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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 2519/18

Datum:
28.09.2023
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 A 2519/18
ECLI:
ECLI:DE:OVGNRW:2023:0928.8A2519.18.00
 
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 13 K 5410/15
Schlagworte:
Bestimmtheit des Klageantrags Nachträgliche Konkretisierung des Klageantrags Immissionsschutz Lärm Öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch Partyszene Partytreff Verkehrsfläche Sonstige ortsfeste Einrichtung schlicht-hoheitlicher Betrieb einer Anlage Zurechenbarkeit der von einer Anlage ausgehenden Beeinträchtigun-gen Bestimmungsgemäßer Betrieb Missbräuchliche Nutzung Gesundheitsgefahr Gesundheitsgefährdender Lärm Gesundheitsschädigender Lärm Grundrechtliche Zumutbarkeitsschwelle Außengastronomie Seltenes Ereignis Vorbelastung Hintergrundbelastung Schutzpflicht Ermessen Nachtruhe Menschenmenge Personalmangel Ordnungsbehördliches Einschreiten Alkoholkonsumverbot Verweilverbot Teileinziehung Zaun
Normen:
GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 2; GG Art. 11; GG Art. 14 Abs. 1; BImSchG § 3 Abs. 5,; BImSchG § 22; LImSchG § 9; LImSchG § 5 Abs. 1 lit. c); OWiG § 117; VwGO § 82 Abs. 1 Satz 2
Leitsätze:

1. Ein Klageantrag darf, um hinreichend bestimmt zu sein, noch in der Berufungsverhandlung präzisiert werden.

2. Ein innerstädtischer, als öffentliche Verkehrsfläche gewidmeter Platz, der jahrelang - von der Stadt wohlwollend begleitet - bis tief in die Nacht von mehreren hundert, teils über tausend Personen regelmäßig als „Partyzone“ genutzt wird, kann im Einzelfall als sonstige ortsfeste Einrichtung i. S. d. § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG dem anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht (§ 22 BImSchG) unterliegen. Anwohnern kann daher ein öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch gegen die von einer solchen Anlage ausgehenden unzumutbaren Lärmbelästigungen zustehen.

3. Die sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden Schutzpflichten erfordern auch die Ergreifung von Maßnahmen zum Schutz vor gesundheitsschädigendem und gesundheitsgefährdendem Lärm.

4. Eine Schutzpflichtverletzung kommt nur in Betracht, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen worden sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben oder wenn sie auf einer unzureichenden Tatsachenermittlung oder unvertretbaren Einschätzungen beruhen (wie BVerfG, Beschluss vom 15. März 2018 - 2 BvR 1371/13 -).

5. Bei Geräuschen einer Menschenmenge, die in hohem Maße durch Schreien, Rufen, Grölen etc. gekennzeichnet sind und deshalb den Schlaf in besonderer Weise gefährden, ist die Grenze der Gesundheitsgefahr in einem überwiegend zu Wohnzwecken genutzten Gebiet nachts bei 60 dB(A) anzusetzen.

6. Die von der Behörde zu treffende Ermessensentscheidung über ordnungsbehördliche Maßnahmen gegen unzumutbaren Lärm ist fehlerhaft, wenn diese ihre Handlungsmöglichkeiten nicht vollständig erkannt und erwogen hat.

7. Die Frage, ob und ggf. welche ordnungsrechtlichen Eingriffsbefugnisse bestehen, wenn Lärm von einer größeren Menschenmenge ausgeht, deren Teilnehmer sich in angemessener Lautstärke unterhalten, stellt sich bei einem „Partytreff“ auf einem öffentlichen Platz solange nicht, wie die Behörde nicht gegen Einzelereignisse, die den Lärmpegel signifikant erhöhen und die Nachtruhe erheblich stören, wie Schreien, Rufen, Grölen etc., effektiv einschreitet.

8. Zeigt ein Einschreiten gegen solche Einzelereignisse keinen oder nur unzureichenden Erfolg, können als weitere Maßnahmen zum Schutz der Anwohner vor unzumutbarem Lärm ein durch ordnungsbehördliche Verordnung zu regelndes Alkoholkonsumverbot und ein Verweilverbot sowie die Teileinziehung des Platzes mit Einzäunung in Betracht zu ziehen sein.

 
Tenor:

Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des am 17. Mai 2018 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Köln wie folgt gefasst wird:

Die Beklagte wird verurteilt, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Kläger vor Lärm zu ergreifen, sodass in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr an den Wohnungen der Kläger Ruhestörungen, die nach Maßgabe der Entscheidungsgründe für die Kläger unzumutbar sind, unterbunden werden.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 
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