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Die Erteilung einer Abweichung nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauO NRW 2018 ist weder auf die Schaffung neuen Wohnraums im Sinne eigenständiger Wohnungen noch auf besondere Arten von Wohnungen beschränkt.
Weder der Vorschrift selbst noch der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass das Sonderinteresse im Falle von § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauO NRW 2018 nur dann gegeben sein soll, wenn die Angleichung der Bestandsgebäude an heutige Bauvorschriften ohne die begehrte Abweichung technisch unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar ist.
Die Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen im Sinne von § 69 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2018 ist auch in den Fällen von Satz 2 der Vorschrift zu prüfen.
Zur Frage, ob über den gesetzlichen Wortlaut hinaus zusätzlich eine atypische Grundstückssituation gefordert werden kann (offen gelassen).
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung zum Aus- und Umbau einer Maisonette-Wohnung im Dachgeschoss und im Spitzboden des Hauses Q.-straße 17 in H. (G01, im Folgenden: Vorhaben).
3Der Kläger ist Miteigentümer des Grundstücks, das aufgrund eines Bauscheins vom 4. September 1980 (Nr. 0-0000/00) seit 1981 mit einem viergeschossigen Mehrfamilienwohnhaus mit ausgebautem Dachgeschoss bebaut ist. Das Gebäude ist Teil eines nahezu vollständig in geschlossener Bauweise errichteten Straßengevierts und weist entlang der südlichen Grundstücksgrenze zum Flurstück 323 (Q.-straße 19) eine Bautiefe von 13,99 m auf. Die Bautiefe an der nördlichen Grenze zum Flurstück 18 (Q.-straße 15), welches im Eigentum der Beigeladenen steht, beträgt etwa 12,30 m. Im rückwärtigen Grundstücksbereich knickt die nördliche, zum Grundstück der Beigeladenen gelegene Grundstücksgrenze um ca. 10 Grad ab, so dass sich das klägerische Grundstück nach hinten verjüngt. Die rückwärtige Abschlusswand des Hauses auf dem Vorhabengrundstück weist einen Versprung von etwa 1,67 m Tiefe auf. Das Grundstück der Beigeladenen ist seit 1934 mit einem genehmigten dreigeschossigen Wohnhaus mit Dachgeschoss und Spitzboden bebaut, die mit Bauschein vom 10. September 2008 (BA-00-0000/00) weiter ausgebaut wurden. Die Q.-straße liegt im Bereich des Fluchtlinienplans Nr. 0000/000 vom 11. April 1910 (im Folgenden: Fluchtlinienplan). Das Gebiet, in dem sich die Gebäude des Straßengevierts und der Blockinnenbereich befinden, ist unbeplant.
4Der Kläger beantragte unter dem 2. Oktober 2019 die Erteilung einer Baugenehmigung für den Aus- und Umbau der Maisonette-Wohnung im Dachgeschoss und im Spitzboden des Gebäudes Q.-straße 17. Nach den Bauzeichnungen sind dort eine durchgehende Rückwand (ohne Versprung) sowie ein an den Dachfirst rückwärtig anschließendes Flachdach vorgesehen. Die durch das Vorhaben ausgelösten Abstandsflächen des gesamten Gebäudes Q.-straße 17 fallen nach den Planzeichnungen teilweise auf einer Länge von bis zu 7,98 m auf das Nachbargrundstück Q.-straße 15. Eine Zustimmung der Beigeladenen lag nicht vor.
5Mit Bescheid vom 7. Mai 2020 (Az. 00/00-BA-0000/00) lehnte die Beklagte die Erteilung der Baugenehmigung ab. Die Abstandsflächen lägen entgegen § 6 Abs. 2 BauO NRW 2018 nicht auf dem Vorhabengrundstück selbst. Eine Abweichung sei nach § 69 BauO NRW 2018 möglich, wenn eine atypische Grundstückssituation vorliege, die vom Regelfall derart abweiche, dass bei strikter Anwendung von § 6 BauO NRW 2018 dessen Ziele verfehlt würden bzw. wenn aufgrund der besonderen Grundstücksform eine Bebaubarkeit sehr stark eingeschränkt wäre. Eine derartige Atypik liege trotz der Abweichung vom Regelfall eines rechteckigen Grundstückszuschnitts nicht vor. Ein Ausbau des Dachgeschosses sei etwa mittels einer Dachgaube - unter Umständen sogar ohne Auslösung von Abstandsflächen - möglich.
6Der Kläger hat am 9. Juni 2020 Klage erhoben und im Wesentlichen vorgetragen, das Vorhaben füge sich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche in die nähere Umgebung ein. Nach der am 2. Juli 2021 in Kraft getretenen und vorliegend anwendbaren Neufassung der §§ 6 und 69 BauO NRW (Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung 2018 vom 30. Juni 2021, GV NRW 2021 S. 821; im Folgenden: BauO NRW 2018 n. F.) bestehe ein Anspruch auf Erteilung einer Abweichung auch ohne atypische Grundstückssituation. Außerdem liege eine solche vor. Die durch das Vorhaben entstehenden Abstandsflächen hätten faktisch keine nachteiligen Auswirkungen. Sie ragten lediglich in den Gartenbereich auf dem Grundstück der Beigeladenen hinein.
7Der Kläger hat beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Mai 2020 (Az. 00/00-BA-0000/00) zu verpflichten, ihm die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie hat im Wesentlichen vorgetragen, das klägerische Vorhaben füge sich hinsichtlich der Bebauungstiefe nicht gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung ein. Eine atypische Grundstückssituation, die eine Abweichung gemäß § 69 BauO NRW 2018 rechtfertige, liege nicht vor. Die Änderung der Bauordnung führe mit Ausnahme des Wegfalls der atypischen Grundstückssituation zu keiner veränderten Bewertung. § 69 Abs. 1 BauO NRW 2018 n. F. sei nach wie vor restriktiv zu handhaben. Das Vorhaben sei mit den Schutzbelangen des § 6 BauO NRW 2018 n. F. unter Würdigung nachbarlicher Belange nicht vereinbar. Es führe zu einer nicht unerheblichen Verschattung. Zudem würde die mit der Beseitigung des Versprungs verbundene Verlängerung der seitlichen Abschlusswand um etwa 1,7 m zu einer gefühlten Einmauerung führen.
12Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 8. Oktober 2021 der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 7. Mai 2020 verpflichtet, dem Kläger die Baugenehmigung gemäß dem Bauantrag vom 2. Oktober 2019 zu erteilen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich zulässig. Insbesondere stehe der Fluchtlinienplan dem Vorhaben nicht entgegen. Das im Übrigen nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilende Vorhaben sei zulässig. Es halte sich innerhalb des aus seiner näheren Umgebung hervorgehenden Rahmens. Hinsichtlich der Bebauungstiefe finde es ein Vorbild in dem genehmigten Bestandsgebäude des Klägers selbst sowie in den Gebäuden Q.-straße 5 und 7, die eine noch größere Bebauungstiefe aufwiesen. Das Vorhaben füge sich auch nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Diesbezüglich gebe das unmittelbar benachbarte Gebäude Q.-straße 19 einen Rahmen vor, den das klägerische Vorhaben nicht überschreite. Das geplante rückwärtig ausgerichtete Flachdach greife nach den Bauvorlagen die vorhandene Dachfirsthöhe auf, die ihrerseits nicht über das Flachdach des Gebäudes hinausrage. Auch sei nicht ersichtlich, dass das Vorhaben hinsichtlich seiner Kubatur den durch das Haus Q.-straße 19 prägend vorgegebenen Rahmen verlasse. In Grundfläche und Geschosszahl stehe das Haus Nr. 17 nicht hinter dem Haus Nr. 19 zurück. Das Vorhaben sei auch nicht gegenüber der Beigeladenen rücksichtslos. Eine unzumutbare Verschattung des Grundstücks der Beigeladenen sei nicht zu erwarten. Es gehe auch keine das Gebot der Rücksichtnahme verletzende erdrückende Wirkung von dem Vorhaben aus. Das Vorhaben sei ferner bauordnungsrechtlich zulässig. Der Kläger habe einen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 2018 n. F. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift hätten sich durch die Änderung der Bauordnung NRW vom 30. Juni 2021 insoweit verändert, als die ungeschriebene Regel-Voraussetzung der atypischen Grundstückssituation entfallen sei. Eine Atypik in Form eines Sonderinteresses sei zwar nach wie vor erforderlich, diese sei gemäß § 69 Abs. 1 Satz 6 BauO NRW 2018 n. F. in den Fällen von § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 BauO NRW 2018 n. F. indes als gegeben anzusehen. Auch müsse die Abweichung im Fall von § 69 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 2018 n. F. gemäß Satz 1 der Vorschrift unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein, wobei im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung zumindest in den Fallgruppen des Satzes 2 die Interessen des Bauherrn besonders zu gewichten seien. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sei vorliegend eine Abweichung von § 6 BauO NRW 2018 n. F. zuzulassen. Das Vorhaben betreffe den Aus- und Umbau eines älteren Bestandsgebäudes im Sinne von § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauO NRW 2018 n. F. Die Einhaltung der rückwärtigen Abstandsflächen sei aufgrund der Geringfügigkeit der durch das Bauvorhaben bedingten Beeinträchtigung des Beigeladenen mit den öffentlichen Belangen auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen vereinbar.
13Zur Begründung der vom Senat auf Antrag der Beklagten zugelassenen Berufung trägt diese im Wesentlichen vor: Das Vorhaben sei bereits bauplanungsrechtlich unzulässig und rücksichtslos, da die durch das Vorhaben hervorgerufene Verschattungswirkung die Beigeladene in nicht mehr zumutbarer Weise belaste. Wie aufgrund des Lichteinfalls im erstinstanzlichen Ortstermin deutlich zu erkennen gewesen sei, treffe insbesondere den mit einem Zimmer ausgebauten Spitzboden der Q.-straße 15 gerade vormittags noch direkte Sonneneinstrahlung. Diese würde durch den beabsichtigten Ausbau der Q.-straße 17 gänzlich entfallen. Das Vorhaben übe auch eine erdrückende Wirkung auf das benachbarte Gebäude aus. Das Vorhaben löse rückwärtige Abstandsflächen aus, die teilweise mit bis zu 7,98 m auf das Nachbargrundstück Q.-straße 15 fielen. Es könne auch nicht im Wege einer Abweichung gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW 2018 n. F. zugelassen werden. Nach ihrem Wortlaut enthalte die Vorschrift keine Tatbestandsvoraussetzungen, die eine Prüfung des Einzelfalls ermöglichten. Dies habe zur Folge, dass bei Vorliegen eines Bauantrages zur Schaffung von zusätzlichem Wohnraum in einem Bestandsgebäude durch Ausbau oder Aufstockung keine Prüfung des Verstoßes gegen das Abstandsflächenrecht möglich wäre. Gleiches würde auch für Fragen des Brandschutzes, der Standsicherheit oder der Barrierefreiheit gelten. Gerade im Altbaubestand seien genaue Prüfungen erforderlich, die zum Ergebnis haben könnten, dass ein Abweichen von bauordnungsrechtlichen Vorgaben schlicht nicht vertretbar wäre. Die Schaffung solcher Gefahrenlagen durch das Bauordnungsrecht könne vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sein. Dieser habe vielmehr Bestandsgebäude vor Augen gehabt, bei denen es technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar sei, geltende Bauvorschriften einzuhalten, und bei denen trotz dieser Situation die Schaffung von Wohnraum ermöglicht werden sollte. Die Vorschrift müsse deshalb entsprechend restriktiv ausgelegt werden und die Vorhaben das Sonderinteresse erfüllen, welches der Gesetzgeber vor Augen gehabt habe. Daran fehle es hier. Der Bestand wäre auch bei strikter Anwendung von § 6 Abs. 2 BauO NRW 2018 n. F. bautechnisch und wirtschaftlich nutzbar und erweiterbar. Zuletzt sei für die Maisonettewohnung bereits die Vergrößerung der straßenseitigen Gaube genehmigt worden. Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht annehme, die Interessen des Bauherrn seien besonders zu gewichten, könne dies unter Würdigung der nachbarlichen Interessen und unter Berücksichtigung des gegebenen Abstandsflächenverstoßes die mit Umsetzung des Vorhabens einhergehende Beeinträchtigung des Nachbargebäudes nicht rechtfertigen.
14Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
15das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 8. Oktober 2021 - 4 K 3119/20 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
16Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Zur Begründung verteidigt er das angegriffene Urteil und trägt ergänzend im Wesentlichen vor: Es sei im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu berücksichtigen, dass er sich gegen den mit dem damaligen Umbau des Wohnhauses auf dem Grundstück der Beigeladenen einhergehenden Abstandsflächenverstoß nicht gewehrt habe. Er habe einen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung gemäß § 69 BauO NRW 2018 n. F. Nach dieser Vorschrift solle nach Willen des Gesetzgebers ohne grundstücksbezogene Atypik die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum in Bestandsgebäuden erleichtert werden. Dabei habe der Gesetzgeber neben dem in der Rechtsprechung anerkannten Fall der grundstücksbezogenen Atypik eine zusätzliche Atypik definiert, die sich gemäß § 69 Abs. 1 S. 6 BauO NRW 2018 n. F. bereits aus dem festgestellten Sonderinteresse ergebe. Die Vorschrift differenziere auch nicht zwischen der Schaffung zusätzlicher Wohnungen und der Schaffung zusätzlicher Wohnraumfläche in bereits bestehenden Wohnungen. Hiervon ausgehend habe das Verwaltungsgericht zu Recht die Voraussetzungen für eine Abweichung bejaht.
19Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
20Sie trägt im Wesentlichen vor: Ein entsprechender Ausbau des Hauses auf ihrem Grundstück sei im Jahr 2008 durch die Beklagte abgelehnt worden. Es sei nicht ersichtlich, warum ein solcher Ausbau dann dem Kläger genehmigt werden sollte. Ein Anspruch auf Erteilung einer Abweichung nach § 69 BauO NRW 2018 n. F. bestehe nicht. Der Gesetzgeber habe hierdurch die Schaffung neuen Wohnraums ermöglichen wollen, nicht aber die Erweiterung von Luxus. Durch das geplante Vorhaben werde nur die Wohnfläche der bereits bestehenden Wohnung erweitert, indes keine neue Wohnung geschaffen.
21Der Berichterstatter des Senats hat am 13. September 2023 die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Hierbei haben die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Auf den Inhalt des hierüber angefertigten Protokolls und die gefertigten Lichtbilder wird verwiesen.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe:
24Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO).
25Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
26Die zulässige Klage ist begründet.
27Die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Baugenehmigung für den Ausbau des Dachgeschosses des Hauses Q.-straße 17 in H. durch den Bescheid vom 7. Mai 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung aus § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2018 in der am 2. Juli 2021 in Kraft getretenen Fassung (im Folgenden: BauO NRW 2018 n. F.). Dem Vorhaben stehen weder öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Bauplanungsrechts (I.) noch des Bauordnungsrechts (II.) entgegen.
28I. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig.
291. Dem stehen weder der Fluchtlinienplan, noch § 7 Abs. 4 Satz 1 der Baupolizeiverordnung für den Regierungsbezirk H. (Sonderblatt zum Amtsblatt der Regierung zu E1 vom 2. September 1939) i. V. m. § 4 der Verordnung über die Ausweisung von Baugebieten und die Abstufung der Bebauung für das Gebiet der Landeshauptstadt H. vom 23. Mai 1961 (ABl. Regierungsbezirk H., Sonderausgabe Nr. 25a) entgegen. Ersterer enthält keine Festsetzungen zur rückwärtigen Bebauungstiefe, Letztere sind außer Kraft getreten. Auf die diesbezüglichen zutreffenden und mit der Berufung nicht angegriffenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts (S. 7 f. des Urteilsabdrucks) wird Bezug genommen, § 130b Satz 2 VwGO.
302. Die Voraussetzungen von § 34 Abs. 1 BauGB liegen vor.
31a. Dass sich das Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, insbesondere nach Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, hat das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt (S. 8 ff. des Urteilsabdrucks). Auch auf diese Ausführungen, die die Beklagte mit der Berufung auch nicht angegriffen hat, wird Bezug genommen.
32Es bestehen bei dem streitgegenständlichen Ausbau der Wohnung eines Bestandsgebäudes ferner keine Zweifel daran, dass die Erschließung gesichert ist.
33b. Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot.
34aa. Insbesondere ergibt sich ein solcher Verstoß nicht aus einer vorhabenbedingten Verschattung des Grundstücks der Beigeladenen.
35Dass ein Gebäude einen Schatten auf das Nachbargrundstück wirft, ist dem betroffenen Nachbarn regelmäßig zumutbar. Denn dies entspricht in bebauten Gebieten dem Regelfall. Das Gebot der Rücksichtnahme fordert nicht, dass alle Fenster eines Hauses beziehungsweise das gesamte Grundstück das ganze Jahr über zu jeder Tageszeit optimal besonnt oder belichtet werden.
36Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 2023- 10 A 2094/20 -, juris Rn. 71, sowie Beschluss vom 15. Dezember 2023 - 10 B 645/23 -, juris Rn. 74, jeweils m. w. N.
37Hiervon ausgehend lässt sich nach dem Eindruck des Berichterstatters im Rahmen des Ortstermins, den er dem Senat vermittelt hat, sowie anhand der im Ortstermin gefertigten Lichtbilder nicht erkennen, dass eine etwaige zusätzliche Verschattung durch das Vorhaben über das in bebauten Gebieten zumutbare Maß hinausgehen würde. Denn unabhängig davon, dass das Grundstück der Beigeladenen aus südlicher Richtung bereits durch das Haus Q.-straße 19 beschattet wird, ist insbesondere auch in der Dachgeschosswohnung des Hauses Q.-straße 15 und auf deren Balkonen ein hinreichender Lichteinfall von allen übrigen Seiten des weitläufigen Straßengevierts sowie durch die dort vorhandenen großflächigen Oberlichter gewährleistet.
38bb. Von dem Vorhaben geht ersichtlich auch keine - ohnehin nur in Ausnahmefällen anzunehmende - erdrückende Wirkung,
39vgl. BVerwG, Urteile vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 -, juris Rn. 89, vom 22. Juni 2017 - 4 A 18.16 -, juris Rn. 44; OVG NRW, Urteile vom 26. Oktober 2023 - 10 A 804/23 -, juris Rn. 90 f., und vom 22. April 2021 - 10 A 3745/18 -, juris Rn. 31 ff., m. w. N.,
40zu Lasten des Grundstücks der Beigeladenen aus. Eine bauliche Anlage kann im Ausnahmefall eine erdrückende Wirkung auf ein benachbartes Grundstück haben, wenn sie dieses wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung unangemessen benachteiligt, indem sie ihm förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die „erdrückende“ Anlage auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandsflächen derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Grundstück oder seine Bebauung nur noch oder überwiegend als von einer „herrschenden“ Anlage dominiert ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird.
41Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2023 - 10 B 525/23.NE -, juris Rn. 15, m. w. N.
42Hiervon kann angesichts der bereits zuvor angesprochenen freien Aussicht in den Innenbereich des weitläufigen Straßengevierts nicht die Rede sein.
43II. Das Vorhaben ist auch bauordnungsrechtlich zulässig.
441. Angesichts der entsprechenden klägerischen Anträge vom 9. August und 21. September 2021 findet die BauO NRW 2018 n. F. vorliegend Anwendung (§ 90 Abs. 4 Satz 2 BauO NRW 2018 n. F.), wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat und von den Beteiligten im Berufungsverfahren auch nicht mehr in Zweifel gezogen wird.
452. Zwar liegen die durch das Vorhaben ausgelösten Abstandsflächen des Gebäudes Q.-straße 17 entgegen § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW 2018 n. F. nicht auf dem klägerischen Grundstück, sondern fallen zum Teil auf das Grundstück der Beigeladenen. Auf die vom Kläger vorgelegte, unbestritten gebliebene Planzeichnung (Bl. 93 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.
46Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauO NRW 2018 n. F. Nach dieser Vorschrift sind bei bestehenden Anlagen Abweichungen von § 4 bis § 16 und § 26 bis § 47 sowie § 49 BauO NRW 2018 n. F. oder aufgrund dieses Gesetzes erlassener Vorschriften zuzulassen zur Modernisierung von Wohnungen und Wohngebäuden, der Teilung von Wohnungen oder der Schaffung von zusätzlichem Wohnraum durch Ausbau, Anbau, Nutzungsänderung oder Aufstockung, deren Baugenehmigung oder die Kenntnisgabe für die Errichtung des Gebäudes mindestens fünf Jahre zurückliegt.
47a. Der Kläger hat die Zulassung der Abweichung gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauO NRW 2018 n. F. mit Schreiben seiner Architektin vom 9. Dezember 2019 schriftlich beantragt und begründet (Bl. 47, 50 ff. des Verwaltungsvorgangs).
48b. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauO NRW 2018 n. F. für eine Abweichung von § 6 BauO NRW 2018 n. F. liegen vor. Wie vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, handelt es sich bei dem Gebäude auf dem klägerischen Grundstück um eine bestehende Anlage, deren Baugenehmigung mindestens fünf Jahre zurückliegt. Auch liegt ein Fall der Schaffung von zusätzlichem Wohnraum durch Ausbau vor.
49aa. Der Vorschrift ist - entgegen der Auffassung der Beigeladenen - keine Beschränkung dahingehend zu entnehmen, dass sie auf die Schaffung neuen Wohnraums im Sinne eigenständiger Wohnungen beschränkt wäre. Dem steht schon der Begriff des Ausbaus entgegen, der typischerweise gerade die Erweiterung einer bestehenden Wohneinheit bezeichnet, ohne etwa deren anschließende Trennung in zwei separate Wohneinheiten zu implizieren. Etwas Anderes lässt sich auch der Gesetzesbegründung, die insoweit einen Vorschlag der Fraktionen von CDU und FDP unverändert übernommen hat, nicht entnehmen, soweit dort allgemein von der Schaffung „von zusätzlichem Wohnraum“ die Rede ist.
50Vgl. LT-Drs.17/14088, S. 11.
51Denn auch die bloße Erweiterung einer bestehenden Wohnung schafft zusätzlichen Wohnraum.
52Es fehlen angesichts des Wortlauts sowie der vorstehend erwähnten Gesetzesbegründung auch jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Vorschrift nur auf besondere Arten von Wohnungen, etwa Sozialwohnungen, Anwendung findet.
53bb. Ebenso wenig lässt sich der Vorschrift selbst oder der Gesetzesbegründung entnehmen, dass das Sonderinteresse im Falle von § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauO NRW 2018 n. F. nur dann gegeben sein soll, wenn die Angleichung der Bestandsgebäude an heutige Bauvorschriften ohne die begehrte Abweichung technisch unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar ist. Die entsprechende Formulierung betrifft allein die Beschreibung der Ausgangslage, wonach „insbesondere“ bei der Modernisierung von Wohnraum von Bestandsgebäuden aus den 1950er Jahren oder später, es technisch oftmals nicht möglich bzw. wirtschaftlich nicht vertretbar sei, das Bestandsgebäude an heutige Bauvorschriften anzugleichen. Eine teleologische Einschränkung des weiter formulierten Anwendungsbereichs folgt hieraus nicht.
54c. Erfüllt ist auch die weiter erforderliche Voraussetzung für die Abweichung nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauO NRW 2018 n. F., dass diese gemäß Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des § 3 BauO NRW 2018 n. F., vereinbar ist.
55aa. Auch wenn der Wortlaut von § 69 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 2018 n. F. das Verhältnis zu Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift offen lässt, stellt die Gesetzbegründung dessen Anwendung auf Fälle von Satz 2 klar.
56Vgl. LT-Drs.17/14088, S. 11.
57Für dieses Auslegungsergebnis sprechen auch Sinn und Zweck der Regelungen. Andernfalls würde zudem entgegen dem restriktiv zu handhabenden Ausnahmezweck der Vorschrift ein von sämtlichen besonderen - vor allem gefahrenabwehrrechtlichen - Anforderungen der Bauordnung unabhängiger Anspruch auf Erteilung einer Abweichung geschaffen. Dies ist mit der gesetzlichen Regelung in § 69 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 2018 n. F. ersichtlich nicht gewollt. Bei einem solchen Verständnis der Vorschrift sind auch die diesbezüglichen Bedenken der Beklagten, etwa der drohenden Nichtberücksichtigung von Vorschriften des Brandschutzes, unberechtigt.
58bb. Die Voraussetzungen von § 69 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2018 n. F. sind im vorliegenden Einzelfall gegeben. Die Abweichung ist unter Berücksichtigung des Zwecks des Abstandsflächenrechts und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
59Das Abstandsflächenrecht bezweckt die Gewährleistung hinreichender Belüftung, Beleuchtung und eines hinreichenden Sozialabstandes.
60Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. Februar 2022 - 7 D 260/20.NE -, juris Rn. 26, sowie Beschluss vom 7. August 2018 - 10 A 71/17 -, juris Rn. 8.
61Die Abweichung ist vor diesem Hintergrund auch mit den öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belangen vereinbar. Die zusätzliche Beeinträchtigung des rückwärtigen Gartenbereichs des Grundstücks der Beigeladenen ist gegenüber der ohnehin dort angesichts der Bestandsbebauung bereits liegenden Abstandsflächen so geringfügig, dass nicht ersichtlich ist, inwieweit gerade hierdurch überhaupt eine relevante Beeinträchtigung nachbarlicher Belange vorliegen könnte. Wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt hat, fiel durch die Bestandsbebauung des Vorhabengrundstücks aus dem Jahr 1980 aufgrund des damals geltenden § 7 Abs. 3 BauO NRW in der Fassung vom 15. Juli 1976 (GV. NW. 1976 S. 264) bereits ein Bauwich von mindestens 6 m auf den Gartenbereich des Grundstücks der Beigeladenen. Nach Verwirklichung des Vorhabens beträgt die Tiefe der Abstandsfläche für das gesamte Gebäude ausweislich der Berechnung im amtlichen Lageplan (Bl. 22 des Verwaltungsvorgangs) 7,98 m. Das Vorhaben führt also zu einer Vertiefung der Abstandsfläche um 1,98 m in den unbebauten Gartenbereich des Grundstücks der Beigeladenen hinein, wobei die Abstandsfläche aufgrund der südlich abknickenden Grundstücksgrenze geringfügig breiter wird. Die von diesen zusätzlichen Abstandsflächen ausgehenden Beeinträchtigungen der Belichtung im hinteren Gartenbereich des Grundstücks der Beigeladenen sind jedenfalls im Verhältnis zum Sonderinteresse des Klägers als Bauherr eines Vorhabens nach § 69 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 2018 n. F. marginal. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt.
62Darauf ob sich die Beigeladene angesichts des Umstandes, dass das Haus Q.-straße 15 seinerseits Abstandsflächen auf das klägerische Grundstück wirft, überhaupt auf den Abstandsflächenverstoß berufen kann,
63vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 18. Juni 2020 - 7 A 1510/18 -, juris Rn. 32, m. w. N.,
64kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr an.
65d. Die erforderliche Atypik folgt gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 BauO NRW 2018 n. F. bei Vorhaben nach Satz 2 und 3 bereits aus dem festgestellten Sonderinteresse.
66e. Ob über den gesetzlichen Wortlaut hinaus zusätzlich noch eine atypische Grundstückssituation gefordert werden kann, die nach der früheren ständigen Rechtsprechung der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für die Erteilung einer Abweichung von Abstandsflächenvorschriften für erforderlich gehalten wurde,
67vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Februar 2016 - 10 A 414/15 -, juris Rn. 9, vom 15. Juli 2015 - 7 B 420/15 -, juris Rn. 15, und vom 24. September 2014 - 2 B 570/14 -, juris Rn. 8, jeweils m. w. N.; Hahn, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte u.a., Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Dokumentstand 12.1.2022, § 69 Rn. 16; zum neuen Recht: OVG NRW, Beschluss vom 10. Januar 2023 - 10 B 1040/22 -, juris Rn. 7 (offen gelassen); Hüwelmeier, in: Spannowsky/Saurenhaus, BauO NRW, 16. Ed. 1.9.2023, § 69 Rn. 26a (bejahend),
68erscheint zweifelhaft, kann im vorliegenden Fall aber offenbleiben.
69Zwar gewährleisten die differenzierten und detaillierten Bestimmungen des § 6 BauO NRW 2018 n. F. einen in sich geschlossenen Ausgleich der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange und hat der Gesetzgeber mit der BauO NRW 2018 das Maß der jeweils erforderlichen Abstandsflächen herabgesetzt, so dass Abweichungen grundsätzlich nur in eng begrenzten Ausnahmefällen und nach einer besonders kritischen Prüfung in Betracht kommen, ob sie mit den nachbarlichen Belangen vereinbar sind.
70Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Januar 2023 - 10 B 1040/22 -, juris Rn. 7; Hüwelmeier, in: Spannowsky/Saurenhaus, BauO NRW, 16. Ed. 1.9.2023, § 69 Rn. 25 ff.
71Allerdings bietet die Regelung des § 69 BauO NRW 2018 n. F. für das Festhalten an dem Erfordernis der atypischen Grundstückssituation keinen Anhalt; vielmehr ergibt sich nach § 69 Abs. 1 Satz 5 BauO NRW 2018 n. F. die Atypik bei Vorhaben nach Satz 2 und 3 bereits aus dem festgestellten Sonderinteresse. Ein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille ist zudem bereits verschiedentlich, etwa in § 6 Abs. 14 Satz 2 BauO NRW 2018 n. F., zum Ausdruck gekommen.
72Der Senat muss diese Frage hier aber nicht (abschließend) entscheiden, weil eine atypische Grundstückssituation vorliegt.
73Eine grundstücksbezogene Atypik kann sich ergeben aus Besonderheiten der Lage und des Zuschnitts der benachbarten Grundstücke zueinander oder aus topografischen Besonderheiten des Geländeverlaufs, nicht aber aus den Wünschen eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen als dies nach § 6 BauO NRW 2018 n. F. ohnehin schon zulässig wäre.
74Vgl. OVG, Beschluss vom 5. März 2007 - 10 B 274/07 -, juris Rn. 17, zu § 73 BauO NRW a. F.
75Der den Abstandsflächenregeln zugrundeliegende Normalfall ist ein auf einem rechteckig geschnittenen Grundstück errichtetes Gebäude, wobei die seitlichen Grundstücksgrenzen rechtwinklig zur Erschließungsstraße verlaufen.
76Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. März 2021 - 7 A 1791/19 -, juris Rn. 54, m. w. N.
77Für die Annahme einer atypischen Grundstückssituation reicht ein atypischer Grundstückszuschnitt jedoch allein nicht aus. Darüber hinaus ist erforderlich, dass eine bautechnisch und/oder wirtschaftlich sinnvolle Bebauung des Grundstücks bei strikter Anwendung der Abstandflächenvorschriften nicht möglich wäre.
78Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2002 - 10 A 3963/02 -, juris Rn. 16.
79Ausgehend davon liegt hier ein atypischer Grundstückszuschnitt vor. Die nördliche Grundstücksgrenze des in geschlossener Bauweise bebauten Vorhabengrundstücks knickt am hinteren Ende des Baukörpers um ca. 10 Grad nach Süden ab. Bei strikter Anwendung der Abstandsflächenvorschriften wäre zudem eine bautechnisch und wirtschaftlich sinnvolle Bebauung des Grundstücks, die sich - wie zu dem in Rede stehenden Vorhaben bereits ausgeführt - in die Eigenart der näheren Umgebung des unbeplanten Innenbereichs einfügt, nicht möglich. Denn die strikte Anwendung des Gesetzes würde dazu führen, dass der Kläger die rückwärtige Gebäudewand - um zu erreichen, dass die von dieser ausgelösten Abstandfläche vollständig auf seinem Grundstück liegen - in einem rechten Winkel zum Verlauf der Grundstücksgrenze nach dem Knick anordnen müsste, mit der Folge, dass innerhalb des Gebäudes nicht-rechtwinklige Raumecken entstehen würden.
80Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. November 2003 - 7 B 912/03 -, juris Rn. 37; siehe auch OVG NRW, Beschlüsse vom 2. März 2007 - 10 B 275/07 -, juris Rn. 22, und vom 12. Februar 1997 - 7 B 2608/96 -, juris Rn. 9 f.
81Dass eine flächenmäßig gleichwertige Möglichkeit des Ausbaus des Dachgeschosses auf dem klägerischen Grundstück bestünde, bei der sich die Abstandsflächenproblematik nicht stellen würde, trägt die Beklagte schon nicht substantiiert vor und ist auch nicht ohne weiteres erkennbar, so dass es nicht darauf ankommt, inwieweit alternative Planungsmöglichkeiten der Annahme einer atypischen Grundstückssituation entgegenstehen können.
823. Anhaltspunkte dafür, dass dem Vorhaben sonstige bauordnungsrechtliche Vorschriften entgegenstehen, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen wären, sind weder von der Beklagten geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
83Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
84Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
85Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.