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Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
Gründe:
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen, die der Senat allein zu prüfen hat, ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (dazu I.) noch eine Divergenz gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO oder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (dazu II).
4I. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor.
5Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass dem Kläger für das Schuljahr 2021/2022 kein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII durch Übernahme der Kosten der Beschulung - einschließlich der Fahrtkosten - auf der Privatschule F. A. in C.-L. zustehe. Für dieses Schuljahr sei der Anspruch aufgrund der Regelungen des § 36a SGB VIII ausgeschlossen. Da die Beschulung auf der Privatschule F. A. ausweislich des vorgelegten Schulvertrages bereits am 3. Dezember 2020 für das Schuljahr 2021/2022 durch die Eltern des Klägers rechtswirksam beschafft und der Kläger dort aufgrund des vorgenannten Vertrages auch im Schuljahr 2021/2022 ohne vorherige positive Entscheidung über die Hilfegewährung beschult worden sei, liege ein Fall der unzulässigen Selbstbeschaffung vor. Eine Kostenübernahme hinsichtlich der abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII selbst beschafften Privatbeschulung nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII scheide aus, da die Eltern des Klägers entgegen § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII die Beklagte als Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung nicht rechtzeitig vor Abschluss des Schulvertrags über den Hilfebedarf des Klägers in Kenntnis gesetzt hätten.
6Die Ergebnisrichtigkeit dieser Entscheidung wird mit dem Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.
7Zwar unterliegt die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger die Beklagte nicht rechtzeitig im Sinne von § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII in der seinerzeit maßgeblichen Fassung über den Hilfebedarf informiert hat, ernstlichen - und vom Kläger auch hinreichend dargelegten - Richtigkeitszweifeln (dazu 1.). Gleichwohl ist es ergebnisrichtig, dass das Verwaltungsgericht einen auf § 36a Abs. 3 i. V. m. § 35a SGB VIII beruhenden Anspruch des Klägers auf die begehrte Übernahme der Privatschulkosten verneint hat (dazu 2.).
81. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe die Beklagte entgegen § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII nicht rechtzeitig vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt, unterliegt - jedenfalls für einen Großteil des streitgegenständlichen Zeitraums (Schuljahr 2021/2022) - ernstlichen Richtigkeitszweifeln, die der Kläger mit seinem Verweis auf eine Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts,
9Nds. OVG, Beschluss vom 25. November 2020 - 10 LA 58/20 -, juris Rn. 26 f.,
10seiner Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des beschließenden Senats und der Darstellung der Möglichkeit, die Privatschule trotz abgeschlossenen Schulvertrags nicht zu besuchen, auch hinreichend dargelegt hat.
11Das Achte Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII - weist dem Jugendamt als Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Funktion eines Leistungsträgers zu, der die Kosten grundsätzlich nur dann trägt, wenn er selbst vorab auf der Grundlage dieses Gesetzbuchs und im dort vorgesehenen Verfahren über die Eignung und Notwendigkeit der Hilfe entschieden hat. Der Vorschrift des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII liegt der Gedanke zugrunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers entspricht, nur "Zahlstelle" zu sein. Deshalb hat der Jugendhilfeträger für diese Kosten nur dann aufzukommen, wenn der Hilfebedarf rechtzeitig an ihn herangetragen worden ist.
12Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 2013 - 5 C 35.12 -, juris Rn. 19; OVG NRW, Urteil vom 2. Juni 2022 - 12 A 3520/19 -, juris Rn. 70.
13Das "Inkenntnissetzen" umfasst grundsätzlich eine - ausdrückliche oder schlüssige - Beantragung des begehrten Betreuungsplatzes, die so rechtzeitig erfolgen muss, dass der Jugendhilfeträger zur pflichtgemäßen Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen sowie zur dementsprechenden Bedarfsplanung - zu der er verpflichtet ist - in der Lage ist. Nur so kann der Jugendhilfeträger seiner Gesamtverantwortung i. S. d. § 79 Abs. 1 SGB VIII und seiner Verantwortung zur Bedarfsplanung gerecht werden.
14Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Juni 2022 - 12 A 3520/19 -, juris Rn. 72, sowie Beschluss vom 27. Dezember 2021 - 12 A 3825/19 -, juris Rn. 13 ff. m. w. N.
15Zu berücksichtigen ist, dass nach der Rechtsprechung des Senats bei Maßnahmen, die in zeitliche Abschnitte unterteilt werden können, im Falle ursprünglich unzulässiger Selbstbeschaffung ein Anspruch für einen nachfolgenden Zeitabschnitt in Betracht kommt, wenn die Selbstbeschaffung nachträglich zulässig geworden ist, weil insoweit jedenfalls ein rechtzeitiges Inkenntnissetzen anzunehmen ist und die weiteren Voraussetzungen nach § 36a Abs. 3 SGB VIII vorliegen.
16Vgl. etwa OVG NRW, Urteile vom 16. November 2015 - 12 A 1639/14 -, juris Rn. 84 ff., vom 25. April 2012 - 12 A 659/11 -, juris Rn. 58 ff., vom 22. März 2006 - 12 A 806/03 -, juris Rn. 28, und vom 14. März 2003 - 12 A 1193/01 -, juris Rn. 39 sowie 2. Leitsatz, ferner Beschlüsse vom 27. Dezember 2021 - 12 A 3825/19 -, juris Rn. 26, vom 18. Dezember 2013- 12 B 1190/13 -, juris Rn. 5 ff., und vom 25. April 2012 - 12 A 659/11 -, juris Rn. 58 ff.
17Die Beurteilung der Frage, wann ein rechtzeitiges Inkenntnissetzen im Sinne des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII anzunehmen ist, richtet sich nach dem konkret in Frage stehenden Anspruch.
18Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Juni 2022 - 12 A 3520/19 -, juris Rn. 76.
19Dies zugrunde gelegt macht der Kläger zu Recht geltend, dass die Beklagte nach der Mitteilung des vom Kläger angenommenen Bedarfs der Privatbeschulung bis zur Aufnahme des Privatschulbesuchs ausreichend Zeit zur Prüfung der Eignung und Notwendigkeit der Maßnahme gehabt hat. Dies gilt - wie die bereits am 6. April 2021 erfolgte Bescheidung des Antrags zeigt - auch dann, wenn man ein hinreichendes Inkenntnissetzen der Beklagten erst in der am 7. Januar 2021 seitens des Klägers erfolgten förmlichen Beantragung der Übernahme der Privatschulkosten sieht.
20Dass der Kläger sich bereits mit dem - nach einem Probeunterricht - am 3. Dezember 2020 erfolgten Abschluss des Schulvertrags für das Schuljahr 2021/2022 auf die Privatschule F. A. festgelegt hat, steht der Annahme einem rechtzeitigen Inkenntnissetzen grundsätzlich nicht entgegen. Denn bis zum Beginn des neuen Schuljahrs wären nach der Prüfung durch die Beklagte ohne weiteres noch eine Aufnahme an einer weiterführenden Schule des öffentlichen Schulsystems und die Einrichtung sonstiger begleitender Hilfen der Eingliederungshilfe (z. B. Integrationshelfer) möglich gewesen.
21Dass die Eltern des Klägers mit Abschluss des Schulvertrags vom 3. Dezember 2020 eine verbindliche Zahlungsverpflichtung eingegangen sind, die sie hinsichtlich der Aufnahmegebühr (§ 5 Abs. 2 des Schulvertrags) und des bis zum Ablauf des ersten Monats anfallenden Monatsbeitrags mit Blick auf die Kündigungsregelungen (§ 1 Abs. 2 des Schulvertrags) womöglich nicht mehr hätten abwenden können, ändert daran nichts. Wollte man insoweit wie das Verwaltungsgericht im hier angefochtenen Urteil,
22anders hingegen entschieden mit Urteil vom 18. Juli 2023 - 19 K 8696/21 -,
23bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses trotz des dann noch nicht erfolgten Beginns der Bedarfsdeckung eine Selbstbeschaffung i. S. v. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII annehmen, würde dies zu jenem Zeitpunkt (mit Blick auf die nur einmonatige Kündigungsfrist während der dreimonatigen Probezeit) nicht auf eine verbindliche Selbstbeschaffung auch für den Zeitraum nach Ablauf des ersten Probemonats führen, für den das Inkenntnissetzen unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Senatsrechtsprechung zur Kostenübernahme für nachfolgende Zeitabschnitte nach einer unzulässigen Selbstbeschaffung jedenfalls rechtzeitig bliebe.
24Dies kann aber auf sich beruhen.
252. Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen letztlich nicht.
26Der Senat ist vorliegend befugt, die Zulassung der Berufung deswegen abzulehnen, weil sich das Urteil des Verwaltungsgerichts aus anderen als von diesem angeführten Gründen als richtig erweist. Gegen diese Möglichkeit bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, sofern dem Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch einen vorherigen Hinweis - wie hier mit Verfügung vom 1. März 2020 erteilt - Rechnung getragen wird.
27Vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom 23. Februar 2011- 1 BvR 500/07 -, juris Rn. 15, und vom 24. Januar 2007 - 1 BvR 382/05 -, juris Rn. 24.
28Es widerspräche dem Sinn und Zweck des Zulassungsverfahrens und würde deshalb eine unzumutbare und im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aus Sachgründen nicht zu rechtfertigende Einschränkung des Zugangs zum Berufungsverfahren darstellen, wenn das Oberverwaltungsgericht bei seiner Zulassungsentscheidung das verwaltungsgerichtliche Urteil mit Erwägungen aufrechterhält, die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht.
29Vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom 23. Februar 2011- 1 BvR 500/07 -, juris Rn. 16, und vom 24. Januar 2007 - 1 BvR 382/05 -, juris Rn. 24.
30Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor.
31Auch wenn man ein gemäß § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII rechtzeitiges Inkenntnissetzen der Beklagten durch den Kläger sowie gemäß § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35a SGB VIII unterstellt, kommt es für eine Kostenübernahmeverpflichtung der Beklagten zusätzlich auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII hinsichtlich der Unaufschiebbarkeit der Bedarfsdeckung an. Da die Beklagte mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 6. April 2021 und dem Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2021 die Leistung bereits frühzeitig vor dem Leistungsbeginn (Beginn des Schuljahrs 2021/2022) abgelehnt hat, ist nach Buchstabe b der Vorschrift erforderlich, dass die Ablehnung "zu Unrecht" erfolgt ist und dass bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die hiergegen eingelegten Rechtsmittel die Bedarfsdeckung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
32Insoweit liegt es vorliegend auf der Hand, dass die auf eine fehlende Eignung der begehrten Beschulung an der Privatschule F. A. gestützte Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beklagte nicht zu Unrecht erfolgt ist. Die Versagung der Gewährung von Eingliederungshilfe in der konkret vom Kläger begehrten Weise ist rechtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn sie hat in rechtmäßiger Weise eine fehlende Eignung und Notwendigkeit der begehrten Privatbeschulung angenommen.
33Bei der Entscheidung über die Art und Weise der Hilfegewährung, insbesondere über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer Jugendhilfemaßnahme, steht grundsätzlich dem Jugendhilfeträger ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser unterliegt nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle dahingehend, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, ob sachfremde Erwägungen eingeflossen und die Adressaten im umfassender Weise beteiligt worden sind.
34Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Dezember 2018- 12 B 649/18 -, juris Rn. 4, und vom 11. Oktober 2013- 12 A 1590/13 -, juris Rn. 8 ff., m. w. N.
35Hinsichtlich der Frage, ob die Übernahme der Kosten für den Besuch einer Privatschule eine geeignete Leistung der Eingliederungshilfe in der Form der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 35a SGB VIII sein kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Senats folgendes geklärt: Mit Blick auf den Vorrang der öffentlichen Schulen nach § 10 Abs. 1 SGB VIII sind die Kosten der Beschulung an einer Privatschule vom Jugendhilfeträger nur dann zu übernehmen, wenn dem Hilfesuchenden eine adäquate Förderung - d. h. die zur Bekämpfung auch der seelischen Behinderung erforderliche und geeignete Hilfe - nur an der besagten Privatschule in zumutbarer Weise zuteilwird und wenn trotz unterstützender Maßnahmen keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf im öffentlichen Schulsystem zu decken. Dem Betroffenen muss mithin der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen unmöglich bzw. unzumutbar sein.
36Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2015 - 5 B 61.14 -, juris Rn. 4, und Urteil vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 -, juris Rn. 39; OVG NRW, Urteil vom 16. November 2015 -12 A 1639/14 -, juris Rn. 100, sowie Beschlüsse vom 5. Mai 2011 - 12 A 2195/10 -, juris Rn. 3 f., und vom 16. Mai 2008 - 12 B 547/08 -, juris Rn. 7 ff.; Raabe, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand: Juni 2024, § 35a Rn. 106.
37Für Fälle, in denen das Jugendamt bei hinreichend frühzeitigem Inkenntnissetzen über einen Eingliederungshilfebedarf nach § 35a Abs. 1 SGB VIII nicht rechtzeitig oder nicht in einer den vorgenannten Anforderungen entsprechenden Weise über die begehrte Hilfeleistung entschieden hat, ist zwar anerkannt, dass an dessen Stelle die Betroffenen den hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme sonst der Behörde zustehenden, nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen können und die Verwaltungsgerichte sich bei der Überprüfung diese Einschätzung auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung der Leistungsberechtigten zu beschränken haben.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 -, juris Rn. 31 ff.; zum Systemversagen vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12. September 2013 - 5 C 35.12 -, juris Rn. 20 ff.; vgl. ferner OVG NRW, Urteil vom 16. November 2015 - 12 A 1639/14 -, juris Rn. 104.
39Dies gilt in der vorliegenden Konstellation jedoch nicht. Anders als in den vorstehend wiedergegebenen Entscheidungen geht es hier nicht um eine unaufschiebbare Bedarfsdeckung bis zur Entscheidung des Jugendhilfeträgers i. S. v. § 36 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a SGB VIII, sondern um einen Fall nach Buchstabe b der Vorschrift, in dem das Jugendamt eine ablehnende Entscheidung bereits rechtzeitig getroffen hat und ein hiergegen eingelegtes Rechtsmittel sowie die Unaufschiebbarkeit der Selbstbeschaffung bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel zu prüfen sind. Denn die Beklagte hat hier weit vor Beginn des Schuljahres 2021/2022 mit dem Sachverstand ihres Jugendamts über Geeignetheit und Erforderlichkeit der begehrten Hilfeleistung entschieden, so dass dem Kläger bzw. seinen Sorgeberechtigten ab diesem Zeitpunkt nicht mehr eine eigene Entscheidung über die Eignung einer wegen Unaufschiebbarkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst zu beschaffenden Leistung aufgebürdet worden ist.
40Dies zugrunde gelegt ist die Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beklagte zu Recht erfolgt. Die von ihr getroffene fachliche Einschätzung, dass die Kostenübernahme für den Besuch einer Privatschule keine notwendige und geeignete Hilfe darstelle, weil die eingesetzte Integrationshilfe wirksam und der weitere Besuch einer staatlichen Schule mit entsprechender Unterstützung - im Rahmen eines multimodalen Ansatzes - zumutbar gewesen sei, ist nicht zu beanstanden. Dass dabei allgemein gültige fachliche Maßstäbe missachtet worden, sachfremde Erwägungen eingeflossen oder die Adressaten unzureichend beteiligt worden wären, ist weder dem Vorbringen des Klägers im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren zu entnehmen noch sonst erkennbar. Die Einschätzung der Beklagten deckt sich mit derjenigen, die die O.-M.-Schule am 28. Januar 2021 auf Anfrage der Beklagten abgegeben hat. Sie wird auch sonst nicht durchgreifend - im vorstehend genannten Sinne - in Frage gestellt. Vielmehr sprechen die Stellungnahmen, die im Hilfeplangespräch vom 30. November 2020 abgegeben wurden, deutlich dagegen, dass die Privatbeschulung des Klägers als einzig mögliche geeignete Maßnahme notwendig wäre, weil die Aufnahme auf einer öffentlichen weiterführenden Schule zum Schuljahr 2021/2022 bei einer beklagtenseits hierfür in Aussicht gestellten Bewilligung von Eingliederungshilfe in Gestalt einer schulischen Integrationshilfe dem Kläger aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen unmöglich bzw. unzumutbar oder aus sonstigen Gründen ungeeignet wäre.
41Eine solche Annahme ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers im Klageverfahren und den insoweit eingereichten Stellungnahmen. Soweit der Kläger behauptet, er könne dem Schulunterricht in voller Klassenstärke nicht folgen und somit keinen Lernerfolg realisieren, steht dies bereits im Widerspruch zu seinen von sehr gut bis befriedigend reichenden Noten an der Grundschule.
42Auch aus den kinderpsychiatrischen Stellungnahmen der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie - Psychotherapie und Neurofeedback -, Dr. H. U.-I., vom 24. März 2021 und vom 18. August 2021 lässt sich nicht entnehmen, dass der Beginn der weiterführenden Schullaufbahn des Klägers auf einer staatlichen Schule bei Gewährung begleitender Eingliederungshilfe unzumutbar gewesen wäre. Bei ihren Aussagen, dass wegen der hohen Intelligenz des Klägers "eher von einer Verschlimmerung der Situation auf einer Realschule auszugehen" sei, eine soziale Integration "weiterhin sehr schwierig" sei und ein "normales Gymnasium […] aufgrund der sozialen Situation nicht infrage" komme, nimmt die Ärztin nicht dazu Stellung, warum den befürchteten Problemen an einer Regelschule (Überforderung durch allgemeine Anforderungen und durch eine große Kinder- bzw. Lerngruppe) nicht durch eine Integrationshilfe begegnet werden könnte. Dementsprechend formuliert die Ärztin die Beschulung an der Privatschule F. A. in der Stellungnahme vom 24. März 2021 auch lediglich als Vorschlag bzw. Empfehlung.
43Gleiches gilt hinsichtlich der Stellungnahme der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Dipl.-Psych. P. Y. vom 9. Juli 2021. Auch diese verhält sich lediglich zu Schwierigkeiten des Klägers, "sich in einem größeren Klassenschlüssel (Gruppenrahmen) zu orientieren und zurecht zu finden", und empfiehlt, da er "kognitiv überdurchschnittliche Fähigkeiten aufweist und er diesbezüglich gefördert werden sollte und er von einem kleineren Klassenschlüssel, mit klarer pädagogischer Führung in einem geschützten Rahmen profitieren würde, […] das Konzept einer Privatschule". Soweit die Psychotherapeutin daraus den Schluss zieht, dass "die Gefahr einer Symptomverschlechterung (Chronifizierung der Symptomatik) bei größerer Klassengröße bei Normalbeschulung oder Unterforderungssituationen innerhalb eines Förderschulkonzepts […] aus klinischer Sicht bestehen" bleibe, folgt daraus nicht die Ungeeignetheit anderer Hilfeleistungen (Integrationshilfe) beim weiteren Besuch einer Regelschule, mit denen den beschriebenen Problemen auch begegnet werden könnte.
44Die nicht näher begründete Bescheinigung des Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. V. R.-Z. vom 29. Juni 2021, wonach der Kläger "ohne Zweifel […] auf besondere Schulsettings angewiesen" sei und "daher dringend eine Beschulung in einer Privatschule, die entsprechend kleine Klassen vorhalten kann", empfohlen werde, ist für die Annahme der Unzumutbarkeit eines durch einen Integrationshelfer begleiteten Besuchs einer staatlichen Regelschule ebenfalls unergiebig. Auch eine Integrationshilfe kann als "besonderes Schulsetting" angesehen werden.
45Dementsprechend spricht auch nichts für die Behauptung des Klägers, der Erfolg der Integrationshilfe sei "erwiesenermaßen bereits widerlegt" und es handele sich insoweit "nicht einmal um gleich erfolgversprechende Mittel". Seine Einschätzung, hinsichtlich der von der Klassenlehrerin an der Grundschule festgestellten Verbesserungen sei "ein Beitrag der Integrationshelferin tatsächlich auszuschließen, da diese den Kläger seit Monaten auf Grund einer Erkrankung nicht mehr in die Schule begleitet" habe und der Unterricht zur Zeit der Stellungnahme der Klassenlehrerin pandemiebedingt als Wechselunterricht und online und damit in kleinen Klassenstärken stattgefunden habe, greift erkennbar zu kurz. Der Aussage in der E-Mail der Klassenlehrerin vom 16. April 2021, der Kläger habe "trotz Abwesenheit von Frau B. […] in dieser Woche wirklich sehr gut gearbeitet […]", lässt sich bereits für sich genommen nicht ansatzweise im Umkehrschluss entnehmen, dass die vor ihrer Abwesenheit erbrachte Hilfeleistung der Integrationshelferin keinen Effekt gehabt habe und der berichtete Status allein auf eine kleine Klassenstärke bzw. reizärmere Lernumgebung in der Pandemiesituation zurückzuführen gewesen sei und dass die Integrationshilfe unter normalen Lernbedingungen zu einer hinreichenden Teilhabe des Klägers an Bildung ungeeignet wäre. Zudem blendet der Kläger bei seiner Interpretation der Aussage die durchaus positiven Berichte über das Anlaufen der Integrationshilfe im Hilfeplangespräch vom 30. November 2020, als Unterricht noch regulär und unter Begleitung der Integrationshelferin stattgefunden hat, völlig aus. So haben die Eltern des Klägers im Verwaltungsverfahren unter dem 11. Dezember 2020 noch selbst gegenüber der Beklagten bekundet, dass "die Leistungen der letzten Zeit, mit Frau B., […] deutlich besser“ seien. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte nach der Einschätzung ihrer Fachkräfte den von ihr angesprochenen "multimodalen Ansatz" mit psychologischen, psychiatrischen und pädagogischen Hilfestellungen auch deshalb für vorzugswürdig gehalten hat, weil dies den Kläger "umfassend in allen Teilhabebereichen - nicht nur Schule - unterstützen kann, dies mit dem Ziel die seelische Behinderung gem. § 35a SGB VIII zu mindern bzw. zu beseitigen" (vgl. S. 6 der Klageerwiderung vom 14. Oktober 2021).
46Dass ein Integrationshelfer, was der Kläger rügt, unter Umständen teurer ist als die Beschulung an der Privatschule F. A., führt nicht zur fehlenden Eignung des Versuchs einer fortgesetzten Regelbeschulung mit einer solchen Hilfeleistung.
47Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob eine bereits vor rechtskräftigem Abschluss der Rechtsmittelverfahren gegen den hier nicht zu Unrecht ergangenen Ablehnungsbescheid erfolgende Aufnahme des Klägers auf der Privatschule F. A. zum Schuljahr 2021/2022 i. S. v. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII unaufschiebbar war.
48II. Soweit der Kläger hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass eine Selbstbeschaffung i. S. v. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII nicht erst mit der Aufnahme der Beschulung, sondern bereits mit dem Abschluss des Schulvertrags vorliegt, die Zulassungsgründe der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) sowie der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend macht, dringt er damit ungeachtet der unzureichenden Darlegung bereits wegen der sich aus den Ausführungen zu I. ergebenden fehlenden Entscheidungserheblichkeit nicht durch.
49Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
50Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).