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Oberverwaltungsgericht NRW, 22 D 150/22.AK

Datum:
16.02.2024
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
22. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 D 150/22.AK
ECLI:
ECLI:DE:OVGNRW:2024:0216.22D150.22AK.00
 
Schlagworte:
Windenergie; Immissionsschutzrecht; Genehmigungsbehörde; militärischer Luftverkehr; Gefahr; Luftfahrtbehörde; Luftsicherheit; Beschleunigungsinteresse; Zustimmung; Fiktion; Aufhebung; Rücknahme; Widerruf; unbenannter öffentlicher Belang; verteidigungspolitische Interessen; Tiefflüge; Hubschrauber; Tiefflugband; Tiefflugkorridor; Kampfjets; militärischer Übungsbetrieb; verbundes Gefecht; Truppenübungsplatz; NATO-Truppenstatut; verteidigungspolitischer Beurteilungsspielraum; Luftbeschränkungsgebiet; ED-R; Landesentwicklungsplan; Ziele der Raumordnung; Kernpotenzialflächen
Normen:
GG Art. 87a; NTS-ZA Art. 46; NTS-ZA Art. 53 Abs. 6; NATOTrStatVtrG Art. 21b; BImSchG § 6; BauGB § 35 Abs. 3; LuftVG § 12; LuftVG § 14; LuftVG § 29; LuftVG § 31; EEG § 2
Leitsätze:

Für eine wirksame und damit den Eintritt der Zustimmungsfiktion hindernde Verlängerung der Zweimonatsfrist nach § 12 Abs. 2 Satz 3 LuftVG a. F. bedarf es einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Entscheidung der Genehmigungsbehörde. Mit der gesetzlichen Wendung „fachliche Beurteilung wegen des Ausmaßes der erforderlichen Prüfungen nicht möglich“ ist ein Ausnahmefall umschrieben, für dessen Annahme besondere Umstände vorliegen müssen. Diese sind von der Luftfahrtbehörde hinreichend konkret darzulegen, damit die Genehmigungsbehörde und gegebenenfalls nachfolgend das Gericht auf einer tragfähigen Grundlage beurteilen können, ob sie im konkreten Einzelfall eine Fristverlängerung rechtfertigen.

Es obliegt allein der Genehmigungsbehörde, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 12 Abs. 2 Satz 3 LuftVG a. F. über die Verlängerung der Zustimmungsfrist unter Abwägung zwischen dem Beschleunigungsinteresse der Antragstellerin einerseits und der sorgfältigen Prüfung der Luftsicherheitsbelange andererseits, zu entscheiden.

Diese Entscheidung ist nicht formgebunden, bedarf aber nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Zustimmungsfiktion einer hinreichenden und eindeutigen Dokumentation. Ein form- und fristgerechter Verlängerungsantrag der Luftfahrtbehörde genügt für sich genommen nicht. Denn dann bliebe vollständig und dauerhaft und für alle Betroffenen – insbesondere für die Antragstellerin und die Luftfahrtbehörde – in der Schwebe, ob die Frist verlängert oder die Fiktion bereits eingetreten ist.

Eine infolge Fristablaufs eingetretene Zustimmungsfiktion nach § 12 Abs. 2 Satz 2 LuftVG a. F. kann von der Luftfahrtbehörde grundsätzlich nicht autonom aufgehoben werden.

Mit dem unbenannten öffentlichen Belang der Landesverteidigung im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB sind jedenfalls für den Bereich des Luftverkehrs inhaltlich keine weitergehenden Anforderungen verbunden als mit dem Tatbestandsmerkmal der Gefährdung des Luftverkehrs im Sinne der §§ 12, 14 und 29 LuftVG.

Es bleibt offen, ob ein fortbestehendes Nutzungsrecht von NATO-Gaststreitkräften für militärische Liegenschaften in Deutschland im Sinne des Art. 21b NATOTrStatVtrG der Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für Windenergieanlagen eigenständig nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG entgegenstehen kann oder ob es im Rahmen der verteidigungspolitischen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB zutreffend angesiedelt ist.

Die luftrechtliche Zustimmung nach §§ 12, 14 LuftVG ist (nur) dann zu versagen, wenn nach §§ 14 Abs. 1, 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG eine konkrete Gefahr für die Sicherheit des Luftverkehrs vorliegt. Das ist der Fall, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit einem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden muss oder eine vorhandene Gefahr konkret verstärkt wird. Die bloße Möglichkeit eines schĭdigenden Ereignisses aufgrund eines hypothetischen Sachverhalts genügt hingegen nicht.

Zu der durch den Zustimmungsvorbehalt nach § 14 LuftVG geschützten Sicherheit der Luftfahrt gehört schon nach dem umfassenden, nicht nach dem Nutzungszweck differenzierenden Wortlaut der Norm der militärische, im Bundesgebiet grundsätzlich gemäß Art. 87a Abs. 1 GG von der Bundeswehr wahrgenommene Luftverkehr, und zwar auch und insbesondere, soweit dadurch der Luftraum, etwa durch Tiefflüge, besonders in Anspruch genommen wird. Dem steht die Inanspruchnahme durch verbündete (NATO-)Streitkräfte aus verteidigungspolitischen Gründen, insbesondere im Übungsfall, unter bestimmten Bedingungen gleich, wie sich nicht zuletzt aus Art. 46 NTS-ZA ergibt.

Der Bundeswehr kommt bei der Entscheidung, was zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Verteidigungsaufgaben zwingend notwendig ist, ein verteidigungspolitischer Beurteilungsspielraum zu. Es ist deshalb den militärischen Überlegungen zu überlassen, wann und in welchem Umfang ein Tiefflugbetrieb im Einzelfall nach Maßgabe der konkreten Verhältnisse durchgeführt wird.

Der der Bundeswehr eingeräumte verteidigungspolitische Beurteilungsspielraum ist vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht unbeschränkt. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich allerdings darauf, ob die zuständige Stelle der Bundeswehr von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, sich von sachgerechten Erwägungen hat leiten lassen und ob sie die zivilen Interessen einschließlich der Lärmschutzinteressen in die gebotene Abwĭgung eingestellt und nicht unverhältnismäßig zurückgesetzt hat.

In diesem Zusammenhang sind auch die Wertungen des § 2 Satz 1 EEG – wenn auch mit den Einschränkungen nach § 2 Satz 3 EEG – zu berücksichtigen. Der Regelung ist damit eine Bewertung des potenziellen Interessengeflechts als gleichrangig zu entnehmen, nicht aber eine Reduzierung des überragenden öffentlichen Interesses an der Nutzung erneuerbarer Energien auf eine generelle Nachrangigkeit gegenüber verteidigungspolitischen Interessen.

Der verteidigungspolitische Beurteilungsspielraum erstreckt sich auch darauf, dass es der Bundeswehr obliegt, das Gefährdungspotenzial einer Windenergieanlage im Korridor einer Tiefflugübungsstrecke zu beurteilen. Einschätzungen und Wertungen, die die zuständige Behörde im Rahmen des ihr eröffneten Beurteilungsspielraums vornimmt, sind auch einem Sachverständigengutachten grundsätzlich nicht zugänglich. Soweit die Gefahrenanalyse prognostische Einschätzungen umfasst, erstreckt sich die gerichtliche Kontrolle darauf, ob die Prognose auf der Grundlage fachwissenschaftlicher Maßstäbe methodengerecht erstellt wurde. Die Prognose ist fehlerhaft, wenn sie auf willkürlichen Annahmen oder offensichtlichen Unsicherheiten beruht, in sich widersprüchlich oder aus sonstigen Gründen nicht nachvollziehbar ist.

Es besteht eine Vermutung dahingehend, dass ein einem Truppenübungsplatz (hier: dem Truppenübungsplatz Senne) zugeordneter beschränkter Luftraum (hier: ED-R 112/A) nach seinem Einrichtungszweck so bemessen ist, dass er die befriedigende Erfüllung der Funktionen des Truppenübungsplatzes einschließlich des dort stattfindenden Übungs- und Manöverbetriebs hinreichend effektiv absichert. Für eine Gefährdung auch außerhalb der Grenzen eines solchen Luftraums bzw. eines solchen Truppenübungsplatzes bedarf es weiterer - hier fehlender bzw. nicht feststellbarer - Umstände.

Zu dem Einrichtungszweck eines Luftbeschränkungsgebiets gehört es, den mit dem Truppenübungsplatz in Verbindung stehenden Flugverkehr abzusichern und entsprechende Gefahren zu vermeiden. Solche Gefahren können auch bauliche Anlagen hervorrufen, die in Höhen hineinragen, in denen solcher Flugverkehr nach allgemeinen oder besonderen Regeln stattfinden darf. Dies indiziert zumindest dann eine Gefährdung des militärischen Flugverkehrs durch Windenergieanlagen heute üblicher Bauhöhen, wenn dieser Luftraum tatsächlich mit einer gewissen Regelmäßigkeit zur Durchführung von Tiefflügen genutzt wird.

Es ist zumindest zweifelhaft, dass der Plansatz 10.2-13 des Entwurfs des Landesentwicklungsplans NRW zulässige und verbindliche Ziele der Raumordnung enthält.

 
Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat.

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 5. Oktober 2022 verpflichtet, den Antrag der Klägerin vom 18. Dezember 2020 auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von insgesamt 13 Windenergieanlagen des Typs Enercon E-160 EP5 E2 mit einer Gesamthöhe von jeweils 246,6 m im Außenbereich der Städte Q. und Y. sowie der Gemeinde J. hinsichtlich der beantragten Anlagen WEA 03 – 09 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der jeweilige Vollstreckungsgläubiger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 
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