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Der angefochtene Gerichtbescheid wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Beschlusses vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Der am 12. Januar 1991 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Am 1. Januar 2023 beantragte er die Gewährung von Asyl.
3Der Kläger erklärte gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) im Wesentlichen: Er habe sein Herkunftsland am 8. September 2022 verlassen. Er sei durch die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich gereist und am 8. November 2022 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Nach Bulgarien sei er am 20. September 2022 eingereist und habe sich dort etwa 20 Tage aufgehalten. Er sei gesund. Seit dem 23. Januar 2014 sei er religiös verheiratet. Seine Mutter, drei Brüder und seine Ehefrau mit Kindern lebten noch in Syrien. Er habe das Abitur abgelegt und eine Ausbildung im „Bereich der Elektrizität“ angefangen, jedoch nicht abgeschlossen.
4Auf das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts erklärten sich die bulgarischen Behörden unter dem 17. Januar 2023 zur Wiederaufnahme des Klägers bereit.
5Mit Bescheid vom 27. Januar 2023 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2.) und ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an (Ziffer 3.). Zudem befristete es das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 11 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4.).
6Der Kläger hat am 14. Februar 2023 Klage erhoben sowie einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Mit Beschluss vom 27. Februar 2023 - 20 L 278/23.A - hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
7Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
8den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Januar 2023 aufzuheben.
9Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Durch Gerichtsbescheid vom 4. August 2023 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2023 aufgehoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig sei rechtswidrig. Einer Überstellung nach Bulgarien stünden systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegen, die für den Kläger die tatsächliche Gefahr begründeten, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden.
12Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung nimmt die Beklagte Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids und bezieht sich auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats zu der Situation für Asylsuchende, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Bulgarien überstellt werden.
13Die Beklagte beantragt,
14den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Köln vom 4. August 2023 zu ändern und die Klage abzuweisen.
15Der Kläger beantragt,
16die Berufung zurückzuweisen.
17Der Kläger macht im Wesentlichen geltend: In Bulgarien bestünden systemische Mängel in den Aufnahmebedingungen. Insbesondere Folgeantragsteller könnten in Bulgarien „Bett, Brot und Seife“ nicht erhalten. Es sei davon auszugehen, dass die maßgebliche Frist für ein Wiederaufnahmegesuch abgelaufen sei, so dass sein erneuter Antrag in Bulgarien als Asylfolgeantrag gewertet werde. Er könne aber keine „neuen Elemente“ geltend machen, die zu einer Zulässigkeit des Folgeantrags, neuer inhaltlicher Prüfung und einem Anspruch auf Unterbringung und Versorgung führten. Zudem ziehe sich die Dauer der Zulässigkeitsprüfung über Monate hin. Auch ein nur zeitlich begrenzter Entzug von Unterkunft, Verpflegung und Kleidung sei mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht vereinbar. Zudem sei eine Inhaftierung nicht auszuschließen, wenn die Voraussetzungen für einen Folgeantrag nicht erfüllt werden könnten.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte - hier u. a. auf das von der Beklagten am 10. Juli 2024 zu den Akten gereichte Schreiben der bulgarischen State Agency for Refugees vom 9. Juli 2024 - und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Bundesamts Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
20Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21Dabei ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen.
22Vgl. auch EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 67 f.
231. Rechtsgrundlage für die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids ist § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Nach der Dublin III-VO ist Bulgarien für das Asylverfahren des Klägers zuständig.
24a) Die Zuständigkeit Bulgariens folgt aus Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO. Die Abnahme von Fingerabdrücken und die Stellung des Asylantrags in Bulgarien stehen aufgrund des Eurodac-Treffers vom 14. Oktober 2022 fest (vgl. Art. 24 Abs. 4 Satz 3 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 - sog. Eurodac-Verordnung). Bulgarien hat unter Verweis auf Art. 18 Abs. 1 lit. c) Dublin III-VO seine Zustimmung erteilt.
25b) Die Zuständigkeit ist nicht nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO wegen Verstreichens der Überstellungsfrist auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Nach dieser Vorschrift erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf, wenn dieser gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat. Die vom Verwaltungsgericht angeordnete aufschiebende Wirkung der Klage dauert fort (§ 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Überstellungsfrist läuft nicht.
26c) Die Bundesrepublik Deutschland ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO für den Asylantrag des Klägers zuständig geworden. Danach wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat, wenn keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat vorgenommen werden kann.
27Die Voraussetzungen sind nicht erfüllt, insbesondere ist kein Fall des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO gegeben. Nach dieser Vorschrift setzt der prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen.
28aa) Aufgrund des zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens hat jeder Mitgliedstaat - abgesehen von außergewöhnlichen Umständen - davon auszugehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Folglich gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin III-VO die Vermutung, dass die Behandlung Asylsuchender in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention - sowie der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - steht.
29Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 81 f., und - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 84 f.
30Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, jedoch ist die Widerlegung dieser Vermutung wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft. Daher steht nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen die Regeln für das gemeinsame Asylsystem der Überstellung eines Asylsuchenden in den zuständigen Mitgliedstaat entgegen. Dies wäre mit den Zielen und dem System der Dublin III-VO unvereinbar.
31Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 84 und 91 f.
32Art. 4 GRCh steht der Überstellung einer Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in einen anderen Mitgliedstaat entgegen, sofern im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte festzustellen ist, dass sie in diesem Mitgliedstaat einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren.
33Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, Rn. 85 und 98.
34Dies gilt aufgrund des allgemeinen und absoluten Charakters des Art. 4 GRCh in allen Situationen, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Asylsuchender bei oder infolge seiner Überstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfährt. Dementsprechend ist es für die Anwendung des Art. 4 GRCh unerheblich, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss zu einer solchen Behandlung kommt und ob systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen des Asylsystems in dem anderen Mitgliedstaat vorliegen,
35vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87, 88 und 90, und - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 87,
36oder ob es unabhängig vom Vorliegen solcher Schwachstellen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommt.
37Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87.
38Ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. den diesem entsprechenden Art. 3 EMRK liegt aber nur dann vor, wenn die drohende Behandlung eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht, die von sämtlichen Umständen des Einzelfalls abhängt. Diese besonders hohe Schwelle ist grundsätzlich erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87 bis 92; Beschluss vom 13. November 2019 - C-540 und 541/17 (Hamed und Omar) -, juris, Rn. 39; vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 29 ff., m. w. N., wonach ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK vorliegt, wenn die elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht befriedigt werden können, ferner Urteile vom 21. Januar 2021 - 11 A 1564/20.A -, juris, Rn. 30, und - 11 A 2982/20.A -, juris, Rn. 32.
40Bereits ein relativ kurzer Zeitraum, während dessen sich eine Person in einer Situation extremer materieller Not befindet, reicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh zu begründen. Dabei ist auch zu beachten, dass den Rechten, die die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337, S. 9, sog. Qualifikationsrichtlinie) sowie die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 60, sog. Verfahrensrichtlinie) Personen, die einen Asylantrag gestellt haben, einräumen, die tatsächlichen Wirkungen genommen würden, wenn sie selbst während einer relativ kurzen Zeitspanne nicht mit einer Befriedigung ihrer elementarsten Bedürfnisse einhergingen.
41Vgl. EuGH, Urteil vom 12. November 2019 - C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 46 ff. (zu Art. 20 RL 2013/33/EU); Generalanwalt Sanchez-Bordona, Schlussanträge vom 6. Juni 2019 - C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 78 f.
42bb) Ausgehend hiervon ist die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen.
43Weder das Asylverfahren noch die Aufnahmebedingungen in Bulgarien weisen ‑ jedenfalls für nicht besonders schutzbedürftige Antragsteller wie den Kläger - systemische Schwachstellen i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auf (1). Auch droht dem Kläger bei unterstellter Zuerkennung internationalen Schutzes in Bulgarien aufgrund der dort herrschenden Lebensbedingungen für international Schutzberechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, die entsprechend Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO einer Überstellung entgegensteht (2).
44(1) Schutzsuchende, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens aus anderen Mitgliedstaaten nach Bulgarien zurückgeführt werden, haben Zugang zum dortigen Asylverfahren, das systemische Mängel nicht aufweist.
45Asylanträge werden in Bulgarien grundsätzlich in einem ordnungsgemäßen Verfahren geprüft.
46Vgl. zum Verfahren im Einzelnen: aida, Country Report: Bulgaria, 2023 update, S. 34 ff.
47Nach Überstellung auf Grundlage der Dublin III-VO wird ein Asylverfahren eingeleitet bzw. wiederaufgenommen, wenn dieses noch nicht aufgrund einer inhaltlichen Prüfung bestandskräftig abgeschlossen ist. Eine solche Wiederaufnahme des Verfahrens ist für Personen, die aufgrund der Dublin III-VO überstellt werden, im bulgarischen Asyl- und Flüchtlingsgesetz seit 2020 zwingend vorgeschrieben. Damit können seit dieser Gesetzesänderung grundsätzlich auch solche Rückkehrer ihr Asylverfahren ohne Hindernisse wiederaufnehmen, wenn deren Verfahren zwar während ihrer Abwesenheit eingestellt, aber noch keine Entscheidung in der Sache getroffen worden ist.
48Vgl. aida, Country Report: Bulgaria, 2023 update, S. 48 f.
49Zudem haben die bulgarischen Behörden - nach den unwidersprochenen Angaben der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 10. Juli 2024 - gegenüber dem Bundesamt schriftlich bestätigt, dass in Dublin-Fällen die Asylanträge, auch wenn das Asylverfahren während der Abwesenheit des Betroffenen zwischenzeitlich eingestellt worden sei, stets, also unabhängig von einem etwaigen Ablauf der Frist zur Wiederaufnahme, geprüft würden.
50Personen, deren Asylanträge während ihrer Abwesenheit ausnahmsweise auf Grundlage einer inhaltlichen Prüfung abgewiesen wurden, haben die Möglichkeit, nach Rückkehr einen Folgeantrag zu stellen. Der Folgeantrag ist nur bei Vortrag neuer Umstände zulässig. Wird der Antrag für zulässig erachtet, wird er im regulären Verfahren von der bulgarischen Asylbehörde State Agency for Refugees (SAR) geprüft. Anderenfalls besteht die Möglichkeit, binnen sieben Tagen um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen.
51Vgl. aida, Country Report: Bulgaria, 2023 update, S. 65.
52Ausweislich des Schreibens der bulgarischen State Agency for Refugees vom 9. Juli 2024 ist der Kläger seit dem 21. Oktober 2022 flüchtig, weshalb das Asylverfahren mit Entscheidung vom 9. März 2023 eingestellt worden sei. Eine Anhörung habe wegen seiner Abwesenheit nicht durchgeführt werden können.
53Angesichts dessen bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Asylantrag des Klägers in Bulgarien bereits inhaltlich geprüft worden ist, weshalb er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht - wie er meint - auf einen Asylfolgeantrag verwiesen würde, sondern sein abgeschlossenes Asylverfahren wird wieder aufnehmen können.
54Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren nach Wiederaufnahme fortgeführt werden, werden - im Rahmen der Kapazitäten - in den Aufnahmezentren der SAR untergebracht.
55Vgl. aida, Country Report: Bulgaria, 2023 update, S. 76.
56Davon ist auch für den Kläger auszugehen. Die Aufnahmezentren verfügen trotz einer gestiegenen Belegungsrate weiterhin über ausreichende Kapazitäten. Die Belegungsrate betrug Ende des Jahres 2023 77 %.
57Vgl. aida, Country Report: Bulgaria, 2023 update, S. 82 und 84.
58Die Ankunft zahlreicher ukrainischer Flüchtlinge in Bulgarien hat sich auf die Belegung der Aufnahmezentren nicht nennenswert ausgewirkt; diese sind ganz überwiegend anderweitig untergebracht.
59Vgl. SFH, Auskunft an den Senat vom 6. Juli 2022, S. 1 f.
60Die Länge des Aufenthalts in den Aufnahmezentren ist von Gesetzes wegen nicht begrenzt. Die Unterbringung ist für die Dauer des Asylverfahrens und eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens gewährleistet.
61Vgl. aida, Country Report: Bulgaria, 2023 update, S. 84.
62In den Aufnahmeeinrichtungen wird Verpflegung zur Verfügung gestellt. Die Bewohner erhalten drei Mahlzeiten am Tag. Es besteht eine medizinische Grundversorgung. Sanitäre Anlagen stehen zur Verfügung, wenn auch mit Einschränkungen. Der Zugang insbesondere zu warmem Wasser kann sich als problematisch erweisen. Notwendige Reparaturen können auf sich warten lassen. Die Hygiene in den Aufnahmezentren weist Mängel auf. Berichtet wird von Bettwanzen.
63Vgl. SFH, Auskunft an den Senat vom 6. Juli 2022, S. 2; aida, Country Report: Bulgaria, 2023 update, S. 83.
64Seit Mai 2022 werden in allen Aufnahmezentren monatlich Maßnahmen zur besonderen Reinigung, Desinfektion und Schädlingsbekämpfung durchgeführt.
65Vgl. aida, Country Report: Bulgaria, 2023 update, S. 83.
66Damit ist - auch in Anbetracht bestehender Mängel - jedenfalls eine Minimalversorgung sichergestellt, die die elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) in der Regel befriedigt und eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt.
67Vgl. zuletzt OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2024 - 11 A 1440/23.A -, Rn. 65 ff., m. w. N.
68(2) Auch nach unterstellter Zuerkennung internationalen Schutzes droht dem Kläger in Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.
69Mit Beschluss vom 15. Februar 2022 hat der Senat entschieden, dass international Schutzberechtigten in Bulgarien derzeit keine Gefahrenlage droht, die zu einem Verstoß gegen Art. 4 GRCh führt. Auch durch die Corona-Pandemie haben sich die Verhältnisse in Bulgarien nicht derart verschlechtert, dass gesunden, arbeitsfähigen Schutzberechtigten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen eine Verelendung drohte.
70Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Februar 2022 ‑ 11 A 1625/21.A -, juris, Rn. 25 ff., 46 ff.
71An dieser Einschätzung hält der Senat unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage fest. Die Verhältnisse in Bulgarien haben sich für anerkannt Schutzberechtigte seit Februar 2022 - auch durch die seitdem zahlreich in Bulgarien aufgenommenen ukrainischen Flüchtlinge - nicht derart verschlechtert, dass dem Kläger als gesundem und arbeitsfähigen Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen eine Verelendung drohte.
72Vgl. zuletzt OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2024 - 11 A 1440/23.A -, Rn. 71 f., m. w. N.
73Obwohl sich anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien grundsätzlich selbst um eine Unterkunft bemühen müssen und keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme in einer Flüchtlingsunterkunft haben,
74vgl. SFH, Auskunft an den Senat vom 8. Juli 2022, S. 2,
75bestehen auch weiterhin keine konkreten Hinweise darauf, dass anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien im Allgemeinen obdachlos oder von Obdachlosigkeit in besonderem Maße bedroht wären. Die Aufnahmezentren verfügen für Asylsuchende nach wie vor über ausreichende Kapazitäten, so dass anerkannt Schutzberechtigte dort auch weiterhin Unterkunft erhalten können.
76Vgl. zuletzt OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2024 - 11 A 1440/23.A -, juris, Rn. 75f., m. w. N.; anders Raphaelswerk, BULGARIEN: Informationen für Geflüchtete, die nach Bulgarien rücküberstellt werden, Stand: Oktober 2023, S. 9, wonach die Gefahr der Obdachlosigkeit bestehe; auch hier wird jedoch kein Fall tatsächlich eingetretener Obdachlosigkeit benannt.
77Soweit die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrer Auskunft vom 8. Juli 2022 erwähnt, die Möglichkeit, den Aufenthalt im Aufnahmezentrum aus humanitären Gründen über die Zuerkennung des internationalen Schutzes hinaus zu verlängern, bestehe nicht für Personen, die das Land zwischenzeitlich verlassen hätten,
78vgl. SFH, Auskunft an den Senat vom 8. Juli 2022, S. 2,
79kommt es darauf für den Kläger nicht an. Einer weiteren Aufklärung dieser nicht etwa durch Fallbeispiele obdachloser zurückgeführter Schutzberechtigter belegten Angabe bedarf es für das vorliegende Verfahren deshalb nicht. Da der Kläger für die Dauer des Asylverfahrens Unterkunft in einer Aufnahmeeinrichtung erhalten wird, kann sein Aufenthalt dort über die (unterstellte) Schutzgewährung hinaus verlängert werden. Dass er Bulgarien zwischenzeitlich wieder verlassen hat, ist nicht Prämisse der Prüfung seiner Situation nach unterstellter Schutzgewährung.
80Der Senat hat bereits entschieden, dass sich der bulgarische Arbeitsmarkt weder in Folge der Corona-Pandemie,
81vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Februar 2022 - 11 A 1625/21.A -, juris, Rn. 67 ff.,
82noch durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge,
83vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2024 - 11 A 1440/23.A -, juris, Rn. 82 ff., sowie Beschlüsse vom 25. Mai 2023 - 11 A 1257/22.A -, juris, Rn. 90 ff. und vom 16. Dezember 2022 - 11 A 1397/21.A -, juris, Rn. 86 ff.,
84derart verschlechtert hat, dass es international Schutzberechtigten nun mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht mehr möglich wäre, in zumutbarer Zeit Arbeit zu finden und damit ihren Lebensunterhalt im Sinne des nach Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK gebotenen Existenzminimums selbstständig zu bestreiten. Auch an dieser Einschätzung hält er unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage fest.
85Vgl. zuletzt OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2024 - 11 A 1440/23.A -, juris, Rn. 84 f., m. w. N.
86Die bulgarische Wirtschaft erholt sich weiter und ist zunehmend auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Besonders groß ist die Nachfrage nach Personal weiterhin im Handel, bei Logistik und Transport, in der Gastronomie und der IT-Branche. Die Arbeitslosenquote betrug im Jahr 2023 bei 4,3 %.
87Vgl. statista, Bulgarien: Arbeitslosenquote von 2013 bis 2023, vom 16. Juli 2024, https://de.statista.com.
88Nach den Schätzungen der bulgarischen Arbeitsvermittlungsagentur wird die Arbeitslosenquote im Jahr 2024 allerdings voraussichtlich von 4,3 auf 5 % steigen.
89Vgl. GTAI Germany Trade & Invest, Wirtschaftsumfeld, Bulgarien vom 18. Juli 2024, www.gtai.de.
90Insgesamt war der bulgarische Arbeitsmarkt nach den Informationen der Europäischen Kommission, EURES, geprägt durch Arbeitskräftemangel, steigende Löhne und einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. So wurden 2022 insgesamt 158.300 freie Stellen auf dem primären Arbeitsmarkt gemeldet. Über die Arbeitsämter wurden meistens Arbeitskräfte im Dienstleistungssektor vermittelt (Köche, Kellner, Barkeeper, Friseure, Kosmetiker, Krankenpfleger und Animateure) - 18.902 Stellen. Die Nachfrage nach Bedienpersonal von stationären Maschinen und Anlagen nimmt weiter zu. In diesem Bereich hätten 14.864 Stellen zur Verfügung gestanden. In den Bereichen Bergbau, verarbeitendes Gewerbe, Bauwesen und Verkehr seien 12.221 Arbeitsstellen frei. Groß sei das Stellenangebot für Verkäufer sowohl in den großen Handelsketten als auch in kleineren Geschäften (11.415), für Facharbeiter in der Lebensmittel-, Bekleidungs- und Holzindustrie und den verwandten Bereichen (7.353) sowie für Beschäftigte in der Abfallwirtschaft und ähnlichen Bereichen (12.894). Die Zahl der Stellen für Pflegepersonal (Krankenpfleger, Betreuungspersonal in Kindergärten) sei mit 7.675 Plätzen nach wie vor hoch. Etwa 6.750 offene Stellen gebe es auch für Kfz-Führer und Maschinenbediener. Gemeldet worden seien 6.459 Stellen für Metallarbeiter, Maschinenbauer und Handwerker. 4.292 Stellen für Schutz- und Sicherheitspersonal seien unbesetzt. Für gelernte Kräfte stellt sich die Arbeitssuche einfacher dar als für ungelernte. Gerade im Gastgewerbe, in der Logistik und im Handel können aber auch ungelernte Kräfte zum Einsatz kommen. In diesen Bereichen versuchen die Unternehmen verstärkt, Arbeitnehmer aus dem (europäischen) Ausland anzuwerben. Bulgarisches Personal zu finden, ist zunehmend schwierig, weil die erwerbstätige Bevölkerung immer älter wird und junge Bulgaren verstärkt ins westeuropäische Ausland abwandern. Die meisten Unternehmen greifen auf Online-Vermittlungsportale zurück. Diese Form der Personalgewinnung ist in Bulgarien neben der Akquise durch die Arbeitsämter oder Referenzen und persönliche Kontakte üblich.
91Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2024 ‑ 11 A 1440/23.A -, juris, Rn. 88 f., m. w. N.
92Laut der bulgarischen Agentur für Beschäftigung fehlen den dortigen Unternehmen rund 150.000 Menschen mit berufsvorbereitender Schulausbildung. Weitere 46.000 Menschen mit einem Hochschulabschluss oder einer zertifizierten Ausbildung werden gesucht, etwa Pflegepersonal, ärztliches Fachpersonal oder Lehrkräfte.
93Im Niedriglohnsektor benötige Bulgarien mehr Zuwanderung von Arbeitskräften außerhalb der EU, erklärt die Agentur für Beschäftigung. Allerdings ist es für Unternehmen kompliziert, Arbeitskräfte aus Drittstaaten anzuwerben, weil der bürokratische Aufwand sehr hoch ist. Dennoch stellen Arbeitgeber zunehmend niedrigqualifiziertes Personal ein, das aus Indien, Sri Lanka oder Zentralasien nach Bulgarien kommt.
94Generell sei es laut der bulgarischen Beschäftigungsagentur für die Unternehmen schwieriger geworden, geeignete Fachkräfte zu finden. Der alternden Gesellschaft in Bulgarien steht ein zu geringes Angebot an Aus- und Weiterbildung von Fachkräften gegenüber.
95Vgl. GTAI Germany Trade & Invest, Wirtschaftsumfeld, Bulgarien vom 18. Juli 2024 www.gtai.de.
96Sprach- und Integrationskurse, die Drittstaatsangehörigen den Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt erleichtern, werden zwar nicht staatlicherseits,
97vgl. SFH, Auskunft an den Senat vom 8. Juli 2022, S. 3,
98aber von NGO, etwa dem Bulgarischen Roten Kreuz, der Caritas Sofia und IOM, angeboten.
99Vgl. Bulgarian Red Cross, Welcome to Bulgaria, Useful Information for Relocated and Resettled Persons, S. 19, abrufbar unter: https://www.redcross.bg/files/23769-infobro-eng-.pdf; IOM Bulgaria, ongoing projects, abrufbar unter: https://bulgaria.iom.int/ongoing-projects.
100Diese grundsätzlich auch für Drittstaatsangehörige positive Arbeitsmarktsituation wird durch die Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, im Jahr 2021 seien lediglich drei Personen mit internationalem Schutzstatus und zwei Personen im Asylverfahren als arbeitstätig gemeldet gewesen,
101vgl. SFH, Auskunft an den Senat vom 8. Juli 2022, S. 3,
102nicht durchgreifend in Frage gestellt, denn über die Bemühungen der nicht arbeitstätigen Personen bei Integration und Arbeitssuche, die etwa aufgrund der Absicht, in ein anderes Land weiterzuziehen, eingeschränkt sein können, ist nichts bekannt.
103Diese Erkenntnisse zugrunde gelegt wird der Kläger in Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Unterstützung bei der Unterbringung und Integration, insbesondere beim Erlernen der bulgarischen Sprache, erhalten und in der Lage sein, nach einer Übergangszeit eine Arbeit aufzunehmen. Er ist jung, gesund, verfügt über eine höhere Schulbildung, die er mit dem Abitur abgeschlossen hat, und ist arbeitsfähig. So hat er etwa auch in Deutschland eine Arbeit in einem Betrieb für Elektrotechnik gefunden. Angesichts des in Bulgarien bestehenden Arbeitskräftemangels insbesondere auch im Niedriglohnsektor hat der Kläger auch als ungelernte Kraft - insbesondere auch mit Blick auf seine Vorerfahrungen hier in der Bundesrepublik - eine realistische Möglichkeit, Arbeit zu finden, um zumindest seine elementaren Bedürfnisse mit einer Erwerbstätigkeit zu sichern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger keine Familie zu versorgen hat. Er kann sich dem Spracherwerb sowie einer Erwerbstätigkeit uneingeschränkt widmen und muss nur seinen eigenen elementaren Unterhalt erwirtschaften.
1042. Auch Ziffer 2. des angegriffenen Bescheids ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nach den obigen Ausführungen nicht erfüllt. Zudem begegnen weder die auf § 34a Abs. 1 AsylG beruhende Abschiebungsanordnung nach Bulgarien in Ziffer 3. des Bescheids noch die in Ziffer 4. des Bescheids enthaltene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtlichen Bedenken.
1053. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
106Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Satz 1 ZPO.
107Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die in § 132 Abs. 2 VwGO, § 78 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe nicht vorliegen.