habe. Der Zweck des Mess- und Eichgesetzes liege darin, den Verbraucher beim Erwerb messbarer Güter zu schützen und im Interesse eines lauteren Handelsverkehrs die Voraussetzungen für richtiges Messen im geschäftlichen Verkehr zu schaffen. Die Untersagungsverfügung sei auf sämtliche Fertigpackungen mit Wurstwaren zu erstrecken, weil innerhalb von sechs Monaten bei zwei unterschiedlichen Produkten die gleichen Feststellungen getroffen worden seien und die Beschränkung der Untersagung auf eine Charge dem Verbraucherschutz sowie einem effektiven Verwaltungshandeln entgegenstünde.
18Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 28.3.2023 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Untersagungsverfügung verstoße nicht gegen das Bestimmtheitsgebot nach § 37 Abs. 1 VwVfG NRW. Jedenfalls habe der Beklagte nachträglich klargestellt, dass sich die Untersagungsverfügung auf nicht essbare Wurstclipse oder nicht essbare Wursthüllen beziehe. Für die Klägerin sei eindeutig zu erkennen, welche Produkte sie nicht in Verkehr bringen dürfe.
19Die Verfügung sei auf Grundlage von § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 MessEG und § 22 Abs. 2 FPackV a. F. auch materiell rechtmäßig ergangen. Die von der Klägerin in Verkehr gebrachten Fertigpackungen mit Wurstwaren, bei denen nicht essbare Wurstclipse oder nicht essbare Wursthüllen oder eine Kombination von nicht essbaren Wurstclipsen und nicht essbaren Wursthüllen nicht austariert, sondern der Nettofüllmenge hinzugerechnet würden, unterschritten in unzulässiger Weise die Nennfüllmenge. Die von dem Beklagten verfügte Rechtsfolge sei auch rechtlich nicht zu beanstanden.
20Die Klägerin verstoße gegen die Anforderungen des § 22 Abs. 2 FPackV a. F. Bei den Füllmengenkontrollen am 6.2.2019 und am 13.8.2019 habe der Beklagte jeweils eine Mittelwertunterschreitung der Nennfüllmenge festgestellt. Zwischen den Beteiligten sei insofern unstreitig, dass die festgestellte Mittelwertunterschreitung darauf beruhe, dass lediglich die Kunststoffschale mit der Kunststofffolie und dem Etikett als Taramaterial berücksichtigt worden sei, nicht jedoch die Wursthülle und die Wurstclipse. Bei den nicht essbaren Wurstclipsen und der nicht essbaren Wursthülle handle es sich um Tara-Material, das nicht dem Nettogewicht des Lebensmittels hinzuzurechnen sei. Dies folge aus der Anwendung der LMIV. Die Auslegung des in § 22 Abs. 2 FPackV a. F. genannten Begriffs der Nennfüllmenge richte sich nach der LMIV. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts sei die Heranziehung entgegenstehender nationaler Regelungen hinsichtlich der Begriffsbestimmung ausgeschlossen. Maßgeblich für die Frage, wie die Nennfüllmenge im Sinne des § 22 Abs. 2 FPackV a. F. zu bestimmen sei, sei der Füllmengen- sowie der Lebensmittelbegriff, der der LMIV zugrunde liege. Art. 9 Abs. 1 Buchst. e) LMIV bestimme, dass Angaben zu der Nettofüllmenge des Lebensmittels verpflichtend seien. Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) LMIV i. V. m. Art. 2 UAbs. 1 Lebensmittelbasisverordnung seien Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt seien oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden könne, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen würden. Diese Vorschriften zugrundgelegt handele es sich bei nicht essbaren Wurstclipsen und nicht essbaren Wursthüllen eindeutig um nicht verzehrbare Bestandteile, die keine „Lebensmittel“ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) LMIV i. V. m. Art. 2 UAbs. 1 Lebensmittelbasisverordnung seien und damit bei der Benennung der Nettofüllmenge des Lebensmittels austariert werden müssten. Bestätigt werde dieses Ergebnis auch mit Blick auf Anhang VI der LMIV.
21Aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts seien entgegenstehende nationale Vorschriften nicht anwendbar. Insbesondere sei die RFP nicht – mehr – anwendbar, nach deren Nr. 7.1.3.3 bei Wurstwaren unter anderem Wursthüllen und Wurstendenabbinder (u. a. Clipse) mit zum Nettogewicht zählten. Bei der RFP handele es sich bereits um keine das Gericht bindende Vorschrift. Unabhängig davon sei ein etwaiges Vertrauen der Klägerin in eine einheitliche – erst recht in eine rechtswidrige – bundesweite Verwaltungspraxis nicht schutzwürdig. Eine einheitliche Verwaltungspraxis im Sinne der klägerischen Rechtsansicht sei bereits nicht zu erkennen. Mit Verlautbarung der Arbeitsgemeinschaft Mess- und Eichwesen, des Koordinierungsorgans der Eichaufsichtsbehörden der Bundesländer, vom 23.12.2019 habe diese darüber informiert, dass aufgrund der unmittelbaren Geltung der LMIV in allen EU-Staaten insbesondere die unter Nr. 7.1.3.3 behandelten Sonderfälle der RFP überholt und nicht mehr anwendbar seien. Auch ohne förmliche Aufhebung der RFP könne diese nach Inkrafttreten der LMIV nicht mehr zur Auslegung des Begriffs „Nettogewicht“ herangezogen werden.
22Auch aus Anhang IX Nr. 5 der LMIV folge entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, dass nicht essbare Wurstclipse und Wursthüllen zum Nettogewicht des Lebensmittels hinzugerechnet werden dürften. Bei den dort genannten Flüssigkeiten, die als Abtropfgewicht angegeben würden, handele es sich im Sinne des Art. 2 Lebensmittelbasisverordnung um solche, von denen erwartet werden könne, dass sie vom Menschen bei der Aufnahme des festen Lebensmittels zumindest teilweise mitaufgenommen würden, sodass sie gerade nicht aus dem Lebensmittelbegriff herausfielen. Darüber hinaus begründe Anhang IX Nr. 5 LMIV lediglich eine zusätzliche Hinweispflicht, wonach bei Lebensmitteln in Aufgussflüssigkeiten sowohl die Nettofüllmenge des festen Lebensmittels gemeinsam mit ihrer Aufgussflüssigkeit, als auch das Gewicht des festen Lebensmittels ohne Aufgussflüssigkeit, das sog. Abtropfgewicht, anzugeben seien.
23Schließlich führten die von der Klägerin vorgenommenen Vergleiche zu anderen Erzeugnissen, bei denen nicht essbare Bestandteile dem Nettogewicht zugerechnet worden seien, nicht dazu, dass vorliegend – entgegen der ausdrücklichen Begriffsbestimmung durch die LMIV – auch nicht essbare Wurstclipse und Wursthüllen nicht auszutarieren seien. Die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung des VG Sigmaringen sei bereits deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, weil die Rechtslage mit Inkrafttreten der LMIV überholt sei. Der von der Klägerin herangezogene Vergleich zu Kirschkernen sowie Knochen bei Stielkoteletts, die ebenfalls nicht essbar seien und dennoch mitgewogen würden, verfange ebenfalls nicht. Denn dabei handele es sich nicht um künstlich hinzugefügte, sondern um natürlich gewachsene Bestandteile des Lebensmittels, was eine Austarierung von vornherein unmöglich mache. Diese Lebensmittel verlören nach einer Austarierung ihre ursprüngliche Gestalt und könnten als solche nicht mehr verkauft werden. Allein vor diesem Hintergrund sei es entgegen der Auffassung der Klägerin demnach gerechtfertigt, zwischen künstlich hinzugefügten und natürlich gewachsenen Bestandteilen eines Lebensmittels zu differenzieren. Ebenso verhalte es sich bei einer Käserinde. Sofern die Klägerin darauf verweise, dass es zu nicht gerechtfertigten Gewichtsunterschieden für dasselbe Produkt komme, weil sowohl Wursthülle als auch Wurstclipse bei einem Verkauf an der Bedientheke mitgewogen würden, könne dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Im Direktverkauf bestehe ein geringeres Verbraucherschutzbedürfnis als bei Fertigpackungen, weil der Verbraucher an der Bedientheke den Wiegevorgang beobachten könne.
24Unabhängig vom maßgeblichen Zeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung führe die Neufassung der FPackV zum 1.12.2020 zu keinem anderen Ergebnis. Die hier maßgebliche Vorschrift des § 22 Abs. 2 FPackV a. F. sei unverändert in § 9 Abs. 2 FPackV übernommen worden.
25Der Beklagte habe in zulässiger Weise das Bereitstellungsverbot nicht nur auf die während der Füllmengenkontrolle beanstandeten Chargen, sondern auf eine unbestimmte Anzahl von Produkten erstrecken dürfen. Sofern – wie hier – das Produkt, dessen Inverkehrbringen untersagt werde, hinreichend bestimmt sei, erlaube § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 MessEG auch, dass sich das Bereitstellungsverbot auf sämtliche Produkte beziehe, die durch die Verfügung konkret benannt würden. Die Untersagungsverfügung sei auch ermessensfehlerfrei ergangen. Insbesondere erweise sich die Maßnahme durch die Einräumung einer dreimonatigen Frist zur Umstellung der Produktionsabläufe als angemessen.
26Zur Begründung ihrer durch den Senat zugelassenen Berufung führt die Klägerin an, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass der Begriff der „Nettofüllmenge des Lebensmittels“ mit dem Erlass der LMIV eine inhaltliche Aktualisierung erfahren habe. Dies sei der LMIV einschließlich ihrer vom Verwaltungsgericht zitierten Erwägungsgründe nicht zu entnehmen. Die LMIV treffe keine Regelung hinsichtlich der Frage, wie die Nettofüllmenge eines Lebensmittels zu bestimmen sei. Aus den vom Oberverwaltungsgericht in seinem Zulassungsbeschluss vom 16.2.2024 angeführten Vorschriften gehe hervor, dass im Mess- und Eichrecht auf europäischer und nationaler Ebene Regelungen hinsichtlich der Begriffsbestimmung der Nettofüllmenge eines Lebensmittels bestünden. Anhang IX Nr. 2 LMIV sei zu entnehmen, dass, sofern die Angabe einer bestimmten Mengenart (wie Nennfüllmenge, Mindestmenge, mittlere Menge) in den Unionsvorschriften oder – falls solche fehlten – in den einzelstaatlichen Vorschriften vorgesehen sei, diese Menge als Nettofüllmenge im Sinne dieser Verordnung gelte. Bereits aus diesem Umstand folge, dass der Verordnungsgeber in der LMIV selbst keine Regelung diesbezüglich treffen, sondern auf bestehende Begriffsbestimmungen der Nettofüllmenge habe zurückgreifen wollen. Da sich durch die Einführung der LMIV nichts an der Begriffsbestimmung der Nettofüllmenge für Lebensmittel geändert habe, richte sich die Auslegung des Begriffs weiterhin nach den zuvor geltenden Regelungen. Die RFP könne zur Begriffsbestimmung weiterhin herangezogen werden. Aus den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erwägungsgründen folge nichts anderes. Weder aus den Erwägungsgründen noch den Begriffsbestimmungen in Art. 2 LMIV lasse sich eine inhaltliche Aktualisierung des Begriffs feststellen. Die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts stünden im Übrigen unter der unzutreffenden Prämisse, dass die LMIV eine „neue Rechtsgrundlage zur Erreichung einer einheitlichen Begriffsbestimmung“ für die Nettofüllmenge geschaffen habe. Die weiteren Schlussfolgerungen seien daher ebenfalls unzutreffend. Es komme im Übrigen entgegen der Ansicht des Beklagten nicht auf die Frage des Lebensmittels an. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 76/211/EWG, deren Umsetzung u. a. § 43 MessEG diene, komme es vielmehr auf das Nenngewicht des Erzeugnisses an. Aus der RFP lasse sich ableiten, dass vor der Einführung der LMIV unstreitig Wurstclipse und künstliche Wursthüllen zur Nettofüllmenge des Lebensmittels gehörten, was sich auch in der Rechtsprechung in Deutschland widerspiegele.
27Die Klägerin beantragt,
28das Urteil des Verwaltungsgerichts D. vom 28.3.2023 abzuändern und die Untersagungsverfügung des Beklagten vom 10.9.2019 aufzuheben.
29Der Beklagte beantragt,
30die Berufung zurückzuweisen.
31Er führt an: Zur Aufrechterhaltung eines hohen Schutzniveaus für Verbraucherinteressen sei im Jahr nach Erlass der Verordnung (EG) 178/2002 zur Abgrenzung des dortigen Lebens- und Futtermittelrechtsregimes die Verordnung (EG) 1935/2004 eingeführt worden, weil der Bereich der Bedarfsgegenstände in der Verordnung (EG) 178/2002 nicht geregelt gewesen sei. Nach der Verordnung (EG) 1935/2004 handele es sich bei den Bedarfsgegenständen lediglich um Fertigerzeugnisse, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen könnten. Die Verordnung gelte allerdings gemäß Art. 3 lit. b) Verordnung (EG) 1935/2004 nicht für Überzugs- und Beschichtungsmaterialien, wie Materialien, zum Überziehen von Käserinden, Fleisch und Wurstwaren oder Obst, die mit dem Lebensmittel ein Ganzes bildeten und mit diesem verzehrt werden könnten. Hier werde eigens der Fall geregelt, dass essbare Überzugs- und Beschichtungsmaterialien nicht in das Regime der Bedarfsgegenstände, sondern in das der Lebensmittel eingefügt seien. Damit gehörten metallene Klipse, weil nicht essbar, zu den Bedarfsgegenständen und die Überzugs- und Beschichtungsmaterialien wie jene zum Überziehen von Wurstwaren, sofern sie essbar seien, zu den Lebensmitteln im Sinne der Verordnung (EG) 178/2002. Nach Art. 3 lit. a) iii der Verordnung (EG) 1333/2008 stellten diese Gegenstände auch keine Lebensmittelzusatzstoffe dar. Angesichts dieses Befundes sei es nicht nachvollziehbar, wie es gelingen sollte, die Vorgaben nach Art. 9 Abs. 1 lit. e) LMIV anders zu verstehen, als dass bei (gewöhnlichen) verpackten Lebensmitteln diejenige Menge des Lebensmittels und nicht etwa eines Bedarfsgegenstandes anzugeben sei. Dies entspreche auch dem Wortsinn von Nettofüllmenge.
32Fehl gehe der Verweis der Klägerin auf Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 76/211/EWG. Denn es gebe keine unterschiedlichen Handelsbräuche oder mitgliedstaatlichen Regelungen für Füllmengenangaben hinsichtlich bestimmter Arten von Erzeugnissen oder Fertigpackungen. In Deutschland gebe es aktuell keinen einheitlichen Handelsbrauch für Füllmengenangaben bei Fleischwaren, die mit nicht essbaren Hüllen bzw. Klipsen verpackt und in den Verkehr gebracht würden. Es gebe in Deutschland auch keine einzelstaatliche Regelung für die Füllmengenbestimmung der streitgegenständlichen Erzeugnisse. Die RFP stelle keine von der Kommission notifizierte Regelung dar, sondern lediglich eine verwaltungsinterne Empfehlung.
33Die Untersagungsverfügung gründe zudem auf nationalrechtlichen Vorschriften des Mess- und Eichgesetzes sowie der Fertigpackungsverordnung. Eine detaillierte Bestimmung, wie bei Lebensmitteln die Kennzeichnungspflicht hinsichtlich der Masseangaben, wie sie sich aus Art. 23 Abs. 1 lit. b) LMIV ergebe, zu erfolgen habe, gebe es in den genannten nationalen Gesetzen nicht. Der Begriff Nennfüllmenge verweise indes darauf, dass Fertigpackungen mit der Menge des Lebensmittels zu kennzeichnen seien, das in sie eingefüllt sei. Dies lege bereits der Wortsinn des Begriffs der Nennfüllmenge nahe. Weder aus den Materialien noch aus dem Verordnungstext ergebe sich ein Hinweis darauf, dass Lebensmittelbedarfsgegenstände wie Plastikwursthüllen oder metallene Verschlussklipse dem Stoff, der eingefüllt werden solle, gleichgestellt sein könnten. Vielmehr bestimme § 2 Satz 1 Nr. 3 FPackV, dass Fertigpackungen mit Lebensmitteln Fertigpackungen seien, die Lebensmittel enthielten. Damit bestimme der Wortsinn, dass Fertigpackungen mit Lebensmitteln grundsätzlich ausschließlich Lebensmittel enthalten müssten. Der Begriff der Nennfüllmenge beziehe sich demnach auf die Ingredienz Lebensmittel, so dass die genannte (gelabelte) Menge des Lebensmittels eingefüllt sein müsse und zwar nach den Vorgaben des § 9 FPackV.
34Die Regelungen des Mess- und Eichgesetzes bzw. der Richtlinie 76/211/EWG enthielten zudem keine generelle Spezifizierung auf Lebens- oder Futtermittel. Es könne daher nicht verwundern, dass die Regelungen den Begriff des Erzeugnisses aufgriffen. Der Begriff des Erzeugnisses sei Überbegriff zu dem des Lebensmittels und mit ihm nicht gleichbedeutend. Die Verordnung (EG) 178/2002 definiere den Begriff des Lebensmittels und die ihr folgende LMIV benenne im Kennzeichnungsrecht die Bestimmung des Gegenstandes ausdrücklich präzise. Abseitig erscheine es zudem, ein „Erzeugnis“ insgesamt mit Folienverpackung, Etikettierung und Plomben zu definieren.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (eine Papierakte der ersten Instanz und ein elektronischer Aktenband der zweiten Instanz) sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten (ein Ordner) Bezug genommen.
36Entscheidungsgründe:
37Die Berufung hat Erfolg. Die zulässige Klage ist begründet.
38Die angefochtene Untersagungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Beklagte kann die getroffene Anordnung nicht auf die von ihm herangezogene und allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage in § 50 Abs. 1 Alt. 2 und Abs. 2 Satz 1 des Mess- und Eichgesetzes (MessEG) stützen. Nach dieser Vorschrift treffen die Marktüberwachungsbehörden unter anderem die erforderlichen Maßnahmen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass Fertigpackungen die Anforderungen nach Abschnitt 4 (§§ 42 – 44) MessEG nicht erfüllen.
39Als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist die Untersagungsverfügung während ihres Wirkungszeitraums an der jeweils aktuellen Rechtslage zu messen.
40Vgl. BVerwG, Urteile vom 20.6.2013 – 8 C 17.12 –, juris, Rn. 34, sowie – 8 C 39.12 –, juris, Rn. 30.
41Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 Satz 1 MessEG liegen schon seit Erlass der Untersagungsverfügung nicht vor. Mit der von der Beklagten in der streitbefangenen Untersagungsverfügung gerügten Praxis hinsichtlich der Gewichtsbestimmung des Inhalts der in Rede stehenden Fertigpackungen (unter Einbeziehung der Wurstclipse bzw. -hüllen) verstieß die Klägerin weder im Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsverfügung noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gegen die nach den §§ 42 ff. MessEG an Fertigpackungen zu stellenden Anforderungen.
42Die Füllmenge einer Fertigpackung ist nach den §§ 42 ff. MessEG sowie der auf § 44 MessEG beruhenden Fertigpackungsverordnung – FPackV – zu bestimmen. Diese Vorschriften setzen die Vorgaben der Richtlinie 76/211/EWG um. Unter Berücksichtigung dieser weiterhin maßgeblichen Richtlinie ist unter Füllmenge die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Dabei besteht eine Fertigpackung aus einem Erzeugnis und seiner vollständigen und mengenerhaltenden Umschließung beliebiger Art (dazu unten I.). Der nach Maßgabe der Richtlinie 76/211/EWG in das nationale Recht übernommene Begriff des Erzeugnisses ist ein unionsrechtlicher Begriff. Er wird bereits in den Bestimmungen des Gründungsvertrags der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) über die Landwirtschaft verwendet und gilt im Wesentlichen unverändert bis heute (heute: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV). Danach umfasst der Europäische Gemeinsame Markt (heute: Binnenmarkt) von Anfang an auch die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Ausgehend von der Zielrichtung der Richtlinie 76/211/EWG, Handelshemmnisse beim Handel mit Fertigpackungen zu beseitigen, orientiert sich der Erzeugnisbegriff im Fertigpackungsrecht entsprechend der Begriffsverwendung im Anhang II des EWGV (und heute des Anhangs I des AEUV) grundsätzlich an demjenigen der handelbaren Ware, schließt dabei aber Verpackungen nicht ein (dazu unten II.). Mit der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV –) hat der Unionsgesetzgeber die bisher geltende Rechtslage bezogen auf die Bestimmung der Füllmenge von vorverpackten Lebensmitteln und Fertigpackungen mit Lebensmitteln nicht geändert, sondern für vorverpackte Lebensmittel hierauf Bezug genommen (dazu unten III.). Auch Würste, die nach üblichem Handelsbrauch mit nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipsen gehandelt werden, sind als solche mit Umhüllung handelbare Waren und damit Erzeugnisse im Sinne des Fertigpackungsrechts. Sie sind erst dann als fertigverpackt anzusehen, wenn sie mit einer Umschließung beliebiger Art (Fertigpackung) an die Verbraucher abgegeben werden sollen (dazu unten IV.).
43I. Unter der Füllmenge einer Fertigpackung ist nach den maßgeblichen Vorschriften des Mess- und Eichgesetzes sowie der Fertigpackungsverordnung die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Fertigpackung tatsächlich enthält.
44Nach § 42 Abs. 1 MessEG sind Fertigpackungen im Sinne dieses Gesetzes Verpackungen beliebiger Art, in die in Abwesenheit des Käufers Erzeugnisse abgepackt und die in Abwesenheit des Käufers verschlossen werden, wobei die Menge des darin enthaltenen Erzeugnisses ohne Öffnen oder merkliche Änderung der Verpackungnicht verändert werden kann. Gemäß § 43 Abs. 1 MessEG dürfen Fertigpackungen nur hergestellt, in den Geltungsbereich des Gesetzes verbracht, in den Verkehr gebracht oder sonst auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn die Nennfüllmenge angegeben ist, die Füllmenge die festgelegten Anforderungen erfüllt und die Fertigpackung mit den erforderlichen Angaben, Aufschriften und Zeichen versehen ist. Dabei ist die Nennfüllmenge nach § 42 Abs. 3 MessEG die Menge, die die Fertigpackung enthalten soll, und Füllmenge die Menge, die eine einzelne Fertigpackung tatsächlich enthält.
45Diese Regelungen gehen zurück auf entsprechende Vorgaben der Richtlinie 76/211/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Abfüllung bestimmter Erzeugnisse nach Gewicht oder Volumen in Fertigpackungen, geändert durch die Richtlinie 2007/45/EG, und dienen deren Umsetzung.
46Vgl. BGBl. I 2013 S. 2722.
47Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/211/EWG sieht insoweit vor, dass eine Fertigpackung (engl.: prepackage; frz.: préemballage) im Sinne dieser Richtlinie aus dem Erzeugnis und der Umschließung (engl.: product and the individual package; frz.: l'ensemble d'un produit et de l'emballage individuel) besteht, in die es fertigverpackt ist. Nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie gelten als fertigverpackt Erzeugnisse in Umschließungen beliebiger Art (engl.: package of whatever nature; frz.: emballage, de quelque nature qu'il soit), die in Abwesenheit des Käufers abgefüllt und verschlossen werden, wobei die Menge des darin enthaltenen Erzeugnisses einen vorausbestimmten Wert besitzt und ohne Öffnen oder merkliche Änderung der Packung nicht verändert werden kann. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 76/211/EWG bestimmt, dass auf allen in Art. 3 genannten Fertigpackungen, die den Vorschriften dieser Richtlinie und deren Anhang I entsprechen, stets das als Nenngewicht oder Nennvolumen bezeichnete Gewicht oder Volumen des Erzeugnisses angegeben sein muss, das sie gemäß Anhang I jeweils enthalten müssen. Die Nennfüllmenge (Nenngewicht oder Nennvolumen) des Inhalts einer Fertigpackung ist nach Anhang I Nr. 2.1 der Richtlinie 76/211/EWG das auf dieser Fertigpackung angegebene Gewicht oder Volumen; es ist die Erzeugnismenge (engl.: quantity of product; frz.: quantité de produit), die die Fertigpackung enthalten soll. Die tatsächliche Füllmenge einer Fertigpackung ist nach Anhang I Nr. 2.2 die Erzeugnismenge (Gewicht oder Volumen), die sie tatsächlich enthält.
48Sind Handelsbräuche oder die einzelstaatlichen Regelungen für bestimmte Arten von Erzeugnissen oder bestimmte Arten von Fertigpackungen nicht in allen Mitgliedstaaten gleich, so müssen diese Fertigpackungen nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 76/211/EWG zumindest die Füllmengenangabe (engl.: metrological information; frz.: les indications métrologiques) tragen, die dem Handelsbrauch oder der geltenden einzelstaatlichen Regelung des Bestimmungslandes entspricht. Nach Art. 5 der Richtlinie 76/211/EWG dürfen die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von Fertigpackungen, die den Bestimmungen und Prüfvorschriften der Richtlinie entsprechen, nicht aus Gründen verweigern, verbieten oder beschränken, die sich auf die nach dieser Richtlinie vorgeschriebenen Aufschriften, die Feststellung ihres Volumens oder Gewichts oder auf die Methoden beziehen, nach denen es gemessen oder geprüft worden ist.
49Die auf § 44 Abs. 1 MessEG beruhende Fertigpackungsverordnung hat in § 22 Abs. 1 Nr. 1 FPackV in der zum Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsverfügung noch gültigen Fassung vom 8.3.1994 (BGBl. I S. 451) – FPackV a. F. – in Einklang mit den Vorgaben aus Anhang I der Richtlinie 76/211/EWG festgelegt, dass nach Gewicht oder Volumen gekennzeichnete Fertigpackungen gleicher Nennfüllmenge gewerbsmäßig nur so hergestellt werden durften, dass die Füllmenge zum Zeitpunkt der Herstellung im Mittel die Nennfüllmenge nicht unterschritt. § 9 Abs. 1 Nr. 1 FPackV in der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Fassung vom 18.11.2020 (BGBl. I S. 2504) – FPackV n. F. – legt im Abschnitt 2 „Fertigpackungen gleicher Nennfüllmenge mit Kennzeichnung nach Gewicht oder Volumen“ fest, dass nach Gewicht oder Volumen gekennzeichnete Fertigpackungen nur so hergestellt werden dürfen, dass zum Zeitpunkt der Herstellung der nach Anlage 3 Nummer 6 festgestellte Mittelwert der Füllmengen die Nennfüllmenge nicht unterschreitet. Die Regelung entspricht insoweit inhaltlich ihrer zuvor angeführten Vorgängerregelung.
50Vgl. BT-Drs. 493/20, S. 76.
51Aus Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Anhang I Nr. 2.1 und 2.2. der Richtlinie 76/211/EWG wird deutlich, dass unter Füllmenge, ohne dass das nationale Recht hiermit etwas anderes meint, die Erzeugnismenge zu verstehen ist, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Anhang I Nr. 2.2 spricht insoweit davon, dass die „tatsächliche Füllmenge“ die „Erzeugnismenge“ (engl.: quantity of product; frz.: quantité de produit) ist.
52II. Der nach Maßgabe der Richtlinie 76/211/EWG in das nationale Recht übernommene Begriff des Erzeugnisses ist ein unionsrechtlicher Begriff. Ausgehend von der im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 76/211/EWG dokumentierten Zielrichtung, Handelshemmnisse beim Handel mit Fertigpackungen zu beseitigen, orientiert sich der Erzeugnisbegriff im Fertigpackungsrecht entsprechend der seinerzeit bereits bekannten Begriffsverwendung im Anhang II des EWGV grundsätzlich an demjenigen der handelbaren Ware, schließt dabei aber Verpackungen nicht ein, weil ja gerade deren Inhalt bezeichnet werden soll.
53Die Richtlinie 76/211/EWG und die hierauf beruhenden nationalen mess- und eichrechtlichen Regelungen dienen im Zusammenhang mit der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes der Grundfreiheit des freien Warenverkehrs, insbesondere im Hinblick auf den unionsrechtlichen Grundsatz der gegenseitigen Produktanerkennung, und damit der Beseitigung von Handelshemmnissen. Art. 5 der Richtlinie 76/211/EWG richtet ausdrücklich ein Verbot an die Mitgliedsstaaten, das Inverkehrbringen von Fertigpackungen zu verweigern, die den Vorgaben der Richtlinie genügen. Auch greift Art. 2 der Richtlinie 2007/45/EG, die die Richtlinie 76/211/EWG ändert, den Begriff des freien Warenverkehrs ausdrücklich auf. Daneben bringen die Erwägungsgründe 5, 7 und 9 der Richtlinie 2007/45/EG zum Ausdruck, dass den Herstellern bei der Wahl der Nennfüllmengen im Interesse eines verbesserten Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt mit Rücksicht auf die Erfahrungen und Bedürfnisse der Hersteller und Verbraucher mehr Handlungsfreiheit eingeräumt werden und die Nennfüllmengen im Allgemeinen weder gemeinschaftlichen noch nationalen Regelungen unterworfen sein sollten.
54Der von der Richtlinie 76/211/EWG bezogen auf die Bestimmung der Nennfüllmenge sowie der Füllmenge einer Fertigpackung aufgegriffene Begriff des Erzeugnisses wurde bereits in den primärrechtlichen Bestimmungen in Art. 38 ff. EWGV über die Landwirtschaft verwendet und gilt im Wesentlichen unverändert bis heute. Insoweit haben sich seit dem Inkrafttreten des mittlerweile geltenden Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV – keine wesentlichen Änderungen ergeben (vgl. insoweit insbesondere die im Kern gleichlautenden Vorschriften in Art. 38 ff. AEUV). Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 EWGV (heute Art. 38 Abs. 1 AEUV) umfasste der Europäische Gemeinsame Markt (heute: Binnenmarkt) von Anfang an auch die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (frz.: produits agricoles; it.: prodotti agricoli; niederl.: landbouwprodukten). Als solche sind die Erzeugnisse des Bodens, der Viehzucht und der Fischerei sowie die mit diesen in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Erzeugnisse der ersten Verarbeitungsstufe zu verstehen, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 EWGV bzw. AEUV. Die Erzeugnisse, für die die Bestimmungen des EWG-Vertrags über die Landwirtschaft galten und weiterhin gelten, waren schon damals in einer nach Art. 38 Abs. 3 EWGV maßgeblichen Liste in Anhang II des EWG-Vertrags (heute: inhaltlich unverändert in Anhang I zum AEUV) unter der Überschrift „Warenbezeichnung“ (frz.: Désignation des produits; it.: Denominazione dei prodotti; niederl.: Omschrijving der goederen) aufgeführt. Insbesondere die französische und italienische Begriffsverwendung, die zwischen Art. 38 EWGV und der Überschrift des Anhangs nicht differiert (frz.: produits; it.: prodotti), verdeutlicht, dass sich die Begriffe „Erzeugnis“ in Art. 38 EWGV und „Ware“ in der Überschrift über der Liste im Anhang gleichbedeutend auf handelbare Waren bzw. Produkte landwirtschaftlichen Ursprungs beziehen. Dieser Begriff des „Erzeugnisses“ ist damit weiter als der des Lebensmittels in Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Die dortige Begriffsbestimmung bringt zum Ausdruck, dass Erzeugnisse nicht essbar sein müssen oder nicht essbare Teile enthalten können, indem sie Lebensmittel als essbare Stoffe oder Erzeugnisse definiert. Auch in der Liste im Anhang des Vertrags finden sich die wichtigsten essbaren und nicht essbaren landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Ferner ist eine gewisse Anzahl von Nahrungsmitteln aufgeführt, deren industrieller Veredelungsgrad gegenüber dem landwirtschaftlichen Grunderzeugnis über das in einem engen Sinne verstandene Stadium der ersten Verarbeitungsstufe hinausgeht. Diese Erzeugnisse sind durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnet, dass zwischen ihnen und den Grunderzeugnissen ein enges wirtschaftliches Zuordnungsverhältnis besteht, das es nicht gerechtfertigt erscheinen lässt, auf die Grunderzeugnisse die Agrarregelung, auf die Verarbeitungserzeugnisse dagegen die allgemeinen Vertragsbestimmungen anzuwenden.
55Vgl. EuGH, Urteil vom 29.5.1974 ‒ C-185/73 ‒, ECLI:EU:C:1974:61, Rn. 12.
56Der Anhang greift das bereits 1950 geschaffene Brüsseler Zolltarifschema auf, das später durch die Kombinierte Nomenklatur in der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 ersetzt wurde. Diese Regelungen knüpfen entsprechend ihrer Zielrichtung auf die Verwirklichung der Zollunion und des freien Warenverkehrs an den Begriff der Ware an. Der primärrechtliche Erzeugnisbegriff stellt damit darauf ab, wie im Binnenmarkt gehandelte landwirtschaftliche Erzeugnisse bzw. Waren oder Produkte nach dem Brüsseler Zolltarifschema einzureihen sind.
57Vgl. EuGH, Urteile vom 29.2.1984 – C-77/83 –, ECLI:EU:C:1984:91, Rn. 11 f., und vom 16.11.1989 – C-131/87 –, ECLI:EU:C:1989:308, Rn. 11 ff.; Härtel, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 38 AEUV Rn. 13; Priebe, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand: Januar 2024, Art. 38 AEUV Rn. 23; Hase, in: Düsing/Martinez, Agrarrecht, 2. Aufl. 2022, Art. 38 AEUV Rn. 2 ff.; Martinez, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 38 AEUV Rn. 33, jeweils m. w. N.
58Nach dem übereinstimmenden Verständnis des Brüsseler Zolltarifschemas bzw. der Kombinierten Nomenklatur und dem Begriffsverständnis der Richtlinie 76/211/EWG können landwirtschaftliche Erzeugnisse im Binnenmarkt sowohl mit als auch ohne Verpackung gehandelt werden. So werden nach Titel A Nr. 5 lit. b) Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 Verpackungen grundsätzlich wie die darin enthaltenen Waren eingereiht, wenn sie zur Verpackung dieser Waren üblich sind. Indem die Regelung zwischen Ware und Verpackung unterscheidet und die Verpackung lediglich ebenso in die Nomenklatur „einreiht“ wie die Ware, unterscheidet sie nur begrifflich zwischen Verpackung und Ware. Die zusätzliche Erwähnung der Verpackung in der Kombinierten Nomenklatur erklärt sich insoweit damit, dass dem Begriff der Ware – verpackt oder unverpackt – vor allem im Zusammenhang mit Einfuhrkontrollen an den Außengrenzen der Europäischen Union (vgl. insoweit etwa Erwägungsgründe 54 und 55 sowie Art. 3 Nr. 11 und Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2017/625) Bedeutung zu kommt. Im Fertigpackungsrecht sind nach Maßgabe der Richtlinie 76/211/EWG das Erzeugnis und seine Verpackung allerdings stets zu trennen, weil es gerade darum geht, den Inhalt einer Fertigpackung näher zu bezeichnen. Diese Unterscheidung ist in der Definition der Fertigpackung als ein Erzeugnis und dessen Umschließung beliebiger Art angelegt (vgl. Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 76/211/EWG).
59In der Liste im Anhang des Vertrags ist unter anderem „Fleisch und genießbarer Schlachtabfall“ als landwirtschaftliches Erzeugnis im Sinne der europarechtlichen Vorschriften über den Gemeinsamen Markt genannt. Für die Zuordnung eines verarbeiteten Produkts zur Liste ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs maßgeblich, dass ein enges wirtschaftliches Zuordnungsverhältnis zu diesem Grunderzeugnis besteht. Das Bestehen eines derartigen wirtschaftlichen Zuordnungsverhältnisses zwischen verkauftem Produkt und der als „Fleisch“ bezeichneten Ware im Sinne des Anhangs wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass ein verkäufliches Fleischerzeugnis im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. f) LMIV i. V. m. Anhang 7.1 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 nach dem Handelsbrauch zumindest im Bestimmungsland üblicherweise auch mit einer nicht essbaren Umhüllung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. j) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene vermarktet wird und es als solches mit oder ohne weitere Verpackung des bereits umhüllten Lebensmittels im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. k) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 frei auf dem europäischen Binnenmarkt gehandelt werden kann. Die Verordnung (EG) Nr. 852/2004, die sich in ihrem Erwägungsgrund 3 gleichfalls ausdrücklich auf die im Anhang des EG-Vertrags aufgeführten Erzeugnisse bezieht, grenzt für Zwecke der Lebensmittelhygiene – jeweils legaldefiniert – das Umhüllen vom Verpacken von Lebensmitteln ab. Dabei bezeichnet der lebensmittelhygienerechtliche Verpackungsbegriff in Art. 2 Abs. 1 lit. k) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 – anders als der Verpackungsbegriff des in der Richtlinie 76/211/EWG geregelten Fertigpackungsrechts – ausschließlich „das Platzieren eines oder mehrerer umhüllter Lebensmittel in ein zweites Behältnis sowie dieses Behältnis selbst“. Als fertigverpackt im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/211/EWG gelten hingegen Erzeugnisse in vollständigen und mengenerhaltenden Umschließungen beliebiger Art, also sowohl solche, die für Zwecke des Handels unmittelbar in nur einer Packung verpackt werden, als auch solche, die mit einer Umhüllung nach dem Recht der Lebensmittelhygiene als handelbare Waren anzusehen sind und erst mit einer weiteren Umschließung beliebiger Art (Fertigpackung) an den Verbraucher abgegeben werden sollen. Ausgehend davon geht die Verordnung (EG) Nr. 852/2004 in ihren „Vorschriften für das Umhüllen und Verpacken von Lebensmitteln“ in Anhang II, Kapitel X nur für Zwecke der Lebensmittelhygiene von dem hiervon abweichenden Verständnis aus, dass Umhüllung und Verpackung nicht Teil des vor Kontamination zu schützenden Erzeugnisses sind.
60III. Aus der Lebensmittelinformationsverordnung ergeben sich hingegen keine von den Vorgaben des Mess- und Eichgesetzes bzw. der Richtlinie 76/211/EWG abweichenden Anforderungen an die Angabe der Nennfüllmenge auf Fertigpackungen bzw. die zwischen den Beteiligten in Streit stehende Bestimmung der Füllmenge einer Fertigpackung. Insbesondere ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen aus der nach Art. 8 Abs. 7 i. V. m. Art. 9 Abs. 1 lit. e) LMIV (§ 15 Abs. 1 FPackV n. F.) enthaltenen Vorgabe, wonach auf vorverpackten Lebensmitteln, die für den Endverbraucher bestimmt sind, die „Nettofüllmenge des Lebensmittels“ anzugeben ist.
61Dem Senat erscheint es bereits zweifelhaft, ob die zuvor erwähnten Vorschriften der Lebensmittelinformationsverordnung auf die hier in Streit stehenden Fertigpackungen überhaupt anwendbar sind. Die Anwendbarkeit der Vorschriften setzt nach Art. 8 Abs. 7 LMIV voraus, dass vorverpackte Lebensmittel in Rede stehen. Der Begriff des vorverpackten Lebensmittels ist in Art. 2 Abs. 2 lit. e) LMIV und der diese Begriffsbestimmung übernehmenden Regelung in § 2 Satz 1 Nr. 8 FPackV n. F. insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass er jede Verkaufseinheit […] umfasst, die aus einem Lebensmittel und der Verpackung besteht. Ob unter dieses Begriffsverständnis auch – wie hier – Würste fallen, die von einer nicht essbaren künstlichen Umhüllung umgeben und mit nicht essbaren metallischen Clipsen versehen sind, erscheint fraglich, sofern es sich dabei weder um Lebensmittel noch um Teile der Verpackung handelt. Eine am Wortlaut dieser Definition orientierte Auslegung des Begriffs der vorverpackten Lebensmittel legt zumindest nahe, dass hierunter nur solche Verkaufseinheiten fallen könnten, bei denen die Verpackung ausschließlich ein Lebensmittel im Sinne der Definition nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) LMIV i. V. m. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und nicht ein von einer nicht essbaren Umhüllung umgebenes Lebensmittel enthält. Ein entsprechendes Verständnis scheint der nationalen Fertigpackungsverordnung zugrunde zu liegen, wenn sie in ihrer gegenwärtigen Fassung in § 2 Satz 1 Nr. 3 FPackV n. F. die Fertigpackungen mit Lebensmitteln nennt und als Fertigpackungen definiert, die Lebensmittel enthalten, diese aber zugleich von den § 2 Satz 1 Nr. 8 FPackV n. F. definierten vorverpackten Lebensmitteln („[…] die nicht unter Nummer 8 […] fallen“) abgrenzt.
62Letztlich bedarf die Frage der Anwendbarkeit der Lebensmittelinformationsverordnung aber keiner weiteren Vertiefung. Selbst wenn Art. 9 Abs. 1 lit. e) LMIV anwendbar wäre, würde aus der die Angabe der Nettofüllmenge nach Art. 9 Abs. 1 lit. e) LMIV konkretisierenden Fiktionsregelung in Art. 23 Abs. 3 LMIV i. V. m. Anhang IX Nr. 2 folgen, dass bereits die nach der Richtlinie 76/211/EWG und den diese umsetzenden entsprechenden mess- und eichrechtlichen mitgliedstaatlichen Vorgaben über die auf Fertigpackungen anzugebende Nennfüllmenge als Angabe der Nettofüllmenge des Lebensmittels im Sinne der Lebensmittelinformationsverordnung gelte. Nach Art. 23 Abs. 3 LMIV enthält der Anhang IX technische Vorschriften für die Anwendung von Absatz 1. Nach Anhang IX Nr. 2 gilt hiernach eine Menge als Nettofüllmenge im Sinne der Verordnung, wenn die Angabe einer bestimmten Mengenart (wie Nennfüllmenge, Mindestmenge, mittlere Menge) in den Unionsvorschriften oder – falls solche fehlen – in den einzelstaatlichen Vorschriften vorgesehen ist. Vor diesem Hintergrund wäre unter Füllmenge auch bezogen auf den lebensmittelinformationsrechtlichen Begriff der „Nettofüllmenge“ entsprechend des oben angeführten Bezugsbegriffs der „Nennfüllmenge“ aus der Richtlinie 76/211/EWG die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Vorverpackung tatsächlich enthielte. Es ist nämlich ersichtlich nicht beabsichtigt gewesen, die Pflicht zur Angabe einer „Nettofüllmenge“ nach der Lebensmittelinformationsverordnung nach einem anderen Begriffsverständnis neben das weiterhin unverändert geltende fertigpackungsrechtliche Erfordernis der Angabe der „Nennfüllmenge“ treten zu lassen mit der Folge, dass je nach Begriffsverständnis zwei verschiedene Mengenangaben nebeneinander angegeben werden müssten.
63IV. Hiervon ausgehend unterschritten bzw. unterschreiten die von der Beklagten im Rahmen der im Betrieb der Klägerin durchgeführten Kontrollen festgestellten Füllmengen zu keiner Zeit die Vorgaben nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 FPackV a. F. oder § 9 Abs. 1 Nr. 1 FPackV n. F. Die nicht essbaren Umhüllungen der Würste und die ebenfalls nicht essbaren Metallclipse sind nach den üblichen Handelsbräuchen Teile des zur Bestimmung der Füllmenge maßgeblichen Erzeugnisses Wurst.
64Der an den Regelungen über den gemeinsamen Markt orientierten Auslegung des landwirtschaftlichen Erzeugnisbegriffs entspricht es, handelsgebräuchliche Umhüllungen und Verschlussclipse als Teile der handelbaren Ware Wurst und damit als Bestandteile der Erzeugnismenge bzw. der Füllmenge einer Fertigpackung im Sinne des Fertigpackungsrechts einzuordnen. Denn Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 76/211/EWG erklärt die Handelsbräuche oder die einzelstaatlichen Regelungen für bestimmte Arten von Erzeugnissen oder bestimmte Arten von Fertigpackungen bezogen auf die Nennfüllmenge und die in einer Fertigpackung enthaltene Füllmenge für maßgeblich. Das gilt sowohl dann, wenn sie in allen Mitgliedstaaten gleich sind als auch bei unterschiedlichen Bräuchen oder Regelungen. Danach müssen Fertigpackungen zumindest die Füllmengenangabe tragen, die dem Handelsbrauch oder der geltenden einzelstaatlichen Regelung des Bestimmungslandes entspricht, sofern die Handelsbräuche oder Regelungen nicht in allen Mitgliedstaaten gleich sind. Dies gilt nach der innerstaatlichen Umsetzung in deutsches Recht auch bezogen auf die in Deutschland hergestellten und vertriebenen Erzeugnisse.
65Eine weder in der Richtlinie 76/211/EWG noch im europäischen Primärrecht oder in deren innerstaatlicher Umsetzung angelegte Verengung des Erzeugnisbegriffs von Lebensmitteln auf den verzehrbaren Inhalt einer Umhüllung ohne Rücksicht auf abweichende Handelsbräuche würde den Anliegen des freien Warenverkehrs nicht gerecht. Nur das diese Handelsbräuche berücksichtigende Begriffsverständnis ermöglicht es, umhüllte Würste entsprechend der allgemeinen Praxis, von der auch das Verwaltungsgericht ausgegangen und die zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist, als nicht fertigverpackt im Sinne der Richtlinie 76/211/EWG anzusehen und an der Fleischtheke weiterhin ohne Angabe der Nennfüllmenge zur Verwiegung vor Ort anzubieten. Würde sich der Begriff des Fleischerzeugnisses nämlich auf verzehrbare Bestandteile verengen, hätte dies mit Blick auf die Vorgabe in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/211/EWG („Erzeugnisse in Umschließungen beliebiger Art“) zur Folge, dass auch mit nicht essbarer Umhüllung versehene Würste als fertigverpackt einzuordnen wären und entgegen bisheriger Handelsbräuche auch die für Fertigpackungen geltenden Anforderungen erfüllen und die erforderlichen Angaben ausweisen müssten. Insbesondere für landwirtschaftliche Kleinbetriebe, die selbst Würste mit ungleichen Füllmengen in Umhüllungen herstellen, und für den Verkauf von solchen Würsten an Fleischtheken, die herkömmlich keine Nennfüllmengenangaben tragen, sondern erst beim Verkauf gewogen werden, hätte ein abweichendes Verständnis so erhebliche Umstellungen und praktische Probleme bei der Austarierung zur Folge, dass von einem entsprechenden Erfordernis ohne eine nicht vorliegende bewusste gesetzgeberische Entscheidung nicht im Wege der Rechtsanwendung ausgegangen werden kann.
66Auf einen entsprechenden Handelsbrauch, Würste mit (künstlicher) Umhüllung als nicht fertigverpacktes Erzeugnis anzusehen, deutet zudem bereits die verbreitete und seit Jahrhunderten belegte Kollektivbezeichnung für Wurst als ein in zahlreichen Sorten verbreitetes Nahrungsmittel, das gewöhnlich aus zerkleinertem, gesalzenem und gewürztem Fleisch bereitet und „in (Kunst)därme, Mägen oder Blasen gefüllt“ wird.
67Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/23, abgerufen am 29.5.2024.,
68abrufbar unter:
69https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemid=W29201, zum Stichwort Wurst, A. 2).
70Ebenso deutet die Regelung in Anlage 2 Nr. 1 lit. a) zur FPackV n. F. auf ein entsprechendes Verständnis des nationalen Verordnungsgebers hin, weil dort Würste, bei denen das Brät bereits in die Wursthülle eingefüllt wurde, als Erzeugnis bezeichnet werden. Von einem entsprechenden Verständnis geht schließlich die vom Beklagten in der Vergangenheit regelmäßig zur Bestimmung des Nettogewichts herangezogene Nr. 7.1.3.3 der Richtlinie zur Füllmengenprüfung von Fertigpackungen und Prüfung von Maßbehältnissen durch die zuständigen Behörden (RPF, Nr. 8.11.0.0 der Rechtssammlung der Deutschen Akademie für Metrologie) aus, nach der Wursthüllen und Wurstendenabbinder (textile Schnüre, Drahtbinder, Clipse usw.) zum Nettogewicht von Wurstwaren gehören.
71Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO und den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
72Die Revision war nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen. Im Streit steht eine Abfüllpraxis der Klägerin, die jahrelang als rechtmäßig angesehen worden war, weil sie den Vorgaben der RFP entsprach. Am 23.12.2019 (Akte VG, Bl. 133) und nochmals am 19.11.2020 (https://www.eichamt.sachsen.de/download/AGME/Richtlinie_Fuellmengenpruefung_Fertigpackungen-Ergaenzung_RFP_2020-11-19.pdf) hatten die Eichaufsichtsbehörden der deutschen Bundesländer auf der Grundlage einer Empfehlung der WELMEC darüber informiert, dass die RFP nicht mehr als Verwaltungsempfehlung für den Eichvollzug wirksam sei.