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Das Mindestabstandsgebot für Wettvermittlungsstellen zu öffentlichen Schulen bzw. Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist mit der unionsrechtlich garantierten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 49, 56 AEUV) sowie dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar.
Das Mindestabstandsgebot fördert die Begrenzung des lokalen Sportwettangebots durch Reduzierung der Verfügbarkeit. Daneben trägt es zum Schutz von Minderjährigen in dem alltäglichen näheren Umfeld von Einrichtungen, die von ihnen besonders häufig aufgesucht werden, dazu bei, einen Gewöhnungseffekt für Kinder und Jugendliche an die Existenz von Wettvermittlungsstellen zu vermeiden.
Die Einführung des Mindestabstandsgebots in Nordrhein-Westfalen verstößt nicht gegen das unions- und verfassungsrechtliche Gebot des Vertrauensschutzes. Auch wenn sich die im März 2013 geschaffene frühere Mindestabstandsregelung in § 22 Abs. 1 GlüSpVO im Nachhinein als unwirksam herausgestellt hatte, mussten Betreiber von Wettvermittlungsstellen zumindest mittelfristig mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestabstands auch zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Zuge einer unionsrechtskonformen Regulierung rechnen.
Ausgehend von der gefestigten und nicht unklaren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wahrt das Mindestabstandsgebot das unionsrechtliche Kohärenzgebot. Es ist nicht erkennbar, dass der Landesgesetzgeber und die die glücksspielrechtlichen Regelungen ausführenden Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die Sportwettenvermittlung selbst oder in Bezug auf andere Formen des Glücksspiels eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme hieran zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen. Die Eröffnung weiterer Spielbanken im Land bietet keinen Anlass zu der Annahme, dass die mit der Schaffung des Mindestabstandsgebots verfolgte Zielrichtung nicht mehr wirksam verfolgt werde.
Die wegen unterschiedlicher Bestandsinteressen geringfügig verschieden ausgestalteten Übergangsregelungen für Bestandswettvermittlungsstellen und Bestandsspielhallen sind nicht Ausdruck einer angebotserweiternden Glücksspielpolitik.
Die Berufungen gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 15.10.2022 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts T. werden zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt 1/4, die Beigeladene 3/4 der Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Dieses und das erstinstanzliche Urteil sind wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Wettvermittlungsstelle für Sportwetten am Standort L.-straße 2 – 6 in T. Im näheren Umkreis um den Standort befinden sich:
3- jeweils im Abstand von 50 Metern Luftlinie eine Städt. Gemeinschaftsgrundschule und die Kath. Grundschule W.,
4- jeweils im Abstand von 165 Metern Luftlinie die Z.-S.-Realschule, das I.-X.-P.-Gymnasium, und die K.-Grundschule,
5- sowie im Abstand von 113 Metern Luftlinie das Jugendhaus D..
6Der Standort befindet sich zudem innerhalb des Geltungsbereichs des einfachen Bebauungsplans „Zentrum Y. in T.-Y.“ Nr. 0000/02, für den gem. § 9 Abs. 2a BauGB festgesetzt ist, dass dort Vergnügungsstätten, insbesondere Spielhallen und Wettbüros in der Form von Vergnügungsstätten, sowie Bordelle und bordellartige Betriebe nicht zulässig sind.
7Bauanträge der Klägerin sowie der R. H. GmbH über die Nutzung des Standorts als Wettvermittlungsstelle lehnte die Stadt T. im Juli 2021 ab. Klagen gegen diese Entscheidungen wies das Verwaltungsgericht Köln (Aktenzeichen: 23 K 4141/21 und 23 K 4142/21) jeweils mit auf die mündliche Verhandlung vom 16.8.2023 ergangenen – noch nicht rechtskräftigen – Urteilen ab. Hierzu stellte es tragend darauf ab, dass das jeweilige Vorhaben als Wettbüro im Sinne einer Vergnügungsstätte den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspreche.
8Die Klägerin betreibt die genannte Wettvermittlungsstelle und vermittelt darin seit mindestens August 2011 Sportwetten an die Beigeladene. Letztere ist zugleich Klägerin des weiterhin am Verwaltungsgericht Köln anhängigen Verfahrens 24 K 3988/21. In der Vergangenheit diente der Standort bereits seit 2003 als Pferdewettbüro und seit 2004 als Wettbüro für Sportwetten im Allgemeinen.
9Die Beigeladene beantragte am 4.2.2020 beim Beklagten die Erteilung von Erlaubnissen zur Vermittlung von Sportwetten in Wettvermittlungsstellen an verschiedenen Standorten im Regierungsbezirk Köln, darunter auch am streitgegenständlichen Standort durch die Klägerin als Betreiberin. Unter dem 29.6.2020 reichte die Beigeladene einen auf den 14.7.2020 datierten förmlichen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Wettvermittlungsstelle für Sportwetten in NRW bis zum 30.6.2024 nebst Anlagen (u. a. Sozial-/Spielerschutzkonzept, Schulungsnachweise, Auszüge Gewerbezentralregister, Lageplan, Grundriss) ein. Hierzu teilte der Beklagte zwischenzeitlich mit, die Beigeladene habe ihm mitgeteilt, sie strebe die längstmögliche Laufzeit an; er habe die Anträge auch stets so ausgelegt.
10Mit Schreiben vom 10.2.2021 hörte der Beklagte die Klägerin und die Beigeladene zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags wegen Unterschreitens des Mindestabstands von 350 Metern Luftlinie nach § 13 Abs. 4 Satz 2 AG GlüStV NRW a. F. von der Wettvermittlungsstelle zu einem Gymnasium, drei Grundschulen sowie einer Realschule und einem Jugendhaus an. Nach Rücksprache mit der Stadt T. seien auch keine Gründe ersichtlich, die ausnahmsweise eine Unterschreitung des Mindestabstands rechtfertigten.
11Die Beigeladene wandte unter anderem ein, ihr könne die Unterschreitung von Mindestabständen nicht entgegengehalten werden. Die streitbefangene Wettvermittlungsstelle genieße bereits formellen Bestandsschutz. Sie werde von der Klägerin unter ihrem jetzigen Firmennamen seit dem 18.5.2017 betrieben. Zu diesem Zeitpunkt habe das Ausführungsgesetz NRW zum Glücksspielstaatsvertrag keinen gesetzlichen Mindestabstand zu Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen vorgesehen. Wäre es daher zu dem entsprechenden Zeitpunkt möglich gewesen, eine Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten zu beantragen, hätte eine solche erteilt werden müssen. Mindestabstände habe der Landesgesetzgeber erst am 14.12.2019 mit Wirkung zum 1.1.2020 eingeführt. Der Betrieb der entsprechenden Wettvermittlungsstelle sei daher seinerzeit formell legal erfolgt. Dem Betreiber eines Wettbüros dürfe der Bestandsschutz nicht deshalb abgesprochen werden, weil er seinerzeit über keine Wettvermittlungserlaubnis verfügt habe. Der damit erreichte materielle Bestandsschutz würde unterlaufen, wenn man einem Standort, von dem aus formell legal Sportwetten vermittelt würden, erst nachträglich in das Gesetz aufgenommene Abstandsvorgaben entgegenhielte. Zudem wäre es unbillig, ihren Erlaubnisantrag abzulehnen. Das Landesausführungsgesetz sehe für Wettvermittlungsstellen einen verringerten Mindestabstand vor, wenn diese am 22.5.2019 bestanden und zu diesem Zeitpunkt über eine bestandskräftige Baugenehmigung verfügt hätten. Die streitbefangene Wettvermittlungsstelle sei so zu behandeln, als läge eine derartige Baugenehmigung vor, weil sie bereits im Jahr 2017 beantragt worden sei. Ihr könne und dürfe daher nicht zum Verhängnis werden, dass über ihre anhängigen Bauanträge bisher nicht entschieden worden sei. Der Betrieb eines Wettbüros werde an dem Standort zudem bereits seit Jahrzehnten geduldet. Alle Einrichtungen in mehr als 100 Metern Entfernung zu der streitgegenständlichen Wettvermittlungsstelle könnten dieser seit Inkrafttreten der Neuregelung im Ausführungsgesetz im Jahr 2021 nicht mehr entgegengehalten werden. Grundschulen dürften Wettvermittlungsstellen ohnehin nicht entgegenstehen, weil diese im Regelfall nur von Kindern aus der aus suchtwissenschaftlicher Sicht nicht relevanten Altersgruppe zwischen sechs und zehn Jahren besucht würden. Diese Auffassung werde durch entsprechende Regelungen in Ausführungsgesetzen anderer Bundesländer und hierzu ergangener Rechtsprechung gestützt. Höchst vorsorglich werde eine Abweichung vom Mindestabstandsgebot beantragt. Insoweit bestehe die Bereitschaft, die Öffnungszeiten der Wettvermittlungsstelle an die Schulbesuchszeiten anzupassen, z. B. durch Öffnung erst ab 15:00 Uhr, so dass Berührungspunkte nicht mehr bestünden. Die Erteilung einer Ausnahme sei angesichts des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs zwingend geboten. Die Beschränkung der Öffnungszeiten bei gleichzeitiger Abweichung von dem Mindestabstandsgebot stelle im Vergleich zur Erteilung eines Berufsverbots am Standort ein gleich geeignetes, aber milderes Mittel dar.
12Mit sowohl an die Beigeladene als auch die Klägerin gerichtetem Bescheid vom 27.7.2021 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum Betrieb der streitbefangenen Wettvermittlungsstelle ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass gemäß § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW Wettvermittlungsstellen nicht in einer räumlichen Nähe zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betrieben werden sollten. Dabei solle regelmäßig ein Mindestabstand von 350 Metern zu Grunde gelegt werden. Bei Wettvermittlungsstellen, die bereits am 22.5.2019 bestanden und zu diesem Zeitpunkt über eine bestandskräftige Baugenehmigung verfügt hätten, solle nach § 13 Abs. 15 Satz 2 AG GlüStV NRW abweichend ein Mindestabstand von 100 Metern zu Grunde gelegt werden. Für die streitbefangene Wettvermittlungsstelle liege eine solche Genehmigung indes nicht vor. Zu öffentlichen Schulen bzw. Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zählten auch Einrichtungen, die von Kindern unter 13 Jahren besucht würden. In der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung sei mittlerweile anerkannt, dass das Abstandsgebot der Spielsucht bei Minderjährigen in einem möglichst frühen Stadium entgegenwirken solle, indem eine Gewöhnung an das Vorhandensein von Glücksspieleinrichtungen vermieden werden solle. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Regelungen gegen Verfassungs- oder Unionsrecht verstießen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung seien im vorliegenden Fall keine Gründe ersichtlich, die Anlass zu einer Unterschreitung der gesetzlichen Mindestabstände gäben. Weder rechtfertigten bauplanungsrechtliche Vorgaben oder städtebauliche Besonderheiten noch eine nur minimale Unterschreitung des Abstandsgebots eine Abweichung. Auch darüber hinaus seien keine Tatsachen vorgetragen oder ersichtlich, die den Fall als atypisch erscheinen ließen und eine Abweichung ausnahmsweise rechtfertigten. Das Gesetz unterscheide insoweit nicht zwischen Wettbüros und Wettannahmestellen. Anders als bei Lotto-Annahmestellen sehe der Gesetzgeber zudem die Möglichkeit einer Unterschreitung der Mindestabstände aufgrund von zusätzlichen Vorkehrungen zur Vermeidung von Anreizwirkungen auf Kinder- und Jugendliche gerade nicht vor. Gleiches gelte für an den Schulbetrieb angepasste Öffnungszeiten. Auch Bestands- oder Vertrauensschutzaspekte rechtfertigten keine andere Entscheidung. Entsprechenden Interessen habe der Gesetzgeber bereits mit § 13 Abs. 15 AG GlüStV NRW vollständig und abschließend Rechnung getragen. Selbst den hier gar nicht einschlägigen reduzierten Mindestabstand von 100 Metern unterschreite die Wettvermittlungsstelle gegenüber der Städtischen Gemeinschaftsgrundschule und der Katholischen Grundschule W. deutlich.
13Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin ergänzend angeführt, dass auch bei einer unterstellten Unterschreitung der Mindestabstandsvorgabe des § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW die Ablehnung der Erlaubnis ermessensfehlerhaft erscheine. Die Wettvermittlungsstelle existiere bereits seit Ende 2003. Zum damaligen Zeitpunkt hätten keine Abstandsvorgaben bestanden und ihre künftige Einführung sei auch nicht absehbar gewesen. Sollte es einen etwaigen „Gewöhnungseffekt“ bei Kindern und Jugendlichen geben, wäre dieser bei der heutigen Schülergeneration längst eingetreten. Die fehlende Erteilung einer Baugenehmigung trotz Beantragung schon vor dem Stichtag 22.5.2019 beruhe auf bis heute fortbestehenden Unklarheiten über die Abgrenzung ladenmäßiger Wettannahmestellen von Vergnügungsstätten. Innerhalb eines Radius von 100 Metern um die Wettvermittlungsstelle befänden sich lediglich Teilbereiche des Geländes von zwei Grundschulen. Im Erlaubnisverfahren angebotene Einschränkungen der Öffnungszeiten könnten einen atypischen Fall begründen, der eine Abweichung vom Mindestabstandsgebot rechtfertige. Auch zielgerichtet herbeigeführte Atypiken seien im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigungsfähig. Der Gesetzgeber habe zudem Gewöhnungseffekte durch geschlossene Wettvermittlungsstellen bewusst in Kauf genommen, indem er Altbetreiber nicht verpflichtet habe, das äußere Erscheinungsbild von innerhalb der Mindestabstände liegenden Wettvermittlungsstellen zu neutralisieren. Fehlerhaft sei schließlich die Annahme, der Gesetzgeber habe den Bestandsschutz bereits in § 13 Abs. 15 AG GlüStV NRW abschließend geregelt.
14Die Klägerin hat beantragt,
15das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheids der Bezirksregierung Köln vom 27.7.2021 zu verpflichten, der Klägerin eine Erlaubnis zum Betreiben der Wettvermittlungsstelle unter der Anschrift L.-straße 2 – 6, 00000 T., zu erteilen,
16hilfsweise
17das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheids der Bezirksregierung Köln vom 27.7.2021 zu verpflichten, den Antrag der Beigeladenen auf Erteilung einer Erlaubnis an die Klägerin zum Betreiben der Wettvermittlungsstelle unter der Anschrift L.-straße 2 – 6, 00000 T., unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
18Der Beklagte hat beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Er hat unter Bezugnahme auf ein anderweitiges Verfahren ausgeführt, dass den Wettveranstaltern und -vermittlern mittlerweile ein unionsrechtskonformes Erlaubnisverfahren zur Verfügung stehe, das auch zur Anwendung komme. Es sei keine Gerichtsentscheidung bekannt, die die Verfassungs- und Unionsrechtskonformität der gesetzlichen Mindestabstände für Wettvermittlungsstellen ernsthaft in Frage stelle. Eine verfassungs- und unionsrechtswidrige Ungleichbehandlung ergebe sich auch nicht aus den unterschiedlichen Regelungen für Wettvermittlungsstellen und Lotto-Annahmestellen oder für Glücksspiele im Internet.
21Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
22Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 5.10.2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe die Erteilung einer Erlaubnis zu Recht abgelehnt. Gegen den Erlaubnisvorbehalt zum Betrieb einer Wettvermittlungsstelle bestünden weder verfassungs- noch europarechtliche Bedenken. Dass der Gesetzgeber grundsätzlich aus Gründen des Allgemeinwohls berechtigt sei, das Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten zu beschränken, sei sowohl in der nationalen als auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt. Die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Wettvermittlungsstelle sei neben der der beigeladenen Veranstalterin im Oktober 2020 erteilten Veranstaltungserlaubnis nicht deshalb entbehrlich, weil bereits das Veranstalten von Sportwetten erlaubnispflichtig sei bzw. die Beigeladene eine solche Erlaubnis erhalten habe. Beide Erlaubnisverfahren regelten jeweils unterschiedliche Bereiche.
23Der Beklagte habe die Erteilung einer Erlaubnis für die streitbefangene Vermittlungsstelle zu Recht abgelehnt, weil diese nicht den festgelegten Mindestabstand zu öffentlichen Schulen einhalte. Bei sämtlichen innerhalb eines Abstands von 350 Metern Luftlinie zu der Wettvermittlungsstelle liegenden Schulen handele es sich um öffentliche Schulen im Sinne von § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW. Es bestehe kein Anlass, mit Blick auf Sinn und Zweck der Abstandsregelungen Grundschulen auf Grund ihrer besonderen Schülerstruktur aus dem Anwendungsbereich auszunehmen. Der Zweck der Abstandsregelung liege nicht nur darin, konkrete Gefährdungen durch den Konsum von Glücksspielen zu vermeiden. Sie solle auch helfen, in einem möglichst frühen Stadium einen Gewöhnungseffekt bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern.
24Die Entscheidung des Beklagten, keine Abweichung von dem Mindestabstandsgebot zu gewähren, begegne keinen Bedenken. Aufgrund der gesetzlichen Formulierung, dass der Mindestabstand nicht unterschritten werden solle und die Behörde von diesem abweichen dürfe, liege eine durch den Landesgesetzgeber intendierte Entscheidung vor. Besonderheiten, die einen atypischen Fall begründen könnten, seien nicht gegeben. Die Wettvermittlungsstelle halte den Mindestabstand jedenfalls zu vier öffentlichen Schulen nicht ein. Sonstige (örtliche) Besonderheiten, die eine Abweichung vom Mindestabstand rechtfertigen könnten, seien ebenso wenig gegeben wie bauplanungsrechtliche Besonderheiten.
25Der Betrieb von Wettvermittlungsstellen, die bereits vor dem Inkrafttreten des Ausführungsgesetzes NRW Glücksspielstaatsvertrag in räumlicher Nähe von öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe existiert hätten, sei außerdem nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes zu erlauben. Sowohl den Betreibern von Wettbüros als auch den Veranstaltern von Sportwetten habe von vornherein bewusst sein müssen, dass das von ihnen betriebene Gewerbe mittelfristig einem gesetzlichen Regelungsregime habe unterworfen werden sollen, von dem der Fortbestand der Wettvermittlungsstellen abhängen würde. Grundsätzlich könne nicht darauf vertraut werden, dass eine günstige Rechtslage unverändert bleibe. Unabhängig davon habe der nordrhein-westfälische Gesetzgeber mit § 13 Abs. 15 AG GlüStV NRW eine Regelung geschaffen, die dem Gesichtspunkt Rechnung trage, dass die Wettvermittlungsstellen bisher keinen Abstand zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe hätten einhalten müssen. Die Voraussetzungen für eine Reduzierung des Abstands auf 100 Meter nach dieser Vorschrift lägen nicht vor. Eine Auslegung dahingehend, dass bei „alten“ Bestandswettvermittlungsstellen unabhängig von einer Baugenehmigung nur ein Mindestabstand von 100 Metern einzuhalten sei, sei weder verfassungs- noch unionsrechtlich geboten. Die Entscheidung, der Klägerin keine Erlaubnis zu erteilen, sei auch ermessensfehlerfrei ergangen. Insbesondere sei kein Ermessensnichtgebrauch gegeben. Die Voraussetzungen für eine Abweichung vom Mindestabstand seien in § 13 Abs. 13 Satz 4 AG GlüStV NRW abschließend geregelt und ergäben sich nicht aus § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 GlüStV 2021.
26Die Abstandsregelung verstoße nicht gegen nationales Verfassungsrecht und/oder gegen Unionsrecht. Sie sei durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig. Sie diene ebenso wie das Abstandsgebot für Spielhallen unter anderem der Vermeidung und Abwehr der vom Glücksspiel in Wettvermittlungsstellen ausgehenden Suchtgefahren. Sportwetten könnten aufgrund ihrer Gestaltung und der Angebote zumindest auf sportbegeisterte bzw. -interessierte Kinder und Jugendliche deutlich attraktiver wirken als Geldspielgeräte. Durch den einzuhaltenden Abstand von Wettvermittlungsstellen zu Schulen, die Kinder und Jugendliche zur Erfüllung ihrer Schulpflicht zwangsläufig und täglich aufsuchen müssten, oder zu Einrichtungen, die ihrer Förderung dienten, seien Wettvermittlungsstellen in geringerem Maße Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit. Die Eignung zur Erhöhung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen werde nicht dadurch konterkariert, dass in Annahmestellen, die sich in der Nähe von öffentlichen Schulen oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe befänden und von Kindern und Jugendlichen jederzeit betreten werden könnten, gemäß § 13b Abs. 1 AG GlüStV NRW noch bis zum 30.6.2024 Sportwetten des staatlichen Veranstalters ODDSET sowie Lotterien der WestLotto vermittelt würden. Auch in Bezug auf Gaststätten, in denen Geldspielgeräte betrieben werden dürften, und im Hinblick darauf, dass Sportwetten in großem Umfang im Internet zur Verfügung stünden, gelte nichts Anderes. Im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Regelung komme dem Gesetzgeber ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu. Alternative, vom Veranstalter vorgeschlagene Maßnahmen seien zur Erreichung des mit der Regelung verfolgten Zwecks nicht in jeder Hinsicht sachlich gleichwertig. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs einerseits und dem Gewicht und der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe andererseits, insbesondere dem Schutz eines besonders hochrangigen Rechtsguts, der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und ihrer freien Persönlichkeitsentwicklung, wahre die Abstandsregelung schließlich die Grenze der Zumutbarkeit und belaste die Betroffenen nicht übermäßig. Die Abstandsregelung verstoße zudem nicht gegen das allgemeine Gleichheitsgebot, weil für die in Annahmestellen zulässigen Sportwetten und andere Glücksspielangebote keine oder andere Abstandsregelungen gälten. Eine unzulässige Ungleichbehandlung liege weder im Verhältnis zu Wettvermittlungsstellen, die keine Livewetten anböten, noch bloßen Annahmestellen oder dort angebotenen Lotterieangeboten vor. Auch gegenüber stationären Pferdewettangeboten, Spielbanken und Gaststätten, in denen Geldspielgeräte aufgestellt seien, liege keine relevante Ungleichbehandlung vor. Keine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung ergebe sich ferner daraus, dass der Landesgesetzgeber für Bestandsspielhallen und Bestandswettvermittlungsstellen unterschiedliche Abstandsregelungen getroffen habe.
27Überdies genüge das Abstandsgebot sowohl dem unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit als auch dem Transparenzgebot. Es stelle einen zulässigen und verhältnismäßigen Eingriff in die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit dar und genüge insbesondere dem unionsrechtlichen Kohärenzgebot. Nicht gefolgt werden könne der Ansicht, der Staat sei seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, unter anderem durch Erkenntnisse zu belegen und nachzuweisen, dass eine Gefahrenlage überhaupt bestehe und welche Maßnahmen hierfür geeignet und erforderlich seien. Eine Verpflichtung, vor Erlass einer Maßnahme eine Untersuchung vorzulegen, die deren Verhältnismäßigkeit belege, habe der Europäische Gerichtshof nicht postuliert. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber mit dem Abstandsgebot zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in Wahrheit nicht den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor den negativen Folgen des Glücksspiels in Form von Sportwetten verfolge, sondern „scheinheilig“ andere Zwecke, insbesondere solche finanzieller Art.
28Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Das angefochtene Urteil sei bereits bei rein national-einfachrechtlicher Betrachtung rechtsfehlerhaft, weil es die Reichweite des der zuständigen Behörde nach § 13 Abs. 13 Satz 2 und 4 AG GlüStV NRW eingeräumten Ermessens speziell in „Altfällen“ grundlegend verkenne. Gerade bei Altstandorten, die auf einen sichtbaren Außenauftritt nicht angewiesen seien, sei es nicht ausgeschlossen, im Rahmen der Ermessensausübung auch die Art der betroffenen Einrichtungen, die Wahrnehmbarkeit der Wettvermittlungsstelle für die geschützten Minderjährigengruppen sowie atypische Umstände mit zu berücksichtigen, aufgrund derer für den betreffenden Standort kein gesetzlicher Bestandsschutz gelte. Aus dem Gesetz lasse sich nicht herleiten, dass nur örtliche im Sinne von topographische Besonderheiten einen atypischen Fall begründen könnten und zu berücksichtigen seien. Insbesondere dürfe nicht unbesehen auf die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung zu Spielhallen zurückgegriffen werden. Auch § 5 Abs. 3 AnVerVO gebe nur vor, was „insbesondere“ zu berücksichtigen sei, treffe indes keine abschließende Regelung. Nach der Gesetzesbegründung könnten evident auch andere Besonderheiten einen atypischen Fall begründen. Diese gehe davon aus, dass die Erlaubnisbehörden „zur Wahrung der Kohärenz und Verhältnismäßigkeit […] auch für die Wettvermittlungsstellen ‒ ähnlich wie bei Spielhallen ‒ die Ermächtigung (erhielten), auf den Einzelfall bezogene Besonderheiten zu berücksichtigen“. Entsprechend der Praxis in Rheinland-Pfalz sei es durchaus rechtlich möglich, Erlaubnisse wegen der Unterschreitung des Mindestabstands zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe grundsätzlich zu verweigern, aber die sehr restriktiven Vorgaben bei Abstandskollisionen zu Grundschulen und anderen Einrichtungen für kleinere Kinder durch eine großzügige Handhabung der Ausnahmeregelung abzumildern.
29Im vorliegenden Fall begründeten jedenfalls nachfolgende Umstände einen atypischen Fall: Es handele sich um einen sehr alten Betrieb, der sich auf die Bestandsschutzklausel des § 13 Abs. 15 Satz 2 AG GlüStV NRW hätte berufen können, wenn nicht eine Baugenehmigung rechtswidrig vorenthalten worden wäre. Der verminderte Mindestabstand werde nur durch eine Grundschule mit sehr fraglichem Gefährdungspotential unterschritten. Diese könne von keinem Punkt innerhalb des 100-Meter-Radius um die Wettvermittlungsstelle aus fußläufig erreicht werden, ohne diesen Radius zumindest vorübergehend zu verlassen. Das Betriebskonzept zeige sich zudem offen für Maßnahmen zur Vermeidung einer Anreizwirkung bzw. eines Gewöhnungseffekts. Zudem müsse geklärt werden, ob die Mindestabstände primär das Entstehen von Spielsucht im Kindes- und Jugendalter verhindern sollten oder von Sucht im Erwachsenenalter als Folge einer während der Minderjährigkeit erfolgten Konfrontation mit Spielstätten. Zusammenhänge zwischen einer Konfrontation mit Spielstätten im Kindes- und Jugendalter und nachfolgenden Spielaktivitäten seien indes eher hypothetisch, jedenfalls aber empirisch nicht feststellbar. Die Wirkungsweise des Mindestabstandsgebots werde zudem dadurch erheblich beeinträchtigt, dass in § 13a Abs. 1 Satz 1 AG GlüStV NRW für Wettvermittlungsstellen einschränkungslos vorgesehen sei, sie müssten gut einsehbar gestaltet werden. Hierdurch hätten Jugendliche und sogar Kinder ungehinderten Einblick in die Wettvermittlungsstellen und könnten am dortigen Geschehen fast genauso intensiv teilhaben, als befänden sie sich unerlaubterweise im Innenbereich der Wettvermittlungsstelle. Im Übrigen werde der gesetzlich intendierte Spielerschutz konterkariert, indem Spielsüchtigen der ungehinderte Einblick in Wettvermittlungsstellen aufgedrängt und damit eine beabsichtigte Abstinenz vom Spiel erschwert werde. Eine Konfrontation von Kindern und Jugendlichen mit Altbetrieben lasse sich zudem ohne Weiteres anderweitig verhindern, etwa durch gestalterische Maßnahmen, zeitliche Betriebseinschränkungen oder weitergehende Altersbeschränkungen für Personen unter 21 Jahren. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bestünde keine Legitimation, komplett und dauerhaft auf wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirksamkeit einer Regelung bzw. eine Evaluierung zu verzichten. Entsprechende Untersuchungen gebe es nicht, obwohl es durch Befragungen von heute Wett- und Spielsüchtigen ohne Weiteres möglich wäre festzustellen, ob diese im Kindes- und Jugendalter in signifikanter Weise mit Spielstätten konfrontiert gewesen seien. Aus dem Unionsrecht folgten deutlich höhere Anforderungen an die „Eignung“ einer Maßnahme, als die deutsche Rechtsordnung dies verlange. Das Ziel der Mindestabstandsvorgaben werde zudem bereits dadurch in erheblicher Weise konterkariert, dass nicht auch das gewerbliche Automatenspiel sowie Lotto-Annahmestellen mit der Sportwette ODDSET und der Lotterie KENO mit in die Regelung einbezogen worden seien. Wegen des allein verfolgten Ziels des Jugendschutzes sei ohnehin ohne Bedeutung, ob noch eine expansive Politik auf dem Gebiet des gewerblichen Automatenspiels verfolgt werde. Unerheblich sei es auch, ob Bestandsspielhallen ein stärkerer Vertrauensschutz zukomme. Das Ausmaß an Ausnahmen für Bestandsspielhallen nach der unbefristeten Ausnahmeregelung in Nordrhein-Westfalen sei derart hoch, dass dieses nicht mehr vernachlässigt werden könne. Die Vereinbarkeit von Ausnahmen in derart erheblichem Umfang mit dem Unionsrecht lasse sich anhand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht sicher beurteilen. Daher biete es sich an, dem Gerichtshof eine entsprechende Vorlagefrage zu unterbreiten.
30Jedenfalls sei das Mindestabstandsgebot nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. Eine Erlaubnis zum Betrieb der Wettvermittlungsstelle hätte der Klägerin in der Vergangenheit nicht verweigert werden dürfen, wenn es ein unionsrechtskonformes Erlaubnisverfahren gegeben hätte. Der ihr bereits aus Verfassungsgründen zu gewährende Vertrauensschutz überwiege gegenüber dem nur sehr geringen Nutzen des Mindestabstandsgebots.
31Die Beigeladene trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor: Ihr stehe ebenso wie der Klägerin ein Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis für die streitgegenständliche Wettvermittlungsstelle zu. Sie und die Klägerin genössen formellen Bestands-, jedenfalls aber Vertrauensschutz. Zum Zeitpunkt der Betriebsaufnahme der Wettvermittlungsstelle am 18.5.2017 habe kein gesetzlicher Mindestabstand zu Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen bestanden. Zum damaligen Zeitpunkt hätte eine Erlaubnis zum Betrieb der Wettvermittlungsstelle erteilt werden müssen, wenn eine Antragstellung möglich gewesen wäre. Mindestabstände seien gesetzlich erst mit Wirkung zum 1.1.2020 normiert worden. Zu dieser Zeit habe es aber zu keiner Erlaubniserteilung kommen können, weil die Erteilung von Konzessionen an Sportwettveranstalter nicht möglich gewesen sei. Daher sei der Betrieb seinerzeit formell legal gewesen. Der Bestandsschutz würde unterlaufen, wenn man einem Standort, von dem aus formell legal Sportwetten vermittelt worden seien, erst nachträglich in das Gesetz aufgenommene Abstandsvorgaben entgegenhielte. Nichts Anderes folge daraus, dass den Betreibern von Wettvermittlungsstellen habe bewusst sein müssen, das von ihnen betriebene Gewerbe habe mittelfristig einem gesetzlichen Regelungsregime mit Auswirkungen auf deren Fortbestand unterworfen werden sollen. Keinesfalls sei die Einführung einer starren Mindestabstandsregelung von Wettvermittlungsstellen zu Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe erkennbar gewesen. Dies sei frühestens mit Veröffentlichung des Gesetzentwurfs für das Ausführungsgesetz am 22.5.2019 der Fall gewesen. Jedenfalls hätten Betreiber darauf vertrauen können, dass nur Wettvermittlungsstellen unter die neue Regelung fielen, deren Betrieb erst nach Inkrafttreten des Gesetzes aufgenommen worden sei. Altbetreiber hätten sich hingegen wegen der fehlenden Möglichkeit, eine Erlaubnis zu erhalten, in einer außergewöhnlichen Sondersituation befunden. Der Landesgesetzgeber hätte dem Vertrauensschutzinteresse insoweit Rechnung tragen müssen. Diesen Anforderungen werde die Bestandsschutzregelung des § 13 Abs. 15 AG GlüStV NRW nicht gerecht.
32Die Mindestabstandsregelung sei zudem sowohl unionsrechts- als auch verfassungswidrig. Die Regelung sei bereits nicht geeignet, einen Gewöhnungseffekt bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern. Bis heute behaupte der Gesetzgeber lediglich, die Existenz von Wettvermittlungsstellen im Umfeld von Schulen oder Kinder- und Jugendeinrichtungen könne tatsächlich einen Gewöhnungseffekt bei Kindern und Jugendlichen bewirken. Der sogenannte „Mere-Exposure-Effekt“ könne auf die bloße Existenz von Wettvermittlungsstellen in der Nähe von öffentlichen Schulen und Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen nicht übertragen werden. Der Abschlussbericht aus dem Jahr 2014 zur Studie „Konsum von Glücksspielen bei Kindern und Jugendlichen: Verbreitung und Prävention“ stehe erkennbar im Zusammenhang mit Glücksspielwerbung. Ein vergleichbarer Effekt durch die bloße Existenz einer Wettvermittlungsstelle in der Nähe einer Schule oder Kinder- und Jugendschutzeinrichtung sei auch angesichts der omnipräsenten Sportwettenwerbung im Internet und in den Medien nicht zu befürchten. Hieraus sei keine Gefahr abzuleiten, die angesichts legitimer wirtschaftlicher Interessen der Betreiber einen schwerwiegenden Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen könne. Die bloße Möglichkeit einer behördlichen Abweichungsentscheidung könne die Schwere des Eingriffs nicht aufwiegen, weil diese aufgrund einer restriktiven Handhabung faktisch leerlaufe.
33Die Betreiber von Wettvermittlungsstellen würden zudem sowohl gegenüber den übrigen stationären Glücksspielangeboten [Annahmestellen, Buchmacherörtlichkeiten und (Bestands-)Spielhallen] als auch sämtlichen Online-Vertriebsformen unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ohne ausreichenden Grund ungleich behandelt.
34Die Mindestabstandsregelung verletze die Dienstleistungsfreiheit der im EU-Ausland ansässigen Wettveranstalter. Aufgrund des nicht erbrachten Gefahrennachweises stelle sie eine unverhältnismäßige Beschränkung dar. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müsse der Mitgliedstaat dem Gericht, das über diese Frage zu entscheiden habe, alle Umstände vorlegen, anhand derer dieses Gericht sich vergewissern könne, dass die Maßnahme tatsächlich den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen genüge. Der Gerichtshof habe zuletzt das Nachweiserfordernis betont und in einer Weise präzisiert, dass an den Gefahrennachweis sehr viel höhere Anforderungen geknüpft würden, als dies nach deutschem Verfassungsrecht der Fall wäre. Danach erfordere eine erfolgreiche Rechtfertigung der Beschränkung zwingend den Nachweis vorhandener Rechtfertigungsgründe durch wissenschaftliche Erkenntnisse und Untersuchungen. Zudem verlange der Gerichtshof, Erkenntnisse fortlaufend zu überprüfen. Dieser Nachweispflicht sei der Gesetzgeber nicht nachgekommen. Es existiere keine wissenschaftliche Untersuchung, die einen Gewöhnungseffekt durch die bloße Präsenz einer Wettvermittlungsstelle im Umfeld einer öffentlichen Schule oder Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe belege.
35Die Mindestabstandsregelung verstoße auch gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot. Der Gesetzgeber konterkariere durch die deutlich weniger restriktive Regulierung anderer stationärer Glücksspielangebote sowie von Online-Vertriebsformen die von ihm selbst ausgegebenen Ziele der Regelung. Durch die ungerechtfertigte Privilegierung von Glücksspielangeboten mit mindestens gleich hohem, im Falle von Spielhallen sogar höherem Gefährdungspotenzial verfolge der Gesetzgeber das Ziel des Kinder- und Jugendschutzes allenfalls inkonsequent.
36Jedenfalls profitiere die streitgegenständliche Wettvermittlungsstelle von der Bestandsschutzregelung des § 13 Abs. 15 AG GlüStV NRW, so dass außer den benannten Grundschulen keine der ihr entgegengehaltenen Einrichtungen einer Erlaubniserteilung entgegenstünde. Sie sei so zu behandeln, als verfüge sie über eine bestandskräftige Baugenehmigung. Die angeführten Grundschulen seien angesichts der suchtwissenschaftlich nicht relevanten Altersstruktur der dort unterrichteten Kinder unbeachtlich.
37Schließlich habe der Beklagte sein ihm eingeräumtes Ermessen auf mehreren Ebenen fehlerhaft ausgeübt bzw. ihm zukommende Ermessensspielräume gar nicht erst erkannt. Er hätte sich zumindest vertieft mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Erlaubniserteilung unter der Auflage in Betracht komme, dass das Betriebskonzept der Wettvermittlungsstelle hinsichtlich der Außengestaltung / Wahrnehmbarkeit sowie des vorgehaltenen Angebots angepasst werde. § 13 Abs. 13 Satz 4 AG GlüStV NRW beschränke sich nicht auf atypische Fälle aufgrund örtlicher Besonderheiten. Dem Beklagten komme bereits Ermessen bei der Auslegung zu, ob überhaupt eine räumliche Nähe gegeben sei. Zunächst müsse er entscheiden, welcher Mindestabstand im konkreten Fall angemessen sei. Überdies bestehe ein Ermessensspielraum, vom gesetzlichen Mindestabstandsgebot abzuweichen. Eine Abweichungsentscheidung liege umso näher, je weniger wahrscheinlich es sei, dass Minderjährige mit der Wettvermittlungsstelle konfrontiert würden.
38Die Klägerin beantragt,
39den Beklagten unter Abänderung des auf die mündliche Verhandlung vom 5.10.2022 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Köln und unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids der Bezirksregierung Köln vom 27.7.2021 zu verpflichten, über den Erlaubnisantrag der Beigeladenen vom 31.1./4.2.2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
40Die Beigeladene beantragt,
41das auf die mündliche Verhandlung vom 5.10.2022 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids der Bezirksregierung Köln vom 27.7.2021 zu verpflichten, die beantragte Erlaubnis zum Betreiben einer Wettvermittlungsstelle unter der Anschrift L. str. 2 – 6, 00000 T. zu erteilen,
42hilfsweise das auf die mündliche Verhandlung vom 5.10.2022 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids der Bezirksregierung Köln vom 27.7.2021 zu verpflichten, den Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zum Betreiben einer Wettvermittlungsstelle unter der Anschrift L. str. 2 – 6, 00000 T. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
43Der Beklagte beantragt,
44die Berufungen zurückzuweisen.
45Hierzu trägt er im Wesentlichen vor: Die Verfassungs- und Unionsrechtskonformität des Mindestabstandsgebots sei bereits in zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zum jeweiligen Landesrecht bestätigt worden. Die Mindestabstandsregelung diene dazu, das Entstehen von Glücksspiel- und Wettsucht zu verhindern sowie den Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten. Vom stationären Vertrieb von Sportwetten gehe eine nachgewiesene Gefährdung aus, die den Gesetzgeber zu restriktiven Regulierungen berechtige. Diese Gefährdung sei zumindest vergleichbar mit den vom Automatenspiel ausgehenden Risiken. Angesichts dieser Gefährdungslage bedürfe es zur näheren Begründung keiner weiteren Studien, die zur Eignung der Abstandsvorschriften erstellt werden müssten. Der Gesetzgeber habe das Suchtrisiko von Wettvermittlungsstellen vertretbar als ähnlich groß eingeschätzt wie das von Spielhallen. Bedenken gegen die Bestimmtheit der Norm bestünden nicht. Die durch die Mindestabstände bewirkte Beschränkung von Grundrechten und Grundfreiheiten sei sowohl nach verfassungs- als auch unionsrechtlichen Maßstäben gerechtfertigt. Dass Kinder und Jugendliche durch ihren Medienkonsum Werbung für Glücksspiel ausgesetzt seien, ändere nichts daran, dass die Präsenz des terrestrischen Sportwettangebots in Form von Wettvermittlungsstellen im Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen einen zusätzlichen, realeren Reiz auf Minderjährige ausübe. Andere denkbare Maßnahmen, wie etwa qualitative Anforderungen an das Angebot oder an die Auswahl der Anbieter sowie Zutrittsverbote, seien nicht geeignet, eine Verringerung der Gelegenheit zur Wettabgabe zu bewirken oder der Gewöhnung von Minderjährigen an die Präsenz von Wettvermittlungsstellen in ihrem Lebensumfeld entgegenzuwirken.
46Das Unionsrecht enthalte keine Forderung nach einer wissenschaftlichen Untersuchung als zwingende Grundlage für die Gesetzgebung. Auch sei die Regelung nicht inkohärent. Namentlich stelle das gesamte Online-Spiel eine gänzlich andere, mit dem stationären Glücksspiel generell nicht vergleichbare Glücksspielkategorie dar. Der angestrebte Vergleich zu Lotto-Annahmestellen greife zu kurz, weil die von diesen ausgehenden Gefahren sich klar von denjenigen unterschieden, die von Wettvermittlungsstellen ausgingen.
47Dass auch Grundschulen öffentliche Schulen i. S. d. § 13 Abs. 13 AG GlüStV NRW seien, sei bereits höchst- und obergerichtlich geklärt und zudem nicht entscheidungserheblich. Das Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden. Bestandsschutz bestehe für die streitbefangene Wettvermittlungsstelle nicht, weil für diese keine Baugenehmigung vorliege.
48Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren (je eine elektronisch geführte Akte je Instanz), der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (zwei Hefter) und den Inhalt der beigezogenen Gerichts- und Beiakten in den baurechtlichen Verfahren 7 A 1684/23 sowie 7 A 1685/23 (OVG NRW) Bezug genommen.
49Entscheidungsgründe:
50Die Berufungen haben keinen Erfolg. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 27.7.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin und die Beigeladene nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Beigeladene hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis für die von der Klägerin betriebene Wettvermittlungsstelle.
51Der Erlaubniserteilung steht entgegen, dass die streitgegenständliche Wettvermittlungsstelle gegen das Abstandsgebot nach § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW verstößt, weil sie sich in weniger als 350 Metern Abstand zu insgesamt fünf öffentlichen Schulen – zu zwei Grundschulen sogar im Abstand von weniger als 100 Metern – und einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe befindet.
52Nach § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW soll eine Wettvermittlungsstelle nicht in räumlicher Nähe zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betrieben werden. Dabei soll regelmäßig ein Mindestabstand von 350 Metern zu Grunde gelegt werden. Nach § 5 Abs. 6 Sätze 1 und 2 AG GlüStV NRW, der gemäß § 13 Abs. 13 Satz 3 AG GlüStV NRW entsprechend anwendbar ist, ist für die Berechnung des Mindestabstands maßgeblich die Luftlinie zwischen dem Eingang der Wettvermittlungsstelle und der Grenze des Grundstücks der Schule oder Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Für Wettvermittlungsstellen, die am 22.5.2019 bestanden und zu diesem Zeitpunkt über eine bestandskräftige Baugenehmigung verfügt haben, soll ohne zeitliche Befristung regelmäßig ein Mindestabstand von 100 Metern zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu Grunde gelegt werden, § 13 Abs. 15 Satz 2 i. V. m. Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW.
53Die für die Erlaubnis zuständige Behörde darf unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standorts im Einzelfall von der Maßgabe zum Mindestabstand abweichen (§ 13 Abs. 13 Satz 4 AG GlüStV NRW).
54Das Mindestabstandsgebot für Wettvermittlungsstellen zu öffentlichen Schulen bzw. Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Die unions- und verfassungsrechtlichen Maßstäbe, namentlich in Bezug auf die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 49, 56 AEUV) sowie das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG), sind in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung seit längerer Zeit geklärt. Das Mindestabstandsgebot trägt in verhältnismäßiger und kohärenter Weise dem Anliegen Rechnung, durch Reduzierung der Verfügbarkeit das lokale Sportwettangebot zu begrenzen und dem Entstehen eines Gewöhnungseffekts für Kinder und Jugendliche zu begegnen. Der Landesgesetzgeber und die zuständigen Landesbehörden verfolgen in anderen Glücksspielbereichen keine angebotsausweitende Glücksspielpolitik, durch die diese Ziele nicht mehr wirksam verfolgt werden können. Zusätzliche wissenschaftliche Erkenntnisse oder anderweitige ergänzende Untersuchungen zum Nachweis der Wirksamkeit der Regelungen musste der Landesgesetzgeber nicht zwingend vorlegen. Wettvermittlungsstellen sollen wenigstens aus dem alltäglichen näheren Umfeld von Einrichtungen, die von Kindern und Jugendlichen besonders häufig aufgesucht werden, herausgenommen werden. Die geringfügig verschieden ausgestalteten Übergangsregelungen für Bestandsspielhallen und Bestandswettvermittlungsstellen sind kein Ausdruck einer angebotserweiternden Glücksspielpolitik. Die Einführung eines Mindestabstandsgebots verstößt auch nicht gegen das unions- und verfassungsrechtliche Gebot des Vertrauensschutzes. Nach Wegfall des Sportwettmonopols im Jahr 2012 sollte privaten Wettvermittlungsstellen erst nach Durchführung eines geregelten Verfahrens eine Erlaubnis erteilt werden. Seit Inkrafttreten der Glücksspielverordnung NRW im März 2013 sollten Wettvermittlungsstellen nur dort errichtet werden, wo ein Mindestabstand von 200 Metern Luftlinie unter anderem zu öffentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe eingehalten war. Auch wenn sich diese frühere Mindestabstandsregelung im Nachhinein als unwirksam herausgestellt hatte, mussten Betreiber von Wettvermittlungsstellen zumindest mittelfristig mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestabstands im Zuge einer unionsrechtskonformen Regulierung rechnen (dazu unten 1.). Eine Anwendung des verringerten Mindestabstands von nur 100 Metern zu öffentlichen Schulen bzw. Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gemäß § 13 Abs. 15 Satz 2 AG GlüStV NRW scheidet schon deshalb aus, weil für die streitbefangene Wettvermittlungsstelle am Stichtag 22.5.2019 keine bestandskräftige Baugenehmigung vorlag (dazu unten 2.). Ungeachtet dessen stünde der streitbefangenen Wettvermittlungsstelle auch der geringere Mindestabstand von 100 Metern entgegen, weil sich im Umkreis von unter 100 Metern um die Wettvermittlungsstelle zwei Grundschulen befinden. Auch Grundschulen stellen öffentliche Schulen i. S. d. § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW dar (dazu unten 3.). Es spricht schließlich nichts dafür, dass die Bezirksregierung unter Berücksichtigung der örtlichen Lage der Wettvermittlungsstelle vom Mindestabstandserfordernis hätte abweichen müssen (Ermessensreduzierung auf Null) oder sie ihr Ermessen insoweit fehlerhaft ausgeübt hätte (dazu unten 4.).
551. Die für Wettvermittlungsstellen geltende Mindestabstandsregelung von 350 Metern zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nach § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Die Regelung trägt namentlich der unionsrechtlichen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 56 AEUV [dazu unten a)] sowie der grundgesetzlichen Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG [dazu unten b)], dem Gebot des Vertrauensschutzes [dazu unten c)] und dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG [dazu unten d)] Rechnung.
56a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können Beschränkungen der unionsrechtlich gewährleisteten Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 56 AEUV bezogen auf Glücksspieltätigkeiten durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung oder die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen gerechtfertigt sein.
57Vgl. EuGH, Urteile vom 12.6.2014 – C-156/13, Digibet & Albers – ECLI:EU:C:2014:1756, Rn. 23, vom 19.7.2012 – C-470/11, Garkalns – ECLI:EU:C:2012:505, Rn. 39, vom 24.1.2013, C-186/11 – Stanleybet – ECLI:EU:C:2013:33, Rn. 23, vom 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media – EU:C:2010:505, Rn. 55, 64 f., und – C-316/07 u. a., Stoß –, EU:C:2010:504, Rn. 88; ferner bereits: OVG NRW, Beschluss vom 8.6.2017 – 4 B 307/17 –, juris, Rn. 32 f., m. w. N.
58Die Regelung der Glücksspiele gehört zu den Bereichen, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In Ermangelung einer Harmonisierung des betreffenden Gebiets durch die Union ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, in diesen Bereichen im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung zu beurteilen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben. Insoweit verfügen die staatlichen Stellen in dem besonderen Bereich der Veranstaltung von Glücksspielen über ein ausreichendes Ermessen bei der Festlegung der Anforderungen, die sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben. Es ist daher Sache jedes Mitgliedstaats, zu beurteilen, ob es im Zusammenhang mit den von ihm verfolgten legitimen Zielen erforderlich ist, Spiel- und Wetttätigkeiten vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollformen vorzusehen, wobei die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit der erlassenen Maßnahmen allein im Hinblick auf die verfolgten Ziele und das von den betreffenden nationalen Stellen angestrebte Schutzniveau zu beurteilen sind.
59Vgl. EuGH, Urteile vom 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media – ECLI:EU:C:2010:505, Rn. 46, vom 12.6.2014 – C-156/13, Digibet & Albers – ECLI:EU:C:2014:1756, Rn. 24, m. w. N., und vom 24.1.2013 – C-186/11 u. a., Stanleybet – ECLI:EU:C:2013:33, Rn. 24, m. w. N., 44.
60Im Bereich der Glücksspiele ist grundsätzlich gesondert für jede mit einer nationalen Rechtsvorschrift auferlegte Beschränkung zu prüfen, ob sie geeignet ist, die Verwirklichung des Ziels oder der Ziele zu gewährleisten, die von dem fraglichen Mitgliedstaat geltend gemacht werden, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels oder dieser Ziele erforderlich ist.
61Vgl. EuGH, Beschluss vom 18.5.2021 – C-920/19, Fluctus –, ECLI:EU:C:2021:395, Rn. 29, sowie Urteile vom 28.2.2018 – C-3/17, Sporting Odds – ECLI:EU:C:2018:130, Rn. 22, und vom 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media – ECLI:EU:C:2010:505, Rn. 60.
62Eine nationale Beschränkung der Spieltätigkeit ist nur dann geeignet, die Erreichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich im Licht der konkreten Anwendungsmodalitäten dem Anliegen gerecht wird, die Gelegenheit zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen.
63Vgl. EuGH, Urteile vom 24.1.2013 – C-186/11, Stanleybet –, ECLI:EU:C:2013:33, Rn. 27, m. w. N., vom 19.7.2012 – C-470/11, Garkalns –, ECLI:EU:C:2012:505, Rn. 48, und vom 8.9.2010 – C-316/07 u. a., Stoß – ECLI:EU:C:2010:504, Rn. 88 ff., sowie – C-46/08, Carmen Media – ECLI:EU:C:2010:505, Rn. 55, 64 ff.
64Einen im Widerspruch zum Gewährleistungsgehalt der betroffenen Grundfreiheiten stehenden Verstoß gegen das Kohärenzgebot hält der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung für möglich, wenn die nationalen Gerichte feststellen, dass die zuständigen Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele als die, die der in Rede stehenden Einschränkung unterliegen, eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, was zur Folge hat, dass das der Beschränkung zugrunde liegende Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, mit ihr nicht mehr wirksam verfolgt werden kann.
65Vgl. EuGH, Urteile vom 19.12.2018 – C-375/17, Stanleybet –, ECLI:EU:C:2018:1026, Rn. 51, vom 28.2.2018 – C-3/17, Sporting Odds u. a. –, ECLI:EU:C:2018:130, Rn. 24, sowie vom 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media –, ECLI:EU:C:2010:505, Rn. 68, und – C-316/07 u. a., Stoß u. a. – ECLI:EU:C:2010:504, Rn. 106.
66Insbesondere kann eine Politik der Angebotsausweitung in Bezug auf anderen Formen des Glücksspiels mit einem gleichen oder höheren Suchtpotenzial als das, das der in Rede stehenden Einschränkung unterliegt, Anlass zu dieser Schlussfolgerung geben.
67Vgl. EuGH, Urteile vom 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media –, ECLI:EU:C:2010:505, Rn. 67 f., und – C-316/07 u. a., Stoß – ECLI:EU:C:2010:504, Rn. 100, 106.
68Allein divergierende rechtliche Regelungen in unterschiedlichen Glücksspielsektoren ändern nämlich als solche nichts an der Eignung einer wirkungsvoll erscheinenden Regelung zur Verwirklichung des hiermit verfolgten legitimen Ziels, Anreize für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen. Auch eine im Detail verschiedene Umsetzung durch die Bundesländer und Kommunen führt nicht ohne Weiteres zur Inkohärenz einer Regelung, weil deren jeweilige Zuständigkeit einschließlich der wegen der lokalen Selbstverwaltung verbleibenden Ermessensspielräume nach Art. 4 Abs. 2 EUV unionsrechtlich zu achten ist.
69Vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 8.9.2010 – C-316/07 u. a., Stoß – ECLI:EU:C:2010:504, Rn. 95 f., – C-46/08, Carmen Media – ECLI:EU:C:2010:505, Rn. 62 f., und vom 12.6.2014 – C-156/13, Digibet & Albers – ECLI:EU:C:2014:1756, Rn. 33 ff.
70Dabei obliegt es allerdings dem Mitgliedstaat, der sich auf ein Ziel berufen möchte, mit dem sich eine Beschränkung insbesondere des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen lässt, dem Gericht, das über diese Frage zu entscheiden hat, alle Umstände darzulegen, anhand derer dieses Gericht sich vergewissern kann, dass die Maßnahme tatsächlich den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen genügt.
71Vgl. EuGH, Urteil vom 30.4.2014 – C-390/12, Pfleger –, ECLI:EU:C:2014:281, Rn. 50, m. w. N.
72Die betreffende Regelung muss nicht nur im Moment ihres Erlasses, sondern auch danach dem verfolgten Anliegen entsprechen. Der Ansatz des Gerichts im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit darf folglich nicht statisch, sondern muss dynamisch sein, so dass die Entwicklung der Umstände nach dem Erlass der genannten Regelung berücksichtigt werden muss.
73Vgl. EuGH, Urteile vom 30.6.2016 – C-464/15, Admiral Casino –, ECLI:EU:C:2016:500, Rn. 34, 36 f., und vom 14.6.2017 – C-685/15, Online Games –, ECLI:EU:C:2017:452, Rn. 53.
74Die Rechtfertigung einer Beschränkung im Bereich des Glückspielwesens setzt allerdings nicht, wie die Beigeladene unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19.10.2016 – C-148/15, Deutsche Parkinson Vereinigung e. V. –, ECLI:EU:C:2016:776, meint, zwingend den Nachweis vorhandener Rechtfertigungsgründe durch wissenschaftliche Erkenntnisse und Untersuchungen voraus. Eine so weitreichende Einschränkung des Handlungsspielraums der Mitgliedstaaten lässt sich dieser Entscheidung für den Bereich des Glücksspielwesens nicht entnehmen. Die angeführte Entscheidung betrifft die Vereinbarkeit einer gesetzlichen Vorgabe eines einheitlichen Apothekenabgabepreises für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel mit den Vorgaben zur Rechtfertigung einer Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs im Rahmen von Art. 36 AEUV. Hierzu hat der Gerichtshof ausgeführt, dass ein nationales Gericht bei der Prüfung einer nationalen Regelung daraufhin, ob sie zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt ist, mit Hilfe statistischer Daten, auf einzelne Punkte beschränkter Daten oder anderer Mittel objektiv prüfen müsse, ob die von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlaubten, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet seien, und ob es möglich sei, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränkten.
75Vgl. EuGH, Urteil vom 19.10.2016 – C-148/15, Deutsche Parkinson Vereinigung e. V. – ECLI:EU:C:2016:776 –, Rn. 36.
76Die angeführte Entscheidung des Gerichtshofs betrifft indes weder den Bereich der staatlichen Glückspielregulierung noch die Beschränkung der Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit in diesem Bereich. Für den Bereich des Glücksspielrechts hat der Gerichtshof bereits ausdrücklich klargestellt, dass einem Mitgliedstaat nicht nur deshalb die Möglichkeit genommen ist, zu belegen, dass eine innerstaatliche restriktive Maßnahme den zu ihrer Rechtfertigung erforderlichen Anforderungen genügt, weil er keine Untersuchungen vorlegen kann, die dem Erlass der fraglichen Regelung zugrunde lagen.
77Vgl. EuGH, Urteile vom 8.9.2010 – C-316/07 u. a., Stoß – ECLI:EU:C:2010:504, Rn. 72, und vom 30.4.2014 – C-390/12, Pfleger –, ECLI:EU:C:2014:281, Rn. 51; so etwa auch Hamb. OVG, Beschluss vom 30.3.2023 – 4 Bs 171/22 –, juris, Rn. 28.
78Dabei hat der Gerichtshof ausdrücklich betont, dass die aufgeworfene Frage, ob die nationalen Behörden, um restriktive Maßnahmen rechtfertigen zu können, in der Lage sein müssten, eine vor dem Erlass dieser Maßnahmen durchgeführte Untersuchung vorzulegen, die ihre Verhältnismäßigkeit untermauere, auf ein fehlerhaftes Verständnis seines Urteils vom 13.11.2003 – C-42/02, Lindman –, ECLI:EU:C:2003:613, zurückgehe. Der Gerichtshof habe (nur) hervorgehoben, dass ein Mitgliedstaat, der sich auf ein Ziel berufen wolle, mit dem sich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs durch eine restriktive nationale Maßnahme rechtfertigen lasse, dem Gericht, das über diese Frage zu entscheiden habe, alle Umstände vorlegen müsse, anhand derer dieses Gericht sich vergewissern könne, dass die Maßnahme tatsächlich den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen genüge.
79Vgl. EuGH vom 8.9.2010 – C-316/07 u. a., Stoß – ECLI:EU:C:2010:504, Rn. 71, sowie ferner Schlussanträge des Generalanwalts vom 4.3.2010 – C-316/07 u. a., Stoß – ECLI:EU:C:2010:109, Rn. 81 ff., wonach eine erstellte Studie oder eine durchgeführte Untersuchung, die als Grundlage der von einem Mitgliedstaat geltend gemachten Rechtfertigung diene, einen Vorteil, aber keine „conditio sine qua non“ darstelle.
80Dass der Europäische Gerichtshof vor dem aufgezeigten Hintergrund in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Rechtfertigungen von Einschränkungen im Glückspielwesen diese deutlich verschärfen bzw. sogar an „sehr viel höhere Anforderungen“ habe knüpfen wollen, als dies nach deutschem Verfassungsrecht der Fall wäre, lässt sich der von der Beigeladenen zitierten Entscheidung nicht entnehmen, zumal diese nicht einmal einen Bezug auf die zuvor dargestellte ständige Rechtsprechung nimmt und sich nicht zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in Bezug auf das Glückspielwesen verhält.
81In der weiteren von der Beigeladenen in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidung hat der Gerichtshof vielmehr nochmals hervorgehoben, dass die nationalen Gerichte zu prüfen hätten, welche Ziele mit der betreffenden nationalen Regelung tatsächlich verfolgt würden und ob die durch die Regelung auferlegten Beschränkungen den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit genügten. Hierzu müssten sich die Gerichte im Licht der konkreten Anwendungsmodalitäten der betreffenden restriktiven Regelung vergewissern, dass sie tatsächlich dem Anliegen entspreche, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern.
82Vgl. EuGH, Urteil vom 14.6.2017 – C-685/15, Online Games –, ECLI:EU:C:2017:452, Rn. 51.
83Im Übrigen steht es nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jedem Wirtschaftsteilnehmer offen, bei dem eine nationale Behörde begründete Erwartungen geweckt hat, sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berufen. Ist jedoch ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, den Erlass einer Maßnahme vorherzusehen, die seine Interessen berühren kann, so kann er sich im Fall ihres Erlasses nicht auf diesen Grundsatz berufen. Zudem sind die Wirtschaftsteilnehmer nicht berechtigt, auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation zu vertrauen, die die nationalen Behörden im Rahmen ihres Ermessens ändern können.
84Vgl. EuGH, Urteil vom 22.9.2022 – C-475/20 u. a., Admiral Gaming –, ECLI:EU:C:2022:714, Rn. 60 ff., m. w. N.
85Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs musste damit gerechnet werden, dass Anträge auf Erteilung einer Wettvermittlungserlaubnis nach Ersetzung des früheren unionsrechtswidrigen Monopols durch ein unionsrechtskonformes System der vorherigen behördlichen Genehmigung auf der Grundlage objektiver und nichtdiskriminierender Kriterien zum angestrebten Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung zu beurteilen sein würden.
86Vgl. auf EuGH, Urteil vom 24.1.2013 – C-186/11 u. a., Stanleybet –, ECLI: EU:C:2013:33, Rn. 38 f., 47 f., und vom 4.2.2016 – C-336/14, Ince –, ECLI:EU:C:2016:72, Rn. 55.
87b) Soweit ein Mindestabstandsgebot zudem in das Grundrecht der freien Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG eingreift, hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit bereits betont, dass die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts an die staatliche Bekämpfung der Spielsucht parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Unionsrecht formulierten Vorgaben laufen.
88Vgl. BVerfG, Urteil vom 28.3.2006 – 1 BvR 1054/01 –, BVerfGE 115, 276 = juris, Rn. 144, m. w. N.
89Ein Eingriff in die Berufsfreiheit darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Der Eingriff muss zur Erreichung eines legitimen Eingriffsziels geeignet sein und darf nicht weitergehen, als es die Gemeinwohlbelange erfordern; ferner müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen. An objektive Berufszugangsregelungen sind dabei grundsätzlich gesteigerte Anforderungen zu stellen. Die Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht und weiterer negativer Begleiterscheinungen des Spiel- und Wettbetriebs stellen ein legitimes Ziel für die Berufsfreiheit einschränkende Regelungen dar. Die suchtpräventiv ausgerichtete staatliche Regulierung in einem Glücksspielsegment darf allerdings nicht durch die fiskalische Ausrichtung der Regulierung in einem anderen Segment konterkariert werden. Unterschiedliche Regelungen verschiedener Glücksspielformen sind jedoch zulässig, sofern der Gesetzgeber eine angemessene Suchtprävention nicht außer Acht lässt. Föderal unterschiedliche oder auch konkurrierende Lösungswege sind zudem im Bundesstaat angelegt.
90Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. –, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 121 ff., 123, m. w. N.
91c) Das Grundrecht aus Art. 12 GG verlangt zudem, dass dem Grundsatz des Vertrauensschutzes Rechnung getragen wird.
92Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. –, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 188.
93Treten – wie hier im Fall des Mindestabstandsgebots für eine bereits bestehende Wettvermittlungsstelle – belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung ein (sogenannte unechte Rückwirkung), die tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden, ist dies grundsätzlich zulässig. Allerdings können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen.
94Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012 – 1 BvL 6/07 –, BVerfGE 132, 302 ff., juris, Rn. 43, m. w. N.
95Der Grundsatz des Vertrauensschutzes verleiht jedoch kein uneingeschränktes Recht auf Amortisierung getätigter Investitionen. Auch ein in umfangreichen Dispositionen betätigtes besonderes Vertrauen in den Bestand des geltenden Rechts begründet grundsätzlich noch keinen abwägungsresistenten Vertrauensschutz.
96Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. –, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 189, m. w. N.
97d) Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es schließlich, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierende Regelungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angemessen sind.
98Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. –, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 171; OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 82 f., unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 16.12.2016 – 8 C 6.15 –, juris, Rn. 76, m. w. N.
99e) Gemessen an diesen Maßstäben verstößt die Einführung eines Mindestabstandsgebots zwischen Wettvermittlungsstellen und öffentlichen Schulen bzw. Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe mit § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW nicht gegen die Vorgaben des Unions- oder Verfassungsrechts. Das Mindestabstandsgebot ist zur Bekämpfung der Spielsucht geeignet [dazu unten (aa)], erforderlich [dazu unten (bb)] und verhältnismäßig im engeren Sinne [dazu unten (cc)]. Die Einführung des Mindestabstandsgebots verstößt auch nicht gegen das Gebot des Vertrauensschutzes [(dazu unten (dd)]. Es ist schließlich nicht erkennbar, dass die mit dem Mindestabstandsgebot verfolgte Zielsetzung durch eine gegenläufige auf Ermunterung zur Teilnahme an Glückspielen angelegte oder eine angebotserweiternde Politik in anderen Sektoren des Glücksspielwesens nicht mehr wirksam verfolgt werden und damit inkohärent erscheinen könnte [(dazu unten (ee)].
100aa) Die Einführung eines Mindestabstands von Wettvermittlungsstellen zu öffentlichen Schulen bzw. Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe dient dem Schutz von Minderjährigen als besonders vulnerablen Personen vor den Gefahren des Glücksspiels. Die Regelung fördert die Begrenzung des lokalen Sportwettangebots durch Reduzierung der Verfügbarkeit und trägt zum Schutz von Minderjährigen in dem alltäglichen näheren Umfeld von Einrichtungen, die von ihnen besonders häufig aufgesucht werden, im Rahmen des Einschätzungs- und Prognosevorrangs des Gesetzgebers dazu bei, einen Gewöhnungseffekt für Kinder und Jugendliche an die Existenz von Wettvermittlungsstellen zu vermeiden.
101Vgl. LT-Drs. 17/12978, S. 84 f., und LT-Drs. 17/6611, S. 36.
102Dem Anliegen, durch eine Reduzierung der für die Ansiedelung von Wettvermittlungsstellen zur Verfügung stehenden Standorte und eine Begrenzung der Wettvermittlungsstellendichte die generelle Zugänglichkeit zu Wettangeboten im öffentlichen Raum zu reduzieren, kommt nach der insoweit auf Wettvermittlungsstellen übertragbaren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auf die der Landesgesetzgeber sich zur Begründung des Mindestabstandsgebots ausdrücklich bezogen hat,
103vgl. LT-Drs 17/6611, S. 36,
104sogar die höchste Wirksamkeit bei der Verhinderung und Bekämpfung der Spielsucht zu.
105Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. –, BVerfGE145, 20 = juris, Rn. 150.
106Auch die grundsätzliche Eignung von Mindestabständen, um gerade bei besonders schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen einen Gewöhnungseffekt durch ein stets verfügbares Angebot zu vermeiden, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundlegend geklärt.
107Vgl. zum Mindestabstandsgebot für Spielhallen BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. –, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 152; sowie ferner BVerwG, Urteil vom 5.4.2017 – 8 C 16.16 –, juris, Rn. 37; OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 69 ff., m. w. N.
108Das Abstandsgebot von Spielhallen zu Kinder- und Jugendeinrichtungen ist nach der ebenfalls auf Wettvermittlungsstellen übertragbaren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls förderlich, um einen verstärkten Jugendschutz zu erreichen. Indem wenigstens in der Nähe der von ihnen besonders häufig aufgesuchten Einrichtungen auch Wettvermittlungsstellen aus dem alltäglichen näheren Umfeld der Kinder und Jugendlichen herausgenommen werden, wird erreicht, dass diese in geringerem Maße Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit sind. Gerade bei besonders schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen kann so ein Gewöhnungseffekt durch ein stets verfügbares Angebot vermieden werden.
109Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. –, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 152.
110Unter Berücksichtigung des den Mitgliedstaaten zukommenden Ermessens bei der Festlegung der Anforderungen, die sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben, überschreitet der Landesgesetzgeber mit seiner von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gebilligten und von seinem gerichtlich nur in begrenztem Umfang überprüfbaren Beurteilungs- und Prognosespielraum gedeckten Einschätzung,
111vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. –, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 149,
112dass ein Mindestabstandsgebot zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zur Begrenzung des lokalen Sportwettangebots durch Reduzierung der Verfügbarkeit und zur Vermeidung eines Gewöhnungseffektes zumindest förderlich ist, weiterhin nicht die durch das höherranginge Recht gezogenen Grenzen. Auch unter Beachtung des unionsrechtlichen Gebots, die Entwicklung der Umstände bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer beschränkenden Regelung nach deren Erlass zu berücksichtigen, ist nicht erkennbar, dass die Annahmen des Gesetzgebers zwischenzeitlich ihre Tragfähigkeit verloren hätten. Die insoweit von der Beigeladenen und der Klägerin erhobenen Einwände greifen nicht durch.
113Die Eignung des Mindestabstandsgebots zur Reduzierung der Verfügbarkeit von Wettvermittlungsstätten steht außer Frage. Zudem hat der Senat mit Blick auf die von der Beigeladenen angeführte aus dem Jahr 2014 stammende Studie "Konsum von Glücksspielen bei Kindern und Jugendlichen: Verbreitung und Prävention" bereits angenommen, dass diese die vom Gesetzgeber ergänzend angenommene Gefahr eines Gewöhnungseffekts bestätigt.
114Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.9.2022 – 4 B 654/22 –, juris, Rn. 21 ff.
115In der genannten Studie wird insoweit auf Seite 134 f. im Hinblick auf Werbung für Glückspiel beschrieben, dass „zwar […] die reine Bekanntheit eines Produkts noch kein hinreichender Indikator für die reale Nutzung desselben (sei), jedoch […] Studien zum sog. Mere-Exposure-Effect (also der häufigen und wiederholten Darbietung ein und desselben Objekts) [zeigten], dass allein die Vertrautheit, die sich durch häufige Konfrontation mit einem Objekt [aufbaue], zu einer positiveren Bewertung desselben [führe]“.
116Die der gesetzgeberischen Entscheidung zugrundeliegende Annahme ist nicht offensichtlich fehlsam, dass im Straßenbild auftauchende Wettvermittlungsstellen in der Nähe von öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ebenfalls zu einem entsprechenden Gewöhnungseffekt führten. Mit der regelmäßigen Konfrontation mit als solche erkennbaren Wettvermittlungsstellen auf dem täglichen Schulweg bzw. dem Weg zu Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen geht ein entsprechender Gewöhnungseffekt einher, den die gesetzliche Abstandsregelung zur Vorbeugung von Suchtgefahren gerade vermeiden will.
117Das gesetzliche Werbeverbot für Wettvermittlungsstellen nach § 13a Abs. 1 Satz 3 und 4 AG GlüStV NRW stellt den Eintritt eines Gewöhnungseffekts nicht in Zweifel. Hiernach darf von der äußeren Gestaltung der Wettvermittlungsstelle keine Werbung für den Wettbetrieb oder die angebotenen Wetten ausgehen und kein zusätzlicher Anreiz für den Wettbetrieb durch eine besonders auffällige äußere Gestaltung geschaffen werden. Mit ihrem Vorbringen zeigt die Beigeladene die fehlende Übertragbarkeit eines sogenannten Mere-Exposure-Effekts auf Wettvermittlungsstellen gerade nicht auf. Dieser sei im ursprünglichen Studiendesign für die Probanden anhand diesen dargebotenen, für sie unverständlichen komplexen chinesischen Schriftzeichen bzw. später anhand von Fotos mit Sehenswürdigkeiten, denen unauffällig zusätzlich Plakate verschiedener Bonbons beigefügt waren, nachgewiesen worden. Die von der Beigeladenen erwähnten Objekte (komplexe unverständliche chinesische Schriftzeichen bzw. Bonbon-Plakate), auf die sich der Gewöhnungseffekt bezog, zeichnen sich in der so skizzierten Versuchsgestaltung allerdings gerade nicht durch ihre auffällige, zusätzliche Anreize schaffende Gestaltung aus. Im Gegenteil sind bei dieser Versuchsbeschreibung die Versuchsobjekte dadurch gekennzeichnet, dass sie unscheinbar wirken bzw. als bloßes Beiwerk zu einem potentiellen Objekt von Interesse daherkommen. Zumindest ausgehend hiervon kann auch äußerlich jedenfalls anhand ihres Logos als solche erkennbaren Wettvermittlungsstellen nicht schon von vornherein die Eignung abgesprochen werden, einen Gewöhnungseffekt auszulösen. Auch verfängt der Einwand zumindest in dieser Pauschalität nicht, dass der Eintritt eines Mere-Exposure-Effekts jedenfalls deshalb nicht zu befürchten sei, weil dieser voraussetze, eine bestimmte Sache bzw. ein Produkt werde anfangs jedenfalls neutral, nicht aber negativ oder zumindest skeptisch beurteilt, während die meisten Kinder und Jugendlichen über die Gefahren von Glücksspiel und Sportwetten aufgeklärt seien. Selbst wenn dies für viele Kinder und Jugendliche zutreffen mag, entspricht es gerade der mit dem Mindestabstandsgebot verfolgten Zielsetzung, auch Kinder und Jugendliche vor den von Wettvermittlungsstellen ausgehenden Risiken zu schützen, die diesen zunächst neutral und unbefangen gegenüberstehen.
118Die Eignung des Mindestabstandsgebots zur Suchtprävention wird auch nicht durch die von der Beigeladenen als „geradezu omnipräsent“ bezeichnete Werbung für diverse Sportwettanbieter in Fernsehen, Internet und Medien widerlegt. Die sinngemäße Annahme des Gesetzgebers, Orte, an denen Sportwetten vermittelt würden, würden von Kindern und Jugendlichen als Teil der unmittelbaren realen Umgebung anders wahrgenommen als mediale Sportwettenwerbung, ist von seinem Einschätzungs- und Prognosespielraum noch gedeckt. Dass daneben ggf. ein weiterer Gewöhnungseffekt durch die mediale Präsenz entsprechender Werbung eintritt, auch wenn sie die rechtlichen Beschränkungen hierfür nach § 5 GlüStV 2021 beachtet, hebt die Eignung des Mindestabstands zur Reduzierung der Verfügbarkeit von Wettvermittlungsstätten sowie zur Verhinderung eines Gewöhnungseffekts für Kinder und Jugendliche nicht auf.
119Da ein dauerhafter Leerstand von Wettvermittlungsstellen, die wegen Verstoßes gegen die Mindestabstandsregelung aufgegeben werden, wirtschaftlich regelmäßig nicht droht, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gewöhnungseffekt, der mit der Regelung verhindert werden soll, ohnehin eintritt und die Regelung deshalb zur Zielerreichung ungeeignet ist. Soweit ein Gewöhnungseffekt in Einzelfällen bezogen auf die aktuelle Schülergeneration schon eingetreten ist, können zumindest künftige Schülergenerationen noch in den Genuss der Regelung gelangen.
120bb) Das Abstandsgebot ist auch erforderlich. Es geht nicht über das hinaus, was die Erreichung der gesetzlichen Zielsetzungen erfordert. Mildere, gleich effektive Mittel, um das lokale Sportwettangebot zu reduzieren und Gewöhnungseffekte zu vermeiden, sind unter Berücksichtigung des dem Gesetzgeber zukommenden Beurteilungs- und Prognosespielraums nicht ersichtlich.
121Vgl. hierzu bereits BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. –, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 153 f.
122Namentlich weitere Auflagen zur Verringerung der Sichtbarkeit von Wettvermittlungsstellen im öffentlichen Raum und zu an die üblichen Schulzeiten angepassten Öffnungszeiten stellen im Verhältnis zu einem Mindestabstandsgebot kein gleich effektives Mittel dar. Sie wären bereits nicht gleichermaßen geeignet, die gesetzgeberisch angestrebte zahlenmäßige Begrenzung von Wettvermittlungsstellen im öffentlichen Raum herbeizuführen. Angepasste Öffnungszeiten änderten zudem nichts an der nach Einschätzung des Gesetzgebers für den Gewöhnungseffekt maßgeblichen Wahrnehmbarkeit der Wettvermittlungsstellen im öffentlichen Raum. Zwar vermag eine angepasste Außengestaltung einer Wettvermittlungsstelle deren Wahrnehmbarkeit zu reduzieren. Die gesetzgeberisch intendierte weitgehend vollständige Vermeidung von Wettvermittlungsstellen im näheren Umfeld von Einrichtungen, die regelmäßig von Kindern und Jugendlichen aufgesucht werden, kann indes auch eine angepasste Außengestaltung nicht erreichen. Dasselbe gilt für eine Erhöhung der Altersgrenze auf 21 Jahre für den Zutritt in Wettvermittlungsstellen sowie für ohnehin obligatorische Zutrittskontrollen (vgl. § 13 Abs. 6 AG GlüStV NRW).
123cc) Das Mindestabstandsgebot ist schließlich verhältnismäßig im engeren Sinne. Die hiermit verbundenen Einschränkungen für Betreiber von Wettvermittlungsstellen belasten diese im Verhältnis zu den mit dem Abstandsgebot verfolgten Zielrichtungen nicht übermäßig und überschreiten nicht die Grenze der Zumutbarkeit.
124Vgl. insoweit zur Angemessenheit eines Mindestabstandsgebot für Spielhallen bereits BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. –, BVerfGE 145, 20, juris, Rn. 155.
125Angesichts der vom gesetzgeberischen Prognose- und Beurteilungsspielraum gedeckten Einschätzung, die Mindestabstandsvorgaben dienten neben der Reduzierung der Verfügbarkeit von Wettvermittlungsstellen dem Schutz von Minderjährigen vor den Gefahren des Glücksspiels, wiegt der hiermit letztlich verfolgte Zweck besonders schwer, weil es sich hierbei um ein besonders wichtiges Gemeinwohlziel handelt. Die hiergegen insbesondere vorgebrachte Relativierung der Gefahren eines Gewöhnungseffekts, wonach dieser bestenfalls niedrig sei, tatsächlich jedoch gegen „Null“ gehe, vermag die hiervon abweichende, für die rechtliche Beurteilung allein maßgebliche gesetzgeberische Einschätzung nicht zu widerlegen.
126dd) Die vorbehaltlich der Übergangsregelung in § 13 Abs. 15 Satz 2 AG GlüStV NRW sämtliche bereits bestehenden Wettvermittlungsstellen betreffende Einführung des Mindestabstandsgebots verstößt nicht gegen das sowohl in Art. 12 Abs. 1 GG als auch dem Unionsrecht verankerte Gebot des Vertrauensschutzes. Die Erstreckung der Mindestabstandsregelung auch auf bereits bestehende Wettvermittlungsstellen ist nach den oben aufgezeigten Maßstäben verhältnismäßig. Verfassungs- oder unionsrechtlich zwingende Gründe dafür, dem Vertrauensschutz von Altbetreibern von Wettvermittlungsstellen über die Bestandsschutzregelungen in § 13 Abs. 15 AG GlüStV NRW hinausgehend Raum zu verschaffen, bestehen angesichts des fehlenden schutzwürdigen Vertrauens von Wettvermittlungsstellenbetreibern hingegen nicht.
127Mit den Bestandsschutzregelungen in § 13 Abs. 14 AG GlüStV NRW in der Fassung vom 3.12.2019 und § 13 Abs. 15 AG GlüStV NRW in der gegenwärtigen Fassung vom 23.6.2021 hat der Gesetzgeber bereits Erwartungen von Betreibern, deren Wettvermittlungsstellen zum Stichtag über eine wirksame Baugenehmigung verfügt haben, unter Vertrauensschutzgesichtspunkten Rechnung getragen.
128Vgl. LT-Drs. 17/12978, S. 85 f., und LT-Drs. 17/6611, S. 38 f.
129Den Betreibern von auf der Grundlage von bestandskräftigen Baugenehmigungen entstandenen Wettvermittlungsstellen wurde seit dem 1.7.2021 auch in Bezug auf öffentliche Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ein "Bestandsschutz" zugebilligt. Dies galt allerdings zur Wahrung des Regelungszwecks nicht für alle Wettvermittlungsstellen. Ungeachtet hierfür erteilter Baugenehmigungen sollten Wettvermittlungsstellen in unmittelbarer Nähe zu öffentlichen Schulen sowie Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen auch durch diese Übergangsregelung wirksam vermieden werden.
130Vgl. LT-Drs. 17/12978, S. 85 f.; OVG NRW, Beschluss vom 8.12.2023 – 4 B 511/22 –, juris, Rn. 30.
131Weitergehender Bestandsschutzregelungen bedurfte es hingegen nicht, weil den bisherigen Betreibern von Wettvermittlungsstellen bewusst sein musste, dass das von ihnen betriebene Gewerbe jedenfalls mittelfristig einem ihre Betätigung einschränkenden Regelungsregime unterworfen würde. Nach den Vorstellungen des Gesetz- und Verordnungsgebers sollten nach Wegfall des Sportwettmonopols und Einführung des Erlaubniserfordernisses im Jahr 2012 für private Wettvermittlungsstellen diese erst nach Durchführung eines geregelten Erlaubnisverfahrens und seit Inkrafttreten der Glücksspielverordnung NRW im März 2013 – auch wenn sich die entsprechende Regelung im Nachhinein als unwirksam herausgestellt hatte – nur dort errichtet werden, wo ein Mindestabstand von 200 Metern Luftlinie unter anderem zu öffentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe eingehalten war.
132Außer für Wetten bei öffentlichen Leistungsprüfungen für Pferde, die nach dem Rennwett- und Lotteriegesetz in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften vom 24.8.2002 (BGBl. I S. 3412, 3420) erlaubt werden konnten, kannte das Bundesrecht in der Vergangenheit keine Erlaubnistatbestände für die private Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten. Auf landesgesetzlicher Grundlage erlaubten die Länder lediglich die Veranstaltung von Lotterien und Wetten durch den Staat oder von ihm beherrschte Unternehmen in Privatrechtsform. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum staatlichen Wettmonopol im Jahr 2006,
133vgl. BVerfG, Urteil vom 28.3.2006 – 1 BvR 1054/01 –, BVerfGE 115, 276 = juris,
134waren die Landesgesetzgeber zwar verfassungsrechtlich gehalten, den Bereich der Sportwetten neu zu regeln. Hieraus ergab sich hingegen nicht die Pflicht zur Marktöffnung. Das Bundesverfassungsgericht hatte vielmehr festgestellt, dass ein staatliches Monopol für Sportwetten mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG dann vereinbar ist, wenn es konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist.
135Vgl. BVerfG, Urteil vom 28.3.2006 – 1 BvR 1054/01 –, BVerfGE 115, 276 = juris, Rn. 97 ff.,120 ff. sowie bereits OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 90 ff.
136Angesichts dessen haben die Landesgesetzgeber mit dem am 1.1.2008 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrag einen neuen einheitlichen Rahmen für die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung von Glücksspielen geschaffen, um den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen zu genügen und an der Monopolregelung festgehalten (vgl. § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV 2008). Erst vor dem Hintergrund der Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielstaatsvertrags 2008,
137vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.6.2013 – 8 C 17.12 –, juris, Rn. 37 ff., unter Verweis auf EuGH, Urteile vom 8.9.2010 – C-316/07 u. a., Stoß – ECLI:EU:C:2010:504, und – C-46/08, Carmen Media – ECLI:EU:C:2010:505, vorgehend OVG NRW, Urteil vom 21.2.2012 – 4 A 2847/08 –, juris, Rn. 27 ff.
138wurde erstmalig mit dem Ersten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15.12.2011 der bis dahin unregulierte Bestand der privaten Wettvermittlungsstellen einem Erlaubnisverfahren unterstellt. Ziel war es, den entstandenen Schwarzmarkt zu bekämpfen und, unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten, den Sportwettenmarkt in geordnete Bahnen zu lenken. Hierfür wurde das Sportwettangebot zunächst probeweise für private Konzessionsnehmer für einen Zeitraum von sieben Jahren ab Inkrafttreten des Vertrages geöffnet (vgl. § 10a GlüStV 2012).
139Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 98 ff., m. w. N.
140Nach den Vorstellungen des Gesetz- und Verordnungsgebers sollten auch nach Wegfall des Sportwettmonopols und Einführung des Erlaubniserfordernisses durch § 10a des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags vom 15.12.2011 im Jahr 2012 für private Wettvermittlungsstellen diese erst nach Durchführung eines geregelten glücksspielrechtlichen Erlaubnisverfahrens und seit Inkrafttreten der Verordnung zur Änderung der GlücksspielVO NRW vom 8.3.2013 (GV. NRW. S. 138) am 29.3.2013 nach § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW nur dort errichtet werden, wo ein Mindestabstand von 200 Metern Luftlinie zur nächstgelegenen Wettvermittlungsstelle und zu öffentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe eingehalten war.
141Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.12.2023 – 4 B 511/22 –, juris, Rn. 26.
142Nachdem der Senat mit seinem Beschluss vom 29.3.2017 allerdings entschieden hatte, dass § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW dem Betrieb von Wettvermittlungsstellen bei summarischer Prüfung voraussichtlich nicht entgegenstehe, weil die Vorschrift nicht auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruht haben dürfte,
143vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.3.2017 – 4 B 919/16 –, juris, Rn. 26 ff.,
144und Konzessionen an Wettveranstalter aufgrund eines schwebenden Rechtsstreits vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof nicht erteilt werden konnten, war der Betrieb von Wettvermittlungsstellen, die die übrigen materiellen Voraussetzungen des Gesetzes erfüllten, in Nordrhein-Westfalen bis zu einer Änderung der Rechtslage in Form der Einführung eines unionsrechtskonformen Erlaubnisverfahrens lediglich wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht verboten.
145Vgl. LT-Drs. 17/6611, S. 38, sowie OVG NRW, Urteil vom 21.1.2017 – 4 A 3244/06 –, juris, Rn. 27, 37 ff.
146Angesichts dieser Gesetzeshistorie musste den Betreibern von Wettbüros von vornherein bewusst sein, dass das von ihnen betriebene Gewerbe mittelfristig einem gesetzlichen Regelungsregime unterworfen werden sollte, von dem der Fortbestand abhängen würde. Wegen der zunächst noch unwirksamen Verordnungsregelung musste seit 2013 konkret mit der Einführung eines wirksamen Mindestabstandsgebots auch zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gerechnet werden. Die restriktive Zulassungsabsicht des Gesetzgebers war von Anfang an erkennbar und hat sodann in § 10a Abs. 5 Satz 1 GlüStV 2012 (siehe nunmehr § 21a Abs. 1 GlüStV 2021), wonach die Zahl der Wettvermittlungsstellen zur Erreichung der Ziele des Glücksspielstaatsvertrags (vgl. § 1 GlüStV 2012) zu begrenzen ist, auch normativ Ausdruck gefunden. Ein uneingeschränkt schutzwürdiges Vertrauen darauf, ihren Betrieb unverändert nach der seit langem dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich aufgegebenen Neuregelung selbst in unmittelbarer Nähe von öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe fortführen zu können, konnte, wie der Senats bereit entschieden hat, auch angesichts des etwa in § 1 Nr. 3 GlüStV 2008 genannten Ziels der Gewährleistung des Jugend- und Spielerschutzes bereits nicht entstehen.
147Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 102 ff., m. w. N.
148Vor dem Hintergrund ändert es auch nichts, dass es angesichts der fehlenden Konzessionserteilung an Wettveranstalter für Betreiber von Wettvermittlungsstellen faktisch jedenfalls nicht vor Oktober 2020 realistisch möglich war, eine Erlaubnis zum Betrieb von Wettvermittlungsstellen zu erhalten.
149Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 31 f.
150Hieraus ergab sich keine den Betreibern von Spielhallen vergleichbar schützenswerte Rechtsposition von Betreibern von ohne jegliche glücksspielrechtliche Regulierung entstandenen Wettvermittlungsstellen für die Zukunft. Selbst wenn es schon früher ein unionsrechtskonformes Erlaubnisverfahren und eine gültige Mindestabstandsregelung zu Schulen sowie Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen gegeben hätte, hätten Wettvermittlungsstellen jedenfalls im Umfeld von bis zu 100 Metern um diese Einrichtungen gar nicht zulässigerweise entstehen können.
151Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 105, und vom 8.12.2023 – 4 B 511/22 –, juris, Rn. 30.
152ee) Die Einführung des Mindestabstandsgebots wahrt auch das unionsrechtliche Kohärenzgebot. Es ist nicht erkennbar, dass der zuständige Landesgesetzgeber und die die glücksspielrechtlichen Regelungen ausführenden Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die Sportwettenvermittlung selbst oder in Bezug auf andere Formen des Glücksspiels eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen. Ausgehend von der gefestigten Rechtsprechung hierzu stellen sich keine entscheidungserheblichen unklaren unionsrechtlichen Rechtsfragen, die eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erfordern könnten.
153(1) Das Mindestabstandsgebot ist nicht schon deshalb inkohärent, weil nach § 13a Abs. 1 Sätze 1 und 2 AG GlüStV NRW Wettvermittlungsstellen zur Kriminalitäts- und Suchtprävention so zu gestalten sind, dass sie gut einsehbar sind und insbesondere das Anbringen oder Aufstellen eines Sichtschutzes verboten ist. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Reglung erkennbar keine Zielsetzung, die der mit dem Mindestabstandsgebot verfolgten zuwiderläuft. Insbesondere verfolgt er keine für Kinder und Jugendliche Anreize bietende bzw. auf die Ermunterung zum Glückspiel hinauslaufende Ausweitungspolitik. Vielmehr sind in der Vorschrift selbst bereits die Kriminalitäts- und Suchtprävention (Absatz 1 Satz 1) als nach § 1 Satz 1 GlüStV gegenüber dem Jugendschutz gleichrangige Ziele benannt. Durch die Regelung soll die Transparenz des Spielbetriebs durch die Einsehbarkeit von außen gefördert werden.
154Vgl. LT-Drs. 17/6611, S. 38.
155Eine ohnehin nur – wie in dem von der Klägerin beschriebenen Szenario – bei zugespitzter Betrachtung möglicherweise bestehende Anreizwirkung auf Kinder und Jugendliche war gesetzgeberisch hingegen keineswegs beabsichtigt und drängt sich angesichts der üblichen Abläufe in Wettvermittlungsstellen auch tatsächlich nicht auf.
156(2) Das Mindestabstandsgebot ist auch nicht vor dem Hintergrund der für Bestandsspielhallen geltenden Regelungen inkohärent, die anders als Bestandswettvermittlungsstellen nach § 13 Abs. 15 Satz 2 i. V. m. Abs. 13 Satz 2 gemäß § 18 Abs. 1 AG GlüStV NRW keinen Abstand zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe halten müssen. Der Senat hat bereits mehrfach, auch im Hinblick auf den von der Beigeladenen angeführten Beschluss des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21.3.2023 – 23 CS 22.2677 – entschieden und näher ausgeführt, dass die Abstandsregelung für Bestandswettvermittlungsstellen insbesondere mit Blick auf die für Bestandsspielhallen geltende Übergangsregelung dem unionsrechtlichen Kohärenzgebot entspricht.
157Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8.12.2023 – 4 B 511/22 –, juris, Rn. 15 ff., m. w. N. und vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 66 ff., 84 ff., m. w. N.
158Die verschiedenen Übergangsregelungen rechtfertigen sich hiernach aus der unterschiedlichen rechtlichen Schutzwürdigkeit von bereits seit langem gesetzlich regulierten Bestandsspielhallen und bislang unregulierten privaten Bestandswettvermittlungsstellen.
159Die Eignung der Regelungen zum Mindestabstandsgebot zur Zielerreichung wird daher nicht schon durch die wegen unterschiedlicher Bestandsinteressen geringfügig verschieden ausgestalteten Übergangsregelungen durch eine etwaig gegenläufige Glücksspielpolitik im Bereich von Geldspielgeräten in Spielhallen mit gleich hohem oder höherem Suchtpotenzial wie dem von Sportwetten aufgehoben. Mit der behutsamen Rücksichtnahme auf grundrechtlich schützenswerte oder sonstige legitime Bestandsinteressen, die schon bei Änderungen im räumlichen Bestand ihren rechtlichen Schutz verlieren,
160vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.3.2020 – 4 B 977/18 –, juris, Rn. 26,
161wird insbesondere ersichtlich keine Politik verfolgt, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern.
162Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.12.2023 – 4 B 511/22 –, juris, Rn. 35 ff.
163Ohne Erfolg bleibt der hiergegen vorgebrachte Einwand, jedenfalls aber der zeitlich grenzenlose Bestandsschutz für Altspielhallen führe zur Inkohärenz der Mindestabstandsregelungen für Wettvermittlungsstellen. Der Einwand greift schon deshalb nicht durch, weil die Bestandschutzregelung für Altspielhallen nach den insoweit nicht unklaren und nicht klärungsbedürftigen unionsrechtlichen Maßstäben nicht Ausdruck einer gegenläufigen, den eigentlichen Regelungszweck des Mindestabstandsgebots aufhebenden Glückspielpolitik ist. Insbesondere wird durch eine großzügigere Bestandsschutzregelung schon im Ansatz keine Politik der Angebotsausweitung verfolgt, sondern der Übergang zu neuen rechtlichen Maßstäben lediglich verlangsamt. Dass die mit dem Mindestabstandsgebot verfolgten Zielsetzungen durch die für Bestandsspielhallen geltende Bestandsschutzregelung praktisch ihre Wirksamkeit verlören, ist weder aufgezeigt noch ersichtlich.
164Hierfür ergeben sich im Übrigen keine Anhaltspunkte aus dem mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörterten Jahresbericht 2021/22 bzw. Tätigkeitsbericht 2023 der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) oder dem auf deren Internetseite auffindbaren Glücksspiel-Survey 2023 der Universität Bremen und des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung. Die angeführten Untersuchungen, die die Glücksspielverwaltung erstellt bzw. zur Verfügung stellt, liefern keine Anhaltspunkte für eine in der jüngeren Zeit tatsächlich erfolgte Ausweitung des Automatenspielangebots, die auf unterschiedliche Bestandsschutzregelungen oder sonstige staatlich verantwortete Ursachen zurückgeführt werden könnte. Den Tätigkeits- bzw. Jahresberichten lässt sich insoweit entnehmen, dass sich die Bruttospielerträge im gewerblichen Automatenspiel auf dem erlaubten deutschen Glücksspielmarkt in den Jahren 2022 und 2023 gleichbleibend auf einem Niveau von jeweils circa 4,8 Mrd. Euro bewegt haben.
165Vgl. Jahresbericht, 1.7.2021 – 31.12.2022, der GGL, S. 47, sowie Tätigkeitsbericht 2023 der GGL, S. 61.
166Auch der Glücksspiel-Survey 2023 gibt allein Hinweise auf ein „relativ stabiles Glücksspielverhalten der bundesdeutschen Bevölkerung zwischen den Jahren 2021 und 2023“, wobei die Autoren allerdings allgemein das unterschiedliche Gefährdungspotential der einzelnen Glücksspielformen betonen. Dies solle bei der Gestaltung und Etablierung von Spieler- und Jugendschutzmaßnahmen in Deutschland dahingehend Berücksichtigung finden, dass Präventionskonzepte für die riskanten Glücksspiele eher restriktiv gestaltet und verhältnispräventiv ausgerichtet werden. Der Anteil der befragten Personen, die angegeben hätten, innerhalb von zwölf Monaten an einem (stationären) Geldspielautomaten gespielt zu haben, sei von 2021 bis 2023 leicht rückläufig gewesen (von 2,0 % auf 1,9 %), während die Teilnahme an stationären Sportwetten von 2021 bis 2023 leicht zugenommen habe (von 1,4 % auf 1,5 %).
167Vgl. Glücksspielteilnahme und glücksspielbezogene Probleme in der Bevölkerung, Ergebnisse des Glücksspiel-Survey 2023, Universität Bremen und des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung, März 2024, S. 6, 46 f.
168Ebenfalls keine Hinweise liefert der Glücksspiel-Survey 2023 dafür, dass es im Betrachtungszeitraum zu einer auf eine mögliche Angebotsausweitung hindeutenden Zunahme an Glücksspielstörungen beim risikoreichen Spiel an Geldspielautomaten gekommen sein könnte. Die Anteile an entsprechenden Störungen beim Spiel an Geldspielautomaten waren von 2021 bis 2023 rückläufig (von 33,4 % auf 25,5 %); allein der Bereich „Sportwetten Live“ verzeichnete einen – nicht signifikanten – leichten Zuwachs von 29,7 % im Jahr 2021 auf 31,8 % im Jahr 2023.
169Vgl. Glücksspielteilnahme und glücksspielbezogene Probleme in der Bevölkerung, Ergebnisse des Glücksspiel-Survey 2023, Universität Bremen und des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung, März 2024, S. 50.
170Aus diesen Erhebungen lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, die Regulierung des stationären Sportwettenmarkts durch Mindestabstände zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe auch für Bestandswettvermittlungsstellen führe im Licht der konkreten Anwendungsmodalitäten zu einer faktischen Ausweitung des risikoreichen Spiels an Geldspielautomaten in Spielhallen und im Vergleich dazu zu einer restriktiveren tatsächlichen Beschränkung des stationären Sportwettenmarkts.
171(3) Eine dem Regelungsanliegen des Mindestabstandsgebots zuwiderlaufende angebotserweiternde Glückspielpolitik ergibt sich auch nicht daraus, dass der Landesgesetzgeber die Vermittlung von Sportwetten in Annahmestellen i. S. d. § 5 AG GlüStV NRW im Nebengeschäft durch staatliche Anbieter auf Grundlage der Länderöffnungsklausel in § 29 Abs. 6 GlüStV 2021 in § 13b AG GlüStV NRW noch für einen begrenzten Zeitraum bis zum 30.6.2024 (vgl. Absatz 1 Satz 1) zugelassen hat. Die mit der Vorschrift eröffnete Möglichkeit unterlag zunächst gleich mehrfach Einschränkungen gegenüber der Tätigkeit einer Wettvermittlungsstelle. Annahmestellen durften die Vermittlung nur im Nebengeschäft (vgl. § 13b Abs. 1 Satz 1 AG GlüStV NRW) betreiben, während dies für Wettvermittlungsstellen gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AG GlüStV NRW ausdrücklich nicht zulässig ist. Zudem ließ die Öffnungsklausel nur die Vermittlung von Ergebniswetten zu, welche vor Beginn des Spiels abgegeben wurden, wohingegen Wetten während des laufenden Sportereignisses sowie die Vermittlung von Ereigniswetten in Annahmestellen unzulässig waren (vgl. § 13b Abs. 1 Satz 2 AG GlüStV NRW, § 29 Abs. 6 GlüStV 2021). Diese Beschränkungen sollten gewährleisten, dass die Abgabe einer Sportwette in Annahmestellen nur in der bisherigen eingeschränkten – bei den anderen Marktteilnehmern völlig unüblichen – Vertriebsform zulässig blieb. Erheblich suchtanfälligere Wettformen waren damit in Annahmestellen nicht zulässig.
172Vgl. LT-Drs. 17/12978, S. 86 f. sowie LT-Vorlage 17/3443, S. 196.
173Die Übergangsregelung sollte lediglich den bestehenden Kunden und den Betreibern der Annahmestellen, die zumeist von Kleinunternehmern betrieben werden, ermöglichen, sich auf die schon jetzt zu beachtende Rechtsänderung einzustellen. Zugleich sollte in der Übergangszeit eine Abwanderung von bisherigen Teilnehmern der Sportwette ODDSET in den Schwarzmarkt vermieden werden.
174Vgl. LT-Vorlage 17/3443, S. 197.
175Vor dem aufgezeigten Hintergrund kann in der mittlerweile zeitlich ausgelaufenen und tatsächlich gar nicht mehr bestehenden Möglichkeit, noch für eine Übergangszeit in Annahmestellen Sportwetten staatlicher Anbieter entgegen zu nehmen, von Anfang an keine angebotserweiternde Wettspielpolitik gesehen werden. Hieran ändert auch nichts, dass Kinder und Jugendliche beim Betreten entsprechender Annahmestellen weiteren, allerdings weniger suchtanfälligen Glückspielangeboten, wie Lotto, Rubellosen etc. in ihrem täglichen Lebensumfeld ausgesetzt sind und damit entsprechende Gewöhnungseffekte bezogen hierauf verbunden sind.
176Vgl. zur unterschiedlichen Risikobewertung von Lotterien einschließlich Rubellosen gegenüber Sportwetten und Automaten- bzw. Casinospielen: Glücksspielteilnahme und glücksspielbezogene Probleme in der Bevölkerung, Ergebnisse des Glücksspiel-Survey 2023, Universität Bremen und des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung, März 2024, S. 35 f.
177Eine insoweit sinngemäß geforderte Optimierung der gesetzlichen Zielsetzung in dem Sinne, dass gegenüber Kindern und Jugendlichen jede Konfrontation auch mit weniger suchtrelevanten Glücksspielangeboten unterbunden werden müsste, lässt sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Kohärenzgebot nicht entnehmen.
178Schon angesichts der von vornherein zeitlich auf drei Jahre erfolgten Begrenzung der Öffnungsklausel für Annahmestellen lässt sich eine gegenläufige Wettspielpolitik im Übrigen auch nicht im Hinblick darauf erkennen, dass Wettvermittlungsstellen, die als reine Wettannahmestellen ohne Sitzgelegenheiten, Quotenmonitore und Livewetten ausgestaltet sind, für den entsprechenden Übergangszeitraum in allenfalls geringem Umfang strengeren Regulierungen ausgesetzt waren, als Annahmestellen.
179(4) Ebenso lässt sich im Hinblick auf Buchmacherörtlichkeiten i. S. d. § 2 Abs. 1 RennwLottG keine gegenläufige, die Eignung des Mindestabstandsgebots für Wettvermittlungsstellen gegenüber öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aufhebende Glückspielpolitik annehmen. Pferdewetten spielen – was die Beigeladene selbst einräumt – im Verhältnis zum gesamten Glücksspielbereich eine nur sehr untergeordnete Rolle und beziehen sich auf ein enges und deshalb leicht überschaubares Sportgeschehen.
180Vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 11.7.2011 – 8 C 12.10 –, juris, Rn. 45.
181Der Anteil der Bruttospielerträge durch stationäre Pferdebuchmacher am gesamten erlaubten deutschen Glücksspielmarkt im Jahr 2023 belief sich zudem auf circa 0,02 Mrd. Euro und damit gemessen an den Gesamtbruttospielerträgen von 13,7 Mrd. Euro auf gerade einmal 0,15 %. Im Gesamtmarkt waren sie damit auch neben Sportwetten, die den Bereich der Wetten nahezu vollständig bestimmen, praktisch zu vernachlässigen.
182Vgl. Tätigkeitsbericht 2023 der GGL, S. 61.
183Dass die andersartige Regulierung von Buchmacherörtlichkeiten vor diesem Hintergrund geeignet wäre, die mit den Mindestabstandsgebot für Wettvermittlungsstellen verfolgte Zielsetzung zu konterkarieren, ist damit nicht ansatzweise erkennbar.
184(5) Auch die vom Prozessvertreter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung angeführte Eröffnung weiterer Spielbanken bietet keinen Anlass zu der Annahme, dass die mit der Schaffung des Mindestabstandsgebots verfolgte Zielrichtung nicht mehr wirksam verfolgt werde. Die durch Spielbanken hervorgerufene Suchtgefahr unterscheidet sich wegen der auch weiterhin wesentlich geringeren Verfügbarkeit bzw. des unterschiedlichen Gepräges der Einrichtung deutlich von derjenigen von Wettvermittlungsstellen in der Nähe von öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. In ganz Nordrhein-Westfalen können nach § 2 Abs. 2 SpielbG NRW insgesamt höchstens sechs Spielbanken zugelassen werden, um das Risiko zu vermindern, dass exzessiv um Gäste geworben wird und dadurch Personen zum Glücksspiel verleitet werden, die zuvor hierzu keinen Entschluss gefasst haben.
185Vgl. LT-Drs. 17/8796, S. 1.
186Zudem sind für Spielbanken umfangreiche Spielerschutzvorschriften vorgesehen.
187Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.6.2021 – 4 A 3178/19 –, juris, Rn. 73 f., m. w. N.
188(6) Schließlich sind die bundesrechtlichen Regelungen zur Zulässigkeit von Geldspielgeräten in Räumen von Schank- oder Speisewirtschaften (vgl. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 SpielV i. V. m. § 33c Abs. 3 Satz 1 GewO) nicht Ausdruck einer gegenläufigen auf die Erweiterung des Glücksspielangebots abzielenden und damit die Wirksamkeit des Mindestabstandsgebots zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aufhebenden Glückspielpolitik. Die Möglichkeit zur Aufstellung von Geldspielgeräten in Gaststätten unterliegt ihrerseits ebenfalls Einschränkungen, namentlich im Hinblick auf die zulässige Höchstanzahl von höchstens zwei Spielgeräten (§ 3 Abs. 1 SpielV) sowie auf Räumlichkeiten, die durch den Schank- und Speisebetrieb geprägt werden.
189vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 19.9.2018 – 8 C 16.17 –, BVerwGE 163, 102, = juris, Rn. 26.
190Allein unterschiedliche Regelungen in verschiedenen Glücksspielsektoren vermögen nach den oben aufgezeigten Maßstäben die Kohärenz des hier streitigen Mindestabstandsgebots aber nicht zu beeinträchtigen. Im Übrigen widersprechen die Regelungen zur Aufstellung von Geldspielgeräten in Schank- und Speisewirtschaften schon deshalb nicht der gesetzgeberischen Einschätzung zur Wirksamkeit eines Mindestabstandsgebots für Wettvermittlungsstellen zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, weil der mit der Regelung bekämpfte Gewöhnungseffekt gerade auch an deren Wahrnehmbarkeit im öffentlichen Raum anknüpft. Insoweit unterscheiden sich Wettvermittlungsstellen aber schon deshalb von Gaststätten, weil deren Hauptzweck schon nach außen hin erkennbar darin besteht, Sportwetten öffentlich anzubieten. Im Hinblick auf Gaststätten beschränkt sich die öffentliche Wahrnehmbarkeit von Glückspielangeboten nach der verordnungsgeberischen Intention (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 SpielV) hingegen auf ein bloßes Annexangebot zu dem den Betrieb prägenden Speise- und Schankangebot.
1912. Auf den nach Maßgabe des § 13 Abs. 15 Satz 2 i. V. m. Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW geringeren Mindestabstand von regelmäßig nur 100 Metern für Bestandswettvermittlungsstellen gegenüber öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe können die Klägerin und die Beigeladene sich im Übrigen schon deshalb nicht berufen, weil die streitbefangene Wettvermittlungsstelle am 22.5.2019 über keine bestandskräftige Baugenehmigung verfügt hat. Einer Anwendung der Vorschrift dahingehend, die streitbefangene Wettvermittlungsstelle aus Gründen des Vertrauensschutzes oder wegen der ihr verweigerten Erteilung einer bereits vor dem 22.5.2019 beantragten Baugenehmigung einer solchen Wettvermittlungsstelle gleichzustellen, der vor dem Stichtag eine bestandskräftige Baugenehmigung erteilt worden ist, steht bereits der insoweit eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen. Die von der Beigeladenen geäußerte Kritik an der Vorschrift, dass ihr Wortlaut vor dem Hintergrund ihres Sinns und Zwecks deutlich zu weit geraten sei, ändert nichts daran, dass der Gesetzgeber die Anwendung der Vorschrift im Rahmen des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums ausdrücklich vom Bestehen einer bestandskräftigen Baugenehmigung zum Stichtag abhängig gemacht hat.
192Vgl. LT-Drs. 17/6611, S. 38, und LT-Drs. 17/12978, S. 85 f.
1933. Abgesehen davon wäre die streitbefangene Wettvermittlungsstelle, selbst wenn die Übergangsvorschrift nach § 13 Abs. 15 Satz 2 AG GlüStV NRW auf sie anwendbar wäre, nicht erlaubnisfähig, weil sich auch innerhalb des verringerten Mindestabstands von 100 Metern zwei Grundschulen im Abstand von nur 50 Metern zu ihr befinden. Auch Grundschulen sind öffentliche Schulen i. S. d. § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW. Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne dieser Vorschrift sind entsprechend dem Regelungszweck Einrichtungen, die regelmäßig von Kindern und Jugendlichen aufgesucht werden. Hierunter fallen insbesondere Schulen, die nicht ausschließlich der Erwachsenenbildung dienen, unabhängig von der jeweiligen Trägerschaft. Es besteht kein Anlass, mit Blick auf Sinn und Zweck der Abstandsregelung zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe die Grundschulen aufgrund ihrer besonderen Schülerstruktur vom Anwendungsbereich auszunehmen. Die Abstandsregelung bezweckt nicht ausschließlich, konkrete Gefährdungen durch den Konsum von Glücksspielen zu vermeiden. Sie soll zum einen helfen, schon einen Gewöhnungseffekt bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern und zudem durch eine faktische zahlenmäßige Begrenzung die Verfügbarkeit von Wettangeboten verringern.
194Vgl. LT-Drs. 17/6611, S. 36, und LT-Drs. 17/12978, S. 84 f.; siehe bereits OVG NRW, Beschluss vom 27.9.2022 – 4 B 654/22 –, juris, Rn. 15 ff., m. w. N.
1954. Schließlich ergibt sich aus der in § 13 Abs. 13 Satz 4 AG GlüStV NRW für die zuständigen Behörden eröffneten Möglichkeit, unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standorts im Einzelfall von der Maßgabe zum Mindestabstand abzuweichen, kein Anspruch auf Befreiung vom Mindestabstandsgebot. Die Klägerin und die Beigeladene haben auch keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Erlaubnisantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
196Im Rahmen der Soll-Vorschrift in § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW ist eine Unterschreitung des Mindestabstands nur in atypischen Fällen zulässig. Darüber hinaus darf die Erlaubnisbehörde nach § 13 Abs. 13 Satz 4 AG GlüStV NRW unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standorts und der Lage des Einzelfalls eine abweichende Entscheidung treffen. Insoweit steht der zuständigen Behörde unter Berücksichtigung örtlicher Besonderheiten ein Ermessen offen. Dem Zweck dieser Ermächtigung (§§ 114 Satz 1 VwGO, 40 VwVfG NRW) entspricht es, wenn sich die Behörde bei ihren Entscheidungen von der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 13 Abs. 13 Satz 2 AG GlüStV NRW leiten lässt und grundsätzlich nur in atypischen Fällen, in denen dies nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip erwägenswert ist, überhaupt eine Unterschreitung des Mindestabstands in Betracht zieht.
197Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8.12.2023 – 4 B 511/22 –, juris, Rn. 41, und vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 107, sowie Urteil vom 10.3.2021 – 4 A 3178/19 –, juris, Rn. 79 ff. (zum Spielhallenrecht).
198Entsprechend § 5 Abs. 3 der Annahme- und Wettvermittlungsstellenverordnung Nordrhein-Westfalen ‒ AnVerVO NRW ‒ vom 25.2.2020 (GV. NRW. S. 159) können dabei bauplanungsrechtliche Vorgaben der Standortgemeinden, städtebauliche Besonderheiten hinsichtlich des jeweiligen Standorts und der Lage – etwa Geländehindernisse wie Bahnlinien oder Flussläufe, die die fußläufige Erreichbarkeit atypisch erschweren –, und die minimale Unterschreitung des Abstandsgebots berücksichtigt werden. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind die besonderen Anforderungen des Kinder- und Jugendschutzes, dem der Mindestabstand zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe dient, zu berücksichtigen.
199Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8.12.2023 – 4 B 511/22 –, juris, Rn. 43, und vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 109 ff.
200Gemessen an diesen Vorgaben ist die Ermessensentscheidung des Beklagten, für die streitbefangene Wettvermittlungsstelle keine Befreiung vom Mindestabstandsgebot zu erteilen, nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat seine Ermessensentscheidung im Einklang mit den zuvor aufgeführten Grundsätzen ausgeübt und namentlich unter Rückgriff auf die in § 5 Abs. 3 AnVerVO NRW aufgeführten Kriterien das Vorliegen eines atypischen Falls ermessensfehlerfrei verneint.
201Nichts spricht dafür, dass der Beklagte unter Berücksichtigung der örtlichen Lage der Wettvermittlungsstelle vom Mindestabstandserfordernis hätte abweichen müssen. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass die fußläufige Erreichbarkeit einer Spielstätte selbst dann noch nicht atypisch erschwert ist, wenn die tatsächliche Wegstrecke im Einzelfall mehr als das Doppelte des nach der Luftlinie bemessenen Mindestabstands beträgt.
202Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6.6.2018 – 8 B 32.17 –, juris, Rn. 3; OVG NRW, Urteil vom 10.3.2021 – 4 A 3178/19 –, juris, Rn. 87 f., m. w. N., und Beschluss vom 30.6.2022 – 4 B 1864/21 –, juris, Rn. 120.
203Schon deshalb liegt die Annahme eines atypischen Falls angesichts von fünf öffentlichen Schulen und einem Jugendzentrum im Umkreis von nicht mehr als 165 Metern um den Standort herum gänzlich fern. Städtebauliche oder topographische Besonderheiten, etwa in Gestalt von Geländehindernissen wie Bahnlinien oder Flüssen, die gegebenenfalls geeignet wären, die Sichtbarkeit der streitbefangenen Wettvermittlungsstelle gegenüber Kindern und Jugendlichen aufzuheben oder zumindest herabzusetzen, sind ebenfalls nicht erkennbar. Bauplanungsrechtlich schließt der einschlägige Bebauungsplan Vergnügungsstätten, insbesondere Spielhallen und Wettbüros in der Form von Vergnügungsstätten am Standort der streitbefangenen Wettvermittlungsstelle sogar explizit aus.
204Die Klägerin und die Beigeladene zeigen im Übrigen keine Umstände auf, die die Annahme eines atypischen Falls auch nur nahelegen könnten. Das Alter des Betriebs begründet schon deshalb keinen atypischen Fall, weil der Gesetzgeber in § 13 Abs. 15 AG GlüStV NRW Bestandsschutzinteressen bewusst und ohne Verstoß gegen höherrangiges Recht nur für Inhaber von Baugenehmigungen Rechnung getragen hat. Ob es einen atypischen Fall begründen kann, wenn einer Wettvermittlungsstelle eine diese Bestandsschutzregelung auslösende Baugenehmigung zu Unrecht vorenthalten wurde, bedarf vorliegend ebenfalls keiner weiteren Erörterung, weil sich das Vorbringen der Klägerin und der Beigeladenen insoweit in der bloßen Behauptung erschöpft, ihnen habe ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung zugestanden. Die beigezogenen Akten aus den baurechtlichen Verfahren geben nichts dafür her, dass ein solcher Anspruch offensichtlich bestanden hätte. Dass der nach § 13 Abs. 15 Satz 2 AG GlüStV NRW verminderte Abstand nur durch zwei Grundschulen unterschritten werde, führt ebenfalls nicht zu einem atypischen Fall, weil auch Grundschulen – wie ausgeführt – ebenfalls öffentliche Schulen und deren Schülerschaft nicht minder schutzbedürftige Personen darstellen. Dasselbe gilt bezogen auf Angebote, die Wahrnehmbarkeit der Wettvermittlungsstelle im laufenden Betrieb durch verringerte Öffnungszeiten oder ähnliches zu reduzieren. Da eine derartige Bereitschaft vom Gesetzgeber zur Erreichung des von ihm angestrebten Ziels im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als unzureichend angesehen worden ist, kann auch darin kein atypischer Fall gesehen werden. Die ggf. unterschiedliche Ausübung des behördlichen Ermessens in anderen Bundesländern im Hinblick auf die Befreiung von Mindestabstandsgeboten ist schließlich für die hier relevante Beurteilung der Ermessensausübung des Beklagten ohne Belang.
205Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und Abs. 3 Hs. 2, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Hiernach tragen die Klägerin und die Beigeladene die Kosten des Verfahrens entsprechend der im Kostentenor angeführten Quote nach Kopfteilen, weil sie mit ihren jeweiligen Anträgen unterlegen waren. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren insoweit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen für erstattungsfähig zu erklären, weil die Beigeladene bereits als Rechtsmittelführerin einem Kostenrisiko ausgesetzt war.
206Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
207Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.