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Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
2Die nach § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und dem nunmehr sinngemäß auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der am 13. November 2024 erhobenen Klage gegen den Bescheid des Schulleiters der Grundschule V. vom 2. Oktober 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. November 2024 gerichteten Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 VwGO stattzugeben. Das Beschwerdevorbringen begründet keine Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts, das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege dem Interesse des Antragstellers, vorläufig von der Vollziehung des angefochtenen Bescheids verschont zu bleiben, weil der angefochtene Bescheid offensichtlich rechtmäßig sei und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletze.
3Mit Bescheid vom 2. Oktober 2024 hat der Schulleiter der Grundschule V. u. a. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügt, dass der Antragsteller weiterhin vom Gruppenunterricht der Schule zunächst bis zum 29. November 2024 ausgeschlossen bleibt und die Schule den Individualunterricht in bisheriger Form fortsetzt.
4Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, die Anordnung des vorübergehenden Ausschlusses des Antragstellers vom Gruppenunterricht sei ermessensfehlerhaft, weil der Schulleiter den Antrag auf Eröffnung des Verfahrens zur Feststellung des Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung, Förderschwerpunkte und Förderort gemäß §§ 10 ff. AO-SF im Falle des Antragstellers erst am 14. Oktober 2024 gestellt und damit den Vorrang der Ausschöpfung aller Möglichkeiten sonderpädagogischer Unterstützung nicht beachtet habe. Die Schule dürfe einen Förderschüler mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung ausweislich der Rechtsprechung des Senats im Beschlusses vom 20. Dezember 2021 - 19 B 1896/21 - wegen schwerpunkttypischer gefährdender Übergriffe auf Mitschüler nur dann nach § 54 Abs. 3 SchulG NRW vom Schulbesuch ausschließen, wenn sie zuvor alle geeigneten und verfügbaren sonderpädagogischen Förder- und Verwaltungsmaßnahmen erfolglos ausgeschöpft habe. Soweit wirksame sonderpädagogische Unterstützungsmaßnahmen nicht unmittelbar umgesetzt werden könnten, dürfe der Schulbesuchsausschluss allenfalls für den kurzen Zeitraum ausgesprochen werden, der benötigt werde, um wirksame sonderpädagogische Maßnahmen zu ergreifen.
5Mit diesem Vorbringen übersieht die Beschwerde, dass der in Bezug genommene Senatsbeschluss einen Schüler betrifft, dessen Förderbedarf bereits förmlich festgestellt war, woran es beim Antragsteller hingegen aktuell fehlt. Im konkreten Fall hat der Senat entschieden, dass auf Übergriffe, die typischerweise bei Schülerinnen und Schüler mit einem nach § 19 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SchulG NRW, § 14 Abs. 1 Nr. 1 AO-SF von der Schulaufsichtsbehörde bereits förmlich festgestellten sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung auftreten, vorrangig mit sonderpädagogischen Fördermaßnahmen der Lehrkräfte und im Fall ihrer Erfolglosigkeit auch mit weiteren Verwaltungsmaßnahmen des Schulamts, wie Wechsel des Förderorts zu reagieren ist. Eine vergleichbare Sachlage ist vorliegend nicht gegeben. Die Eröffnung des sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens ist für den Antragsteller vom Schulleiter am 14. Oktober 2024 auf der Grundlage von § 19 Abs. 7 Nr. 2 SchulG NRW, § 12 AO-SF beantragt worden und noch nicht abgeschlossen.
6Im Übrigen hat die Grundschule V. seit dem Wechsel des Antragstellers dorthin ausweislich der Begründung des Antrags auf Eröffnung des sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens umfangreiche Fördermaßnahmen ergriffen, indem sie für ihn u. a. die Begleitung durch Integrationskräfte eingerichtet, ihn in doppelbesetzten Unterrichtsstunden unterrichtet, ihn stundenweise in der Kleingruppengruppe im Förderband beschult und sonderpädagogisch sowie heilpädagogisch individuell unterstützt, ihm individualisierte Pausenangebote gemacht und individualisiertes Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt hat. Zudem hat der Antragsteller Ergotherapie, Logo- und Motopädie erhalten.
7Welche darüber hinausgehenden Fördermaßnahmen möglich gewesen wären, wird mit der Beschwerde nicht näher erläutert.
8Der Einwand einer verspäteten Stellung des Antrags auf Eröffnung des sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens durch die Schule verkennt die Sach- und Rechtslage. Nach § 19 Abs. 7 Nr. 2 SchulG NRW, § 12 Abs. 1 Nr. 2 AO-SF kann auch eine allgemeine Schule ausnahmsweise selbst einen Antrag auf Eröffnung des sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens nach vorheriger Information der Eltern unter Angabe der hierfür maßgeblichen wesentlichen Gründe stellen, insbesondere bei einem vermuteten Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, der mit einer Selbst- oder Fremdgefährdung einhergeht. Im Falle der vorliegend zu erwartenden Eröffnung wird im Feststellungsverfahren in Zusammenarbeit von Schule, Eltern, sonderpädagogischer Lehrkraft und Schulaufsicht die Art und der Umfang der notwendigen Förderung unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Antragstellers festgestellt werden. Grundsätzlich ist es jedoch Aufgabe der Eltern, die Eröffnung des Verfahrens zur Feststellung des Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung über die allgemeine Schule bei der zuständigen Schulaufsichtsbehörde zu beantragen (vgl. § 19 Abs. 5 Satz 1 SchulG NRW, § 11 AO-SF). Einer solchen Antragstellung hat sich die Mutter des Antragstellers in Kenntnis der ärztlicherseits bereits im Sommer 2023 bescheinigten krankheitswertigen Verhaltensweisen und Störungen im Sozialverhalten sowie in der Emotionsregulation, die sich beim Antragsteller vor allem im schulischen Kontext zeigten, nach Aktenlage bislang verweigert. Erst nach dem Vorfall am 12. September 2024 sah sich der Schulleiter aufgrund des aggressiven Verhaltens des Antragstellers (Faustschläge in das Gesicht einer Mitschülerin, die im Anschluss im Krankenhaus stationär behandelt werden musste) und der hierdurch zu Tage getretenen Gefahr einer erneuten Fremdgefährdung gehalten, vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der § 19 Abs. 7 Nr. 2 SchulG NRW, § 12 Abs. 1 Nr. 2 AO-SF auszugehen und nun seinerseits die Eröffnung des Feststellungsverfahrens bei der Schulaufsichtsbehörde zu beantragen. Dem lag vor allem die erst am 30. September 2024 ergangene Stellungnahme der Amtsärztin zugrunde, in der diese bescheinigt, dass die diagnostizierten krankheitswertigen Verhaltensstörungen des Antragstellers die Ursache für sein gefahrbegründendes Verhalten in der Schule bilden, indem sie festgestellt hat, dass der schulfähige Antragsteller "aufgrund seiner Diagnosen im Zusammenhang mit den anamnestisch erhobenen und dokumentierten Ereignissen in den bisher besuchten Schulen aktuell nicht gruppenfähig" sei. Am darauffolgenden Werktag hat der Schulleiter den vorübergehenden Ausschluss des Antragstellers vom Gruppenunterricht verfügt.
9Ungeachtet dessen würde entgegen dem Beschwerdevortrag auch eine verspätete Beantragung der Eröffnung des sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens nicht zur Rechtswidrigkeit des angeordneten vorübergehenden Ausschlusses vom Gruppenunterricht führen. Denn vorliegend war der nur die Gruppenteilnahme betreffende vorübergehende und vorerst bis zum 29. November 2024 befristete Schulbesuchsausschluss zwingend notwendig, um den Schulfrieden an der Grundschule V. weiterhin zu gewährleisten. Angesichts der Vielzahl der zum Teil auch gewalttätigen Übergriffe auf Mitschülerinnen und Mitschüler sowie Lehrkräfte und der fehlenden Steuerungsmöglichkeit des Antragstellers lag im Zeitpunkt des ersten Gruppenunterrichtsausschlusses vom 13. September 2024 Gefahr im Verzug im Sinn von § 54 Abs. 3 Satz 3 SchulG NRW vor. Seitdem hatten sich bis zum Erlass des streitigen Bescheids vom 2. Oktober 2024 keine Veränderungen ergeben. Nach Aktenlage gab es meist keinen erkennbaren Anlass für die körperlichen Übergriffe des Antragstellers, so dass weitere ähnliche Vorfälle konkret zu erwarten waren. Diese aktenkundigen Feststellungen hat der Antragsteller nicht entkräftet. Unter diesen Umständen ist der Ausschluss des Antragstellers vom Schulbesuch offensichtlich verhältnismäßig. Der darin liegende Eingriff in sein Recht auf schulische Bildung,
10vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 ‑ 1 BvR 971/21 u. a. - juris Rn. 44 ff.,
11ist gerechtfertigt, um den Bildungsanspruch und die körperliche Unversehrtheit der Mitschülerinnen und Mitschüler zu gewährleisten.
12Erfolglos bleibt ferner die Rüge des Antragstellers, der auf § 54 Abs. 3 SchulG NRW gestützte weitere Ausschluss vom Besuch des Gruppenunterrichts mit dem Bescheid vom 2. Oktober 2024 sei mangels Erforderlichkeit ermessensfehlerhaft, weil sie den gesetzlichen Vorrang der erzieherischen Einwirkungen und Schulordnungsmaßnahmen nach § 53 Abs. 2 und 3 SchulG NRW verletze. Erzieherische Einwirkungen und Schulordnungsmaßnahmen nach § 53 Abs. 2 und 3 SchulG NRW genießen nach dem Erforderlichkeitsgrundsatz Vorrang vor einem Schulbesuchsausschluss nach § 54 Abs. 3 SchulG NRW, solange sie den mit ihnen verfolgten pädagogischen Zweck einer nachhaltigen Verhaltensänderung erfüllen können. Voraussetzung hierfür ist, dass der Schüler noch steuerungsfähig ist.
13Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Dezember 2021 - 19 B 1738/21 - juris Rn. 8, 10 und vom 20. Dezember 2021 - 19 B 1896/21 - juris Rn. 8, 20.
14Wie bereits vom Verwaltungsgericht ausgeführt, kann der Antragsteller nach den mit der Beschwerde nicht angegriffenen Feststellungen sein Verhalten aufgrund der bei ihm diagnostizierten krankheitswertigen Verhaltensstörungen nicht steuern. Dass Erziehungs- und Schulordnungsordnungsmaßnahmen nach § 53 Abs. 2 und 3 SchulG NRW dennoch geeignet sein könnten, ihren pädagogischen Zweck einer nachhaltigen Verhaltensänderung des Antragstellers zu erreichen, wird mit der Beschwerde nicht einmal behauptet.
15Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
16Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
17Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).