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Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist hat keinen Erfolg.
2Der Senat hat mit Beschluss vom 23. Juli 2024 die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgericht Arnsberg vom 20. Juni 2024 wegen Versäumung der Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO als unzulässig verworfen, nachdem diese Frist am 22. Juli 2024 abgelaufen war, ohne dass eine Begründung der Beschwerde vom 27. Juni 2024 eingegangen war.
3Der Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags steht der unanfechtbare Verwerfungsbeschluss des Senats vom 23. Juli 2024 nicht entgegen, weil dieser im Falle der Gewährung der Wiedereinsetzung gegenstandslos würde.
4Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 1989 - 2 B 75.89 -, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 12. April 2012 - 16 A 401/12 -, n. v., und vom 22. Januar 2008 - 11 A 3152/07.A -, n. v.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Januar 2012 - 1 L 6/12 -, juris Rn. 2; Bay. VGH, Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 11 CS 09.2265 -, juris Rn. 8; Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 109; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 43 a. E.
5In der Sache kommt die begehrte Wiedereinsetzung indes nicht in Betracht, weil die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht haben, ohne Verschulden an der Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO verhindert gewesen zu sein (§ 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 VwGO). Aus ihrem Vortrag ergibt sich vielmehr, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht, das die Antragsteller sich gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen und das einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegensteht.
6Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war.
7Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2021 - 2 B 59.20 -, juris Rn. 3, m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 24. Oktober 2003 - 12 A 5511/00 -, juris Rn. 7.
8Das Verschulden eines Bevollmächtigten, insbesondere eines bevollmächtigten Rechtsanwalts, steht dabei gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V .m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Partei gleich, gilt also als Verschulden des Vertretenen.
9Vgl. zur Verfassungskonformität des § 85 Abs. 2 ZPO: BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 -, juris Rn. 48 ff.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 2016 - 6 B 35.16 -, juris Rn. 6 ff.
10Ein schuldhaftes Handeln von Hilfspersonen des bevollmächtigten Rechtsanwalts, insbesondere von Büropersonal, ist als solches dem bevollmächtigten Rechtsanwalt und damit auch der Partei hingegen nicht zurechenbar, da eine dem § 278 BGB entsprechende Vorschrift über die Haftung für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen im Prozessrecht fehlt. Allerdings können Fehler von Hilfspersonen auf eine in der eigenen Verantwortungssphäre des bevollmächtigten Rechtsanwalts liegende Ursache zurückzuführen sein, im Hinblick auf die diesen unter dem Gesichtspunkt des sogenannten "Organisationsverschuldens" gegebenenfalls ein eigener Schuldvorwurf treffen kann.
11Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. April 2004 - 1 A 1721/01 -, juris Rn. 41; Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 47; Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, VwGO, 45. EL (Januar 2024), § 60 Rn. 26 und 41 ff.
12Von einem solchen, den Antragstellern zurechenbaren Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten ist vorliegend auszugehen. Es lässt sich nach dessen Vorbringen nicht feststellen, dass für eine Büroorganisation gesorgt war, die Fehler bei der Behandlung und Einhaltung von Fristen möglichst ausschloss.
13Hat ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung übernommen, ist die Wahrung der prozessualen Fristen eine Aufgabe, der er besondere Sorgfalt widmen muss. Dies verlangt in Fristensachen zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Rechtsmittelfristen müssen dabei in einer Weise notiert werden, die sich von gewöhnlichen Wiedervorlagen deutlich abhebt.
14Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Januar 2021 - 2 B 59.20 -, juris Rn. 5 und 7, und vom 4. Oktober 2002 ‑ 5 C 47.01 -, juris Rn. 3; OVG Berlin-Bbg., (Zwischen‑)Urteil vom 13. April 2016 - OVG 10 B 10.15 -, juris Rn. 15.
15Zu den Aufgaben eines Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß in einen Fristenkalender eingetragen und beachtet sowie Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen möglichst ausgeschlossen werden. Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit zwar weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Auf welche Weise der Anwalt sicherstellt, dass die Eintragung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen, steht ihm daher grundsätzlich frei. Sämtliche organisatorischen Maßnahmen müssen aber so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs, etwa durch Überlastung oder Erkrankung der zuständigen Angestellten, Verzögerungen der anwaltlichen Bearbeitung oder ähnliche Umstände, bei Anlegung eines äußersten Sorgfaltsmaßstabes die Einhaltung der anstehenden Frist gewährleistet ist.
16Vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2009 - XII ZB 154/09 -, juris Rn. 15, vom 15. April 2008 - VI ZB 29/07 -, juris Rn. 10, und vom 26. August 1999 - VII ZB 12/99 -, juris Rn. 15, jeweils m. w. N.; Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 68.
17Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen - gegebenenfalls nebst Vorfrist -,
18vgl. zum Erfordernis einer Vorfrist im Fall besonderer Darlegungsanforderungen u. a.: Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 72,
19in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört dabei die klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in den Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt.
20Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 26. Oktober 2020 - 24 ZB 19.1390 -, juris Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 19. September 2017 - VI ZB 40/16 -, juris Rn. 7 f., vom 26. November 2013 - II ZB 13/12 -, juris Rn. 9 f., vom 22. September 2011 - III ZB 25/11 -, juris Rn. 8, und vom 10. März 2011 - VII ZB 37/10 - juris Rn. 12, jeweils m. w. N.
21Erforderlich ist ferner, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle notwendigen Handlungen - wie die Eintragung im Fristenkalender - zum frühestmöglichen Zeitpunkt, das heißt unverzüglich nach Eingang des betreffenden Schriftstücks, vorgenommen werden.
22Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 29. November 2004 - 5 B 105.04 -, juris Rn. 4, m. w. N.; BGH, Beschluss vom 13. Juli 2010 - VI ZB 1/10 -, juris Rn. 6, m. w. N.
23Die Eintragung der Fristen sowie die Berechnung einfacher, wiederkehrender Fristen darf ein Anwalt dabei grundsätzlich einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen.
24Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 7. März 1995 ‑ 9 C 390.94 -, juris Rn. 11, und vom 10. Dezember 1991 ‑ 5 B 125.91 -, juris Rn. 2; OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Juni 2011 - 1 A 1756/09 -, juris Rn. 53 ff., und vom 24. Oktober 2003 - 12 A 5511/00 -, juris Rn. 10 ff.; Sächs. OVG, Beschluss vom 29. Septem-ber 2014 - 3 A 273/14 -, juris Rn. 6, jeweils m. w. N.
25Allerdings muss auch in diesem Fall durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt sein, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden.
26Vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017- VI ZB 40/16 - juris Rn. 8.
27Insbesondere muss ein Rechtsanwalt, dem die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt wird, die Einhaltung seiner Anweisung zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender sowie die richtige Ermittlung der Fristen eigenverantwortlich prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf. Denn die sorgfältige Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung durch den Rechtsanwalt schließt stets auch die selbständige Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit mit ein. Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung eines Rechtsmittels oder einer dafür in einer bestimmten Frist einzureichenden Begründung vorgelegt werden, beschränkt sich nicht nur auf die Prüfung, ob die Rechtsmittelfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Rechtsmittelbegründungsfrist. Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte zur Bearbeitung nicht zugleich mit vorgelegt worden ist, so dass in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen ist.
28Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 7. März 1995 - 9 C 390.94 -, juris Rn. 12, und vom 14. Juni 2002 - 1 B 49.02 -, juris Rn. 4; Saarl. OVG, Beschluss vom 16. August 2017 - 1 A 566/17 - juris Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom 19. September 2017 - VI ZB 40/16 - juris Rn. 9, vom 22. September 2011 - III ZB 25/11 -, juris Rn. 8, und vom 19. März 2008 - III ZB 81/07 -, juris Rn. 5, jeweils m. w. N.
29Von dieser Verpflichtung, die unabhängig davon besteht, ob der Fristenkalender elektronisch oder in Papierform geführt wird,
30vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 17. April 2012- VI ZB 55/11 -, juris Rn. 7 ff.,
31können auch Anweisungen an das Büropersonal bezüglich der Fristwahrung nicht befreien.
32Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juni 2002 - 1 B 49.02 -, juris Rn. 4, und vom 7. März 1995 - 9 C 390.94 -, juris Rn. 12, jeweils m. w. N.
33Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vor. Bei Anwendung derjenigen Sorgfalt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Prozessführenden geboten und ihm nach den Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist, wäre die Beschwerdebegründungsfrist nicht versäumt worden.
34Zwar hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller mit seinem Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen, dass seine Angestellte Frau Q., der er das Notieren der Fristen übertragen habe, ausgebildete Fachangestellte für Rechtsanwälte und Notare, sehr zuverlässig und seit über 40 Jahren berufstätig sei. Bei ihr, mit der er bereits seit über fünf Jahren zusammenarbeite, sei er davon ausgegangen und habe er "nie Zweifel" daran gehabt, dass sie entsprechend der in der Vergangenheit immer erfolgten Handhabung "beide Fristen (Einlegung der Beschwerde und Begründung der Beschwerde) notiert" habe. Der Senat sieht keinen Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln.
35Allerdings hat der Prozessbevollmächtigte nicht glaubhaft gemacht, die ihm im Zusammenhang mit seiner Büroorganisation obliegenden Pflichten hinsichtlich einer wirksamen Kontrolle der korrekten Eintragung der Fristen hinreichend sorgfältig wahrgenommen zu haben. Ihm ist der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts zunächst unmittelbar nach Eingang am 21. Juni 2024 vorgelegt worden, woraufhin er den Empfang mit elektronischem Empfangsbekenntnis vom gleichen Tag bestätigt hat. Ob entgegen den von ihm und von Frau Q. geschilderten Abläufen die Fristeintragungen im Eingangsstempel bereits zu diesem Zeitpunkt von Frau Q. vorgenommen waren, kann dahinstehen. Denn der Beschluss muss dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller spätestens bei Abfassen der auf den 27. Juni 2024 datierten Beschwerdeschrift und des Kostenfestsetzungsantrags vom gleichen Tag sowie darüber hinaus vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist wohl auch bei der mit Verfügung vom 8. Juli 2024 gewährten Akteneinsicht mit der Handakte erneut vorgelegen haben. Dementsprechend wäre spätestens zu diesen Zeitpunkten eine gebotene eigenverantwortliche Prüfung der korrekten Eintragung der in der Handakte vermerkten Fristen möglich gewesen wäre. Dabei hätte ihm auffallen müssen, dass im Eingangsstempel nur der 5. Juli 2024 als Fristablauf (FA) notiert war und auch sonst Vermerke über die sich aus der Rechtsmittelbelehrung ergebende Begründungsfrist fehlten. Dass er dies nicht bemerkt hat, lässt sich nur mit einer unzureichenden eigenverantwortlichen Prüfung bei Vorlage des Beschlusses in der Handakte oder mit unzureichenden organisatorischen Vorkehrungen bei der erneuten Vorlage der Handakte mit allen dort getätigten Fristeintragungen erklären.
36Ob es "mittags, wenn Frau Q. Feierabend macht, […] stets noch eine kurze Besprechung" gibt, bei der der Prozessbevollmächtigte diese fragt, "ob alles erledigt sei, was für den nächsten Tag anliege und ob alle Fristen abgearbeitet und die neuen Fristen notiert seien", und ob Frau Q. das "hier bejaht" habe, ist insofern unerheblich. Damit ist keine hinreichend effektive eigenverantwortliche Kontrolle der Richtigkeit der eingetragenen Fristen durch den Rechtsanwalt sichergestellt.