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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 28.3.2023 wird zugelassen.
Die Verteilung der Kosten des Antragsverfahrens bleibt der Entscheidung über die Berufung vorbehalten.
Gründe:
2Die Berufung ist zuzulassen, weil die Rechtssache aus den von der Klägerin dargelegten Gründen jedenfalls besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
3Mit ihrer Rüge, das Verwaltungsgericht habe fehlerhaft angenommen, der Begriff der „Nettofüllmenge des Lebensmittels“ habe mit dem Erlass der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV) eine inhaltliche Aktualisierung erfahren, zeigt die Klägerin rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache auf, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern.
4Nach Art. 8 Abs. 7 i. V. m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. e) LMIV gehört zu den verpflichtenden Angaben auf der Vorverpackung oder einem Etikett, die die Lebensmittelunternehmer insbesondere auf für den Endverbraucher bestimmten vorverpackten Lebensmitteln zu machen haben, u. a. die Nettofüllmenge des Lebensmittels. In Anhang IX Nr. 2 LMIV ist allerdings geregelt: Ist die Angabe einer bestimmten Mengenart (wie Nennfüllmenge, Mindestmenge, mittlere Menge) in den Unionsvorschriften oder – falls solche fehlen – in den einzelstaatlichen Vorschriften vorgesehen, so gilt diese Menge als Nettofüllmenge im Sinne dieser Verordnung. Im nationalen Mess- und Eichrecht sind Begriffsbestimmungen für Fertigpackungen in Einklang mit Art. 2 sowie Anhang I Nr. 2.1 und 2.2. der Richtlinie 76/211/EWG und unter Beachtung der Erwägungsgründe 5, 7 und 9 sowie Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2007/45/EG in § 42 MessEG geregelt (vgl. BGBl. 2013 I S. 2722). Nach § 42 Abs. 1 MessEG sind Fertigpackungen Verpackungen beliebiger Art, in die in Abwesenheit des Käufers Erzeugnisse abgepackt werden, wobei die Menge des darin enthaltenen Erzeugnisses ohne Öffnen oder merkliche Änderung der Verpackung nicht verändert werden kann. Nach § 42 Abs. 3 Nr. 2 MessEG ist die nach § 43 MessEG auf Fertigpackungen anzugebende Nennfüllmenge die Menge, die die Fertigpackung enthalten soll. Nach Anhang I Nr. 2.1 der Richtlinie 76/211/EWG ist die nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie auf Fertigpackungen anzugebende Nennfüllmenge (Nenngewicht oder Nennvolumen) des Inhalts einer Fertigpackung das auf dieser Fertigpackung angegebene Gewicht oder Volumen; es ist die Erzeugnismenge, die die Fertigpackung enthalten soll. Anhang I Nr. 2.2 dieser Richtlinie bestimmt die tatsächliche Füllmenge einer Fertigpackung als die Erzeugnismenge, die sie tatsächlich enthält. Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 76/211/EWG bestimmt, dass dann, wenn die Handelsbräuche oder die einzelstaatlichen Regelungen für bestimmte Arten von Erzeugnissen oder bestimmte Arten von Fertigpackungen nicht in allen Mitgliedstaaten gleich sind, diese Fertigpackungen zumindest die Füllmengenangabe tragen müssen, die dem Handelsbrauch oder der geltenden einzelstaatlichen Regelung des Bestimmungslandes entspricht. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2007/45/EG verbietet den Mitgliedstaaten, das Inverkehrbringen von Erzeugnissen in Fertigpackungen aus Gründen zu verweigern, zu verbieten oder zu beschränken, die sich auf die Nennfüllmengen der Packungen beziehen, wenn in den auf Alkohol und Aerosolpackungen bezogenen Artikeln 3 und 4 nichts anderes bestimmt ist.
5Das Verfahren bietet Anlass zur Klärung der Frage, ob der danach unionsrechtlich vorgegebene und in das nationale Recht übernommene Begriff der Nennfüllmenge des Inhalts einer Fertigpackung nach Anhang I Nr. 2.1 der Richtlinie 76/211/EWG bezogen auf vorverpackte Lebensmittel nach Art. 8 Abs. 7 Buchst. a) und b) und Art. 2 Abs. 2 Buchst. e) LMIV gemäß Anhang IX Nr. 2 LMIV als Nettofüllmenge im Sinne der Lebensmittelinformationsverordnung gilt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. e) LMIV nur die verpflichtende Angabe der „Nettofüllmenge des Lebensmittels“ vorsieht, ohne inhaltliche Vorgaben dazu zu machen, wie diese zu bestimmen ist. Da Anhang IX Nr. 2 LMIV insoweit andere Unionsvorschriften oder – falls solche fehlen – einzelstaatliche Vorschriften über die Angabe einer bestimmten Mengenart wie insbesondere die Nennfüllmenge für maßgeblich erklärt, der Begriff der Nennfüllmenge nach Anhang I Nr. 2.1 der hier einschlägigen Richtlinie 76/211/EWG aber nicht auf die Lebensmittelmenge, sondern ausdrücklich auf die Erzeugnismenge abstellt, die die Fertigpackung enthalten soll, bedarf der Klärung, ob die Fiktion in Anhang IX Nr. 2 LMIV bewirkt, dass die anzugebende Nettofüllmenge nicht auf das Lebensmittel im Sinne von Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zu beziehen ist, wie der Wortlaut von Art. 9 Abs. 1 Buchst. e) LMIV vermuten lässt, sondern auf die Erzeugnismenge, die die Fertigpackung enthalten soll. Sollte es insoweit entsprechend der Pflicht zur Angabe des Nenngewichts auf Fertigpackungen nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 76/211/EWG i. V. m. Anhang I Nr. 2.1 auf das Gewicht des Erzeugnisses bzw. die Erzeugnismenge ankommen, wäre nach dem hierfür maßgeblichen Unionsrecht und dem ergänzend anwendbaren nationalen Recht zu berücksichtigen, ob ein Unterschied bestünde zwischen dem Begriff des Lebensmittels und dem des Erzeugnisses. In diesem Zusammenhang könnte zur Beantwortung der Frage, ob die Wurst in der durch Clips verschlossenen Wursthülle zumindest in Deutschland auch dann ein Erzeugnis ist, wenn die Wursthülle mit Clips nicht essbar ist und selbst kein Lebensmittel darstellt, zu berücksichtigen sein, dass nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. f) LMIV die Begriffsbestimmungen unter anderem für „Fleischzubereitungen“ in Anhang I Nr. 1.1, 1.15 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 gelten und unter anderem für Fleischzubereitungen nach Anhang III Abschnitt V Kapitel III Nr. 2 Buchst. c) der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 vorgeschrieben ist, dass sie unmittelbar nach der Herstellung umhüllt oder verpackt werden müssen. Dabei unterscheidet die Lebensmittelhygieneverordnung (EG) Nr. 852/2004 in Art. 2 Buchst. j) und k) zwischen „Umhüllung“ als „Platzieren eines Lebensmittels in eine Hülle oder ein Behältnis, die das Lebensmittel unmittelbar umgeben, sowie diese Hülle oder dieses Behältnis selbst“ und „Verpackung“ als „Platzieren eines oder mehrerer umhüllter Lebensmittel in ein zweites Behältnis sowie dieses Behältnis selbst“. Bezogen auf Wursthüllen sieht Anhang VI Teil C LMIV nur vor, dass angegeben werden muss, wenn eine Wursthülle nicht essbar ist. Da die angegriffene Untersagungsverfügung als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung während ihres Wirkungszeitraums an der jeweils aktuellen Rechtslage zu messen sein dürfte (vgl. BVerwG, Urteile vom 20.6.2013 – 8 C 39.12 –, juris, Rn. 30, und – 8 C 17.12 –, juris, Rn. 33 ff.), könnte nach ergänzend heranzuziehendem nationalen Recht mittlerweile auch von Bedeutung sein, dass Würste, die nach dem Einfüllen des Brätes in die Wursthülle noch nachbehandelt werden (räuchern, lufttrocknen, kochen, braten), in Nr. 1 Buchst. a) der Anlage 2 zur Fertigpackungsverordnung vom 18.11.2020 (BGBl. 2020 I S. 2504, 2520) als „Erzeugnis“ bezeichnet werden.