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Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 19. November 2021 wird aufgehoben, soweit der Klage stattgegeben wurde.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger ist Mitbegründer der Partei „Q.“, deren Bundesvorsitzender er von 2012 bis November 2017 war und seit 2021 wieder ist. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2014 meldete er beim Polizeipräsidium J. eine Versammlung mit dem Thema „Rock für J. – Laut gegen Sozialabbau, Masseneinwanderung und Perspektivlosigkeit“ für den 28. März 2015 auf dem K.-straße in J.-U. an. Veranstalter sei der Bundesverband der Partei „Q.“. Er, der Kläger, werde Versammlungsleiter sein. Der Beklagte untersagte zunächst mit Bescheid vom 3. März 2015 die Versammlungsdurchführung. Gegen die Verbotsverfügung erhob der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Klage (Az. 14 K 1173/15). Auf Antrag des Klägers stellte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. März 2015 - 14 L 543/15 - die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her; die dagegen gerichtete Beschwerde des Beklagten wies der erkennende Senat mit Beschluss vom 25. März 2015 ‑ 15 B 359/15 ‑ zurück. Nachdem am 26. März 2015 ein Kooperationsgespräch mit Herrn Z. als Vertreter des Veranstalters geführt worden war, bestätigte der Beklagte am 27. März 2015 die für den 28. März 2015 angemeldete Versammlung in der Zeit von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr an der Busschleife „I.-straße“ mit ca. 500 bis 700 Teilnehmern. Als „Verantwortlicher Leiter“ wurde der Kläger genannt. Der Bescheid weist im Anschriftenfeld „Q. c/o N. P.“ als Adressatin aus. Er enthielt u. a. folgende auf § 15 Abs. 1 VersG gestützte Auflagen:
3„1. Wegen der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist es den Rednern und den Versammlungsteilnehmern untersagt, Äußerungen zu tätigen, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören, die zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstacheln und die Menschenwürde anderer verletzen, selbst wenn die Grenze zur Strafbarkeit noch nicht überschritten sein sollte. Darunter fällt insbesondere das Skandieren der Parolen ‚Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!‘ und ‚Ali, Mehmet, Mustafa – fahrt zurück nach Ankara!‘
4[…]
53. Der Versammlungsleiter hat Verstöße gegen die Auflage unter Nr. 1 und Nr. 2 unverzüglich zu unterbinden; soweit dies nicht möglich sein sollte, ist die Versammlung von der Leitung unverzüglich für beendet zu erklären.
6[…]
710. Der Veranstalter hat den Versammlungsteilnehmern am Versammlungsort Zugang zu mindestens 5 Toiletten (DIXI’s/Miettoiletten) zu ermöglichen.
8[…]
911. Im Rahmen Ihrer Versammlung dürfen, wie angemeldet, Rede- und Musikbeiträge dargeboten werden. Diese müssen im Wechsel stattfinden, wobei der Anteil der Redebeiträge mindestens 50 % und der der Musikbeiträge maximal 50 % betragen darf.
10Darüber hinaus sind die einzelnen Musikdarbietungen auf maximal 15 Minuten zu begrenzen.“
11Die Auflage Nr. 1 begründete der Beklagte damit, dass das Skandieren von Parolen, die geeignet seien, als aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten aufgefasst zu werden, gegen § 130 StGB verstoße. Bereits in der Versammlung am 30. April 2014 sei es durch das Skandieren der unter Nr. 1 bezeichneten Parolen und das weitere Verhalten der Teilnehmer „zu Situationen gekommen, die einen Verstoß gegen § 130 StGB als durchaus möglich erscheinen ließen“. Obwohl jene Versammlung aufgelöst und strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden seien, hätten sich entsprechende Verhaltensweisen am darauffolgenden 1. Mai wiederholt. Anwohner wie auch Passanten hätten verängstigt reagiert. Selbst wenn die Grenze der Strafbarkeit durch die Äußerungen allein und das Auftreten der Versammlung noch nicht überschritten sei, „spreche Überwiegendes“ für einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die beschriebene Gefahrenlage bei der angemeldeten Versammlung erneut eintrete. Entsprechendes gelte für die am 21. Dezember 2014 von an- und abreisenden Versammlungsteilnehmern skandierten Parolen
12„Wer sitzt im Schrank? Anne Frank!“,
13„Anne Frank war essgestört.“,
14„F. B., das war Sport, Widerstand an jedem Ort.“,
15„Schmuddel hats erwischt.“,
16„Ein Hammer, ein Stein. Ins Arbeitslager rein.“,
17„Mehmet hats erwischt.“,
18„Wir kriegen euch alle.“ und
19„L. D., aus der Traum, bald liegst du im Kofferraum.“.
20Die Auflage Nr. 3 sei zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung notwendig. Eine entsprechende Verfügung habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 7. April 2004 - 1 BvQ 17/01, 18/01 - (juris) nicht beanstandet.
21Die Bereitstellung von Toiletten (Auflage Nr. 10) verhindere eine Verrichtung der Notdurft auf öffentlichen Flächen. Das Aufstellen von fünf Toiletten sei bei der angegebenen Teilnehmerzahl von 200 Personen angemessen.
22Die Auflage Nr. 11 diene dem Zweck, den Versammlungscharakter der Veranstaltung zu wahren. Die Musikstücke seien nicht spezifisch auf die angemeldete Versammlung ausgerichtet. Ihre zeitliche Beschränkung sei erforderlich, um einen kommerziellen Schwerpunkt der Veranstaltung zu verhindern. Durch die vorgeschriebenen Pausen zwischen den Musikdarbietungen werde die Gesundheit der vor Ort anwesenden Einsatzbeamten geschützt.
23Gegen Teile der Auflagen Nrn. 1, 3 und 10 sowie gegen die Auflage Nr. 11 hat der Kläger am 2. April 2015 Klage erhoben.
24Er hat vorgetragen, durch die späte Bekanntgabe der versammlungsbehördlichen Auflagen sei seine Rechtsschutzgarantie faktisch eingeschränkt worden.
25Das Skandieren der mit der Auflage Nr. 1, Satz 2 untersagten Parolen sei nicht strafbar und somit kein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit. Umstände, die eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung hätten begründen können, habe der Beklagte nicht benannt. Durch den letzten Halbsatz der Auflage Nr. 3 sei er, der Kläger, zur Beendigung der Versammlung verpflichtet und damit in dem ihm, dem Versammlungsleiter, vom Gesetzgeber eingeräumten Recht beschnitten worden, die Versammlung jederzeit zu unterbrechen und zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt wieder fortzuführen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte insoweit sein Ermessen ausgeübt habe. Die Auflage Nr. 10 sei nicht erforderlich gewesen, da die Teilnehmer zum Aufsuchen einer Toilette die Versammlung jederzeit hätten verlassen und sich wieder hätten anschließen können. Drei Toiletten seien für 500 bis 700 Teilnehmer ausreichend gewesen. Nicht nachvollziehbar sei die Auflage Nr. 11. Es sei schon aus dem Thema der Versammlung ersichtlich, dass das Schwergewicht der Veranstaltung auf der Darbietung von politischer Musik habe liegen sollen. Die Gruppen „A.-S.“ und „H.“ träten zwar auch auf kommerziellen Veranstaltungen auf, jedoch stehe der politische Hintergrund im Fokus, indem sie bei Wahlkampfveranstaltungen spielten und die erzielten Erlöse politischen Projekten zugutekommen ließen. Den Einsatzbeamten habe es freigestanden, sich auf dem weiträumigen Areal in ausreichender Entfernung von den Lautsprechern aufzuhalten. Im Falle eines polizeilichen Einschreitens hätte der Lautsprecherbetrieb ohnehin für etwaige Durchsagen eingestellt werden müssen.
26Der Kläger hat beantragt,
27festzustellen, dass er durch den kurzfristigen Erlass bzw. die Übermittlung der Auflagenverfügung vom 27. März 2015, mit der für die Versammlung am 28. März 2015 Auflagen erteilt worden sind, in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt ist,
28sowie festzustellen,
29dass die Auflagen bzw. Teile der Auflagen in dem Bescheid des Beklagten vom 27. März 2015
30unter Ziffer 1, letzter Satz (i.V.m. dem letzten Halbsatz von 1., erster Satz) „selbst wenn die Grenze zur Strafbarkeit noch nicht überschritten sein sollte. Darunter fällt insbesondere das Skandieren der Parolen ‚Deutschland den Deutschen - Ausländer raus‘ und ‚Ali Mehmet Mustafa, fahrt zurück nach Ankara‘ “,
31unter Ziffer 3, letzter Halbsatz „soweit dies nicht möglich sein sollte, ist die Versammlung von der Leitung unverzüglich für beendet zu erklären.“,
32unter Ziffer 10 hinsichtlich der Anzahl der Toiletten sowie
33unter Ziffer 11 rechtswidrig gewesen sind.
34Der Beklagte hat beantragt,
35die Klage abzuweisen.
36Er hat vorgetragen, der die Eilbeschwerde zurückweisende Beschluss des erkennenden Senats - 15 B 359/15 - sei am 25. März 2015 erst um 17.05 Uhr bekanntgegeben worden. Das Kooperationsgespräch habe am 26. März 2015 stattgefunden. Nachdem das Verbot einer weiteren vom Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei „Q.“ für den gleichen Tag angemeldeten Versammlung gerichtlich „nicht gehalten“ worden sei, habe erst einmal geklärt werden müssen, welche Auflagen zu erlassen seien. Ihm, dem Beklagten, könne nicht angelastet werden, dass der Kläger auf die Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz verzichtet habe, zumal dieser Kooperationsgespräche im weiteren Vorfeld verweigert habe.
37Die Auflage Nr. 1 sei rechtmäßig gewesen. Das Verwaltungsgericht selbst habe im Beschluss ‑ 14 L 741/14 - vom 9. Mai 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die dort streitige Verbotsverfügung mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass das Skandieren der Parolen „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus“ und „Ali Mehmet Mustafa, fahrt zurück nach Ankara“, die dazu geeignet seien, als ein aggressives und provokatives Verhalten der Versammlungsteilnehmer aufgefasst zu werden, in der Versammlung am 10. Mai 2014 verboten seien. Die Auflage Nr. 3 habe im letzten Halbsatz die Versammlungsauflösung nur als letztes Mittel vorgesehen und lediglich eine Konkretisierung der gesetzlich ohnehin geregelten Pflichten des Versammlungsleiters enthalten. Die Festlegung des Verhältnisses von Musik- und Redebeiträgen in der Auflage Nr. 11 habe den Charakter der Veranstaltung als Versammlung sichergestellt.
38Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 19. November 2021 festgestellt, dass Satz 2 i.V.m. dem letzten Halbsatz des ersten Satzes der Auflage Nr. 1 („selbst wenn die Grenze zur Strafbarkeit noch nicht überschritten sein sollte. Darunter fällt insbesondere das Skandieren der Parolen ‚Deutschland den Deutschen – Ausländer raus‘ und ‚Ali, Mehmet, Mustafa – fahrt zurück nach Ankara‘“), der letzte Halbsatz der Auflage Nr. 3 („soweit dies nicht möglich sein sollte, ist die Versammlung von der Leitung unverzüglich für beendet zu erklären.“) und die Auflage Nr. 11 rechtswidrig waren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
39Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig. Obgleich der Auflagenbescheid an den Bundesverband der Partei „Q.“ adressiert worden sei, liege die erforderliche Klagebefugnis vor. Der Bescheid sei dem Kläger an dessen Privatanschrift in seiner Eigenschaft als Anmelder und Versammlungsleiter übersandt worden. In seiner Funktion als verantwortlicher Versammlungsleiter sei er zumindest „Inhaltsadressat“ gewesen, weil er im Rahmen der §§ 8, 10 und 11 VersG zur Bekanntgabe der versammlungsbehördlichen Auflagen in Anspruch genommen worden sei und ihm die Kontrolle der Einhaltung der Auflagen abverlangt worden sei. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe wegen einer Wiederholungsgefahr. In der mündlichen Verhandlung habe der Kläger seinen Willen bekundet, auch in Zukunft Versammlungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten abhalten zu wollen. Der Beklagte halte an seiner Rechtsauffassung fest und habe entsprechende Auflagen zumindest in Teilen auch nach März 2015 noch mehrfach gefertigt.
40Die Klage sei überwiegend begründet. Die streitbefangenen Teile der Auflagen Nrn. 1 und 3 und die Auflage Nr. 11 seien rechtswidrig gewesen. Sie hätten nicht auf § 15 Abs. 1 VersG gestützt werden können. Weder aus der Bescheidbegründung noch aus sonst erkennbaren Umständen ergäben sich Erkenntnisse für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Dies gelte zunächst für die Auflage Nr. 1, Satz 2. Daraus folge zugleich die Rechtswidrigkeit der (u. a.) hierauf bezogenen Auflage Nr. 3, letzter Halbsatz. Zudem schlage die Unbestimmtheit von Satz 1 der Auflage Nr. 1 insoweit durch; für den Versammlungsleiter sei nicht hinreichend klar gewesen, wann eine „geeignete“ – und damit untersagte – Äußerung vorgelegen habe. Die vom Beklagten in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die ein Versammlungsverbot zum Gegenstand gehabt habe, sei unergiebig.
41Worauf der Beklagte die Auflage Nr. 11 habe stützen wollen, bleibe unklar. Der Beklagte sei im Zeitpunkt des Bescheiderlasses im Einklang mit der Rechtsprechung zu sog. gemischten Veranstaltungen zutreffend vom Vorliegen einer Versammlung ausgegangen. Die musikalischen Beiträge seien darauf gerichtet gewesen, die innere Bindung der Besucher auf ideologischer Ebene und eine politische Identität auszudrücken und zu festigen. Dass der Verlust der Versammlungseigenschaft bei einem überbordenden Musikanteil während der Veranstaltung mit einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung einhergehen könnte, sei nicht erkennbar und vom Beklagten auch nicht behauptet worden. In diesem Fall verlöre die Veranstaltung allenfalls ihre „versammlungsrechtlichen Privilegien“ und es käme allgemeines Polizeirecht zur Anwendung. Zudem habe der Beklagte verkannt, dass der Versammlungscharakter einer gemischten Veranstaltung weder von einem bestimmten Proporz geplanter Musikbeiträge noch davon abhänge, ob dargebotene Musikstücke bereits Bestandteil kommerzieller Konzerte gewesen seien. Im Übrigen erschließe sich nicht, woher der Beklagte in Ermangelung einer erkennbaren „Playlist“ gewusst habe, welche Stücke gespielt werden sollten. Bei der inhaltlichen Bewertung von nicht strafrechtlich verbotenen Stücken dürfte es sich um eine unzulässige Zensur gehandelt haben. Für eine drohende Gesundheitsbeeinträchtigung der Einsatzbeamten der Polizei fehle es an einer Tatsachengrundlage zu den lärmrelevanten Umständen. Zudem sei nicht ersichtlich, weshalb der Einsatz einfacher Schutzmittel wie Ohrenschützer unmöglich gewesen sei. Die Auflage Nr. 11 verletze den Kläger in seinen Rechten, weil ihm in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter die Verteilung sowie die Festlegung der Dauer von Rede- und Musikbeiträgen nach eigenen Ermessen oblegen habe.
42Rechtmäßig sei hingegen die Auflage Nr. 10. Die Anzahl der Toiletten sei bei zu erwartenden 500 bis 700 Teilnehmern angemessen.
43Schließlich sei der Kläger nicht in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt worden, weil der streitbefangene Auflagenbescheid erst kurz vor der Versammlung ergangen sei.
44Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung trägt der Beklagte vor:
45Die Klage sei insgesamt unzulässig. Der Kläger sei jedenfalls hinsichtlich der Auflagen Nrn. 1 und 11 schon nicht klagebefugt. Inhaltsadressat dieser Regelungen sei der Veranstalter der Versammlung, dem das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG zukomme. Veranstalter sei aber der Bundesverband der Partei „Die Q.“ und nicht der Kläger gewesen. Diese Intention sei in der Adresszeile des Auflagenbescheides zum Ausdruck gebracht worden; der Kläger sei lediglich Bekanntgabeadressat gewesen. Auf eine Verletzung eigener Rechte könnte sich der Kläger in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter, der eine funktionale Ausprägung des Veranstalters sei, nur etwa dann berufen, wenn er zurückgewiesen worden wäre, ihm bestimmte Mitwirkungspflichten auferlegt worden wären oder die Zahl der Ordner begrenzt worden wäre. Im Übrigen sei die Klagebefugnis des Versammlungsleiters auf an ihn zu adressierende Auflagen oder Maßnahmen beschränkt, die während der Dauer der Versammlung ergingen und sich gegen die Versammlung insgesamt richteten. Beides sei vorliegend nicht der Fall. Konkrete Feststellungen dazu, dass der Kläger die organisatorische Verantwortung für die Versammlung übernommen habe, seien nicht getroffen. Für die Verantwortlichkeit einer Parteiuntergliederung in Gestalt eines größeren Gebietsverbands spreche im Gegenteil, dass die Partei „Q.“ für den gleichen Tag einen weiteren Aufzug angemeldet habe, der zu der hier in Rede stehenden Versammlung habe dazu stoßen sollen. Zudem habe ein anderes Vorstandsmitglied der Partei das Kooperationsgespräch am 26. März 2015 geführt. Nichts anderes folge aus der Auflage Nr. 3, die lediglich sinngemäß bestehende versammlungsgesetzliche Strukturen wiedergegeben habe. Diese Regelung habe sich auch nicht auf die Auflage Nr. 11 bezogen.
46Der Kläger habe kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches bestehe nicht wegen einer Wiederholungsgefahr. Es fehle an substantiierten Angaben des Klägers, dass er zukünftig Versammlungen für die Partei „Q.“ abhalten wolle. Hierzu habe das Verwaltungsgericht nur auf unzureichende Behauptungen abgestellt.
47Hinsichtlich der streitbefangenen Teile der Auflagen Nrn. 1 und 3 sei die Klage auch unbegründet.
48Das Verwaltungsgericht selbst habe im Beschluss - 14 L 741/14 - vom 9. Mai 2014 die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage von einer der Nr. 1 inhaltlich entsprechenden Auflage abhängig gemacht. Bei Lektüre der Bescheidbegründung werde der Sinngehalt dieser Regelung, nämlich in erster Linie die öffentliche Sicherheit mit Blick auf den als erfüllt angesehenen Straftatbestand des § 130 StGB zu schützen, klar erkennbar. Diese strafrechtliche Einschätzung habe das Amtsgericht J. im Urteil - 764 Ls-600 Js 595/15-121/15 - vom 18. Februar 2016 geteilt. Lediglich zusätzlich habe er auf den Schutz der öffentlichen Ordnung abgestellt und dabei auf die in der Versammlung am 28. März 2015 zu erwartenden Begleitumstände abgestellt. Umfassend gewürdigt worden seien insofern die Teilnehmerstruktur sowie das Gebaren und Verhalten in Verbindung mit dem Aussageinhalt. Die Auflage Nr. 1 sei nicht unbestimmt, insbesondere seien zwei genau bezeichnete Parolen untersagt worden.
49Erweise sich danach die Auflage Nr. 1 als rechtmäßig, sei der auf eine Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 3 abgeleitete Schluss des Verwaltungsgerichts unzutreffend. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17/01 u. a. - eine dieser Auflage inhaltlich entsprechende Verfügung explizit gebilligt. Es habe die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen eine Verbotsverfügung für eine als „Demonstration gegen Überfremdung in Frankfurt a. M.“ bezeichnete Veranstaltung nach Maßgabe des Tenors des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt vom 3. April 2001 ‑ 5 G 1335/01 - wiederhergestellt und dabei die gerichtlich nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO bestimmten Auflagen in seine rechtliche Würdigung mit aufgenommen. Die Auflage Nr. 3 genüge dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Der Versammlungsleiter habe bei Auflagenverstößen zunächst die ihm zur Verfügung stehenden Ordnungsmittel einsetzen können, um eine behördliche Versammlungsauflösung zu verhindern. Die Regelung habe im Übrigen ohnehin nur die durch das Versammlungsgesetz begründeten Pflichten des Leiters sinngemäß wiedergegeben.
50Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung des Senats die Rechtswidrigkeit der Auflage Nr. 11 anerkannt.
51Der Beklagte beantragt,
52das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 19. November 2021 insoweit aufzuheben, als der Klage stattgegeben wurde, und die Klage insgesamt abzuweisen.
53Der nicht anwaltlich vertretene Kläger ist trotz Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen.
54Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens, der Gerichtsakten der Verfahren 14 K 1295/15 und 14 L 543/15 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
55Entscheidungsgründe:
56Der Senat kann über die Berufung in der Sache entscheiden, obwohl der Kläger nicht anwaltlich vertreten ist. Grundsätzlich besteht vor dem Oberverwaltungsgericht Vertretungszwang (§ 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO). Da der Kläger als Gegner im Berufungsverfahren jedoch keinen Antrag stellen muss und stellt, muss er sich nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2007 - 2 A 3.05 -, juris Rn. 16 (zu § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO in der bis 30. Juni 2008 geltenden Fassung); Bay. VGH, Urteil vom 7. Mai 2018 - 11 B 18.12 -, juris Rn. 17.
58Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Das Begehren des Klägers, die Rechtswidrigkeit von Satz 2 der Auflage Nr. 1 (i.V.m. Satz 1, letzter Halbsatz), des letzten Halbsatzes der Auflage Nr. 3 und der Auflage Nr. 11 des Bescheides des Polizeipräsidiums J. vom 27. März 2015 festzustellen, bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
59Die Klage ist zwar auch insoweit in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft, aber unzulässig.
60Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Kläger, der die Klage im eigenen Namen und nicht für den Bundesverband der Partei „Q.“ erhoben hat, als Versammlungsleiter in entsprechender Anwendung des § 42 Abs.2 VwGO klagebefugt ist, soweit er sich gegen die Auflagen Nr. 1, Satz 2 und Nr. 11 wendet.
61Vgl. zur Frage der Klage-/Antragsbefugnis des Versammlungsleiters etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 3. Juni 2017 - 1 S 1270/17 -, BeckRS 2017, 112212 Rn. 5; VG Karlsruhe, Urteil vom 14. Mai 2020 - 3 K 5923/18 -, juris Rn. 14 ff.; Peters, in: Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2015, H Rn. 41; Groscurth, in: Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2015, G Rn. 92.
62Ihm fehlt jedenfalls das von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geforderte berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit.
63I. Dies gilt zunächst hinsichtlich der streitbefangenen Teile der Auflagen Nrn. 1 und 3.
64Die Umstände, aus denen sich ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergeben soll, hat der Kläger zumindest dann darzulegen, wenn ein berechtigtes Interesse – wie hier – nicht ohne weiteres erkennbar ist.
65Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 1995 - 8 C 9.95, 8 PKH 10.95 -, juris Rn. 3 m.w.N.
66Als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Danach kommt es hier auf den Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz an.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris Rn. 20.
68Bezogen auf diesen Zeitpunkt hat der Kläger Umstände, die ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen, nicht hinreichend dargelegt.
691. Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats besteht ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht wegen einer Wiederholungsgefahr.
70Dazu ist nicht nur die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird. Es müssen darüber hinaus die für die Beurteilung der (erledigten) Maßnahme geltenden rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein. Die Wiederholungsgefahr muss grundsätzlich gerade im Verhältnis der Beteiligten des anhängigen Verwaltungsstreitverfahrens begründet sein.
71Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris Rn. 21; OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2021 - 5 A 2000/20 -, juris Rn. 28, und Beschluss vom 21. Februar 2014 - 12 A 2838/12 -, juris Rn. 3, jeweils m.w.N.; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 270.
72In versammlungsrechtlichen Streitigkeiten setzt eine Wiederholungsgefahr zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus. Dazu reicht es aus, wenn sein Wille erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Zum anderen ist erforderlich, dass die Versammlungsbehörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird. Es sind Anhaltspunkte zu fordern, dass die betroffene Behörde das Verbot solcher Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird. Insofern darf vom Betroffenen, der regelmäßig keinen Zugang zum Willensbildungsprozess der Verwaltung hat, nicht mehr als die Darlegung verlangt werden, es gebe Anlass für die Annahme, dass beschränkende Verfügungen künftig auf die gleichen Gründe wie bei der im Streit befindlichen Versammlung gestützt werden.
73Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 ‑ 1 BvR 461/03 -, juris Rn. 41 ff.
74Nach diesen Maßgaben fehlt es hinsichtlich der streitbefangenen Teile der Auflagen Nrn. 1 und 3 an einer konkreten Wiederholungsgefahr.
75Es ist schon nicht ersichtlich, dass der Kläger vergleichbare Versammlungen zukünftig noch im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums J. abhalten will. Dafür bietet auch sein Vorbringen keinen Anhalt. Dass der Kläger, so das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung, in der mündlichen Verhandlung seine Absicht zur künftigen Anmeldung weiterer Versammlungen erklärt hat, lässt nicht darauf schließen, dass eine solche auch noch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren bestanden hat, geschweige denn die Absicht zur Durchführung vergleichbarer Versammlungen. Denn zwischenzeitlich hat sich die der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegende Sachlage wesentlich dadurch verändert, dass der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei „Q.“ auf dem Landesparteitag am 7. Januar 2023 aufgelöst worden ist.
76Vgl. Y.
77Damit liegt es nach den Gesamtumständen nahe, dass für den Bundesverband der Partei „Q.“ und für dessen Vorsitzenden, den Kläger, ein ausschlaggebender Grund dafür entfallen ist, in Zukunft vergleichbare Versammlungen in Nordrhein-Westfalen – und damit auch im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums J. – durchzuführen. Dafür, dass eine solche Absicht des Klägers (oder des Bundesverbandes der Partei „Q.“) trotz des Wegfalls der örtlichen Verbindung der Partei zu ihrem ehemaligen Landesverband in Nordrhein-Westfalen fortbesteht, geben die Ausführungen des Klägers nichts her und ist auch sonst nichts ersichtlich.
78Im Übrigen ist auch die Annahme nicht gerechtfertigt, der Beklagte werde erneut beschränkende Verfügungen der hier in Rede stehenden Art auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 VersG zum Schutz der öffentlichen Ordnung erlassen. Anders als der zum Zeitpunkt der hier streitbefangenen Versammlung noch geltende § 15 Abs. 1 VersG ermächtigt der am 7. Januar 2022 in Kraft getretene § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW (GV. NRW. 2022, S. 2) die Versammlungsbehörde allein dazu, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel zu beschränken, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Die Versammlungsfreiheit beschränkende Auflagen des Beklagten zum Schutz der öffentlichen Ordnung lässt diese Regelung nicht zu.
792. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse ist ferner nicht wegen eines Rehabilitierungsinteresses des Klägers gegeben.
80Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern. Für Letzteres ist maßgebend, ob noch abträgliche Nachwirkungen fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes begegnet werden könnte. Die diskriminierenden Wirkungen müssen grundsätzlich vom erledigten Verwaltungsakt selbst ausgehen.
81Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris Rn. 25, und Beschluss vom 23. November 1995 - 8 C 9.95, 8 PKH 10.95 -, juris Rn. 5; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 273, jeweils m.w.N.
82An alledem fehlt es hier.
833. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers lässt sich schließlich nicht auf den Gesichtspunkt der kurzfristigen Erledigung der streitbefangenen Regelungen stützen.
84Diese in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundsätzlich anerkannte Fallgruppe betrifft Verwaltungsakte, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob sich die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung aus der Eigenart des Verwaltungsaktes selbst ergibt.
85Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 1 BvR 1705/15 -, juris Rn. 11; BVerwG, Urteile vom 24. April 2024 - 6 C 2.22 -, juris Rn. 21, und vom 16. Februar 2023 ‑ 1 C 19.21 -, juris Rn. 17, jeweils m.w.N.
86Das ist hier der Fall.
87Bei der Feststellung, dass sich die angegriffene Maßnahme typischerweise so kurzfristig erledigt, dass sie regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden kann, handelt es sich jedoch nicht um eine hinreichende, sondern nur um eine notwendige Voraussetzung für die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses im Sinne dieser Fallgruppe. Neben dem Erfordernis einer typischerweise kurzfristigen Erledigung der Maßnahme muss darüber hinaus die weitere Voraussetzung eines qualifizierten, d. h. tiefgreifenden, gewichtigen oder schwerwiegenden Grundrechtseingriffs erfüllt sein.
88Vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 ‑ 6 C 2.22 -, juris Rn. 22, sowie Beschlüsse vom 29. November 2023 - 6 C 2.22 -, juris Rn. 8, und vom 29. Januar 2024 - 8 AV 1/24, 6 C 2/22 -, juris Rn. 11, jeweils m.w.N.
89Diese weitere Voraussetzung für die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungs-interesses liegt nicht vor.
90Abzustellen ist dabei auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG), da es dem Kläger um die kollektive Meinungskundgabe geht.
91Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris Rn. 13.
92Ein schwerwiegender Eingriff in die Versammlungsfreiheit, der ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen kann, ist grundsätzlich anzunehmen bei einem Versammlungsverbot oder einer Versammlungsauflösung. Daneben ist eine schwerwiegende Beeinträchtigung regelmäßig auch dann anzunehmen, wenn eine geplante Versammlung – was hier der Fall ist – durchgeführt werden konnte, aber infolge von versammlungsbehördlichen Auflagen gemäß § 15 Abs. 1 VersG nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Demgegenüber ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht begründet, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben.
93Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 ‑ 1 BvR 461/03 -, juris Rn. 38; OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2018 - 15 A 943/17 -, juris Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30. Juni 2011 - 1 S 2901/10 -, juris Rn. 31; Bay. VGH, Urteil vom 10. Juli 2018 ‑ 10 BV 17.2405 -, juris Rn. 31.
94a) Hieran gemessen liegt in dem streitbefangenen Teil der Auflage Nr. 1 selbst dann keine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit des Klägers, wenn unterstellt wird, dass er Inhaber des durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten versammlungsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts war.
95Vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 5. September 2003 ‑ 1 BvQ 32/03 -, juris Rn. 22, und vom 14. Mai 1985 ‑ 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris Rn. 83.
96Satz 2 der Auflage Nr. 1 hat ersichtlich nicht dazu geführt, dass die Versammlung nur in einer Weise durchgeführt werden konnte, die ihren spezifischen Charakter verändert hat. Sie betraf lediglich die Untersagung der Verwendung zweier bestimmter Parolen. Diese hatten überdies keinen unmittelbaren Bezug zu dem Versammlungsthema und stellten kein die angemeldete Versammlung kennzeichnendes oder gar prägendes Merkmal dar. Dass deren Untersagung die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung wesentlich erschwert hat, kann mithin nicht festgestellt werden.
97b) Schließlich ist auch mit dem streitbefangenen Teil der Auflage Nr. 3 kein schwerwiegender Eingriff in die Versammlungsfreiheit und das von Art. 8 GG umfasste Recht des Klägers auf Leitung der Versammlung einhergegangen. Denn der letzte Halbsatz der Auflage Nr. 3 konkretisierte lediglich die in § 18 Abs. 1 i.V.m. § 8 Satz 2 VersG angelegte Verantwortlichkeit des Klägers in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter, während der Versammlung für Ordnung zu sorgen, und seine Obliegenheit, die Versammlung äußerstenfalls nach § 18 Abs. 1 i.V.m. § 8 Satz 3 VersG für beendet zu erklären, wenn es keine andere Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der Ordnung (mehr) gibt.
98Gemäß § 18 Abs. 1 i.V.m. § 8 Satz 1 VersG bestimmt der Leiter den Ablauf der Versammlung. Er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen (§ 18 Abs. 1 i.V.m. § 8 Satz 2 VersG). Der Begriff der „Ordnung“ im Sinne dieser Vorschrift bezieht sich auf den Ablauf der Versammlung und darf nicht mit dem weiterreichenden Begriff der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne des Polizeirechts gleichgesetzt werden. Die dem Leiter zugeschriebene Ordnungsmacht ist Ausdruck der versammlungsrechtlichen Selbstverwaltung. Sie begründet keine generelle Verantwortlichkeit zum Schutz der staatlichen Ordnung, sondern garantiert in erster Linie, dass die Versammlung autonom organisiert und durchgeführt werden kann.
99Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. September 1988 ‑ 1 C 15.86 -, juris Rn. 19; Breitbach, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2020, § 8 VersG, Rn. 15.
100Zur Versammlungsordnung zählen indes im Vorfeld nach § 15 Abs. 1 VersG erlassene Auflagen, mit denen die zuständige Versammlungsbehörde die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdende Verhaltensweisen beschränken oder gar untersagen darf. Ihre Wirksamkeit und Vollziehbarkeit vorausgesetzt, werden solche Verfügungen Bestandteil der rechtsverbindlich einzuhaltenden Versammlungsordnung i.S.d. § 8 Satz 2 VersG. Aus seiner Ordnungsmacht erwächst in diesem Fall die Verantwortlichkeit des Leiters, die ihm zustehenden Befugnisse gegenüber Versammlungsteilnehmern (vgl. § 19 Abs. 2, § 18 Abs. 1 i.V.m. §§ 8, 9 Abs. 1, §§ 10 und 11 Abs. 2 VersG) auch zur Durchsetzung der durch versammlungsbehördliche Auflagen weiter konkretisierten (Rechts-)Ordnung einzusetzen.
101Vgl. Wittmann, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2020, § 15 VersG, Rn. 42 m.w.N.; siehe auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 3. Juni 2017 - 1 S 1270/17 -, BeckRS 2017, 112212 Rn. 5
102Dabei liegt es auf der Hand, dass es dem Leiter, wenn es für ihn keine andere Möglichkeit zu deren Durchsetzung gibt, also seine anderen Befugnisse keinen Erfolg versprechen oder ausgeschöpft sind, obliegt, von der Befugnis zur Beendigung der Versammlung gemäß § 18 Abs. 1 i.V.m. § 8 Satz 3 VersG Gebrauch zu machen.
103II. Auch hinsichtlich der Auflage Nr. 11 besteht kein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit.
104Dies folgt schon daraus, dass der Beklagten die Rechtswidrigkeit dieser Auflage in der mündlichen Verhandlung anerkannt hat. Nach dieser Erklärung steht die Rechtswidrigkeit der Auflage zwischen den Beteiligten fest. Eine gerichtliche Entscheidung, die dies wiederholt, hätte unter den gegebenen Umständen keine eigenständige Funktion mehr.
105vgl. zum Entfallen des Feststellungsinteresses durch behördliches Anerkenntnis BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2007 - 1 C 1.06 -, juris Rn. 18; OVG NRW, Beschluss vom 1. Juni 2011 - 5 A 1374/10 -, juris Rn. 2; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 268.
106Im Übrigen wäre aber auch ohne das Anerkenntnis des Beklagten das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach den vorstehenden Maßgaben weder wegen einer konkreten Wiederholungsgefahr noch unter den Gesichtspunkten einer Rehabilitierung oder einer kurzfristigen schwerwiegenden Beeinträchtigung einer Grundrechtsposition des Klägers gegeben.
107Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
108Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Sätze 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
109Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Revisionsgründe vorliegt.