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Kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit auf die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Behördenentscheidung, hier des Widerspruchbescheids, an, steht diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO aber noch aus, hat das Gericht die voraussichtliche Widerspruchsentscheidung zu prognostizieren. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Widerspruchsbehörde seit Erlass des Ausgangsbescheids bekannt gewordene, entscheidungserhebliche Tatsachen berücksichtigen wird.
Die Notwendigkeit eines bereits wegen Unzuverlässigkeit ausgesprochenen, aber noch nicht bestandskräftigen Widerrufs einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung einer juristischen Person kann entfallen, sobald diese bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens in die Hände eines im Sinne von § 13 Abs. 1 PBefG zuverlässigen und fachlich geeigneten Geschäftsführers gelangt ist. Dies setzt aber voraus, auch um Missbrauchsgestaltungen durch lediglich formale Geschäftsführerwechsel vorzubeugen, dass nachhaltig und ernsthaft eine Zäsur in der Geschäftsführung eingetreten ist und deshalb begründeter Anlass für die Annahme besteht, dass das Personenbeförderungsgewerbe der juristischen Person nunmehr künftig ordnungsgemäß ausgeübt werden wird.
Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts M. vom 14. September 2023 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Es wird festgestellt, dass sich das Verfahren erledigt hat, soweit die Antragstellerin zu 3. die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die gegen sie gerichtete Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 4. Juli 2023 beantragt hatte.
Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. wird die aufschiebende Wirkung ihrer jeweiligen Widersprüche gegen die Ordnungsverfügungen der Antragsgegnerin vom 4. Juli 2023 wiederhergestellt bzw. angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 385.000 Euro festgesetzt.
A. Auf die von der Antragstellerin zu 3. mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2023 abgegebene, einseitig gebliebene Erledigungserklärung war wie tenoriert festzustellen, dass das Verfahren hinsichtlich ihres Antrags erledigt ist.
2Vgl. zum Feststellungstenor und Streitgegenstand: BVerwG, Urteil vom 12. April 2001 - 2 C 16.00 -, BVerwGE 114, 149 = juris, Rn. 11 ff., m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2021 - 1 B 803/21 -, juris, Rn. 1 ff., m. w. N.
3Insoweit ist ein außerprozessuales Ereignis eingetreten, das dem Begehren der Antragstellerin zu 3. auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach zulässiger Einlegung der Beschwerde die Grundlage entzogen hat. Die angegriffene Ordnungsverfügung vom 4. Juli 2023 ist durch Zeitablauf gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG NRW unwirksam geworden, weil die damit widerrufenen Genehmigungen der Antragstellerin zu 3. bis zum 13. Dezember 2023 befristet waren und danach ohnehin ihre Gültigkeit verloren haben. Vor diesem Hintergrund gehen von dem Widerruf keine weiteren Wirkungen mehr aus, auch nicht mit Blick auf die beantragte Wiedererteilung.
4B. Die nach § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. ist begründet.
5Es besteht Anlass, den angefochtenen Beschluss zu ändern und die aufschiebende Wirkung der jeweiligen Widersprüche der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. gegen die Ordnungsverfügungen der Antragsgegnerin vom 4. Juli 2023 über den Widerruf von Genehmigungen für den Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen und die damit verbundenen Regelungen wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Die gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwände greifen zwar nicht durch (I.). Auf Grundlage der im maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung bekannten Sachlage überwiegt allerdings das Aussetzungsinteresse der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung (II.).
6I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. September 2023 ist hinsichtlich der Prüfung der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Ordnungsverfügungen auf Grundlage der seinerzeit bekannten Tatsachen nicht zu beanstanden.
71. Die Beschwerde geht davon aus, die angebliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerinnen könne nicht auf die vom Verwaltungsgericht angeführten Verstöße gegen die Genehmigungspflicht am 10., 21. und 22. Juli 2023 gestützt werden, weil bereits ab dem Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung am 7. Juli 2023 und des am gleichen Tag gestellten Antrags auf Erlass einer den Vollzug der Widerrufe aussetzenden Zwischenverfügung und nicht erst am 26. Juli 2023 die Voraussetzungen für den dann vom Verwaltungsgericht erlassenen Hängebeschluss vorgelegen hätten. Das Vorgehen der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts sei im Hinblick auf das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unhaltbar.
8Dieser Einwand greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat die fehlende Zuverlässigkeit der Antragstellerinnen maßgeblich darauf gestützt, dass deren (damaliger) gemeinsamer Geschäftsführer nach dem Erlass der sofort vollziehbaren Widerrufsverfügungen den Mietwagenbetrieb nicht einstellte, sondern fortführte, obwohl er infolge der sofort vollziehbaren Widerrufsverfügungen nicht mehr über die dazu erforderlichen (vollziehbaren) Genehmigungen nach dem Personenbeförderungsgesetz verfügte. Es kann offen bleiben, ob im Falle einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch einen verspäteten Erlass eines Hängebeschlusses diese genehmigungslose Tätigkeit rückwirkend (ex tunc ab Antragstellung) legalisiert wird. Selbst wenn man dies annehmen wollte, fehlte es jedenfalls vorliegend an einem Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Denn das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Hängebeschlusses erst vorlagen, nachdem die Antragstellerinnen mit Schriftsatz vom 24. Juli 2023 ihre betriebswirtschaftliche Situation auch gegenüber der Antragsgegnerin hinreichend offengelegt und glaubhaft gemacht hatten. Erst auf dieser Grundlage ließ sich prozessordnungsgemäß verlässlich beurteilen, ob die von den Antragstellerinnen geltend gemachte irreparable Existenzvernichtung tatsächlich drohte.
9Nach der auch von den Antragstellerinnen zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben Verwaltungsbehörden bei den ihnen obliegenden Ermessensentscheidungen über Vollstreckungsmaßnahmen zu berücksichtigen, dass der in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verlangte umfassende und wirksame gerichtliche Rechtsschutz illusorisch wäre, wenn sie irreparable Maßnahmen durchführten, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben. Dies gilt auch für den vorläufigen Rechtsschutz. Von Verfassungs wegen liegt es unter Berücksichtigung der Effektivität verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes jedenfalls nahe, für die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens – zumindest soweit ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht offensichtlich aussichtslos oder rechtsmissbräuchlich ist – von Maßnahmen der Vollstreckung abzusehen, wenn anderenfalls schwere und unabwendbare Nachteile drohen. Weigert sich eine Verwaltungsbehörde in diesen Fällen trotz formloser gerichtlicher Aufforderung ohne ersichtlichen Grund bis zur endgültigen Entscheidung im Eilverfahren auf Vollstreckungsmaßnahmen zu verzichten, obliegt es dem Gericht, dies der Behörde durch einen sogenannten Hängebeschluss förmlich aufzugeben. Kommt das Fachgericht dem nicht nach, verletzt es seinerseits die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
10Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. Oktober 2013 ‑ 1 BvR 2616/13 -, NVwZ 2014, 363 = juris, Rn. 7 f., m. w. N., und vom 4. Juni 1987 - 1 BvR 620/87 -, NJW 1987, 2219 = juris, Rn. 4.
11Es genügt jedoch nicht, solche irreparablen Nachteile lediglich zu behaupten; sie sind substantiiert und nachvollziehbar darzulegen.
12Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. November 2020 ‑ 4 VR 6.20 -, juris, Rn. 4, und vom 20. August 2012 ‑ 7 VR 7.12 -, juris, Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 18. August 2022 - 13 B 851/22 -, juris, Rn. 9.
13Ausgehend davon war das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet, den Hängebeschluss bereits mit Antragstellung am 7. Juli 2023 zu erlassen oder spätestens als die Antragstellerinnen mit Schriftsatz vom 18. Juli 2023 zunächst nur geschwärzte Fassungen ihrer betriebswirtschaftlichen Auskünfte zur Übermittlung an die Antragsgegnerin vorgelegt hatten. Die mit diesem Schriftsatz nur für das Gericht vorgelegten ungeschwärzten Fassungen dieser Unterlagen hat es zu Recht nicht verwertet und an die Antragstellerinnen zurückgesandt.
14Die Geheimhaltung des Sachvortrags eines Beteiligten ist ohne entsprechende gesetzliche Grundlage mit dem in Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz des rechtlichen Gehörs unvereinbar. Dieser Grundsatz gebietet es, dass einer gerichtlichen Entscheidung regelmäßig nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden dürfen, zu denen alle Beteiligten Stellung nehmen konnten.
15Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 ‑ 1 BvR 2192/21 -, NJW 2021, 3654 = juris, Rn. 14, m. w. N., vom 27. Oktober 1999 ‑ 1 BvR 385/90 -, BVerfGE 101, 106 = juris, Rn. 90, und vom 26. Mai 1981 - 2 BvR 215/81 -, BVerfGE 57, 250 = juris, Rn. 63.
16Auch staatliche Organisationseinheiten, die nicht grundrechtsfähig sind, können sich auf die grundrechtsgleichen Prozessrechte wie insbesondere den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG sowie die weiteren aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Gewährleistungen berufen. Als objektive Verfahrensgrundsätze müssen sie jedem zugutekommen, der von dem Verfahren unmittelbar betroffen ist. Die Funktion richterlicher Entscheidungen im Rechtsstaat rechtfertigt sich nur, wenn sie unter Beachtung der Erfordernisse eines gehörigen Verfahrens gewonnen werden, die im Interesse gerechter richterlicher Urteilsfindung unverzichtbar sind.
17Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61, 82 = juris, Rn. 63 f., m. w. N.
18In Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör schreibt § 86 Abs. 4 Satz 3 VwGO allgemein für das verwaltungsgerichtliche Verfahren vor, Schriftsätze eines Beteiligten allen anderen Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln. Jeder Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens darf sich daher darauf verlassen, dass sich in der Gerichtsakte, auf deren Inhalt die gerichtliche Entscheidung aufbaut, keine Schriftsätze anderer Beteiligter befinden, die er nicht kennt.
19Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. November 2012 - 7 C 1.12 -, NVwZ 2013, 431 = juris, Rn. 16, und vom 14. Juli 1987 - 6 C 60.86 -, BVerwGE 78, 30 = juris, Rn. 13.
20Schriftsätze eines Beteiligten, die von ihm als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet und nur zur Kenntnisnahme für das Gericht oder für ausgewählte Beteiligte übersandt werden, können daher nicht ohne Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Gleiches gilt, wenn der Beteiligte für einen bestimmten Prozessbeteiligten geschwärzte Abschriften seiner Schriftsätze mit dem Hinweis beifügt, dass die ungeschwärzte Fassung nicht weitergegeben werden dürfe. Das Gericht ist prozessrechtlich gehindert, die gerichtliche Sachentscheidung hierauf zu stützen. Solche Schriftsätze gehören daher von vornherein nicht zu den Gerichtsakten. Sie müssen grundsätzlich bereits mit Eingang bei Gericht an den Absender zurückgesandt werden. Zugleich ist dem Absender Gelegenheit zu geben, gegebenenfalls ergänzend in einer Weise vorzutragen, die es ermöglicht, den Inhalt allen Beteiligten zur Kenntnis zu geben.
21Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 = juris, Rn. 17; OVG NRW, Urteil vom 1. April 2014 - 8 A 654/12 -, NWVBl. 2015, 145 = juris, Rn. 61 ff., 73 f., m. w. N.
22Diesen verfassungsrechtlich verbürgten Vorgaben ist das Verwaltungsgericht nachgekommen, als es die mit Schriftsatz vom 18. Juli 2023 nur für das Gericht ungeschwärzt übersandten Anlagen an die Antragstellerinnen zurückgesandt hat.
23Die Anforderungen aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 86 Abs. 4 Satz 3 VwGO waren vorliegend nicht aufgrund von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG abgesenkt, weil der sofortige Erlass einer Zwischenverfügung aus Gründen effektiven Rechtsschutzes zwingend notwendig gewesen wäre.
24Vgl. Guckelberger, NVwZ 2001, 275 (277); siehe zum äußerungsrechtlichen einstweiligen Verfügungsverfahren die strenge Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: statt vieler BVerfG, Beschluss vom 10. November 2022 - 1 BvR 1941/22 -, NJW 2023, 759 = juris, Rn. 22 f.
25Die Anhörung der Antragsgegnerin vor Erlass des stattgebenden Hängebeschlusses war nicht wegen besonderer Eilbedürftigkeit verzichtbar. In den von den Antragstellerinnen zitierten Entscheidungen war der Erlass des Hängebeschlusses auch ohne (weitere) Anhörung der Behörde wegen erhöhter Eilbedürftigkeit für geboten erachtet worden, weil die Abschiebung eines Ausländers drohte,
26Hess. VGH, Beschluss vom 4. April 2000 - 12 TZ 577/00 -, DVBl. 2000, 1464 = juris, Rn. 6,
27bzw. nachdem ein Erörterungstermin mit den Beteiligten stattgefunden hatte,
28VG Augsburg, Beschluss vom 28. Januar 2020 - Au 7 E 20.167 -, juris, Rn. 52 f., zur Sicherung des Anspruchs auf Zulassung eines Bürgerbegehrens im Hinblick auf eine kurzfristig anstehende Bauleitplanung,
29bzw. bereits ein erstinstanzliches Verfahren durchlaufen und die Behörde zu dem im Beschwerdeverfahren begehrten Erlass einer Zwischenverfügung vor Eingang der Beschwerdebegründung Stellung genommen hatte.
30Bay. VGH., Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 4 CE 18.2578 -, juris, Rn. 1 f., zum kurzfristig terminierten Satzungsbeschluss über den Erlass eines Bebauungsplans.
31So liegt der Fall hier nicht. Zum einen war keine Dringlichkeit dargelegt oder sonst ersichtlich, die etwa mit derjenigen einer bevorstehenden Abschiebung oder einer termingebundenen Entscheidung vergleichbar wäre, bei der eine – auch nur kurzfristige – Anhörung der Antragsgegnerin den Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes vereiteln könnte. Zum anderen ist nicht erkennbar, dass der Behörde in den von den Antragstellerinnen angeführten Fällen ein für den Erlass der Zwischenverfügung im Tatsächlichen entscheidungserheblicher Umstand unbekannt gewesen wäre. So wäre es aber hier gewesen – nach ursprünglicher Vorstellung der Antragstellerinnen sogar auf Dauer –, wenn das Verwaltungsgericht seinen Hängebeschluss bereits erlassen hätte, bevor die Antragstellerinnen mit Schriftsatz vom 24. Juli 2023 ihre betriebswirtschaftliche Situation auch gegenüber der Antragsgegnerin hinreichend offengelegt und glaubhaft gemacht hatten.
32Im Übrigen wäre es den Antragstellerinnen unbenommen gewesen, bereits mit Schriftsatz vom 18. Juli 2023 bzw. sogar schon bei Stellung des Antrags am 7. Juli 2023 ungeschwärzte Fassungen der entscheidungserheblichen Unterlagen auch für die Antragsgegnerin vorzulegen und auf dieser Grundlage früher eine stattgebende Zwischenverfügung zu erhalten. Insoweit bestand nicht die Gefahr, dass exklusives wettbewerbserhebliches Wissen Konkurrenten zugänglich gemacht wird. Die vorgelegten betriebswirtschaftlichen Informationen wären ausschließlich gegenüber einem Gericht und einer Behörde offengelegt worden, ohne dass diese weitergegeben werden. Deshalb werden die geschützten Möglichkeiten einer erfolgreichen Berufsausübung unter Rückgriff auf das eigene kaufmännische Wissen nicht gemindert, wenn die von ihr zunächst als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse deklarierten Informationen auch der Antragsgegnerin zugänglich gemacht werden.
33Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 27. April 2021 ‑ 2 BvR 206/14 -, BVerfGE 158, 1 = juris, Rn. 52, m. w. N.
342. Ebenso wenig greift der Einwand der Beschwerde durch, Verstöße, die erst nach Anordnung der sofortigen Vollziehung begangen worden sein sollen, dürften nicht für den Widerruf herangezogen werden, weil die Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung als behördliche Ermessensentscheidung vom Gericht nur auf Grundlage der bereits dabei aufgezeigten Umstände zu überprüfen sei.
35Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nimmt das Gericht zur Beantwortung der Frage, ob die aufschiebende Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs wiederherzustellen ist, eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Aufschubinteressen vor.
36Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. März 2010 ‑ 7 VR 1.10 -, juris, Rn. 13; OVG NRW, Beschluss vom 13. August 2021 - 13 B 1403/20 -, NWVBl. 2022, 75 = juris, Rn. 8 f., m. w. N.
37Davon zu unterscheiden ist die gerichtliche Überprüfung der von der Behörde für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gewählten Begründung. Diese ist (nur) an den Vorgaben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO zu messen. Die materielle Beurteilung, ob das private Aussetzungsinteresse gegenläufige Vollzugsinteressen überwiegt, ist hingegen neben der regelmäßig summarischen Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung Teil der gerichtlichen Interessenabwägung.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. August 2021 ‑ 13 B 1403/20 -, NWVBl. 2022, 75 = juris, Rn. 10 ff., m. w. N.
39Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht bei der summarischen Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Widerrufsverfügungen zu Recht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt und nach Bescheiderlass bekannt gewordene Erkenntnisse eigenständig berücksichtigt. Dem liegt zugrunde, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung wegen Unzuverlässigkeit auf die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Behördenentscheidung ankommt, das sind hier die noch ausstehenden Widerspruchsbescheide.
40Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 1996 - 11 B 53.96 -, juris, Rn. 4, m. w. N.
41Folgerichtig hat das Verwaltungsgericht zumindest bei der hier nach § 25 Abs. 1 Satz 1 PBefG vorliegenden gebundenen Widerrufsentscheidung Änderungen der Sach- und Rechtslage in die gerichtliche Abwägungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO eingestellt. Steht der Widerspruchsbescheid – wie hier – noch aus, hat das Gericht die voraussichtliche Widerspruchsentscheidung zu prognostizieren. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Widerspruchsbehörde seit Erlass des Ausgangsbescheids bekannt gewordene, entscheidungserhebliche Tatsachen berücksichtigen wird. Vorliegend hat die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren sogar erklärt, dass (unter anderem) durch die Fahrten ohne die erforderliche Genehmigung zwischen Bekanntgabe der Ordnungsverfügung am 4. Juli 2023 und Erlass des Hängebeschlusses am 26. Juli 2023 ein Verstoß gegen die Genehmigungspflicht aus § 2 Abs. 1 Nr. 4 PBefG vorliegt, der die Unzuverlässigkeit der Antragstellerinnen bzw. die persönliche Unzuverlässigkeit ihres Geschäftsführers belege; die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dessen Eilbeschluss vom 14. September 2023 mache sie sich zu eigen.
423. Auf die Rüge der Beschwerde, die von der Antragsgegnerin in den Widerrufsverfügungen angeführten Verstöße seien nicht als schwer im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 a) PBZugV einzustufen, nicht konkret benannt oder im Hinblick auf angebliche Verstöße gegen die Rückkehrpflicht jedenfalls aus rechtlichen Gründen unbeachtlich, kommt es nach dem vom Verwaltungsgericht – wie ausgeführt – zutreffend angelegten Beurteilungszeitpunkt nicht an. Die nach Aktenlage feststellbaren Verstöße gegen die Genehmigungspflicht genügen bereits für sich genommen, um für die Annahme der Unzuverlässigkeit hinreichend schwere Verstöße zu begründen. Auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts insoweit (Beschlussabdruck, Seite 9, zweiter Absatz, bis Seite 10, vorletzter Absatz, Seite 12, vorletzter Absatz, bis Seite 16, zweiter Absatz) wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug genommen. Die Beschwerde hat diese bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht substantiiert angegriffen, sondern sich im Wesentlichen auf den Standpunkt gestellt, dass ihr die Verstöße aus den unter 1. und 2. erörterten rechtlichen Gründen nicht angelastet werden könnten.
43Die Beschwerde meint ferner, zu den behaupteten Verstößen gegen die Genehmigungspflicht nach Erlass der Widerrufe hätte es nicht kommen können, wenn die Ordnungsverfügungen mangels Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen nicht erlassen worden wären. Diese hypothetische Annahme ändert nichts daran, dass die Widerrufe, selbst wenn ihre anfängliche Rechtswidrigkeit unterstellt wird, wirksam und vollziehbar waren, sodass die damit verbundenen Rechtsfolgen von den Antragstellerinnen zu beachten waren, solange sie gerichtlich nicht suspendiert worden sind.
444. a) Die Beschwerde legt nicht dar, dass die Antragstellerinnen im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Verstöße zunächst gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 PBefG abzumahnen gewesen wären.
45Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 PBefG ist die erforderliche Zuverlässigkeit des Unternehmers insbesondere nicht mehr gegeben, wenn in seinem Verkehrsunternehmen trotz schriftlicher Mahnung die der Verkehrssicherheit dienenden Vorschriften nicht befolgt werden oder den Verpflichtungen zuwidergehandelt wird, die dem Unternehmer nach diesem Gesetz oder nach den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften obliegen. Das Verwaltungsgericht hat angenommen (Beschlussabdruck, Seite 8, vorletzter Absatz), dass die Vorschrift wegen der Verwendung des „insbesondere“ kein ausnahmsloses Abmahnungserfordernis statuiere. Vielmehr schließe sie nicht aus, dass der Widerruf auch ohne vorherige Abmahnung auszusprechen sei, wenn bereits dem bisherigen gesetzwidrigen und damit unzuverlässigen Verhalten des Unternehmers ein Gewicht zukomme, das das zusätzliche Erfordernis besonderer behördlicher Abmahnungsmaßnahmen bedeutungslos mache.
46Diese Auslegung des § 25 Abs. 1 Satz 2 PBefG steht in Einklang mit der auch vom Verwaltungsgericht zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung.
47Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. September 1979 ‑ 7 B 56.79 -, Buchholz 442.01 § 25 PBefG Nr. 1 = juris, Rn. 4.
48Auch mit der Subsumtion des Verwaltungsgerichts zur Entbehrlichkeit der Abmahnung für die nach Bescheiderlass neu hinzugekommenen Verstöße (Beschlussabdruck, Seite 16, letzter Absatz) setzt sich die Beschwerdebegründung nicht hinreichend auseinander, wenn sie darauf abstellt, dass die Antragsgegnerin den Antragstellerinnen die in den Ordnungsverfügungen vom 4. Juli 2023 aufgeführten Verstöße vorher hätte mitteilen müssen, damit sie ihren Geschäftsbetrieb gegebenenfalls daran hätte ausrichten können.
49b) Ebenso wenig zeigt die Beschwerde auf, dass eine etwaig unterbliebene Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG NRW die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche rechtfertigt.
50Das Verwaltungsgericht (Beschlussabdruck, Seite 5, fünfter Absatz) hat offen gelassen, ob die Antragstellerinnen von der Antragsgegnerin im Rahmen der Betriebsprüfungen am 22. Juni 2023 im Sinne von § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört wurden bzw. gegebenenfalls eine Anhörung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurde. Jedenfalls wäre der von den Antragstellerinnen gerügte Anhörungsfehler gemäß § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Die Beschwerde ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 46 VwVfG NRW nicht vorlägen, weil durch eine Anhörung die Entscheidung in der Sache beeinflusst worden wäre. Es komme insofern nicht darauf an, dass auf Grundlage von § 25 Abs. 1 Satz 1 PBefG eine gebundene Widerrufsentscheidung ergehe. Denn der gebundenen Entscheidung sei eine Prognoseentscheidung über die Zuverlässigkeit des Genehmigungsinhabers vorgeschaltet, die unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragstellerinnen anders ausgefallen wäre.
51Es kann dahinstehen, ob die Argumentation der Beschwerde zutrifft. Es wäre jedenfalls nicht gerechtfertigt, dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO allein wegen des geltend gemachten formellen Mangels hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen.
52Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Februar 2023 ‑ 9 E 850/22 -, juris, Rn. 24, und vom 27. September 2019 - 13 B 1056/19 -, RdL 2020, 71 = juris, Rn. 18 ff., m. w. N.
53Denn jedenfalls ist eine Heilung eines unterstellt beachtlichen Anhörungsmangels noch bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz möglich (vgl. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW) und angesichts der ausstehenden Widerspruchsbescheide auch wahrscheinlich.
54Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 1982 ‑ 1 C 22.81 -, BVerwGE 66, 111 = juris, Rn. 17 f.; OVG NRW, Beschluss vom 26. Mai 2011 - 13 B 476/11 -, juris, Rn. 5 ff., m. w. N.
55II. Der Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts kann jedoch aufgrund zwischenzeitlich bekannt gewordener, vom Senat zu berücksichtigender Tatsachen im Ergebnis nicht aufrecht gehalten werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass jedenfalls bis zum Abschluss der jeweiligen Widerspruchsverfahren hinreichend festgestellt werden kann, dass eine Zäsur in der Geschäftsführung der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. eingetreten ist, die die Notwendigkeit der Widerrufe entfallen lässt (1.). Vor diesem Hintergrund fehlt es an einer hinreichend belastbaren Grundlage, um annehmen zu können, dass das öffentliche Sofortvollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. überwiegt (2.).
561. a) Die hier im Beschwerdeverfahren nachträglich bekannt gewordenen Änderungen sind zu berücksichtigen. Für die Beschwerdeentscheidung ist nicht maßgeblich, ob das Verwaltungsgericht unter Zugrundlegung der ihm bekannten Tatsachen richtig entschieden hat, sondern ob die Entscheidung über den Streitgegenstand im Ergebnis richtig ist. Die Einbeziehung einer möglichst aktuellen und situationsangepassten Sach- und Rechtslage ist eine notwendige Voraussetzung für eine effektive Beschwerdeentscheidung,
57vgl. OVG M.-V., Beschluss vom 25. Mai 2009 - 2 M 88/09 -, juris, Rn. 6, m. w. N.; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 12. März 2003 - 1 B 298/02 -, NVwZ-RR 2003, 694 = juris, Rn. 2; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 82; Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/ders., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 1157; vgl. zum Berufungszulassungsverfahren: BVerwG, Beschluss vom 12. November 2002 - 7 AV 4.02 -, juris, Rn. 4 ff.,
58wenn – wie hier – die neuen Tatsachen nach dem materiellen Recht in der Sache entscheidungserheblich sind.
59Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2004 - 21 B 2399/03 -, juris, Rn. 23, unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 11. November 2002 - 7 AV 3.02 -, Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 31 = juris, Rn. 10 f. zum Berufungszulassungsverfahren.
60Daran ändert vorliegend nichts, dass der Umstand des Geschäftsführerwechsels erst durch Recherchen des Senats und nicht durch – den eigentlich gebotenen und zu erwartenden – Vortrag der Beteiligten Verfahrensgegenstand wurde. Die Handelsregisterabfrage des Berichterstatters erfolgte routinemäßig, um sich über das Vorliegen der von Amts wegen zu überprüfenden Prozessvoraussetzungen einer ordnungsgemäßen Vertretung und der aktuellen Geschäftsanschrift der Antragstellerinnen zu vergewissern. Die gewonnenen Erkenntnisse waren allein schon wegen der Frage der ordnungsgemäßen Vertretung der Antragstellerinnen (§ 62 Abs. 3 VwGO) und Bevollmächtigung ihrer Prozessbevollmächtigten (§ 67 Abs. 4 und 6 VwGO) ins Verfahren einzuführen.
61Soweit die gewonnenen Erkenntnisse vorliegend auch materiell-rechtlich bedeutsam sein können, werden die Beteiligten nicht in ihrer Rechtsverteidigung beeinträchtigt. Sie haben Gelegenheit erhalten, zu den ins Verfahren eingeführten Tatsachen Stellung zu nehmen. Dabei wäre es von den Antragstellerinnen zu erwarten gewesen, die eingetretene Änderung der Sachlage – den Geschäftsführerwechsel – von sich aus bereits im erstinstanzlichen Verfahren mitzuteilen, nachdem dieser im Innenverhältnis durch jeweiligen Gesellschafterbeschluss vom 3. August 2023 vollzogen und in Bezug auf die Antragstellerinnen zu 1. und 4. zudem im Handelsregister eingetragen war, als das Verwaltungsgericht am 14. September 2023 über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entschied. Unabhängig davon könnte sich die Berücksichtigung des Geschäftsführerwechsels im Beschwerdeverfahren angesichts dessen, dass die Widerrufsverfügungen in Gestalt der noch ausstehenden Widerspruchsbescheide – ließe man den Geschäftsführerwechsel außer Acht – wie dargelegt voraussichtlich rechtmäßig wären, insoweit allenfalls ohnehin nur zu Gunsten der Antragstellerinnen als Rechtsmittelführer auswirken. Der Antragsgegnerin wiederum war der Umstand des Geschäftsführerwechsels im Laufe des Beschwerdeverfahrens ebenfalls bereits bekannt geworden, ohne dass sie dies von sich aus dem Senat mitgeteilt hätte. Ferner wurde sie mit gerichtlicher Verfügung vom 20. Dezember 2023 zur Stellungnahme zu dem Vorbringen der Antragstellerinnen im Zusammenhang mit dem erfolgten Wechsel des Geschäftsführers aufgefordert.
62b) Ist der Unternehmer – wie hier – eine juristische Person, richten sich Zuverlässigkeit und fachliche Eignung grundsätzlich nach derjenigen ihrer für die Führung der Geschäfte bestellten Person(en).
63Vgl. allgemein OVG NRW, Beschluss vom 25. Mai 2016 - 4 B 162/16 -, NWVBl. 2016, 386 = juris, Rn. 11 f., m. w. N.
64Die Unzuverlässigkeit ist ein persönlicher charakterlicher Mangel, aus dem die mangelnde Vertrauenswürdigkeit des Betreffenden hervorgeht.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 1970 - 8 C 73.69 -, BVerwGE 36, 288 = juris, Rn. 21; Bay. VGH, Beschluss vom 5. November 2020 - 11 ZB 20.642 -, juris, Rn. 37.
66Dieser Mangel des Vertretungsberechtigten wird der juristischen Person als Unternehmer zugerechnet. Denn gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG dürfen keine Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Antragstellers als Unternehmer oder der für die Führung der Geschäfte bestellten Personen dartun. Entsprechend darf die Genehmigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PBefG auch nur erteilt werden, wenn der Antragsteller als Unternehmer oder die für die Führung der Geschäfte bestellte Person fachlich geeignet ist. Sind zusätzlich Betriebsleiter bestellt, bleibt die eigene Verantwortlichkeit des Unternehmers, bei der GmbH also die des Geschäftsführers als ihr Vertreter (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG), für die Führung des Unternehmens davon unberührt (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 BOKraft). Selbst wenn gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 BOKraft für einen Betriebszweig oder eine Betriebsstelle ein „verantwortlicher Betriebsleiter“ bestellt wird, obliegt dem Geschäftsführer grundsätzlich die Gesamtverantwortung nach § 3 BOKraft für das Unternehmen, einschließlich der sorgfältigen Auswahl und Überwachung der Betriebsleiter (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3, § 4 Abs. 2 BOKraft).
67Vgl. Bidinger, Personenbeförderungsrecht, Stand: 01/2010, § 3 BOKraft Rn. 9 ff., § 4 BOKraft Rn. 61, 66.
68Um diesen unternehmerischen Pflichten gerecht werden zu können, muss der Geschäftsführer zuverlässig, also willens und in der Lage sein, sein Gewerbe ordnungsgemäß auszuüben und insbesondere die Fahrgäste und die Allgemeinheit vor Schäden und Gefahren zu bewahren, sowie fachlich geeignet sein.
69Kommt es nach dem Erlass einer Widerrufsverfügung, aber vor Erlass des Widerspruchsbescheids zu einem Geschäftsführerwechsel (hier durch jeweiligen Gesellschafterbeschluss vom 3. August 2023, eingetragen im Handelsregister bei der Antragstellerin zu 1. zum 8. August 2023, der Antragstellerin zu 2. zum 7. November 2023, der Antragstellerin zu 4. zum 22. August 2023), wird der Widerruf nicht ohne Weiteres gegenstandslos. Die Genehmigung ist der juristischen Person als Unternehmer (und nicht dem Geschäftsführer) erteilt (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Satz 2, § 3 Abs. 1 und 2 PBefG). Gegenstand der Genehmigung ist die Berechtigung des antragstellenden Unternehmers zur Durchführung des beantragten Verkehrs.
70Vgl. Knauff, in: Ehlers/Fühling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht - Band 1, 4. Aufl. 2019, 6. Kap., 2. Abschn., § 28 Rn. 33; zu einer Spielhallenerlaubnis gemäß § 33i GewO: OVG NRW, Beschluss vom 25. Mai 2016 - 4 B 162/16 -, NWVBl. 2016, 386 = juris, Rn. 9.
71Auf diese Genehmigung bezieht sich der Widerruf. Er ist dementsprechend an die juristische Person als Unternehmer gerichtet. Ist der Widerruf – wie hier – wegen der persönlichen Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers (voraussichtlich) gerechtfertigt, entfällt dieser Widerrufsgrund nicht schon dadurch, dass der Geschäftsführer formal gewechselt wird. Im vorliegenden Zusammenhang des vorangegangenen Widerrufs ist vielmehr zu prüfen, ob die auf die bisherige unzuverlässige Geschäftsführung gestützte Prognose infolge des Geschäftsführerwechsels im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung noch gerechtfertigt ist.
72Die Notwendigkeit eines bereits wegen Unzuverlässigkeit ausgesprochenen, aber noch nicht bestandskräftigen Widerrufs der Genehmigung kann entfallen, sobald diese bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens in die Hände eines im Sinne von § 13 Abs. 1 PBefG zuverlässigen und fachlich geeigneten Geschäftsführers gelangt ist.
73Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Oktober 2020 - 13 A 1682/18 -, juris, Rn. 65 zur Genehmigungsübertragung; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11. Juni 1992 - 14 S 2912/90 -, GewArch 1993, 215 = juris, Rn. 30; a. A. VG M., Beschluss vom 10. Juli 2015 - 6 L 1880/15 -, juris, Rn. 120.
74Dies setzt aber voraus, auch um Missbrauchsgestaltungen durch lediglich formale Geschäftsführerwechsel vorzubeugen, dass nachhaltig und ernsthaft eine Zäsur in der Geschäftsführung eingetreten ist und deshalb begründeter Anlass für die Annahme besteht, dass das Personenbeförderungsgewerbe der juristischen Person nunmehr künftig ordnungsgemäß ausgeübt werden wird.
75Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Oktober 2015 ‑ 13 B 875/15 -, juris, Rn. 19; siehe auch zur Untersagung einer gewerblichen Altkleidersammlung: Nds. OVG, Urteil vom 15. Februar 2018 - 7 LB 71/17 -, GewArch 2018, 310 = juris, Rn. 81 ff.
76Dann ist – wenn keine anderen Widerrufsgründe hinzugetreten sind – ein ausgesprochener Widerruf nicht mehr gerechtfertigt, weil er keinen Sanktionscharakter hat, sondern zur Gefahrenabwehr gesetzmäßige Zustände wiederherstellen soll. Wird dieses Ziel bereits durch eine wesentliche Änderung der Grundlagen des Widerrufs während des Widerspruchsverfahrens erreicht, ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, namentlich dem Gebot der Erforderlichkeit, von dem Widerruf abzusehen.
77c) In Anwendung dieser Grundsätze kann nicht ausgeschlossen werden, dass jedenfalls bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens hinreichend festgestellt werden kann, dass die erforderliche Zäsur in der Geschäftsführung eingetreten ist und die an das Verhalten des vormaligen Geschäftsführers knüpfende negative Zuverlässigkeitsprognose als alleinige Grundlage die Widerrufe nicht mehr rechtfertigt.
78(1) Mindestvoraussetzung, um der Genehmigungsbehörde die Überprüfung der Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung des neuen Geschäftsführers zu ermöglichen, ist die Anzeige des Geschäftsführerwechsels. Dementsprechend enthalten auch die den Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. von der Antragsgegnerin erteilten Genehmigungsbescheide und -urkunden die Auflage (vgl. § 15 Abs. 3 Satz 1 PBefG), dass „ein Wechsel der für die Führung der Geschäfte bestellten Person der Genehmigungsbehörde unter gleichzeitiger Benennung einer neuen geeigneten Person unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, anzuzeigen ist“.
79Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragstellerinnen dem im behördlichen Verfahren nachgekommen sind. Erstmals im Beschwerdeverfahren und nur auf Vorhalt des Senats haben die Antragstellerinnen unter eidesstattlicher Versicherung des neuen Geschäftsführers behauptet, mit Schreiben vom 16. August 2023 gegenüber dem Straßenverkehrsamt der Antragsgegnerin angezeigt zu haben, dass Herr C. W. neuer Geschäftsführer der Antragstellerin zu 1. sei und auch für die Antragstellerinnen zu 2. bis 4. durch Gesellschafterbeschluss als Geschäftsführer ernannt, die Eintragung im Handelsregister nur noch nicht erfolgt sei. Er bitte um Mitteilung, welche Unterlagen erforderlich wären. Die Antragsgegnerin bestreitet jedoch, dieses Schreiben erhalten zu haben.
80Mit den im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begrenzten Ermittlungsmöglichkeiten lässt sich bei Würdigung der nach Aktenlage verfügbaren Informationen nicht abschließend aufklären, ob dieses Schreiben der Antragsgegnerin tatsächlich zugegangen ist. Darauf kommt es vorliegend im Ergebnis aber nicht an, weil der Geschäftsführerwechsel der Antragsgegnerin jedenfalls dadurch zur Kenntnis gebracht wurde, dass die Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. diesen mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2023 bestätigt haben. Spätestens dadurch war die Antragsgegnerin in die Lage versetzt worden, zu prüfen, ob nach den dargelegten Maßstäben die Notwendigkeit der Widerrufe infolge des Geschäftsführerwechsels entfällt.
81(2) Diese Prüfung ist bislang unterblieben. Die Antragsgegnerin geht zwar zutreffend davon aus, dass es ihre Aufgabe als zuständiger Behörde ist, die Voraussetzungen der Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung des neuen Geschäftsführers zu prüfen und die Unbedenklichkeit bestimmter Personen als Personenbeförderungsunternehmer festzustellen. Gleichwohl meint sie, dass selbst, wenn für den neuen Geschäftsführer entsprechende Nachweise in Form von einem Führungszeugnis, steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen, Gewerbezentralregisterauszug etc. nachgereicht werden könnten, dies die – von ihr angenommene – fehlende Mitteilung des Geschäftsführerwechsels nicht heile.
82Der Antragsgegnerin ist zuzugestehen, dass vorliegend tatsächlich weiterhin Ungereimtheiten in Bezug auf die Geschäftsführung der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. bestehen. Ein positiver Nachweis der Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung des neuen Geschäftsführers wurde bis heute nicht erbracht. Dieser Nachweis ist nicht schon deshalb entbehrlich, weil die Antragsgegnerin aufgrund der in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts M. vom 14. Dezember 2023 - 6 L 3214/23 - ausgesprochenen Verpflichtung den Eintritt der Genehmigungsfiktion unter dem 15. Dezember 2023 an den neuen Geschäftsführer adressiert hat. Daraus lässt sich ersichtlich nicht ableiten, dass der neue Geschäftsführer auch ohne entsprechende Nachweise von der Antragsgegnerin als zuverlässig und fachlich geeignet angesehen wird.
83Umgekehrt folgt allein aus dem fehlenden positiven Nachweis der Zuverlässigkeit nicht zwingend die Unzuverlässigkeit des neuen Geschäftsführers. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 PBZugV gelten der Unternehmer und die zur Führung der Geschäfte bestellten Personen als zuverlässig im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 PBefG, wenn keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Führung des Unternehmens die für den Straßenpersonenverkehr geltenden Vorschriften missachtet oder die Allgemeinheit bei dem Betrieb des Unternehmens geschädigt oder gefährdet werden. Zur Prüfung, ob Verstöße vorliegen, kann die Genehmigungsbehörde Bescheinigungen in Steuersachen der Finanzämter sowie Unbedenklichkeitsbescheinigungen anderer öffentlicher Stellen und Auszüge aus Registern, in denen derartige Verstöße registriert sind, von dem Antragsteller verlangen oder mit dessen Einverständnis anfordern, § 1 Abs. 3 PBZugV. Die Antragsgegnerin hat von dem neuen Geschäftsführer bislang jedoch keine entsprechenden Bescheinigungen und Auszüge aus Registern verlangt oder mit dessen Einverständnis angefordert. Sie hält dies offenbar für entbehrlich, weil der Geschäftsführerwechsel nach ihrer Auffassung an der bereits getroffenen, an das Verhalten des vormaligen Geschäftsführers anknüpfenden negativen Zuverlässigkeitsprognose nichts zu ändern vermag. Diese Rechtsauffassung lässt – wie dargelegt – aber unberücksichtigt, dass das Widerspruchsverfahren noch anhängig ist und damit eine Aufhebung der Widerrufe infolge des Geschäftsführerwechsels unter Umständen geboten sein kann. Solange die insoweit der Genehmigungsbehörde – und nicht dem Gericht – obliegenden Ermittlungen ausstehen, kann die fehlende Zuverlässigkeit des neuen Geschäftsführers nicht angenommen werden.
84Entsprechendes gilt für die fachliche Eignung des neuen Geschäftsführers. Herr W. geht offenbar davon aus, ein entsprechender Nachweis sei entbehrlich, weil die bereits nachgewiesene fachliche Eignung seiner Betriebsleiter genüge. Dies würde allerdings voraussetzen, dass er seine ihm für die einzelnen Betriebsstellen grundsätzlich obliegende Gesamtverantwortung nachweislich an die Betriebsleiter vollständig delegiert hätte. Auch hier ist es ebenfalls Aufgabe der Genehmigungsbehörde, diesen Umstand zunächst näher aufzuklären und den gegebenenfalls erforderlichen fachlichen Eignungsnachweis des Herrn W. anzufordern.
85Schließlich wäre nach den dargelegten Maßstäben näher aufzuklären, inwieweit sich der bisherige Geschäftsführer, Herr I. N. L., tatsächlich aus dem Betrieb der Antragstellerinnen zurückgezogen hat und deshalb die für einen Entfall der Notwendigkeit der Widerrufe erforderliche Zäsur in der Geschäftsführung eingetreten ist.
86d) Die von der Antragsgegnerin im Übrigen angeführten Verstöße dürften die Widerrufe unabhängig vom Ausgang der vorstehend noch ausstehenden Prüfung des Geschäftsführerwechsels nicht rechtfertigen.
87(1) Die den Ordnungsverfügungen vom 4. Juli 2023 von der Antragsgegnerin zugrunde gelegten Erkenntnisse, die sie als Verstöße gegen Vorschriften des Personenbeförderungsrechts und des Abgabenrechts aufgefasst hat, werden den Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. zu einer Zeit angelastet, als ihr Geschäftsführer noch Herr L. war. Unabhängig davon, ob die insoweit erhobenen Vorwürfe zutreffen und jeweils für sich genommen oder jedenfalls in Summe als schwere Verstöße im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 PBZugV einzuordnen wären, bedarf es nunmehr näherer Aufklärung, inwieweit etwaig damit verbundene Organisations- und Überwachungsmängel unter dem neuen Geschäftsführer heute noch fortwirken.
88(2) Die von der Antragsgegnerin während des Beschwerdeverfahrens mitgeteilten Vorwürfe, es lägen Verstöße wegen straßenverkehrswidrigen Haltens vor und die Genehmigungsurkunden seien entgegen § 17 Abs. 4 Satz 1 PBefG von den Fahrern lediglich in Kopie mitgeführt worden, stellen – ihr Vorliegen unterstellt – nach vorläufiger Bewertung des Senats zwar keine bagatellhaften, aber auch nicht ohne Weiteres schwere Verstöße im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 PBZugV dar.
892. Angesichts dieser unklaren, offenen Bewertung der derzeitigen Geschäftsführung der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4., die einer abschließenden, hinreichend verlässlichen Prognose über den Ausgang des Widerspruchsverfahrens entgegensteht, überwiegt bei der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vom Senat eigenständig anzustellenden Interessenabwägung das Aussetzungsinteresse der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügungen vom 4. Juli 2023.
90a) Die gerichtliche Bestätigung der behördlich angeordneten sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts setzt ein besonderes, über die Rechtmäßigkeit hinausgehendes Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsakts im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO voraus. Für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts ist dabei ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Zwar lässt sich nur im Einzelfall bestimmen, wann der Rechtsschutzanspruch des Einzelnen ausnahmsweise hinter die öffentlichen Belange zurücktreten muss und wann es der Verwaltung durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verwehrt ist, der gerichtlichen Prüfung ihrer Maßnahmen vorzugreifen. Aus dem Zweck der Rechtsschutzgarantie und dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich aber, dass der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen umso stärker ist und umso weniger zurückstehen darf, je gewichtiger die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken.
91Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Januar 2020 ‑ 2 BvR 690/19 -, InfAuslR 2020, 187 = juris, Rn. 16, und vom 21. März 1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 = juris, Rn. 19; BVerwG, Beschluss vom 5. November 2018 - 3 VR 1.18 -, DVBl. 2019, 495 = juris, Rn. 24; OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 - 13 B 1153/21 -, juris, Rn. 24, und vom 13. August 2021 - 13 B 1403/20 -, NWVBl. 2022, 75 = juris, Rn. 14 f., m. w. N.; Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/ders., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 761.
92Sind die Erfolgsaussichten offen, gilt dies erst recht. Erforderlich ist eine eigenständige, auch und gerade an Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG orientierte Folgenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls.
93Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2009 - 13 B 204/09 -, juris, Rn. 16 f., m. w. N. aus der Rspr. des BVerfG.
94b) In Anwendung dieser Maßstäbe überwiegt in der vom Senat im Zeitpunkt seiner Entscheidung eigenständig vorzunehmenden Gesamtabwägung gerade unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen für die Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. ihr Aussetzungsinteresse das öffentliche Sofortvollzugsinteresse.
95(1) Der Widerruf der Genehmigungen der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. dient dem Schutz der Allgemeinheit und der Fahrgäste und damit gewichtigen öffentlichen Interessen.
96Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 1996 - 11 B 53.96 -, juris, Rn. 2.
97Dem entspricht, dass spiegelbildlich die personenbeförderungsrechtliche Genehmigungspflicht wesentlich – wenn auch nicht nur – dem Verbraucherschutz dient. Das zeigt sich an den persönlichen Genehmigungsvoraussetzungen des § 13 Abs. 1 PBefG. Für den Fahrgast sind vor allem die Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und fachliche Eignung seines Vertragspartners von Bedeutung, weil dieser für die Erfüllung des Vertrages, also für die ordnungsgemäße Beförderung, einstehen muss.
98Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 2015 - 3 C 14.14 -, BVerwGE 152, 382 = juris, Rn. 17.
99Unter den Schutz der Allgemeinheit fallen auch die Wettbewerber, also insbesondere andere Mietwagen- und Taxiunternehmer, die durch den Ausschluss eines unzuverlässigen Mietwagenunternehmers aus dem Wirtschaftsleben vor Nachteilen geschützt werden sollen.
100Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 5. November 2020 ‑ 11 ZB 20.642 -, juris, Rn. 39, unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 30. April 2015 - I ZR 196/13 -, GRUR 2015, 1235 = juris, Rn. 12.
101(2) Demgegenüber wären die Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. sowie die dort Beschäftigten im Fall einer Bestätigung der Anordnung des Sofortvollzugs schwer in ihrem durch Art. 12 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) geschützten Grundrecht der Berufsfreiheit beeinträchtigt. Auch wenn der Widerruf der den Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. erteilten Genehmigungen zur Personenbeförderung mit Mietwagen nicht mit einem generellen Berufsverbot für den Geschäftsführer sowie die als Betriebsleiter oder Fahrer beschäftigten Mitarbeiter verbunden ist, sodass eine weitere Berufstätigkeit in anderer Form nicht ausgeschlossen ist,
102vgl. zu diesem Gesichtspunkt: BVerfG, Beschluss vom 5. August 2015 - 2 BvR 2190/14 -, WM 2015, 1827 = juris, Rn. 28; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10. März 2022 - 6 S 3548/21 -, juris, Rn. 27,
103wären die Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zur Betriebsschließung verpflichtet und dadurch in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Wie sie durch Angaben zu betriebswirtschaftlichen Kennzahlen und darauf bezogene eidesstattliche Versicherungen substantiiert dargelegt haben, sind sie auf laufende Einnahmen angewiesen, um die Betriebskosten zu decken. Angesichts der Größe des vorliegenden Gesamtgeschäftsbetriebs der konzernrechtlich verbundenen Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass er im bisherigen Umfang wiederaufgenommen werden kann, sollten sie im Hauptsacheverfahren doch obsiegen. Zudem drohte den zahlreichen Beschäftigten der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. (zumindest zunächst) die Arbeitslosigkeit.
104(3) Bei Abwägung der hier betroffenen Interessen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls rechtfertigt die anzustellende Gesamtschau nicht hinreichend die nötige Besorgnis, die Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. bzw. die für die Führung der Geschäfte bestellte Person könnten bereits während der Dauer des Hauptsacheverfahrens die im Interesse der Fahrgäste und der Allgemeinheit erlassenen Vorschriften für die Führung eines Personenbeförderungsbetriebs vernachlässigen. Konkrete, schwerwiegende Verstöße mit spürbaren nachteiligen Auswirkungen für die Fahrgäste oder die Allgemeinheit sind jedenfalls nicht verlässlich belegt bzw. absehbar.
105Dabei verkennt der Senat nicht, dass auf Seiten der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. bis zuletzt Ungereimtheiten aufgetreten sind, die die Frage nach einer zuverlässigen und fachlich geeigneten Geschäftsführung nach wie vor aufwerfen. Da aber die Widerspruchsverfahren noch anhängig sind und die offenen Fragen deshalb entweder in die eine oder andere Richtung aufgelöst werden können, erscheint es mit Blick auf die einschneidenden Folgen einer sofortigen Vollziehung für die Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. interessengerecht und vertretbar, diese für das Hauptsacheverfahren (vgl. § 80b Abs. 1 VwGO) jedenfalls einstweilen auszusetzen. Die Antragsgegnerin ist nicht gehindert, die Betriebsführung der Antragstellerinnen zu 1., 2. und 4. auf Grundlage der §§ 54, 54a PBefG und § 9 PBZugV weiter zu überwachen, eigenständig weitere Ermittlungen zu den im Raum stehenden Vorwürfen und insbesondere zum Geschäftsführerwechsel vorzunehmen und im Lichte etwaiger neuer Erkenntnisse nach näherer Maßgabe von § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens eine Abänderung der Entscheidung über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung herbeizuführen.
106C. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Erwägungen war dem verfahrensrechtlichen Antrag nicht zu entsprechen, die Antragsgegnerin gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzufordern, sämtliche Verwaltungsvorgänge vorzulegen oder hilfsweise Auskunft zu erteilen über näher bezeichnete Unterlagen, insbesondere Dienstanweisungen, Vermerke, Protokolle sowie Schrift- und E-Mail-Verkehr der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit ihrer Genehmigungspraxis und ihrem ordnungsrechtlichen Vorgehen gegen Mietwagenunternehmen. Die angeforderten Unterlagen sind nicht entscheidungserheblich.
107Die in § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO geregelte Verpflichtung der Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten bezweckt, dem Gericht die erforderliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu ermöglichen und den Verfahrensbeteiligten Kenntnis von den entscheidungserheblichen Vorgängen zu verschaffen. Diese Zweckbestimmung beschränkt die Vorlagepflicht von vornherein auf solche Akten und Urkunden, deren Inhalt der umfassenden Sachaufklärung durch das Gericht der Hauptsache und der Gewinnung von Grundlagen für die Prozessführung der Beteiligten überhaupt dienlich sein kann. § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO vermittelt keinen Anspruch auf Vorlage nicht entscheidungserheblicher Akten oder Urkunden. Darüber, ob bestimmte Akten oder Urkunden nach diesen Maßstäben der Vorlagepflicht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegen, entscheidet das Gericht der Hauptsache. Dessen materielle Rechtsauffassung ist maßgebend für den Umfang der ihm verfahrensrechtlich obliegenden Pflicht zur umfassenden Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Das Gericht der Hauptsache bestimmt grundsätzlich auch, welche Beweismittel zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts geeignet und heranzuziehen sind.
108Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. Februar 2016 - 20 F 11.15 -, ZD 2016, 239 = juris, Rn. 6, und vom 15. August 2003 - 20 F 8.03 -, NWVBl. 2004, 189 = juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 5. September 2023 - 13 A 973/22 -, juris, Rn. 28.
109In Anwendung dieser Grundsätze ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass der Inhalt der von der Beschwerde näher bezeichneten Unterlagen für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich und deshalb zu dessen umfassender Sachaufklärung dienlich wäre. Die Antragstellerinnen erwarten durch die beantragte Beiziehung Informationen über nicht weiterverfolgte Pläne der Antragsgegnerin zur Einführung eines Mindestbeförderungsentgelts für Mietwagen sowie über die Durchführung von Genehmigungsverfahren für Mietwagenunternehmen und deren behördliche Kontrolle. Aus den Unterlagen ergebe sich insbesondere, wie die Antragsgegnerin ihr Widerrufsermessen nach § 25 Abs. 2 PBefG gegenüber Mietwagenunternehmen nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. Juni 2023 - 5 C 20/21 - zur Personenbeförderung mit Funkmietwagen im Großraum Barcelona ausüben wolle.
110Darauf kommt es vorliegend nicht an. Die streitgegenständlichen Widerrufe sind auf Grundlage des § 25 Abs. 1 PBefG als gebundene Entscheidungen ergangen. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus dem den Tenor jeweils einleitenden Satz sowie der Bescheidbegründung. Dass daneben in der Bescheidbegründung auch § 25 Abs. 2 PBefG erwähnt wird, ist unschädlich. Eine etwaige Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin und deren Hintergründe für die Ausübung ihres Widerrufsermessens bei Anwendung des § 25 Abs. 2 PBefG sind deshalb unerheblich, ungeachtet dessen, ob aus den zu Genehmigungsverfahren angeforderten Unterlagen – soweit sie existieren sollten – überhaupt Erkenntnisse zu Widerrufsverfahren zu erwarten sind. Im Übrigen sind belastbare Anhaltspunkte für sachfremde Erwägungen der Antragsgegnerin im Falle eines Einschreitens im Ermessenswege gegenüber Mietwagenunternehmen oder für eine gleichheitswidrige Verwaltungspraxis auch nicht substantiiert dargelegt.
111Ebenso wenig ist dargelegt oder sonst ersichtlich, inwiefern die Beiziehung der angeforderten Unterlagen geboten wäre, um die Prognoseentscheidung der Antragsgegnerin über die Zuverlässigkeit der Antragstellerinnen oder die Ermessensentscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung näher überprüfen zu können. Die dafür maßgeblichen Erwägungen der Antragsgegnerin sind in den angegriffenen Bescheiden dokumentiert. Wenn die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren ergänzend vorträgt, die Antragstellerinnen seien recht intensiv geprüft worden, weil sie über die größte Mietwagenflotte in M. verfügten und ihr vormaliger Geschäftsführer angekündigt hatte, diese auf ca. 130 Fahrzeuge vergrößern zu wollen, erschließt sich nicht, inwiefern dieses sachlich begründete Vorgehen willkürlich sein und die Rechtswidrigkeit der Widerrufsverfügungen begründen können soll.
112D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 39 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
113Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).