Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Wehr- und Reservedienstentziehern droht in Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (Fortführung der Senatsrechtsprechung).
Syrern, die Syrien illegal verlassen haben, im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben und/oder sich seit längerem hier aufhalten, droht bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (Fortführung der Senatsrechtsprechung).
Syrern droht in Syrien allein wegen ihrer Herkunft aus einem (ehemaligen) Oppositionsgebiet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (Fortführung der Senatsrechtsprechung).
Kurden als solchen droht in Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (Fortführung der Senatsrechtsprechung).
Für Zivilpersonen besteht in Syrien keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts mehr.
Das gewerbs- und bandenmäßige Einschleusen von Ausländern (§ 97 Abs. 2 AufenthG) ist eine schwere Straftat im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG und des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG.
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Der am 00. Januar 0000 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit aus der Stadt I. (Provinz Hasaka). Er verließ Syrien nach seinen Angaben ungefähr im Februar 2014 und reiste in die Türkei ein. Dort erteilte ihm das deutsche Generalkonsulat in Istanbul am 28. August 2014 ein Visum zur Aufnahme nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG -. Mit diesem reiste er am 5. September 2014 über den Flughafen W.-J. in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 9. September 2014 erteilte ihm die Stadt W. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG für die Zeit bis zum 8. September 2016.
3Am 24. Juni 2015 wurde er aufgrund eines Haftbefehls des Landesgerichts M. (Österreich) verhaftet und am 10. September 2015 an Österreich ausgeliefert.
4Am 31. August 2015 stellte er durch einen Rechtsanwalt einen Asylantrag mit den Anträgen, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz zu gewähren. Nach der Auslieferung des Klägers an die Republik Österreich stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) das Asylverfahren mit Bescheid vom 27. Juni 2016 ein.
5Das Landesgericht M. verurteilte den Kläger mit Urteil vom 1. Dezember 2015 - Az. - zu einer Freiheitsstrafe von 2 ½ Jahren wegen Schlepperei. Nach den Feststellungen des Landesgerichts M. hatte der Kläger sich als Mitglied einer Schlepperbande daran beteiligt, am 2. und 3. April 2014 ca. 30 Personen, am 1. und 2. August 2014 ca. 74 Personen, am 5. und 6. August 2014 ca. 60 bis 70 Personen und am 17. und 18. August 2014 53 Personen jeweils in einem Sattelschlepper von der Türkei nach Österreich einzuschleppen. Die geschleppten Personen bezahlten dafür jeweils ein Entgelt in Höhe zwischen 7.000,- € und 10.000,- €. Der Tatbeitrag des Klägers bestand darin, dass er schleppungswillige Personen in der Türkei anwarb, diesen Busfahrten und Unterkünfte vermittelte, ihnen für die und während der Schleppung Anweisungen erteilte (zum Beispiel hinsichtlich von Treffpunkten mit Mittätern, aber auch die Anweisung an eine Person, ihren Pass zu vernichten) und seine Mittäter über Ort und Zeit des Eintreffens der geschleppten Personen in Österreich zwecks Organisation der Weiterreise informierte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landesgerichts M. vom 1. Dezember 2015 Bezug genommen.
6Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 24. Februar 2017 stellte der Kläger am 17. Mai 2017 einen weiteren Asylantrag.
7In seiner informatorischen Anhörung am 21. Juni 2017 in W. erklärte der Kläger zum Grund der in Österreich verbüßten Haftstrafe, er habe in der Türkei eine Wohnung mit fünf Freunden gehabt, die alle nur arabisch hätten sprechen können. Sie hätten ihn gebeten, als Dolmetscher mit dem Schlepper zu kommunizieren, da sie kein kurdisch gesprochen hätten. Als diese Personen dann in Österreich gefragt worden seien, wer sie bei der Ausreise unterstützt habe, hätten sie seinen Namen genannt. Deshalb sei die österreichische Regierung davon ausgegangen, dass er sich daran beteiligt habe.
8Seine Ehefrau, mit der er nicht standesamtlich verheiratet sei, lebe in O. (Türkei). Er habe in Syrien einen Handy-Laden gehabt und von 2003 bis 2005 Wehrdienst geleistet.
9Zum Grund seiner Ausreise aus Syrien erklärte der Kläger, sie hätten keine Sicherheit mehr gehabt. Sie hätten an dem Krieg nicht teilnehmen wollen. Es gebe in Syrien Milizen und andere bewaffnete Gruppierungen, von denen sie so weit wie möglich hätten entfernt sein wollen. Deshalb sei er mit seiner ganzen Familie ausgereist, um in Frieden zu leben.
10Auf die Frage, welches Ereignis ihn veranlasst habe, gerade im Februar 2014 Syrien zu verlassen, antwortete der Kläger, seine jüngeren Brüder seien aufgefordert worden, zur Armee zu gehen. Aber seine Eltern hätten das nicht gewollt. Deshalb seien sie - seine jüngeren Brüder - zunächst in die Türkei geschickt worden. Sie seien dann nachgekommen.
11Auf die Frage, ob er in Syrien persönlich angegriffen oder bedroht worden sei, antwortete der Kläger, er sei persönlich nicht bedroht worden, aber er sei von der kurdischen Armee aufgesucht worden. Die seien zu ihm nach Hause gekommen und hätten gesagt: „Entweder schließt Du Dich uns an oder Du kämpfst für das Assad-Regime. Ich weiß nicht, was die dann mit Dir machen. Dann stehst Du allerdings nicht mehr unter unserem Schutz.“ Deswegen habe er nicht mehr in Syrien bleiben wollen.
12Auf weitere Frage führte der Kläger weiter aus, drei Männer seien zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten sich dort hingesetzt. Sie hätten ihm das auf eine vernünftige Weise erklärt. Sie hätten ihn nicht unter Druck gesetzt. Sie hätten gesagt, dass sie möchten, dass er sich ihnen anschließe. Sie hätten gesagt, dass er keine Waffe tragen müsse, sondern sie auf andere Weise unterstützen könne, es könnten auch gemeinnützige Dinge sein. Daraufhin habe er ihnen gesagt, dass er sich das zunächst einmal überlegen müsse. Er habe auch gesagt, dass er zunächst die Waren aus seinem Laden verkaufen müsse. Dann habe er einfach nur noch seine Flucht vorbereitet, weil er nicht mehr in Syrien bleiben wollte. Er habe keine andere Wahl gesehen, außer sich ihnen anzuschließen oder eben für das Assad-Regime zu kämpfen.
13Seine Mutter habe Probleme beim Gehen, daher helfe er ihr, wo er könne.
14Mit Schreiben vom 15. Juni 2018 teilte das Bundesamt dem Kläger mit, dass er aufgrund seiner Verurteilung durch das Landesgericht M. die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG erfülle, und gab ihm Gelegenheit, Gründe vorzutragen, die sein Interesse an einem weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland unterstützen könnten.
15Der Kläger trug daraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 29. Juni 2018 vor, er könne nicht nach Syrien zurückkehren, da dort die Situation sehr schlecht sei und er dort nicht leben könne. Seine Eltern und fünf Geschwister lebten in der Nähe von W. Er habe drei Monate lang in Deutschland gearbeitet und besuche nun einen Sprachkurs.
16Mit Bescheid vom 7. September 2018 lehnte das Bundesamt die Anträge des Klägers auf Asyl, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliege. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Kläger erfülle den Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG.
17Der Kläger hat am 18. September 2018 Klage erhoben.
18Er hat im Wesentlichen vorgetragen, er habe niemanden eingeschleust, keine Hilfe geleistet und auch keinen Euro bekommen. Es sei in ihren Ländern so, dass man sich gegenseitig helfe. Die Leute hätten hinterher falsche Angaben gemacht.
19In Österreich sei er krank geworden. Er habe psychiatrisch behandelt werden müssen. Ihm sei der Vorwurf gemacht worden, dass er Leute eingeschleust habe. Diese Leute seien ihm dann vorgeführt worden. Sie hätten gesagt, dass er beteiligt gewesen sei. Er habe die Leute gekannt, weil er mit ihnen in einem Zimmer in der Türkei gewohnt habe. Vorher habe er sie nicht gekannt. Sie seien allerdings aus I. oder der näheren Umgebung gewesen.
20In der Türkei habe er ca. 1 bis 1 ½ Monate mit den anderen Leuten in einer Wohnung gelebt. Jeder habe für sich gelebt und seinen Lebensunterhalt selbst bestritten. Er habe für diese Leute nur übersetzt. Sie hätten ein Treffen in einem Café vereinbart. Er sei mitgegangen und habe 10 bis 15 Minuten übersetzt. Es sei darum gegangen, dass sie nach Europa wollten. Es sei zu klären gewesen, wo sie das Geld hinterlegen sollten und wann die Abreise erfolgen solle.
21Seine Frau sei zu Besuch in Deutschland. Sie lebe sonst in der Türkei. Am 20. Mai 2019 seien ihre Zwillinge geboren worden.
22Der Kläger hat beantragt,
23den Bescheid des Bundesamts vom 7. September 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
24hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen.
25Die Beklagte hat beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil unter Aufhebung der Nrn. 1 und 3 des Bescheids des Bundesamts vom 7. September 2018 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zurückkehrende Syrer würden bei ihrer Rückkehr allein wegen ihrer Asylantragstellung im westlichen Ausland flüchtlingsrelevante Verfolgung erleiden. Unabhängig davon drohten jedem Rückkehrer Verfolgungsmaßnahmen, weil das syrische Regime unterstelle, dass sich diese Männer durch das Verlassen des Landes dem Militärdienst entzogen und dem syrischen Regime damit ihre Loyalität verweigert hätten, wodurch sich bei ihnen eine oppositionelle Gesinnung offenbart habe. Außerdem würden Kurden und Zivilisten aus vermeintlich regierungsfeindlichen Städten wie I. vom syrischen Staat verfolgt. Die vom Kläger begangene Straftat bewertete das Verwaltungsgericht als nicht so schwerwiegend. Das Urteil wurde der Beklagten am 27. Juni 2019 zugestellt.
28Die Beklagte hat am 12. Juli 2019 beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 4. Dezember 2019 zugelassen. Die Beklagte hat die Berufung am 10. Dezember 2019 begründet.
29Sie trägt vor, rückkehrenden syrischen Asylbewerbern drohe nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen eines gestellten Asylantrags, ihres Aufenthalts im (westlichen) Ausland und eventuell wegen illegalen Verlassens Syriens vom syrischen Staat als politische Gegner angesehen und im Sinne von § 3 AsylG verfolgt zu werden. Männer, die sich durch Ausreise ins Ausland dem Militärdienst entzogen hätten, hätten im Falle der (unterstellten) Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch den syrischen Staat zu befürchten. Kurden als solche würden wegen ihrer Volkszugehörigkeit nicht vom syrischen Staat verfolgt. Die Herkunft aus I. führe nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischer Verfolgung.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts abzuweisen.
32Der Kläger beantragt,
33die Berufung zurückzuweisen.
34Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamts zu beiden Asylverfahren und die beigezogene Ausländerpersonalakte des Klägers Bezug genommen.
35E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
36Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes im Bescheid des Bundesamts vom 7. September 2018 sind rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (nachfolgend I.) und auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (nachfolgend II.).
37I. Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (nachfolgend 1.). Außerdem steht einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG entgegen (nachfolgend 2.).
381. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
39Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG kann als eine solche Verfolgung insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt gelten. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind u.a. gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.
40Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt.
41Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. Juli 2019 - 1 C 33.18 -, NVwZ 2020, 161 (163), Rdnr. 13, und vom 19. Januar 2009 ‑ 10 C 52.07 ‑, BVerwGE 133, 55 (60 f.), Rdnr. 22, 24.
42Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 33.18 -, NVwZ 2020, 161 (163), Rdnr. 15.
44Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337/9) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 33.18 -, NVwZ 2020, 161 (163), Rdnr. 15.
46Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 33.18 -, NVwZ 2020, 161 (164), Rdnr. 16.
48Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 33.18 -, NVwZ 2020, 161 (163), Rdnr. 15.
50Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Furcht des Klägers vor politischer Verfolgung unbegründet.
51a) Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Er hatte vor seiner Ausreise aus Syrien weder politische Verfolgung erlitten noch war er von einer solchen unmittelbar bedroht (Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU). Die von ihm befürchtete Einziehung zum Reservedienst in der syrischen Armee stand weder unmittelbar bevor - der Kläger lebte offenbar in dem von den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG) kontrollierten Teil der Stadt I. in der Provinz Hasaka - noch wäre seine Einberufung zum Reservedienst eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG gewesen. Dem Kläger drohte auch keine Verfolgung von Seiten der kurdischen Selbstverteidigungseinheiten. Die Aufforderung, sich ihnen anzuschließen, beinhaltete keine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG. Eine solche stand auch nicht zu erwarten. Wie der Kläger selbst in seiner informatorischen Anhörung durch das Bundesamt ausführte, hätten die Soldaten der kurdischen Selbstverteidigungseinheiten ganz vernünftig mit ihm gesprochen.
52b) Dem Kläger droht auch bei einer Rückkehr nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt keine Verfolgung durch den syrischen Staat (nachfolgend aa)) oder die kurdische Selbstverwaltung in Nordost-Syrien (nachfolgend bb)).
53aa) (1) Eine Verfolgung durch den syrischen Staat droht dem Kläger zunächst nicht deshalb, weil er sich durch seine Ausreise aus Syrien einer möglichen Einberufung zum Reservedienst in der syrischen Armee entzogen hat.
54(a) In Syrien besteht eine Militärdienstpflicht für Männer vom vollendeten 18. bis zum 42. Lebensjahr. Nach Art. 98 des syrischen Militärstrafgesetzes - syr. MStG - wird jede militärdienstpflichtige Person, die in Friedenszeiten nicht innerhalb eines Monats auf die Einberufung reagiert und flüchtet, bevor sie sich ihrer Einheit angeschlossen hat, mit Gefängnis von einem bis zu sechs Monaten bestraft. Nach Art. 99 syr. MStG wird jede militärdienstpflichtige Person, die in Kriegszeiten nicht auf die Einberufung reagiert oder eingeschrieben worden ist und flüchtet, bevor sie sich ihrer Einheit angeschlossen hat, je nach Dauer der Entziehung und je nachdem, ob sie sich freiwillig stellt oder verhaftet wird, mit Gefängnis von einem Monat bis zu einer zeitigen Freiheitsstrafe bestraft. Nach Art. 104 des syrischen Wehrpflichtgesetzes - syr. WPflG - wird jeder Reservist, der seinen in seiner Wehrpflichtabteilung registrierten Wohnort wechselt und den Wechsel nicht innerhalb eines Monats mitteilt, mit einer Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu drei Monaten und einer Geldstrafe in Höhe von zwei Monatsgehältern eines Soldaten erster Klasse bestraft. Ebenso wird der Reservist bestraft, der reisen möchte oder sich außer Landes aufhält, wenn er seinen hierfür vorgesehenen Pflichten nicht nachkommt. Nach Art. 48 syr. WPflG dürfen Syrer, die das 17. und höchstens das 42. Lebensjahr vollendet haben, die Arabische Republik Syrien nur mit Genehmigung der Generaldirektion für Wehrpflicht und ihrer Regionen und Abteilungen unter den dort genannten Bedingungen verlassen.
55Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 35 f.; ACCORD, Wehrdienst Syrien, 16. Januar 2024, Abschnitt 1.1 und 1.5.1; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Detailfragen zum Vorgehen der syrischen Grenzbehörden bei der Einreise eines registrierten Reservisten nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt, 14. Juni 2023; UNHCR, Inoffizielle Übersetzung der Art. 98 bis 114 syr. MStG (Gesetzesdekret Nr. 61/1950).
56(b) Es besteht jedoch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien aufgrund einer der vorgenannten Vorschriften bestraft würde. Zunächst einmal bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in Syrien zum Reservedienst einberufen worden ist. Der Kläger hat dies nicht vorgetragen. Es ist im Übrigen auch unwahrscheinlich.
57Die Einberufung von Reservisten erfolgte und erfolgt in Syrien durch die Rekrutierungsabteilung des Verteidigungsministeriums durch öffentlichen Aufruf des Geburtsjahrgangs und der Nummer des militärischen Ausbildungskurses (dawra) in den Medien (Fernsehen, Radio, Presse) oder durch persönliche Einberufung über das örtliche Rekrutierungsbüro und den örtlichen Bürgermeister.
58Vgl. DIS, Syria. Military Service: recruitment procedure, conscript duties and military service for naturalised Ajanibs, Juli 2023, S. 10 f.; SFH, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung, 18. Januar 2018, S. 6.
59Die syrische Armee beruft vornehmlich Reservisten ein, die über besondere Qualifikationen verfügen, zum Beispiel Panzersoldaten oder Mechaniker, und Reservisten mit Kampferfahrung.
60Vgl. ACCORD, Wehrdienst Syrien, 16. Januar 2024, Punkt 1.3; DIS, Syria. Military Service: recruitment procedure, conscript duties and military service for naturalised Ajanibs, Juli 2023, S. 10; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Einberufung von Reservisten der syrischen Armee: Bedarf, Bedingungen, Alter, Dauer, Einsatzbereich, Möglichkeiten des Freikaufs, 2. Juni 2023; EASO, Syria. Military Service, April 2021, S. 13.
61Über derartige Qualifikationen verfügt der Kläger nicht. Er hat nach seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt lediglich normalen Wehrdienst geleistet. Daher besteht auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger nach einer Rückkehr nach Syrien zum Reservedienst in der syrischen Armee herangezogen werden wird.
62(c) Dem Kläger droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung nach Art. 104 syr. WPflG, weil er aus Syrien ausgereist ist, ohne die hierfür erforderliche Genehmigung der Generaldirektion für Wehrpflicht einzuholen. Es gibt keine Erkenntnisse, dass Reservisten bei einer Rückkehr nach Syrien allein deshalb festgenommen und bestraft werden, weil sie nicht die für die Ausreise erforderliche Genehmigung der Generaldirektion für Wehrpflicht eingeholt haben. Von einer Festnahme von Reservisten bei einer Rückkehr nach Syrien wird nur in folgenden Fällen berichtet: 1. wenn sie nach Syrien einreisen, ohne zuvor ihren Status über die für sie zuständige syrische Auslandsvertretung geklärt zu haben, 2. wenn aus Sicherheitsgründen nach ihnen gefahndet wird, 3. um Geldzahlungen von ihnen zu erpressen oder 4. wenn sie konkret zum Reservedienst einberufen worden sind.
63Vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Detailfragen zum Vorgehen der syrischen Grenzbehörden bei der Einreise eines registrierten Reservisten nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt, 14. Juni 2023.
64Nach einer Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus und der Weiterreise in seinen Heimatort I. wäre der Kläger dort im Übrigen vor einer Einberufung zum Reservedienst und einer Bestrafung durch den syrischen Staat wegen seiner unerlaubten Ausreise sicher. Der syrische Staat und die syrische Armee üben eine effektive Gebietsherrschaft in der Provinz Hasaka nur noch in Teilen der Städte I. und Hasaka aus. Das übrige Gebiet der Provinz Hasaka wird von der kurdischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien beherrscht. Hier vermag der syrische Staat weder Männer zum Militärdienst einzuziehen noch Strafen durchzusetzen.
65Vgl. ACCORD, Wehrdienst Syrien, 16. Januar 2024, Abschnitt 1.2.1 und 1.2.2; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze), Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritikern/-innen ermöglichen, 24. August 2023; DIS, Military recruitment in Hasakah Governorate, Juni 2022, S. 29 f.
66Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass sich der Kläger nach einer Rückkehr nach Syrien ausgerechnet in den von der syrischen Armee kontrollierten Teilen der Stadt I. niederlassen müsste.
67(d) Selbst wenn der Kläger in Syrien zum Reservedienst einberufen worden wäre, würde ihm deshalb bei einer Rückkehr nach Syrien eine Bestrafung nach den Art. 98 f. syr. MStG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
68(aa) Das Verhältnis des syrischen Staates zu Wehr- und Reservedienstentziehern hat sich seit Ende 2018 zunehmend entspannt. Kennzeichnend hierfür ist etwa die Anweisung der Einreise- und Passabteilung des Innenministeriums der Arabischen Republik Syrien im Dezember 2018 an alle Grenzstellen, syrische Staatsbürger, deren Militärdienst überfällig ist, nicht zu inhaftieren. Einreisende syrische Staatsbürger, deren Meldung zum Wehr- oder Reservedienst überfällig ist, sollen vielmehr ihr Rekrutierungsbüro binnen 15 Tagen (Wehrdienstpflichtige) oder 7 Tagen (Reservedienstpflichtige) aufsuchen.
69Vgl. SANA, Immigration issues instructions not to detain citizens overdue to join military service at border crossings, 24. Dezember 2018 (https://bit.ly/32FO3G6).
70Diese Anweisung wird nach den Erkenntnissen des Senats von den syrischen Grenzbeamten auch im Wesentlichen beachtet. In der Praxis scheint es sogar so zu sein, dass auch Reservedienstentziehern die genannte 15-Tage-Frist eingeräumt wird (und nicht nur 7 Tage). Das österreichische Zentrum für Herkunftsland- und Asylrecherche und -dokumentation (ACCORD) listet in einer Anfragebeantwortung vom 5. September 2023 zahlreiche Fälle auf, in denen die syrischen Grenzbeamten nach Syrien rückkehrenden Wehr- und Reservedienstentziehern die genannte 15-Tage-Frist eingeräumt haben sollen, um sich bei dem für sie zuständigen örtlichen Rekrutierungsbüro zu melden. Demgegenüber wird nur über wenige Fälle berichtet, in denen Wehr- und Reservedienstentzieher direkt an der Grenze verhaftet und zum Militär geschickt worden sein sollen.
71Vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Informationen über kurzen zeitlichen Aufschub zum Antritt des Wehrdienstes für Rückkehrer, 5. September 2023.
72Bei diesen dürfte es sich im Wesentlichen um Wehr- und Reservedienstentzieher handeln, die aus Gebieten stammen, die nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung stehen. In diesem Fall müssten die syrischen Grenzbehörden nämlich damit rechnen, dass die Betreffenden die 15-Tage-Frist dazu nutzen würden, in die Gebiete außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung weiterzureisen, um sich auf diese Weise ihrem Militärdienst zu entziehen.
73Vgl. hierzu ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Detailfragen zum Vorgehen der syrischen Grenzbehörden bei der Einreise eines registrierten Reservisten nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt, 14. Juni 2023.
74(bb) Jedoch werden auch in dem Fall, dass der Wehr- oder Reservedienstentzieher (früher oder später) festgenommen wird, voraussichtlich die in Art. 98 f. syr. MStG und Art. 104 syr. WPflG angedrohten Haftstrafen nicht verhängt, sondern der Wehr- oder Reservedienstentzieher lediglich zur Ableistung seines Militärdienstes eingezogen werden. Allenfalls werden die in den Art. 95, 96, 102 und 104 syr. WPflG angedrohten Geldstrafen verhängt und der Wehrdienst gemäß Art. 96 syr. WPflG um zwei bis vier Monate verlängert werden.
75(aaa) Die Auskunftslage dazu, ob die im syrischen Militärstrafgesetz und im Wehrpflichtgesetz angedrohten Strafen auch in der Praxis umgesetzt werden, ist widersprüchlich. Einige Syrienexperten gehen davon aus, dass die Strafen vom syrischen Regime auch implementiert werden, andere gehen davon aus, dass Wehrpflichtige und einberufene Reservisten nicht bestraft, sondern lediglich zur Ableistung ihres Militärdienstes eingezogen werden. Die vom Dänischen Einwanderungsdienst (DIS) im Mai 2023 befragte syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) war der Meinung, eine Person, die zwecks Ableistung des Militärdienstes gesucht werde, würde, wenn sie Kontrollpunkte passiere oder sich an eine Verwaltungsbehörde wende, verhaftet und direkt zum Militärdienst gesandt werden.
76Vgl. DIS, Syria. Military Service: recruitment procedure, conscript‘s duties and military service for naturalised Ajanibs, Juli 2023, S. 19, Nr. 7.
77Zwei von ACCORD im August 2022 befragte Syrienexperten (Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies und non-resident fellow am Tahrir Institute for Middle East Policy (TIMEP), und ein ungenannter Syrienexperte) waren der Meinung, Strafen für Wehrdienstverweigerung und Desertion würden „im Allgemeinen“ bzw. „so weit wie möglich“ vollstreckt. Der ungenannte Syrienexperte berichtete von Fällen, in denen Wehrdienstentzieher verhaftet und noch nach Monaten inhaftiert gewesen seien, von Fällen, in denen Wehrdienstentzieher nur kurz inhaftiert und dann eingezogen worden seien, und von Fällen, in denen Wehrdienstentzieher unmittelbar eingezogen worden seien. Dagegen war die Organisation Jusoor for Studies der Meinung, Deserteuren und Wehrdienstverweigerern werde eine gewisse Frist eingeräumt, ehe sie ohne Bestrafung sofort zu den Militäreinheiten geschickt würden, da die syrische Regierung dringend auf Personal angewiesen sei.
78Vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertion, 8. September 2022, S. 8 - 12, 21 f., 28 f. und 34 f.
79Von vier vom österreichischen Bundesamt für Fremdenwesen im Dezember 2021 befragten Personen war Prof. Dr. Balanche (Universität Lyon) ebenfalls der Meinung, Wehrdienstentzieher würden direkt zur Armee geschickt, weil diese Soldaten benötige. Prof. Dr. Üngör (Universität Amsterdam) äußerte sich widersprüchlich. Zunächst führte er aus, wenn ein Wehrdienstentzieher an einem Kontrollpunkt gefasst werde, werde er direkt zur Armee geschickt. Später führte er aus, Wehrdienstentzieher, die nach Syrien zurückkehrten, würden wahrscheinlich für eine längere oder kürzere Zeit inhaftiert. Kheder Khaddour (Gastwissenschaftler am Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center (Beirut)) war der Meinung, Wehrdienstentzieher würden für ein oder zwei Wochen, maximal drei Wochen inhaftiert, bis ein spezialisierter Militärangehöriger erscheine, der entscheide, wer als Soldat in die Armee eintreten müsse. Mohammad Rasheed, ein syrischer Journalist, erklärte, er nehme an, ein Wehrdienstentzieher, der nach Syrien zurückkehre, werde inhaftiert. Aber was immer er - Mohammad Rasheed - sagen würde, wäre nicht korrekt. Sie würden keinen Wehrdienstentzieher kennen, der nach Syrien zurückgekehrt sei.
80Vgl. BFA, Anfragebeantwortung zur Staatendokumentation: Syrien: Wehrdienst, 27. Januar 2022, S. 11 - 18.
81Von 15 vom Dänischen Einwanderungsdienst im Januar und Februar 2020 nach den möglichen Konsequenzen für Wehrdienstentziehung befragten Personen und Organisationen gaben sieben an, dass Wehrdienstentzieher direkt zur Armee eingezogen und in militärische Ausbildungslager oder an die Front geschickt würden. Ein westlicher Diplomat nahm an, dass Wehrdienstentzieher eher eingezogen als bestraft würden. Fünf Personen und Organisationen gaben an, dass Wehrdienstentzieher für zwei Tage bis zu drei Monaten inhaftiert und dann zur Armee geschickt würden. Eine Person (Prof. Dr. Balanche) meinte, die Konsequenzen für Wehrdienstentzieher in Syrien seien unklar, eine Person machte keine Angaben zu möglichen Konsequenzen für Wehrdienstentzieher.
82Von den fünf Personen, die angaben, Wehrdienstentzieher würden für zwei Tage bis zu drei Monaten inhaftiert und dann zur Armee geschickt, gab Sara Kayyali (Human Rights Watch (HRW)) an, die meisten Wehrdienstentzieher, die 2019 gefasst worden seien, seien entweder inhaftiert worden oder hätten eine Geldstrafe zahlen müssen und seien anschließend an die Front geschickt worden. Mohammad Sarmini (Jusoor for Studies) meinte, Wehrdienstentzieher würden bei einer Rückkehr nach Syrien Inhaftierung als Konsequenz für ihre Wehrdiententziehung riskieren, wenn sie nicht die Gebühr für die Befreiung vom Wehrdienst bezahlt hätten. Er wusste von Fällen von Wehrdienstentziehern, die nicht die Gebühr für die Befreiung vom Wehrdienst gezahlt hätten und die bei der Rückkehr vom Libanon nach Syrien verhaftet worden seien. Suhail Al-Ghazi, ein unabhängiger Forscher, meinte, die Konsequenz für Wehrdienstentziehung sei bis zu drei Monate Gefängnis (verhängt durch ein Militärgericht), gefolgt vom Militärdienst. Wenn der Wehrdienstentzieher aus einer regierungsfreundlichen Region stamme, sei es unwahrscheinlich, dass er inhaftiert würde. Stattdessen würde er direkt zum Militärdienst geschickt werden. Eine in Syrien arbeitende humanitäre Organisation gab an, Wehrdienstentzieher, die sich gestellt hätten oder die gefasst worden seien, seien für zwei bis 14 Tage in einem Militärgefängnis inhaftiert worden als Bestrafung für die Wehrdienstentziehung. Danach seien sie von ihrer örtlichen Rekrutierungsbehörde zum Militärdienst geschickt worden. Fadel Abdel Ghany (Syrian Network for Human Rights (SNHR)) führte aus, normalerweise werde ein Wehrdienstentzieher, der von den Behörden gefasst werde, für wenige Tage inhaftiert (für die Wehrdienstentziehung) und dann zum Militärdienst geschickt, es sei denn, dass er von der syrischen Armee wegen anderer Vergehen gesucht werde.
83Vgl. DIS, Syria. Military Service, Mai 2020, S. 31 f. und S. 46 ff.
84(bbb) Der Senat hält es nach alldem für am wahrscheinlichsten, dass Wehr- und einberufene Reservedienstentzieher jedenfalls nicht mit einer Haftstrafe bestraft, sondern lediglich zur Ableistung ihres Wehr- oder Reservedienstes eingezogen und allenfalls die in den Art. 95, 96, 102 und 104 syr. WPflG neben den Haftstrafen angedrohten Geldstrafen verhängt werden. Möglichweise wird auch der Wehrdienst für säumige Wehrpflichtige, wie in Art. 96 syr. WPflG angedroht, um zwei bis vier Monate verlängert werden.
85Die meisten in den vergangenen Jahren befragten Syrienexperten gehen davon aus, dass Wehr- und Reservedienstentzieher nicht bestraft, sondern lediglich eingezogen und direkt zur Ableistung ihres Militärdienstes geschickt werden. Soweit die Inhaftierung von Wehrdienstentziehern beobachtet wurde, dürfte diese in vielen Fällen nicht zum Zwecke der Bestrafung erfolgt sein, sondern um zu verhindern, dass diese Personen sich erneut dem Wehrdienst entziehen. Dies dürfte insbesondere bei den Personen der Fall gewesen sein, die nur ganz kurzfristig, für wenige Tage inhaftiert worden sind.
86Dies entspricht auch dem Interesse des syrischen Staates. Dieser hat gar kein Interesse an der Verhängung und dem Vollzug der in den Art. 98 f. syr. MStG und Art. 102 und 104 syr. WPflG angedrohten Haftstrafen, weil die Gefängnisse in Syrien ohnehin überfüllt und inhaftierte Wehr- und Reservedienstentzieher für den syrischen Staat militärisch nutzlos sind, sondern er hat ein Interesse daran, dass Wehrpflichtige und einberufene Reservisten ihren Wehr- oder Reservedienst möglichst bald antreten und ableisten, weil es der syrischen Armee nach wie vor an Soldaten mangelt. Die syrische Armee ist im syrischen Bürgerkrieg durch Verluste und Desertionen von ca. 300.000 Mann auf ca. 169.000 Mann geschrumpft. Infolge Personalmangels ist sie auch in den Gebieten, die offiziell wieder unter der Herrschaft des syrischen Staates stehen, nicht überall in der Lage, eine effektive militärische Kontrolle auszuüben, zum Beispiel in den Provinzen Quneitra, Daraa und Suweida.
87Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 6 ff.; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 24 f.
88Allenfalls hat der syrische Staat ein Interesse an der Einziehung der in den Art. 95, 96, 102 und 104 syr. WPflG ebenfalls angedrohten Geldstrafen, weil der syrische Staat Geld benötigt, sowie an der Verlängerung des Wehrdienstes für säumige Wehrpflichtige gem. Art. 96 syr. WPflG für zwei bis vier Monate.
89Schließlich spricht gegen die Verhängung und den Vollzug von Haftstrafen, dass sich das Verhältnis des syrischen Staates zu Wehr- und Reservedienstentziehern seit Ende 2018 erkennbar entspannt hat und von einem pragmatischen Umgang mit Wehr- und Reservedienstentziehern gekennzeichnet ist. Dem syrischen Staat ist es erkennbar darum zu tun, Wehr- und Reservedienstentzieher möglichst einfach und unkompliziert in seine Armee einzugliedern. Dies entspricht auch seiner allgemeinen Politik. Der syrische Staat bemüht sich seit der Wiedergewinnung der Kontrolle über weite Teile seines Staatsgebiets im Jahre 2018 erkennbar allgemein um eine Rückkehr zur Normalität. Aus der Sicht des Assad-Regimes hat dieses den Bürgerkrieg in Syrien gewonnen und ist nunmehr bestrebt, zu normalen Verhältnissen, das heißt zu den Verhältnissen vor Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahre 2011 zurückzukehren. Teil dieser Rückkehr zur Normalität ist es aus Sicht des syrischen Staates, dass Wehrpflichtige ihren Wehrdienst ganz normal in der syrischen Armee ableisten.
90(e) Aber selbst wenn der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien wegen Entziehung vom Reservedienst bestraft werden würde, würde diese Bestrafung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an eine unterstellte politische oder religiöse Überzeugung anknüpfen. Dies gilt selbst dann, wenn die Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erfolgen sollte, der Verbrechen oder Handlungen umfasst hätte, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG).
91(aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union spricht eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) näher erläuterten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 AsylG) genannten Gründe in Zusammenhang steht, genauer gesagt, dass die in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) beschriebene Verfolgungshandlung mit einem der in Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 AsylG) genannten Verfolgungsgründe in einem Zusammenhang steht (vgl. Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU, § 3a Abs. 3 AsylG).
92Vgl. EuGH, Urteile vom 19. November 2020 - C-238/19 -, NVwZ 2021, 319 (323), Rdnr. 57 - 61, und vom 8. Februar 2024 - C-216/22 -, juris, Rdnr. 53.
93Diese „starke Vermutung“ wird indes zur Überzeugung des Senats durch die tatsächlichen Verhältnisse in Syrien widerlegt. Es sprechen zwingende Gründe gegen die Annahme, der syrische Staat ziele mit einer Bestrafung von Wehr- oder Reservedienstentziehern (auch) auf deren tatsächliche oder ihnen unterstellte politische Gesinnung oder religiöse Einstellung.
94Hiergegen spricht entscheidend, dass der syrische Staat Wehr- und Reservedienstentzieher einerseits und (vermeintlich) politisch Oppositionelle andererseits nicht gleichbehandelt. Das Assad-Regime verfolgt (vermeintlich) politisch Oppositionelle unnachsichtig und mit aller Härte, unter anderem durch Inhaftierung und Folter in den verschiedenen Gefängnissen der Geheimdienste und im Militärgefängnis Sednaya, um Geständnisse und Informationen zu erpressen, die Betroffenen für - aus der Sicht des Assad-Regimes - oppositionelle Betätigung oder Unterstützung der Opposition zu bestrafen und ihren Widerstandswillen zu brechen. Die Folter und die Haftbedingungen für (vermeintlich) Oppositionelle in den Gefängnissen der Geheimdienste und im Militärgefängnis Sednaya sind derart hart, dass zahlreiche Gefangene daran gestorben sind.
95Vgl. UNHRC, Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic vom 11. März 2021, S. 8 ff., §§ 16 ff.; ai, It breaks the human. Torture, disease and death in Syrian’s prisons, August 2016.
96Eine derart harte Behandlung werden Wehr- und Reservedienstentzieher in Syrien keineswegs erfahren. Selbst wenn man denjenigen Syrienexperten folgt, die eine Bestrafung von Wehr- oder Reservedienstentziehern für wahrscheinlich halten, droht diesen im äußersten Fall eine mehrmonatige Haftstrafe (vgl. Art. 98 f. syr. MStG, Art. 102 und 104 syr. WPflG), in den meisten Fällen wohl eher - wenn überhaupt - eine Geldstrafe und eine Verlängerung ihres Militärdienstes (vgl. Art. 95 f. syr. WPflG). Dass die Behandlung von Wehr- und Reservedienstentziehern einerseits und (vermeintlich) politisch Oppositionellen andererseits durch das syrische Regime in keiner Weise vergleichbar ist, zeigt auch die Regelung, dass erstere bei einer Einreise nach Syrien in der Regel nicht verhaftet, sondern ihnen eine Frist von 15 Tagen eingeräumt wird, um sich bei dem für sie zuständigen örtlichen Rekrutierungsbüro zur Ableistung ihres Militärdienstes zu melden.
97Abgesehen davon ist es aber auch nicht plausibel, dass das syrische Regime Wehr- und Reservedienstentziehern eine oppositionelle Gesinnung unterstellen sollte. Es ist offensichtlich, dass sich viele syrische Männer dem Wehr- und Reservedienst nicht deshalb entzogen haben, weil sie in Opposition zum Assad-Regime stehen, oder aus Gewissensgründen, sondern aus Furcht, in Kampfhandlungen getötet oder verwundet zu werden. Dies wird auch dem syrischen Regime, den syrischen Sicherheitskräften und der syrischen Armee nicht verborgen geblieben sein.
98(bb) Die anderslautenden Einschätzungen des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg überzeugen den Senat nicht. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf sein Urteil vom 23. August 2022 - 14 A 3716/18.A -, juris, Rdnr. 109 ff.
99Die übrigen Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe sind ebenfalls der Meinung, entweder sei bereits eine Verfolgung von Wehr- und Reservedienstentziehern nicht beachtlich wahrscheinlich oder eine solche knüpfe jedenfalls nicht an einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an.
100Vgl. etwa Bay. VGH, Urteil vom 11. Januar 2024 - 21 B 19.33072 -, juris, Rdnr. 26 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 15. Mai 2023 - 2 LB 444/19 -, juris, Rdnr. 35; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 22. Dezember 2022 - 4 LB 71/18 OVG -, juris, Rdnr. 26 ff.; Thür. OVG, Urteil vom 16. Juni 2022 - 3 KO 178/21 -, juris, Rdnr. 114 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. März 2022 - 3 L 74/21 -, juris, Rdnr. 37 ff.; Sächs. OVG, Urteil vom 21. Januar 2022 - 5 A 1402/18.A -, juris, Rdnr. 41 ff.
101(2) Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch den syrischen Staat, weil er Syrien illegal verlassen hat, in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat und sich seit 2014 hier aufhält. Der Senat hat die tatsächliche Situation in Syrien dahin bewertet, dass aus dem Ausland rückkehrenden Asylbewerbern, auch wenn sie Syrien illegal verlassen haben, keine politische Verfolgung droht wegen einer ihnen zugeschriebenen regimefeindlichen Gesinnung.
102Vgl. zu den Gründen im Einzelnen: OVG NRW, Urteile vom 21. Februar 2017 - 14 A 2316/16.A -, juris, Rdnr. 28 ff., vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A -, juris, Rdnr. 30 ff., vom 7. Februar 2018 - 14 A 2390/16.A -, juris, Rdnr. 34 ff., und vom 13. März 2020 - 14 A 2778/17.A -, juris, Rdnr. 33 ff.; Beschluss vom 13. Juni 2023 – 14 A 156/19.A -, juris, Rdnr. 50 ff.
103Daran hält der Senat fest. Das klägerische Vorbringen und das angefochtene Urteil geben keine Veranlassung zu einer veränderten Bewertung. Es gibt keine belastbaren Erkenntnisse, dass das syrische Regime Flüchtlingen pauschal eine oppositionelle Gesinnung unterstellt, und dies ist angesichts einer Zahl von mehreren Millionen Flüchtlingen, die Syrien während des Bürgerkriegs verlassen haben, auch nicht plausibel.
104Das Auswärtige Amt führt in seinem neuesten Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien aus, Rückkehrende würden vom Regime häufig als „Verräter/innen“ deklariert und sähen sich daher oft mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert.
105Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 18.
106Es ist aber nicht ersichtlich, auf welche konkrete Tatsachengrundlage das Auswärtige Amt diese ebenso pauschale wie weitreichende Aussage stützt. Die vom Auswärtigen Amt angeführten Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch aus September und Oktober 2021 beruhen auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage und sind nicht repräsentativ. Amnesty International hat lediglich die Schicksale von 66 Personen recherchiert, die zwischen Mitte 2017 und dem Frühjahr 2021 nach Syrien zurückgekehrt seien. Im Zeitraum zwischen 2016 und dem 31. Mai 2021 sollen aber mehr als 280.000 Personen nach Syrien zurückgekehrt sein.
107Vgl. Amnesty International, „Du gehst in den Tod“ - Verletzungen gegen syrische Flüchtlinge, die nach Syrien zurückkehren, vom 30. September 2021, S. 9 und 17 f.
108Human Rights Watch stützt seinen Bericht auf 65 Interviews mit Flüchtlingen oder deren Angehörigen, die zwischen 2017 und 2021 aus dem Libanon und Jordanien nach Syrien zurückgekehrt seien.
109Vgl. Human Rights Watch, „Our Lives Are Like Death“. Syrian Refugee Returns from Lebanon and Jordan, Oktober 2021, S. 7.
110Die Ergebnisse der Studie der Organisation „Voices for Displaced Syrians“: „Is Syria safe for return?“ sind unbrauchbar. Demnach habe beinahe die Hälfte aller Rückkehrer in von der Regierung kontrollierte Gebiete berichtet, dass sie oder eine nahestehende Person Verfolgung dafür erfahren hätten, dass sie Syrien illegal verlassen hätten, im Ausland einen Asylantrag gestellt hätten oder wegen ihrer Herkunftsregion.
111Vgl. Voices for Displaced Syrians, Is Syria safe for return?, November 2021, Ziff. 4.2.1, S. 38.
112Die Studie lässt indes nicht erkennen, worauf die Einschätzung der befragten Personen beruhte, sie oder ein naher Angehöriger hätten deswegen Verfolgung erlitten, weil sie Syrien illegal verlassen hätten, im Ausland einen Asylantrag gestellt hätten oder wegen ihrer Herkunftsregion.
113Demgegenüber führt der Dänische Einwanderungsdienst im Protokoll eines Treffens mit einer syrischen Menschenrechtsorganisation im April 2022 aus, trotz des Fehlens eines klaren Musters der Behandlung von Rückkehrern durch die syrische Regierung habe die syrische Menschenrechtsorganisation hinsichtlich verschiedener Gruppen von Rückkehrern unter anderem die Tendenz beobachtet, dass das Stellen eines Asylantrags im Ausland für sich genommen nicht dazu führe, Misshandlung unterworfen zu werden. Die syrische Regierung sei sich bewusst, dass viele Syrer, die im Ausland lebten, Flüchtlinge seien und ein Asylgesuch für sie die einzige Möglichkeit gewesen sei, Aufenthalt in ihrem Gastgeberland zu erlangen. Diejenigen, die Syrien illegal verlassen hätten, hätten sich in ihrem Gebiet beim örtlichen Geheimdienstbüro zu melden. Sie würden über den Grund für ihre Ausreise und ihre Aktivitäten im Ausland befragt. Weiter würde ihnen nichts passieren, es sei denn, jemand habe sie in ihrer Abwesenheit bei den Behörden angezeigt und zum Beispiel beschuldigt, in oppositionelle Aktivitäten verwickelt zu sein. In diesem Fall riskierten sie (die Rückkehrer), Gegenstand weiterer Befragung, Haft und/oder Erpressung von Geld zu werden.
114Vgl. DIS, Syria. Treatment upon return, Mai 2022, Annex 1, Nr. 6.
115Diese Einschätzung der syrischen Menschenrechtsorganisation erscheint dem Senat plausibel, weil realitätsnah.
116Die anderen Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe sind ebenfalls der Meinung, rückkehrenden Syrern drohe nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (politische) Verfolgung wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland.
117Vgl. etwa Bay. VGH, Urteil vom 11. Januar 2024 - 21 B 19.33072 -, juris, Rdnr. 22 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 15. Mai 2023 - 2 LB 444/19 -, juris, Rdnr. 35 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. März 2022 - 3 L 74/21 -, juris, Rdnr. 34 ff.; Sächs. OVG, Urteil vom 21. Januar 2022 - 5 A 1402/18.A -, juris, Rdnr. 30 f.
118(3) Dem Kläger droht auch nicht deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch den syrischen Staat, weil er aus I. in der Provinz Hasaka stammt, die zeitweise in weiten Teilen vom Islamischen Staat beherrscht wurde und nunmehr im Wesentlichen von der Demokratischen Selbstverwaltung für Nordost-Syrien kontrolliert wird, die ihrerseits von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) dominiert wird.
119Vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 7 und 22 f.
120Diese Eigenschaft teilt der Kläger mit einer unübersehbaren Zahl anderer Bürgerkriegsopfer aus den - früher - großen, von Rebellen beherrschten Gebieten. Erkenntnisse für eine Verfolgung dieser Gruppe ohne individuelle verfolgungsbegründende Umstände liegen nicht vor. Die syrische Regierung hat inzwischen weite Teile ehemaliger Rebellengebiete zurückerobert, ohne dass ersichtlich ist, dass die Bevölkerung dieser Gebiete in stärkerem Ausmaß politischer Verfolgung ausgesetzt wäre als die Bevölkerung im übrigen von der Regierung kontrollierten Staatsgebiet.
121Dass das syrische Regime die Bevölkerung (ehemals) von der Opposition beherrschter Gebiete nicht pauschal als Gegner ansieht, zeigen auch die sog. Versöhnungsabkommen. Diese waren unterschiedlich ausgestaltet. Teilweise mussten sich alle Bewohner des betreffenden Gebiets zwischen 18 und 55 Jahren einem sog. Versöhnungsprozess unterziehen, teilweise aber auch nur Personen, die von der Regierung mit Rebellengruppen und ihren Unterstützern in Verbindung gebracht wurden. Der Versöhnungsprozess selbst war ebenfalls unterschiedlich ausgestaltet, beinhaltete aber jedenfalls eine Überprüfung durch die Geheimdienste, in einigen Fällen durch eine Anhörung, in anderen durch Ausfüllen von Fragebögen zu eigenen und fremden oppositionellen Tätigkeiten. Auch die Ergebnisse waren unterschiedlich. Am Ende gab es jeweils drei Gruppen: Eine Gruppe von Personen, mit denen sich das Assad-Regime nicht versöhnen wollte, die deshalb das Gebiet verlassen mussten und in noch von Rebellen beherrschte Gebiete evakuiert wurden (zum Beispiel Rebellenkämpfer und deren Familien), eine Gruppe von Personen, die der syrischen Regierung misstrauten und sich deshalb der erstgenannten Gruppe anschlossen (zum Beispiel Wehrdienstentzieher), und schließlich die Gruppe derjenigen Personen, die in dem betreffenden Gebiet bleiben durften und bleiben wollten. Die letztgenannte Gruppe war jeweils die zahlenmäßig weitaus größte Gruppe.
122Vgl. zu den sog. Versöhnungsabkommen UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung, März 2021, S. 112 - 115; UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance to Syria, 7. Mai 2000, S. 12 - 18.
123Dass das syrische Regime der Bevölkerung (ehemals) von der Opposition beherrschter Gebiete nicht pauschal eine feindliche Gesinnung unterstellt, zeigt schließlich auch die Tatsache, dass es in den sog. Versöhnungsabkommen verlangte, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten. Hätte das syrische Regime diese Personen als Gegner betrachten, hätte es sie nicht in den eigenen Reihen kämpfen lassen, um nicht die eigenen Soldaten zu gefährden.
124Neuere Erkenntnisse, die darauf schließen lassen, dass die Situation von Rückkehrern nach Syrien, die aus (ehemaligen) Rebellengebieten stammen oder sich dort längere Zeit aufgehalten haben, anders zu beurteilen sein könnte, liegen nicht vor.
125Das Auswärtige Amt führt in seinem neuesten Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien diesbezüglich aus, eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repressionen zu werden, bestehe für alle, die sich in der Vergangenheit (system-) kritisch geäußert oder betätigt oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen hätten. Dies könne nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiären Verbindungen zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stünden oder ihre regionale Herkunft (zum Beispiel ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelege.
126Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 18 f.
127Der Senat teilt die genannte Einschätzung nicht näher bezeichneter Menschenrechtsorganisationen indessen nicht, da sie nicht plausibel ist und den oben wiedergegebenen beobachtbaren Tatsachen widerspricht.
128Demgegenüber führt der Dänische Einwanderungsdienst im Protokoll seines Treffens mit einer syrischen Menschenrechtsorganisation im April 2022 aus, trotz des Fehlens eines klaren Musters der Behandlung von Rückkehrern durch die syrische Regierung habe die syrische Menschenrechtsorganisation hinsichtlich verschiedener Gruppen von Rückkehrern unter anderem die Tendenz beobachtet, dass eine rückkehrende Person, die aus einem früher von der Opposition kontrollierten Gebiet stamme oder dort gelebt habe, bevor sie Syrien verlassen habe, normalerweise nicht allein deshalb Misshandlung oder Verletzung unterworfen würde, weil sie aus dem betreffenden Gebiet stamme oder dort gelebt habe. Wenn jemand oder eine Gruppe von Personen aus einem bestimmten Gebiet Probleme an Kontrollpunkten erfahre, liege dies höchst wahrscheinlich eher an der Entscheidung des einzelnen Offiziers oder der Streitmacht, die den betreffenden Kontrollpunkt kontrolliere, als an dem Herkunftsort der Person.
129Vgl. DIS, Syria. Treatment upon return, Mai 2022, Annex, Nr. 6.
130Die anderen Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe sind ebenfalls der Auffassung, Rückkehrern drohe in Syrien allein wegen ihrer Herkunft aus einem (ehemaligen) Rebellengebiet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (politische) Verfolgung.
131Vgl. etwa Bay. VGH, Urteil vom 11. Januar 2024 - 21 B 19.33072 -, juris, Rdnr. 76 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 15. Mai 2023 - 2 LB 444/19 -, juris, Rdnr. 42 f.
132(4) Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien auch keine Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit. Kurden als solche werden vom syrischen Staat nicht verfolgt. Im Gegenteil hat sich das Verhältnis des syrischen Staates zu den Kurden seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs verbessert, weil das Assad-Regime zu seiner Entlastung im Kampf gegen die syrische Opposition auf die Kooperation mit den kurdischen Kräften angewiesen war, die nunmehr die kurdische Selbstverwaltung tragen, namentlich mit der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren bewaffnetem Arm, den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG), die für das Assad-Regime zum einen die Oppositionsbewegung in Nordost-Syrien niederhielten und zum anderen die Bekämpfung des Islamischen Staates in Nordost-Syrien übernahmen. Auf der anderen Seite sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) auf den Schutz der syrischen und russischen Armee vor Angriffen der türkischen Streitkräfte angewiesen. Dementsprechend ist das Verhältnis des syrischen Staates zu der sogenannten kurdischen Selbstverwaltung in Nordost-Syrien derzeit eher von Kooperation als von Konfrontation gekennzeichnet.
133Vgl. EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 28 - 30; EZKS, Gutachten für das VG Berlin vom 11. März 2019, S. 3, 9 und 11; Eva Sabelsberg, Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 - 2017), in: BFA, Fact Finding Mission Report Syrien, August 2017, S. 47 - 60; vgl. ferner zur Lage der Kurden in Syrien Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 7 und 27.
134Die anderen Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe sind ebenfalls der Auffassung, dass Kurden als solchen keine Verfolgung durch den syrischen Staat droht.
135Vgl. etwa Bay. VGH, Urteil vom 11. Januar 2024 - 21 B 19.33072 -, juris, Rdnr. 75; Nds. OVG, Beschluss vom 30. März 2022 - 2 LB 641/19 -, juris, Rdnr. 33 ff.
136(5) Auch eine Einzelfallbetrachtung ergibt, dass dem Kläger bei einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien voraussichtlich auch unter Berücksichtigung seiner Wehrdienstentziehung, seiner illegalen Ausreise, Asylantragstellung und seinem langjährigen Aufenthalt im westlichen Ausland, seiner Herkunft aus I. in der Provinz Hasaka und seiner kurdischen Volkszugehörigkeit keine oppositionelle Haltung von den syrischen Behörden unterstellt werden wird und folglich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen. Der Kläger hat sich in seiner Anhörung durch das Bundesamt als vollkommen unpolitisch dargestellt. Seine damals geäußerte Haltung lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass er weder für das Assad-Regime noch für die kurdischen Volksverteidigungseinheiten kämpfen wollte.
137bb) Dem Kläger droht schließlich bei einer Rückkehr nach Syrien auch keine Verfolgung durch die kurdische Selbstverwaltung in Nordost-Syrien, weil er sich dem Dienst in den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten durch Flucht ins Ausland entzogen hat.
138Die von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) dominierte sogenannte Autonome Verwaltung für Nord- und Ostsyrien (AANES) hat im Juni 2019 ein „Gesetz betreffend die Selbstverteidigungskräfte“ (Selbstverteidigungsgesetz - SVG -) verabschiedet. Danach ist der Dienst in den Selbstverteidigungskräften für alle Männer in den Regionen der Autonomen Verwaltung für Nord- und Ostsyrien verpflichtend, die 18 Jahre oder älter sind (Art. 1 A SVG). Die Dienstzeit beträgt 12 Monate (Art. 2 SVG). Sie endet spätestens mit der Vollendung des 40. Lebensjahres, auch wenn sie bis dahin nicht abgeleistet worden ist (Art. 11 SVG). Jeder Dienstpflichtige ist verpflichtet, ein Selbstverteidigungsdienstbuch zu besitzen (Art. 4 bis 6, 33 SVG). Rückkehrern aus dem Ausland wird eine Frist von 30 Tagen eingeräumt, um das Selbstverteidigungsdienstbuch zu erlangen (Art. 5 SVG). Jeder, der dem Dienst fernbleibt, wird mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (Art. 13 SVG). Rückkehrer aus dem Ausland sind für sechs Monate vom Dienst zurückgestellt (Art. 25 § 1 SVG).
139Vgl. ACCORD, Wehrdienst Syrien, 16. Januar 2024, Abschnitt 2.1; DIS, Syria. Military recruitment in Hasakah Governorate, Juni 2022, S. 11 - 15; Rojava Information Center (RIC), Translation: Law concerning military service in North and East Syria, Juni 2020.
140Zuvor sah ein Gesetz aus dem Jahr 2014 vor, dass jede Familie einen „Freiwilligen“ im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen müsse, der für einen Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG) diene. Laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen soll dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt worden sein.
141Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 26.
142Letzteres entspricht allerdings nicht den Erkenntnissen des Senats aus zahlreichen Asylverfahren kurdischer Männer aus dem Nordosten Syriens. Diese berichteten in zahlreichen Fällen davon, dass sie von den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten durch häufige Besuche zuhause oder an ihrem Arbeitsplatz zum Beitritt gedrängt worden seien, jedoch in keinem einzigen Fall von der Anwendung von Gewalt gegen sie. Dies wird auch im vorliegenden Fall durch das Vorbringen des Klägers beim Bundesamt bestätigt, die drei Männer der kurdischen Armee, die ihn zuhause aufgesucht hätten, hätten sich ganz vernünftig mit ihm unterhalten und hätten ihn nicht unter Druck gesetzt.
143Von den sogenannten Selbstverteidigungskräften zu unterscheiden sind die in den Syrian Democratic Forces (SDF) organisierten kurdischen und anderen Milizen. Die Syrian Democratic Forces sind eine Dachorganisation. Ihren Kern bilden die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG). Außerdem sind in den Syrian Democratic Forces auch arabische Stammesmilizen und die Milizen anderer ethnischer Gruppen (z.B. assyrischer Christen) organisiert. Der Dienst in diesen Milizen ist freiwillig und wird weitaus besser bezahlt als in den sogenannten Selbstverteidigungskräften. Daher haben die genannten Milizen auch keine Rekrutierungsprobleme. Die Milizionäre dienen länger und sind weitaus besser ausgebildet als die Rekruten der Selbstverteidigungskräfte. Dementsprechend werden die Soldaten der Selbstverteidigungskräfte auch lediglich zur Unterstützung der genannten Milizen eingesetzt, nämlich zur Bewachung von Regierungsgebäuden und Gefängnissen, an Kontrollpunkten, für logistische Aufgaben oder allgemein zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
144Vgl. ACCORD, Wehrdienst Syrien, 16. Januar 2024, Abschnitt 2.2; DIS, Syria. Military recruitment in Hasakah Governorate, Juni 2022, S. 16 f. und 21 f.
145Nach alldem wird der Kläger selbst dann, wenn er in seine Heimatregion, die Provinz Hasaka, zurückkehren müsste, keinen Dienst in den Selbstverteidigungskräften ableisten müssen, weil er am 00. Januar 20XX das 40. Lebensjahr vollendet hat. Es gibt auch keine Erkenntnisse, dass Männer, die - wie der Kläger - Syrien bereits im Jahr 2014 verlassen haben, entgegen Art. 11 SVG noch nach Vollendung des 40. Lebensjahres zum Dienst in den Selbstverteidigungskräften herangezogen werden. Es findet - außer der Verlängerung der Dienstzeit um einen Monat, die hier aber nicht mehr erfolgen wird - auch keine Bestrafung von Wehrdienstentziehern statt.
146Vgl. ACCORD, Wehrdienst Syrien, 16. Januar 2024, Abschnitte 2.1 und 2.4; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Aktualität von Dekret Nr. 3 vom 4. September 2021 bezüglich Selbstverteidigungsdienst in der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES); Anwendung des Dekrets in der Stadt Manbidsch; Einberufung älterer Männer zum Selbstverteidigungsdienst; Höchstalter, bis zu dem Wehrdienstverweigerer eingezogen werden können, vom 7. September 2023; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front, vom 6. September 2023; DIS, Syria. Military recruitment in Hasakah Governorate, Juni 2022, S. 11 - 20 und 36 ff.
1472. Selbst wenn dem Kläger in Syrien politische Verfolgung drohen würde, hätte er keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Dem stünde nämlich die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebietes begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden.
148a) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Kläger hat vor seiner Aufnahme als Flüchtling außerhalb des Bundesgebiets eine schwere nichtpolitische Straftat begangen, indem er sich als Mitglied einer Schlepperbande daran beteiligte, am 2. und 3. April 2014 ca. 30 Personen, am 1. und 2. August 2014 ca. 74 Personen, am 5. und 6. August 2014 ca. 60 bis 70 Personen und am 17. und 18. August 2014 53 Personen jeweils in einem Sattelschlepper von der Türkei nach Österreich einzuschleppen. Der Auflieger des Sattelschleppers war jeweils mit Säcken von Sonnenblumenkernen beladen, die mit Planen abgedeckt waren und den geschleppten Personen als Steh- und Liegeplätze dienten. Die Platzverhältnisse in dem Auflieger erlaubten die Beförderung von bis zu ca. 75 Personen pro Fahrt. Der Sattelschlepper war ferner mit einem Kühlaggregat ausgestattet, welches vom Fahrer des Lkw zeitweilig in Betrieb genommen wurde, um die geschleppten Personen mit Frischluft zu versorgen. Die gesamte Fahrt dauerte jeweils etwa 48 Stunden. Während dessen konnten die geschleppten Personen den verplombten Auflieger nicht verlassen. Als Nahrungsmittel waren Wasserflaschen und vakuumverpackter Käse und Brotwaren vorhanden. Fallweise ernährten sich die geschleppten Personen auch von den Sonnenblumenkernen. Für die Notdurft standen Plastikflaschen und Eimer bereit. Aufgrund der beengten Raumverhältnisse und der unzureichenden Luftzufuhr herrschten beklemmende Bedingungen. Die heiße Witterung während der Sommermonate verschärfte die Lage zusätzlich. Die geschleppten Personen bezahlten jeweils ein Entgelt in Höhe zwischen 7.000,- € und 10.000,- €. Der Tatbeitrag des Klägers bestand darin, dass er schleppungswillige Personen in der Türkei anwarb, diesen Busfahrten und Unterkünfte vermittelte, ihnen für die und während der Schleppung Anweisungen erteilte (zum Beispiel hinsichtlich von Treffpunkten mit Mittätern, aber auch die Anweisung an eine Person, ihren Pass zu vernichten) und seine Mittäter über Ort und Zeit des Eintreffens der geschleppten Personen in Österreich zwecks Organisation der Weiterreise informierte (Urteil des Landesgerichts M. vom 1. Dezember 2015 - Az. -, S. 2 bis 6 des Urteilsabdrucks).
149Diese Tatsachen stehen zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der Feststellungen des Landesgerichts M. in seinem Urteil vom 1. Dezember 2015 - Az. -. Das Landesgericht hat darin die einzelnen Tatbeiträge des Klägers detailliert festgestellt und beschrieben, insbesondere seinen ständigen telefonischen Kontakt mit seinen Mittätern während der einzelnen Schleppfahrten sowie, dass er seinen Mittätern für die Schleppfahrten zweimal jeweils 20.000,- € überwies (Urteil des Landesgerichts M. vom 1. Dezember 2015 - Az. -, UA S. 4 unten bis 6 oben). Die Schutzbehauptungen des Klägers, er habe lediglich als Dolmetscher fungiert und auch kein Geld dafür bekommen, sind dadurch zur vollen Überzeugung des Senats widerlegt.
150b) Hierdurch hat der Kläger vor seiner Aufnahme als Flüchtling außerhalb des Bundesgebiets eine schwere nichtpolitische Straftat im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG begangen. Eine schwere Straftat im Sinne der genannten Vorschrift ist ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird. Sie ist nichtpolitisch, wenn sie überwiegend aus anderen Motiven, etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben begangen wird.
151Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2010 - 10 C 7.09 -, BVerwGE 136, 89 (106 f.), Rdnr. 47 f.
152Bei der Beurteilung, ob es sich um eine schwere Straftat handelt, kommt dem in den strafrechtlichen Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Strafmaß eine besondere Bedeutung zu. Darüber hinaus sind für die genannte Beurteilung auch die Art der Straftat, der verursachte Schaden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens und die Art der Strafmaßnahme von Bedeutung sowie, ob die fragliche Straftat in den anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen wird.
153Vgl. EuGH, Urteil vom 13. September 2018 - C-369/17 -, NVwZ-RR 2019, 119 (121), Rdnr. 55 f. (zu Art. 17 Abs. 1 Buchst. b) der Richtlinie 2011/95/EU).
154Dabei ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht die Vorschrift des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - als Orientierungsrahmen heranzuziehen. Beide Vorschriften haben eine gänzlich unterschiedliche Zielsetzung, die einen Rückgriff auf § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG im Rahmen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG verbietet. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG dient vor allem der Akzeptanz der Bevölkerung des Aufnahmestaats für Flüchtlinge. Diese Akzeptanz würde beeinträchtigt, wenn auch Verbrecher schwerer Straftaten in den Genuss der Flüchtlingseigenschaft kämen. Daneben soll sie verhindern, dass sich die Verbrecher solcher Straftaten ihrer strafrechtlichen Verantwortung entziehen.
155Vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - C 57, 101/09 -, NVwZ 2011, 285 (288), Rdnr. 104; BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 - 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252 (262), Rdnr. 27 und 41.
156Demgegenüber dient § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG der Aufrechterhaltung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und dem Schutz der hier lebenden Bevölkerung vor der Begehung weiterer schwerer Straftaten durch den betreffenden Ausländer (vgl. § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG: „ … wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil …“).
157Daher trifft auch nicht zu, was das Verwaltungsgericht in Erwägung gezogen hat, dass die Vorschrift nicht mehr anwendbar wäre, wenn der Täter die wegen der Straftat verhängte Strafe verbüßt hat. Denn der Zweck des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG besteht gerade auch darin, schweren Straftätern den Genuss der Flüchtlingseigenschaft zu verwehren, um die Akzeptanz von anerkannten Flüchtlingen in der Bevölkerung des Aufnahmestaats nicht zu gefährden.
158Gemessen an den oben genannten Maßstäben handelte es sich bei den vom Kläger begangenen Straftaten um schwere Straftaten im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG (nachfolgend aa) bis cc)). Sie waren auch nichtpolitisch (dd)) und wurden vom Kläger vor seiner Aufnahme als Flüchtling außerhalb des Bundesgebiets begangen (ee)).
159aa) Die vom Kläger begangenen Taten sind gemessen am Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland als gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern nach § 97 Abs. 2 AufenthG zu bewerten. Nach dieser Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft, wer in den Fällen des § 96 Abs. 1 AufenthG, auch in Verbindung mit § 96 Abs. 4 AufenthG, als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, gewerbsmäßig handelt. Nach § 96 Abs. 1 AufenthG wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einen anderen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet, eine Handlung 1. nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) AufenthG zu begehen und a) dafür einen Vorteil erhält oder sich versprechen lässt oder b) wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt oder 2. nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2, Abs. 1a oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b) oder Nr. 2 AufenthG zu begehen und dafür einen Vermögensvorteil erhält oder sich versprechen lässt. Nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe u.a. bestraft, wer entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AufenthG in das Bundesgebiet einreist. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG ist die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet u.a. unerlaubt, wenn er 1. einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG nicht besitzt oder 2. einen nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder aufgrund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht.
160Der Kläger hätte durch die vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des § 97 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 96 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG verwirklicht, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in die Bundesrepublik Deutschland eingeschleust hätte. Die von ihm in die Republik Österreich eingeschleusten Ausländer verfügten jedenfalls nicht über die für die Einreise erforderlichen Aufenthaltstitel (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Der Kläger und seine Mittäter erhielten auch für die Schleusung von den geschleusten Personen einen Vorteil (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AufenthG), nämlich pro geschleuster Person 7.000,- € bis 10.000,- €, und handelten wiederholt und zugunsten von mehreren Ausländern (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) AufenthG), nämlich vier Mal (am 2./3. April und am 1./2., 5./6. und 17./18. August 2014) und schleusten hierbei über 200 Personen nach Österreich ein. Ferner handelte der Kläger als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hatte, und gewerbsmäßig, nämlich um sich eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen (§ 97 Abs. 2 AufenthG).
161Das banden- und gewerbsmäßige Einschleusen von Ausländern nach § 97 Abs. 2 AufenthG ist auch als besonders schwerwiegende Straftat zu bewerten. Hierfür spricht bereits der Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe, der die Tat als Verbrechen im Sinne des § 12 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs - StGB - charakterisiert. Dies zeigt auch ein Vergleich mit anderen Straftatbeständen des Strafgesetzbuchs, die ebenfalls mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bedroht sind und gemeinhin als besonders schwerwiegende Straftaten angesehen werden, weil sie besonders wertvolle Rechtsgüter (Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit) auf eine besonders schwerwiegende Art und Weise verletzen oder bedrohen (zum Beispiel durch Mord oder Todschlag, Vergewaltigung oder Raub, schwerwiegende Körperverletzungen oder gemeingefährliche Straftaten). Mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren sind zum Beispiel die schwere Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 StGB: Verlust des Sehvermögens auf einem Auge oder auf beiden Augen, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit (Nr. 1), Verlust oder dauernde Unbrauchbarkeit eines wichtigen Gliedes des Körpers (Nr. 2), erhebliche, dauernde Entstellung oder Verfall in Siechtum, Lähmung oder geistiger Krankheit oder Behinderung (Nr. 3)) und bestimmte Formen des schweren Bandendiebstahls (§ 244a Abs. 1 StGB: u.a. Diebstahl mit Waffen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB) als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds) bedroht.
162bb) Dies ist auch in den meisten Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Fall, nämlich in mindestens 18 von 26.
163(1) Nach Art. L. 823-3 des Gesetzbuchs über die Einreise und den Aufenthalt der Ausländer und des Asylrechts der französischen Republik - frz. AufenthAsylGB - werden die in Art. L. 823-1 und L. 823-2 frz. AufenthAsylGB definierten Vergehen mit zehn Jahren Haft und 750.000 Euro Geldstrafe bestraft, wenn sie (u.a.) 1. in einer organsierten Bande begangen werden oder 3. die Ausländer unmenschlichen Lebens-, Transport-, Arbeits- und Wohnverhältnissen aussetzen. Nach Art. L. 823-1 frz. AufenthAsylGB wird, außer in den Fällen des Art. L. 823-9 frz. AufenthAsylGB, die Erleichterung oder der Versuch der Erleichterung, durch direkte oder indirekte Hilfe, der illegalen Einreise, Durchreise oder des illegalen Aufenthalts eines Ausländers in Frankreich mit fünf Jahren Haft und 30.000 Euro Geldstrafe bestraft. Nach Art. L 311-1 frz. AufenthAsylGB benötigen Ausländer für die Einreise nach Frankreich u.a. ein Visum, wenn sie nicht von der Visumpflicht befreit sind. Der Kläger hätte durch seine vom Landesgericht M. und dem Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des Art. L. 823-3 Nr. 1 und 3 frz. AufenthAsylGB verwirklicht, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in die französische Republik eingeschleust hätte. Die Einreise der Ausländer nach Frankreich wäre mangels gültigen Visums illegal gewesen. Der Kläger hat die Schleusung als Mitglied einer organisierten Bande begangen. Die Transportbedingungen waren jedenfalls teilweise unmenschlich. Nach den Feststellungen des Landesgerichts M. wurden die Ausländer in dem Auflieger eines Sattelschleppers transportiert, dessen Platzverhältnisse die Beförderung von bis zu ca. 75 Personen pro Fahrt erlaubten. Bei der Fahrt vom 1./2. August 2014 befanden sich ca. 74 Personen, bei der vom 5./6. August 2014 ca. 60 bis 70 Personen in dem Auflieger. Zusätzlich herrschte nach den Feststellungen des Landesgerichts M. an den genannten Tagen heißes Wetter. Die Fahrten dauerten jeweils ca. 48 Stunden, während dessen die geschleppten Personen den verplombten Auflieger nicht verlassen konnten. Dieser war zwar mit einem Kühlaggregat für die Luftzufuhr ausgestattet. Dieses wurde vom Fahrer aber nur zeitweise in Betrieb genommen. Ihre Notdurft mussten die geschleppten Personen in Plastikflaschen oder Eimer verrichten (Urteil des Landesgerichts M. vom 1. Dezember 2015 - Az. -, UA S. 3 bis 5).
164Die Straftat ist auch nach den Maßstäben des französischen Strafrechts als besonders schwerwiegend zu bewerten. Die Strafandrohung von zehn Jahren Haft und 750.000 Euro Geldstrafe fällt zwar nicht mehr in den Bereich der Kriminalstrafen (Art. 131-1 des französischen Strafgesetzbuchs - frz. StGB -), sondern nur in den Bereich der sog. Besserungsstrafen (Art. 131-3 Nr. 1 frz. StGB), hier aber immerhin in deren höchste Kategorie (vgl. Art. 131-4 Nr. 1 frz. StGB: zehn Jahre Haft und mehr). Vor allem aber erweist der Vergleich mit anderen Straftatbeständen des französischen Strafrechts die Tat des Klägers als besonders schwerwiegend (vgl. etwa Art. 222-9 frz. StGB: Die Körperverletzung wird mit zehn Jahren Haft und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft, wenn sie eine dauerhafte Veränderung oder Schwächung bewirkt; Art. 311-6 frz. StGB: Der Diebstahl wird mit zehn Jahren Haft und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft, wenn ihm eine Körperverletzung vorausgeht, ihn begleitet oder ihm folgt, die eine völlige Arbeitsunfähigkeit von mehr als acht Tagen bewirkt; Art. 312-2 frz. StGB: Der Raub wird mit zehn Jahren Haft und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft: 1. wenn ihm eine Körperverletzung vorausgeht, ihn begleitet oder ihm folgt, die völlige Arbeitsunfähigkeit von mehr als acht Tagen bewirkt, 2. wenn er zum Nachteil einer aufgrund ihres Alters, einer Krankheit, einer Schwäche, einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung oder einer Schwangerschaft besonders verletzlichen Person begangen wird, 3. (aufgehoben), 4. wenn er von einer Person begangen wird, die ganz oder teilweise ihr Gesicht verhüllt, um nicht identifiziert zu werden, 5. wenn er in Lehranstalten oder bei Lehranstalten, während die Schüler diese betreten oder verlassen oder in unmittelbarer zeitlicher Nähe, begangen wird; Art. 322-6 frz. StGB: Die Zerstörung, Beschädigung oder Verschlechterung einer fremden Sache durch Explosionsmittel, Brand oder andere gemeingefährliche Mittel wird mit zehn Jahren Haft und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft).
165(2) Nach Art. 12 Abs. 3 des Gesetzesdekrets vom 25. Juli 1998 No. 286 der italienischen Republik über die Ordnung der Einreise und Normen über den Status der Ausländer wird jeder, der unter Verletzung der Bestimmungen dieses Gesetzes den Transport von Ausländern in das Staatsgebiet befördert, leitet, organisiert, finanziert oder bewirkt oder auf andere Weise illegal für die Einreise in das Staatsgebiet oder den Aufenthalt einer Person sorgt, die kein italienischer Staatsbürger ist und über kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht verfügt, mit Gefängnis von 6 bis 16 Jahren und 15.000 Euro Geldstrafe (u.a.) in folgenden Fällen bestraft: a) der illegalen Einreise oder des illegalen Aufenthalts im Staatsgebiet von fünf oder mehr Personen. Nach Art. 4 Abs. 1 des Gesetzesdekrets erfordert die Einreise nach Italien den Besitz eines gültigen Passes oder Passersatzes und eines Visums oder anderen Aufenthaltstitels. Der Kläger hätte durch seine vom Landesgericht M. und dem Senat festgestellten Handlungen den genannten Straftatbestand verwirklicht, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in die italienische Republik eingeschleust hätte, denn die von ihm eingeschleusten Personen verfügten über kein Visum oder einen anderen Aufenthaltstitel und es waren auch mehr als fünf.
166Der Strafrahmen von 6 bis 16 Jahren Gefängnis weist den Straftatbestand als einen nach den Maßstäben des italienischen Strafrechts besonders schwerwiegenden aus. Er liegt im oberen Bereich der Dauer der zeitigen Haftstrafe, die nach Art. 23 Abs. 1 des italienischen Strafgesetzbuchs - itl. StGB - 14 Tage bis 24 Jahre beträgt. Auch ein Vergleich mit anderen Straftatbeständen zeigt, dass es sich um eine nach italienischem Recht besonders schwerwiegende Straftat handelt (zum Beispiel Art. 423-bis itl. StGB: Waldbrand: 6 bis 10 Jahre Gefängnis; Art. 583 Abs. 2 itl. StGB: schwerste Körperverletzung (unheilbare Krankheit, Verlust eines Sinnesorgans, Verlust oder Unbrauchbarkeit eines Gliedes, Funktionsverlust eines Organs oder dauernde und schwere Sprachschwierigkeiten): 6 bis 12 Jahre Gefängnis; Art. 628 Abs. 1 itl. StGB: Raub: 3 bis 10 Jahre Gefängnis; Art. 628 Abs. 2 itl. StGB: schwerer Raub (z.B. Raub mit Waffen, Bandenraub): 6 bis 20 Jahre Gefängnis).
167(3) Nach Art. 318bis Abs. 1 und 3 des Strafgesetzbuchs des Königreichs Spanien - span. StGB - wird, wer einer Person, die nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist, vorsätzlich dabei hilft, in das spanische Hoheitsgebiet einzureisen oder es zu durchqueren, und zwar auf eine Art und Weise, die gegen die Rechtsvorschriften über die Einreise oder Durchreise von Ausländern verstößt, mit Geldstrafe von drei bis zwölf Monaten oder mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis einem Jahr bestraft. Die in Absatz 1 genannten Tatbestände werden mit einer Freiheitsstrafe von vier bis acht Jahren bestraft, wenn a) die Taten innerhalb einer Organisation begangen wurden, die sich der Durchführung solcher Aktivitäten widmet, oder b) wenn das Leben der von der Rechtsverletzung betroffenen Personen gefährdet war oder die Gefahr schwerer Verletzungen bestand. Der Kläger hätte durch die vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des Art. 318bis Abs. 3 Buchst. a) span. StGB verwirklicht, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in das Königreich Spanien eingeschleust hätte. Die Einreise der Ausländer verstieß gegen die Einreisevorschriften und der Kläger handelte als Mitglied einer Organisation, die sich der illegalen Schleusung von Ausländern widmete.
168Die Straftat ist anhand des Strafrahmens von vier bis achten Jahren Freiheitsstrafe auch nach spanischem Strafrecht als besonders schwerwiegend zu bewerten. Der Strafrahmen liegt zwischen denen der Körperverletzung mit erhöhtem Risiko (Art. 148 span. StGB: 1. Verwendung von Waffen, Instrumenten, Gegenständen, Mitteln, Methoden oder Formen, die eine besondere Gefahr für das Leben oder die körperliche oder geistige Gesundheit des Geschädigten darstellen, 2. grausam oder durch Verrat, 3. das Opfer ist unter 14 Jahre alt oder eine behinderte Person, die besonderen Schutz benötigt, 4. das Opfer ist die Ehefrau oder Geliebte, 5. das Opfer ist eine besonders gefährdete Person, die mit dem Täter zusammenlebte: zwei bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) und der schwereren Körperverletzung (Art. 150 span. StGB: Verlust oder Unbrauchbarkeit eines anderen Organs oder Gliedes oder anderen Missbildung als die in Art. 149 span. StGB genannten: drei bis sechs Jahre Freiheitsstrafe) einerseits und der besonders schweren Körperverletzung (Art. 149 span. StGB: Verlust oder Unbrauchbarkeit eines Hauptorgans oder -gliedes, eines Sinnesorgans, Impotenz, Unfruchtbarkeit, schwere Misshandlung oder eine schwere somatische oder psychische Erkrankung oder Genitalverstümmelung: 6 bis 12 Jahre Freiheitsstrafe) andererseits, ebenso zwischen denen für sexuelle Nötigung mit Gewalt oder Einschüchterung (Art. 178 Abs. 3 span. StGB: ein bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) und der Vergewaltigung (Art. 179 Abs. 1 span. StGB: mit Eindringen in den Körper: 4 bis 12 Jahre Freiheitsstrafe). Der Raub, selbst in schweren Fällen, wird lediglich mit Freiheitsstrafe von zwei bis sechs Jahren bestraft (Art. 240 - 242 span. StGB).
169(4) Nach Art. 263 Abs. 1 und 2 des rumänischen Strafgesetzbuchs - rum. StGB - wird das Ermutigen, Anleiten, Leiten, Transportieren, Überstellen oder Unterbringen einer Person zum Zwecke des betrügerischen Überschreitens der Staatsgrenze Rumäniens mit einer Freiheitsstrafe von 2 bis 7 Jahren bestraft. Wenn die Tat begangen wurde, a) um einen direkten oder indirekten Vermögensvorteil zu erlangen, oder c) der Migrant einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wurde, beträgt die Freiheitsstrafe 3 bis 10 Jahre. Der Kläger hätte durch die vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des § 263 Abs. 2 Buchtst. a) und c) rum. StGB erfüllt, wenn er die Ausländer nicht nach Österreich, sondern nach Rumänien eingeschleust hätte. Die von ihm eingeschleusten Ausländer verfügten über keine Einreiseerlaubnisse (Visa). Der Kläger handelte auch, um sich einen Vermögenvorteil zu verschaffen. Die Transportbedingungen waren jedenfalls teilweise unmenschlich.
170Der Strafrahmen von 3 bis 10 Jahren Freiheitsstrafe kennzeichnet die Straftat als nach rumänischem Recht besonders schwerwiegend, wie ein Vergleich mit den Strafrahmen anderer Straftatbestände zeigt, die gemeinhin als besonders schwerwiegend angesehen werden (zum Beispiel Art. 194 rum. StGB: Körperverletzung (Schläge oder andere Gewalt mit der Folge a) eines Gebrechens, b) traumatischer Verletzungen oder Gesundheitsschäden, deren Heilung eine ärztliche Behandlung von mehr als 90 Tagen erfordert, c) ein schwerwiegender und dauerhafter ästhetischer Schaden, d) Abtreibung, e) die Gefährdung des Lebens einer Person: 2 bis 7 Jahre Freiheitsstrafe; wenn eine der Folgen a) bis c) absichtlich herbeigeführt wurde: 3 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe); Art. 218 Abs. 1 rum. StGB: Vergewaltigung: 3 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe; Art. 233 rum. StGB: Raub: 2 bis 7 Jahre Freiheitsstrafe; Art. 234 rum. StGB: qualifizierter Raub a) durch den Einsatz einer Waffe oder von explosiven, betäubenden oder lähmenden Stoffen, b) durch Vortäuschen offizieller Qualifikationen, c) von einer maskierten, verkleideten oder transvestiten Person, d) während der Nacht, e) in oder auf einem Transportmittel, f) durch Verletzung des Wohnsitzes oder der beruflichen Tätigkeit: 3 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe; Art. 253 Abs. 4 rum. StGB: Zerstörung, Beeinträchtigung oder Unbrauchbarmachung einer Sache durch Brandstiftung, Explosion oder eine andere Weise, die geeignet ist, andere Personen oder Vermögenswerte zu gefährden: 2 bis 7 Jahre Freiheitsstrafe).
171(5) Nach Art. 197a Abs. 1 des Strafgesetzbuchs des Königreichs der Niederlande - nl. StGB - wird derjenige, der einem anderen hilft, sich den Zugang zu oder die Durchreise durch die Niederlande oder einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, Island, Norwegen oder einen Staat zu verschaffen, der dem am 15. November 2000 in New York zustande gekommenen Protokoll gegen den Schmuggel von Migranten über Land, die See oder in der Luft, in Erfüllung des am 15. November 2000 in New York zustande gekommenen Vertrags gegen grenzüberschreitende organisierte Straftaten beigetreten ist, oder ihm dazu Gelegenheit, Mittel oder Informationen verschafft, während er weiß oder ernsthafte Gründe für die Annahme hat, dass der Zugang oder die Durchreise widerrechtlich ist, als des Menschenschmuggels mit Gefängnisstrafe von höchstens 6 Jahren oder Geldbuße der 5. Kategorie bestraft. Nach Art. 197a Abs. 4 nl. StGB wird, wenn eine der in Art. 197a Abs. 1 nl. StGB genannten Taten durch eine Person begangen wird, die daraus einen Beruf oder eine Gewohnheit macht oder gemeinschaftlich von mehreren Personen begangen wird, Gefängnisstrafe von höchstens 10 Jahren oder Geldbuße der 5. Kategorie auferlegt. Der Kläger hätte durch die vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des Art. 197a Abs. 4 nl. StGB erfüllt, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in das Königreich der Niederlande eingeschleust hätte. Die Einreise der von ihm geschleusten Personen in die Niederlande wäre widerrechtlich gewesen, da sie nicht über die hierfür erforderlichen Visa verfügten. Dies wäre dem Kläger auch bewusst gewesen. Er hat die Tat auch gemeinschaftlich mit anderen begangen.
172Die vom Kläger begangene Straftat ist anhand des Strafrahmens von bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe als eine auch nach niederländischem Recht besonders schwerwiegende zu bewerten. Zum Beispiel wird nach Art. 302 nl. StGB derjenige, der einem anderen vorsätzlich eine schwere Körperverletzung zufügt, als schuldig einer schweren Misshandlung mit Gefängnishaft von höchstens 8 Jahren oder Geldbuße der 5. Kategorie bestraft. Hat die Tat den Tod zur Folge, wird der Schuldige mit Gefängnishaft von höchstens 10 Jahren oder Geldbuße der 5. Kategorie bestraft. Nach Art. 82 Abs. 1 nl. StGB wird unter schwerer Körperverletzung eine Krankheit ohne Aussicht auf vollständige Genesung, dauernde Amts- oder Berufsunfähigkeit oder Abtreibung oder Tod der Leibesfrucht einer Frau verstanden. Nach Art. 312 Abs. 1 nl. StGB wird mit Gefängnisstrafe von höchstens neun Jahren oder Geldbuße der 5. Kategorie der Diebstahl bestraft, dem Gewalt oder die Androhung von Gewalt vorausgeht, ihn begleitet oder ihm folgt, die ausgeübt wird, um den Diebstahl vorzubereiten oder zu erleichtern oder um, betroffen bei der Tat, sich oder anderen Teilnehmern der Tat die Flucht zu ermöglichen oder den Besitz des Gestohlenen zu sichern.
173(6) Nach Art. 77bis des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 des Königreichs Belgien über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Ausweisen von Ausländern - bel. AuslG - bilden Taten, durch die jemand dazu beiträgt, entweder unmittelbar oder durch eine Mittelsperson einer Person, die nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist, die Einreise in das, die Durchreise durch das oder den Aufenthalt im Staatsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Vertragsstaats eines Belgien bindenden internationalen Abkommens über die Überschreitung der Außengrenzen unter Verstoß gegen die Rechtsvorschriften dieses Staates zu ermöglichen, um sich einen mittelbaren oder unmittelbaren Vermögensvorteil zu verschaffen, den Tatbestand des Menschenschmuggels. Nach Art. 77quater bel. AuslG wird die in Art. 77bis bel. AuslG erwähnte Straftat in folgenden Fällen mit Einschließung von 10 bis 15 Jahren oder mit einer Geldbuße von 1.000 EUR bis zu 100.000 EUR bestraft: 1. wenn die Tat gegenüber einem Minderjährigen begangen wurde, 6. wenn das betreffende Vorgehen Gewohnheitscharakter aufweist, 7. wenn der Schuldige durch diese Tat an der Haupt- oder Nebentätigkeit einer Vereinigung teilnimmt. Der Kläger erfüllt durch die vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen jedenfalls den Straftatbestand des Art. 77quarter Nr. 1 und 7 bel. AuslG. Er hat als Teil einer Vereinigung, deren Tätigkeit in der illegalen Schleusung von Personen in die Europäische Union bestand, dazu beigetragen, den geschleusten Personen entgegen den Rechtsvorschriften der Republik Österreich die Einreise in das Staatsgebiet der Republik Österreich zu ermöglichen. Unter den geschleusten Personen befanden sich auch Kinder (Urteil des Landesgerichts M. vom 1. Dezember 2015 - Az. - UA S. 3 unten).
174Sie ist anhand des Strafrahmens von 10 bis 15 Jahren Freiheitsstrafe auch nach belgischem Recht als besonders schwerwiegend zu bezeichnen. Mit einer Zuchthausstrafe von 10 bis 15 Jahren ist zum Beispiel die vorsätzliche, mit Vorbedacht begangene Körperverletzung mit Todesfolge bedroht (Art. 401 Abs. 2 bel. StGB), ferner Raubdelikte in besonders schweren Fällen (bei Einbruch, durch einen Beamten unter Ausnutzung seines Amtes, Amtsanmaßung, bei Nacht, durch zwei oder mehr Personen, unter Benutzung eines Fahrzeugs oder zum Nachteil besonders schutzbedürftiger Personen) (Art. 468 - 471 bel. StGB) und das Inbrandsetzen von Gebäuden, Brücken, Deichen, Straßen, Gleisen, Schleusen, Lagerräumen, Baustellen, Schuppen, Schiffen, Wasserfahrzeugen oder Flugzeugen (Art. 511 Abs. 1 bel. StGB).
175(7) Nach Art. 29 Abs. 5 des Gesetzes 4251/2014 der griechischen Republik (Einwanderungs- und Sozialintegrationsgesetz - gr. EinwG -) wird, wer einem Drittstaatsangehörigen die Einreise in das griechische Hoheitsgebiet oder die Ausreise aus diesem ermöglicht, ohne sich der in Art. 5 gr. EinwG vorgesehenen Kontrolle zu unterziehen, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren und einer Geldstrafe von mindestens 20.000 Euro bestraft. Wenn die genannten Personen gewinnorientiert, aus Beruf oder Gewohnheit gehandelt haben oder die Straftat von zwei oder mehr Personen gemeinsam begangen wird, wird eine Freiheitsstrafe von mindesten 10 Jahren und eine Geldstrafe von mindestens 50.000 Euro verhängt. Art. 5 gr. EinwG bestimmt, dass Drittstaatsangehörige für die Einreise ins griechische Hoheitsgebiet über einen gültigen Reisepass und - sofern sie nicht von der Visumpflicht befreit sind - ein gültiges Visum verfügen müssen. Der Kläger hätte durch die vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des Art. 29 Abs. 5 Satz 2 gr. EinwG verwirklicht, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in die griechische Republik eingeschleust hätte, da diese nicht über die für die Einreise erforderlichen Visa verfügten und der Kläger gewinnorientiert und gemeinsam mit anderen Schleppern handelte.
176Die vom Kläger begangene Straftat ist auch nach griechischem Strafrecht als besonders schwerwiegend einzustufen. Dies zeigt bereits der Strafrahmen von mindestens 10 Jahren, der im oberen Bereich des griechischen Strafrechts liegt. Nach Art. 52 des Gesetzes 4619/2019 der griechischen Republik (Strafgesetzbuch - gr. StGB -) ist die Freiheitsstrafe vorübergehend und ausnahmsweise lebenslang, sofern das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. Die Dauer der vorübergehenden Freiheitsstrafe beträgt nicht mehr als 15 und nicht weniger als 5 Jahre. Dies zeigt ferner auch ein Vergleich mit den Strafrahmen anderer Straftaten des griechischen Strafrechts, die gemeinhin als besonders schwerwiegend bewertet werden. Zum Beispiel wird nach Art. 264 Abs. 1 Buchst. c) gr. StGB mit Freiheitsstrafe (also mit einer Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren, vgl. Art. 52 Abs. 2 gr. StGB) bestraft, wer einen Brand verursacht, der eine gemeinschaftliche Gefahr für fremde Sachen mit sich bringen oder durch den eine Gefahr für Personen entstehen kann und wenn durch die Tat ein erheblicher Schaden an öffentlichen Einrichtungen oder eine schwere Körperverletzung einer Person entstanden ist. Nach Art. 311 gr. StGB wird die (vorsätzliche) Köperverletzung mit (fahrlässiger) Todesfolge ebenfalls (nur) mit Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren bestraft und wird eine Freiheitsstrafe (von 5 bis 15 Jahren) verhängt, wenn der Täter beabsichtigte, das Opfer schwer zu verletzen. Nach Art. 336 Abs. 1 gr. StGB wird, wer mit körperlicher Gewalt oder unter Androhung einer ernsten und unmittelbaren Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit einen anderen zur Begehung oder Duldung einer sexuellen Handlung zwingt, mit Freiheitsstrafe von mindestens 10 Jahren bestraft. Nach Art. 380 Abs. 1 gr. StGB wird mit einer Freiheitsstrafe (von 5 bis 15 Jahren) und einer Geldstrafe bestraft, wer mit körperlicher Gewalt gegen eine Person oder mit Drohungen verbunden mit unmittelbarer Gefahr für Körper oder Leben einem anderen eine bewegliche Sache ganz oder teilweise wegnimmt oder ihn zwingt, sie ihm auszuhändigen, um sie sich rechtswidrig zuzueignen.
177(8) Nach Art. 183 Abs. 2 und 3 des Gesetzes Nr. 23/2007 der Republik Portugal über Einreise, Aufenthalt, Ausreise und Abschiebung von Ausländern aus dem Staatsgebiet - port. AuslG - wird, wer in irgendeiner Weise die illegale Einreise, den illegalen Aufenthalt oder die illegale Durchreise eines ausländischen Staatsbürgers in das Staatsgebiet in der Absicht, Gewinn zu erzielen, begünstigt oder erleichtert, mit einer Freiheitsstrafe von einem bis fünf Jahren bestraft. Wenn die Tat dadurch begangen wird, dass ein ausländischer Staatsbürger unter unmenschlichen oder erniedrigenden Bedingungen transportiert oder gehalten oder sein Leben gefährdet oder seine körperliche Unversehrtheit schwer verletzt wird oder er stirbt, wird der Täter mit einer Gefängnisstrafe von zwei bis acht Jahren bestraft. Der Kläger hätte durch seine vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des Art. 183 Abs. 3 port. AuslG erfüllt, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in die Republik Portugal eingeschleust hätte. Deren Einreise war illegal, weil sie ohne die erforderlichen Visa erfolgte. Der Kläger handelte ferner in Gewinnerzielungsabsicht und die Bedingungen des Transports waren jedenfalls teilweise unmenschlich.
178Die Straftat ist anhand des Strafrahmens von zwei bis acht Jahren Freiheitsstrafe auch nach portugiesischem Strafrecht als besonders schwerwiegend einzustufen. Zum Beispiel wird nach Art. 144 des Strafgesetzbuchs der Republik Portugal - port. StGB - die schwere Körperverletzung mit Freiheitsstrafe von zwei bis zehn Jahren bestraft. Schwer ist die Körperverletzung dann, wenn das Opfer ein wichtiges Organ oder Glied verliert oder ernsthaft und dauerhaft entstellt wird, seine Arbeitsfähigkeit, seine geistigen Fähigkeiten, seine Fortpflanzung oder sein sexueller Genuss oder die Möglichkeit, seinen Körper, seine Sinne oder seine Sprache zu nutzen, ernsthaft beeinträchtigt wird, eine besonders schmerzhafte oder dauerhafte Krankheit oder eine schwere oder unheilbare geistige Anomalie verursacht oder das Leben des Opfers gefährdet wird. Nach Art. 164 Abs. 1 port. StGB wird die Vergewaltigung (Zwang zur Kopulation oder zum Anal- oder Oralverkehr) mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu sechs Jahren bestraft. Nach Art. 210 Abs. 1 port. StGB wird der Raub mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu acht Jahren bestraft.
179(9) Nach § 353 Abs. 1 und 2 des ungarischen Strafgesetzbuchs - ung. StGB - wird, wer einen anderen Menschen unter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften beim Überschreiten der Staatsgrenze hilft, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft. Die Freiheitsstrafe beträgt zwei bis acht Jahre, wenn es sich um Menschenhandel handelt a) aus finanziellen Gründen, b) Hilfestellung für mehrere Personen beim Überschreiten der Staatsgrenze oder c) durch Zerstörung oder Beschädigung der Einrichtungen oder Einrichtungen, die den Schutz der Ordnung der Staatsgrenze gewährleisten. Der Kläger hat durch die vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des § 353 Abs. 2 Buchst. a) und b) ung. StGB verwirklicht. Die Schleusungen erfolgten über Ungarn und entgegen den gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger handelte auch aus finanziellen Gründen, nämlich um sich zu bereichern, und schleuste mehrere Personen durch Ungarn hindurch.
180Die Straftat ist auch anhand ihres Strafrahmens von zwei bis acht Jahren Freiheitsstrafe als nach ungarischem Recht besonders schwerwiegend einzuordnen. Nach § 164 Abs. 8 ung. StGB beträgt die Freiheitsstrafe ebenfalls zwei bis acht Jahre, wenn durch die (vorsätzliche) Körperverletzung Gefahr für Leben oder Tod besteht. Nach § 197 Abs. 1 ung. StGB wird Vergewaltigung gleichfalls mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis acht Jahren bestraft. Nach § 322 Abs. 1 ung. StGB wird ebenso mit Freiheitsstrafe von zwei bis acht Jahren bestraft, wer durch eine zerstörerische Einwirkung von Materie oder Energie eine Gefahr für die Allgemeinheit herbeiführt oder die Abwendung der Gefahr oder die Milderung der Folgen verhindert. Nach § 365 Abs. 1 ung. StGB wird der Raub ebenfalls mit Freiheitsstrafe von zwei bis acht Jahren bestraft.
181(10) Nach § 114 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes der Republik Österreich - österr. FPG - ist, wer die rechtswidrige Einreise oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einen Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz fördert, sich oder einem Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen. Nach § 114 Abs. 3 österr. FPG ist, wer die Tat nach § 114 Abs. 1 österr. FPG 1. gewerbsmäßig (§ 70 des Strafgesetzbuchs der Republik Österreich - österr. StGB -), 2. in Bezug auf mindestens drei Fremde, oder 3. auf eine Art und Weise, durch die der Fremde, insbesondere während der Beförderung, längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wird, vom Gericht mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Nach § 114 Abs. 4 österr. FPG ist, wer die Tat nach § 114 Abs. 1 österr. FPG als Mitglied einer kriminellen Vereinigung oder auf eine Art und Weise begeht, dass dabei das Leben des Fremden, auf den sich die strafbare Handlung bezieht, gefährdet wird, vom Gericht mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu betrafen. Der Kläger hat nach den Feststellungen des Landesgerichts M. die Straftatbestände des § 114 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 bis 3 und Abs. 4, 1. Alt. österr. FPG verwirklicht.
182Die Straftat ist auch nach österreichischem Strafrecht als besonders schwerwiegend zu beurteilen. Nach § 85 Abs. 2 österr. StGB ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen, wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit beschädigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Dauerfolge nach § 85 Abs. 1 österr. StGB (Verlust oder schwere Schädigung der Sprache, des Sehvermögens, des Gehörs oder der Fortpflanzungsfähigkeit; erhebliche Verstümmelung oder auffallende Verunstaltung; Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen; schweres Leiden, Siechtum oder Berufsunfähigkeit) beim Verletzten herbeiführt. Ebenso ist nach § 86 Abs. 1 österr. StGB mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen, wer einen anderen am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig dessen Tod herbeiführt, und nach § 87 Abs. 1 österr. StGB, wer einem anderen eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 österr. StGB: eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit oder eine an sich schwere Verletzung oder Gesundheitsschädigung) absichtlich zufügt. Nach § 130 Abs. 3 österr. StGB wird ebenfalls mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bestraft, wer auf die in § 130 Abs. 1 österr. StGB bezeichnete Weise (gewerbsmäßig oder als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung) einen Diebstahl nach § 129 Abs. 2 österr. StGB (Einbruchdiebstahl, Diebstahl mit Waffen) begeht. Nach § 142 Abs. 1 österr. StGB wird auch mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bestraft, wer mit Gewalt gegen eine Person oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gewalt für Leib oder Leben einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz wegnimmt oder abnötigt, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern.
183(11) Nach § 125a des Strafgesetzbuchs des Königreichs Dänemark - dän. StGB - wird, wer sich aus Erwerbszwecken und unter sonst besonders erschwerenden Umständen der Menschenschmuggelei gemäß § 59 Abs. 1 des Ausländergesetzes - dän. AuslG - schuldig macht, mit Freiheitsstrafe bis zu 8 Jahren bestraft. Als besonders erschwerende Umstände gelten besondere Fälle, in denen das Leben anderer gefährdet ist oder es zu Verstößen systematischerer oder organsierter Art kommt. § 59 Abs. 1 dän. AuslG betrifft die Ein- oder Ausreise ohne Passkontrolle in diesem Land oder in einem anderen nordischen Land oder außerhalb der Öffnungszeiten der Grenzübergangstelle. Der Kläger hätte durch seine vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des § 125a dän. StGB i.V.m. § 59 Abs. 1 dän. AuslG verwirklicht, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in das Königreich Dänemark eingeschleust hätte, da deren Einreise ohne Passkontrolle erfolgte und der Kläger hierbei systematisch und organisiert handelte.
184Die Straftat ist anhand des Strafrahmens von bis zu 8 Jahren Freiheitsstrafe auch nach dänischem Strafrecht als besonders schwerwiegend zu bewerten. Nach § 216 Abs. 1 dän. StGB wird wegen Vergewaltigung mit Freiheitsstrafe bis zu 8 Jahren bestraft, wer Geschlechtsverkehr mit einer Person hat, die dem nicht zugestimmt hat. Nach § 245 Satz 1 dän. StGB wird mit Freiheitsstrafe von bis zu 6 Jahren bestraft, wer einen besonders groben, brutalen oder gefährlichen tätlichen Angriff ausführt oder sich einer solchen Misshandlung schuldig macht. Nach § 276 Satz 1 dän. StGB wird, wer ohne Zustimmung des Eigentümers eine bewegliche Sache eines anderen an sich nimmt, um sich oder anderen durch den Erwerb einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen, wegen Diebstahls bestraft. Nach § 285 Abs. 1 Satz 1 dän. StGB wird die Straftat mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und sechs Monaten bestraft. Nach § 286 Abs. 1 dän. StGB kann die Strafe sich auf eine Freiheitsstrafe bis zu 6 Jahren erhöhen, wenn die Straftat besonders schwer ist, insbesondere wegen der Art der Begehung, weil die Straftat von mehreren Personen gemeinsam oder mit Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeugen oder Mitteln begangen wurde, wegen des erheblichen Wertes der gestohlenen Gegenstände oder der Bedingungen, unter denen sie gefunden wurden, weil der Diebstahl im Rahmen eines organisierten Einbruchs oder wenn eine größere Zahl von Straftaten begangen wurde. Ebenso wird nach § 288 Abs. 1 dän. StGB bei Raub mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Jahren bestraft, wer durch Gewaltanwendung oder Androhung unmittelbarer Gewaltanwendung sich oder anderen einen ungerechtfertigten Vorteil verschafft, indem er 1) jemandem das bewegliche Eigentum eines anderen entzieht oder erpresst, 2) eine gestohlene Sache in Sicherheit bringt oder 3) jemanden zu einer Handlung oder Unterlassung zwingt, die zum Verlust von Eigentum für die angegriffene Person oder jemanden, für den diese Person handelt, führt.
185(12) Nach § 355 Abs. 2 des Strafgesetzes der Slowakischen Republik - slk. StGB - wird, wer beabsichtigt, sich oder einem anderen direkt oder indirekt einen finanziellen Vorteil oder einen anderen materiellen Vorteil zu verschaffen und dafür einer Person, die kein Staatsbürger der Slowakischen Republik ist oder einen ständigen Wohnsitz im Staatsgebiet der Slowakischen Republik hat, a) das illegale Überschreiten der Staatsgrenze der Slowakischen Republik oder die Durchfahrt durch ihr Hoheitsgebiet organisiert oder ermöglicht oder dabei hilft oder b) zu dem in Buchstabe a) genannten Zweck ein falsches Reisedokument oder ein falsches Ausweisdokument vorlegt, beschafft, bereitstellt oder bereithält, mit Freiheitsstrafe von drei bis acht Jahren bestraft. Nach § 355 Abs. 4 slk. StGB wird der Täter mit einer Freiheitsstrafe von 10 bis 15 Jahren bestraft, wenn er die in § 355 Abs. 1 oder 2 slk. StGB genannte Tat begeht und a) diese zu schweren Verletzungen oder zum Tod führt, b) dadurch für sich oder einen anderen einen erheblichen Vorteil erlangt oder c) als Mitglied einer gefährlichen Gruppe. Nach § 141 slk. StGB ist eine gefährliche Gruppe eine kriminelle oder terroristische Gruppe. Nach § 129 Abs. 1 slk. StGB gelten als Personengruppe im Sinne dieses Gesetzes mindestens drei Personen. Der Kläger hätte durch seine durch das Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des § 355 Abs. 4 Buchst. c) slk. StGB i.V.m. § 355 Abs. 2 Buchst. a) slk. StGB verwirklicht, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in die Slowakische Republik eingeschleust hätte. Die Einreise der Ausländer in das Staatsgebiet der Slowakischen Republik wäre illegal gewesen und der Kläger handelte auch als Mitglied einer kriminellen Gruppe von mindestens drei Personen.
186Die Straftat ist auch anhand des Strafrahmens von 10 bis 15 Jahren Freiheitsstrafe nach dem Strafrecht der Slowakischen Republik als besonders schwerwiegend zu beurteilen. Mit Freiheitsstrafe von 10 bis 15 Jahren sind nach slowakischem Strafrecht unter anderem folgende Straftaten bedroht: schwere Körperverletzung (Verstümmelung, Verlust oder erhebliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit, Lähmung eines Gliedmaßes, Verlust oder erhebliche Schwächung eines Sinnesorgans, Schädigung eines wichtigen Organs, Abtreibung, quälende Strapazen oder eine Gesundheitsstörung, die lange anhält (für die Dauer von mindestens 24 Kalendertagen einer Behandlung bedarf oder Arbeitsunfähigkeit verursacht und dabei die gewohnte Lebensweise des Geschädigten erheblich beeinträchtigt)) als Mitglied einer gefährlichen Gruppe (§ 155 Abs. 3 Buchst. a) slk. StGB i.V.m. § 155 Abs. 1 slk. StGB, § 123 Abs. 3 und 4 slk. StGB), schwerer Raub (wenn der Täter durch den Raub schwere Verletzungen oder den Tod verursacht oder einen erheblichen Schaden anrichtet) (§ 188 Abs. 3 slk. StGB i.V.m. § 188 Abs. 1 slk. StGB), Begehung einer gemeingefährlichen Straftat (Brandstiftung, Überschwemmung, Panne oder Absturz eines Massentransportmittels, Sprengung u.ä.) in einem besonders schweren Fall (§ 284 Abs. 2 slk. StGB i.V.m. § 284 Abs. 1 slk. StGB, §§ 138 - 140 slk. StGB). Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall ist mit einer Freiheitsstrafe von 7 bis 15 Jahren bedroht (§ 199 Abs. 2 slk. StGB).
187(13) Nach Kap. 17 Sek. 8 Abs. 1 Nr. 1 des finnischen Strafgesetzbuchs - fin. StGB - wird, wer einen Ausländer, der nicht über das für die Einreise erforderliche Reisedokument, Visum, die Aufenthaltserlaubnis oder ein anderes mit einem Reisedokument vergleichbares Dokument verfügt, nach Finnland oder durch Finnland in ein anderes Land bringt oder zu bringen versucht, wegen Erleichterung der illegalen Einreise mit einer Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Nach Kap. 17 Sek. 8a fin. StGB wird der Täter wegen schwerer Erleichterung der illegalen Einreise mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 6 Jahren bestraft, wenn bei der Erleichterung der illegalen Einreise 1) einer anderen Person eine schwere Körperverletzung, eine ernste Krankheit, eine Todesgefahr oder ein vergleichbares schweres Leiden absichtlich oder grob fahrlässig zugefügt wird oder 2) die Straftat als Teil der Aktivitäten einer organisierten kriminellen Gruppe im Sinne des Kap. 6 Sek. 5 Abs. 2 fin. StGB begangen wird und die Straftat insgesamt schwer wiegt. Nach Kap. 6 Sek. 5 Abs. 2 fin. StGB meint eine organisierte kriminelle Gruppe eine strukturierte Gruppe von mindestens drei Personen, die für eine gewisse Dauer besteht und gemeinsam handelt, um Straftaten, die im Höchstmaß mit mindestens vier Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, oder Straftaten nach Kap. 11 Sek. 10 oder Kap. 15, Sek. 9 zu begehen. Der Kläger hätte mit seinen durch das Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des Kap. 17 Sek. 8a Nr. 2 fin. StGB erfüllt, wenn er die Ausländer nicht nach Österreich, sondern nach Finnland eingeschleust hätte. Die von ihm eingeschleusten Ausländer verfügten nicht über Visa oder andere Aufenthaltstitel. Der Kläger handelte auch als Teil einer Gruppe von mindestens drei Personen, die sich für eine gewisse Zeit (hier mindestens 4 ½ Monate) zur Begehung von Straftaten verbunden hatte, die mit einer Höchstfreiheitsstrafe von mindestens vier Jahren bedroht sind. Die von ihm begangenen Straftaten wiegen auch bei einer Gesamtbetrachtung schwer (siehe unten cc)).
188Die Straftat ist auch nach dem Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 6 Jahren als nach finnischem Strafrecht als besonders schwerwiegend zu bewerten. Zum Beispiel wird nach Kap. 20 Sek. 1 Abs. 1 fin. StGB eine Person, die eine andere mit Gewalt oder die Androhung von Gewalt zum Geschlechtsverkehr zwingt, wegen Vergewaltigung mit Freiheitsstrafe von einem bis zu 6 Jahren bestraft. Nach Kap. 21 Sek. 9 fin. StGB wird die grob fahrlässige Tötung mit Freiheitsstrafe von 4 Monaten bis zu 6 Jahren bestraft, ebenso nach Kap. 31 Sek. 1 Abs. 1 fin. StGB der Raub.
189(14) Nach Art. 326 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs der Republik Kroatien - kro. StGB - wird, wer aus eigenem Interesse einer anderen Person die illegale Einreise, Ausreise, Durchreise oder den Aufenthalt in der Republik Kroatien oder einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Unterzeichnerstaat des Schengener Abkommens ermöglicht oder dabei hilft, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu acht Jahren bestraft. Nach Art. 329 Abs. 1 kro. StGB beträgt der Strafrahmen 3 bis 12 Jahre Freiheitsstrafe, wer die Straftat in einer kriminellen Vereinigung in Kenntnis ihres kriminellen Zwecks oder Tätigkeit begeht. Nach Art. 328 Abs. 4 kro. StGB besteht eine kriminelle Vereinigung aus mindestens drei Personen, die sich mit dem gemeinsamen Ziel zusammengeschlossen haben, eine oder mehrere Straftaten zu begehen, für die eine Freiheitsstrafe von drei Jahren oder mehr verhängt werden kann. Der Kläger hat den Straftatbestand des Art. 236 Abs. 1 kro. StGB durch die Einschleusung der von ihm geschleusten Personen in die Republik Österreich verwirklicht, da deren Einreise mangels Visa illegal erfolgte und der Kläger aus Eigennutz handelte, nämlich um sich finanziell zu bereichern. Er tat dies auch als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im Sinne der Art. 239 Abs. 1, Art. 238 Abs. 4 kro. StGB.
190Die Straftat ist anhand des Strafrahmens von 3 bis 12 Jahren Freiheitsstrafe auch nach kroatischem Strafrecht als besonders schwerwiegend zu bewerten. Mit diesem Strafrahmen ist zum Beispiel nach Art. 119 Abs. 3 kro. StGB die besonders schwere Körperverletzung (Lebensgefahr, Zerstörung oder dauerhafter Schwächung eines Organs, dauerhafte Arbeitsunfähigkeit, dauerhafte und schwere Schädigung der Gesundheit, dauerhafte Entstellung oder dauerhafte Unfähigkeit zur Fortpflanzung) bedroht. Nach Art. 153 Abs. 2 kro. StGB ist die Vergewaltigung mit Freiheitsstrafe von 3 bis 10 Jahren bedroht, der Raub nach Art. 230 Abs. 1 kro. StGB mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren.
191(15) Nach Art. 292 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs der Republik Litauen - lit. StGB - wird, wer den illegalen Transport von Ausländern, die keinen ständigen Wohnsitz in der Republik Litauen haben, über die Staatsgrenze der Republik Litauen oder das Verstecken solcher Ausländer, die illegal die Staatsgrenze der Republik Litauen überschritten haben, im Hoheitsgebiet der Republik Litauen organisiert hat, mit einer Freiheitsstrafe von vier bis zehn Jahren bestraft. Der Kläger hätte durch seine vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen diesen Straftatbestand verwirklicht, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern die Republik Litauen eingeschleust hätte.
192Die Straftat ist anhand ihres Strafrahmens von vier bis zehn Jahren Freiheitsstrafe auch nach litauischem Strafrecht als besonders schwerwiegend zu beurteilen. Zum Beispiel wird nach Art. 135 Abs. 1 lit. StGB derjenige, der eine Person verletzt oder krank gemacht hat, mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft, wenn das Opfer dadurch sein Augenlicht, sein Gehör, seine Sprache, seine Fruchtbarkeit oder seine Schwangerschaft verloren hat oder auf andere Weise ernsthaft verkrüppelt wurde, sich eine schwere unheilbare oder langanhaltende Krankheit zugezogen hat, die tatsächlich das Leben bedroht oder ernsthaft beeinträchtigt, die Psyche der Person beeinträchtigt oder ein großer Teil ihrer beruflichen oder allgemeinen Lebensfähigkeit verloren gegangen ist oder der Körper des Opfers irreparabel entstellt worden ist. Nach Art. 149 Abs. 1 lit. StGB wird eine Person, die mit einer Person gegen deren Willen Geschlechtsverkehr hat, indem sie körperliche Gewalt anwendet oder mit deren sofortiger Anwendung droht oder ihr auf andere Weise die Möglichkeit zum Widerstand nimmt oder die Hilflosigkeit des Opfers ausnutzt, mit einer Freiheitsstrafe von bis sieben Jahren bestraft. Nach Art. 149 Abs. 2 lit. StGB wird derjenige, der eine Person mit einer Gruppe von Komplizen vergewaltigt hat, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bestraft. Nach Art. 180 Abs. 1 lit. StGB wird eine Person, die durch die Anwendung körperlicher Gewalt oder die Androhung, sie sofort anzuwenden, oder dadurch, dass sie dem Opfer auf andere Weise die Möglichkeit zum Widerstand nimmt, fremdes Eigentum gestohlen hat, mit Festnahme oder Freiheitsstrafe bis zu sechs Jahren bestraft. Nach Art. 180 Abs. 3 lit. StGB wird eine Person, die einen Raubüberfall mit einer Schusswaffe oder einem Sprengsatz begangen hat oder bei einem Raubüberfall wertvolle Gegenstände gestohlen hat, mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis zehn Jahren bestraft.
193(16) Nach Art. 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs der Republik Slowenien - slow. StGB - wird, wer sich daran beteiligt, Ausländer, die keine Einreise- oder Aufenthaltserlaubnis in der Republik Slowenien haben, illegal in das Hoheitsgebiet der Republik Slowenien einzuführen, sie durch das Hoheitsgebiet der Republik Slowenien zu befördern oder ihnen hilft, sich zu verstecken, oder wer einen oder mehrere Ausländer in der Absicht, Vermögensvorteile für sich oder einen anderen zu erwerben, unrechtmäßig über die Grenze in das Hoheitsgebiet des Landes bringt, über dieses transportiert oder einen illegalen Aufenthalt dort ermöglicht, mit Freiheitsstrafe von drei bis zehn Jahren und Geldstrafe bestraft. Nach Art. 308 Abs. 6 slow. StGB wird der Täter, wenn er durch Handlungen nach Art. 308 Abs. 3, 4 oder 5 slow. StGB einen unverhältnismäßigen finanziellen Vorteil für sich oder einen anderen erlangt oder illegale Arbeit leistet oder jemanden einer Gefahr für Leben oder Gesundheit aussetzt oder solche Handlungen als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begeht, mit Freiheitsstrafe von drei bis zu 15 Jahren und einer Geldstrafe bestraft. Der Kläger hätte durch seine vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des Art. 308 Abs. 6 slow. StGB verwirklicht, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in die Republik Slowenien eingeschleust hätte. Die von ihm eingeschleusten Ausländer hatten keine Einreise- oder Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger handelte auch als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, nämlich zur Durchführung des kriminellen Plans einer Gruppe von mindestens drei Personen in Zusammenarbeit mit mindestens einem weiteren Mitglied dieser Gruppe (Art. 41 Abs. 1 slow. StGB).
194Die Straftat ist auch anhand ihres Strafrahmens als nach slowenischen Strafrecht besonders schwerwiegend einzustufen. Einen Strafrahmen von drei bis 15 Jahren sieht zum Beispiel Art. 124 Abs. 2 slow. StGB für die besonders schwere Körperverletzung (Lebensgefahr, Zerstörung oder dauerhafte und erhebliche Schwächung eines wichtigen Organs, dauerhafte Erwerbsunfähigkeit oder ernsthafte Gesundheitsschädigung) mit Todesfolge vor, ferner Art. 170 Abs. 4 slow. StGB für schwere Vergewaltigung (in abscheulicher oder besonders erniedrigender Weise, durch mehrere Personen nacheinander oder an Gefangenen) und Art. 206 Abs. 2 slow. StGB für schweren Raub (durch mehrere Personen oder von Sachen von hohem Wert).
195(17) Nach Art. 285 Abs. 1 des Strafrechts der Republik Lettland - lett. StGB - wird die illegale Schleusung einer Person über die Staatsgrenze mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Bewährungsaufsicht oder mit Geldstrafe bestraft. Nach Art. 285 Abs. 3 lett. StGB wird die Tat, wenn sie von einer organisierten Gruppe begangen wurde oder schwerwiegende Folgen nach sich gezogen hat oder die illegale Einschleusung einer großen Anzahl von Personen (mehr als fünf Personen) mit Freiheitsentzug für die Dauer von zwei bis acht Jahren, mit oder ohne Vermögenseinziehung und mit Bewährungsaufsicht für die Dauer von bis zu drei Jahren oder ohne bestraft. Der Kläger hätte durch seine vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des Art. 285 Abs. 3 lett. StGB verwirklicht, wenn er die Ausländer nicht in die Republik Österreich, sondern in die Republik Lettland eingeschleust hätte.
196Die Straftat ist anhand ihres Strafrahmens von zwei bis acht Jahren Freiheitsstrafe auch nach lettischem Strafrecht als besonders schwerwiegend zu qualifizieren. Nach Art. 107 Abs. 3 lett. StGB wird das absichtliche Anzünden eines Waldes mit Freiheitsstrafe bis zu acht Jahren bestraft, wenn hierdurch fahrlässig der Tod eines Menschen oder eine andere schwerwiegende Folge verursacht worden ist, ebenso nach Art. 176 Abs. 2 lett. StGB der Raub, wenn er in erheblicher Höhe, von einer Personengruppe nach vorheriger Vereinbarung, durch Einbruch in ein Fahrzeug, eine Wohnung oder einen anderen Raum oder aus einem Lagerraum oder einer Lagerraum-Verbindungseinrichtung oder zum Carjacking begangen wurde. Nach Art. 125 Abs. 1 lett. StGB wird die - nicht näher definierte - vorsätzliche schwere Körperverletzung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren bestraft.
197(18) Nach Art. 382-4 des Strafgesetzbuchs des Großherzogtums Luxemburg - lux. StGB - wird jede Person, die durch direkte oder indirekte Hilfe wissentlich die irreguläre Einreise, die irreguläre Durchreise oder den illegalen Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen auf oder durch das luxemburgische Hoheitsgebiet, das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Vertragsstaats des am 13. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens oder das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats des Protokolls gegen den illegalen Handel mit Migranten auf dem Land-, Luft- oder Seeweg, zusätzlich gegen das am 12. Dezember 2000 in Palermo unterzeichnete Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, erleichtert oder zu erleichtern versucht hat, mit einer Freiheitsstrafe von drei bis fünf Jahren und mit einer Geldstrafe von 10.000 bis 50.000 Euro oder nur einer dieser Strafen bestraft. Nach Art. 382-5 Nr. 3 lux. StGB wird die in Art. 382-4 lux. StGB genannte Straftat mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren und einer Geldstrafe von 50.000 bis 100.000 Euro bestraft, wenn sie gegen einen Minderjährigen begangen wurde. Der Kläger hat durch seine vom Landesgericht M. und den Senat festgestellten Handlungen den Straftatbestand des Art. 382-5 Nr. 3 lux. StGB verwirklicht, denn unter den von ihm illegal in die Republik Österreich eingeschleusten Personen befanden sich auch Kinder (Urteil des Landesgerichts M. vom 1. Dezember 2015 - Az. -, S. 3 unten und 9 oben).
198Die Straftat ist anhand des Strafrahmens von fünf bis zehn Jahren Freiheitsstrafe auch nach luxemburgischen Strafrecht als besonders schwerwiegend zu bewerten. Mit Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren wird zum Beispiel nach Art. 375 Abs. 1 lux. StGB die Vergewaltigung bestraft, ferner nach Art. 401 Abs. 1 lux. StGB die vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge und nach Art. 468 lux. StGB der Raub.
199cc) Die vom Kläger begangene Straftat war auch nach ihrer Art und dem Ausmaß des angerichteten Schadens besonders schwerwiegend. Der Kläger hat eine große Anzahl von Personen, nämlich mehr als 200, nach Österreich eingeschleust. Die Transportbedingungen waren jedenfalls teilweise unmenschlich. Das Verfahren (Strafverfahren vor dem Landesgericht M.) und die Art der Strafmaßnahme (Freiheitsstrafe ohne Bewährung) sprechen ebenfalls für eine besonders schwerwiegende Straftat.
200dd) Die Straftat war nichtpolitisch, weil der Kläger nicht aus politischen Motiven, sondern aus Gewinnstreben handelte. Dass er hierfür kein Geld erhalten habe, glaubt der Senat dem Kläger nicht. Nach den Feststellungen des Landesgerichts M. bezahlten die geschleppten Personen zwischen 7.000,- € und 10.000,- € pro Person. Der Kläger überwies hiervon zweimal je 20.000,- € an einen Mittäter (Urteil des Landesgerichts M. vom 1. Dezember 2015 - Az. -, UA S. 2 und 6 oben). Angesichts dessen ist die Behauptung des Klägers, er habe kein Geld für die Schleusungen erhalten, vollkommen lebensfremd und eine offenkundige Lüge.
201ee) Der Kläger beging die Taten auch vor seiner Aufnahme ins Bundesbiet am 5. September 2014 und außerhalb des Bundesgebiets.
202II. Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG (nachfolgend 1.). Außerdem steht der Zuerkennung des subsidiären Schutzes § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG entgegen (nachfolgend 2.).
2031. Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, 2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder 3. eine ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insbesondere droht dem Kläger in Syrien keine Verletzung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt in einem internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt (nachfolgend a)) oder Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (nachfolgend b)).
204a) Eine ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist, wenn gefahrerhöhende individuelle Umstände fehlen, dann gegeben, wenn eine Situation vorliegt, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit im Zielgebiet der voraussichtlichen Rückkehr des Ausländers einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Um dies feststellen zu können, bedarf es zunächst einer näherungsweisen quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos und auf deren Grundlage einer wertenden Gesamtschau zur individuellen Betroffenheit des Ausländers.
205Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, NVwZ 2021, 327 (330), Rdnr. 21.
206Individuelle gefahrerhöhende Umstände bestehen in der Person des Klägers nicht. Das Ausmaß willkürlicher Gewalt ist auch weder in seiner Heimatregion, der Provinz Hasaka (nachfolgend aa)), noch in den Nachbarprovinzen Raqqa und Deir Ez-Zor (nachfolgend bb) und cc)) noch in den Provinzen Homs und Damaskus-Land sowie in der Hauptstadt Damaskus, die der Kläger auf seinem Weg vom Flughafen Damaskus zu seinem Heimatort I. durchqueren müsste (nachfolgend dd) - ff)), noch im übrigen Staatsgebiet der Arabischen Republik Syrien (nachfolgend gg) - nn)) derart hoch, dass er allein aufgrund seiner Anwesenheit in der Provinz Hasaka oder im übrigen Staatsgebiet Syriens einer ernsthaften individuellen Bedrohung für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit ausgesetzt wäre.
207aa) Die Provinz Hasaka ist 23.334 qkm groß.
208Vgl. zur Größe der syrischen Provinzen: wikipedia: Liste der Gouvernements in Syrien (https://de.wikipedia.org) (Stand: 4. August 2023).
209In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 1,2 Mio. Menschen. Die Sicherheitslage in der Provinz wird maßgeblich geprägt durch Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalarmee (SNA), einer Dachorganisation verschiedener Milizen, die eine ca. 120 km lange und ca. 30 km tiefe sog. Sicherheitszone entlang der syrisch-türkischen Grenze zwischen Tall al Abyad (Provinz Raqqa) im Westen und Ras al Ayn (Provinz Hasaka) im Osten beherrschen, und den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG), die zusammen mit anderen Milizen sowie syrischen und russischen Truppen den Rest der Provinz kontrollieren und von der Türkei als Ableger der kurdischen Terrororganisation PKK betrachtet werden. Ferner verübt der Islamische Staat in der Provinz seit der zweiten Hälfte des Jahres 2022 vermehrt Anschläge auf die kurdischen Sicherheitskräfte (Asayish), die Syrian Democratic Forces (SDF) und auch Zivilisten. Ein weiterer sicherheitskritischer Ort in der Provinz ist das Lager Al Hol, in dem die Syrian Democratic Forces mehrere tausend (ehemalige) IS-Kämpfer und deren Familien gefangen halten. Das Lager ist vom Islamischen Staat unterwandert. Dort soll ein hohes Maß an Gewalt, Kriminalität und Spannungen zwischen den Insassen herrschen. Ein weiteres Problem bilden Blindgänger und Landminen aus der Zeit des Kampfes mit dem Islamischen Staat. Die North Press Agency (NPA) meldete für das erste Quartal 2023 12 Tote durch Minen in der Provinz (331 Tote in ganz Syrien, davon 129 Zivilisten, sowie 134 Verletzte). Zivile Opfer durch Landminen wurden u. a. aus der Nachbarschaft von Ras al Ayn und der Umgebung der Stadt Hasaka gemeldet.
210Das Armed Conflict Location and Event Data Projekt (ACLED) registrierte für die gesamte Provinz Hasaka im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 1.104 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 686 Explosionen und Angriffe mit Fernwaffen (Luft- und Drohnenangriffe, Selbstmordattentate, Artillerie- und Raketenangriffe, Landminen, selbstgebastelte Bomben u.a.), 148 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten/Gruppen und 270 Angriffe auf Zivilisten. Nach einer anderen Zählung sollen sich die 1.104 sicherheitsrelevanten Vorfälle im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 auf 868 Explosionen und Angriffe mit Fernwaffen, 551 Kämpfe und 467 Angriffe auf Zivilisten verteilen. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 497 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) dokumentierte für 2021 154 zivile Todesopfer, für 2022 74 zivile Todesopfer, für den Zeitraum von August 2022 bis Juli 2023 54 zivile Todesopfer und für den Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 4 zivile Todesopfer in der Provinz. Für das Jahr 2022 dokumentierte Action on Armed Violence (AOAV) 190 zivile Unfälle (Tote und Verletzte) durch Explosionen.
211Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 138 - 141; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 103 - 111; Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 2. Februar 2024 (Stand: Ende Oktober 2023), S. 7; NPA, Remnants of war kill 331 people in 1st quarter of 2023 in Syria, vom 4. April 2023 (https://npasyria.com/en/95849/).
212Damit besteht in der Provinz Hasaka keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären. In der Provinz ereignen sich pro Tag ca. 3 bis 4 sicherheitsrelevante Vorfälle. Bei ca. 1,2 Mio. Einwohnern und auf einer Fläche von ca. 23.000 qkm ist dies keine Gefahrendichte, bei der praktisch jede Zivilperson ernsthaft damit rechnen müsste, getötet oder verletzt zu werden. Dasselbe gilt bei einer Betrachtung der zivilen Todesopfer und Verletzungen, zumal die Zahlen seit 2021 rückläufig sind. Die Angriffe und Auseinandersetzungen in der Provinz Hasaka spielen sich hauptsächlich zwischen bewaffneten Gruppen ab, nämlich der türkischen Armee und den in der Syrischen Nationalarmee organisierten Milizen einerseits und den kurdischen Volksvereidigungseinheiten andererseits, mögen auch Zivilisten von diesen Angriffen und Kämpfen mitbetroffen werden. Ebenso attackiert der Islamische Staat in erster Linie die kurdischen Sicherheitskräfte.
213Der anderslautenden Einschätzung der Europäischen Asylagentur (EUAA), in der Provinz Hasaka bestehe ein derart hohes Maß an Gewalt, dass substantielle Gründe für die Annahme vorhanden seien, dass Zivilisten allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz dem beachtlichen Risiko der Verletzung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt seien,
214vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 121 und 141 f.,
215folgt der Senat daher nicht. Die Europäische Asylagentur würdigt weder das absolute Ausmaß der Gewalt in der Provinz Hasaka im Verhältnis zur Bevölkerungszahl und räumlichen Ausdehnung der Provinz noch beachtet sie hinreichend, dass sich die Angriffe und Kämpfe hauptsächlich zwischen bewaffneten Gruppen abspielen und daher vornehmlich diese betreffen.
216Es gibt auch keine Erkenntnisse, dass die Sicherheitslage in der Stadt I. schlechter wäre als in der übrigen Provinz Hasaka. Im Gegenteil dürfte die Anwesenheit syrischer Truppen in der Stadt die Türkei und ihre verbündeten Milizen von Angriffen auf I. abschrecken, um nicht zusätzlich in einen Konflikt mit der syrischen Armee und deren Verbündeten, insbesondere der russischen Luftwaffe, zu geraten.
217bb) Die Provinz Raqqa ist 19.616 qkm groß. Im Mai 2022 lebten in ihr geschätzt etwa 750.000 Menschen. Wie in der Provinz Hasaka wird die Sicherheitslage in der Provinz Raqqa maßgeblich bestimmt durch Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalarmee, die die sog. Sicherheitszone entlang der syrisch-türkischen Grenze zwischen Tall al Abyad (Provinz Raqqa) im Westen und Ras al Ayn (Provinz Hasaka) im Osten beherrschen, und den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG), die von syrischen und russischen Truppen unterstützt werden. Ferner verübt der Islamische Staat auch hier Anschläge auf die kurdischen Sicherheitskräfte (Asayish), Antiterroreinheiten und ein Gefängnis des Militärgeheimdienstes, in dem ca. 200 IS-Kämpfer inhaftiert waren. Im Gegenzug starteten die Syrian Democratic Forces eine Antiterroroperation und verhafteten viele IS-Kämpfer. Wie in der Provinz Hasaka sind auch in der Provinz Raqqa Blindgänger und Landminen aus der Zeit des Kampfes gegen den Islamischen Staat ein Problem. NPA meldete für das erste Quartal 2023 19 Tote durch Minen. Zivile Tote und Verletzte durch Blindgänger wurden aus Tall al Abayd und der Umgebung der Stadt Raqqa gemeldet.
218ACLED registrierte für den Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 751 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 450 Explosionen und Angriffe mit Fernwaffen, 125 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten/Gruppen und 176 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 234 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. SNHR dokumentierte 84 zivile Todesopfer in 2021, 27 zivile Todesopfer in 2022, 20 zivile Todesopfer im Zeitraum von August 2022 bis Juli 2023 und ein ziviles Todesopfer im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023. AOAV berichtete von 84 zivilen Opfern (Tote und Verletzte) durch Explosionen in der Provinz im Jahr 2022.
219Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 154 - 156; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 112 - 119; NPA a.a.O.
220Damit besteht auch in der Provinz Raqqa keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären. In der Provinz ereignen sich pro Tag ca. 2 bis 3 sicherheitsrelevante Vorfälle. Bei ca. 750.000 Einwohnern und auf einer Fläche von ca. 19.000 qkm ist dies keine Gefahrendichte, bei der praktisch jede Zivilperson ernsthaft damit rechnen müsste, getötet oder verletzt zu werden. Dasselbe gilt bei einer Betrachtung der zivilen Todesopfer und Verletzungen, zumal die Zahlen seit 2021 rückläufig sind. Auch hier zeigt sich, dass sich die Angriffe und Auseinandersetzungen hauptsächlich zwischen bewaffneten Gruppen abspielen, nämlich der türkischen Armee und der Syrischen Nationalarmee einerseits und den kurdischen Volksvereidigungseinheiten andererseits, mögen auch Zivilisten von diesen Angriffen und Kämpfen mitbetroffen werden. Ebenso attackiert der Islamische Staat in ersten Linie die kurdischen Sicherheitskräfte.
221cc) Die Provinz Deir Ez-Zor ist 33.060 qkm groß. Die Bevölkerungszahl betrug im Mai 2022 geschätzt etwa 1 Mio. Menschen. Der Teil der Provinz westlich des Euphrat wird von der syrischen Armee und ihren iranischen und russischen Verbündeten beherrscht, der östliche Teil der Provinz hauptsächlich von den Syrian Democratic Forces. Aber auch hier finden sich Stützpunkte der syrischen Armee und iranischer Milizen sowie der US-Armee, die die Syrian Democratic Forces in ihrem Kampf gegen den Islamischen Staat unterstützt, ihrerseits von iranischen Milizen attackiert wird und diese ebenfalls attackiert. Die Sicherheitslage in Deir Ez-Zor wird dementsprechend hauptsächlich durch Angriffe und Attentate des Islamischen Staates auf die Syrian Democratic Forces, die syrische Armee, die Iranischen Revolutionsgarden und vom Iran bezahlte Milizen sowie auf Zivilisten geprägt, zum Beispiel auf Trüffelsucher und auf Geschäftsleute, die die vom Islamischen Staat geforderte „Steuer“ verweigern, sowie vom Kampf der genannten Akteure gegen den Islamischen Staat, daneben auch durch Auseinandersetzungen zwischen der US-Armee und vom Iran bezahlten Milizen sowie zwischen den Syrian Democratic Forces und arabischen Stammesmilizen. Ein weiteres Problem sind die vom Islamischen Staat hinterlassenen improvisierten Landminen und anderen Explosionsmittel. NPA meldete für das erste Quartal 2023 127 Tote durch Minen (331 für ganz Syrien, davon 129 Zivilisten, sowie 134 Verletzte).
222ACLED registrierte im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 1.089 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 588 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten/Gruppen, 246 Explosionen und Angriffe mit Fernwaffen und 255 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August 2023 bis zum 30. November 2023 wurden 742 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. SNHR dokumentierte 197 zivile Todesopfer in 2021, 125 zivile Todesopfer in 2022, 167 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 und 70 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023.
223Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 132 - 135; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 121 - 129; NPA a.a.O.
224Damit besteht in der Provinz Deir Ez-Zor keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären. In der Provinz ereigneten sich im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 etwa 3 sicherheitsrelevante Vorfälle pro Tag, im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 etwa 6 sicherheitsrelevante Vorfälle pro Tag. Trotz eines deutlichen Anstiegs zum Ende des Jahres 2023 ist dies bei ca. 1 Mio. Einwohnern und auf einer Fläche von ca. 33.000 qkm keine Gefahrendichte, bei der praktisch jede Zivilperson ernsthaft damit rechnen müsste, getötet oder verletzt zu werden. Das gilt auch bei einer Betrachtung der zivilen Todesopfer, auch wenn sich auch hier ein Anstieg zum Ende des Jahres 2023 beobachten lässt (weniger als ein ziviles Todesopfer pro Tag bei einer Bevölkerung von etwa 1 Mio. Einwohner und auf einer Fläche von ca. 33.000 qkm). Auch in der Provinz Deir Ez-Zor betreffen die Kämpfe, Anschläge und Attacken hauptsächlich militärische Akteure und weniger Zivilisten.
225Der gegenteiligen Einschätzung der Europäischen Asylagentur,
226vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 121 und 135,
227vermag sich der Senat daher nicht anzuschließen. Die Europäische Asylagentur würdigt nicht das absolute Ausmaß der Gewalt in der Provinz Deir Ez-Zor im Verhältnis zur Bevölkerungszahl und räumlichen Ausdehnung der Provinz.
228dd) Die Provinz Homs ist 42.223 qkm groß. In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 1,5 Mio. Menschen. Sie wird von der syrischen Armee und verbündeten Milizen (Hisbollah und andere vom Iran bezahlte Milizen) kontrolliert. Die Sicherheitslage in der Provinz ist dadurch gekennzeichnet, dass der Islamische Staat aus der Wüste heraus Anschläge auf die syrische Armee und deren Verbündete sowie auf Zivilisten (zum Beispiel Trüffelsucher) verübt. Ferner führt Israel Luftangriffe auf die Hisbollah und vom Iran bezahlte Milizen aus, die ihrerseits die von der US-Armee und der Freien Syrischen Armee kontrollierte Zone um den Grenzübergang Al-Tanf (Provinz Damaskus-Land) attackierten. NPA registrierte 37 Tote durch Minen im ersten Quartal 2023.
229ACLED registrierte im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 215 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 81 Explosionen oder Angriffe mit Fernwaffen, 80 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten oder Gruppen und 54 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 ereigneten sich 65 sicherheitsrelevante Vorfälle. SNHR dokumentierte 28 zivile Todesopfer in 2021, 37 zivile Todesopfer in 2022, 73 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 und 60 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023.
230Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 132 - 135; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 121 - 129; NPA a.a.O.
231Damit besteht in der Provinz Homs keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären, auch wenn die Zahl der zivilen Todesopfer seit dem Jahr 2021 spürbar angestiegen ist (weniger als ein sicherheitsrelevanter Vorfall pro Tag und ca. 15 zivile Todesopfer pro Monat Ende 2023 bei einer Bevölkerung von ca. 1,5 Mio. Menschen und auf einer Fläche von mehr als 40.000 qkm). Die Kämpfe und Auseinandersetzungen spielen sich hauptsächlich zwischen den verschiedenen bewaffneten Akteuren in der Wüstenregion im südöstlichen Teil der Provinz ab.
232ee) Die Provinz Damaskus-Land (Rif Dimashq) ist 18.032 qkm groß. In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 3,3 Mio. Menschen. Sie wird im Wesentlichen durch die syrische Armee und ihre russischen und iranischen Verbündeten kontrolliert, mit Ausnahme einer sog. Sicherheitszone um den Grenzübergang Al-Tanf im Südosten der Provinz, die von der US-Armee und deren Verbündeten (Freie Syrische Armee) kontrolliert wird. Die Sicherheitslage in der Provinz ist gekennzeichnet durch gelegentliche bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Familienclans, die wiederum in Verbindung mit Regierungseinheiten (z.B. dem Militärgeheimdienst oder der 4. Division der syrischen Armee) stehen sollen. Außerdem führt Israel Luftangriffe auf Stützpunkte der iranischen Revolutionsgarden und vom Iran bezahlter Milizen durch. Minen und Blindgänger sollen ein großes Problem in der Provinz darstellen. Es gibt allerdings keine Zahlen über Opfer, sondern nur sporadische Berichte über solche.
233ACLED registrierte für den Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 211 sicherheitsrelevante Vorfälle in der Provinz, davon 79 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten oder Gruppen, 44 Explosionen oder Angriffe mit Fernwaffen und 88 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 80 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. SNHR dokumentierte 13 zivile Todesopfer in 2021, 80 zivile Todesopfer in 2022, 18 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 und 10 zivile Todesopfer im Zeitraum von August bis November 2023.
234Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 157 - 159; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 136 - 143.
235Damit besteht in der Provinz Damaskus-Land keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären (weniger als ein sicherheitsrelevanter Vorfall pro Tag bei einer Bevölkerung von ca. 3,3 Mio. Menschen und auf einer Fläche von mehr als 18.000 qkm).
236ff) Die Hauptstadt Damaskus ist 105 qkm groß. In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 1,8 Mio. Menschen. Sie wird vollständig von der syrischen Armee und ihren Verbündeten beherrscht. Teile der kampfkräftigsten Einheiten der syrischen Armee sind in und um Damaskus stationiert. Dementsprechend gibt es nur wenige sicherheitsrelevante Vorfälle in Damaskus, zum Beispiel je ein Autobombenattentat im April und Mai 2023 und ein Bombenattentat im Juni 2023. Die israelische Luftwaffe führt auch hier Angriffe auf Stützpunkte der iranischen Revolutionsgarden und vom Iran bezahlte Milizen aus. Die Kontamination mit Minen und Blindgängern bildet auch in Damaskus ein Problem. NPA meldete für das erste Quartal 2023 8 Tote durch Minen. Diese Zahl bezieht sich möglicherweise auf Damaskus und die Provinz Damaskus-Land, da sie anders nicht mit den Zahlen des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte in Einklang zu bringen ist.
237ACLED registrierte im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 30. November 2023 36 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 11 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten/Gruppen, 8 Explosionen und Angriffe mit Fernwaffen und 17 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 10 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. SNHR dokumentierte ein ziviles Todesopfer in 2021, drei zivile Todesopfer in 2022, drei zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 und vier zivile Todesopfer im Zeitraum von August bis November 2023.
238Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 127 - 129; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 131 - 135; NPA a.a.O.
239Damit besteht in Damaskus keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Hauptstadt einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären, auch wenn die Zahl der zivilen Todesopfer zuletzt zugenommen hat (nur ca. 3 sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem zivilen Todesopfer pro Monat bei ca. 1,8 Mio. Einwohnern).
240gg) Die Provinz Suweida ist 5.550 qkm groß. In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 370.000 Personen. Ca. 91 % der Bevölkerung gehören der religiösen Minderheit der Drusen an. Diese verhielten sich im Bürgerkrieg weitgehend neutral. Die Provinz genießt daher de facto eine Sonderstellung. Nominell übt der syrische Staat weiterhin die Oberhoheit in Suweida aus. Die syrische Armee ist dort auch mit zahlreichen Einheiten präsent. Sie führt aber keine Zwangsrekrutierungen in der Provinz durch, sondern versucht drusische Wehrpflichtige dazu zu bewegen, ihren Wehrdienst freiwillig abzuleisten, zum Beispiel im Oktober 2022 durch das Angebot eines 6-monatigen Aufschubs, des Einsatzes nur in Südsyrien und der Ausgabe einer „Versöhnungskarte“, mit der sie sich frei bewegen und zum Beispiel staatliche Institutionen aufsuchen können sollen, ohne wegen Wehrdienstentziehung verhaftet zu werden. De facto soll die Drusenmiliz Rijal al-Karameh (Männer der Würde) die Sicherheit in der Provinz gewährleisten. Es gibt dort aber noch zahlreiche weitere Milizen, die teils in Opposition zum Assad-Regime stehen sollen, teils dieses unterstützen und ihrerseits mit dem Iran und dem syrischen Militärgeheimdienst verbunden sein sollen. Ferner sollen zahlreiche Banden mit der Herstellung und dem Handel mit der Droge Captagon befasst sein.
241Die Sicherheitslage in der Provinz ist dementsprechend durch Auseinandersetzungen zwischen den genannten Milizen und Banden sowie Familien und Stämmen geprägt, in denen es auch zur Entführung und Tötung von Zivilisten kommt. Von August bis Oktober 2023 kam es zu Protesten gegen die Regierung wegen schlechter Lebensbedingungen. Dabei sollen Sicherheitskräfte zweimal das Feuer auf Demonstranten eröffnet haben, die Regierungsgebäude stürmen wollten. Im Mai 2023 griff die jordanische Luftwaffe das Haus eines prominenten Drogenschmugglers an; es gab 8 Tote. Die Provinz soll stark mit Explosivstoffen kontaminiert sein. NPA meldete für das erste Quartal 2023 2 Tote durch Landminen. ACLED registrierte im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 80 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 21 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten oder Gruppen, 20 Explosionen oder Angriffe mit Fernwaffen und 39 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 34 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. SNHR dokumentierte 13 zivile Todesopfer in 2021, 32 zivile Todesopfer in 2022, 24 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 und 5 zivile Todesopfer von August bis November 2023.
242Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 159 - 161; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 160 - 166; EUAA, Syria - Country Focus, Oktober 2023, S. 24; NPA a.a.O.
243Damit besteht in der Provinz Suweida keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären (nur ca. 2 sicherheitsrelevante Vorfälle pro Woche bei einer Bevölkerung von ca. 370.000 Menschen und auf einer Fläche von ca. 5.500 qkm). Hinzu kommt, dass die Zahl der Todesopfer seit dem Jahr 2022 erkennbar rückläufig ist.
244hh) Die Provinz Daraa ist 3.730 qkm groß. In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 1 Mio. Menschen. Die Provinz befindet sich seit 2018 nominell unter der Kontrolle der syrischen Regierung. In Teilen der Provinz wird die Kontrolle jedoch durch lokale bewaffnete Gruppen ausgeübt, die der Opposition zuzurechnen sind (teilweise handelt es sich um sog. „versöhnte Rebellenkämpfer“). Die Sicherheitslage in der Provinz wird dementsprechend durch gelegentliche Kämpfe zwischen Regierungstruppen, regierungstreuen Milizen und lokalen Kräften einschließlich sog. „versöhnter Rebellenkämpfer“ gekennzeichnet. Auch Zellen des Islamischen Staates sind in der Provinz aktiv. Ein besonderes Problem bilden dabei gezielte Tötungen von Zivilisten, sog. „versöhnten Rebellenkämpfern“, Mitgliedern der staatlichen Sicherheitskräfte und anderen Repräsentanten des Regimes, zumeist durch nicht identifizierte Attentäter. SNHR dokumentierte 241 zivile und bewaffnete Todesopfer durch solche Attentate im Zeitraum von Januar bis Juli 2023. Weitere Sicherheitsprobleme verursachen die Drogenproduktion, der Drogenhandel und deren Bekämpfung sowie explosive Überreste des Bürgerkriegs.
245ACLED registrierte für den Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 756 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 247 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten oder Gruppen, 165 Explosionen oder Angriffe mit Fernwaffen und 244 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 220 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. SHNR dokumentierte 204 zivile Todesopfer in 2021, 207 zivile Todesopfer in 2022, 178 zivile Todesopfer im Zeitraum von August 2022 bis Juli 2023 und 70 zivile Todesopfer im Zeitraum von August bis November 2023. AOAV dokumentierte für das Jahr 2022 115 zivile Opfer (Tote und Verletzte) durch Explosionen. NPA meldete für das erste Quartal 2023 12 Todesopfer durch Minen.
246Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 129 - 132; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 145 - 153; NPA a.a.O.
247Damit besteht in der Provinz Daraa keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären. Die ca. zwei sicherheitsrelevanten Vorfälle und ein bis zwei zivilen Todesopfer pro Tag verteilen sich auf eine Bevölkerung von ca. 1 Mio. Menschen und eine Fläche von ca. 3.700 qkm. Der gegenteiligen Einschätzung der Europäischen Asylagentur,
248vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 121 und 132,
249vermag der Senat daher nicht zu folgen. Die Europäische Asylagentur beachtet zu wenig, dass die sicherheitsrelevanten Vorfälle und Todesopfer sich auf eine Bevölkerung von immerhin ca. 1 Mio. Menschen verteilen.
250ii) Die Provinz Quneitra ist 1.861 qkm groß. Sie ist größtenteils von Israel besetzt (Golanhöhen). In dem unter syrischer Kontrolle stehenden Teil lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 100.000 Menschen. Die syrische Regierung erlangte im August 2018 die Kontrolle der nicht von Israel besetzten Teile der Provinz von Rebellengruppen und dem Islamischen Staat zurück. Seit 2023 stationiert der Iran vermehrt eigene Soldaten und Hisbollah-Kämpfer in der Nähe der Golanhöhen, die von Israel angegriffen werden. Außerdem soll es Bombenanschläge, gezielte Tötungen, Entführungen und begrenzte Zusammenstöße zwischen staatlichen Sicherheitskräften, regierungstreuen und anderen Milizen, dem Islamischen Staat und nicht identifizierten Akteuren geben. ACLED registrierte für den Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 49 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 16 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten und Gruppen, 24 Explosionen oder Angriffe mit Fernwaffen und 9 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 16 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. SNHR dokumentierte 10 zivile Todesopfer in 2021, ein ziviles Todesopfer in 2022, drei zivile Todesopfer im Zeitraum von August 2022 bis Juli 2023 und 5 zivile Todesopfer im Zeitraum von August bis November 2023.
251Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 151 - 153; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 156 - 159.
252Damit besteht im syrisch-kontrollierten Teil der Provinz Quneitra keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären, auch wenn zuletzt die Zahl der zivilen Todesopfer gestiegen ist (ca. ein sicherheitsrelevanter Vorfall pro Woche auf ca. 100.000 Einwohner).
253jj) Die Provinz Hama ist 8.883 qkm groß. In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 1,4 Mio. Menschen. Die Provinz wird mit Ausnahme eines schmalen Streifens im Nordwesten an der Grenze zur Provinz Idlib von der syrischen Regierung und ihren Verbündeten beherrscht. Die Sicherheitslage in der Provinz ist - trotz eines bestehenden formalen Waffenstillstands - von gegenseitigen Angriffen der syrischen Armee und ihrer Verbündeten auf der einen Seite und Rebellengruppen unter dem Dach von Hayat Tahrir al-Sham in besagtem Streifen im Nordwesten der Provinz auf der anderen Seite geprägt, hauptsächlich mit Artillerie und anderen Fernwaffen. Außerdem attackiert der Islamische Staat gelegentlich Ziele im Osten der Provinz, darunter auch Zivilisten (z.B. Trüffelsucher). Ebenso fliegt die israelische Luftwaffe gelegentlich Angriffe auf Stützpunkte vom Iran bezahlter Milizen. Die Provinz ist außerdem stark vermint.
254ACLED registrierte im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 557 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 54 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten oder Gruppen, 483 Explosionen oder Angriffe mit Fernwaffen und 20 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 225 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. SNHR dokumentierte 88 zivile Todesopfer in 2021, 36 zivile Todesopfer in 2022, 76 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 und 14 zivile Todesopfer im Zeitraum von August bis November 2023. NPA meldete 60 Todesopfer (zivile und militärische) durch Minen für das erste Quartal 2023.
255Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 136 f.; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 75 - 81; NPA a.a.O.
256Damit besteht in der Provinz Hama keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären (ca. zwei sicherheitsrelevante Vorfälle pro Tag bei einer Bevölkerung von ca. 1,4 Mio. Menschen auf ca. 8.800 qkm). Der vorübergehende Anstieg der Zahl ziviler Todesopfer in 2023 ging offensichtlich auf Angriffe des Islamischen Staates auf Trüffelsucher im Osten der Provinz im März und April 2023 zurück.
257kk) Die Provinz Aleppo ist 18.500 qkm groß. In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 4,2 Mio. Menschen. Die Herrschaft über die Provinz ist geteilt. Im Norden der Provinz kontrollieren die von der Türkei unterstützten und in der Syrische Nationalarmee (SNA) organisierten Milizen Teile der Distrikte Afrin, Azaz, Al Bab und Jarabulus. Westlich der Provinzhauptstadt Aleppo an der Grenze zur Provinz Idlib kontrollieren die unter dem Dach von Hayat Tahrir al Sham (HTS) zusammengeschlossenen islamistischen Milizen einen schmalen Streifen. Die kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG) sind in Teilen der Stadt Aleppo, in Tall Rifaat, in Manbidsch und in Ain al Arab (Kobane) präsent. Der Rest der Provinz wird von der syrischen Regierung und ihren Verbündeten kontrolliert. Entsprechend dieser Ausgangslage wird die Sicherheitslage in der Provinz durch Auseinandersetzungen zwischen den drei Hauptakteuren: syrische Regierung und Verbündete, Hayat Tahrir al Sham und Türkei und Verbündete geprägt, und zwar hauptsächlich in Form von Artillerieduellen sowie Luft- und Raketenangriffen an den verschiedenen Fronten.
258ACLED registrierte im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 2.735 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 551 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten oder Gruppen, 1.717 Explosionen und Angriffe mit Fernwaffen und 467 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 1.077 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. SNHR dokumentierte 231 zivile Todesopfer in 2021, 224 zivile Todesopfer in 2022, 151 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 und 54 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023. AOAV registrierte 447 zivile Opfer (Tote und Verletzte) in der Provinz im Jahr 2022. NPA meldete 40 Todesopfer (Zivilisten und Militärs) durch Landminen für das erste Quartal 2023.
259Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 122 - 126; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 61 - 73; NPA a.a.O.
260Damit besteht bezogen auf die gesamte Provinz Aleppo keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären. Zwar erscheint die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle und der zivilen Todesopfer absolut gesehen hoch (2.735 sicherheitsrelevante Vorfälle im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023, 1.077 sicherheitsrelevante Vorfälle im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023, das sind 8 bis 9 sicherheitsrelevante Vorfälle pro Tag im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 30. November 2023, 13 bis 14 zivile Todesopfer pro Monat im selben Zeitraum). Sie verteilen sich aber auf ca. 4,2 Mio. Einwohner. Damit war die Zahl der zivilen Todesopfer im Verhältnis zur Bevölkerungszahl relativ gering. Auch in der Provinz Aleppo zeigt sich demnach, dass sich die Kämpfe und Angriffe hauptsächlich zwischen bewaffneten Einheiten entlang der diversen Frontlinien innerhalb der Provinz abspielen, mögen davon auch Zivilisten mitbetroffen werden. Dies belegt auch die Verteilung der sicherheitsrelevanten Vorfälle und Kämpfe innerhalb der Provinz. Im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 ereigneten sich die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle und Kämpfe in den umkämpften Distrikten Jebel Saman (umfasst außer der Provinzhauptstadt Aleppo auch die westliche Konfliktzone mit Hayat Tahrir al Sham) (901 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 145 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten oder Gruppen), Azaz (646 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 128 Kämpfe), Afrin (515 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 97 Kämpfe) und Al Bab (283 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 125 Kämpfe). Die 192 sicherheitsrelevanten Vorfälle im Distrikt Ain al Arab dürften im Wesentlichen auf Angriffe der Türkei auf Stellungen der kurdischen Volkverteidigungseinheiten (YPG) zurückzuführen sein (169 Explosionen oder Angriffe mit Fernwaffen). Dagegen ereigneten sich in dem im südlichen Teil der Provinz gelegenen Distrikt As-Safira nur 6 sicherheitsrelevante Vorfälle.
261Vgl. EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 71 (regionale Verteilung) und 67 f. (Angriffe der Türkei auf YPG-Stellungen).
262Der Senat folgt daher nicht der Einschätzung der Europäischen Asylagentur, in der Provinz Aleppo bestehe eine Situation, in der jeder Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit in der Provinz ernsthaft damit rechnen müsse, getötet oder verletzt zu werden.
263Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 121 und 127.
264Die Europäische Asylagentur beachtet nicht ausreichend, dass die Auseinandersetzungen in der Provinz hauptsächlich zwischen bewaffneten Akteuren stattfinden, mögen von diesen auch Zivilisten mitbetroffen werden, und sie würdigt auch die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle und der toten und verletzten Zivilisten im Verhältnis zur Bevölkerungszahl der Provinz nicht zutreffend.
265ll) Die Provinz Idlib ist 6.097 qkm groß. In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 2,9 Mio. Menschen. Der Nordwesten der Provinz wird von den in Hayat Tahrir al Sham zusammengeschlossenen Milizen beherrscht, der Südosten von der syrischen Regierung und ihren Verbündeten. Dementsprechend ist die Sicherheitslage in der Provinz von Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Gruppierungen entlang der seit 2020 formal bestehenden Waffenstillstandlinie geprägt, und zwar auch hier hauptsächlich in der Form von Artillerie-, Raketen- und Luftangriffen.
266ACLED registrierte 1.837 sicherheitsrelevante Vorfälle im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023, davon 187 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten oder Gruppen, 1.569 Explosionen und Angriffe mit Fernwaffen und 81 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 1.030 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. SNHR dokumentierte 246 zivile Todesopfer in 2021, 147 zivile Todesopfer in 2022, 91 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 und 84 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023. AOAV dokumentierte 279 zivile Opfer (Tote und Verletzte) in 2022. NPA meldete 13 Todesopfer (Zivilisten und Militärs) für das erste Quartal 2023.
267Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 145 - 148; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 49 - 59; NPA a.a.O.
268Damit besteht in der Provinz Idlib keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären, auch wenn zuletzt die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle und der zivilen Todesopfer angestiegen ist (von ca. 5 Vorfällen pro Tag und zwei zivilen Todesopfern pro Woche im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 auf ca. 9 Vorfälle pro Tag und 5 zivile Todesopfer pro Woche im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023). Diese verteilen sich auf immerhin ca. 2,9 Mio. Einwohner. Entscheidend ist auch hier, dass sich die Angriffe hauptsächlich zwischen den bewaffneten Akteuren entlang der sog. Waffenstillstandslinie abspielen, mögen hiervon auch Zivilisten mitbetroffen werden. Dies spiegelt sich auch in der räumlichen Verteilung der sicherheitsrelevanten Vorfälle innerhalb der Provinz wider. Im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 ereigneten sich die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle in den Distrikten im Süden und in der Mitte der Provinz (Ariha: 661 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 621 Explosionen oder Angriffe mit Fernwaffen; Al Mara: 601 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 523 Explosionen und Angriffe mit Fernwaffen; Idlib: 458 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 351 Explosionen und Angriffe mit Fernwaffen), die wenigsten in den im Nordwesten an der Grenze zur Türkei gelegenen Distrikten (Jisr-Ash-Shogur: 61 Vorfälle; Harim: 56 Vorfälle).
269Vgl. EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 57.
270Der Senat teilt daher nicht die Einschätzung der Europäischen Asylagentur, in der Provinz Idlib bestehe eine Situation, in der jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz der ernsthaften Gefahr des Todes oder einer Verletzung ausgesetzt sei.
271Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 121 und 149.
272Die Europäische Asylagentur würdigt nicht ausreichend das Verhältnis der sicherheitsrelevanten Vorfälle und Todesopfer zur Bevölkerungszahl der Provinz sowie die Tatsache, dass sich die Angriffe mit Fernwaffen (das Hauptsicherheitsproblem der Provinz) in erster Linie zwischen bewaffneten Akteuren ereignen, mögen davon auch Zivilisten mitbetroffen werden.
273mm) Die Provinz Latakia ist 2.297 qkm groß. In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 1,2 Mio. Einwohner. Die Provinz wurde während des gesamten Bürgerkriegs und wird weiterhin von der syrischen Regierung beherrscht mit Ausnahme eines schmalen Streifens im Nordosten der Provinz, der an die Provinz Idlib grenzt und von Hayat Tahrir al Sham beherrscht wird. Dementsprechend ist die Sicherheitslage in der Provinz von gelegentlichen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Hayat Tahrir al Sham gekennzeichnet. ACLED registrierte für den Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 263 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 74 Kämpfe zwischen bewaffneten Einheiten oder Gruppen, 185 Explosionen oder Angriffe mit Fernwaffen und 4 Angriffe auf Zivilisten. Im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023 wurden 146 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Hayat Tahrir al Sham spiegeln sich auch in der räumlichen Verteilung der sicherheitsrelevanten Vorfälle innerhalb der Provinz. Im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 ereigneten sich die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle in dem nordöstlichen Distrikt Al-Hafa (160 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 105 Explosionen und Angriffe mit Fernwaffen und 55 Kämpfe), gefolgt von dem nördlichen Distrikt Latakia (94 sicherheitsrelevante Vorfälle, davon 77 Explosionen oder Angriffe mit Fernwaffen, 15 Kämpfe und 2 Angriffe auf Zivilisten). Dagegen ereigneten sich in den südlichen Distrikten Al-Qardaha und Jablah kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Al-Qardaha: 4; Jablah: 5). Ferner dokumentierte SNHR zwei zivile Todesopfer in der Provinz in 2021, vier zivile Todesopfer in 2022, 5 zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 und drei zivile Todesopfer im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023.
274Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 149 - 151; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 84 - 89.
275Damit besteht in der Provinz Latakia keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären, auch wenn zuletzt die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle und der zivilen Todesopfer leicht angestiegen ist (weniger als ein ziviles Todesopfer pro Monat auf ca. 1,2 Mio. Einwohner).
276nn) Die Provinz Tartous ist 1.892 qkm groß. In ihr lebten im Mai 2022 geschätzt etwa 900.000 Einwohner. Die Provinz wurde während des gesamten Bürgerkriegs und wird weiterhin von der syrischen Regierung kontrolliert. Dementsprechend gibt es nur sehr wenige sicherheitsrelevante Vorfälle in der Provinz (6 im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 28. Juli 2023 und 5 im Zeitraum vom 1. August bis zum 30. November 2023), hauptsächlich israelische Luftangriffe auf iranische Stützpunkte, und auch keine konfliktbedingten zivilen Todesopfer.
277Vgl. EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024, S. 162 f.; EUAA, Syria - Security Situation, Oktober 2023, S. 90 - 93.
278Damit besteht in der Provinz Tartous keine Situation, in der Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären.
279b) Dem Kläger droht schließlich bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Eine solche droht ihm zunächst nicht wegen Wehrdienstentziehung, illegaler Ausreise aus dem Land, Asylantragstellung und langjährigem Aufenthalt im westlichen Ausland, wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit oder seiner Herkunft aus I. (siehe oben I.1.b)).
280Allerdings besteht die Möglichkeit, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien Opfer eines Erpressungsversuchs durch die syrischen Grenzbeamten würde. Nach den - plausiblen - Darlegungen einer vom Dänischen Einwanderungsdienst im April 2022 befragten syrischen Menschenrechtsorganisation hat infolge der schlechten wirtschaftlichen Lage Geld einen steigenden Einfluss darauf bekommen, wie die syrischen Behörden ihre Bürger in Syrien behandeln, einschließlich Rückkehrern aus dem Ausland. Dies zeige sich beispielsweise daran, dass in den Sicherheitsdiensten die Beamten jede Gelegenheit wahrnähmen, sich durch Erpressung von Geld von denjenigen zu bereichern, mit denen sie zu tun hätten. Wenn der verantwortliche Beamte an einem Grenzkontrollpunkt herausfinde, dass ein Rückkehrer im Besitz einer beträchtlichen Summe Geldes oder anderer Vermögenswerte sei, bereite er dieser Person möglicherweise Probleme, um Geld von ihr zu erpressen. Die syrische Menschenrechtsorganisation kannte mehrere Beispiele von Personen, die bei ihrer Rückkehr verhaftet und in Haft gehalten worden seien, bis sie ein Bestechungsgeld gezahlt hatten, um entlassen zu werden.
281Vgl. DIS, Syria. Treatment upon return, Mai 2022, S. 22, Nr. 5.
282Ob ein solcher Erpressungsversuch auch beim Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus erfolgen und darüber hinaus auch mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung einhergehen würde, vermag der Senat indes nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren. Dies scheint nach den plausiblen Darlegungen der syrischen Menschenrechtsorganisation vielmehr von den Umständen des Einzelfalls abzuhängen, nämlich davon, ob der betreffende syrische Grenzbeamte aufgrund irgendwelcher Indizien den Eindruck gewinnt, dass der Rückkehrer über Geld verfügt, so dass ein Erpressungsversuch lohnend erscheint. Ob der Kläger solche Indizien und ggf. welche bei einer Rückkehr aufweisen würde, vermag der Senat nicht vorherzusagen. Allein die Rückkehr aus Westeuropa bildet nach Ansicht des Senats kein hinreichendes Indiz dafür, dass die betreffende Person von den syrischen Grenzbeamten als eine Person wahrgenommen würde, bei der ein Erpressungsversuch lohnend erscheint. Für eine solche Annahme müsste es angesichts zahlreicher Rückkehrer aus Europa nach Syrien in den vergangenen Jahren - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat allein in den Jahren 2017 und 2018 und der ersten Hälfte des Jahres 2019 792 freiwillige Ausreisen nach Syrien finanziert -
283vgl. Deutsche Welle, Immer mehr syrische Flüchtlinge wollen zurück in die Heimat, vom 5. Juli 2019 -
284eine ausreichende Anzahl von Präzedenzfällen für Erpressungsversuche geben. Solche Präzedenzfälle sind dem Senat indes nicht bekannt geworden. Aus den Darlegungen der syrischen Menschenrechtsorganisation geht nicht hervor, aus welchen Ländern die Personen nach Syrien zurückkehrten, die nach Kenntnis der syrischen Menschenrechtsorganisation Opfer von Erpressungsversuchen geworden waren.
2852. Selbst wenn dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde, könnte ihm der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt werden. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat. Dies ist beim Kläger der Fall (siehe oben I.2.b)).
286III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
287IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 der Zivilprozessordnung.
288V. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 VwGO zuzulassen, weil ein dort genannter Zulassungsgrund nicht vorliegt.
289Die Zulassung der Revision nach § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG steht im Ermessen des Oberverwaltungsgerichts. Der Senat übt sein Ermessen dahingehend aus, dass die Zulassung unterbleibt. Der Senat sieht keinen Klärungsbedarf der hier potentiell fallübergreifenden Tatsachenfragen der Verfolgung eines Kurden, der seinen Wehrdienst bereits abgeleistet hatte, aus dem Nordosten Syriens durch den syrischen Staat oder durch die kurdische Selbstverwaltung in Nordost-Syrien durch das Bundesverwaltungsgericht. Die Frage, ob Syrer noch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erfüllen, könnte im vorliegenden Fall durch das Bundesverwaltungsgericht nicht geklärt werden, da der Kläger jedenfalls von der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ausgeschlossen ist.