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Das angegriffene Urteil wird im Umfang der Berufung geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2018 und ihr Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2018 werden aufgehoben, soweit die erteilten Negativbescheinigungen bis zum 31. Dezember 2020 befristet sind.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Unter Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung tragen der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 die Kosten der I. Instanz.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
2I.
3Wegen des Sach- und Streitstandes bis zum Erlass des angegriffenen Urteils wird entsprechend § 130b Satz 1 VwGO auf dessen Tatbestand Bezug genommen.
4Die Beteiligten streiten (noch) über die Rechtmäßigkeit von Befristungen sogenannter "Negativbescheinigungen" nach § 35 Abs. 4 der Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, mit Eisenbahnen und auf Binnengewässern (Gefahrgutverordnung Straße Eisenbahn und Binnenschifffahrt - GGVSEB). Das Verwaltungsgericht hat der Klage, soweit der Kläger sie nicht bereits zurückgenommen hatte, mit Urteil vom 11. Dezember 2020 teilweise stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2018 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 8. Mai 2018 aufgehoben, soweit darin Gebühren von mehr als 750,00 € festgesetzt wurden, und ferner festgestellt, dass die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts durch die Beklagte bis zur Begleichung der Gebührenforderung rechtswidrig war. Soweit der Kläger darüber hinaus begehrt hat, die Bescheide aufzuheben, soweit die Negativbescheinigungen bis zum 31. Dezember 2020 befristet und Gebühren in Höhe von mehr als 200,00 € festgesetzt wurden, hilfsweise die Bescheide aufzuheben, soweit die Gültigkeit der Negativbescheinigungen nicht den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 22. Februar 2021 erfassten und Gebühren in Höhe von mehr als 200,00 € festgesetzt wurden, hat es die Klage abgewiesen und hinsichtlich der angegriffenen Nebenbestimmungen zur Begründung ausgeführt: Die Klage sei insoweit unbegründet, weil die Befristungen rechtmäßig seien. Ein etwaiger Anhörungsmangel sei jedenfalls geheilt worden. Rechtsgrundlage für die Befristung sei § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG, der entsprechend auch für solche Verwaltungsakte gelte, die im Rahmen eines der Behörde eingeräumten Beurteilungsspielraums oder eines planerischen Gestaltungsspielraums ergingen. Die Erteilung einer Negativbescheinigung stelle einen solchen Verwaltungsakt dar. Zwar handele es sich nicht um eine Ermessensentscheidung, sondern um eine gebundene Entscheidung. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung stünden der Beklagten jedoch Spielräume zu, beispielsweise hinsichtlich der Eignung des Gleis- und Hafenanschlusses, der Durchführbarkeit der Beförderung auf dem Eisenbahn- oder Wasserweg sowie der unter § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GGVSEB genannten Voraussetzungen, sodass die Entscheidung insgesamt § 36 Abs. 2 VwVfG unterfalle. Das ihr eingeräumte Ermessen - hinsichtlich der für zulässig gehaltenen Befristungsentscheidung - habe die Beklagte rechtsfehlerfrei ausgeübt.
5Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 28. März 2023 die Berufung zugelassen, soweit das Urteil die Gültigkeitsdauer des Bescheids vom 22. Februar 2018 und des Widerspruchsbescheids vom 8. Mai 2018 der Beklagten betrifft. Im Übrigen hat der Senat den Zulassungsantrag mit dem genannten Beschluss abgelehnt. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger unter Verweis auf sein erstinstanzliches Vorbringen im Wesentlichen vor: Die Erteilung einer gefahrgutrechtlichen Negativbescheinigung nach § 34 Abs. 4 GGVSEB könne im Hinblick auf § 36 Abs. 1 VwVfG nicht mit Nebenbestimmungen versehen werden, da es sich nicht um eine Ermessensentscheidung, sondern um eine gebundene Entscheidung handele. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, nach dem die Bescheinigung "zu erteilen ist" und der Beförderer "nachzuweisen hat", dass ein Schiffstransport "nicht möglich ist". Im Rahmen der Antragsbearbeitung habe die Beklagte lediglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen gegeben seien; sei eine Verlagerung möglich, so dürfe und könne keine Negativbescheinigung erteilt werden, sei hingegen keine Verlagerung möglich, so sei die Negativbescheinigung zwingend zu erteilen. Darüber hinaus handele es sich bei den Kriterien nach § 35 Abs. 1 und 2 GGVSEB um "harte, objektiv überprüfbare Fakten, deren Vorliegen oder Fehlen einfach zu verifizieren" sei und aus denen sich für die Beklagte keinerlei Bewertungsspielräume ergäben. Auch die Frage, ob in einem Hafen Explosivstoffe entladen oder umgeschlagen werden dürften, bestimme sich nach den jeweiligen hierauf bezogenen Bestimmungen des Hafens und unterliege damit keinem Spielraum hinsichtlich der Eignung des Gleisanschlusses oder Hafenanschlusses durch die Beklagte.
6Der Kläger beantragt sinngemäß,
7das angegriffene Urteil im Umfang der zugelassenen Berufung zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 8. Mai 2018 aufzuheben, soweit die damit erteilten Negativbescheinigungen bis zum 31. Dezember 2020 befristet worden sind.
8Die Beklagte beantragt,
9die Berufung zurückzuweisen.
10Zur Begründung verweist sie auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend im Wesentlichen vor: Für die Beantwortung der Frage, ob ein Anspruch auf einen Verwaltungsakt bestehe, komme es auf die konkrete Entscheidungssituation und nicht auf die abstrakte gesetzliche Formulierung der Befugnisnorm an. Wenn das Gesetz eine Ermessensentscheidung vorsehe, das Ermessen aber reduziert sei, richte sich die Zulässigkeit von Nebenbestimmungen nach § 36 Abs. 1 VwVfG und nicht nach § 36 Abs. 2 VwVfG. Umgekehrt bestehe bei einer Entscheidung, die aufgrund eines Beurteilungsspielraums oder eines planerischen Gestaltungsspielraums nicht abschließend gesetzlich determiniert sei, kein Anspruch im Sinne des § 36 Abs. 1 VwVfG auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts. In der Formulierung "sofern die Beförderung auf dem Eisenbahn- oder Wasserweg durchführbar ist" in § 30 Abs. 1 Nr. 2 GGVSEB a. F. könne ein solcher behördlicher Beurteilungsspielraum gesehen werden. Dafür spreche insbesondere die nicht abschließende Aufzählung der Beispiele unter 35.1.1 der Durchführungsrichtlinie-Gefahrgut, wann eine Beförderung auf den genannten Wegen nicht durchführbar sei. Daher falle die Entscheidung über die Erteilung einer Negativbescheinigung in den Anwendungsbereich von § 36 Abs. 2 VwVfG.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
12II.
13Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers durch Beschluss nach § 130a VwGO, weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu mit Schreiben vom 13. Februar 2024 gehört worden (§ 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
14Die zulässige Berufung ist begründet.
15Die Anfechtungsklage ist zulässig. Die Befristung der mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2018 erteilten Negativbescheinigungen gemäß § 35 Abs. 4 der Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt in der hier maßgeblichen, zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung geltenden Fassung vom 17. März 2017 (GGVSEB a. F.) ist selbständig anfechtbar. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts die Anfechtungsklage gegeben. Ob diese zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, hängt davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann. Dies ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet.
16Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2019 - 8 B 10.18 -, juris, Rn. 5, m. w. N.
17Die isolierte Aufhebbarkeit der angefochtenen Befristung scheidet nicht offenkundig von vornherein aus. Eine Negativbescheinigung nach § 35 Abs. 4 GGVSEB a. F. kann grundsätzlich auch ohne Nebenbestimmungen und insbesondere ohne Befristung erteilt werden.
18Die Anfechtungsklage ist im Umfang der Berufung begründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit die damit erteilten Negativbescheinigungen nicht unbefristet, sondern unter Befristung bis zum 31. Dezember 2020 erteilt worden sind.
19Die Negativbescheinigungen hätten dem Kläger nicht lediglich befristet erteilt werden dürfen. Für die Beifügung einer solchen Nebenbestimmung fehlt es an der erforderlichen rechtlichen Grundlage.
20Eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage dafür, Bescheinigungen im Sinn von § 35 Abs. 4 GGVSEB a. F. mit Nebenbestimmungen zu versehen, existiert im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2018 nicht. Insbesondere enthält § 35 Abs. 4 GGVSEB a. F. selbst keine ausdrückliche Ermächtigung zur Befristung einer entsprechenden Bescheinigung. § 35 Abs. 4 Satz 2 der Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt in seiner ab dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung (GGVSEB n. F.), wonach diese Bescheinigung widerruflich erteilt, befristet und mit Auflagen versehen werden kann, soweit dies erforderlich ist, um die Einhaltung der gefahrgutbeförderungsrechtlichen Vorschriften sicherzustellen. kam im Zeitpunkt des Erlasses von Bescheid und Widerspruchsbescheid noch nicht zum Tragen und entfaltet auch keine Rückwirkung.
21Auch eine Ermächtigung zum Erlass der Befristung aus § 36 VwVfG besteht nicht.
22Dies gilt zunächst für § 36 Abs. 1 VwVfG. Danach darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden.
23Um solche gebundenen Verwaltungsakte handelt es sich bei den in Rede stehenden Negativbescheinigungen.
24Für die Beurteilung, ob ein gebundener Verwaltungsakt im Sinne von § 36 Abs. 1 VwVfG vorliegt, kommt es, wie auch die Beklagte zutreffend ausführt, auf die konkrete Entscheidungssituation und nicht auf die abstrakte gesetzliche Formulierung der Befugnisnorm zum Erlass des Hauptverwaltungsakts an. Ein Verwaltungsakt, dessen Erlass aufgrund eines Beurteilungsspielraums oder eines planerischen Gestaltungsspielraums nicht abschließend gesetzlich determiniert ist, stellt keine gebundene Entscheidung im Sinn des § 36 Abs. 1 VwVfG dar.
25Vgl. Schröder in Schoch/Schneider, VwVfG, § 36 Rn. 117.
26Vorliegend kam der Beklagten der von ihr behauptete und ernsthaft für die Annahme einer gebundenen Entscheidung allein in Betracht kommende Beurteilungsspielraum beim Erlass der Negativbescheinigungen nicht zu.
27Ein solcher Beurteilungsspielraum liegt vor, wenn der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde auf der tatbestandlichen Ebene der Ermächtigungsnorm ein eigener Beurteilungsspielraum oder ein planerisches Gestaltungsermessen zukommt. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Für das Vorliegen eines solchen Beurteilungsspielraums - allenfalls ein solcher kommt vorliegend überhaupt in Betracht - ist es nicht ausreichend, dass die Behörde mittels eigener Einschätzung und Bewertung der vorhandenen Sach- und Rechtslage zu beurteilen hat, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm vorliegen. Bei einem anderen Verständnis würde die Einschränkung der Zulässigkeit von Nebenbestimmungen nach § 36 Abs. 1 VwVfG bei gebundenen Verwaltungsakten vollkommen leerlaufen, da auch bei jedem gebundenen Verwaltungsakt von der Behörde zu beurteilen ist, ob die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
28Abs. 1 des § 36 VwVfG zielt in Abgrenzung gegenüber der in Abs. 2 geregelten Befugnis zur Beifügung von Nebenbestimmungen bei Ermessensentscheidungen allein darauf ab, ob der Behörde ein eigener, gerichtlich nicht oder nur eingeschränkt überprüfbarer Spielraum für ihre Beurteilung zukommt.
29Vgl. Weiß in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 79, 80, m. w. N.
30Regelmäßig steht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Verwaltung bei der Feststellung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Norm vorliegen, damit kein der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogener Beurteilungsspielraum zu. Ausnahmen gelten da, wo sich der gesetzlichen Regelung eine Einschätzungsprärogative der Verwaltung entnehmen lässt. Die Rechtsprechung hat eine solche Prärogative der Verwaltung namentlich anerkannt bei beamtenrechtlichen Beurteilungen, bei Prüfungsentscheidungen, bei Wertungen, die das Gesetz sachverständigen oder pluralistisch zusammengesetzten Gremien anvertraut, bei prognostischen Einschätzungen mit politischem Einschlag und bei planerisch gestaltenden Entscheidungen.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1990 - 1 C 10.88 -, juris, Rn. 20.
32Auch die verbindliche Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe ist grundsätzlich Sache der Gerichte. Ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung mit der Folge einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte muss demgegenüber im Gesetz besonders angelegt sein und der besonderen Komplexität oder Dynamik der geregelten Materie Rechnung tragen. Es reicht nicht etwa aus, dass eine rechtliche Würdigung auf der Grundlage eines komplexen Sachverhalts zu treffen ist. Hinzukommen muss, dass die Gerichte bei der Aufgabe, die entscheidungserheblichen tatsächlichen Umstände eigenverantwortlich festzustellen und rechtlich zu bewerten, auch dann an Grenzen stoßen, wenn sie im gebotenen Umfang auf die Sachkunde der Verwaltung zurückgreifen oder sich auf andere Weise sachverständiger Hilfe bedienen.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 7 C 12.13 -, juris, Rn. 33, m. w. N.
34Als Beurteilungsermächtigungen werden dabei Normen bezeichnet, die Behörden zu einer Beurteilung darüber ermächtigen, ob im konkreten Fall bestimmte gesetzliche Voraussetzungen gegeben sind, und die diese Beurteilung einer allenfalls eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterwerfen Die Beurteilungsermächtigungen weisen einer Verwaltungsstelle die Entscheidung darüber, ob eine bestimmte Konstellation gegeben ist, zur Letztentscheidung zu. Sie vermitteln der Verwaltung eine Konkretisierungsbefugnis, die mit einer zurückgenommenen Gerichtskontrolle gekoppelt ist. Ferner beziehen sie sich (im Gegensatz zum Verwaltungsermessen) auf die Frage, ob der Tatbestand der Norm im konkreten Fall erfüllt ist.
35Vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, § 114 Rn. 286.
36Dabei rechtfertigt allein die Wertungsabhängigkeit einer Normkonkretisierung schon wegen Art. 19 Abs. 4 GG nicht die Verringerung der gerichtlichen Kontrolldichte. Beurteilungsermächtigungen sind vielmehr grundsätzlich Ausnahmeerscheinungen.
37Vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, § 114 Rn. 303.
38Eine solche Ausnahme liegt hier indes, anders als die Beklagte meint, nicht vor. Die Vorschriften des § 35 Abs. 4 Satz 1 GGVSEB a. F., des § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GGVSEB a. F. oder des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GGVSEB a. F. bieten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Behörde bei der Feststellung der dort normierten Voraussetzungen eine den genannten Maßstäben entsprechende Einschätzungsprärogative zukommt. Gemäß § 35 Abs. 4 Satz 1 GGVSEB a. F. ist eine schriftliche oder elektronische Bescheinigung erforderlich, sofern die Bedingungen für eine Verlagerung des Transports gefährlicher Güter nach Abs. 1 Nrn. 1 und 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 nicht vorliegen und deshalb eine Beförderung auf der Straße durchgeführt werden soll. Die Bescheinigung wird für den jeweiligen Verkehrsträger auf Antrag durch das Eisenbahn-Bundesamt oder die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt ausgestellt, wenn die Voraussetzungen vorliegen (§ 35 Abs. 4 Satz 2 GGVSEB a. F.). Dabei hat die Beklagte zu prüfen, ob der Verlader und der Befüller am Beginn und der Entlader am Ende der Beförderung über einen dafür geeigneten Gleis- oder Hafenanschluss verfügen (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 GGVSEB a. F.), die Beförderung auf dem Eisenbahn- oder Wasserweg durchführbar ist (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 GGVSEB a. F.) und ‑ sofern die Bedingungen nach Abs. 1 Nrn. 1 und 2 nicht vorliegen - ob die Beförderung auf dem größeren Teil der Strecke mit der Eisenbahn oder dem Schiff durchgeführt werden kann, da die in Rede stehenden gefährlichen Güter in dem dort festgelegten Rahmen im multimodalen Verkehr zu befördern sind (§ 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GGVSEB a. F.).
39Bei der Prüfung dieser tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschriften durch die Behörde kommt der Beklagten, anders als diese und das Verwaltungsgericht es angenommen haben, kein gerichtlich nicht oder nur eingeschränkt überprüfbarer Spielraum und damit nach dem oben dargelegten Maßstab auch kein Beurteilungsspielraum zu. Auch wenn es sich insbesondere bei der Bejahung oder Verneinung der Eignung eines Gleis- oder Hafenanschlusses oder der unter § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GGVSEB a. F. genannten Voraussetzungen um einen "Akt wertender Erkenntnis" anhand fachwissenschaftlicher Kriterien handeln sollte, kann dies die Annahme eines behördlichen Beurteilungsspielraums nicht rechtfertigen. Die Gerichte müssen bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe vielfach Wertungen vornehmen; soweit ihnen dazu erforderliche fachwissenschaftliche Kenntnisse fehlen, sind sie verpflichtet, sich der Hilfe von Sachverständigen zu bedienen. Es ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar, aus welchen Gründen die entsprechende Wertung hier einer vollen gerichtlichen Prüfung entzogen sein sollte.
40Bei den nach alledem als gebundene Verwaltungsakte im Sinne von § 36 Abs. 1 VwVfG anzusehenden Negativbescheinigungen scheidet deren Befristung auf der Grundlage dieser Vorschrift aus, weil für keine der beiden nach der Vorschrift in Betracht kommenden Möglichkeiten die Voraussetzungen für eine Befristung erfüllt sind.
41Zum einen war, wie ausgeführt, im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides der Erlass einer Nebenbestimmung nicht durch gesonderte Vorschrift zugelassen. Zum anderen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die hier in Rede stehende Befristung der Negativbescheinigungen sicherstellen sollte, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden.
42Zwar führt die Beklagte an, die mit der Negativbescheinigung verbundene Bestätigung, für einen Transport auf einer bestimmten Strecke bestehe keine Alternative zur Durchführung auf der Straße durch die Verkehrsträger Bahn und Binnenschiff, könne die zuständige Behörde aufgrund künftiger tatsächlicher Änderungen bezüglich der entsprechenden Transportrelation nur für einen gewissen Zeitraum verlässlich treffen. Um diesen Zeitraum zugunsten des Adressaten über den eigentlichen (Einzel-)Transport hinaus für eine unbestimmte Vielzahl von Transporten zu erweitern und eine weitergehende Belastung durch mehrere Anträge nach § 35 GGVSEB a. F. zu vermeiden, sei es gerade auch im Sinn des Adressaten, eine zeitlich eingegrenzte Negativbescheinigung zu erteilen. Das wird jedoch bereits den rechtlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Auch wenn die Behörde - wie hier - eine Negativbescheinigung im Sinne von § 35 Abs. 4 GGVSEB a. F. nicht bezogen auf einen bestimmten Gefahrguttransport bzw. eine bestimmte Gefahrgutbeförderung, sondern für eine unbestimmte Vielzahl solcher Transporte bzw. Beförderungen bezogen auf bestimmte Relationen bzw. Transportbeziehungen erteilt, handelt es sich in der Sache um einen begünstigenden Verwaltungsakt, auf den - wie ausgeführt - ein Anspruch besteht. Rechtlich betrachtet bedeutet die Nebenbestimmung eines solchen Verwaltungsaktes für dessen Adressaten eine Belastung. Seine Rechte werden eingeschränkt, wenn er die mit dem Verwaltungsakt verbundene Begünstigung nur unter einer bestimmten Bedingung, für einen gewissen Zeitraum oder um den Preis einer ihm zugleich auferlegten Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht erhält.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 6 C 37.14 -, juris. Rn. 19
44Ausgehend davon ergibt sich aus den von der Beklagten angeführten Gesichtspunkten nicht, dass die hier in Rede stehende Befristung die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes ‑ hier der Negativbescheinigungen nach § 35 Abs. 4 GGVSEB a. F. - im Zeitpunkt seines Erlasses erfüllt werden.
45Die Angaben der Beklagten laufen vielmehr darauf hinaus, dass mit der Befristung der Negativbescheinigungen etwaigen künftigen Änderungen der tatsächlichen Begebenheiten Rechnung getragen werden soll, die der Erteilung der Negativbescheinigungen zugrunde lagen. Dafür bietet § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG jedoch keine Grundlage. Nach Wortlaut, systematischem Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Vorschrift soll die Behörde eine Nebenbestimmung beifügen dürfen, die es ihr ermöglicht, einen begünstigenden Verwaltungsakt zu erlassen, obwohl noch nicht sämtliche vom Fachrecht hierfür aufgestellten Voraussetzungen erfüllt oder nachgewiesen sind. Die Nebenbestimmung ist ein Mittel, das Fehlen von Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsakts zu überbrücken. Im Interesse des betroffenen Bürgers eröffnet sich so ein Weg, Gründe für eine Versagung auszuräumen. Einen begünstigenden Verwaltungsakt unter Beifügung einer Nebenbestimmung zu erteilen, ist vielfach das mildere Mittel gegenüber seiner sonst erforderlichen Ablehnung. § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG zielt damit nicht auf eine allgemeine Einschränkung fachgesetzlich eingeräumter Rechtspositionen dergestalt, dass begünstigende Verwaltungsakte selbst dann mit belastenden Nebenbestimmungen versehen werden dürften, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für ihren Erlass erfüllt sind und eine besondere Ermächtigung im Sinne von § 36 Abs. 1 Alt. 1 VwVfG fehlt. Die Funktion von § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG liegt vielmehr darin, vom Erfordernis der gesonderten fachrechtlichen Ermächtigungsgrundlage dort eine Ausnahme zuzulassen, wo dieses Erfordernis zum Nachteil des Bürgers ausschlagen, nämlich sich als Hindernis für den Erlass eines Verwaltungsakts auswirken könnte, der unter Beifügung einer Nebenbestimmung bereits erlassen werden könnte.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 6 C 37.14 -, juris Rn. 18 f.
47Wären nach § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG Nebenbestimmungen zulässig, welche sicherstellen sollen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen eines Verwaltungsakts auch künftig erfüllt bleiben, würden zudem die differenzierten Regelungen über den Widerruf rechtmäßig erlassener Verwaltungsakte nach § 49 Abs. 2 Satz 1 VwVfG unterlaufen. Das gilt jedenfalls für solche Nebenbestimmungen, die - wie insbesondere die hier in Rede stehende Befristung - darauf zielen, die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts zu beseitigen. Bei einer Vielzahl begünstigender Verwaltungsakte besteht die Möglichkeit, dass seine ursprünglich gegebenen gesetzlichen Voraussetzungen aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage entfallen. Dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber in § 49 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 4 VwVfG Rechnung getragen, dabei aber dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes besonderes Gewicht verliehen.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 6 C 37.14 -, juris. Rn. 20
49Die Beklagte ist bei der von ihr vorliegend praktizierten Art und Weise der Erteilung von Negativbescheinigungen nach § 35 Abs. 4 VVGSEB darauf zu verweisen, das Fortbestehen der gesetzlichen Erteilungsvoraussetzungen zu gegebener Zeit (wiederholt) zu überprüfen.
50§ 36 Abs. 2 VwVfG bietet ebenso wenig eine Rechtsgrundlage für die Beifügung der in Rede stehenden Befristung. Die Vorschrift betrifft allein Ermessensentscheidungen der Verwaltung, während die vorliegenden Negativbescheinigungen im Sinne von § 35 Abs. 4 VVGSEB - wie ausgeführt - gebundene Entscheidungen darstellen.
51Die nach alledem rechtswidrige und die Klägerin im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in ihren Rechten verletzende Befristung kann auch isoliert aufgehoben werden, weil die Negativbescheinigungen auch ohne sie sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben können.
52Eine belastende Nebenbestimmung, die einem begünstigenden Verwaltungsakt beigefügt wird, darf im Anfechtungsprozess nur dann isoliert aufgehoben werden, wenn der verbleibende Verwaltungsakt für sich genommen rechtmäßig ist. Nur dann kann dieser im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtmäßigerweise bestehen bleiben. Dies ist hier offensichtlich der Fall.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
54Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
55Die Streitwertentscheidung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
56Rechtsmittelbelehrung
57Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
58Die Beschwerde ist beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses schriftlich einzulegen. Die Beschwerde muss den angefochtenen Beschluss bezeichnen.
59Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem oben genannten Gericht schriftlich einzureichen.
60Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung ‑ ERVV -) wird hingewiesen.
61Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz ‑ RDGEG ‑).
62Die Streitwertfestsetzung ist unanfechtbar.