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Das durch Art. 8 Abs. 1 GG verbürgte Selbstbestimmungsrecht umfasst das Recht des Veranstalters, den Zeitpunkt der Versammlung und damit auch deren Dauer festzulegen.
Zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist die Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über die Dauer der Versammlung rechtlich möglich.
Die Versammlungsfreiheit verbürgt die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist.
In seiner Ausprägung als negative Teilnahmefreiheit schützt Art. 8 Abs. 1 GG die Entscheidung des Einzelnen, einer Versammlung fernzubleiben, aber im Grundsatz nicht das Recht, vor der Wahrnehmbarkeit einer Versammlung im öffentlichen Raum geschützt zu werden.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 17. Oktober 2024 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Polizeipräsidiums B. vom 23. September 2024 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen je zur Hälfte.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
3I. Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers nicht entfallen. Die versammlungsbehördliche Verfügung vom 23. September 2024, mit welcher der Antragsgegner das „Camp for Gaza“ auf dem Gelände der Beigeladenen bis zum 30. September 2024, 23:59 Uhr, beschränkt und dem Antragsteller bis zu diesem Zeitpunkt die vollständige Beseitigung sämtlicher Aufbauten und sonstiger Gegenstände aufgegeben hat, hat sich nicht durch Zeitablauf (§ 43 Abs. 2 VwVfG NRW) erledigt. Denn gegenwärtig dauert das Protestcamp noch an und soll, wie der Antragsteller dem Polizeipräsidium B. am 16. August 2024 angezeigt hat, mindestens noch bis zum 30. November 2024 fortgesetzt werden.
4II. Die Beschwerde ist auch begründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen zu der begehrten Änderung der angegriffenen Entscheidung.
5Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers zu Unrecht abgelehnt. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Sein privates Aussetzungsinteresse überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse. Bei der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, dass die zeitliche Beschränkung des Protestcamps, bei dem es sich um eine dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallende Versammlung handelt, und die Aufforderung, das Camp bis zum 30. September 2024 zurück- und abzubauen, rechtswidrig sind.
61. Das Protestcamp des Antragstellers, das seit Mitte Mai 2024 auf den Grünflächen an der Südwestseite des Hauptgebäudes der Beigeladenen durchgeführt wird, ist eine durch Art. 8 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 1 VersG NRW geschützte Versammlung. Dieser Einordnung steht weder die Versammlungsdauer noch der gewählte Versammlungsort entgegen.
7a) Eine zeitliche Höchstgrenze gibt es für Versammlungen im Grundsatz nicht. Das durch Art. 8 Abs. 1 GG verbürgte Selbstbestimmungsrecht umfasst das Recht des Veranstalters, den Zeitpunkt der Versammlung und damit auch deren Dauer festzulegen.
8Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 -, juris Rn. 61; BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2022 - 6 C 9.20 -, juris Rn. 22; Bay. VGH, Urteil vom 8. März 2022 ‑ 10 B 21.1694 -, juris Rn. 83, jeweils m.w.N.
9Eine andere Annahme kann im Fall eines Camps mit einer absehbar sehr langen, etwa auf viele Monate oder gar Jahre angelegten Dauer gerechtfertigt sein. Eine solche extrem lange Dauer kann ein Indiz dafür sein, dass mit dem Camp tatsächlich kein versammlungsspezifischer Zweck (mehr) verfolgt wird. In diesem Zusammenhang kommt es auf die Erklärungen an, die der Veranstalter etwa bei der Anmeldung oder im Rahmen von anschließenden Kooperationsgesprächen gegenüber der Versammlungsbehörde abgegeben hat. Der Veranstalter eines Protestcamps muss zwar nicht – gleichsam einem Schema gehorchend – bei der Anmeldung ein lückenloses Konzept mit konkreten Programmpunkten vorlegen. Seinen Angaben muss sich jedoch nach objektivem Verständnis ein auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteter kommunikativer Zweck entnehmen lassen. Da es sich bei einem Protestcamp um eine Dauerveranstaltung handelt, ist der Veranstalter gehalten, den versammlungsspezifischen Zweck im Sinne einer auf die voraussichtliche Dauer bezogenen Gesamtkonzeption zu substantiieren.
10Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2022 - 6 C 9.20 -, juris Rn. 23 m.w.N.
11aa) Eine solche versammlungsspezifische Zwecksetzung hat der Antragsteller (noch) hinreichend substantiiert dargelegt. Auf die Frage, ob die Beigeladene den an sie gerichteten „Forderungskatalog“ (weitgehend) erfüllen könnte, kommt es in diesem Zusammenhang nicht entscheidend an. Dem Antragsteller geht es ausweislich seines Versammlungskonzepts jedenfalls nicht ausschließlich um die Durchsetzung jener Forderungen, sondern zugleich und in erster Linie darum, Studierende wie Beschäftigte der Beigeladenen auf die aktuelle Situation in Gaza aufmerksam zu machen. Dabei soll vor allem eine aus seiner Sicht bestehende Verstrickung der universitären Forschung in kriegerische Handlungen aufgezeigt werden, gegen die es zu protestieren gelte. Dass diese auf die öffentliche Meinungsbildung gerichtete Zielsetzung zwischenzeitlich in den Hintergrund getreten oder gar aufgegeben worden ist, lässt sich nicht feststellen. Nach den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des Antragstellers werden im Rahmen des Protestcamps nach wie vor verschiedenartige Veranstaltungen (z. B. Filmabende, Diskussionsrunden, Workshops) durchgeführt, die einen konkreten Bezug zu dem Versammlungsthema haben. Auf diese Weise soll offenkundig die inhaltliche Auseinandersetzung gesucht und für das Anliegen der Versammlung nach außen geworben werden. Gerade Letzteres erscheint selbst in Anbetracht der langen Versammlungsdauer plausibel vor dem Hintergrund, dass mit dem Wintersemester, das erst kürzlich begonnen hat, eine nicht unerhebliche Zahl neuer Studierender angesprochen werden kann. Dies hat der Antragsteller zu erreichen versucht, indem er in seiner Broschüre „Startklar mit den T. “ für ein studienfachübergreifendes Beratungsangebot vom 1. bis zum 5. Oktober 2024 geworben hat.
12bb) Es liegen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass an der Veranstaltung des Antragstellers eine relevante Zahl an Personen nicht mehr – zumindest für eine gewisse Dauer – teilnimmt, so dass der erklärte Charakter der Versammlung als „Camp“ entfallen sein könnte. Dafür geben die von der Beigeladenen im vorliegenden Verfahren vorgelegten Lichtbilder, die ein verschlissenes, notdürftig mit einer schwarzen Kunststoffplane abgedecktes Schlafzelt zeigen, nichts Belastbares her.
13b) Die durch das Protestcamp des Antragstellers genutzten Grünflächen, die unstreitig im Eigentum der Beigeladenen stehen, sind ein von der Versammlungsfreiheit gedeckter Versammlungsort.
14Die dem Veranstalter als Ausfluss der Versammlungsfreiheit zukommende Entscheidung über den Ort der Versammlung vermittelt als solche noch kein Benutzungsrecht über fremdes Eigentum, sondern setzt die Verfügungsbefugnis über den Versammlungsort nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen voraus. Die Versammlungsfreiheit verschafft mithin kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies betrifft neben dem öffentlichen Straßenraum solche Stätten, in denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Ausschlaggebend ist die tatsächliche Bereitstellung des Ortes und ob nach diesen Umständen ein allgemeines öffentliches Forum eröffnet ist. Grundrechtlich ist unerheblich, ob der in Rede stehende Kommunikationsraum etwa mit den Mitteln des öffentlichen Straßen- und Wegerechts, sonstiger Vorschriften des öffentlichen Rechts oder des Zivilrechts geschaffen wird.
15Vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 65 f. und 68, sowie Beschlüsse vom 18. Juli 2015 ‑ 1 BvQ 25/15 -, juris Rn. 5, und vom 20. Juni 2014 ‑ 1 BvR 980/13 -, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 26. Juni 2015 - V ZR 227/14 -, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Juli 2020 ‑ 15 A 2100/18 -, juris Rn. 100, und vom 29. Dezember 2016 - 15 B 1500/16 -, juris Rn. 10.
16Einen der Öffentlichkeit uneingeschränkt zugänglichen Kommunikationsraum stellen die Freiflächen neben dem Hauptgebäude der Beigeladenen dar, die gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HG eine vom Land getragene, rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts und gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gebunden ist.
17Vgl. VG Frankfurt a. M., Beschluss vom 22. Mai 2024 - 5 L 1624/24.F -, juris Rn. 42 (zu einer Stiftung); Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 104. Ergänzungslieferung, April 2024, Art. 5 Abs. 3, Rn. 133 m.w.N.
18Diese Freiflächen dienen, wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat, u. a. dem sonstigen Aufenthalt von Studierenden, ohne aber auf diese Personengruppe oder nur einzelne, begrenzte Zwecke erkennbar beschränkt zu sein. Die Flächen sind vom öffentlichen Straßenraum aus frei zugänglich und damit dem allgemeinen Publikumsverkehr geöffnet. Eine Umwehrung, die ein Betreten und einen Aufenthalt verhindert, besteht ebenso wenig wie eine individuelle Kontrolle von Zutrittsberechtigten.
19Vgl. zu Letzterem BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 65.
20Die Nutzung ihrer Freiflächen als Versammlungsort steht nicht unter dem Vorbehalt einer Zustimmung der Beigeladenen.
21Ein Verbot von Versammlungen kann nicht als Minus zu der Nichtöffnung des Geländes und damit als bloße Versagung einer freiwilligen Leistung angesehen werden. Vielmehr besteht zwischen der Eröffnung eines Verkehrs zur öffentlichen Kommunikation und der Versammlungsfreiheit ein unaufhebbarer Zusammenhang: Dort wo öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen. Dies stünde in Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung, die das Regelungsbelieben des Eigentümers begrenzt.
22Vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 68; OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2021 - 15 B 469/21 -, juris Rn. 14.
23Keiner Vertiefung bedarf, inwieweit vor dem Hintergrund der zitierten bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (noch) angenommen werden kann, die Schaffung und Unterhaltung einer der Öffentlichkeit frei zugänglichen Grünfläche gehe über die Gemeinwohlverpflichtung einer Universität als autonome Körperschaft des öffentlichen Rechts hinaus, so dass die Beigeladene Versammlungen von einer bestimmungsgemäßen Nutzung ihres Geländes ausnehmen könnte und deren Zulassung als außerhalb des Widmungszwecks liegende "Sondernutzung" in ihrem pflichtgemäßen Ermessen stünde.
24Vgl. dazu – sogar für eine mögliche Monopolstellung hinsichtlich geeigneter Versammlungsflächen – BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 7 C 34.91 -, juris Rn. 14 f.; dagegen wohl VG Frankfurt a. M., Beschluss vom 22. Mai 2024 - 5 L 1624/24.F -, juris Rn. 42.
25Ein solcher Ausschluss dürfte materiell jedenfalls nur dann gerechtfertigt sein, wenn er dem Schutz individueller Rechtsgüter oder zur Verfolgung legitimer, hinreichend gewichtiger öffentlicher Zwecke des Gemeinwohls dient.
26Vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 ‑ 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 86; OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2021 - 15 B 469/21 -, juris Rn. 18 (zur kommunalen Rechtssetzung).
27Ungeachtet dessen kommt eine andere rechtliche Bewertung hier aber schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beigeladene, soweit ersichtlich, in Bezug auf ihr betroffenes Außengelände keine Widmungsentscheidung oder sonstige Zweckbestimmung dahin getroffen hat, dass Versammlungen von der bestimmungsgemäßen Nutzung ausgeschlossen sein sollen. Lediglich hat sie sich aus konkretem Anlass mit der in Streit stehenden Versammlung des Antragstellers nicht einverstanden erklärt.
28Es bedarf ferner keiner Entscheidung, ob das Recht zur Inanspruchnahme öffentlich zugänglicher Räume, wie die Beigeladene geltend macht, nur Veranstaltern von öffentlichen Versammlungen zukommt. Es kann nicht angenommen werden, dass die Versammlung des Antragstellers keine öffentliche mehr ist. Eine Versammlung oder Veranstaltung ist gemäß § 2 Abs. 4 VersG NRW u. a. öffentlich, wenn die Teilnahme nicht auf einen individuell bestimmten Personenkreis beschränkt ist. Der Schluss auf eine solche Teilnahmebeschränkung ist allein auf Grundlage der von der Beigeladenen vorgelegten Lichtbilder nicht gerechtfertigt, ausweislich derer die entlang des gepflasterten Weges zu einem Nebeneingang des Hauptgebäudes aufgestellten Pavillons mit seitlichen Planen verschlossen und ein Schild („Notier No Entry Unless Authorized Achtung Kein Zutritt ausser für Befugte“) angebracht worden sind. Die Seitenplanen dürften nicht zuletzt dem Schutz vor den jahreszeitbedingt zunehmend schlechten Witterungsverhältnissen dienen. Das vom Antragsteller erklärte Zutrittsverbot für Unbefugte kann zudem nicht ohne weiteres so gedeutet werden, dass das Camp insbesondere von Teilnahmewilligen oder sonst Interessierten nicht mehr aufgesucht werden darf, zumal diese doch gerade zu dem Kreis von aus Sicht des Antragstellers willkommenen Personen gehören. Anhaltspunkte für eine anderweitig gehandhabte Regelung des Zutritts zu dem Camp hat die Beigeladene nicht vorgetragen.
292. Die mit Bescheid vom 23. September 2024 verfügte zeitliche Beschränkung der Versammlung erweist sich aller Voraussicht nach als rechtswidrig. Sie findet ausgehend von dem Grundsatz, dass bei Anfechtung eines Verwaltungsaktes entscheidungserheblich auf den Zeitpunkt seines Erlasses abzustellen ist, in § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW keine rechtliche Grundlage.
30Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit umfasst die gesamte Rechtsordnung und die in diesem Zusammenhang betroffenen Rechte Dritter. Zum Zweck der Abwehr einer für diese bestehenden unmittelbaren Gefahr ist auch die Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters über die Dauer der Versammlung rechtlich möglich. Der Erlass einer die Dauer eines Protestcamps beschränkenden Verfügung kann ein probates Mittel darstellen, um unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine praktische Konkordanz zwischen dem durch eine solche Veranstaltung ausgeübten Grundrecht der Versammlungsfreiheit und den Rechten Dritter sowie den betroffenen öffentlichen Belangen herzustellen.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2022 - 6 C 9.20 -, juris Rn. 24 (zu § 15 Abs. 1 VersG).
32Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung – wie hier – auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine beschränkende Verfügung liegt grundsätzlich bei der Behörde. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei beschränkenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen.
33Vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17, vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2024 - 15 B 398/24 -, juris Rn. 16 ff.
34Die Gefahrenprognose des Antragsgegners genügt den beschriebenen Anforderungen nicht. Aus der Bescheidbegründung und auch sonst ergeben sich keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.
35a) Das gilt zunächst für die Annahme des Antragsgegners, die Versammlung beeinträchtige den Forschungs-, Lehr- und Prüfbetrieb der Beigeladenen.
36Die Beigeladene dient den Bürgern zur Verwirklichung ihrer individuellen Grundrechte innerhalb des geschützten Lebensbereichs der freien Wissenschaft, Forschung und Lehre. Sie hat insoweit als eine vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtung Bestand und ist selbst Trägerin des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
37Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2016 ‑ 1 BvL 8/10 -, juris Rn. 48 m.w.N., und Beschluss vom 16. Januar 1963 1 BvR 316/60 -, juris Rn. 22.
38Eine Beeinträchtigung dieser Grundrechtsposition durch die Versammlung des Antragstellers ist nicht erkennbar. Sie folgt insbesondere nicht allein aus dem Umstand, dass die Beigeladene von ihr angesetzte Veranstaltungen (B. , M. , F. ), die unter Einbeziehung der besetzten Rasenflächen hätten stattfinden sollen, zur Gewährleistung eines störungsfreien Ablaufs umplanen musste. Weder ist dargelegt, dass hiermit ein besonderer Aufwand verbunden war, noch, dass der Erfolg der Veranstaltungen gemindert oder gar vereitelt wurde. Dessen unbeschadet ist auch nicht ersichtlich, dass die Beigeladene auf eine Nutzung ihrer Freiflächen in absehbarer Zeit angewiesen ist. In Anbetracht der jahreszeitbedingt schlechten Witterungsverhältnisse liegt es gegenwärtig zudem fern, dass andere Studierende (oder Beschäftigte der Beigeladenen) die Rasenflächen zum Zwecke des sonstigen Aufenthalts nutzen wollen.
39Dahinstehen kann, inwieweit die Rasenflächen der Beigeladenen durch die Aufbauten des Protestcamps beschädigt worden sind und daraus eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit folgen könnte. Der Antragsgegner hat seine Verfügung hierauf nicht gestützt. Es drängt sich ohnedies nicht auf, dass die Fortsetzung der bereits seit Mitte Mai andauernden Versammlung die Grasnarbe noch weiter schädigen könnte als bislang.
40Welche konkreten Belastungen der Beigeladenen, vor allem ihrer Studierenden und Beschäftigten, darüber hinaus zu befürchten sein sollen, bleibt unklar. Darauf, dass der Universitätsbetrieb beispielsweise durch Besetzungen, Blockaden oder lautes Skandieren nachhaltig gestört zu werden drohte, hat der Antragsgegner nicht abgestellt. Gegen strafbare Handlungen einzelner Versammlungsteilnehmer wäre ein polizeiliches Einschreiten geboten.
41Vgl. auch VG Frankfurt a. M., Beschluss vom 22. Mai 2024 - 5 L 1624/24.F -, juris Rn. 35.
42Hinweise für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Versammlung finden sich auch nicht in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners. Im Rahmen des Kooperationsgesprächs mit dem Polizeipräsidium B. wurde der Antragsteller, was schon in der ersten Versammlungsbestätigung vom 14. Mai 2024 (dort Seite 4) festgehalten ist, besonders daran erinnert, dass das Recht der Studierenden auf einen geordneten Studienbetrieb zu achten ist, sowie ferner, dass Versammlungstätigkeiten innerhalb des Hauptgebäudes oder sonstiger Gebäude der Beigeladenen nicht stattfinden und zugleich dort durchgeführte Veranstaltungen nicht gestört werden dürfen. Ausdrücklich sagte der Vertreter des Antragstellers zu, dass er Vorlesungen nicht stören werde, sondern einen Meinungsaustausch erreichen wolle. Verstöße von Gewicht gegen diese kooperierten Absprachen lassen sich nicht feststellen. Das von der Beigeladenen für den Zeitraum 15. Mai bis 4. Juni 2024 erstellte Protokoll („Protokollierte Einträge zu Störungen durch ‚Camp for Gaza‘“) – das der Antragsgegner nicht zum Gegenstand seines Bescheides gemacht hat – enthält lediglich vereinzelt gebliebene Verfehlungen, etwa laute Protestrufe während des Vorlesungsbetriebs in den Hörsälen 1, 2 und 3 und das Werben für die Versammlung innerhalb ihrer Gebäude. Dass im weiteren Verlauf der Versammlung weitere (relevante) Vorfälle zu verzeichnen gewesen sind, ist weder dargetan noch sonst erkennbar. Im Übrigen hätte der Antragsgegner, wenn aufgrund der angeführten Verfehlungen von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit auszugehen wäre, im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens prüfen müssen, ob anstelle der – letztlich zur Beendigung der Versammlung führenden – zeitlichen Beschränkung nicht auch mildere Maßnahmen ausreichend wären, um den weiteren Versammlungsablauf ggf. angemessen steuern zu können. Auf vereinzelte Störungen kann zudem vor Ort anlassbezogen reagiert werden.
43b) Tatsachengestützte Anhaltspunkte, dass durch die Versammlung das friedliche Miteinander im universitären Betrieb in relevanter Weise gestört wird, bestehen ebenfalls nicht. Beeinträchtigungen werden in dieser Hinsicht lediglich vermutet.
44Das gilt auch im Hinblick auf geschützte Belange jüdischer Studierender. Dass, wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, infolge der emotional aufgeladenen Situation um den Nahost-Konflikt die „reale Möglichkeit“ einer Beeinträchtigung auch der Rechtsgüter jüdischer Studierender bestehen mag, führt allenfalls auf eine abstrakte Gefahr. Auch wenn es bundesweit bei Versammlungen mit Bezug zum derzeitigen Kriegsgeschehen in Gaza mitunter zur Begehung von Straftaten gekommen ist, hat der Antragsgegner jedenfalls keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür angeführt, dass die hier in Rede stehende Versammlung mit jenen Veranstaltungen vergleichbar wäre. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen nur als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.
45Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris Rn. 17 m.w.N.
46Die von der Beigeladenen angeführte Veröffentlichung eines möglicherweise wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) strafbaren Inhalts auf der Webseite von „Instagram“ rechtfertigt jedenfalls deshalb keine andere Bewertung, weil der Antragsgegner seine Verfügung auf diesen erst nachträglich bekannt gewordenen Umstand nicht gestützt hat.
47c) Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht ferner nicht mit Blick auf die negative Versammlungsfreiheit anderer Studierender und der Beschäftigten der Beigeladenen.
48Art. 8 Abs. 1 GG schützt auch die negative Versammlungsfreiheit, also das Recht, sich nicht zu versammeln. Davon erfasst ist als negative Teilnahmefreiheit auch die Entscheidung, einer Versammlung fernzubleiben,
49vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 64; VerfGH Sachsen, Beschluss vom 25. April 2024 - Vf. 6-IV-23 -, juris Rn. 10; VG Stuttgart, Urteil vom 2. Juli 2024 - 5 K 2137/21 -, juris Rn. 115; Hartmann, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 227. Lieferung, Oktober 2024, Art. 8 Rn. 239 m.w.N.
50aber im Grundsatz nicht das Recht, vor der Wahrnehmbarkeit einer Versammlung im öffentlichen Raum geschützt zu werden.
51d) Es ist schließlich nicht ersichtlich, dass die Versammlung, wie der Antragsgegner meint, einen „nötigenden Charakter“ erlangt hätte, indem die Fortsetzung des Protestcamps von der Erfüllung des vom Antragsteller formulierten Forderungskatalogs abhängig gemacht werde. Wie bereits oben ausgeführt, besteht das Anliegen des Antragstellers auch darin, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken und sein Anliegen nach außen zu kommunizieren. Ungeachtet dessen ist bisher nicht ansatzweise erkennbar, dass an dem Protestcamp Personen teilnehmen, die durch ihr Auftreten gar einen gewalttätigen oder unfriedlichen Verlauf befürchten lassen.
523. Stellt sich nach alledem die zeitliche Beschränkung des Protestcamps als rechtswidrig dar, kann die hieran anknüpfende Aufforderung, sämtliche Aufbauten und sonstige Gegenstände bis zum 30. September 2024, 23.59 Uhr, zu entfernen, ebenfalls nicht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW gestützt werden.
53Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und Abs. 3, 1. Halbsatz, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.
54Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
55Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).