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Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen einschließlich der außergerichtlichen Kosten des beigeladenen Landes, die erstattungsfähig sind, trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Räumung und Beseitigung von Anlagen im Hambacher Forst.
3Der betroffene Bereich des Forstes ist in dem im Juni 1977 bekannt gemachten Braunkohleplan Teilplan „12/1 - Hambach - Abbau und Außenhaldefläche des Tagebaus Hambach“ als Braunkohleabbaufläche ausgewiesen. Der Braunkohleplan Hambach sieht eine Abbau- und Haldenfläche von ca. 85 km² vor, der Abbau des gesamten Feldes sollte ursprünglich bis etwa 2045 dauern.
4Seit 2012 haben Gegner des Braunkohleabbaus im Hambacher Forst verschiedene Anlagen errichtet, darunter Barrikaden, ebenerdige Anlagen (z. B. Unterstände und Holzhütten) sowie Konstruktionen an und in Bäumen, die teilweise mit Planen überzogen und vielfach untereinander mit Hängebrücken bzw. Seilen verbunden waren. Wegen der Einzelheiten wird auf die Dokumentation des Polizeipräsidiums B. vom 24.8.2018 (Beiakte Heft 8) Bezug genommen.
5Mit Schreiben vom 2.7.2018 beantragte die S. bei der Beklagten die Räumung von Waldbesetzungen zum Zweck der planmäßigen Fortsetzung des genehmigten Braunkohletagebaus Hambach. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 1.8.2018 abgelehnt. Im gleichen Zeitraum fanden zwischen den beteiligten Behörden mehrere Besprechungen zur Frage der Zuständigkeit für ein Vorgehen gegen die Anlagen im Hambacher Forst statt.
6Mit Erlass vom 4.9.2018 wies das damalige Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung (MHKBG) des Landes Nordrhein-Westfalen die Bezirksregierung sowie den S.-Kreis an, im Rahmen ihrer Aufsichtsfunktion als Obere Bauaufsicht ihr Weisungsrecht auszuüben und den Kreis E. sowie die Beklagte anzuweisen, gegen die baulichen Anlagen im Hambacher Forst bauordnungsrechtlich einzuschreiten. Mit Schreiben vom 5.9.2018 wies der S.-Kreis die Beklagte unter Verweis auf den Erlass vom 4.9.2018 zur Einleitung der ordnungsbehördlichen Maßnahmen an. Mit E-Mail vom 6.9.2018 kündigte der zuständige Abteilungsleiter des MHKBG u. a. gegenüber der Bezirksregierung, dem Kreis E., dem S.-Kreis und der Beklagten an, eine Formulierungshilfe für die angestrebten Allgemeinverfügungen zu erstellen. Zudem werde mit dem Ministerium des Innern besprochen, ob mit Blick auf ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen eine Verschiebung der Fristen für den Erlass der ordnungsbehördlichen Maßnahmen in Betracht komme. Nachdem der angekündigte Entwurf einer Weisung übersandt worden war, teilte die Beklagte dem MHKBG mit Schreiben vom 10.9.2019 mit, die avisierte Weisung werde umgesetzt, sobald sie vorliege, dies stelle jedoch kein Einverständnis und keine rechtliche und/oder politische Zustimmung dar. Im Rahmen der Ermessensausübung als Bauordnungsbehörde dürften anstehende Rodungsarbeiten kein Entscheidungskriterium sein. Eine Beseitigungsverfügung sei zur Erreichung des Zwecks, den Hambacher Forst zur bevorstehenden Rodung freizumachen, nicht das geeignete und verhältnismäßige Mittel. Dies sei ein vom Landesbetrieb Wald und Holz auszusprechendes Waldbetretungsverbot, das die Polizei sichere und durchsetze. Zudem sei die Tragung der Kostenlast der Vollzugshilfe durch sie, die Beklagte, nicht angemessen, da sie Haushaltssicherungskommune sei. Sie halte das Vorgehen für rechtlich angreifbar. Es bestehe die erhebliche Gefahr, dass ein Verwaltungsgericht Ermessensfehler wegen sachfremder Erwägungen annehme.
7Mit Erlass vom 12.9.2018 wies das MHKBG die Bezirksregierung und den S.-Kreis als obere Bauaufsichtsbehörden an, die jeweils betroffenen unteren Bauaufsichtsbehörden umgehend anzuweisen, die folgenden Maßnahmen zu treffen:
8„1.
9Im Wege des Sofortvollzugs sind beginnend ab Donnerstag, dem 13. September 2018, 07 Uhr, auf Grundlage von § 20 Abs. 1 Satz 2 OBG NRW in Verbindung mit §§ 60, 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW
10a) die baulichen Anlagen in Gestalt der Baumhäuser im Hambacher Forst unter vorheriger Ankündigung per Lautsprecher zu räumen und
11b) diese baulichen Anlagen zu beseitigen.
12(...)
132.
14Darüber hinaus ist unverzüglich eine Allgemeinverfügung auf Grundlage von § 35 Satz 2 VwVfG NRW in Verbindung mit §§ 60, 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW zu treffen in der mit sofortiger Wirkung angeordnet wird, es zu unterlassen, auf den genau zu bezeichnenden Grundstücken [Grundstück(e) in ... (Ort), Gemarkung ABC, Flur 000, Flurstück(e) xx, yy] weitere bauliche Anlagen zu errichten.“
15Zur Begründung der Weisung führte es im Wesentlichen aus: Im Sommer 2018 seien im Bereich des Hambacher Forsts Wohn- und Lagerstrukturen entdeckt worden, die aus einer Vielzahl verschiedener Arten von baulichen Anlagen bestünden, darunter ortsfest genutzte Zelte, Plätze zur Lagerung verschiedener Gegenstände des häuslichen Gebrauchs, aber auch Müll und Unrat, sowie sonstige Holzkonstruktionen, die offensichtlich der längerfristigen Unterbringung von Menschen dienen sollten. Des Weiteren seien bauliche Konstruktionen in den Bäumen eingebracht worden, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach teils mehrgeschossige Gebäude darstellten sowie über Kochgelegenheiten, Schlafplätze und Gemeinschaftsräume verfügten. Die Baumhäuser erreichten Höhen von bis zu 25 m und seien über künstliche Stützen bzw. unter Ausnutzung der vorhandenen Baumstruktur mit dem Boden verbunden. Keine der Anlagen verfüge über eine ggf. erforderliche Baugenehmigung. Die Zulässigkeit des Sofortvollzugs ergebe sich aus § 55 Abs. 2 VwVG NRW. Die Befugnis der Bauordnungsbehörde zur Anordnung der Nutzungsuntersagung und Beseitigung der vorhandenen baulichen Anlagen beruhe auf § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW. Insbesondere sei keine vorrangige Zuständigkeit der Versammlungsbehörden begründet. Es sei davon auszugehen, dass die Grundsätze der sog. Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts im Hinblick auf die nunmehr sechsjährige Nutzung des Hambacher Forsts als Ausgangspunkt für Protestaktionen gegen die Rodung im Zuge des Braunkohleabbaus keine Anwendung mehr fänden. Zudem werde nicht gegen versammlungsspezifische Gefahren eingeschritten. Die Anlagen im Hambacher Forst, darunter auch die Baumhäuser, seien bauliche Anlagen, da sie jedenfalls mittelbar mit dem Erdboden verbunden seien. Die Ortsbesichtigung am 27.8.2018 habe gravierende Verstöße insbesondere gegen brandschutzrechtliche Vorgaben offenbart. Keines der Baumhäuser verfüge über einen funktionierenden Rettungsweg. Die Baumhäuser seien entgegen der Vorgaben des § 17 Abs. 2 BauO NRW errichtet worden. Die erforderliche Erschließung sei nicht gegeben, ebenso wenig sei die Löschwasserversorgung gesichert. Die Verkehrssicherheit nach § 41 Abs. 1 und Abs. 4 BauO NRW sei nicht gegeben. Die statische Standsicherheit bezüglich der teilweise mehr als 20 m hohen Baumhäuser sei nicht gewährleistet. Die Baumhäuser seien unzweifelhaft zum sogar dauerhaften Aufenthalt von Menschen geeignet. In ihnen seien Kochgelegenheiten geschaffen worden, in teilweise mehreren Geschossen seien Wohn- und Schlafräume vorhanden, bezüglich mancher Gebäude sei sogar von Sporträumen die Rede. Zudem liege es nahe, dass die Baumhäuser gegen § 35 BauGB verstießen. Für die festgestellten Zustände seien die Bewohner und Nutzer der baulichen Anlage jedenfalls zustandsverantwortlich, möglicherweise daneben auch verhaltensverantwortlich. Die Entscheidung über die in der Weisung getroffenen Anordnungen sei ermessensgerecht. Insbesondere die Vorgaben zum Brandschutz seien von überragender Bedeutung. Dabei komme der Einsatzpraxis und Fachkenntnis der örtlichen Feuerwehr und Brandschutzdienststelle maßgebliche Bedeutung zu. Insoweit habe sich bei der Ortsbesichtigung die Einschätzung gebildet, dass bei einem Brand- und Unglücksfall im Hambacher Forst eine zeitnahe Rettung der im Forst befindlichen Personen nicht gewährleistet sei. Zudem habe sich der Eintritt einer konkreten Gefahr bereits realisiert, als am 9.9.2018 eine junge Frau nach eigenen Angaben ohne Fremdeinwirkung aus größerer Höhe aus einem Baum gestürzt sei und sich schwer verletzt habe. Es sei nicht auszuschließen, dass dieser Unfall auf die vorhandenen bauordnungsrechtlichen Mängel zurückzuführen sei. Zudem stelle das wilde Campieren im Außenbereich einen extremen städtebaulichen Missstand dar, dem die Bauaufsichtsbehörden schnell und effektiv begegnen müssten. Die Maßnahme sei auch insgesamt verhältnismäßig. Die Anordnungen seien geeignet, Abhilfe im Hinblick auf die angetroffenen Missstände zu schaffen. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich. Allein eine Nutzungsuntersagung sei zur Beseitigung der Gefahrenlage nicht ausreichend. Nur durch die Beseitigung der Anlagen lasse sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass die rechtswidrige Nutzung wieder aufgenommen werde. Der Erlass der Verfügung sei auch angemessen. Dabei werde rein vorsorglich die besondere Bedeutung und Wertigkeit des Art. 8 Abs. 1 GG in Rechnung gestellt. Es überwiege jedoch das Erfordernis der Bekämpfung einer dringenden Leibes- und Lebensgefahr. Rein vorsorglich werde zudem Art. 13 GG in die Betrachtung einbezogen. Die Baumhäuser fielen unter den weiten Wohnungsbegriff des Art. 13 GG. Die im Wald befindlichen Personen seien jedoch keine Grundrechtsträger. Zudem fehle es an einem Eingriff in den Schutzbereich, jedenfalls sei ein solcher aber gerechtfertigt. Auch weitere grundrechtliche Belange rechtfertigten keine andere Einschätzung. Im Hinblick auf die Schwere der brandschutzrechtlichen Mängel, die Zahl der brandschutzrechtlichen Mängel und baulichen Anlagen sowie im Hinblick auf die zusätzlichen Gefahren und Unklarheiten im Hinblick auf die Nutzerstrukturen im Wald sei ein sofortiges bauaufsichtliches Einschreiten geboten. Dabei gehe es auch um den Leibes- und Lebensschutz der Nutzerinnen und Nutzer. Zudem habe die Wohn- und Lebensqualität der in den Gebäuden untergebrachten Personen nur ein begrenztes Gewicht, zu berücksichtigen seien insoweit die unzureichende Ausstattung der baulichen Anlagen sowie die inakzeptablen und gesundheitsgefährdenden hygienischen Verhältnisse. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei erforderlich. Maßgeblich sei auch insoweit die akute Gefahrensituation aufgrund der brandschutzrechtlichen Mängel. Die Dringlichkeit habe sich weiter manifestiert, nachdem am 9.9.2018 eine junge Frau aus mehreren Metern Höhe aus einem Baumhaus gestürzt sei. Nach Erkenntnissen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden werde derzeit weiteres Baumaterial in die Nähe des Hambacher Forstes geschafft, um die illegale Bautätigkeit fortzusetzen und sogar noch zu intensivieren. Es sei zwar seit mehreren Jahren bekannt, dass sich Personen im Hambacher Forst aufhielten, jedoch sei das Ausmaß der illegalen baulichen Nutzung des Areals nicht bekannt gewesen. Dabei sei auch zu bedenken, dass eine regelmäßige Begehung des Forstes wegen der zunehmenden Gewaltbereitschaft gegenüber Vertretern staatlicher Autorität faktisch und bewusst unmöglich gemacht worden sei. Zudem sei durch Hinweise auf verstärkten Zulauf und Baumaßnahmen im Hambacher Forst eine grundlegende Neubewertung der baurechtlichen Situation notwendig geworden. Es sei auch erforderlich, im Wege des sofortigen Vollzugs vorzugehen, um die brandschutzrechtliche Gefahrenlage wirkungsvoll abzuwenden. Im stets zu erwartenden Brandfall sei eine Rettung der Nutzerinnen und Nutzer der Baumhäuser durch die Feuerwehr nicht gewährleistet. Hinzu kämen die Besonderheiten des Nutzerkreises der baulichen Anlagen im Hambacher Forst. Die Baumhäuser würden nach Angaben der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden immer wieder als Ausgangs- und Rückzugspunkt für die Begehung teils schwerer Straftaten genutzt. Es sei davon auszugehen, dass ein Teil der Nutzer der Baumhäuser jedwede Ausübung von Staatsgewalt dem Grunde nach ablehne. Darüber hinaus riefen mehrere Gruppen dazu auf, die Nutzung der baulichen Anlagen im Hambacher Forst keinesfalls aufzugeben und ermutigten stattdessen zur Fortsetzung des Widerstands. Insoweit bestehe die Prognose, dass sich die Nutzerinnen und Nutzer der baulichen Anlagen einer bauordnungsrechtlichen Anordnung nicht fügen würden. Es werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die oberen und unteren Bauaufsichtsbehörden nicht daran gehindert seien, zusätzlich ergänzende Ermessenserwägungen anzustellen.
16Mit Schreiben ebenfalls vom 12.9.2018 wies der Landrat des S.-Kreises die Beklagte an, die im Erlass des Ministeriums aufgeführten Maßnahmen einzuleiten.
17Ab dem 13.9.2018 wurden die Anlagen im Hambacher Forst geräumt und beseitigt. Ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Vollstreckungsakte (Beiakte Heft 4) wurde jeweils zunächst morgens der folgende Text verlesen:
18„Achtung, Achtung!
19Die Baumhäuser auf den Grundstücken Gemarkung C., Flur …, Flurstück … und Gemarkung C., Flur …, Flurstück … sind unverzüglich von Ihnen zu räumen. Darüber hinaus müssen die Baumhäuser beseitigt werden. Ich untersage Ihnen die weitere Nutzung der Baumhäuser.
20Es besteht Gefahr für Leib und Leben.
21Es liegen schwerwiegende Verstöße gegen geltendes Bauordnungsrecht vor.
22Die Baumhäuser verfügen nicht über die erforderlichen Rettungswege. Sie wurden entgegen der einschlägigen brandschutzrechtlichen Vorschriften errichtet, die erforderliche Erschließung ist nicht sichergestellt, die Verkehrssicherheit ist nicht gegeben und die Standsicherheit der Baumhäuser ist nicht sicher gewährleistet.
23Sofern Sie die Baumhäuser nicht freiwillig innerhalb der nächsten 30 Minuten räumen und deren Nutzung unterlassen, werde ich die Räumung in Anwendung des unmittelbaren Zwanges vornehmen.
24Bitte nehmen Sie beim Verlassen der Baumhäuser ihre persönlichen Gegenstände mit.“
25Laut der Übersicht „Status Baumhäuser (Stand: 18.09.2018, 22:00 Uhr)“ in der Vollstreckungsakte der Beklagten war das Objekt 7d „abgebaut“, das Objekt „7zd“ „In Bearbeitung“.
26Am 13.9.2018 wurde anwaltlich im Namen des Klägers Klage erhoben (Az. VG Köln 23 K 6323/18) und ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt (Az. VG Köln 23 L 2068/18), der mit Beschluss vom 19.9.2018 abgelehnt wurde. Das Klageverfahren 23 K 6323/18 wurde mit Beschluss vom 15.2.2019 eingestellt.
27Der Kläger hat am 16.10.2018 persönlich Klage erhoben.
28Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Das Baumhaus „NoNames (7d)“ sei am 18.9.2018 geräumt und am darauffolgenden Tag abgerissen worden. Dieses Baumhaus habe zu diesem Zeitpunkt seine Wohnung und seinen Lebensmittelpunkt dargestellt, auch wenn er sich im Zeitpunkt der Räumung vorübergehend nicht dort aufgehalten habe. Das Baumhaus habe sich in Einzellage zwischen den Dörfern Oaktown und Gallien auf dem Gebiet der Beklagten befunden. Ihm sei von weiteren Bewohnern des Baumhauses berichtet worden, dass keine Räumungsverfügung verlesen worden sei. Die Vollstreckungsakte der Beklagten breche mit dem Vermerk „Schneise schneiden zu 7zd“ ab, danach sei sein Baumhaus nie geräumt oder abgerissen worden, obwohl es am 19.9.2018 verschwunden sei, dem Tag, an dem es zu einem tödlichen Unfall im Hambacher Forst gekommen sei. Wie ursprünglich von der Beklagten vertreten dürfe es nicht Ziel des bauordnungsrechtlichen Einschreitens sein, Rodungsarbeiten für ein bergbautreibendes Unternehmen vorzubereiten. Die Räumungsverfügung selbst sei daher wegen sachfremder Erwägungen rechtswidrig.
29Der Kläger hat beantragt,
30den von der Beklagten durchgeführten Sofortvollzug zur Räumung und Beseitigung von Anlagen im Hambacher Forst ab dem 13.9.2018 aufzuheben.
31Die Beklagte hat beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Es bestünden Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, da er sich zum Zeitpunkt der Räumung nach eigenen Angaben nicht in dem Baumhaus aufgehalten habe. Er habe auch nicht vorgetragen, das Baumhaus selbst errichtet oder es berechtigterweise zu Wohnzwecken benutzt zu haben. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der der Räumung zugrunde liegenden Ordnungsverfügung werde auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Köln (Az. 23 L 2061/18) und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Az. 7 B 1362/18) verwiesen. Gegen die Räumungsverfügung vom 13.9.2018 habe der Kläger bereits im Verfahren 23 K 6323/18 Klage erhoben, die nach dem Beschluss der Kammer vom 15.2.2019 als zurückgenommen gelte. Die Räumungsverfügung sei daher bestandskräftig und nicht mehr angreifbar. Zudem habe der Kläger in dem Verfahren 23 K 6323/18 vorgetragen, die Räumungsverfügung sei ihm mündlich bekannt gemacht worden. Es sei seine Sache gewesen, Mitbewohner und Gäste zu informieren.
34Am 10.2.2021 schlossen u. a. die S. AG bzw. S. Power AG und die Bundesrepublik Deutschland einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, in dem sich erstere verpflichteten, den Hambacher Forst nicht mehr für den Tagebau in Anspruch zu nehmen. Am 23.3.2021 fasste die Regierung des beigeladenen Landes den Beschluss „Leitentscheidung 2021: Neue Perspektiven für das Rheinische Braunkohlerevier“, wonach es für den Tagebau Hambach einen neuen bzw. weitgehend geänderten Braunkohlenplan werde geben müssen. Ein entsprechendes Änderungsverfahren wurde eingeleitet.
35Mit Urteil vom 8.9.2021 hat das Verwaltungsgericht den von der Beklagten durchgeführten Sofortvollzug zur Räumung und Beseitigung von Anlagen auf den Grundstücken Gemarkung C., Flur …, Flurstück … und Gemarkung C., Flur …, Flurstück … ab dem 13.9.2018 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig und insbesondere als Anfechtungsklage statthaft. Gegenstand sei nicht nur die Räumung und Beseitigung des Baumhauses 7d, das vom Kläger bewohnt worden sei. Vielmehr handele es sich bei der Räumung und Beseitigung der Anlagen im Hambacher Forst um eine einheitliche, nicht teilbare Gesamtmaßnahme. Die Klage sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer entgegenstehenden Rechtshängigkeit unzulässig. Das Verfahren 23 K 6323/18 sei im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eingestellt gewesen, im Übrigen habe der damalige Prozessbevollmächtigte die Klage als Vertreter ohne Vertretungsmacht erhoben, so dass die Klage dem Kläger nicht zuzurechnen sei. Die Klage sei auch begründet. Die Beklagte habe nicht innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt und die Entscheidung über die Notwendigkeit des Sofortvollzugs sei rechtsfehlerhaft. Es könne offenbleiben, ob es sich bei den im Hambacher Forst geräumten und beseitigten Anlagen um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 Abs. 1 BauO NRW a. F. gehandelt habe und ob die angenommenen Verstöße gegen §§ 17 und 41 BauO NRW flächendeckend vorgelegen hätten. Ferner bestünden Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Räumungsverfügung. Jedenfalls aber seien die der Räumung und Beseitigung zugrundeliegenden (hypothetischen) Grundverwaltungsakte ermessensfehlerhaft. Es sei auf die Ermessenserwägungen der Weisung des MHKBG vom 12.9.2018 abzustellen. Diese Ermessenserwägungen seien fehlerhaft. Das Ministerium sei dem Gebot der vollständigen Ermittlung des Sachverhalts nicht nachgekommen. Insbesondere seien Ermittlungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme baulicher Anlagen und für die Notwendigkeit von Rettungswegen und Brüstungen unterblieben, obwohl sich diese angesichts der Fotodokumentation vom 24.8.2018 aufgedrängt hätten. Zudem sei das Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigungsnorm entsprechenden Art ausgeübt worden. Zweck der Ermächtigungsnorm des § 61 BauO NRW a. F. sei die Durchsetzung des formellen und materiellen Baurechts. Die Weisung betone zwar zunächst den hohen Stellenwert des Brandschutzes, enthalte aber sodann umfangreiche Ausführungen zur allgemeinen Gefahrenabwehr ohne Bezug zu § 61 BauO NRW a. F. Zudem sei ein Fall der „inneren Vorwegbindung“ gegeben. Den Akten zufolge sei das klare Ziel gewesen, aus polizeitaktischen Erwägungen heraus für Zwecke der Abwehr von Gefahren, die von der Besetzerszene ausgingen, den Wald als Angriffs- und Rückzugsraum auszuschließen. Die rechtsstaatlich gebotene Offenheit für die Ausübung des bauordnungsrechtlich eröffneten Ermessens sei an keiner Stelle erkennbar. Der dem Schutz der Bewohner dienende Brandschutz sei lediglich als „Vehikel“ genutzt worden, um § 61 BauO NRW a. F. als Ermächtigungsgrundlage heranziehen zu können. Die Ermessensfehler würden nicht dadurch ausgeräumt, dass die Beklagte die Räumung und Beseitigung in der mündlichen Verhandlung in erster Linie auf die fehlenden Baugenehmigungen sowie auf die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit nach § 35 BauGB gestützt habe. Es sei zweifelhaft, ob die Beklagte die Ermessenserwägungen der Weisung vom 12.9.2018 überhaupt modifizieren und ob dem Sofortvollzug nach der Durchführung eine andere Zweckrichtung gegeben werden könne. Jedenfalls sei bei einem vollständigen Austausch der Ermessenserwägungen eine gegenwärtige Gefahr, die die Abweichung vom gestreckten Verfahren nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW rechtfertige, nicht mehr erkennbar.
36Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung führt die Beklagte im Wesentlichen aus: Die Klage sei abzuweisen. Der Kläger sei schon nicht klagebefugt. Er sei nach eigenen Angaben während der Vollstreckungsmaßnahme nicht im Hambacher Forst zugegen gewesen und habe auch kein Eigentums- oder Besitzrecht an einem später zerstörten Baumhaus glaubhaft gemacht. Zudem sei eine Erledigung eingetreten. Da der Kläger während der Räumung nicht anwesend gewesen sei, könne er auch kaum Adressat einer Kostenforderung sein. Auch eine Fortsetzungsfeststellungsklage komme deshalb nicht in Betracht. Die Voraussetzungen für die Räumung und Beseitigung nach § 55 Abs. 2 VwVG NRW i. V. m. §§ 57 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3, 59, 62 VwVG NRW lägen vor, die Entscheidung sei nicht ermessensfehlerhaft ergangen. Ihre Handlungsbefugnis zur Räumung und zum Abriss der Anlagen habe sich vorliegend aus § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW a. F. ergeben. Die Voraussetzungen der Norm seien gegeben. Insbesondere habe es sich bei den Baumhäusern um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 Abs. 1 BauO NRW a. F. gehandelt. Infolge dessen seien die Anlagen als „Gebäude“ zu qualifizieren und die Anforderungen der §§ 17, 41 BauO NRW a. F. zu beachten. Aufgrund der räumlichen Verhältnisse sowie der Nutzung der Objekte habe ein erheblicher Gefahrentatbestand für Leib und Leben vorgelegen, der sich mit dem Unfall am 9.9.2018 sowie durch Brandereignisse im Hambacher Forst realisiert habe. Die Maßnahme sei auch ausreichend bestimmt gewesen. Der Inhalt der Durchsage sei dahingehend zu verstehen gewesen, dass der Begriff „Baumhäuser“ der Oberbegriff für sämtliche Anlagen sei, die illegal im Hambacher Forst errichtet worden seien. Der Räumung liege kein Ermessensfehlgebrauch zugrunde. Die Qualifikation der Baumhäuser als bauliche Anlagen habe keiner Ermessenserwägungen bedurft, weil es sich um eine Rechtsbewertung handele. Ein Ermessensfehlgebrauch bestehe auch nicht darin, dass die beteiligten Behörden nicht ermittelt hätten, ob eine Räumung und Beseitigung nur einzelner Anlagen in Betracht habe kommen müssen. Dem stehe der Aspekt der Effektivität der Gefahrenabwehr entgegen. Es gebe keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Sachverhaltsermittlung und Ermessensfehlerhaftigkeit, ein Gebot der vollständigen Ermessenserwägung bestehe nicht. Zudem könne ein - nicht gegebener - Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfen, da die Entscheidung in der Sache richtig sei. Die vom Verwaltungsgericht angenommenen zweckwidrigen Erwägungen erinnerten an die „fruit of the poisonous tree rule“ des amerikanischen Strafrechts, die im öffentlichen Baurecht insbesondere mit Blick auf die Funktion des Bauordnungsrechts als Gefahrenabwehrrecht nicht greife. Zudem habe es bezogen auf die Tatbestandsvoraussetzungen keine sachfremden Erwägungen gegeben. Insgesamt blende das Verwaltungsgericht die tatsächliche und sich später teilweise realisierende Gefahrenlage aus. Rettungskräfte seien nach der Ortsbegehung zu der Einschätzung gekommen, bei einem Unglücksfall nicht gewährleisten zu können, in angemessener Zeit Hilfe zu leisten. Gefahrenabwehrrechtlich habe insoweit ein Fall der Ermessensreduktion vorgelegen. Soweit die Weisung auf das Gefahrenpotential der Bewohner hinweise, sei dies keine sachfremde Erwägung, da dieser Umstand bei der Umsetzung der Verfügung zu berücksichtigen sei. Die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Besprechungen und E-Mails zeigten, dass nach Auffassung des Ministeriums ein Einschreiten aus mehreren Aspekten möglich gewesen sei, es sich jedoch für ein Einschreiten aufgrund der Gefahr für Leib und Leben entschieden habe, so dass die Weisung ausschließlich darauf gestützt worden sei.
37Die Beklagte beantragt,
38unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
39Der Kläger beantragt,
40die Berufung zurückzuweisen.
41Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Er sei klagebefugt. Wie vom Verwaltungsgericht angenommen, könne er sich jedenfalls auf die allgemeine Handlungsfreiheit berufen. Er habe im September 2018 ein Baumhaus mit der Bezeichnung „NoNames“ im Protestcamp im Hambacher Forst auf dem Stadtgebiet der Beklagten bewohnt. Es sei im Sommer/Herbst 2017 errichtet und im Frühjahr 2018 ihm und einer weiteren Person zur Nutzung übergeben worden, der Erbauer habe eine Baumpflegeausbildung gehabt. Das Baumhaus habe im Wesentlichen aus Holzbalken, Dachsparren, Fenstern, Sperrholz, Holzdielen und Planen sowie Stroh bestanden, das Dach sei aus Haselzweigen, Decken und Gewebeplanen errichtet worden, die Wände hätten aus Paletten, Sperrholz und weiteren Planen bestanden, einzelne Wand- und Dachabschnitte seien mit Stroh gedämmt gewesen. Es habe eine große Terrasse, eine Küchenecke mit großen Fenstern und ein Bett mit zwei Matratzen enthalten. Möglicherweise habe es eine weitere Plattform gegeben, an einen Ofen könne er sich nicht erinnern. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vom Kläger vorgelegten Lichtbilder (elektronische Gerichtsakte, Blatt 195 - 205) Bezug genommen. Die Position des Baumhauses habe sich zwischen den Campteilen „Gallien“ und „Oaktown“ befunden. Im Sommer 2018 sei eine aus Polypropylenseilen bestehende Querverbindung zum Rest von „Gallien“ gebaut worden. Ihm gegenüber sei keine Erledigung der Maßnahmen eingetreten. Räumung und Beseitigung der Baumhäuser seien gegen sämtliche Personen gerichtet gewesen, die sich zum Zeitpunkt der Maßnahmen wohnmäßig dort aufgehalten hätten. Zum Zeitpunkt der Räumung sei er sowohl Bewohner als auch Nutzer des Baumhauses „NoNames 7d“ gewesen. Alternativ könne er sich auf ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse berufen, da die Maßnahme gegen ihn gerichtet bzw. er durch sie unmittelbar betroffen gewesen sei. Sein Lebensmittelpunkt sei zerstört und die beabsichtigte Rückkehr unmöglich gemacht worden. Inzwischen betreibe er im Hinblick auf die ihm durch die Räumung entstandenen Schäden einen Amtshaftungsprozess gegen das beigeladene Land. Bei einem großen Teil der am Boden befindlichen Anlagen habe es sich nicht um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 Abs. 1 BauO NRW a. F. gehandelt, dies gelte jedenfalls für die Konstruktionen, die nicht begehbar gewesen seien. Da es sich bei der Räumung und Beseitigung um eine einheitliche Gesamtmaßnahme gehandelt habe, sei das bauaufsichtliche Einschreiten insgesamt rechtswidrig, wenn es sich zum Teil auf Gegenstände beziehe, die nicht der Bauaufsicht unterlägen. Die Maßnahme sei auch nicht hinreichend bestimmt gewesen, der Begriff „Baumhäuser“ stelle unter keinem Gesichtspunkt einen Oberbegriff für sämtliche illegal im Hambacher Forst errichteten Anlagen dar. Zudem sei das Verwaltungsgericht zu Recht von Ermessensfehlern ausgegangen. Die handelnde Behörde habe die Tatsachen unvollständig ermittelt und rechtlich falsch gedeutet, soweit es die Qualifizierung der Baumhäuser als bauliche Anlagen betreffe. Eine vollständige Sachverhaltsermittlung hätte vorausgesetzt, dass bezüglich jeder einzelnen Anlage deren Beschaffenheit untersucht und festgehalten werde, was für einen beträchtlichen Teil der Anlage zur Nichtanwendbarkeit des § 61 BauO NRW a. F. geführt hätte. Die Behörde habe sich auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Räumung und Beseitigung der sonstigen Anlagen als Annex zur Räumung und Beseitigung der baulichen Anlagen erforderlich und verhältnismäßig gewesen wäre. Zudem fehle die Ermittlung der tatsächlichen Voraussetzungen für die Notwendigkeit von Brüstungen und Rettungswegen. Ebenso wenig sei ermittelt worden, inwieweit eine Neuerrichtung der Baumhäuser überhaupt zu erwarten gewesen sei, als milderes Mittel habe sich die Beseitigung der Baumhäuser ohne die sonstigen Konstruktionen aufdrängen müssen. Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung setze zwingend die zutreffende Kenntnis der wesentlichen tatsächlichen Gegebenheiten voraus. Fehle es daran, sei die Entscheidung selbst dann aufzuheben, wenn sie auch bei einem vollständigen Sachverhalt vertretbar gewesen wäre. Nichts anderes ergebe sich aus dem Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr. Zudem habe die Beklagte ihr Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigungsnorm entsprechenden Art ausgeübt. Die Räumung und Beseitigung der Anlagen im Hambacher Forst habe nach dem Willen des MHKBG nicht maßgeblich der Abwehr von Brandgefahren gedient, sondern dem Zweck, die Rodung des Waldes zu ermöglichen; damit fehle es am Bezug zur Ermächtigungsgrundlage in § 61 BauO NRW a. F. Insoweit komme es nicht allein auf die Erwägungen in der Weisung des MHKBG vom 12.9.2018 an, auch Äußerungen anderer Verfahrensbeteiligter, interne E-Mails und Besprechungen, auch solche des Innenministeriums, könnten Aufschluss über die tatsächliche Motivlage des Amtswalters geben. Dass die Ermöglichung der Rodung des Hambacher Forstes den eigentlichen Grund für das Einschreiten der Beklagten darstelle, ergebe sich aus zahlreichen Stellen der behördlichen Akten. Bereits in der ersten Besprechung des Innenministeriums vom 25.7.2018 habe kein Zweifel am gewünschten Ergebnis bestanden. Auch dass ein Einschreiten ausgerechnet unmittelbar vor den anstehenden Rodungsarbeiten für notwendig erachtet worden sei, spreche eine deutliche Sprache. Herauszuheben sei die E-Mail des zuständigen Abteilungsleiters des MHKBG vom 6.9.2018, nach der eine Verschiebung der Räumung in Betracht komme, wenn die Rodungen erst nach Ablauf der zweiten Oktoberwoche begönnen; das „Ob“ und „Warum“ der Maßnahme habe danach bereits zu diesem Zeitpunkt, also vor der förmlichen Begründung des Ermessens in der Weisung vom 12.9.2018 festgestanden. Daran vermöge auch der von der Beklagten angeführte „Koordinierungs- und Abstimmungsbedarf“ nichts zu ändern. Eine solche Koordinierung komme, wenn überhaupt, nur dergestalt in Betracht, dass sich die Rodung zeitlich an der Räumung orientiere; hier sei das genaue Gegenteil erfolgt. Eine Behörde, die sich aufgrund einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben zu einem sofortigen Einschreiten verpflichtet sehe, dürfe ihre Maßnahmen in keinem Fall zeitlich an Rodungsarbeiten orientieren. Es habe auch kein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorgelegen. Eine solche stelle den absoluten Ausnahmefall dar, die pauschale Berufung auf den Zweck des Gefahrenabwehrrechts genüge jedenfalls nicht. Die Baumhausbewohner seien durch Art. 2 Abs. 2, 8 Abs. 1, 13 Abs. 1 GG in besonderem Maß grundrechtlich geschützt gewesen, die Aktivisten hätten sich freiwillig in die jeweilige Situation gebracht, dies sei von den Behörden jahrelang anstandslos geduldet worden und eine Fremdgefährdung sei praktisch ausgeschlossen gewesen. Zudem sei der Beklagten immer noch ein Ermessen hinsichtlich der Wahl der Mittel verblieben, insoweit sei eine Ermessensreduzierung auf Null nicht erkennbar. Eine bloße Nutzungsuntersagung, die Räumung und Beseitigung nur einzelner Baumhäuser bzw. nur der baulichen Anlagen oder ein Vorgehen im gestreckten Verfahren seien ebenso erwägenswert gewesen wie eine Kooperation mit den Bewohnern der Baumhäuser zur Herstellung brandschutzrechtlich zulässiger Zustände.
42Das beigeladene Land beantragt,
43unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
44Zur Begründung verweist es zunächst auf die Ausführungen der Beklagten sowie auf die Weisung vom 12.9.2018. Daneben führt es im Wesentlichen aus: Die Ermessensausübung des Ministeriums in der Weisung vom 12.9.2018 sei rechtmäßig. Es habe sich als oberste Bauaufsichtsbehörde auf der Grundlage von erheblichsten brandschutzrechtlichen Gefahrenlagen zur Beseitigung dieser Zustände entschlossen. Eine solche Entscheidung bedürfe trotz des Ermessenscharakters praktisch keiner Begründung. Dass das Ministerium überobligatorisch ausführlich dargelegt habe, welche weiteren Gründe und Zusammenhänge zu der Entscheidung des sonderordnungsbehördlichen Einschreitens geführt hätten, führe zu keinem Ermessensfehler. Es liege auch kein Ermessensfehler in Form eines Ermittlungsdefizits vor. Grundsätzlich komme eine Aufhebung nur in Betracht, wenn sich der von der Behörde zugrunde gelegte Sachverhalt als unrichtig erweise. Dies rüge das Verwaltungsgericht jedoch nicht. Vor Erlass der Weisung hätten mehrere Begehungen im Hambacher Forst stattgefunden, an denen mehrere Fachbehörden beteiligt gewesen seien. Welche weiteren Sachverhaltsaufklärungen angezeigt gewesen wären, zeige das angegriffene Urteil nicht auf. Zudem sei die formelle und materielle Baurechtswidrigkeit offenkundig gewesen, so dass weitere Aufklärung oder Ermittlungen nicht erforderlich gewesen seien. Bei der Vollstreckung einer bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung und Beseitigungsverfügung gegen den Willen eines Nutzers bestehe eine Annexkompetenz zur Überwindung und Beseitigung eventueller Schutz- und Verteidigungsanlagen. Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen sei die Räumung und Beseitigung der Anlagen im Hambacher Forst keine einheitliche, unteilbare Gesamtmaßnahme gewesen. Jede Person habe die Nutzung für sich aufgeben, jede Anlage und jedes Baumhaus für sich beseitigt werden können. Dementsprechend habe das Verwaltungsgericht prüfen müssen, ob das vermeintliche Ermittlungsdefizit gerade in Bezug auf eine subjektive Rechtsverletzung des Klägers und seines Baumhauses bestanden habe. Es lägen auch keine gesetzeszweckwidrigen Ermessenserwägungen vor. Die Weisung hebe ausdrücklich die besondere Bedeutung des Brandschutzes hervor. Diese Erwägungen stünden im Einklang mit dem gesetzlichen Gestaltungsauftrag der bauordnungsrechtlichen Generalklausel des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW a. F. Die weiteren Ausführungen zur Waldbewohnerszene beträfen nicht die Frage des Entschließungsermessens, sondern die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und einschlägiger Grundrechte. Angesichts der Zustände im Hambacher Forst, insbesondere einem Brandereignis im Jahr 2021 und des tödlichen Absturzes einer Person während der Räumung im September 2018, sei von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen. Der Sofortvollzug sei notwendig gewesen. Die Bauaufsichtsbehörde dürfe zur Abwehr schwerwiegender brandschutzrechtlicher Gefahren besondere Anforderungen stellen, die auf der sicheren Seite lägen. Dies gelte auch für das zeitliche Vorgehen, da es Sache der Bauaufsichtsbehörde sei, im Interesse der Brandsicherheit effektiv und vor allem schnell zu handeln. In Anbetracht der Einschätzung der zuständigen Kräfte des Feuerwehr- und Rettungsdienstes zu den örtlichen Gegebenheiten habe das beigeladene Land mit gefahrenabwehrenden Maßnahmen nicht länger warten können und wollen. Die Notwendigkeit entfalle auch nicht aufgrund der E-Mail des zuständigen Abteilungsleiters vom 6.9.2018, in der ausgeführt werde, dass eine Verschiebung des Räumungseinsatzes um wenige Tage in Betracht komme. Es habe sich um den größten Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen gehandelt, bei dem bundesweit Einsatz- und Spezialkräfte zu koordinieren gewesen seien. Zudem bestehe hinsichtlich der Notwendigkeit des Sofortvollzugs kein behördlicher Beurteilungsspielraum.
45Am 31.12.2021 hat der Kläger bei dem Landgericht Köln die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen das beigeladene Land auf Schadensersatz aufgrund der Zerstörung seines Baumhauses beantragt. Mit Beschluss vom 9.7.2022 hat das Landgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Ratenzahlung bewilligt, soweit er den Ersatz der Kosten für Bau- und Klettermaterial begehrt.
46Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte Hefte 1, 3 und 4 sowie 8) und des beigeladenen Landes (Beiakte Heft 12 bis 15), der beigezogenen Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Köln 23 L 2061/18 (Beiakte Heft 5), 23 K 6323/18 (Beiakte Heft 6), 23 L 2068/18 (Beiakte Heft 7) sowie der Gerichtsakte des Landgerichts Köln 5 O 9/22 (Beiakte Heft 11) Bezug genommen.
47Entscheidungsgründe:
48Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
49Sie ist zulässig und begründet.
50Die Klage, mit der sich der Kläger (nur) gegen die Räumung und Beseitigung der Baumhäuser im Hambacher Forst im Wege des Sofortvollzugs ab dem 13.9.2018 wendet, nicht aber gegen das mit Allgemeinverfügung der Beklagten vom 17.9.2018 ausgesprochene Verbot, neue bauliche Anlagen zu errichten, hat keinen Erfolg.
51Sie ist zulässig (dazu I.), aber unbegründet (dazu II.).
52I. Die Klage ist zulässig.
53Dabei kann offenbleiben, ob die gegen den Sofortvollzug gerichtete Klage als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO
54- vgl. Urteil des Senats vom 16.10.2008 - 7 A 696/07 -, juris unter Bezugnahme auf OVG NRW, Beschluss vom 25.11.1993 - 10 B 360/93 -, NVwZ-RR 1994, 549 = juris -
55oder als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO
56- vgl. Kuznik in Brandt/Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 5. Aufl. 2023, E. Die Vollstreckung von Verwaltungsentscheidungen, Rn. 82 m. w. N. -
57statthaft ist.
58Die in beiden Fällen erforderliche Klagebefugnis - im Fall der Feststellungsklage findet § 42 Abs. 2 VwGO analoge Anwendung,
59vgl. nur BVerwG, Urteil vom 2.12.2015 - 10 C 18.14 -, NVwZ-RR 2016, 344 = juris, m. w. N. -
60liegt vor, denn es ist jedenfalls nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass der Kläger durch die Räumung und Beseitigung der Baumhäuser im Hambacher Forst in seinem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt ist.
61Im Hinblick darauf ist auch das für eine Feststellungsklage erforderliche Interesse an der begehrten Feststellung (§ 43 Abs. 1 VwGO) gegeben.
62II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
631. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist - anders als vom Verwaltungsgericht angenommen - allein der gegen das Baumhaus des Klägers gerichtete Sofortvollzug. Soweit er sich darüber hinaus gegen die „Gesamtmaßnahme“ der Räumung und Beseitigung aller Anlagen im Hambacher Forst wendet, fehlt es an der für den Erfolg der Klage erforderlichen Rechtsverletzung.
64Jedenfalls dann, wenn eine angegriffene Maßnahme teilbar ist, ihre Durchsetzung also nicht nur einheitlich erfolgen kann, kann auch nur jede von ihr erfasste Person für sich allein, d. h. nur mit „relativer Wirkung“ hiergegen vorgehen.
65Vgl. für eine Allgemeinverfügung OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.10.2004 - 1 ME 205/04 -, BauR 2005, 84 = juris m. w. N.
66Die einzelnen Maßnahmen der Räumung des Hambacher Forstes im September und Oktober 2018 sind voneinander trennbar, die Räumung und Beseitigung jeder einzelnen Anlage kann isoliert betrachtet werden. Der Kläger hat nach eigenen Angaben auch nur ein Baumhaus, nämlich das von ihm als „NoNames“ bezeichnete, genutzt.
67Ein „Gesamtzusammenhang“ aller Maßnahmen zur Räumung des Hambacher Forstes, der dem Kläger Rechtsschutz auch gegen die ihn nicht unmittelbar betreffenden Maßnahmen ermöglichen könnte, liegt nicht vor. Er ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Räumung eine einheitliche, durch Art. 8 GG geschützte Versammlung betroffen hätte. Im Zeitpunkt der Räumung Mitte September 2018 bestand im Hambacher Forst keine in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG fallende Versammlung. Der Senat hat dazu in seinem Eilbeschluss vom 14.9.2018 im Verfahren 7 B 1354/18, juris, Rn. 6 ff. ausgeführt:
68„Dabei ist zunächst in Rechnung zu stellen, dass die Nutzung des Baumhauses durch den Antragsteller nicht als Teil einer in den Schutzbereich des Art. 8 GG fallenden Versammlung zu beurteilen ist. Auch wenn man die fortgesetzte Anwesenheit der „Waldbesetzer“ unter anderem in den zahlreichen Baumhäusern im Bereich des Hambacher Forstes als Versammlung auffassen wollte, fehlt es nach summarischer Prüfung auf Grundlage der dem Senat zur Zeit zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel jedenfalls an dem Merkmal der Friedlichkeit einer solchen Versammlung.
69Die Verfassung gewährleistet lediglich das Recht, sich „friedlich und ohne Waffen zu versammeln“. Mit dem Erfordernis der Friedlichkeit, das schon in der Paulskirchen-Verfassung und ebenso in der Weimarer Verfassung enthalten war, wird etwas klargestellt, was bereits aus der Rechtsnatur der Versammlungsfreiheit folgt, soweit sie als Mittel zur geistigen Auseinandersetzung und zur Einflussnahme auf die politische Willensbildung verstanden wird. Ein Teilnehmer verhält sich jedenfalls dann unfriedlich, wenn er Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begeht. Auf deren Vermeidung muss eine Rechtsordnung, die die Ausübung von Gewalt nicht zuletzt im Interesse schwächerer Minderheiten beim Staat monopolisiert hat, strikt bestehen. Das ist Vorbedingung für die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit als Mittel zur aktiven Teilnahme am politischen Prozess und - wie die Erfahrungen mit den Straßenkämpfen während der Weimarer Republik gezeigt haben - für eine freiheitliche Demokratie auch deshalb unverzichtbar, weil die Abwehr von Gewalttätigkeiten freiheitsbegrenzende Maßnahmen auslöst. Von den Demonstranten kann ein friedliches Verhalten um so mehr erwartet werden, als sie dadurch nur gewinnen können, während sie bei gewalttätigen Konfrontationen am Ende stets der Staatsgewalt unterliegen werden und zugleich die von ihnen verfolgten Ziele verdunkeln. Die Anordnung eines Versammlungsverbotes wirft verfassungsrechtlich keine besonderen Probleme auf, wenn die Prognose mit hoher Wahrscheinlichkeit ergibt, dass der Veranstalter und sein Anhang Gewalttätigkeiten beabsichtigen oder ein solches Verhalten anderer zumindest billigen werden. Eine derartige Demonstration wird als unfriedlich von der Gewährleistung des Art. 8 GG überhaupt nicht erfasst.
70Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315.
71So verhält es sich nach den dem Senat zur Zeit verfügbaren Erkenntnissen auch vorliegend. Im Bereich des Hambacher Forstes ist es zu einer Vielzahl auch schwerer Straftaten insbesondere zum Nachteil von Polizisten und Mitarbeitern der S. gekommen. Allein im ersten Halbjahr des Jahres bis Ende August sollen 88 Straftaten begangen worden sein (so Spiegel Online vom 13.9.2018). Auch in dieser Woche waren mehrere Gewalttaten zu verzeichnen. So hat am Montag eine Gruppe vermummter Personen Brandsätze und Steine auf Polizeibeamte und einen Traktor geworfen (vgl. Aachener Zeitung vom 10.9.2018). Am Mittwochmorgen haben dann mehrere vermummte Personen im Hambacher Forst erneut Polizisten mit Steinwürfen angegriffen, was einen Beamten veranlasste, einen Warnschuss in die Luft abzugeben (vgl. Aachener Nachrichten vom 12.9.2018). Auch am [13.9.2018] ist es nach übereinstimmenden Medienberichten zu gewalttätigen Angriffen mit Zwillen und Molotow-Cocktails gekommen. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Gewalttaten jedenfalls auch aus dem Kreis der „Waldbesetzer“ heraus begangen und im Übrigen von ihnen jedenfalls ganz überwiegend gebilligt werden. Nach einer Beurteilung des Aachener Polizeipräsidenten von Ende August, an deren Richtigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht, besteht die „Besetzerszene“ im Hambacher Forst inzwischen in wesentlichen Teilen aus „Gewalttätern aus ganz Europa, die von anderen Konfliktherden in Europa kommen und dem Unterstützungsaufruf aus der Waldszene gefolgt sind“ (vgl. Westdeutsche Zeitung vom 28.8.2018). Dafür dass sich diese Situation zwischenzeitlich im Sinne einer friedlichen Versammlung wesentlich geändert hätte, sieht der Senat keine Anhaltspunkte. Ebenso wenig ist erkennbar, dass prägende Teile der „Besetzerszene“ sich von den Gewalttätern etwa in der Weise distanziert hätten, dass sie die Gewalttäter der Polizei benannt haben, um weitere Gewalttaten zu verhindern und eine Strafverfolgung zu ermöglichen.“
72An dieser Beurteilung hält der Senat auch für den Tag der Räumung und Beseitigung des Baumhauses des Klägers fest. Anhaltspunkte dafür, dass es tatsächlich nicht bzw. nicht in dem angenommenen Ausmaß zu den zugrunde gelegten Straftaten gekommen wäre, bestehen zur Überzeugung des Senats nicht. Dies wird insbesondere durch den Bericht „Kriminalitätsentwicklungen im Hambacher Forst“ des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11.2.2019
73- Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/1722 -
74bestätigt. Danach ist die so genannte Besetzung des Hambacher Forstes von April 2012 an immer wieder mit der Begehung von Straftaten, insbesondere Sachbeschädigungen zum Nachteil infrastruktureller Einrichtungen, einhergegangen. Polizeilichen Maßnahmen sind die Störer oftmals mittels teilweise aufwendig vorbereiteter Widerstandsmaßnahmen und hoher Aggressivität begegnet. Seit 2016 hatten sich Körperverletzungsdelikte und Angriffe zudem auch vermehrt direkt gegen dort aufhältige Mitarbeiter der S. Power AG und der von ihr beauftragten Unternehmen gerichtet. Seit dieser Zeit ist der Bewurf mit Steinen und Pyrotechnik sowie der Beschuss mit Zwillen regelmäßig festzustellen gewesen und hat immer wieder zu potentiell lebensgefährlichen Situationen sowie Verletzungen bei Mitarbeitern S. und Polizeibeamten geführt, eine Vielzahl an Waffen und gefährlichen Gegenständen sind sichergestellt worden.
75Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/1722, S. 2 f.
76Der Bericht führt ferner aus, im Auswertungszeitraum 1.1.2015 bis 31.12.2018 seien im Kriminalpolizeilichen Meldedienst - Politisch motivierte Kriminalität mit Bezug zum Hambacher Forst insgesamt 1.674 Straftaten erfasst, darunter auch die Strafanzeigen, die bei Versammlungslagen wie z. B. dem Klimacamp 2017 und 2018 sowie dem Klimagipfel 2017 im Zusammenhang mit dem Hambacher Forst begangen worden seien, wobei die Zahlen für das Jahr 2018 noch Schwankungen unterlägen.
77Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/1722, S. 4.
78Anzeichen für eine hinreichende Distanzierung prägender Teile der Bewohner der Baumhäuser von den Gewalttaten sind nicht ersichtlich, vielmehr sahen sich die Polizeikräfte auch im Rahmen der Räumungs- und Abrissarbeiten nach dem Bericht „Kriminalitätsentwicklungen im Hambacher Forst“ des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11.2.2019 zahlreichen Übergriffen, darunter Bewerfen mit Steinen und Zwillenbeschuss ausgesetzt.
79Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 17/1722, S. 9.
80Hierzu ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass sich auch der Kläger im vorliegenden Verfahren zu keinem Zeitpunkt von den nach den vorstehenden Ausführungen festgestellten Gewalttaten distanziert hat.
812. Die danach allein zu prüfende Räumung und Beseitigung des Baumhauses des Klägers war rechtmäßig.
82Rechtsgrundlage für das Einschreiten der Beklagten ist § 55 Abs. 2 VwVG NRW.
83a) Das Vorgehen war formell rechtmäßig. Insbesondere war die Beklagte für den Sofortvollzug der auf § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW in der Fassung vom 15.12.2016 (GV. NRW. 1161, im Folgenden: BauO NRW a. F.) gestützten Nutzungsuntersagung und Beseitigungsverfügung als untere Bauaufsichtsbehörde zuständig (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) BauO NRW a. F.). Ein Vorrang des Versammlungsrechts mit der Folge, dass der Rückgriff auf baurechtliche Ermächtigungsgrundlagen versperrt wäre, besteht nicht. Wie dargelegt lag keine durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlung vor.
84b) Die Räumung und Beseitigung des Baumhauses des Klägers im Wege des Sofortvollzugs war auch materiell rechtmäßig.
85Die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Beklagten auf der Grundlage des § 55 Abs. 2 VwVG NRW lagen vor. Es lag kein vorausgehender Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger vor, die Beklagte handelte innerhalb ihrer Befugnisse und das Vorgehen war zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig. Ferner wurde das durch § 55 Abs. 2 VwVG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
86aa) Ein Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger als Grundlage einer Verwaltungsvollstreckung im gestreckten Verfahren nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW lag nicht vor. Die vor Räumung der Baumhäuser jeweils verlesene Durchsage ist jedenfalls dem abwesenden Kläger gegenüber nicht bekannt gegeben worden (vgl. § 41 VwVfG NRW). Eine nachträgliche Bestätigungsverfügung
87- vgl. dazu allgemein Deusch/Burr in BeckOK VwVfG, Stand: April 2022, § 18 VwVG Rn. 10 m. w. N.; Weißauer in Weißauer/Lenders, Verwaltungsgesetze Nordrhein-Westfalen, Stand: Januar 2023, § 55 VwVG NRW Rn. 37, 39 -
88hat die Beklagte nicht erlassen.
89bb) Die Beklagte handelte innerhalb ihrer Befugnisse. Der nach § 55 Abs. 2 VwVG NRW vorausgesetzte fiktive Grundverwaltungsakt in Form einer auf § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW a. F. gestützten Nutzungsuntersagung und Beseitigungsverfügung hinsichtlich des Baumhauses des Klägers war rechtmäßig.
90Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW a. F. haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden; nach § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW a. F. haben sie in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
91Die Tatbestandsvoraussetzungen lagen vor.
92Das Baumhaus des Klägers war eine bauliche Anlage im Sinne von § 2 Abs. 1 BauO NRW a. F. Danach sind bauliche Anlagen mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen, eine Verbindung mit dem Erdboden besteht unter anderem auch dann, wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden.
93Das vom Kläger genutzte Baumhaus mit der Bezeichnung „NoNames“ war die Struktur, die in der Vollstreckungsakte der Beklagten als „Baumhaus 7 zd“ geführt wurde und die das Polizeipräsidium B. in seiner Dokumentation der Baum- und Bodenstrukturen im Hambacher Forst vom 24.8.2018 (Beiakte Heft 8) als Objekt „7z“ bezeichnet hat (dort Blatt 176). Dieses Objekt lag, wie vom Kläger angegeben, in „Einzellage zwischen den Dörfern Gallien und Oaktown“. In der Klage gegen das beigeladene Land vor dem Landgericht Köln hat der Kläger das Baumhaus ebenfalls als „Baumhaus 7zd“ bezeichnet. Es war aus Bauprodukten hergestellt. Es besteht der Beschreibung und Luftbildaufnahme nach aus den Baumaterialien, die der Kläger in seiner Klage vor dem Landgericht Köln angegeben hat (insbesondere Planen als Dachkonstruktion) und die auch aus den von ihm vorgelegten Lichtbildern zu entnehmen sind (elektronische Gerichtsakte, Blatt 196 ff.). Dieses Baumhaus war mit dem Erdboden verbunden. Die erforderliche Verbindung zum Erdboden wurde durch den Baum, auf dem es sich befand, vermittelt.
94Vgl. allgemein Strzoda in Boeddinghaus/Hahn/ Schulte, BauO NRW, Stand: 119. AL, § 2 Rn. 7; OVG Hamburg, Urteil vom 31.5.2001 - 2 Bf 323/98 -, juris, m. w. N.; VG B. , Beschluss vom 14.9.2018 - 5 L 1377/18 -, juris, m. w. N.; VG München, Beschluss vom 19.9.2004 - M 8 S 04.1983 -, juris.
95Das Baumhaus des Klägers wurde im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet und genutzt.
96Es war zunächst formell baurechtswidrig. Eine Baugenehmigung für die Errichtung des Baumhauses gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW a. F. lag nicht vor. Sie war nicht nach §§ 65 bis 67 oder 79 BauO NRW a. F. entbehrlich.
97Das Baumhaus des Klägers war auch materiell baurechtswidrig. Es stand jedenfalls nicht im Einklang mit den bauordnungsrechtlichen Vorschriften zum Brandschutz (§ 17 BauO NRW a. F.) und zur Verkehrssicherheit (§ 41 BauO NRW a. F.).
98Nach § 17 Abs. 1 BauO NRW a. F. müssen bauliche Anlagen unter Berücksichtigung insbesondere der Brennbarkeit der Baustoffe, der Feuerwiderstandsdauer der Bauteile, ausgedrückt in Feuerwiderstandsklassen, der Dichtheit der Verschlüsse von Öffnungen, der Anordnung von Rettungswegen so beschaffen sein, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind. Nach § 17 Abs. 2 BauO NRW a. F. dürfen Baustoffe, die nach Verarbeitung oder dem Einbau leichtentflammbar sind, bei der Errichtung und Änderung baulicher Anlagen nicht verwendet werden. Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 und 2 BauO NRW a. F. müssen für jede Nutzungseinheit in jedem Geschoss mit einem Aufenthaltsraum zwei Rettungswege vorhanden sein; die Rettungswege dürfen innerhalb eines Geschosses über einen gemeinsamen notwendigen Flur führen. Der erste Rettungsweg muss in Nutzungseinheiten, die nicht zu ebener Erde liegen, über mindestens eine notwendige Treppe führen; der zweite Rettungsweg kann eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle oder eine weitere notwendige Treppe sein.
99Nach § 41 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 BauO NRW a. F. sind Flächen in, an und auf baulichen Anlagen, die im Allgemeinen zum Begehen bestimmt sind und unmittelbar an mehr als 1 m tiefer liegende Flächen angrenzen, zu umwehren, solche notwendigen Umwehrungen müssen Mindesthöhen von 0,90 m (bei einer Absturzhöhe von 1 m bis zu 12 m) bzw. 1,10 m (bei mehr als 12 m Absturzhöhe) haben.
100Diesen Anforderungen genügte das Baumhaus des Klägers nicht.
101Ausweislich der von ihm vorgelegten Lichtbilder sowie der im Verfahren gegen das beigeladene Land vor dem Landgericht Köln 5 O 92/22 eingereichten Liste mit Baumaterialien bestand es im Wesentlichen aus Holzbalken, Dachsparren, Fenstern, Sperrholz, Holzdielen und Planen sowie Stroh. Eine Treppe im Sinne des § 36 BauO NRW a. F. wies es nicht auf. Danach war den Brandschutzanforderungen schon wegen des Fehlens der erforderlichen Rettungswege nicht genügt. Eine vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung verneinte konkrete Brand(entstehungs)gefahr im Baumhaus des Klägers, etwa durch die Verwendung eines Gaskochers, war danach für das Bestehen einer brandschutzrechtlichen Gefahrenlage nicht mehr erforderlich.
102Ferner wurde das Baumhaus des Klägers auch ohne eine Umwehrung der Plattform bzw. Terrasse und damit entgegen den Anforderungen an die Verkehrssicherheit errichtet.
103Der Kläger, der nach eigenen Angaben das Baumhaus im Zeitraum der Räumung als Wohnung genutzt hat, war richtiger Adressat der fiktiven Nutzungsuntersagung und Beseitigungsanordnung (vgl. §§ 17, 18 Abs. 2 Satz 1 OBG NRW).
104Der fiktive Grundverwaltungsakt weist ferner keine Ermessensfehler auf. Gemäß § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Es hat nicht zu prüfen, ob andere Lösungen zweckmäßiger gewesen wären.
105Vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auf. 2018, § 114 Rn. 59 m. w. N.
106Maßgeblich sind hier die Erwägungen in der Weisung des MHKBG vom 12.9.2018. Eine solche Weisung setzt die Anforderungen an eine rechtmäßige Ermessensausübung nicht herab, sondern verschiebt sie auf die Ebene der anweisenden Behörde.
107Vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auf. 2018, § 114 Rn. 115 m. w. N.; Aschke in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand: Januar 2023, § 40 Rn. 84; OVG NRW, Urteil vom 14.1.1992 - 10 A 111/88 -, BauR 1992, 348 = juris; Bay. VGH, Urteil vom 25.5.2004 - 22 B 01.2468 -, BayVBL 2005, 50 = juris.
108Dies zugrunde gelegt, war der fiktive Grundverwaltungsakt gegenüber dem Kläger ermessensfehlerfrei.
109Es liegt - anders als vom Verwaltungsgericht angenommen - kein Ermessensfehler aufgrund einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung vor.
110Der Weisung lag eine ausreichende Ermittlung der tatsächlichen Umstände des die Weisung erteilenden MHKBG zugrunde. Ausweislich der beigezogenen Akten waren Art und Ausmaß der im Hambacher Forst befindlichen Baumhäuser den beteiligten Behörden bekannt. Dies ergibt sich insbesondere aus der Beschreibung in dem Antrag der S. Power AG auf Räumung von Waldbesetzungen vom 2.7.2018, dem Protokoll einer Besprechung im Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen am 25.7.2018, das in Teilen auf einer Ortsbegehung mit Vertretern der Kommunen am 28.6.2018 basierte, und einem Ortstermin am 27.8.2018 einschließlich einer Dokumentation durch das Polizeipräsidium B.. Daraus ergaben sich Lage und Beschaffenheit der betroffenen Baumhäuser in den Bereichen „Gallien“ und „Oaktown“. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass und weshalb diese Informationen die tatsächlichen Umstände unzutreffend oder unvollständig wiedergegeben hätten. Ermittlungen zu einer konkreten Brandgefahr im oder durch das Baumhaus des Klägers - wie vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung angesprochen - waren nicht erforderlich. Auch weiterer, auf jedes einzelne Baumhaus bezogener Ermittlungen bedurfte es nicht, da die Baumhäuser sich im Hinblick auf die für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen maßgeblichen Umstände - insbesondere die Vereinbarkeit mit brandschutzrechtlichen Vorschriften - nicht wesentlich voneinander unterschieden.
111Es liegt auch kein Ermessensfehler in Form einer Ermessensüberschreitung vor, insbesondere stellen sich Nutzungsuntersagung und Beseitigungsanordnung nicht als unverhältnismäßig dar.
112Die vorliegend verletzten Vorschriften zum Brandschutz (§ 17 BauO NRW a. F.) und zur Verkehrssicherheit (§ 41 BauO NRW a. F.) dienen dem Schutz von Leib und Leben in Gefahrensituationen. Die Untersagung der Nutzung und die Beseitigung der Anlagen sind geeignet, diese Zwecke zu fördern. Sie sind auch erforderlich; mildere Mittel sind nicht ersichtlich. Die Weisung vom 12.9.2018 führt insoweit unter Bezugnahme auf den Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr aus, dass eine bloße Nutzungsuntersagung voraussichtlich nicht respektiert würde und mit einer zügigen Wiederaufnahme der Nutzung gerechnet werden müsse. Übergriffe gegen Polizeibeamte und S.-Mitarbeiter hätten gezeigt, dass zumindest ein Teil der in den Camps befindlichen Personen jedwede Form staatlicher Autorität dem Grunde nach ablehne. Ebenso sei es nicht vertretbar, von der Beseitigung der baulichen Anlagen abzusehen und auf die Behebung der festgestellten Mängel hinzuwirken. Es müsse immer mit der Gefahr eines Brandes gerechnet werden. Diese Einschätzung ist nicht zu beanstanden; dementsprechend bedurfte es auch nicht - wie vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung angesprochen - weiterer Ermittlungen zu möglichen milderen Mitteln.
113Ebenso legt die Weisung vom 12.9.2018 zutreffend die Angemessenheit der Nutzungsuntersagung und Beseitigungsanordnung zugrunde. Sie ergibt sich aus dem Gewicht der durch die festgestellten Baurechtsverstöße gefährdeten Rechtsgüter, nämlich Leib und Leben der Baumhausbewohner.
114Die Ermessenserwägungen in der Weisung vom 12.9.2018 verfehlen nicht den Zweck der vorgenannten gesetzlichen Ermessensermächtigung in § 61 Abs. 1 Satz BauO NRW a. F. Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung darf sich nicht von sachfremden, d. h. nicht vom Zweck der Ermessensbestimmung erfassten Erwägungen leiten lassen.
115Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.7.1992 - 5 C 51.90 -, BVerwGE 90, 287 = juris; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 20 m. w. N.; Knauff in Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 114 Rn. 24.
116Der Senat vermag nicht festzustellen, dass der Weisung des MHKBG vom 12.9.2018 den Zweck der Ermessensermächtigung - Treffen der zur Herstellung baurechtskonformer Zustände im Sinne von § 61 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW a. F. erforderlichen Maßnahmen - verfehlende, sachfremde Erwägungen zugrunde lagen.
117Sachfremde Erwägungen ergeben sich zunächst nicht aus der Weisung des MHKBG vom 12.9.2018 selbst. Sie enthält Erwägungen zur Abwehr bauordnungsrechtlicher Gefahren, die - wie dargelegt - auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhen und die Grenzen der Verhältnismäßigkeit wahren.
118Auch den sonstigen Umständen, insbesondere den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Beklagten und des MHKBG, vermag der Senat keine Anhaltspunkte für sachfremde Erwägungen zu entnehmen.
119Insbesondere ist den Akten nicht die vom Verwaltungsgericht gesehene „innere Vorwegbindung“ des MHKBG zu entnehmen. Der Senat konnte keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass es von vorneherein keine andere Entscheidung als die Weisung bzw. die Nutzungsuntersagung und Beseitigungsanordnung auf Grundlage der BauO NRW a. F. in Betracht gezogen hätte. Dagegen spricht schon, dass es sowohl im Jahr 2014 als auch in den Besprechungen auf Betreiben des Ministeriums des Innern vom 19.7.2018 und vom 25.7.2018 die Annahme vertreten hatte, Baumhäuser seien nicht als bauliche Anlagen einzustufen, so dass ein bauordnungsrechtliches Einschreiten ausscheide.
120Nichts anderes ergibt sich aus der E-Mail des zuständigen Abteilungsleiters des MHKBG vom 6.9.2018. Darin informierte der Abteilungsleiter die oberen Bauaufsichtsbehörden „über das weitere Vorgehen im Zusammenhang mit dem Hambacher Forst“. Er stellte konkretisierende Hinweise zum Erlass vom 4.9.2018 sowie eine Formulierungshilfe für Allgemeinverfügungen mit Tenorierung und Begründung in Aussicht. Weiter teilte er mit, er werde parallel mit dem Ministerium des Innern besprechen, „ob angesichts der vom OVG in einem Verfahren geäußerten Erwartung, das Land werde sich dafür einsetzen, dass die Rodung nicht vor Ablauf der zweiten Oktoberwoche beginnen werde, eine Verschiebung der Fristen um wenige Tage in Betracht kommt“. Soweit daraus ersichtlich ist, dass das MHKBG zu diesem Zeitpunkt bereits über die zu treffenden Maßnahmen entschieden hatte, sind dem keine sachfremden Erwägungen zu entnehmen. In einem aufgrund der Komplexität des Sachverhalts über einen längeren Zeitraum andauernden Entscheidungsprozess wird die Entscheidung darüber, welche Maßnahmen aus welchen Gründen ergriffen werden sollen, regelmäßig zeitlich vor Abfassung der - oftmals umfangreichen und innerhalb der Behörde abzustimmenden - schriftlichen Gründe und Bekanntgabe der Entscheidung nach außen feststehen. Handelt es sich - wie vorliegend - um einen überschaubaren zeitlichen Abstand, folgt daraus keine einen Ermessensfehler begründende innere Vorabbindung.
121Auch der zeitliche Zusammenhang zwischen der Weisung vom 12.9.2018 und den durch die S. Power AG beabsichtigten Rodungsarbeiten rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Ermessenserwägungen des MHKBG sachfremd gewesen wären. Den beigezogenen Verwaltungsvorgängen ist zu entnehmen, dass die seitens der S. Power AG beabsichtigten Rodungsmaßnahmen den (erneuten) Anstoß zur Prüfung der Zuständigkeiten der beteiligten Behörden für Räumungsmaßnahmen im Hambacher Forst gegeben haben. Dies ergibt sich aus dem Antrag der S. Power AG auf ein polizeiliches bzw. ordnungsbehördliches Einschreiten vom 2.7.2018 sowie den Besprechungen auf Betreiben des Ministeriums des Innern vom 19.7.2018 und vom 25.7.2018. Dass das MHKBG aufgrund dieser Situation von Anfang an den Erlass der Weisung vom 12.9.2018 beabsichtigt hätte, ist den Akten jedoch nicht zu entnehmen. Vielmehr geht aus den Protokollen dieser Besprechungen hervor, dass das MHKBG zunächst die Auffassung vertreten hatte, die Strukturen im Hambacher Forst stellten keine baulichen Anlagen dar, so dass ein bauaufsichtliches Einschreiten nicht in Betracht komme. Dass das MHKBG diese Auffassung im weiteren Verlauf aufgab, lässt ebenfalls nicht auf sachfremde Erwägungen im Sinne einer inneren Vorwegbindung schließen.
122Eine derartige Vorwegbindung ergibt sich auch nicht daraus, dass in verschiedenen Besprechungen zwischen den beteiligten Behörden unterschiedliche Auffassungen zur Zuständigkeit vertreten wurden. Es handelte sich um einen komplexen Sachverhalt, bei dem verschiedene Zuständigkeiten und Rechtsgrundlagen in Frage kamen und zwischen den betroffenen Behörden unterschiedlich bewertet und diskutiert wurden. Dass dabei unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten wurden, macht den Entscheidungsprozess der letztverantwortlichen Behörde in einer solchen Situation nicht fehlerhaft; insbesondere ist die Grenze zur willkürlichen, weil rechtlich schlechthin unhaltbaren Annahme einer Zuständigkeit oder Tatbestandsvoraussetzung - wie sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt - nicht erreicht.
123Auch die Argumentation des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen in einer Besprechung vom 25.7.2018 kann eine solche Vorwegbindung des MHKBG nicht belegen. In dieser Besprechung hatten Vertreter des Ministeriums des Innern ausgeführt, man benötige Unterstützung, um die Maßnahmen der Polizei auf rechtliche Grundlagen zu stützen, sowie hinsichtlich der „Grundlage für Vorfeldmaßnahmen, sprich Räumungsmaßnahmen“, es sei nötig, die Rückzugs- und Vorbereitungsmöglichkeiten für militanten Widerstand durch konsequente Räumungen einzuschränken, die Polizei könne nur tätig werden, wenn die rechtlichen Grundlagen vorhanden seien. Es handelt sich ausweislich des Protokolls der Besprechung nicht um Erwägungen der die Weisung aussprechenden Behörde, des MHKBG. Dass dieses sich aufgrund der Argumentation des Ministeriums des Innern veranlasst gesehen haben könnte, die Prüfung der Voraussetzungen eines bauordnungsrechtlichen Einschreitens nicht mehr ergebnisoffen durchzuführen, ist weder dem Gesprächsprotokoll noch den weiteren Akten zu entnehmen.
124Anhaltspunkte für sachfremde Erwägungen vermochte der Senat auch nicht den beigezogenen Verwaltungsvorgängen des MHKBG (Beiakte Heft 12 bis 15) zu entnehmen. Aus ihnen ergeben sich keine Hinweise darauf, dass das MHKBG von vorneherein keine andere Entscheidung als die Weisung bzw. die Nutzungsuntersagung und Beseitigungsanordnung auf Grundlage der BauO NRW a. F. in Betracht gezogen hätte. Vielmehr lassen die Akten darauf schließen, dass die Entscheidung des MHKBG für die letztlich erlassene Weisung Ergebnis eines längeren Entscheidungsprozesses auf der Grundlage zusätzlicher tatsächlicher Erkenntnisse einerseits und einer veränderten Rechtsauffassung andererseits war.
125So hatte sich während der ersten Besprechungen der beteiligten Behörden im MHKBG noch keine Auffassung darüber gebildet, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen ergriffen werden sollten.
126Im Protokoll einer Besprechung vom 19.7.2018 führte eine Vertreterin des MHKBG aus, bei den Bauten im Hambacher Forst stelle sich immer die Frage, ob diese fest mit dem Erdreich verbunden seien und somit als bauliche Anlagen gälten, dies sei bei Stützen, z. B. aus Holz, gegeben, bei einem Baum hingegen nicht, selbst wenn es sich um bauliche Anlagen handele, bestehe das Problem, dass die Verhaltensstörer nicht bekannt seien. Es wurde zugesagt, die Angelegenheit aus Sicht der Bauaufsicht zu prüfen.
127Ausweislich eines Vermerks vom 31.7.2018 über ein Telefongespräch zwischen dem MHKBG und dem 1. Beigeordneten der Beklagten habe in dem Ressortgespräch im Innenministerium vom 19.7.2018 keine Festlegung stattgefunden, inwieweit es sich bei den vorhandenen Anlagen im Hambacher Forst um bauliche Anlagen handele, man gehe seitens des MHKBG nach wie vor davon aus, dass es dafür einer konstruktiven Verbindung zum Erdboden bedürfe, es sei auch keine Festlegung erfolgt, welche Vorgehensweise von Seiten der Landesregierung gewählt werde, um S. bei der Räumung des in ihrem Eigentum stehenden Betriebsgeländes zu unterstützen, vielmehr werde eine entsprechende Vorlage an die Hausspitze gefertigt, um eine Entscheidung für ein eventuelles Tätigwerden der Bauaufsichtsbehörden vorzubereiten.
128In dieser Vorlage vom 2.8.2018 an die Ministerin wurde weiterhin die Auffassung vertreten, (nur) Baumhäuser, die über eine künstlich hergestellte Verbindung mit dem Erdboden verfügten, seien als bauliche Anlagen im Sinne der Bauordnung zu qualifizieren, gleichzeitig lägen jedenfalls der Beklagten keine genauen Informationen über die Anzahl und Art der baulichen Anlagen vor, so dass ein dem Bestimmtheitsgebot genügender Verwaltungsakt nicht formuliert werden könne, eine Ermittlung von Sachverhalt durch die Bauaufsichtsbehörden sei nicht möglich, da der Wald ohne Polizeischutz nicht zu betreten sei; eine Weisung an die unteren Bauaufsichtsbehörden komme nicht in Betracht.
129Anfang August teilte das MHKBG dem Ministerium des Innern mit, der im MHKBG bekannte Sachverhalt lasse vermuten, dass es im besetzten Bereich des Hambacher Forstes bauliche Anlagen wie Baumhäuser gebe, soweit diese eine künstlich hergestellte Verbindung mit dem Erdboden aufwiesen. Es komme grundsätzlich in Betracht, die zuständigen unteren Bauaufsichtsbehörden zu bitten, den Erlass bauordnungsrechtlicher Verfügungen zur Nutzungsuntersagung und/oder Beseitigung dieser baulichen Anlagen zu prüfen. Dafür bedürfe es jedoch weiterer Sachverhaltsermittlungen, die den Bauaufsichtsbehörden aufgrund der Gefahrensituation im Forst nicht möglich seien. Zudem werde die verfassungsrechtliche Einschätzung eine besondere Rolle spielen. Wenn die Bauaufsichtsbehörden bei der Sachverhaltsaufklärung konkret durch die Ermittlungsbehörden unterstützt werden könnten, stünden unter diesen Voraussetzungen bauordnungsrechtliche Instrumentarien grundsätzlich zur Verfügung, in der Gesamtschau scheine gleichzeitig nicht ausgeschlossen, dass die geeignetsten Instrumentarien solche aus dem Polizeirecht seien.
130Im weiteren Verlauf des August 2018 änderte das MHKBG seine Rechtsauffassung hinsichtlich der Einordnung der Baumhäuser als bauliche Anlagen.
131Mit Erlass vom 23.8.2018 teilte es den oberen und unteren Bauaufsichtsbehörden mit, die Auffassung, dass es sich bei den in Rede stehenden Baumhäusern nicht um bauliche Anlagen handele, könne nach erneuter intensiver Prüfung, insbesondere unter Berücksichtigung erstmals vorliegender Bildmaterialien, nicht mehr aufrecht erhalten werden, nach derzeitiger Aktenlage erscheine ein bauaufsichtliches Einschreiten geboten. Zur abschließenden Klärung der Frage, welche baulichen Anlagen vorhanden seien sowie ob und wie gegen diese einzuschreiten sein werde, sei eine Ortsbesichtigung vorgesehen, die auch zum Austausch der vermutlich divergierenden Rechtsauffassungen und zur Abstimmung der weiteren Vorgehensweise genutzt werden solle.
132In einer E-Mail ebenfalls vom 23.8.2018 teilte eine im zuständigen Referat des MHKBG tätige Referentin der Referatsleiterin mit, sie teile die Rechtsauffassung des Ministeriums des Innern nicht in Gänze, sondern habe mit Blick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit sowie hinsichtlich eines Vorgehens im Sinne des § 55 Abs. 2 VwVG NRW Bedenken. Diese Bedenken hielt die Referatsleiterin in einem an den zuständigen Abteilungsleiter gerichteten Vermerk vom 24.8.2018 fest.
133Im Anschluss an die Ortsbesichtigung am 27.8.2018 erarbeitete das MHKBG zunächst die Weisung vom 4.9.2018, nach der die Ortsbesichtigung ergeben habe, dass im Hambacher Forst eine Vielzahl baulicher Anlagen formell und materiell illegal errichtet worden seien und ein bauaufsichtliches Einschreiten erforderlich sei.
134Anschließend erarbeitete das MHKBG die Weisung vom 12.9.2018. Angesichts der dargestellten Entwicklungen vermag der Senat keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass die Weisung vom 12.9.2018 auf einer bereits bestehenden inneren Vorwegbindung beruht hätte.
135Vorliegend kommt es nicht darauf an, ob andere Behörden im Vorfeld der Weisung vom 12.9.2018 sachfremde Absichten verfolgt haben, die den Verwaltungsvorgängen des MHKBG zu entnehmen wären. Denn auch aus diesen Akten ist aus den dargelegten Gründen nicht ersichtlich, dass sich das MHKBG die Erwägungen anderer beteiligter Behörden ohne eigene rechtliche Prüfung und Willensbildung zu eigen gemacht hätte.
136Ermessensfehler sind schließlich auch nicht aus den Erwägungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ersichtlich. Dort hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erklärt, sowohl die Räumung als auch die Beseitigung sollten nunmehr in erster Linie auf die formelle und materielle Illegalität der baulichen Anlagen gestützt werden. Eine solche Ergänzung der Ermessenserwägungen durch die Beklagte war nach der Weisung ausdrücklich möglich (dort S. 39 f.). Ermessensfehler sind ihnen nicht zu entnehmen; sie gehen nicht über die in der Weisung ohnehin bereits enthaltenen Erwägungen hinaus.
137cc) Das Vorgehen war zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig.
138Eine gegenwärtige Gefahr ist eine Sachlage, bei der ein schädigendes Ereignis unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht oder eine Störung bereits eingetreten ist. Der Begriff stellt grundsätzlich strenge Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts; je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, desto geringer sind jedoch die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit.
139Vgl. Kuznik in Brandt/Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 5. Aufl. 2023, E. Die Vollstreckung von Verwaltungsentscheidungen, Rn. 72 m. w. N.
140Diese Voraussetzungen sind insbesondere dann erfüllt, wenn die mit einem Einschreiten gemäß § 55 Abs. 1 VwVG NRW verbundenen Verzögerungen die Wirksamkeit erforderlicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr aufheben oder wesentlich beeinträchtigen würden, wenn also allein der sofortige Vollzug geeignet ist, die Gefahr wirkungsvoll abzuwenden.
141Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.6.2015 - 7 A 457/14 -, juris, m. w. N.
142Eine derartige Gefahrensituation lag aufgrund der festgestellten vielfältigen und eklatanten Mängel des Brandschutzes und der Verkehrssicherheit vor. Das Baumhaus des Klägers bestand aus leicht brennbaren, nicht überprüften Baumaterialien, es lag in schwer zugänglicher Höhe und wies weder eine Treppe noch eine Umwehrung auf. Im Falle eines Brandes hätte den Nutzern des Baumhauses kein Rettungsweg zur Verfügung gestanden. Dass es bis zur Räumung noch nicht zu einem Brand gekommen war, rechtfertigt wie dargelegt nicht die Annahme, dass eine entsprechende Gefahr nicht bestanden hatte. Mit dem Brandfall musste jederzeit gerechnet werden. Der bereits eingetretene Sturz einer jungen Frau am 9.9.2018, der zu schweren Verletzungen geführt hatte, zeigt, dass sich auch die Gefahren einer unzureichenden Umwehrung jederzeit realisieren konnten.
143Gegen die Gegenwärtigkeit der Gefahr spricht auch nicht die E-Mail des zuständigen Abteilungsleiters des MHKBG vom 6.9.2018, wonach mit dem Innenministerium besprochen werde, ob mit Blick auf ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen eine Verschiebung der Fristen für den Erlass der ordnungsbehördlichen Maßnahmen in Betracht komme. Dass bei einem Vorgehen gegen eine insgesamt ungewöhnlich große Zahl von baulichen Anlagen unter den erschwerten Bedingungen im Hambacher Forst ein Zuwarten von wenigen Tagen in Betracht gezogen wurde, lässt die Dringlichkeit der Gefahrenabwehr nicht entfallen.
144dd) Die Beklagte hat das ihr durch § 55 Abs. 2 VwVG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
145Aus den dargelegten Gründen bestehen weder hinsichtlich der Störerauswahl noch der Auswahl des Zwangsmittels oder der Verhältnismäßigkeit Bedenken.
146Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des beigeladenen Landes sind aus Gründen der Billigkeit erstattungsfähig, weil es einen Sachantrag gestellt und sich damit selbst einem prozessualen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
147Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
148Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.