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Der mit der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung einhergehende Grundrechtseingriff verlangt auch in Fällen der Reaktivierung eines wegen Dienstunfähigkeit im Ruhestand befindlichen Beamten nach einer an der Eingriffsintensität orientierten Prüfung der Verhältnismäßigkeit.
Dies setzt grundsätzlich voraus, dass in der Anordnung grundlegende Vorgaben an Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung gemacht wurden, weil eine vollkommen unbeschränkte Untersuchungspflicht in der Regel unverhältnismäßig sein wird.
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu der Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren untersagt, die Antragstellerin auf der Grundlage der Verfügung der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost vom 19. April 2024 auf ihre Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
2Das fristgerecht vorgebrachte Beschwerdevorbringen der Antragstellerin, auf dessen Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt es, die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern und dem Antrag der Antragstellerin zu entsprechen,
3„unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 22.05.2024 (Aktenzeichen 10 L 1193/24) der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, die Antragstellerin auf der Grundlage der Verfügung der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost vom 19.04.2024 auf ihre Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen.“
4I. Das Verwaltungsgericht hat seine ablehnende Entscheidung damit begründet, dass die mit Verfügung der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost vom 19. April 2024 erfolgte Weisung der Antragsgegnerin an die Antragstellerin, sich zur Überprüfung, ob die Voraussetzungen, die zu ihrer Dienstunfähigkeit geführt haben, weiterhin vorliegen, ärztlich untersuchen zu lassen, aller Voraussicht nach rechtmäßig sei. Sie finde ihre rechtliche Grundlage in § 46 Abs. 1 und Abs. 7 BBG. Die Antragstellerin sei mit Ablauf des 30. April 1999 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden. Daraus ergebe sich die Verpflichtung der Antragsgegnerin, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob die seinerzeit festgestellten Voraussetzungen für die Dienstunfähigkeit noch vorlägen. Zu diesem Zweck habe sie die Antragstellerin angewiesen, sich einer ärztlichen Untersuchung bei dem Arzt für Psychiatrie Professor Dr. C. zu unterziehen. Ein Ermessen sei dem Dienstherrn insoweit nicht eingeräumt. Anhaltspunkte dafür, dass hier nach den Umständen des Einzelfalls eine erneute Berufung der Antragstellerin in das Beamtenverhältnis nicht in Betracht kommen könnte, bestünden nicht. Es sei auch nicht erforderlich, dass es konkrete Hinweise auf eine möglicherweise wiederhergestellte Dienstfähigkeit des Beamten gebe. Anlass zur Prüfung, ob die Antragstellerin nach wie vor dienstunfähig sei, bestehe hier in besonderer Weise, weil die Feststellung der Dienstunfähigkeit ca. 25 Jahre zurückliege.
5Die von der Antragstellerin gegen die Rechtmäßigkeit der Untersuchungsanordnung geltend gemachten Bedenken griffen nicht durch. Die Beauftragung eines auf psychische Erkrankungen spezialisierten Arztes sei ermessensgerecht, weil die im Jahr 1999 festgestellte Dienstunfähigkeit der Antragstellerin maßgeblich auf einer solchen Erkrankung beruht habe. Das betriebsärztliche Gutachten vom 22. Dezember 1998 enthalte folgende Diagnose: Depression mit endogener Komponente und ausgeprägter reaktiver Komponente durch familiäre und berufliche Belastungen. Habe dies im Zeitraum 1997/98 zur Dienstunfähigkeit und Zurruhesetzung der Antragstellerin geführt, so liege es nahe, bei der Prüfung, ob die Antragstellerin auch heute noch dienstunfähig sei, zunächst zu untersuchen, ob die seinerzeit diagnostizierte psychische Erkrankung fortbestehe, sich gebessert oder sogar verschlimmert habe. Dafür sei ein Arzt für Psychiatrie besser qualifiziert als ein Amtsarzt, so dass die Beauftragung des Professor Dr. C. geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sei. Etwas Anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die Antragstellerin ein ärztliches Attest vorgelegt hätte, aus dem sich ergeben würde, dass sie ihre psychische Erkrankung inzwischen überwunden habe. Doch habe die Antragstellerin im Gegenteil der Antragsgegnerin unter dem 26. März 2024 mitgeteilt, aufgrund der damaligen gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin in ärztlicher Behandlung bei Herrn Dipl.-Psych. E. zu stehen. Wenn sie weiter vorbringe, sie leide auch an Arthrose (Gelenkerkrankung) und Exophorie (Form des latenten Schielens) und könne weitere Befundberichte diesbezüglich vorlegen, mache das eine Begutachtung durch einen Facharzt für Psychiatrie nicht entbehrlich.
6Die nach der Rechtsprechung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit verlangten bestimmten formellen und inhaltlichen Anforderungen an die Untersuchungsanordnung, weil mit ihr Eingriffe in die grundrechtsbewehrte persönliche Sphäre des Beamten verbunden seien, würden hier nicht ebenso wie für die an einen aktiven Beamten, über dessen Dienstunfähigkeit Zweifel bestünden, gerichteten Untersuchungsanordnung gelten. Denn die Dienstunfähigkeit von aktiven Beamten und deren Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit unterscheide sich wesentlich von der Reaktivierung der – wie vorliegend – wegen Dienstunfähigkeit im Ruhestand befindlichen Beamten. Insoweit teile die Kammer die Auffassung des Verwaltungsgerichts Oldenburg und nehme zur Vermeidung von Wiederholungen auf den dortigen Beschluss vom 19. Juli 2018 – 6 B 2833/18 – Bezug, der den Verfahrensbeteiligten bekannt sei.
7Im Übrigen habe die Antragsgegnerin den ihr vorliegenden Erkenntnissen, nämlich dem betriebsärztlichen Gutachten vom 22. Dezember 1998, dadurch Rechnung getragen, dass sie einen Arzt für Psychiatrie mit der Untersuchung beauftragt habe. Eine inhaltliche Konkretisierung des Untersuchungsauftrages sei ihr nicht möglich.
8II. Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Beschwerde trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor:
9Das Verwaltungsgericht habe sich in seinem Beschluss nicht mit ihrem Vortrag auseinandergesetzt, dass sie nach über 25-jähriger Untätigkeit der Antragsgegnerin darauf habe vertrauen dürfen, nicht mehr auf ihre Dienstfähigkeit hin untersucht zu werden. Auch wenn der Dienstherr grundsätzlich gemäß § 46 Abs. 2 BBG verpflichtet sei, in regelmäßigen Abständen das Vorliegen der Voraussetzung für die Dienstunfähigkeit zu überprüfen, sei vorliegend eine Ausnahme gemäß § 46 Abs. 2, 2. Hs. BBG einschlägig, weil eine erneute Berufung des Beamtenverhältnisses nach den Umständen des Einzelfalls nicht in Betracht komme. Wäre die Antragsgegnerin bei der Zurruhesetzung der Auffassung gewesen, dass eine Reaktivierung aufgrund des damaligen Zurruhesetzungsgrundes in Betracht gekommen wäre, hätte sie die Dienstfähigkeit der Antragstellerin in deutlich kürzeren Abständen untersuchen lassen müssen. Es sei wohl kaum davon auszugehen, dass die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation ohne Grund 25 Jahre lang untätig geblieben sei. Somit habe die Antragsgegnerin aber auf Seiten der Antragstellerin einen Vertrauensstand und Besitzstand geschaffen, sich nicht mehr einer Untersuchung zur Feststellung ihrer Dienstunfähigkeit unterziehen zu müssen.
10Darüber hinaus sei die Anordnung der Untersuchung der Dienstfähigkeit durch einen Arzt für Psychiatrie – für die Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Anordnung erkennbar – offensichtlich ungeeignet, um die Dienstfähigkeit hinreichend untersuchen zu lassen. Die Antragstellerin habe mit ihren persönlichen Angaben zur Überprüfung der Dienstunfähigkeit bereits dazu vorgetragen, dass sie weiterhin aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen in ärztlicher Behandlung sei, die bereits zu ihrer Zurruhesetzung geführt hätten. Sie habe zudem mitgeteilt, dass sie unter weiteren Beschwerden leide, die zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung nicht bestanden hätten.
11Die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung bedeute für die Antragstellerin einen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte. Dabei wiege der Eingriff umso schwerer, je intensiver die ärztliche Untersuchung ausfalle. Fachärztliche Untersuchungen, insbesondere fachpsychiatrische Untersuchungen, bedeuteten für den betroffenen Beamten im Verhältnis zu einer – hier offenbar genügenden – allgemeinmedizinischen Untersuchung einen ungleich schwereren Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte. Weil sie Anhaltspunkte aufgezeigt habe, dass sie an weiteren Erkrankungen leide, die gegebenenfalls eine Dienstunfähigkeit begründen könnten, wäre die Antragsgegnerin gehalten gewesen, ärztliche Untersuchungen so zielführend wie möglich anzuordnen. Namentlich wäre veranlasst gewesen, zunächst die von ihr angebotenen – und im Zuge der Beschwerdebegründung vorgelegten – weiteren Befundberichte zu orthopädischen, psychologischen und urologischen Beschwerden anzufordern, um zu entscheiden, welche ärztlichen Untersuchungen – allgemeinmedizinisch oder fachärztlich im konkreten Fall erforderlich gewesen wären, um die Dienstfähigkeit der Antragstellerin mit möglichst wenigen und möglichst wenig eingreifenden Untersuchungen untersuchen zu lassen.
12Von dem zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 19. Juni 2018 – 6 B 2833/18 – unterscheide sich der vorliegende Sachverhalt dadurch, dass die Antragsgegnerin 25 Jahre und nicht nur vier Jahre lang untätig geblieben sei. Die Zeitspanne von vier Jahren erscheine noch akzeptabel, weil auch nach einigen (landes-) beamtengesetzlichen Regelungen eine Reaktivierung auf Antrag des Beamten nach 5 Jahren ausgeschlossen sei. Anders als die Antragstellerin im Falle des Verwaltungsgerichts Oldenburg habe sie zudem glaubhaft gemacht, dass ihre erneute Berufung in das Beamtenverhältnis nach den Umständen des Einzelfalls nicht in Betracht komme, indem sie zu ihrem derzeitigen gesundheitlichen Zustand belastbare Angaben gemacht habe. Zu den gesundheitlichen Umständen, die im Jahr 1999 zur Zurruhesetzung geführt hätten, habe sie mit Schriftsatz vom 22. Mai 2024 vorgetragen und den gesonderten Befundbericht vorgelegt. Im Zuge dessen habe sie auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass weitere Erkrankungen hinzugekommen seien. Schließlich habe sie unter dem 15. Mai 2024 einen Antrag auf Anerkennung eines Grades der Behinderung gestellt.
13III. Mit diesem Beschwerdevorbringen ist glaubhaft gemacht, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zusteht.
141. Die Untersuchungsanordnung hat ihre rechtliche Grundlage in § 46 Abs. 1 und Abs. 7 BBG. Nach § 46 Abs. 7 BBG sind Beamte zur Prüfung ihrer Dienstfähigkeit verpflichtet, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen zu lassen. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 ist der Dienstherr verpflichtet, in regelmäßigen Abständen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Dienstunfähigkeit zu überprüfen, es sei denn, nach den Umständen des Einzelfalls kommt eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis nicht in Betracht.
15a) Die Regelungen über die Reaktivierung wurden geschaffen, um möglichen Nachteilen zu begegnen, die sich aus der seinerzeit noch mit der Versetzung des Beamten in den Ruhestand verbundenen endgültigen Statusänderung sowohl für den Dienstherrn als auch für den Betroffenen ergeben konnten. Zum einen sind die Regelungen dem Interesse des Dienstherrn und der Allgemeinheit verpflichtet. Unberechtigte Zurruhesetzungen wie auch die Fortsetzung des Ruhestandsbeamtenverhältnisses trotz wiederhergestellter bzw. wiedererlangter Dienstfähigkeit führen zu einer Belastung des öffentlichen (Versorgungs-)Haushalts, da für den an sich dienstfähigen Ruhestandsbeamten Versorgungsleistungen erbracht werden, obwohl dieser Beamte eine Gegenleistung erbringen könnte. Zum anderen sind die Regelungen darauf gerichtet, den persönlichen und finanziellen Interessen des Beamten an einer Wiederaufnahme seiner Tätigkeit in dem von ihm erlernten und auf Lebenszeit gewählten Beamtenberuf, mithin seinen subjektiven Bedürfnissen an einem Wiedereintritt in das Berufsleben Rechnung zu tragen. Dabei verstärkt die Einrichtung der Reaktivierung den hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums, dass der lebenslangen Alimentationspflicht des Dienstherrn eine das volle Berufsleben umfassende Dienstleistungspflicht des Beamten als Korrelat gegenübersteht.
16Vgl. Koch, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: November 2024, § 46, Rn. 5 ff. m. w. N.
17b) Anders als (im gewissermaßen „umgekehrten“ Fall) nach § 44 Abs. 6 setzt § 46 Abs. 7 Satz 1 nicht voraus, dass an der Dienstunfähigkeit aufklärungsbedürftige Zweifel bestehen oder konkrete Anhaltspunkte auf eine mögliche bzw. wahrscheinliche Dienstfähigkeit des betroffenen Beamten deuten; nach § 46 Abs. 1 Satz 2 ist er ohnehin berechtigt, die gesundheitliche Verfassung eines wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzten Beamten auch anlasslos zu prüfen. Es genügt, wenn es der Dienstherr im Rahmen der ohnehin obligatorischen Prüfung für erforderlich erachtet, die Vorliegen der Voraussetzungen der Dienstunfähigkeit ärztlich feststellen zu lassen.
18Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. September 2021 – 1 B 1554/21 –, juris, Rn. 4; ferner Koch, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: 471. EL (November 2024), § 46, Rn. 54 m. w. N.
19c) Als Ermessensentscheidung unterliegt die Untersuchungsanordnung einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Sie ist lediglich dahin zu überprüfen, ob die Behörde der ihr obliegenden Verpflichtung ausreichend Rechnung getragen hat, ihr Ermessen zweckgerecht und unter Wahrung der bestehenden Grenzen auszuüben (§ 40 VwVfG).
20Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Juni 2000 – 1 DB 13/00 –, juris, Rn. 18.
21Es kann offenbleiben, ob die aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erforderlichen formellen und inhaltlichen Anforderungen an die Untersuchungsanordnung, die für die ärztliche Untersuchung aktiver Beamte, über deren Dienstunfähigkeit Zweifel bestehen (§ 44 Abs. 6 BBG), entwickelt wurden,
22vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 2 C 17/10–, juris, Rn. 16 ff. (speziell zur Anordnung einer fachpsychiatrischen Untersuchung), sowie Beschlüsse vom 10. April 2014 – 2 B 80/13 –, juris, Rn. 8 ff., und vom 16. Mai 2018 – 2 VR 3/18 –, juris, Rn. 6, jeweils m. w. N.; OVG NRW, Beschlüsse vom 31. Juli 2024 – 1 B 555/24 –, juris, Rn. 11, und vom 11. Juni 2024 – 1 B 228/24 –, juris, Rn. 8 ff., jeweils m. w. N.,
23in vollem Umfang auf die Fälle der Reaktivierung eines wegen Dienstunfähigkeit bereits im Ruhestand befindlichen Beamten zu übertragen sind.
24Unabhängig von der Konstellation sind unverhältnismäßige Eingriffe in die betroffenen Grundrechte des Beamten (Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, und allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) jedoch grundsätzlich zu vermeiden. Die zur Untersuchungsanordnung nach § 44 Abs. 6 BBG in diesem Zusammenhang in der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgedanken können daher auch hier Anwendung finden.
25Da jede amtliche Untersuchungsanordnung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift, sind die mit ihr verfolgten Zwecke, insbesondere die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Einrichtungen des Staates, in einen angemessenen Ausgleich mit diesem Grundrecht zu bringen. Im Rahmen der diesen Ausgleich leistenden Abwägung ist zu berücksichtigen, dass die Anordnung einer inhaltlich nicht eingegrenzten Untersuchungsmaßnahme zu einem besonders schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde, der durch eine Sachverhaltsaufklärung vor Erlass der Untersuchungsanordnung vermeidbar ist.
26Vgl. zu § 44 Abs. 6 BBG und zu Folgendem etwa OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2024 – 1 B 555/24 –, juris, Rn. 15 bis 19.
27Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit setzt daher voraus, dass grundlegende Vorgaben an Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung gemacht wurden, weil eine vollkommen unbeschränkte Untersuchungspflicht in der Regel unverhältnismäßig sein wird. Aus der die Reichweite der Untersuchungen nicht näher eingrenzenden Untersuchungsanordnung wird schon nicht deutlich, welche konkrete Eingriffsmaßnahme erfolgen soll. Dies würde zu einer Situation führen, der der (Ruhestands)Beamte letztlich schutzlos ausgeliefert wäre. Nur wenn in der Aufforderung selbst Art und Umfang der geforderten Untersuchung nachvollziehbar sind, kann auch der Betroffene nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ihre Rechtmäßigkeit überprüfen.
28Dass die Angabe von Art und Umfang der durchzuführenden Untersuchung dem Beamten insbesondere effektiven Rechtsschutz noch vor dem Untersuchungstermin ermöglichen soll, betont auch das Bundesverfassungsgericht.
29Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Januar 2022 – 2 BvR 1528/21, juris, Rn. 25 und vom 21. Oktober 2020 – 2 BvR 652/20, juris, Rn. 35.
30Routinemäßige oder generelle Verfahrenshandlungen, die unabhängig vom jeweiligen Einzelfall in einem Formular niedergelegt sind, erfüllen diese grundrechtlichen Anforderungen nicht.
31Vgl. Koch, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: 471. EL (November 2024), § 46, Rn. 57 i. V. m. § 48, Rn. 29, 38.
32Gleichzeitig ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen, ob sich der Dienstherr die notwendigen aktuellen medizinischen Informationen auf einfachere Weise und ohne besondere Schwierigkeiten beschaffen kann, etwa durch die Vorlage ärztlicher Atteste und Gutachten. Allerdings muss dem Dienstherrn die Möglichkeit verbleiben, etwaige (privatärztliche) Atteste und Gutachten auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen und durch einen (Amts-)Arzt abklären zu lassen.
33Vgl. Koch, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: 471. EL (November 2024), § 46, Rn. 54a m. w. N.
342. Dies vorausgesetzt bestehen durchgreifende Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Untersuchungsanordnung vom 19. April 2024.
35a) Allerdings sind Gründe im Sinne von § 46 Abs. 1 Satz 2 BBG, aus denen nach den Umständen des Einzelfalls eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis– ohne vertiefte Ermessensentscheidung – erkennbar nicht in Betracht kommt, vorliegend weder dargetan noch sonst ersichtlich. Im Gegenteil legt das betriebsärztliche Gutachten vom 22. Dezember 1998, das der Versetzung der Antragstellerin in den Ruhestand mit Verfügung vom 13. April 1999 zugrunde lag, nahe, dass in Bezug auf den Krankheitszustand der Antragstellerin – aus der damaligen Perspektive – „auf längere Sicht eine Besserung“ möglich sein könnte. Die von der Antragstellerin vorgelegte Bescheinigung ihres behandelnden psychologischen Psychotherapeuten Dipl.-Psych. E. aus Q. vom 10. Mai 2024 zu knapp gehalten für eine tragfähige Einschätzung, ob weiterhin Dienstunfähigkeit gegeben sein könnte. Eine hinreichend aussagekräftige und verlässliche Bewertung in diese Richtung ist auch auf Grundlage der weiteren vorgelegten ärztlichen Atteste des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. med. I. aus O. vom 5. März 2024 und der Fachärztin für Urologie H. aus O. vom 6. Juni 2024 nicht möglich.
36b) Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf Verwirkung berufen. Ob für eine Verwirkung oder einen etwaigen Vertrauensschutztatbestand des Beamten schon aufgrund des oben dargestellten Gesetzeszwecks kein Raum ist, kann dahinstehen.
37So Bay VGH vom 24. März 2022 – 6 CE 21.2753 –, juris, Rn. 17 a. E. unter Verweis auf VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. September 2021 – 10 L 1946.21 –, n. v.
38Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an dem neben dem Zeitmoment für eine Verwirkung notwendigen Umstandsmoment. Dass die Antragsgegnerin – nicht nur durch Unterlassen der im betriebsärztlichen Gutachten vom 22. Dezember 1998 empfohlenen Nachuntersuchung, sondern aktiv – gegenüber der Antragstellerin den Eindruck erweckt habe, dass eine Nachuntersuchung nicht mehr beabsichtigt sei, ist weder ersichtlich noch legt das Beschwerdevorbringen dies dar.
39c) Die Anordnung der ärztlichen Untersuchung vom 19. April 2024, die auf den ihr beigefügten Gutachterauftrag für eine Reaktivierungsüberprüfung gemäß §§ 46, 48 BBG vom 18. April 2024 Bezug nimmt, ist indes gemessen an den o. a. Grundsätzen unverhältnismäßig und daher ermessensfehlerhaft.
40Die Untersuchungsanordnung lässt im Wesentlichen nur den beauftragten Arzt erkennen und enthält im Übrigen nur organisatorische Angaben sowie Hinweise. Die Beauftragung eines Arztes für Psychiatrie – hier Prof. Dr. C., Gutachter der IMB Consult GmbH, Evangelische Stiftung N. aus A. – mit der Untersuchung ohne weitere Konkretisierung nach Art und Umfang genügt für sich genommen zur Konkretisierung des Untersuchungsauftrages aufgrund des damit verbundenen Grundrechtseingriffs nicht. Die Arten psychiatrischer Erkrankungen sind einerseits äußerst vielfältig und – ungeachtet der vorhandenen Fachkompetenz – wäre eine Untersuchung nicht-psychiatrischer Symptome andererseits auch nicht ausgeschlossen, weshalb für die Antragstellerin nicht erkennbar ist, was sie im Untersuchungstermin erwartet.
41Auch die der Untersuchungsanordnung gegenüber der Antragstellerin beigefügte Abschrift des Gutachterauftrags vom Vortag grenzt Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung nicht ein: Unter Ziff. 1 („Angaben zur Untersuchung zur Auftragsnummer 00000000xxxxx05“) ist lediglich von einer „Nachuntersuchung zur Überprüfung vom: 17.12.1998“ die Rede. Die folgenden Formularfelder von Ziff. 2 („Angaben zur Person“) über Ziff. 3 („Angaben zur dienstlichen Tätigkeit“) und Ziff. 4. („Antrag auf Reaktivierung“; hier nicht ausgefüllt) bis Ziff. 5 („Weitere ergänzende Angaben“) geben erkennbar keine weiteren Informationen zu Art und Umfang der Untersuchung. Erst nach Ziff. 5. heißt es im Rahmen eines vorformulierten Standard-Textes:
42„Bitte begutachten Sie, ob bei der Beamtin/dem Beamten
43- Die Dienstunfähigkeit fortbesteht,
44- Die Dienstunfähigkeit derzeit zwar noch besteht, gleichwohl mit der Wiedererlangung der Dienstfähigkeit innerhalb eines bestimmten Zeitraums gerechnet werden kann,
45- Teildienstfähigkeit nach § 45 BBG (mindestens halbe Wochenarbeitszeit WAZ) besteht oder
46- die volle Dienstfähigkeit inzwischen wiedererlangt wurde, so dass die Beamtin/der Beamte für eine Reaktivierung nach § 46 BBG heransteht.
47Sofern aus ärztlicher Sicht ein Restleistungsvermögen besteht, erstellen Sie bitte ebenfalls ein medizinisches Gesamtleistungsbild.
48Im Falle einer weiterhin bestehenden Dienstunfähigkeit
49machen Sie bitte möglichst konkrete Angaben über ggf. erforderliche und sinnvolle Therapie-/ Behandlungsmaßnahmen.
50Im Falle Wiedererlangung der Dienstfähigkeit oder Teildienstfähigkeit
51sofern Einschränkungen hinsichtlich künftig zumutbaren Fahrzeiten zum Dienstort, zu Reisetätigkeit oder zur Umzugstätigkeit bestehen, machen Sie bitte auch dazu Angaben.“
52Mit diesen Angaben ist die Untersuchungsanordnung in tatsächlicher Hinsicht nicht beschränkt worden. Sie erlaubt dem Grunde nach eine – allumfassende – ärztliche Untersuchung zur Begutachtung und Beurteilung der allgemeinen Dienstfähigkeit der Antragstellerin, etwa auch aus vollständig anderen Ursachen.
53Das vorformulierte Formblatt lässt sich mit dem oben zitierten Text in allen Fällen der Reaktivierungsprüfung verwenden, ohne auf den Einzelfall einzugehen. Dies lässt jegliche Auseinandersetzung und Dokumentation der einzelfallbezogenen Konkretisierung des Untersuchungsauftrags vermissen, die aufgrund der beträchtlichen Schwere des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beamten eigentlich geboten wäre. Der Untersuchungsauftrag des Dienstherrn gibt dem beauftragten Arzt immerhin die „Marschroute“ vor.
54Dabei wirft die alleinige Beschränkung auf Rechtsbegriffe darüber hinaus die Frage auf, inwieweit der beauftragte Arzt für Psychiatrie über die medizinische Begutachtung hinaus – mit zutreffender Auslegung der Begrifflichkeiten – die rechtliche Subsumtion vornehmen kann bzw. darf. Die Verantwortlichkeit für die Entscheidung, ob „zu erwarten ist, dass“ der Beamte „den gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes genügen“ wird (so der Wortlaut von § 46 Abs. 1 Satz 1 BBG a. E.), fällt nämlich eindeutig in den Zuständigkeitsbereich des Dienstherrn. Die Aufgabe des Arztes besteht nur darin, den medizinischen Sachverhalt zu ermitteln und diesen an die ersuchende Behörde zu übermitteln.
55Vgl. Koch, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: 471. EL (November 2024), § 46, Rn. 57 i. V. m. § 48, Rn. 27, 38.
56Nähere Angaben zu Art und Umfang der angeordneten fachärztlichen Untersuchung enthalten schließlich auch weder die Anlage 1 zum Untersuchungsauftrag noch das beigefügte Merkblatt für Ärztinnen und Ärzte / Gutachterinnen und Gutachter.
57Eine Konkretisierung und damit Beschränkung der erforderlichen Eingriffe wäre der Antragsgegnerin – im Vorfeld einer konkreten ärztlichen Untersuchung zum aktuellen Gesundheitszustand der Antragstellerin – auch möglich gewesen. Es liegt in Fällen der Reaktivierungsprüfung – wie hier – auf der Hand, dass zunächst immer die Möglichkeit besteht, diejenigen medizinischen Feststellungen, die in der Vergangenheit zur Zurruhesetzung geführt haben, daraufhin überprüfen zu lassen, ob diese weiterhin fortbestehen und einer Wiederaufnahme des Dienstes entgegenstehen. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – durch bereits von dem Beamten vorgelegte Bescheinigungen zur andauernden privatärztlichen Behandlung Anhaltspunkte für ein Fortbestehen der gesundheitlichen Einschränkungen vorhanden sind. Die streitgegenständliche Untersuchungsanordnung geht hierüber aber deutlich hinaus, weil sie nicht auf die Diagnosen aus dem betriebsärztlichen Gutachten vom 22. Dezember 1998 beschränkt wurde. Durch die in ihrem Umfang unbeschränkte formularmäßige (s. o.) und zudem nicht nur vergangenheits-, sondern zugleich zukunftsbezogene Formulierung ähnelt sie ohne dahingehende Notwendigkeit in tatsächlicher Hinsicht der umfassenden ärztlichen Prüfung in einem Zurruhesetzungsverfahren.
58Gleichzeitig ist vorliegend in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen, dass das Verfahren zur Überprüfung einer etwaigen wiederhergestellten Dienstfähigkeit erst ca. 25 Jahre nach dem Zeitpunkt der Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 30. April 1999 eingeleitet wurde. Anders als die Antragstellerin meint, resultieren hieraus zwar keine generellen durchgreifenden Bedenken aus Gründen des Vertrauens- oder Bestandschutzes (s. o.). Doch sind der Umstand, dass seit der Zurruhesetzung ein derart langer Zeitraum verstrichen ist, sowie die Angaben der Antragstellerin zu fortbestehenden psychischen Beschwerden und darüber hinaus zu neuen Beschwerden in anderen Bereichen sehr wohl bei der verhältnismäßigen Auswahl der gebotenen Maßnahmen zu berücksichtigen.
59Unter Berücksichtigung dessen kann der Dienstherr – im Interesse eines zunächst möglichst geringen Grundrechtseingriffs – den Beamten auffordern, dessen behandelnde Ärzte von ihrer Pflicht zur Verschwiegenheit zu entbinden und/oder aussagekräftige Arztberichte vorzulegen, die ein von der Antragsgegnerin beauftragter Arzt studieren kann, um sich mit den behandelnden Ärzten auszutauschen und auf diese Weise Art und Umfang der konkret erforderlichen Untersuchungsmaßnahmen klären. Anschließend käme es bei Bedarf nur zu einer einmaligen Vorstellung des Beamten bei einem Allgemein-, Fach- oder Amtsarzt, da der Dienstherr aufgrund der ihm durch den beauftragten Arzt vorab übermittelten Umstände die noch anzuordnende Untersuchung näher eingrenzen könnte. Liegen hingegen bereits aussagekräftige und hinreichend aktuelle privatärztliche Befunde über ein Krankheitsbild vor, kann sich der Erlass einer Untersuchungsanordnung im Einzelfall auch nicht mehr als ermessensgerecht erweisen.
60Die Antragsgegnerin hat das eingriffsmindernde Vorgehen im Ansatz auch schon berücksichtigt, indem sie der Antragstellerin das Formblatt zur Entbindung von der Schweigepflicht bezüglich der eingereichten ärztlichen Unterlagen mit Schreiben vom 5. März 2024 übersandt hat. Allerdings wurden die Erkenntnisse – wie dargestellt – nicht dafür genutzt, die ärztliche Untersuchungsanordnung – gegebenenfalls nach Vorprüfung durch den beauftragten Arzt – auf das notwendige Maß zu begrenzen.
61Inwieweit die Untersuchung der Dienstfähigkeit alleine durch einen Arzt für Psychiatrie, wie die Antragstellerin meint, gänzlich ungeeignet sei, weil noch weitere medizinische Gründe außerhalb von dessen Fachbereich – namentlich orthopädische und urologische Beschwerden – vorgetragen seien, kann nach alledem vorliegend dahinstehen. Wie bereits ausgeführt wurde, sei allerdings darauf hingewiesen, dass der Dienstherr nicht gehindert ist, bei der Prüfung der Dienstfähigkeit schrittweise vorzugehen, um den Grundrechtseingriff gegenüber dem Beamten zunächst zu minimieren. Dass insoweit zunächst die psychischen Aspekte in den Vordergrund gestellt werden, die im Zeitraum 1997/98 zur Dienstunfähigkeit und Zurruhesetzung der Antragstellerin geführt haben, dürfte vor diesem Hintergrund nicht nur nicht zu beanstanden, sondern könnte darüber hinaus möglicherweise sogar grundrechtlich geboten sein.
62Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
63Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
64Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.