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Die Klagefrist von einer Woche gemäß § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG gilt bei Unzulässigkeitsentscheidungen gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch dann, wenn dem Ausländer entgegen § 36 Abs. 1 AsylG eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens nach § 38 Abs. 1 AsylG gesetzt worden ist.
In Estland anerkannten Schutzberechtigten droht im Falle einer Rückkehr nach dorthin derzeit keine gegen Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Kläger.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Beschlusses vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
2I.
3Die am 00.00.1980 geborene Klägerin zu 1. ist die Mutter des am 00.00.2003 geborenen Klägers zu 2., des am 00.00.2007 geborenen Klägers zu 3. und der am 00.00.2012 geborenen Klägerin zu 4. Die Kläger sind in Syrien geboren und syrische Staatsangehörige. Am 8. Mai 2017 beantragten sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Gewährung von Asyl.
4Die Klägerin zu 1. erklärte gegenüber dem Bundesamt im Wesentlichen: Ihr Heimatland hätten sie am 8. Februar 2016 verlassen. Sie hätten sich ungefähr ein Jahr in Griechenland aufgehalten, von dort seien sie nach Estland verlegt worden, wo sie ca. drei Monate in einem Flüchtlingscamp gelebt hätten. Die Einwohner Estlands hätten sie nicht akzeptiert und hätten sich feindlich ihnen gegenüber verhalten. Am 25. April 2017 seien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. In Syrien habe sie die Mittelschule abgeschlossen. Sie sei gelernte Friseurin und Kosmetikerin.
5Auf das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts erklärten die estnischen Behörden mit Schreiben vom 12. Mai 2017, den Klägern sei in Estland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden und ihnen seien Aufenthaltstitel erteilt worden, die bis zum 2. Februar 2020 gültig seien.
6Mit Bescheid vom 16. Juni 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge der Kläger und ihres Ehemanns bzw. Vaters als unzulässig ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2.), und forderte den Ehemann und Vater sowie die Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. - im Falle einer Klageerhebung - innerhalb von 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens auf. Dem Ehemann und Vater sowie den Klägern wurde für den Fall, dass sie der Ausreisefrist nicht nachkämen, die Abschiebung nach Estland oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Aufnahme verpflichteten Staat angedroht. Der Ehemann und Vater sowie die Kläger dürften nicht nach Syrien abgeschoben werden (Ziffer 3.). Schließlich befristete das Bundesamt das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4.). In der Rechtsbehelfsbelehrung heißt es: „Gegen diesen Bescheid kann innerhalb einer Woche nach Zustellung Klage bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg“ erhoben werden. Der Bescheid wurde dem Ehemann bzw. Vater der Kläger am 30. Juni 2017 übergeben.
7Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am 11. Juli 2017 Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt: In Estland habe die Familie von 400,- Euro im Monat leben müssen. Dieser Betrag reiche nicht ansatzweise für die gesamte Familie aus. Ihr Ehemann bzw. Vater drangsaliere und bedrohe die Familie, zudem habe er sie - die Kläger zu 1. und 2. - mehrfach geschlagen, so dass die Familie in Deutschland letztlich getrennt worden sei. Ihr Ehemann bzw. Vater sei zwischenzeitlich nach Estland abgeschoben worden, gleichwohl habe sie - die Klägerin zu 1. - Drohanrufe ihres Ehemanns erhalten. Im Falle einer Abschiebung nach Estland befürchteten sie erneute Übergriffe durch ihren Ehemann bzw. Vater. Es bestehe jedoch keine Möglichkeit, sich an die estnischen Behörden zu wenden, da bei häuslicher Gewalt keine Schutzwilligkeit oder -fähigkeit bestehe. Aufgrund der bereits erfolgten Übergriffe in der Vergangenheit seien sie - die Kläger zu 1. und 2. - schwerwiegend psychisch erkrankt bzw. in psychiatrischer Behandlung.
8Die Kläger haben beantragt,
9den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juni 2017 aufzuheben,
10hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 16. Juni 2017 zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Estlands festzustellen.
11Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Mit Urteil vom 21. Februar 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen, weil sie nicht innerhalb der Wochenfrist des § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 i. V. m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhoben worden sei.
14Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung führen die Kläger aus: Das Verwaltungsgericht habe die Klage rechtsfehlerhaft als unzulässig abgewiesen. Es gelte die zweiwöchige Klagefrist, die eingehalten worden sei.
15Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
16das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg zu ändern und den Bescheid vom 16. Juni 2017 aufzuheben
17hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom 16. Juni 2017 zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Estlands festzustellen.
18Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung nach § 130a VwGO angehört worden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Bundesamts Bezug genommen.
22II.
23Der Senat entscheidet über die Berufung der Kläger nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 130a VwGO).
24Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
251. Die Klage ist unzulässig, weil die Kläger die Klagefrist versäumt haben.
26a. Die Kläger haben die Klage gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge als unzulässig durch Bescheid vom 16. Juni 2017 nicht innerhalb der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 i. V. m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhoben.
27aa. Gemäß § 74 Abs. 1 AsylG muss die Klage gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden; ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche zu stellen (§ 34a Abs. 2 Satz 1, § 36 Abs. 3 Satz 1 und 10 AsylG), ist auch die Klage innerhalb einer Woche zu erheben. Nach der in § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG aufgenommenen - u. a. Unzulässigkeitsregelungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG betreffenden - Regelung des „§ 36 Abs. 3 Satz 1“ sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO binnen einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Dies ist hier der Fall. Durch den Bescheid vom 16. Juni 2017 hat das Bundesamt den Antrag der Kläger gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. Mit Blick darauf wäre der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AslyG innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung zu stellen und damit auch Klage innerhalb der Wochenfrist zu erheben gewesen.
28bb. Diese Wochenfrist haben die Kläger nicht gewahrt.
29Die Zustellung der Entscheidung erfolgte am 30. Juni 2017 in der Zentralen Unterbringungseinrichtung D. durch Aushändigung des Bescheids an den Ehemann bzw. Vater der Kläger. Damit galt dieser Bescheid gemäß § 10 Abs. 3 und 4 AsylG auch gegenüber den Klägern als zugestellt; denn seinerzeit wohnten die Kläger noch gemeinsam mit ihrem Ehemann bzw. Vater in dieser Aufnahmeeinrichtung.
30Die einwöchige Klagefrist endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO und § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 7. Juli 2017 (einem Freitag) und war bei Klageerhebung am 11. Juli 2017 verstrichen.
31b. Die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG von zwei Wochen, die die Kläger mit Blick auf die Klageerhebung am 11. Juli 2017 eingehalten hätten, galt hingegen auch vor dem Hintergrund der vom Bundesamt in Ziffer 4. des Bescheids vom 16. Juni 2017 gesetzten Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens nicht.
32aa. Diese den Klägern gesetzte Ausreisefrist weicht von der zwingend im Asylgesetz vorgesehenen Ausreisefrist ab. Denn in den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG des Asylantrags - wie hier - beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine Woche. (Nur) In „den sonstigen Fällen“, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, ist gemäß § 38 Abs. 1 AsylG eine dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist von 30 Tagen vorgesehen, die im Falle der Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet. Angesichts der eindeutigen Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG steht deshalb die in Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids auf § 38 Abs. 1 AsylG gestützte Ausreisefrist von 30 Tagen objektiv nicht im Einklang mit dem Asylgesetz.
33Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 ‑ 1 C 15.18 -, BVerwGE 164, 179 = juris, Rn. 50.
34bb. Aus der fehlerhaft festgesetzten Ausreisefrist folgt die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. des angefochtenen Bescheids,
35vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 ‑ 1 C 15.18 -, BVerwGE 164, 179 = juris, Rn. 50,
36nicht aber eine andere als die im Gesetz vorgesehene Klagefrist; vielmehr wirkt sich die unzulässigerweise festgesetzte Ausreisefrist (nur) auf die Statthaftigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO aus, wobei insoweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung keine Einigkeit bestanden hat, ob in diesen (vor der Änderung des § 37 Abs. 1 AsylG durch Gesetz vom 21. Dezember 2022, BGBl. I 2817 in der Praxis des Bundesamts häufig vorkommenden) Fällen der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO weiterhin statthaft gewesen ist oder mit dem - gesetzlich nicht vorgesehenen - Vorgehen nach § 38 Abs. 1 AsylG eine Vollziehung der Abschiebungsandrohung ausgeschlossen und damit einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO die Basis entzogen gewesen ist.
37Vgl. hierzu etwa Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, 138. Aktualisierung; Oktober 2024, § 29 AsylG, Rn. 150 ff.
38c. Eine längere Klagefrist ergibt sich auch nicht etwa aus einer Fehlerhaftigkeit der dem Bescheid vom 16. Juni 2017 beigefügten Rechtmittelbelehrung. Denn diese entspricht jedenfalls hinsichtlich der Klagefrist den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO. Danach beginnt die Frist für ein Rechtsmittel nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt worden ist. Das ist betreffend die Einhaltung der Klagefrist der Fall. Die Rechtsmittelbelehrung enthält die gesetzlich vorgesehene Frist zur Klageerhebung von „einer Woche“ sowie auch die sonstigen nach § 58 Abs. 1 VwGO erforderlichen Hinweise. Angesichts dessen ist es unerheblich, ob der von den Klägern zitierte Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung „Die Klage […] hat keine aufschiebende Wirkung“ unrichtig ist.
392. Ergänzend weist der Senat - wie schon in der Hinweisverfügung vom 4. September 2024 ‑ darauf hin, dass die Klage im Übrigen auch unbegründet wäre, weil den Klägern bei einer Rückkehr nach Estland auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden aktuellen Erkenntnisse eine gegen Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung nicht drohen dürfte.
40a. Die auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG getroffene Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids dürfte rechtmäßig sein. Denn ausgehend von den sich aus den aktuellen Erkenntnissen ergebenden Verhältnissen in Estland droht anerkannt Schutzberechtigten - wie den Klägern - dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen eine Verelendung.
41aa. Grundsätzlich können Personen, die internationalen Schutz erhalten haben, zunächst in einer Aufnahmeeinrichtung bleiben. Sie erhalten Hilfe und finanzielle Unterstützung bei der Wohnungssuche. Allerdings haben Flüchtlinge Probleme, auf dem freien Markt eine Wohnung zu finden; zudem mangelt es insbesondere wegen des Zustroms ukrainischer Flüchtlinge an Wohnraum.
42S. u. a. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Estland, Stand: 29. November 2022, S. 10 f.; UN General Assembly, Human Rights Council: National report submitted in accordance with paragraph 5 of the annex to Human Rights Council resolution 16/21. Estonia, 16.02.2021, S. 10; Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Sozialleistungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten, 2016, S. 6 f. =Dokumentation WD 6 – 3000 – 056/16; Robert Bosch Stiftung: Interview. „Wir werden ukrainische Geflüchtete weiterhin bestmöglich unterstützen!“, 22.02.2023.https://www.bosch-stiftung.de/de/storys/ wir-werden-ukrainische-gefluechtete-weiterhin-best-moeglich-unterstuetzen; Anderson, Timothy Raymond: Outer Voices: Examining Refugee Agency and Political Life in Estonia, Tallinn 2023.=Univ. Diss. Tallinn University, Estonia, S. 96 ff.
43Trotz dieser Situation auf dem estnischen Wohnungsmarkt bestehen keine Hinweise darauf, dass anerkannt Schutzberechtigte in Estland im Allgemeinen obdachlos oder von Obdachlosigkeit in besonderem Maße bedroht wären.
44Schutzberechtigte haben grundsätzlich Anspruch auf die gleichen Leistungen, insbesondere Sozialleistungen, wie alle estnischen Bürgerinnen und Bürger; sie können wie Personen mit ständigem Wohnsitz in Estland Sozialleistungen beziehen, u. a. eine staatliche Pension, Familienunterstützung, Arbeitsvermittlung und Beihilfen für Beschäftigte sowie Gesundheitsdienste.
45Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Estland, Stand: 29.11.2022, S. 10; Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Sozialleistungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten, 2016, S. 6 f. =Dokumentation WD 6 – 3000 – 056/16.
46Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, subsidiär Schutzberechtigte eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr. Beide Aufenthaltserlaubnisse sind verlängerbar und einer Ausländerin oder einem Ausländer mit temporärem Aufenthaltstitel kann auf der Grundlage des estnischen Ausländergesetzes ein unbefristeter Aufenthaltstitel erteilt werden.
47Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation.Estland, Stand: 29.11.2022, S. 10; Anderson, Timothy Raymond: Outer Voices: Examining Refugee Agency and Political Life in Estonia, Tallinn 2023. = Univ. Diss. Tallinn University, Estonia, S. 44.
48Anerkannt Schutzberechtigte haben Zugang zum Arbeitsmarkt.
49Vgl. etwa: The Borgen Project: 10 Things You Should Know About Refugees in Estonia, 24.06.2017. https://borgenproject.org/estonian-refugees; Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Sozialleistungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten, 2016, S. 6 f. =Dokumentation WD 6 – 3000 – 056/16.
50Seit dem Zustrom von Personen aus der Ukraine hat Estland zudem Anstrengungen unternommen, die Arbeitsbedingungen für Migrantinnen und Migranten zu verbessern sowie Arbeitnehmer und Arbeitgeber besser zu informieren.
51Vgl. USDOS: 2023 Trafficking in Persons Report: Estonia.
52In Estland existiert ein Programm zur Unterstützung von Flüchtlingen bei der Arbeitssuche.
53Estonian Refugee Council: New Employability Programme Helps Job Seekers With Refugee Backgrounds Enter Labour Market, 14.05.2024. https://www.pagulasabi.ee/en/new-employability-programme-helps-job-see-kers-refugee-ackgrounds- enter-labour-market; EUAA: Asylum Report 2024, Juni 2024, S. 201.
54Alle in Estland lebenden Kinder zwischen 1,5 und sieben Jahren haben das Recht auf frühkindliche Bildung; in Estland lebende Kinder und Jugendliche sind außerdem ‑ unabhängig von ihrer Nationalität - im Alter von sieben bis 17 Jahren schulpflichtig. Mit der Schule beginnende geflüchtete Kinder werden mit einer Zahlung von 50 Euro für Schulbedarf unterstützt.
55Estonian Refugee Council: Education and learning. Kindergarten / School. https://www.pagulasabi.ee/en/ services-card/707; Estonian Refugee Council: Annual Report of 2023, S. 17.
56Schutzberechtigten stehen kostenlose Sprachkurse (zumindest A1, weiterführende nach Verfügbarkeit) zur Verfügung. Im Jahr 2023 haben mehr als 10.000 Personen mit temporärer Schutzberechtigung einen Sprachkurs auf A1-Level erhalten. Darüber hinaus enthält das „Adaptation programme“ „Settle in Estonia“ einen Kurs in Estnisch.
57Estonian Refugee Council: Education and learning. Language learning. https://www.pagulasabi.ee/ en/ser-vices-card/707; UNHCR, Regional Refugee Response for the Ukraine Situation: Estonia, Report of activities and echieve-ments in 2023. Inter-agency Operational Update, S. 6; Integratsiooni Sihtasutus (Integration Foundation): Adaptation. Adaptation programme. https://www.in-tegratsioon.ee/en/ adaptation-programme.
58Jede Person erhält medizinische Notfallversorgung - unabhängig von der Nationalität oder dem Krankenversicherungsstatus; auch die psychiatrische Notfallbetreuung ist kostenlos.
59Tervisekassa: Healthcare in Estonia 2024, Bl. 2, S. 28; Tervisekassa: Information to Ukrainian war refugees, 21.05.2024. https://www.tervisekassa.ee/en/ people/in-formation-ukrainian-war-refugees.
60Die medizinische Grundversorgung ist für Krankenversicherte kostenlos. Personen, die nicht krankenversichert sind, müssen für die Dienste des Hausarztes bezahlen
61Für Flüchtlinge existieren Programme für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung.
62Vgl. dazu auch Estonian Refugee Council: Annual Report of 2023, S. 16; sowie EUAA: Asylum Report 2024, Juni 2024, S. 197; UNHCR, Regional Refugee Response for the Ukraine Situation: Estonia, Report of activities and echieve-ments in 2023. Inter-agency Operational Update, S. 4; UNHCR, Regional Refugee Response for the Ukraine Situation: Estonia, January - June 2023. Interagency Operational Update, 21.07.2023, S. 8.
63Schutzberechtigten Frauen und Kindern stehen wie allen estnischen Bürgerinnen und Bürgern die Einrichtungen „Mother and child shelters and women’s support centers“ offen.
64KRIIS: Staying in Estonia. https://kriis.ee/en/security-situation-europe/ukrainian-war-refugees/staying-estonia, abgerufen am 02.08.2024.
65bb. Ausgehend hiervon und mit Blick darauf, dass gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abzustellen ist, dürften die Kläger im Falle ihrer Rückkehr nach Estland keiner Gefahr i. S. d. Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt sein, ferner käme es auch nicht darauf, auf welche Lebensbedingungen die Kläger anlässlich ihres damaligen Aufenthalts in Estland gestoßen sind. Die Kläger dürften insbesondere auch mit Blick auf ihre geltend gemachten psychischen Erkrankungen hinreichend in Estland versorgt werden können; des Weiteren dürfte die Klägerin zu 1. im Falle einer von ihrem Ehemann ausgehenden Bedrohung Schutz in den in Estland vorhandenen Frauenhäusern finden können.
66b. Aus den gleichen Gründen bliebe auch die hilfsweise erhobene, auf die Feststellung von Abschiebungsverboten betreffend Estland gerichtete Klage ohne Erfolg.
67c. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. des Bescheids wäre auch nicht mit Blick auf die den Klägern gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung aufzuheben. Denn diese rechtswidrige Praxis des Bundesamts einer zu Gunsten des Ausländers verlängerten und bei Klageerhebung erst 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens ablaufenden Ausreisefrist verletzte die Kläger nicht in ihren Rechten.
68Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. April 2019 ‑ 1 C 51.18 -, Buchholz 402.251 § 37 Nr. 2 = juris, Rn. 21.
693. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß den §§ 83b, 83c AsylG nicht erhoben.
70Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Satz 1 ZPO.
71Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die in § 132 Abs. 2 VwGO, § 78 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe nicht vorliegen.