Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der primärrechtliche Begriff des „Unternehmens“ nach den Wettbewerbsvorschriften des AEUV bezeichnet nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung; mehrere getrennte rechtliche Einheiten können für die Zwecke der Anwendung der Beihilfevorschriften als eine wirtschaftliche Einheit angesehen werden. Der Begriff stimmt grundsätzlich mit der die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Klarstellung abbildenden Definition eines „verbundenen Unternehmens“ im Sinne von Anhang I Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EU) 651/2014 der Kommission überein.
Hat eine Gesellschaft als Alleingesellschafterin beherrschenden Einfluss auf eine andere Gesellschaft, kann die letztere als Teil eines verbundenen Unternehmens nicht als Unternehmen im Sinne der von der Kommission genehmigten Bundesregelung Fixkostenhilfe angesehen werden. Eine einem mit anderen Unternehmen verbundenen Einzelunternehmen ohne Rücksicht auf deren wirtschaftliche Lage nach der Bundesregelung Fixkostenhilfe gewährte Überbrückungshilfe II ist ohne die erforderliche Billigung der Kommission, mithin unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV, bewilligt worden.
Die Bewilligung einer Überbrückungshilfe kann darüber hinaus rechtswidrig sein, wenn sie auf falschen oder unvollständigen Antragsangaben beruht und sich schon wegen der ihr damit zugrundeliegenden unzutreffenden Tatsachengrundlage nicht im Rahmen einer fehlerfreien Ermessensausübung hält.
Wird ein Verwaltungsakt durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt, lenkt § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW das der Behörde zustehende Ermessen, indem er die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt. Lediglich für die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, die nicht unter den Anwendungsbereich des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG fallen, nimmt das Bundesverwaltungsgericht keinen Fall intendierten Ermessens an, weil die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten bei ihnen gleichberechtigt nebeneinanderstehen.
Einer nationalen Stelle, die feststellt, dass eine Beihilfe, die sie gewährt hat, nicht die Voraussetzungen nach Art. 108 Abs. 3 AEUV erfüllt, obliegt es im Rahmen innerstaatlicher Ermächtigungsnormen, die rechtswidrig gewährte Beihilfe aus eigener Initiative zurückzufordern.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 28.6.2023 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die seinerzeit unter dem Namen D. GmbH im Handelsregister des Amtsgerichts O. unter HRB 00000 eingetragene Gesellschaft, die die Klage vor dem Verwaltungsgericht eingeleitet hatte, betrieb vor und während der Corona-Pandemie ein Reisebüro in O.. Alleingesellschafterin war die L. GmbH, die seinerzeit noch an zwei weiteren Reisebüros (G. Reisebüro GmbH und C. GmbH) beteiligt war und daneben weitere Beteiligungen hielt. Alleingesellschafterin der L. GmbH war aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung vom 22.1.2021 die L. Gruppe GmbH. Alleingesellschafter der L. Gruppe GmbH war der damalige Geschäftsführer der früheren D. GmbH. Diese Gesellschaft, die frühere Klägerin, ist mittlerweile durch Verschmelzung mit der G. Reisebüro GmbH erloschen. Die G. Reisebüro GmbH hat Anfang 2022 sämtliche Rechte und Pflichten der früheren D. GmbH (HRB 00000) übernommen und zeitgleich mit der Übernahme ihren Namen geändert in D. GmbH. Sie führt das Verfahren in der Rechtsnachfolge der früheren Klägerin weiter und ist im Handelsregister des Amtsgerichts H. unter HRB 00000 eingetragen.
3Die Klägerin wendet sich gegen die mit Bescheid vom 30.3.2021 gegenüber ihrer Rechtsvorgängerin ausgesprochene Rücknahme der dieser mit Zuwendungsbescheid vom 30.3.2021 gewährten Überbrückungshilfe II NRW. Im Folgenden heißt es sowohl bezogen auf die Klägerin als auch ihre Rechtsvorgängerin einheitlich Klägerin.
4Mit der Überbrückungshilfe II NRW wurden Unternehmen aller Branchen unterstützt, die wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie Zuschüsse zur Deckung der in den Monaten September bis Dezember 2020 anfallenden Fixkosten benötigten. Aufgrund der Corona-Pandemie, die Deutschland im Januar 2020 erreichte, und der zur Begrenzung ihrer Ausbreitung angeordneten außergewöhnlich restriktiven staatlichen Maßnahmen kam es ab Mitte März in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu einem historischen Einbruch im Wirtschaftsleben, in Nordrhein-Westfalen insbesondere auch infolge der Beschränkungen der jeweiligen Coronaschutzverordnung NRW. Am 19.3.2020 erließ die Europäische Kommission den Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19, Mitteilung C (2020) 1863 final (ABl. C 91 I vom 20.3.2020, S. 1 ‒ im Folgenden: Befristeter Rahmen), der später mehrfach geändert wurde, und zwar unter anderem mit Wirkung ab 13.10.2020 (ABl. C 340 I vom 13.10.2020, S. 1) und ab 28.1.2021 (ABl. C 34 vom 1.2.2021, S. 6). Nach Randnummern 15 ff. des Befristeten Rahmens in seiner Ursprungsfassung sollte mit ihm ergänzend etwa zur Möglichkeit, Beihilfen zur Beseitigung von Schäden zu gewähren, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse nach Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV entstanden sind, ein zusätzlicher Rahmen geschaffen werden, der es den Mitgliedstaaten ermöglichte, den seinerzeitigen Schwierigkeiten von Unternehmen zu begegnen, gleichzeitig die Integrität des EU-Binnenmarkts zu wahren und für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. In Randnummern 18 f. erklärte die EU-Kommission, nach ihrer Auffassung könnten staatliche Beihilfen für einen befristeten Zeitraum nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV, also zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats, für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden, um die Liquiditätsengpässe von Unternehmen zu beheben und sicherzustellen, dass die durch den COVID-19-Ausbruch verursachten Störungen die Existenzfähigkeit solcher Unternehmen nicht beeinträchtigten, insbesondere von KMU (= kleinen und mittleren Unternehmen). In dem Befristeten Rahmen legte die EU-Kommission die Vereinbarkeitsvoraussetzungen fest, anhand derer sie die von den Mitgliedstaaten nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV gewährten Beihilfen grundsätzlich prüfen werde. Unter Nr. 3.1 des Befristeten Rahmens war bestimmt, über die bestehenden Möglichkeiten auf der Grundlage des Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV (Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft) hinaus könne unter den gegenwärtigen Umständen die vorübergehende Gewährung begrenzter Beihilfebeträge an Unternehmen, die sich einem plötzlichen Liquiditätsengpass oder der gänzlichen Nichtverfügbarkeit von Liquidität gegenübersähen, eine geeignete, erforderliche und gezielte Lösung darstellen. Die EU-Kommission werde solche staatlichen Beihilfen auf der Grundlage des Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV unter im Einzelnen angeführten weiteren Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar ansehen. Unter Ziffer 3.12 in der Fassung des Befristeten Rahmens in seiner Fassung vom 28.1.2021 war seit der 4. Änderung vom 13.10.2020 bestimmt, dass Beihilfen in Form von Unterstützung für ungedeckte Fixkosten gewährt werden könnten, wobei die Gesamtbeihilfe 10 Mio. Euro je Unternehmen nicht übersteigen dürfe (Rn. 87 Buchst. d). Die Überbrückungshilfe II wurde in Gestalt der Unterstützung für ungedeckte Fixkosten auf der Grundlage der „Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020“ und in Gestalt eines darüber hinausgehend aus Billigkeitsgründen geschaffenen fiktiven Unternehmerlohns unter der Bezeichnung „NRW Überbrückungshilfe Plus“ auf der Grundlage der „Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“ gewährt. Die auf der Ankündigung in Nummern 3.12 und 4 des Befristeten Rahmens der EU-Kommission vom 19.3.2020, in der Fassung seit der Mitteilung der Europäischen Kommission C (2020) 7127 final vom 13.10.2020 (4. Änderung des Befristeten Rahmens für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19) (ABl. C 340 I vom 13.10.2020, S. 1), – Geänderter Befristeter Rahmen – vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit Genehmigung der EU-Kommission am 20.11.2020 mit einer Geltungsdauer bis zum 30.6.2021 erlassene „Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020“ (BAnz AT 14.12.2020 B2) wurde unter dem 12.2.2021 für eine Geltungsdauer vom Tag der Genehmigung durch die Europäische Kommission an bis zum 31.12.2021 neu herausgegeben und am 1.3.2021 bekanntgemacht (BAnz AT 1.3.2021 B2). Nach § 1 Abs. 1 dieser Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020 konnten beihilfegebende Stellen auf Grundlage dieser Beihilferegelung Fixkostenhilfen an Unternehmen für ungedeckte Fixkosten gewähren. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 durfte die Fixkostenhilfe Unternehmen gewährt werden, die während des beihilfefähigen Zeitraums Umsatzeinbußen von mindestens 30 % im Vergleich zu demselben Zeitraum im Jahr 2019 erlitten hatten bzw. erlitten. Zur Ermittlung der Höhe der Umsatzeinbußen sah § 2 Abs. 3 der Bundesregelung Nachweiserleichterungen für kleine und Kleinstunternehmen gemäß Anhang I der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (EU) Nr. 651/2014 sowie mittlere Unternehmen nach diesem Anhang unter zusätzlichen Voraussetzungen vor. Die Beihilfeintensität durfte nach § 2 Abs. 4 der Bundesregelung 70 % der ungedeckten Fixkosten nicht übersteigen, außer bei kleinen und Kleinstunternehmen gemäß Anhang I der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (EU) Nr. 651/2014), bei denen die Beihilfeintensität 90 % der ungedeckten Fixkosten nicht übersteigen durfte. Die Gesamtsumme der einem Unternehmen nach dieser Regelung gewährten Fixkostenhilfen durfte nach § 2 Abs. 5 den Höchstbetrag von 10 Millionen Euro pro Unternehmen nicht übersteigen. Vor Gewährung der Beihilfe hatte das betreffende Unternehmen nach § 5 Abs. 1 der beihilfegebenden Stelle schriftlich in Papierform, in elektronischer Form oder in Textform jede Fixkostenhilfe nach dieser Regelung anzugeben, die es bislang erhalten hatte, sodass sichergestellt war, dass der nach dieser Regelung zulässige Höchstbetrag nicht überschritten wurde. Der Begriff des Unternehmens wird in der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung [Verordnung (EU) Nr. 651/2014] für „kleine und mittlere Unternehmen“ (= KMU) (dort Art. 2 Nr. 2) und „große Unternehmen“ (dort Art. 2 Nr. 24) unter Verweis auf Anhang I der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung definiert. Art. 2 des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 legt die Unternehmenskategorien für KMU wiederum anhand bestimmter Mitarbeiterzahlen und maximaler Jahresumsätze fest. Ob für deren Berechnung nur auf die Daten eines oder mehrerer Unternehmen abzustellen ist und wie die Berechnung gegebenenfalls im Einzelnen zu erfolgen hat, richtet sich gemäß Art. 6 i. V. m. Art. 3 des vorbezeichneten Anhangs I danach, ob es sich um ein „eigenständiges Unternehmen“, ein „Partnerunternehmen“ oder ein „Verbundenes Unternehmen“ im Sinne der Legaldefinitionen in Art. 3 Abs. 1 bis 3 des Anhangs I handelt. Nach Art. 3 Abs. 3 des Anhangs I sind „Verbundene Unternehmen“ Unternehmen solche, „die zueinander in einer der folgenden Beziehungen stehen:
5a) ein Unternehmen hält die Mehrheit der Stimmrechte der Anteilseigner oder Gesellschafter eines anderen Unternehmens;
6b) ein Unternehmen ist berechtigt, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremiums eines anderen Unternehmens zu bestellen oder abzuberufen;
7c) ein Unternehmen ist gemäß einem mit einem anderen Unternehmen geschlossenen Vertrag oder aufgrund einer Klausel in dessen Satzung berechtigt, einen beherrschenden Einfluss auf dieses Unternehmen auszuüben;
8d) ein Unternehmen, das Aktionär oder Gesellschafter eines anderen Unternehmens ist, übt gemäß einer mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern dieses anderen Unternehmens getroffenen Vereinbarung die alleinige Kontrolle über die Mehrheit der Stimmrechte von dessen Aktionären oder Gesellschaftern aus.
9Es besteht die Vermutung, dass kein beherrschender Einfluss ausgeübt wird, sofern sich die in Absatz 2 Unterabsatz 2 genannten Investoren nicht direkt oder indirekt in die Verwaltung des betroffenen Unternehmens einmischen – unbeschadet der Rechte, die sie in ihrer Eigenschaft als Aktionäre oder Gesellschafter besitzen.
10Unternehmen, die durch ein oder mehrere andere Unternehmen oder einen der in Absatz 2 genannten Investoren untereinander in einer der in Unterabsatz 1 genannten Beziehungen stehen, gelten ebenfalls als verbunden.
11Unternehmen, die durch eine natürliche Person oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen miteinander in einer dieser Beziehungen stehen, gelten gleichermaßen als verbundene Unternehmen, sofern diese Unternehmen ganz oder teilweise auf demselben Markt oder auf benachbarten Märkten tätig sind.
12Als ‚benachbarter Markt‘ gilt der Markt für eine Ware oder eine Dienstleistung, der dem betreffenden Markt unmittelbar vor- oder nachgeschaltet ist.“
13Die Klägerin stellte unter dem 26.3.2021 einen Antrag auf Gewährung einer Corona-Überbrückungshilfe, 2. Phase, für kleinere und mittlere Unternehmen für nicht gedeckte Fixkosten aus den Monaten September bis Dezember 2020. Im elektronisch einzureichenden Antrag gab die Klägerin als Art des Unternehmens „Sonstige“ an, wobei das Dropdown-Menü des Antrags zur Art des Unternehmens insoweit „Freiberufler und Solo-Selbstständige“, „Gemeinnützige Unternehmen“, „Sonstige“ oder „Unternehmen eines Unternehmensverbundes“ zur Auswahl gestellt hatte. Hätte die Klägerin das Feld „Unternehmen eines Unternehmensverbundes“ ausgewählt, hätte sich ein neues Dialogfeld geöffnet, in dem sie die Informationen der verbundenen Unternehmen hätte eingeben müssen. Die Klägerin versicherte, dass sie die Fördervoraussetzungen zur Kenntnis genommen und dass sie alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen und wahrheitsgetreu gemacht habe. Zudem versicherte sie, dass durch die Inanspruchnahme der Überbrückungshilfe der beihilferechtlich nach der „Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020“ zulässige Höchstbetrag von 3 Mio. Euro pro Unternehmen bzw. Unternehmensverbund nicht überschritten werde. Zudem war angegeben, bei der Klägerin handele es sich um ein kleines oder Kleinstunternehmen gemäß Anhang I der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (EU) Nr. 651/2014 (Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten und einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanz von nicht mehr als 10 Mio. Euro). Am Ende des beizufügenden Formulars „Rechtliche Erklärungen“ ergänzte die Klägerin handschriftlich, sie sei ein verbundenes Unternehmen, entgegen der für verbundene Unternehmen geforderten Vorgehensweise sei für jedes Reisebüro in der Unternehmensgruppe ein Antrag gestellt worden, um die drastischen Umsatzrückgänge darstellen zu können und Überbrückungshilfe zu erhalten; in Summe hätten die Unternehmen der Gruppe keine Umsatzeinbußen von 60 % zu verzeichnen; durch die Antragstellung solle der Rechtsweg zur Geltendmachung des Überbrückungsgeldes für die Reisebüros offen gehalten werden; es sollten keine falschen Tatsachen vorgetäuscht werden. Schließlich erklärte der prüfende Dritte, er habe die Angabe der Klägerin geprüft, ein verbundenes Unternehmen zu sein bzw. nicht zu sein, sowie die Angabe, sich als verbundenes Unternehmen nicht für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu qualifizieren, und bestätige deren Plausibilität.
14Der Beklagte bewilligte hierauf mit Zuwendungsbescheid vom 30.3.2021 der Höhe nach unter dem Vorbehalt der endgültigen Festsetzung antragsgemäß eine Überbrückungshilfe in Höhe von 46.930,64 Euro. Zur Auszahlung des Betrags kam es jedoch nicht. Die Klägerin hatte bei der Bezirksregierung M. bereits unter dem 28.9.2020 einen Antrag auf Gewährung einer „Überbrückungshilfe Corona“ gestellt, der im November 2020 unter Verweis auf die fehlende Antragsberechtigung der Klägerin als Teil von verbundenen Unternehmen abgelehnt worden war.
15Noch am Tag der Bewilligung nahm der Beklagte den Bewilligungsbescheid mit Bescheid vom 30.3.2021 gegenüber der Klägerin zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Der Bewilligungsbescheid vom 30.3.2021 sei rechtswidrig. Für den Unternehmensverbund der Klägerin habe mangels Umsatzeinbußen keine Antragsberechtigung vorgelegen. Sein Ermessen habe er, der Beklagte, pflichtgemäß ausgeübt. Unter Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Rücknahme des Verwaltungsakts mit dem Vertrauen der Klägerin auf dessen Bestand habe er sich für eine Rücknahme entschieden. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG NRW nicht berufen, weil sie die Rechtswidrigkeit des Bescheides gekannt habe. Die Klägerin sei Teil eines Unternehmensverbundes. Gemäß Ziff. 3 Abs. 4 der Richtlinien zur Überbrückungshilfe II dürfe für verbundene Unternehmen insgesamt nur ein Antrag gestellt werden. Damit gehe einher, dass für den Unternehmensverbund der notwendige Umsatzrückgang insgesamt nachgewiesen werden müsse. Wie von der Klägerin in ihrer handschriftlich abgefassten und unterschriebenen Erklärung selbst dargelegt, sei der notwendige Umsatzrückgang für ihren Unternehmensverbund nicht nachweisbar. Sie habe in Kenntnis der Richtlinien und in Kenntnis ihres Unternehmensverbundes und somit in Kenntnis der Rechtswidrigkeit den Bescheid über eine Billigkeitsleistung in der Überbrückungshilfe II erhalten. Das öffentliche Interesse erschöpfe sich nicht in einem finanziellen Interesse; im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip zähle auch das Interesse an der Einhaltung und gleichmäßigen Anwendung der Rechtsordnung. Besondere Gründe, die eine Rücknahme des Verwaltungsakts als unzumutbare Härte erscheinen ließen, lägen nicht vor.
16Zur Begründung ihrer gegen den Rücknahmebescheid vom 30.3.2021 gerichteten Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie und die L. GmbH seien nicht als verbundene Unternehmen zu beurteilen. Beide Unternehmen seien nicht in demselben Markt oder benachbarten Märkten tätig. Der Sinn und Zweck der Überbrückungshilfe II, die wirtschaftliche Existenz von Unternehmen zu sichern, welche durch die Corona-Maßnahmen erheblich betroffen seien, werde verfehlt, wenn Reisebüros von der Förderung ausgeschlossen seien, die aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Struktur in einen Verbund von Unternehmen eingegliedert seien, die auf anderen und nicht benachbarten Märkten tätig seien. Eine Anhörung vor Erlass des Rücknahmebescheids sei vollständig unterblieben und der Anhörungsfehler bislang auch nicht geheilt worden. Sie habe auf den Bestand des Bewilligungsbescheids vertraut, weil sie davon ausgegangen sei, einen Anspruch auf die Billigkeitsleistung zu haben. Ihr Vertrauensschutz sei nicht ausgeschlossen, weil sie die Bewilligung nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt habe. Insbesondere habe sie nicht darüber getäuscht, ein Unternehmen eines Unternehmensverbundes zu sein, weil sie ihre Aussage, kein verbundenes Unternehmen zu sein, ausdrücklich korrigiert habe. Auch sei ihr die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids nicht bekannt oder grob fahrlässig unbekannt gewesen. Vielmehr habe sie einen Anspruch auf Gewährung der Überbrückungshilfe, weil in ihrem Fall aufgrund der Struktur der L. Gruppe die Voraussetzungen für die Gewährung der Überbrückungshilfe vorlägen, obwohl sie ein verbundenes Unternehmen sei. Der Rücknahmebescheid sei ermessensfehlerhaft. Eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufhebung des Bewilligungsbescheids gegen das Vertrauen der Klägerin auf seinen Bestand sei nicht erfolgt.
17Die Klägerin hat beantragt,
18den Rücknahmebescheid vom 30.3.2021 aufzuheben,
19hilfsweise festzustellen, dass sie einen Anspruch auf Erlass oder Änderung der Förderrichtlinien in der Hinsicht habe, dass sie einen Anspruch auf Überbrückungshilfe II oder eine vergleichbare Hilfe in entsprechendem Umfang geltend machen kann.
20Der Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Er hat vorgetragen, die Förderung eines Unternehmens eines Unternehmensverbundes widerspreche seiner ständigen und eindeutigen Verwaltungspraxis. Die Klägerin habe durch Unterlassen der Angaben zur Verbundenheit der verschiedenen Unternehmen den Bewilligungsbescheid erwirkt und könne sich deshalb nicht auf Vertrauensschutz berufen. Vorsorglich würden die Ermessenserwägungen wie folgt ergänzt: Selbst bei Unterstellung bestehenden Vertrauensschutzes sei die Rücknahme angezeigt, weil es sich nur um eine vorläufige Gewährung der Billigkeitsleistung handele. Dementsprechend könne die Klägerin nicht darauf vertrauen, den Förderbetrag dauerhaft behalten zu dürfen.
23Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 28.6.2023 den Rücknahmebescheid vom 30.3.2021 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es bestünden hinsichtlich der Anhörung der Klägerin bereits Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheids, diese könnten aber im Ergebnis dahinstehen, weil der Rücknahmebescheid materiell rechtswidrig sei. Der Bewilligungsbescheid vom 30.3.2021 sei zwar rechtswidrig, weil der nach der Praxis des Beklagten erforderliche Umsatzrückgang im Unternehmensverbund nicht vorliege; diese Praxis verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht. Die Klägerin habe sich nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG NRW auch nicht auf Vertrauensschutz berufen können, weil sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt habe. Sie habe in der handschriftlichen Ergänzung ihres Antrags vom 26.03.2021 ausdrücklich erklärt, dass sie ein verbundenes Unternehmen sei, und trotzdem „entgegen der geforderten Vorgehensweise für verbundene Unternehmen“ ebenso wie die anderen Reisebüros der Unternehmensgruppe einen eigenen Antrag auf Überbrückungshilfe gestellt. Dementsprechend habe sie gewusst, welchen Inhalt die Förderrichtlinien gehabt hätten und dass sich daraus grundsätzlich ihre fehlende Antragsberechtigung ergeben habe. Darüber hinaus sei bereits ihr Antrag auf Gewährung von Überbrückungshilfe I mit Bescheid vom 6.11.2020 vom Beklagten abgelehnt worden. Die Rücknahme des Bewilligungsbescheides sei jedoch ermessensfehlerhaft erfolgt, wobei dahinstehen könne, ob das Ermessen gemäß § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW intendiert sei. Der Beklagte habe außergewöhnliche Umstände, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen ließen, nicht erwogen, nämlich dass die Klägerin ihr Vorgehen und ihre Rechtsauffassung transparent gemacht habe. Schließlich lasse – ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankomme – die im Rücknahmebescheid als Einleitung der Begründung verwendete Formulierung „Der oben genannte Bewilligungsbescheid war zurückzunehmen“ darauf schließen, dass der Beklagte fehlerhaft von einem grundsätzlich zu seinen Gunsten reduzierten Ermessensspielraum ausgegangen sei. Die Ermessenserwägungen seien nicht in einer Weise ergänzt worden, die eine andere Beurteilung ermöglichten. Zuletzt komme keine Umdeutung des Rücknahmebescheids in einen endgültigen Ablehnungsbescheid in Betracht. Der Beklagte habe sich im Bewilligungsbescheid vom 30.3.2021 eine endgültige Festsetzung vorbehalten, der Vorbehalt beziehe sich aber lediglich auf die Höhe der Bewilligung und nicht auf die Bewilligung als solche.
24Zur Begründung der von dem Senat zugelassenen Berufung führt der Beklagte ergänzend zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen aus: Die Anhörung sei nachgeholt worden. Er habe sich im laufenden Verfahren ausreichend mit den Argumenten der Klägerin auseinandergesetzt. Zudem habe er die Klägerin mit Schreiben vom 22.2.2024 gesondert angehört. Der handschriftliche Vermerk sei bei der Antragsprüfung nicht aufgefallen, weil solche zusätzlichen Angaben im Formular nicht vorgesehen gewesen seien. Der Rücknahmebescheid weise keine Ermessensfehler auf. Der Umstand, dass die Klägerin ihre handschriftliche Erklärung abgegeben habe, könne sich nur zu ihren Lasten auswirken. Da die Antragsstellung nur erfolgt sei, „um den Rechtsweg zur Geltendmachung des Überbrückungsgeldes für die Reisebüros offen zu halten“, sei sich die Klägerin von vornherein bewusst gewesen, dass sie keine positive Entscheidung zu erwarten habe. Da Bewilligung und Rücknahme am selben Tag erlassen worden seien, habe sich ein klägerisches Vertrauen allenfalls aus einem kurzen Zeitraum speisen können. Im vorliegenden Fall seien die Obergrenzen des befristeten Beihilferahmens durch die Mehrfachbeantragung und -gewährung der Überbrückungshilfe überschritten worden, sodass eine unzulässige Beihilfe gewährt worden sei.
25Der Beklagte beantragt,
26das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 28.6.2023 zu ändern und die Klage abzuweisen.
27Die Klägerin beantragt,
28die Berufung zurückzuweisen.
29Sie trägt unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen vor, der Bewilligungsbescheid sei rechtmäßig. Zwar habe sie keinen Anspruch auf die Bewilligung aus der Überbrückungshilfe-II-Richtlinie, jedoch aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. einer Wechselwirkung zwischen Grundrechtsbeschränkung und dem Kompensationscharakter der Überbrückungshilfe. Nr. 3 Abs. 4 der Richtlinie verstoße gegen ihre Berufsfreiheit, weil durch die Einschränkung eines zwingenden gemeinsamen Antrags für verbundene Unternehmen der Wettbewerb zulasten verbundener Unternehmen erheblich beeinträchtigt werde. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie hätten kleine und mittlere Unternehmen und große Unternehmen gleichermaßen betroffen. Allein die Tatsache, dass sie Teil eines verbundenen Unternehmens sei, sichere ihre Existenz nicht. Vielmehr stelle der Ausschluss von der Überbrückungshilfe II ihre Existenz am Markt in Frage. Auch verstoße diese Regelung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil sowohl Reisebüros in verbundenen als auch in nicht verbundenen Unternehmen vom Lockdown und seinen Folgen betroffen gewesen seien. Da die L. GmbH keine finanziellen Ausgleichszahlungen an die Klägerin leiste, entspreche die negative wirtschaftliche Situation der Klägerin derjenigen von Reisebüros, die keinem verbundenen Unternehmen angehörten. Zwischen der L. GmbH und der Klägerin habe kein Gewinnabführungsvertrag und keine andere gesellschaftsrechtliche Vereinbarung darüber bestanden, dass die L. GmbH für Liquiditätsengpässe der Klägerin aufzukommen habe. Auch habe sich die L. GmbH auf Nachfrage nicht bereit erklärt, finanzielle Ausgleichszahlungen an die Klägerin zu leisten. Die Rücknahme der Bewilligung sei zudem rechtswidrig, weil die erforderliche Anhörung nicht nachgeholt worden sei und sie sich auf Vertrauensschutz berufen könne. Sie habe davon ausgehen dürfen, dass ihr handschriftlicher Zusatz bei der Antragsprüfung berücksichtigt werde; soweit eine schnelle Prüfung und Entscheidung zu Fehlern führe, liege dies nicht in ihrer Verantwortung. Die Entscheidung sei ermessensfehlerhaft ergangen, insbesondere enthalte § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW kein intendiertes Ermessen.
30Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (jeweils eine elektronische Gerichtsakte in der ersten und in der zweiten Instanz sowie eine beigezogene elektronische Gerichtsakte ‒ 11 K 3147/20 VG Minden) und der beigezogenen elektronischen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei elektronische Vorgänge) Bezug genommen.
31Entscheidungsgründe:
32Die Berufung des Beklagten hat Erfolg. Die Klage ist sowohl im Haupt- (unter I.) als auch im Hilfsantrag (unter II.) unbegründet.
33I. Der Hauptantrag bleibt ohne Erfolg. Der Rücknahmebescheid des Beklagten vom 30.3.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
34Ermächtigungsgrundlage für den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 30.3.2021 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden, § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier – eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist, § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG NRW unter anderem nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; in diesem Fall wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW.
35Der Rücknahmebescheid ist formell rechtmäßig. Zwar hat der Beklagte die Klägerin vor der Entscheidung nicht gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört. Die darin liegende Verletzung der Verfahrensvorschrift ist jedoch gemäß § 46 VwVfG NRW unschädlich. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44 VwVfG NRW nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
36Die fehlende Anhörung hat die Entscheidung in der Sache vorliegend offensichtlich nicht beeinflusst. Die Voraussetzungen für die Rücknahme waren gegeben und das Ermessen war gemäß § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW in Richtung auf die ausgesprochene Rücknahme reduziert. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines atypischen Sachverhalts, der eine andere Entscheidung hätte rechtfertigen können, sind nicht gegeben, zumal die Rücknahme auch wegen eines Verstoßes gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV zwingend auszusprechen war. Dies ergibt sich aus den nachfolgenden Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheids.
37Der Rücknahmebescheid vom 30.3.2021 ist materiell rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW lagen vor. Der Bewilligungsbescheid vom 30.3.2021 war rechtswidrig (dazu unter 1.). Das behördliche Ermessen war in Richtung der ausgesprochenen Rücknahme reduziert (unter 2.).
381. Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig zustande gekommen, wenn das im Erlasszeitpunkt geltende Recht unrichtig angewendet oder bei der Entscheidung von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.1.1969 – 3 C 153.67 –, BVerwGE 31, 222 = juris, Rn. 14.
40Beides ist vorliegend der Fall. Zum einen verstieß die Bewilligung der Überbrückungshilfe an die Klägerin gegen Art. 107 Abs. 1 i. V. m. Art. 108 Abs. 3 AEUV (unter a), zum anderen beruhte sie ungeachtet des handschriftlichen Zusatzes der Klägerin im Antrag auf falschen und unvollständigen Antragsangaben (unter b).
41a) Die Bewilligung der Überbrückungshilfe an die Klägerin durch Bescheid vom 30.3.2021 ist bereits rechtswidrig, weil sie gegen Art. 107 Abs. 1 i. V. m. Art. 108 Abs. 3 AEUV verstößt. Die bei der Kommission angemeldeten und von ihr gebilligten Regelungen zur Bewilligung von Überbrückungshilfen in Deutschland erlaubten es nicht, Überbrückungshilfen an ein einzelnes Unternehmen ausschließlich unter Berücksichtigung seiner eigenen Wirtschaftslage zu leisten, obwohl dieses Teil eines Unternehmensverbundes war.
42Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, grundsätzlich mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Nach Art. 108 Abs. 3 AEUV sind die Mitgliedstaaten zum einen verpflichtet, bei der Kommission alle Maßnahmen anzumelden, mit denen eine Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingeführt oder umgestaltet werden soll, und zum anderen, gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV solche Maßnahmen nicht durchzuführen, solange die Kommission nicht abschließend über sie entschieden hat. Staatliche Beihilfen, die nicht von einer Freistellungsverordnung erfasst werden, unterliegen weiterhin der in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Anmeldepflicht.
43Vgl. EuGH, Urteil vom 5.3.2019 – C-349/17 –, Eesti Pagar, ECLI:EU:C:2019:172, juris, Rn. 56 ff. (bezogen auf Art. 3 der Verordnung Nr. 800/2008).
44Die Überbrückungshilfe II NRW fällt nicht unter eine allgemeine Freistellungsregelung. Nach der von der Europäischen Kommission gesondert genehmigten „Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020“ vom 12.2.2021, auf der die Überbrückungshilfe II NRW gemäß Nr. 1 Abs. 2 Buchst. b) der Richtlinien des Landes zur fortgesetzten Gewährung von Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen („Überbrückungshilfe II NRW“) vom 1.10.2020 bezogen auf die hier streitgegenständliche Fixkostenhilfe beruht, ist sie auf die Ziffern 3.12 und 4 des Geänderten Befristeten Rahmens der Europäischen Kommission in der Fassung vom 28.1.2021 gestützt.
45Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 der Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020 vom 12.2.2021 durfte die Fixkostenhilfe nur Unternehmen gewährt werden, die während des beihilfefähigen Zeitraums Umsatzeinbußen von mindestens 30 % im Vergleich zu demselben Zeitraum im Jahr 2019 erlitten hatten bzw. erlitten. Die Gesamtsumme der einem Unternehmen nach dieser Regelung gewährten Fixkostenhilfen durfte nach § 2 Abs. 5 der Bundesregelung den Höchstbetrag von 10 Millionen Euro pro Unternehmen nicht übersteigen. Vor Gewährung der Beihilfe hatte das betreffende Unternehmen nach § 5 Abs. 1 der Bundesregelung der beihilfegebenden Stelle schriftlich in Papierform, in elektronischer Form oder in Textform jede Fixkostenhilfe nach dieser Regelung anzugeben, die es bislang erhalten hatte, sodass sichergestellt war, dass der nach dieser Regelung zulässige Höchstbetrag nicht überschritten wurde.
46Bei der Genehmigung dieser Regelungen, die sich inhaltlich an dem Geänderten Befristeten Rahmen in der Fassung vom 28.1.2021 orientierten, legte die Kommission den in diesem Zusammenhang maßgeblichen primärrechtlichen Begriff des „Unternehmens“ nach den Wettbewerbsvorschriften des AEUV zugrunde. Dieser Unternehmensbegriff bezeichnet nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Mehrere getrennte rechtliche Einheiten können für die Zwecke der Anwendung der Beihilfevorschriften als eine wirtschaftliche Einheit angesehen werden. Diese wirtschaftliche Einheit ist dann als das relevante Unternehmen anzusehen. In dieser Hinsicht sieht der Gerichtshof das Bestehen von Kontrollbeteiligungen und anderer funktioneller, wirtschaftlicher und institutioneller Verbindungen als erheblich an.
47Vgl. EuGH, Urteile vom 10.1.2006 – C-222/04 –, Cassa di Risparmio di Firenze, ECLI:EU:C:2006:8, juris, Rn. 107, 112 ff., m. w. N, und vom 16.12.2010 – C-480/09 P –, AceaElectrabel, ECLI:EU:C:2010:787, juris, Rn. 49.
48Dieses Begriffsverständnis hat die Kommission unter Bezugnahme auf ihre Empfehlung 2003/361/EG und Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 800/2008 der Kommission vom 6.8.2008 im Erwägungsgrund 4 der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18.12.2013 über die Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen und nochmals in der Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV (2016/C 262/01) im 2. Abschnitt unter Nr. 7, 11 wiederholt ausdrücklich klargestellt.
49Diese Begriffsbestimmung stimmt grundsätzlich mit der die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Klarstellung abbildenden Definition eines „verbundenen Unternehmens“ im Sinne von Anhang I Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EU) 651/2014 der Kommission vom 17.6.2014 überein.
50Vgl. EuGH, Urteil vom 24.9.2020 ‒ C-516/19 ‒, NMI Technologietransfer GmbH, ECLI:EU:C:2020:754, juris, Rn. 31 ff.; siehe hierzu auch den Benutzerleitfaden zur Definition von kleinen und mittleren Unternehmen der Europäischen Kommission, https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/79c0ce87-f4dc-11e6-8a35-01aa75ed71a1/language-de.
51Dagegen sollte die demgegenüber geringfügig vereinfachte Definition des einzigen Unternehmens in Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 ausweislich des 4. Erwägungsgrundes zur Verringerung des Verwaltungsaufwands und im Interesse der Rechtssicherheit nur für allgemein freigestellte De-minimis-Beihilfen gelten.
52Dieser Definition des verbundenen Unternehmens folgend handelte es sich bei der Klägerin um ein Teilunternehmen eines verbundenen Unternehmens. Ihre Alleingesellschafterin, die beherrschenden Einfluss auf die Klägerin hatte, war im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung die L. GmbH, die noch weitere Beteiligungen hielt. Alleingesellschafterin der L. GmbH war wiederum die L. Gruppe GmbH.
53Da die Klägerin nach den obigen Ausführungen als Teil eines verbundenen Unternehmens nicht als Unternehmen im Sinne der von der Kommission genehmigten Bundesregelung Fixkostenhilfe anzusehen war und ihr Unternehmensverbund die Voraussetzungen für die tatsächlich erfolgte Beihilfegewährung nach der Bundesregelung Fixkostenhilfe nicht erfüllte, ist ihr die Überbrückungshilfe II mit Bewilligungsbescheid vom 30.3.2021 ohne die erforderliche Billigung der Kommission, mithin unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV bewilligt worden.
54b) Die Bewilligung der Überbrückungshilfe an die Klägerin ist darüber hinaus rechtswidrig, weil sie ungeachtet des handschriftlichen Zusatzes der Klägerin im Antrag auf falschen und unvollständigen Antragsangaben beruhte.
55Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts kann neben der falschen Anwendung geltenden Rechts auch darauf beruhen, dass die Behörde den Verwaltungsakt bei vollständiger Kenntnis der für die rechtliche Beurteilung bedeutsamen Tatsachen nicht erlassen hätte. Es kommt nicht darauf an, ob sich die Behörde um eine richtige und vollständige Sachaufklärung bemüht, d. h. die ihr zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat. Maßgebend ist allein, ob die Sachverhaltswürdigung unter Einbeziehung der nachträglich entstandenen oder bekannt gewordenen Tatsachen die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ergibt.
56Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.6.2017 – 6 C 3.16 –, BVerwGE 159, 148 = juris, Rn. 19.
57Nach diesem Maßstab war die Bewilligung der Überbrückungshilfe II NRW an die Klägerin wegen der ihr zugrundeliegenden unzutreffenden Tatsachengrundlage nicht im Rahmen einer fehlerfreien Ermessensausübung nach § 40 VwVfG NRW und damit rechtswidrig erfolgt. Die Gewährung beruhte auf den Angaben im Antrag der Klägerin vom 26.3.2021, in dem zur Art des Unternehmens „Sonstige“ und nicht „Unternehmen eines Unternehmensverbundes“ angegeben worden war. Die durch die Auswahl im drop-down-Menü zur Art des Unternehmens, bei der die Auswahlmöglichkeiten Freiberufler und Solo-Selbstständige, Gemeinnützige Unternehmen, Sonstige oder Unternehmen eines Unternehmensverbundes bestanden, getätigte Angabe entsprach jedoch ‒ wie die Klägerin handschriftlich selbst klargestellt hatte ‒ nicht den Tatsachen, weil die Klägerin Teil eines Unternehmensverbundes war, zu dem u. a. die L. GmbH und die L. Gruppe GmbH gehörten. Dementsprechend enthielt der Antrag keine vollständigen Angaben über sämtliche Unternehmen des Unternehmensverbundes. Zugleich bezog sich die Angabe, es handele sich um ein kleines oder Kleinstunternehmen, unzutreffend auf die Klägerin und nicht auf den Unternehmensverbund. Auch wenn die Zugehörigkeit zu einem Unternehmensverbund handschriftlich offengelegt worden war, beruhte die Bewilligung nur auf den unzutreffenden und zudem jedenfalls unvollständigen elektronischen Angaben, weil die Überbrückungshilfe II NRW bei der im Antrag vorgesehenen Angabe aller Unternehmen des Unternehmensverbundes und deren Berücksichtigung nach den Vorgaben der Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020 nicht in der erfolgten Weise hätte gewährt werden dürfen. Die Bewilligung an die mit anderen Unternehmen verbundene Klägerin ohne Rücksicht auf deren wirtschaftliche Lage war damit ohne Billigung der Kommission weder rechtlich zulässig noch entsprach sie der aus der Gestaltung des Förderantrags ersichtlichen Verwaltungspraxis, nach der im Antrag stets sämtliche mit dem antragstellenden Unternehmen verbundenen Unternehmen anzugeben und zu berücksichtigen waren. Wären diese Unternehmen eingetragen worden, hätten die Voraussetzungen für die Bewilligung der Überbrückungshilfe für den Unternehmensverbund vorliegen müssen, was jedenfalls nicht in dem bewilligten Umfang der Fall war. Das hatte die Klägerin selbst erkannt und in ihrem handschriftlichen Vermerk zum Ausdruck gebracht.
582. Ermessensfehler des Beklagten sind nicht gegeben. Sein Ermessen war sowohl mit Blick auf die in wesentlicher Beziehung unrichtigen und unvollständigen Angaben, auf denen die Bewilligung trotz der handschriftlichen Korrektur beruhte (unter a), als auch angesichts der unionsrechtswidrigen Beihilfegewährung (unter b) in Richtung auf die Rücknahme der rechtswidrig gewährten Überbrückungshilfe II mit Wirkung für die Vergangenheit eingeschränkt, ohne dass außergewöhnliche Umstände gegeben waren, die er hätte berücksichtigen müssen (unter c).
59Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW wird in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW, in denen sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen kann und deshalb auch das Rücknahmeverbot nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW nicht greift und zu denen gehört, dass der Begünstigte den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW lenkt das der Behörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW zustehende Ermessen, indem er für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt. In diesen Fällen müssen besondere Gründe vorliegen, wenn eine Rücknahme nur für die Zukunft angeordnet oder überhaupt von der Rücknahme abgesehen werden soll. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Nur dann, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind. Die entsprechenden Erwägungen sind dann auch in der Begründung kenntlich zu machen.
60Vgl. BVerwG, Urteile vom 22.3.2017 – 5 C 4.16 –, BVerwGE 158, 258 = juris, Rn. 40 f., vom 14.3.2013 – 5 C 10.12 –, juris, Rn. 32, vom 16.6.1997 – 3 C 22.96 –, BVerwGE 105, 55 = juris, Rn. 14 f., und vom 23.5.1996 – 3 C 13.94 –, juris, Rn. 51; siehe auch BVerwG, Urteil vom 26.7.2006 – 6 C 20.05 –, BVerwGE 126, 254 = juris, Rn. 104 f.
61Lediglich für die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, die nicht unter den Anwendungsbereich des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG fallen, nimmt das Bundesverwaltungsgericht keinen Fall intendierten Ermessens an, weil die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten bei ihnen gleichberechtigt nebeneinanderstehen.
62Vgl. BVerwG, Urteile vom 16.6.2015 – 10 C 15.14 –, BVerwGE 152, 211 = juris, Rn. 29, und vom 24.2.2021 – 8 C 25.19 –, juris, Rn. 11, m. w. N.
63a) Hier ist ein Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 i. V. m. § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW gegeben, wonach der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, weil die Klägerin den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig und unvollständig waren. Durch ihre unzutreffende Angabe als „sonstiges Unternehmen“ hat sie eine in wesentlicher Beziehung unrichtige und unvollständige Angabe getätigt und dadurch die Bewilligung der Überbrückungshilfe erwirkt. Hätte sie zur Art des Unternehmens zutreffend „Unternehmen eines Unternehmensverbundes“ angegeben, hätte sie weitere Angaben zu den übrigen Unternehmen machen müssen und wäre es – wie oben ausgeführt – nicht zu der zurückgenommenen Bewilligung gekommen.
64b) Die Klägerin kann sich auch als Empfängerin einer nach Art. 108 Abs. 3 AEUV rechtswidrigen Beihilfe nicht auf ein Vertrauen in ihre ordnungsgemäße Bewilligung berufen. Da die Überwachung der staatlichen Beihilfen durch die Kommission in Art. 108 AEUV zwingend vorgeschrieben ist, dürfen nach ständiger Rechtsprechung zum einen die von einer Beihilfe begünstigen Unternehmen auf die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe grundsätzlich nur dann vertrauen, wenn sie unter Einhaltung des in diesem Artikel vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde; zum anderen ist es einem sorgfältigen Wirtschaftsteilnehmer regelmäßig möglich, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten wurde. Insbesondere kann der Empfänger einer Beihilfe, wenn sie ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission gewährt wurde, so dass sie gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV rechtswidrig ist, in diesem Moment kein berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit ihrer Gewährung haben.
65Vgl. EuGH, Urteil vom 5.3.2019 – C-349/17 –, Eesti Pagar, ECLI:EU:C:2019:172, juris, Rn. 98, m. w. N.
66Zwar enthält das Gemeinschaftsrecht keine Rechtsvorschriften, die die Befugnis der Behörde gegenüber dem Beihilfeempfänger regeln, Bewilligungsbescheide über in Durchführung des Gemeinschaftsrechts gewährte Prämien und Beihilfen zurückzunehmen oder zu widerrufen.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2003 – 3 C 22.02 –, juris, Rn. 15.
68Allerdings obliegt im Rahmen innerstaatlicher Ermächtigungsnormen einer nationalen Stelle, die feststellt, dass eine Beihilfe, die sie gewährt hat, nicht die Voraussetzungen nach Art. 108 Abs. 3 AEUV erfüllt, auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die rechtswidrig gewährte Beihilfe aus eigener Initiative zurückzufordern.
69Vgl. EuGH, Urteil vom 5.3.2019 – C-349/17 –, Eesti Pagar, ECLI:EU:C:2019:172, juris, Rn. 89 ff.
70c) Außergewöhnliche Umstände, die es im Falle der Klägerin geboten hätten, eine Ausnahme vom gesetzlichen Regelfall der Rücknahme der Überbrückungsbeihilfe anzunehmen, und die der Beklagte im Rahmen seines Ermessens unberücksichtigt gelassen haben könnte, liegen nicht vor.
71Dass der Beklagte (gegebenenfalls) trotz Kenntnis oder aber in fahrlässiger Unkenntnis des handschriftlichen Hinweises der Klägerin die Überbrückungshilfe entsprechend den elektronischen Antragsangaben gewährt hatte, stellt keinen außergewöhnlichen Umstand im oben genannten Sinn dar. Eine Mitverantwortung der Behörde kann verlorenen Vertrauensschutz nicht wieder begründen, sondern allenfalls dazu führen, dass der Rücknahme eines Bewilligungsbescheides nach Treu und Glauben der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegensteht.
72Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.5.1996 – 3 C 13.94 –, juris, Rn. 50.
73Ein treuwidriges Verhalten des Beklagten liegt hier aber schon deshalb nicht vor, weil zwischen Bewilligung und Rücknahme nur ein kurzer Zeitraum lag, die bewilligte Fördersumme wegen des sofort aufgefallenen Fehlers gar nicht an die Klägerin ausgezahlt worden und ihr ‒ wie sich aus ihrem handschriftlichen Zusatz ergibt ‒ von vornherein bewusst war, dass sie keine positive Entscheidung im beantragten Umfang zu erwarten hatte.
74Insbesondere war die Rückforderung auch nicht deshalb treuwidrig, weil die Klägerin berechtigterweise hätte annehmen dürfen, dass der Beklagte seine Förderpraxis geändert habe. Hierfür hatte sie schon angesichts der für sie erkennbaren Antragsgestaltung keinerlei Anhaltspunkt. Ungeachtet dessen, dass bereits ein vorausgehender Antrag der Klägerin auf Gewährung einer „Überbrückungshilfe Corona“ von der Bezirksregierung M. mit dem Hinweis auf die Eigenschaft der Klägerin als verbundenes Unternehmen abgelehnt worden war, lagen die Voraussetzungen des europäischen Beihilfenrechts, insbesondere eine erforderliche Genehmigung der Kommission, für eine nur der Klägerin unabhängig von ihrer Stellung im Unternehmensverbund gewährte Überbrückungshilfe II in dem beantragten Umfang nicht vor. Sich darüber zu vergewissern, ist einem sorgfältigen Wirtschaftsteilnehmer regelmäßig möglich.
75Die Tatsache, dass die Klägerin ihre Eigenschaft als verbundenes Unternehmen in dem handschriftlichen Vermerk klargestellt hatte, kann für sich genommen außergewöhnliche Umstände nicht begründen. Mit der Klarstellung hatte die Klägerin vielmehr deutlich gemacht, dass die elektronischen Angaben bewusst falsch und unvollständig erfolgt waren. Ihre Absicht, sich hierdurch den Rechtsweg offen zu halten, ändert an der bewussten Falschangabe, die der Bewilligung zugrunde lag, nichts. Effektiver Rechtsschutz war nicht von falschen oder unvollständigen Angaben der Klägerin zum Unternehmensverbund abhängig. Ihr stand stattdessen deutlich näherliegend die Möglichkeit offen, unabhängig von dem vorgesehenen Formular einen Antrag mit richtigen und vollständigen Angaben zum Unternehmensverbund zu stellen und gegen einen darauf ergehenden Ablehnungsbescheid eine Verpflichtungsklage zu erheben.
76Auch aus dem Vortrag der Klägerin, dass sie aufgrund ihrer Beteiligungsstruktur von einer Besonderheit ausgegangen sei, die die Hilfegewährung rechtfertige, ergibt sich kein Anhaltspunkt für außergewöhnliche Umstände im obigen Sinne. Insbesondere besteht keine rechtlich erhebliche Ungleichbehandlung bezogen auf Reisebüros, die als Einzelunternehmen betrieben werden. Voraussetzung einer ‒ gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden ‒ Ungleichbehandlung ist das Vorliegen im Wesentlichen gleicher Sachverhalte. Daran fehlt es jedoch vorliegend. Nach der Bundesregelung Fixkostenhilfe bestanden bei dem unionsrechtlich gebotenen Verständnis des beihilferechtlichen Unternehmensbegriffs keine Zweifel, dass die Klägerin als Einzelunternehmen unter Berücksichtigung der Beteiligungsstruktur der Unternehmensgruppe wegen deren weitergehender wirtschaftlicher Möglichkeiten nicht allein im erfolgten Umfang förderberechtigt war. Die Klägerin musste gerade nicht einem Einzelunternehmen vergleichbar für die Fixkosten allein aufkommen. Im Gegenteil konnte sie sogar tatsächlich auf Unterstützung aus dem Unternehmensverbund auf der Grundlage des Ergebnisabführungsvertrags vom 9.12.2020 zwischen ihr und der L. GmbH setzen, der wegen seiner auf der Eintragung in das Handelsregister am 16.12.2020 gemäß § 3 Abs. 1 des Vertrags beruhenden rückwirkenden Wirksamkeit für das ganze Jahr 2020 bereits für den Förderzeitraum relevant war. Danach war die Klägerin nicht nur zur Gewinnabführung an die L. GmbH verpflichtet; nach § 2 des Vertrags war die L. GmbH verpflichtet, jeden während der Vertragsdauer sonst entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen. Ihre Behauptung im Schriftsatz vom 27.2.2024 (Blatt 111 der elektronischen Gerichtsakte des Berufungsverfahrens), Besonderheiten hätten sich daraus ergeben, dass die L. GmbH sich auf Nachfrage zu finanziellen Ausgleichszahlungen nicht bereit erklärt hätte, ist damit widerlegt. Schon weil sie wahrheitswidrig erfolgt ist, bietet sie keine Grundlage für die Annahme eines im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigenden atypischen Sonderfalls.
77II. Der hilfsweise gestellte Antrag der Klägerin,
78festzustellen, dass sie einen Anspruch auf Erlass oder Änderung der Förderrichtlinien in der Hinsicht habe, dass sie einen Anspruch auf Überbrückungshilfe II oder eine vergleichbare Hilfe in entsprechendem Umfang geltend machen kann,
79bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Er ist ungeachtet der fraglichen Einhaltung der Anforderungen des § 43 Abs. 1 und 2 VwGO jedenfalls unbegründet. Einen Anspruch auf Erlass oder Änderung der Förderrichtlinien in ihrem Sinne hat die Klägerin nicht.
80Bei der gewährenden Staatstätigkeit hat der Gesetzgeber weitgehende Freiheit, darüber zu entscheiden, welche Personen oder Unternehmen durch finanzielle Zuwendungen des Staates gefördert werden sollen. Zwar bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Das bedeutet aber nur, dass er seine Leistungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten verteilen darf. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt.
81Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2008 – 1 BvF 4/05 –, BVerfGE 122, 1 = juris, Rn. 88, m. w. N.
82Hier ist weder ersichtlich noch von der Klägerin substantiiert vorgetragen, dass es ein unsachlicher Gesichtspunkt ist, die Beantragung der Überbrückungshilfe für Unternehmen eines Unternehmensverbundes von einem einheitlich zu stellenden Antrag für den Unternehmensverbund abhängig machen. Vielmehr ergibt sich die zwingende Unterscheidung von Unternehmen und verbundenen Unternehmen bereits aus den allgemeinen, sachlich gerechtfertigten europarechtlich vorgegebenen Maßstäben für die Gewährung von Zuwendungen an Wirtschaftsunternehmen. Zudem hat der Beklagte im Verfahren 11 K 3147/20 (VG Minden) darauf hingewiesen, dass die L. GmbH als alleinige Gesellschafterin der Klägerin in der Vergangenheit sämtliche Gewinne aus der Geschäftstätigkeit der Klägerin vereinnahmt hat und es eine zutreffende und nachvollziehbare Überlegung sei, in solchen Fällen die durch die Pandemie entstandenen Verluste nicht beim Beklagten zu verorten und damit bei der Allgemeinheit, die Steuern zahlt. Auch diese Erwägung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
83Aus der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG folgt ebenfalls kein Leistungsanspruch. Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG ist ein subjektives Abwehrrecht des Grundrechtsberechtigten gegen hoheitlich verantwortete Eingriffe. Solche Eingriffe sind hier nicht streitgegenständlich. Daneben kann aus der Berufsfreiheit als Ausfluss der objektiven Wertordnung der Grundrechte des Grundgesetzes eine staatliche Schutzpflicht abzuleiten sein, mit der ein Schutzanspruch korrespondieren kann. Allerdings ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 GG auch bei Berücksichtigung staatlicher Schutzpflichten grundsätzlich kein konkreter Anspruch auf staatliche Leistungen.
84Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.2.2011 – 13 A 648/10 –, juris, Rn. 116 ff., m. w. N. (bezogen auf eine Krankenhausförderung).
85Dementsprechend gibt Art. 12 Abs. 1 GG regelmäßig‚ so auch hier, keinen Anspruch auf den Erhalt staatlicher Subventionen.
86Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.6.1990 – 1 BvR 355/86 –, BVerfGE 82, 209 = juris, Rn. 62 (Investitionskosten eines Krankenhauses).
87Marktteilnehmer haben auch keinen grundrechtlichen Anspruch aus Art. 12 Abs. 1 GG darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleich bleiben. Insbesondere gewährleistet das Grundrecht keinen Anspruch auf eine erfolgreiche Marktteilhabe oder künftige Erwerbsmöglichkeiten. Vielmehr unterliegen die Wettbewerbsposition und damit auch die erzielbaren Erträge dem Risiko laufender Veränderung je nach den Verhältnissen am Markt und damit nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen.
88Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 –, BVerfGE 148, 40 = juris, Rn. 27, m. w. N.
89Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
90Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
91Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.