Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Für die Frage, ob die Voraussetzungen des Widerrufs nach § 14 RDG gegeben sind, kommt es auf den Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Widerrufsbescheids an.
Ob die Voraussetzungen für einen Widerruf gegeben sind, weil die registrierte Person oder qualifizierte Person die erforderliche persönliche Eignung oder Zuverlässigkeit i. S. d. § 14 Nr. 1 Halbsatz 1 RDG a. F. nicht mehr besitzt, ist berufsbezogen unter Berücksichtigung der konkret beabsichtigten rechtsdienstleistenden Tätigkeit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einzelfallbezogen zu überprüfen.
Im Hinblick auf die in § 1 Abs. 1 Satz 2 RDG a. F. genannten Schutzzwecke des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, dürfen bei den in § 14 Nr. 1 RDG a. F. genannten Personen keine Tatsachen erkennbar sein, die erhebliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Erbringung von Rechtsdienstleistungen begründen.
Die Regelbeispiele des § 14 Nr. 3 Halbsatz 2 RDG a. F. verdeutlichen, dass nur erhebliche und/oder beharrliche Verstöße gegen die sich aus der Registrierung ergebende Befugnis den Widerruf nach § 14 Nr. 3 RDG a. F. rechtfertigen. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist hiervon erst auszugehen, wenn mildere Mittel, insbesondere Hinweise durch die Behörde oder Auflagen, nicht zum Erfolg geführt haben.
Die Erbringung qualifizierter Rechtsdienstleistungen setzt voraus, dass die geschäftlichen Handlungen eines Inkassodienstleisters der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen. Zu den unternehmerischen Sorgfaltspflichten eines Inkassodienstleisters zählt unter anderem, keine Forderungen geltend zu machen, die erkennbar ganz oder teilweise nicht bestehen.
Bei Erbringung qualifizierter Rechtsdienstleistungen besteht für Inkassodienstleister jedenfalls dann eine Pflicht zur Überprüfung der geltend gemachten Forderung, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich ein Kunde der Dienste des Inkassounternehmens in betrügerischer Absicht bedient. Aber auch wenn sich sonstige Zweifel an dem Bestehen einer Forderung geradezu aufdrängen oder bei substantiiert erhobenen Einwendungen gegen eine geltend gemachte Forderung ist ein Inkassounternehmen im Rahmen einer qualifizierten Rechtsdienstleistung gehalten, das Bestehen der Forderung näher zu prüfen. Beim Masseninkasso ist in solchen Fällen eine übergreifende Schlüssigkeitsprüfung in großer Zahl geltend gemachter gleichartiger Ansprüche geboten.
Im Vordergrund der beruflichen Tätigkeit eines Inkassodienstleisters muss stets die Forderungseinziehung stehen. Andere, nicht unter den Begriff der Inkassodienstleistung fallende Rechtsdienstleistungen sind nach § 5 Abs. 1 Satz 1 RDG als Nebenleistung nur dann zulässig, wenn sie im Zusammenhang mit der Inkassodienstleistung stehen.
Wegen des durch den Widerruf erfolgenden Eingriffs in die Berufsfreiheit registrierter bzw. zur Rechtsdienstleistung qualifizierter Personen ist die zuständige Behörde gehalten, jeden Einzelfall besonders sorgfältig zu prüfen. Nach den Umständen des Einzelfalls muss die Annahme gerechtfertigt sein, dass der Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs oder der Rechtsordnung durch eine Fortsetzung der Rechtdienstleistung gefährdet wäre. Die Behörde ist dann auch unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht berechtigt, statt des Widerrufs mildere Aufsichtsmaßnahmen zur Erreichung des Schutzes des Rechtsverkehrs zu ergreifen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird wegen des Eingriffs in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG bei der verwaltungsgerichtlich voll überprüfbaren Auslegung der Tatbestandsmerkmale berücksichtigt. Auf der Rechtsfolgenseite hat der Gesetzgeber der Behörde im Rahmen des § 14 RDG kein Ermessen eingeräumt, das für eine darüberhinausgehende Verhältnismäßigkeitsprüfung Raum ließe.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 6.10.2020 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.
2Der sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 20 K 5299/20 (VG Düsseldorf) gegen den Widerrufsbescheid des Antragsgegners vom 5.8.2020 hinsichtlich Nr. 1 und Nr. 2 wiederherzustellen und hinsichtlich Nr. 4 anzuordnen,
4ist unbegründet.
5Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell ordnungsgemäß erfolgt ist (hierzu unter I.). Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügung überwiegt das private Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung (hierzu unter II.).
6I. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Registrierung im Rechtsdienstleistungsregister für den Bereich Inkassodienstleistungen sowie der Untersagung der Fortsetzung des Inkassodienstleistungsbetriebs und Erbringung weiterer Inkassodienstleistungen ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat die Anordnung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ausreichend begründet. In der Begründung einer Vollziehungsanordnung hat die Behörde schlüssig, konkret und substantiiert darzulegen, aufgrund welcher Erwägungen sie gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung als gegeben ansieht und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der gesetzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat.
7Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.9.2001 – 1 DB 26.01 –, juris, Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 16.2.2021 – 4 B 698/19 –, juris, Rn. 6 f., jeweils m. w. N.
8Dem wird die hier gegebene Begründung gerecht. Der Antragsgegner hat darauf abgehoben, dass im Sinne des Schutzzwecks des Rechtsdienstleistungsgesetzes die Fortführung des Betriebs der Antragstellerin bis zu einer bestandskräftigen Klärung in der Sache nicht hinnehmbar sei. Der Schutz des Rechtsverkehrs, der Rechtsuchenden und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen erfordere in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls ein sofortiges Einschreiten, um das Handeln der Antragstellerin zu unterbinden. Dieses bestehe darin, Betroffene unter Verwendung von unseriösen Geschäftspraktiken unzulässig zu beeinflussen und unter Druck zu setzen, damit diese die geltend gemachte Forderung beglichen, sowie darin, vorsätzlich nicht bestehende Forderungen einzuziehen und unter Überschreitung ihrer Erlaubnis Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Der Schutz des Rechtsverkehrs und der Rechtsuchenden sei auch in besonderem Maße eilbedürftig, weil das Geschäftsgebaren der Antragstellerin – schon angesichts der Dimension der gegen die Antragstellerin eingegangenen Beschwerden – eine große Zahl von Personen betreffe. Diese Ausführungen lassen erkennen, dass sich der Antragsgegner des prinzipiellen Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung bewusst war. Ob die angeführten Gründe die Vollziehungsanordnung tatsächlich rechtfertigen, ist im Zusammenhang mit dem formellen Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO unbeachtlich. Die Beurteilung, ob das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin die gegenläufigen Vollziehungsinteressen überwiegt, ist vielmehr Teil der gerichtlichen Interessenabwägung im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO.
9Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.2.2021 – 4 B 698/19 –, juris, Rn. 9 f., m. w. N.
10II. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung geht zum Nachteil der Antragstellerin aus. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt ihr Aufschubinteresse. Der angefochtene Widerruf erweist sich bei einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung nach dem Erkenntnisstand des Beschwerdeverfahrens als rechtmäßig (hierzu unter 1.) und es besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Registrierung im Rechtsdienstleistungsregister, das ein Abweichen von dem gesetzlichen Regelfall der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO rechtfertigt (hierzu unter 2.). Auch die Untersagung des Inkassodienstleistungsbetriebs und deren sofortige Vollziehung sowie die Zwangsgeldandrohung sind rechtlich nicht zu beanstanden (hierzu unter 3.).
111. Der Widerruf der Registrierung der Antragstellerin im Rechtsdienstleistungsregister beruht auf § 14 Nr. 1 und 3 des Rechtsdienstleistungsgesetzes vom 12.12.2007 (BGBl. I S. 2840) in der zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Widerrufsbescheids [hierzu unter a)] gültigen Fassung (im Folgenden: RDG a. F.). Danach widerruft die zuständige Behörde die Registrierung unbeschadet des § 49 VwVfG oder entsprechender landesrechtlicher Vorschriften, wenn begründete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die registrierte Person oder eine qualifizierte Person die erforderliche persönliche Eignung oder Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt (Nr. 1) [hierzu unter b)] oder begründete Tatsachen die Annahme dauerhaft unqualifizierter Rechtsdienstleistungen zum Nachteil der Rechtsuchenden oder des Rechtsverkehrs rechtfertigen (Nr. 3) [hierzu unter c)]. Die zuständige Behörde ist verpflichtet, Registrierungen zu widerrufen, wenn während der Berufsausübung einer der genannten Widerrufsgründe festgestellt wird [hierzu unter d)]. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Registrierung der Antragstellerin im Rechtsdienstleistungsregister lagen bei Erlass des Widerrufsbescheids vom 5.8.2020 vor [hierzu unter e)].
12a) Für die Frage, ob die Voraussetzungen des Widerrufs nach § 14 RDG a. F. gegeben sind, kommt es auf den Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Widerrufsbescheids an. Zwar ist im Rechtsdienstleistungsgesetz kein Wiedererteilungsverfahren geregelt. Aus § 12 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c) RDG a. F., wonach die Zuverlässigkeit in der Regel unter anderem fehlt, wenn in den letzten drei Jahren vor Antragstellung eine Registrierung nach § 14 RDG a. F. widerrufen worden ist, wird aber deutlich, dass der Gesetzgeber – wie auch in anderen berufs- oder gewerberechtlichen Zulassungsverfahren –,
13vgl. etwa zu § 20 Abs. 2, 4 WPO: BVerwG, Urteil vom 17.8.2005 – 6 C 15.04 –, BVerwGE 124, 110 = juris, Rn. 20 f.; zu § 34c Abs. 2 Nr. 1 GewO: BVerwG, Beschluss vom 9.7.1993 – 1 B 105/93 –, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 13.1.2022 – 4 A 2700/20 –, juris, Rn. 8 f., m. w. N.,
14das Widerrufsverfahren deutlich trennen wollte von dem Verfahren auf erneute Registrierung. Daran hat sich auch seit der Neufassung von § 12 Abs. 1 Nr. 1 RDG durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22.12.2020 (BGBl. I S. 3320) nichts geändert. Auch wenn der Gesetzgeber darin die Wartefrist von drei Jahren für einen neuen Antrag bei vorangegangenem Widerruf der Registrierung nach § 14 RDG nicht weiter übernommen hat, lässt die Gesetzesbegründung dennoch erkennen, dass er unabhängig von starren Wartefristen an der grundsätzlichen Trennung von Widerrufs- und Registrierungsverfahren festhalten wollte. Entsprechend betont er, bei erneuter Antragstellung komme es für die Beurteilung der Zuverlässigkeit auf die aktuelle Situation an.
15Vgl. BT-Drs. 19/20348, S. 44 f.
16b) Nach § 14 Nr. 1 Halbsatz 1 RDG a. F. ist die Registrierung zu widerrufen, wenn begründete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die registrierte Person oder eine qualifizierte Person die erforderliche persönliche Eignung oder Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt. Ob die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, ist berufsbezogen unter Berücksichtigung der konkret beabsichtigten rechtsdienstleistenden Tätigkeit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einzelfallbezogen zu überprüfen.
17Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 67 (zu § 12 Abs. 1 Nr. 1); zum Begriff der persönlichen Unzuverlässigkeit i. S. d. § 14 Abs. 1 der 1. RBerAusfV siehe BVerwG, Beschluss vom 31.8.1970 – 1 B 60.70 –, DÖV 1970, 825 = BeckRS 1970, 31279572.
18Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit ist bei juristischen Personen, wie der Antragstellerin, auf deren Geschäftsführer abzustellen.
19Vgl. zum allgemeinen Gewerberecht OVG NRW, Beschluss vom 8.8.2018 – 4 B 441/18 –, juris, Rn. 41 f.
20Im Hinblick auf die in § 1 Abs. 1 Satz 2 RDG a. F. genannten Schutzzwecke des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, dürfen danach bei den in § 14 Nr. 1 RDG a. F. genannten Personen keine Tatsachen erkennbar sein, die erhebliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Erbringung von Rechtsdienstleistungen begründen.
21Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 67 (zu § 12 Abs. 1 Nr. 1).
22Die registrierte Person oder eine qualifizierte Person kann daher nicht allein deswegen als unzuverlässig im Sinne von § 14 Nr. 1 RDG a. F. angesehen werden, weil ihr Verhalten im beruflichen Umfeld oder im gesellschaftlichen Bereich auf Missfallen stößt. Erforderlich ist in der Regel vielmehr, dass das von ihr gezeigte Fehlverhalten auch geeignet ist, das Vertrauen in die Integrität der registrierten Person oder der für Rechtsdienstleistungen qualifizierten Person im Interesse einer funktionierenden Rechtsdienstleistung zu beeinträchtigen.
23Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 67 (zu § 12 Abs. 1 Nr. 1); zum Begriff der Unwürdigkeit im Sinne von § 7 Nr. 5 BRAO BVerfG, Beschluss vom 22.10.2017 – 1 BvR 1822/16 –, juris, Rn. 21.
24Begründete Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, die registrierte Person im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 RDG a. F. oder eine qualifizierte Person im Sinne von § 12 Abs. 4 Satz 1 RDG a. F. besitze die erforderliche persönliche Eignung oder Zuverlässigkeit nicht mehr, liegen nach § 14 Nr. 1 Halbsatz 2 RDG a. F. in der Regel vor, wenn einer der in § 12 Abs. 1 Nr. 1 RDG a. F. genannten Gründe (Regelfälle persönlicher Unzuverlässigkeit) nachträglich eintritt oder die registrierte Person beharrlich Änderungsmitteilungen nach § 13 Abs. 3 Satz 1 RDG a. F. unterlässt.
25c) Die Annahme dauerhaft unqualifizierter Rechtsdienstleistungen zum Nachteil der Rechtsuchenden oder des Rechtsverkehrs im Sinne des § 14 Nr. 3 Halbsatz 1 RDG a. F. ist gerechtfertigt, wenn der Behörde Verstöße bekannt werden, die erkennen lassen, dass die Person oder das Unternehmen ungeeignet zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen ist. Als Regelbeispiele für unqualifizierte Rechtsdienstleistungen benennt § 14 Nr. 3 Halbsatz 2 RDG a. F. die Fälle, in denen die registrierte Person in erheblichem Umfang Rechtsdienstleistungen über die eingetragene Befugnis hinaus erbringt oder beharrlich gegen Auflagen oder Darlegungs- und Informationspflichten nach § 11a RDG a. F. verstößt. Die Regelbeispiele verdeutlichen, dass nur erhebliche und/oder beharrliche Verstöße gegen die sich aus der Registrierung ergebende Befugnis den Widerruf nach § 14 Nr. 3 RDG a. F. rechtfertigen. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist hiervon erst auszugehen, wenn mildere Mittel, insbesondere Hinweise durch die Behörde oder Auflagen im Sinne von § 10 Abs. 3 Sätze 1 und 3 RDG a. F. (vgl. § 13a Abs. 2 RDG a. F.), nicht zum Erfolg geführt haben.
26Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 72 (zu § 14 Nr. 3); BT-Drs. 17/13429, S. 3 (zu § 13a); BT-Drs. 17/14216, S. 5 (zu § 13a – neu – RDG).
27In der Begründung zum Rechtsdienstleistungsgesetz sind als Beispiel für unqualifizierte Rechtsdienstleistungen im Sinne von § 14 Nr. 3 Halbsatz 1 RDG a. F. Rechtsdienstleistungen von Inkassounternehmen genannt, die sich beim Forderungseinzug unseriöser oder sogar rechtswidriger Geschäftspraktiken bedienen.
28Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 72 (zu § 14 Nr. 3), S. 45 (zu § 1 Abs. 1).
29Rechtswidrig und von der Befugnis zur Erbringung qualifizierter Rechtsdienstleistungen nicht mehr umfasst sind Geschäftspraktiken jedenfalls dann, wenn sie unlautere geschäftliche Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG darstellen. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist auch für Rechtsdienstleistungen von Inkassounternehmen eröffnet, unabhängig davon, ob Bezugspunkt der Zahlungsaufforderung als geschäftliche Handlung im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG in der bis zum 27.5.2022 gültigen Fassung (UWG a. F.) – jetzt § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG – ein tatsächlich bestehendes oder ein lediglich behauptetes Vertragsverhältnis ist.
30Vgl. BGH, Urteil vom 6.6.2019 – I ZR 216/17 –, juris, Rn. 12 ff., 14, m. w. N.
31Nach § 3 Abs. 1 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen – hierzu zählen unter anderem aggressive und irreführende Geschäftspraktiken sowie unzumutbare Belästigungen (vgl. §§ 3 bis 7 UWG) – unzulässig. Die Einhaltung der aus den §§ 3 bis 7 UWG folgenden Vorgaben zählt zu den selbstverständlichen Berufspflichten des Rechtsdienstleisters.
32Vgl. dies klarstellend BT-Drs. 19/20348, S. 29.
33Die Erbringung qualifizierter Rechtsdienstleistungen setzt ferner voraus, dass die geschäftlichen Handlungen eines Inkassodienstleisters der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen (im Verhältnis zu Verbrauchern siehe auch § 3 Abs. 2 UWG i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG a. F. – jetzt § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG – sowie § 2 Abs. 1 Nr. 8 UWG a. F. – jetzt § 2 Abs. 1 Nr. 11 UWG –). Zu den unternehmerischen Sorgfaltspflichten eines Inkassodienstleisters zählt unter anderem, keine Forderungen geltend zu machen, die erkennbar ganz oder teilweise nicht bestehen. Weil sich dies schon aus den allgemeinen Grundsätzen ergibt, hat der Gesetzgeber ausdrücklich davon abgesehen, dies explizit als besondere Berufspflicht zu normieren.
34Vgl. BT-Drs. 17/13429, S. 2 f., 16 (jeweils zu § 11b – neu – RDG).
35Denn der Gesetzgeber ist ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich davon ausgegangen, dass nicht jede Einziehung fremder oder zur Einziehung abgetretener Forderungen eine Rechtsprüfung im Sinne des § 2 Abs. 1 RDG erfordert.
36Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 48; siehe hierzu auch VG Berlin, Urteil vom 25.8.2011 – 1 K 5.10 –, juris, Rn. 32 ff.
37Im Umkehrschluss besteht bei Erbringung qualifizierter Rechtsdienstleistungen für Inkassodienstleister jedenfalls dann eine Pflicht zur Überprüfung der geltend gemachten Forderung, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich ein Kunde der Dienste des Inkassounternehmens in betrügerischer Absicht bedient. Eine solche Prüfungspflicht kann schon aufgrund der Zuverlässigkeitsanforderungen verlangt werden, die im gewerberechtlichen Sinne an ein Inkassounternehmen gerichtet werden müssen.
38Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 28.11.2011 – 8 A 199/11.Z –, juris, Rn. 17, unter Bezugnahme auf Satzungsbestimmungen des Bundesverbands Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU); Dötsch, in: Deckenbrock/Henssler, Rechtsdienstleistungsgesetz, 5. Aufl. 2021, RDG § 14 Rn. 39.
39Aber auch wenn sich sonstige Zweifel an dem Bestehen einer Forderung geradezu aufdrängen oder bei substantiiert erhobenen Einwendungen gegen eine geltend gemachte Forderung ist ein Inkassounternehmen im Rahmen einer qualifizierten Rechtsdienstleistung gehalten, das Bestehen der Forderung näher zu prüfen. Beim Masseninkasso ist in solchen Fällen eine übergreifende Schlüssigkeitsprüfung in großer Zahl geltend gemachter gleichartiger Ansprüche geboten.
40Vgl. zur Prüfungspflicht des Inkassodienstleisters im Allgemeinen und beim Masseninkasso im Besonderen Goebel, Inkassodienstleistungen und Inkassokosten, 3. Aufl. 2021, § 1 Rn. 17 f., 76 f., 99 f.; hierauf Bezug nehmend auch BGH, Urteil vom 13.6.2022 – VIa ZR 418/21 –, BGHZ 234, 125 = juris, Rn. 21.
41Die Fälle, in denen die registrierte Person in erheblichem Umfang Rechtsdienstleistungen über die eingetragene Befugnis hinaus erbringt, zählen zu den Regelbeispielen unqualifizierter Rechtsdienstleistung nach § 14 Nr. 3 Halbsatz 2 RDG a. F. Gemäß § 3 RDG a. F. ist die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das Rechtsdienstleistungsgesetz oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird. Rechtsdienstleistung ist gemäß § 2 Abs. 1 RDG a. F. jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Hiervon ist auszugehen, wenn jedenfalls ein gewisses Maß an substantieller Prüfung vorgenommen wird. Die Vorschrift erfasst jede konkrete Subsumtion eines Sachverhalts unter die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen, die über eine bloß schematische Anwendung von Rechtsnormen ohne weitere rechtliche Prüfung hinausgeht. Ob es sich um eine einfache oder schwierige Rechtsfrage handelt, ist unerheblich.
42Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.1.2016 – 10 C 17.14 –, BVerwGE 154, 49 = juris, Rn. 24, m. w. N.; BGH, Urteil vom 14.1.2016 – I ZR 107/14 –, juris, Rn. 43 ff.
43Unabhängig davon ist Rechtsdienstleistung nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG a. F. auch die hier in Rede stehende Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird (Inkassodienstleistung). Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG a. F. dürfen natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die bei der zuständigen Behörde registriert sind (registrierte Person), aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen im Bereich der Inkassodienstleistungen erbringen. Die Erlaubnis zum geschäftsmäßigen Forderungseinzug gestattet auch eine umfassende rechtliche Forderungsprüfung und auf die Forderungseinziehung bezogene Beratung der Rechtsuchenden.
44Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 1, 26 ff., 42; noch zum Rechtsberatungsgesetz BVerfG, Beschlüsse vom 20.2.2002 – 1 BvR 423/99 –, juris, Rn. 28 ff., und vom 14.8.2004 – 1 BvR 725/03 –, juris, Rn. 14 ff.; ausführlich zur Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen BGH, Urteile vom 27.11.2019 – VIII ZR 285/18 –, juris, Rn. 99, 114 ff., 132 ff., und vom 8.4.2020 – VIII ZR 130/19 –, juris, Rn. 34 ff.
45Weitergehende Tätigkeiten, auch wenn sie in einem gewissen inhaltlichen Zusammenhang mit einer Forderungseinziehung stehen, können hingegen nicht mehr unter den Begriff der Inkassodienstleistung gefasst werden, wenn sie sich nicht auf die Einziehung der im konkreten Fall gegenständlichen Forderung beziehen. Eine Beratung, die über das Einziehen der Forderung hinausgeht und die Gestaltung betroffener Rechtsverhältnisse für die Zukunft betrifft, fällt nämlich nicht unter den Begriff der Inkassodienstleistung. Unzulässig ist auch die Durchführung einer über den Bereich der Forderungseinziehung hinausgehenden Rechtsberatung, weil bei dieser die Gefahr einer rechtlichen Fehlberatung deutlich ausgeprägter ist.
46Vgl. BGH, Urteile vom 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, BGHZ 244, 89 = juris, Rn. 96, 219; nochmals ausdrücklich klarstellend BT-Drs. 19/27673, S. 20 f., 39 [zu Nr. 2 (verdeutlichende Änderung des § 2 RDG)].
47Aus dem generellen Bestreben des Gesetzgebers, eine grundlegende, an den Gesichtspunkten der Deregulierung und Liberalisierung ausgerichtete Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen zu gewährleisten und dieses für künftige Entwicklungen sowohl im gesellschaftlichen Bereich als auch auf dem Gebiet der Dienstleistungsberufe zu öffnen, folgt nichts anderes.
48Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20.2.2002 – 1 BvR 423/99 –, juris, Rn. 28 ff., und vom 14.8.2004 – 1 BvR 725/03 –, BVerfGK 4, 20 = juris, Rn. 14 ff.; hierzu ausführlich BGH, Urteile vom 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89 = juris, Rn. 99, 114 ff., 132 ff.; und vom 8.4.2020 – VIII ZR 130/19 –, juris, Rn. 34 ff.; BT-Drs. 16/3655, S. 1, 26 ff., 42.
49Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 RDG a. F. sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erlaubt, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 RDG a. F. nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind. Eine andere Tätigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 RDG a. F. kann auch eine andere Rechtsdienstleistung sein.
50Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 51 (zu § 5); siehe auch BT-Drs. 19/27673, S. 20 f., 40 [zu Nummer 4 (verdeutlichende Einfügung von Satz 3 in § 5 RDG)].
51Eine Nebenleistung setzt notwendigerweise mindestens zwei Tätigkeiten voraus: eine Haupttätigkeit, die selbst auch Rechtsdienstleistung sein kann, und eine der Haupttätigkeit untergeordnete Nebenleistung, die nur vorliegt, wenn die allgemein rechtsberatende oder rechtsbesorgende Tätigkeit die Leistung insgesamt nicht prägt. Diese soll dann keine Nebenleistung mehr darstellen, wenn sie nach der Verkehrsanschauung ein solches Gewicht innerhalb der Gesamtleistung hat, dass nicht mehr von einer bloßen Nebenleistung ausgegangen werden kann. § 5 RDG soll damit stets nur Anwendung finden, wenn die fragliche Rechtsdienstleistung selbst nicht wesentlicher Teil der eigentlichen Hauptleistung ist.
52Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 52 (Zum Tatbestandsmerkmal der Nebenleistung).
53Im Vordergrund der beruflichen Tätigkeit eines Inkassodienstleisters muss auch danach stets die Forderungseinziehung stehen. Andere, nicht unter den Begriff der Inkassodienstleistung fallende Rechtsdienstleistungen sind nur dann zulässig, wenn sie im Zusammenhang mit der Inkassodienstleistung stehen. Dies setzt zwar keinen unmittelbaren, unlösbaren Zusammenhang mit der Inkassodienstleistung voraus. Sie müssen aber zum Ablauf oder zur Abwicklung des Hauptgeschäfts dazugehören.
54Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 52 (Zum Tatbestandsmerkmal der Zugehörigkeit zu einer anderen Tätigkeit).
55d) Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 RDG a. F. ist die zuständige Behörde verpflichtet, erfolgte Registrierungen zu widerrufen. Die Widerrufsgründe sind zwingend. Wegen des durch den Widerruf erfolgenden Eingriffs in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) registrierter bzw. zur Rechtsdienstleistung qualifizierter Personen ist die zuständige Behörde gehalten, jeden Einzelfall besonders sorgfältig zu prüfen. Nach den Umständen des Einzelfalls muss die Annahme gerechtfertigt sein, dass der Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs oder der Rechtsordnung durch eine Fortsetzung der Rechtdienstleistung gefährdet wäre.
56Vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 72 (zu § 14).
57Die Behörde ist dann auch unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht berechtigt, statt des Widerrufs mildere Aufsichtsmaßnahmen zur Erreichung des Schutzes des Rechtsverkehrs zu ergreifen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird wegen des Eingriffs in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG bei der verwaltungsgerichtlich voll überprüfbaren Auslegung der Tatbestandsmerkmale berücksichtigt. Auf der Rechtsfolgenseite hat der Gesetzgeber der Behörde im Rahmen des § 14 RDG a. F. kein Ermessen eingeräumt, das für eine darüberhinausgehende Verhältnismäßigkeitsprüfung Raum ließe.
58Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.8.1970 – 1 B 60.70 –, DÖV 1970, 825 = BeckRS 1970, 31279572; OVG NRW, Beschluss vom 21.12.2017 – 4 A 1924/14 –, juris, Rn. 10 f., m. w. N., und Rn. 13.
59e) Nach diesen Maßstäben lagen bei der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung die Voraussetzungen für einen Widerruf der Registrierung der Antragstellerin im Rechtsdienstleistungsregister nach § 14 Nr. 1 und Nr. 3 RDG a. F. zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufs am 5.8.2020 vor. In formeller Hinsicht wurde die Antragstellerin aus den vom Verwaltungsgericht zutreffend angeführten Gründen ordnungsgemäß angehört. Ergänzend zu den vom Verwaltungsgericht bereits erwähnten Anhörungsschreiben vom 17.6. und 5.3.2020 war die Antragstellerin bereits mit Schreiben vom 24.6.2019 bezogen auf mögliche Auflagen sowie einen Widerruf der Registrierung angehört worden. Materiell-rechtlich rechtfertigten begründete Tatsachen die Annahme dauerhaft unqualifizierter Rechtsdienstleistungen zum Nachteil des Rechtsverkehrs [hierzu unter aa)]. Angesichts der erheblichen Verletzung von Berufspflichten war auch die Annahme gerechtfertigt, die Antragstellerin besitze die erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr [hierzu unter bb)].
60aa) Die Annahme dauerhaft unqualifizierter Rechtsdienstleistungen zum Nachteil des Rechtsverkehrs im Sinne von § 14 Nr. 3 RDG a. F. war schon deshalb gerechtfertigt, weil die Antragstellerin wiederholt und erheblich unternehmerische Sorgfaltspflichten verletzt [hierzu unter (1)] und im erheblichen Umfang Rechtsdienstleistungen über die eingetragene Befugnis hinaus erbracht hat [hierzu unter (2)].
61(1) Die Antragstellerin hat es in der Vergangenheit wiederholt unterlassen, das Bestehen geltend gemachter Forderungen trotz seit dem Jahr 2018 substantiiert erhobener Einwände näher zu prüfen, und Forderungen geltend gemacht, die erkennbar ganz oder teilweise nicht bestanden. Eine Prüfung der einzuziehenden Forderungen hat sich schon seinerzeit in den Fällen aufgedrängt, in denen diese – wie im polizeilichen Abschlussbericht vom 15.3.2021, dem die Antragstellerin nicht substantiiert entgegengetreten ist, umfangreich ermittelt – in mittlerweile klar belegbarer Täuschungsabsicht im Kontext mit der Internetseite www.xxx.de generiert worden waren. Schon unmittelbar nach Beginn ihrer hierauf bezogenen Inkassotätigkeit im zweiten Halbjahr 2018 lagen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass über die Antragstellerin in betrügerischer Absicht unberechtigte Forderungen geltend gemacht werden sollten, die Anlass zu einer vertieften rechtlichen Prüfung hätten geben müssen. Bereits damals gab es eine Vielzahl gleichgelagerter Beschwerden von Beschwerdeführern, die geltend gemacht hatten, allein aufgrund einer Registrierung auf dieser Internetseite, aber ohne erkennbaren Vertragsschluss mit verschiedenen unberechtigten Forderungen überzogen worden zu sein. Zudem waren die Einwände seit 2018 im Internet dokumentiert. Obwohl sich schon angesichts dessen erhebliche Zweifel an dem rechtmäßigen Zustandekommen der im Zusammenhang mit der Internetseite www.xxx.de generierten Forderungen hätten aufdrängen müssen, ist die Antragstellerin der Berechtigung der von den Schuldnern erhobenen Einwände nicht in der für eine qualifizierte Rechtsdienstleistung erforderlichen Art und Weise nachgegangen. Sie hat die mit erheblichen Zweifeln an ihrer Berechtigung belasteten Forderungen auch nach substantiiertem Bestreiten über viele Monate lang weiter unter Erhöhung des Zahlungsdrucks in verschiedenen vom Antragsgegner im angegriffenen Bescheid beschriebenen Formen bis zum Verlangen nach einer „Versicherung an Eides Statt“ geltend gemacht und sich seinerzeit über einen längeren Zeitraum darauf beschränkt, sich der Bestell-IP-Adresse sowie weiterer technischer Bestelldaten zu versichern, die Verantwortung für Vorgänge im Bereich der Auftraggeberin von sich zu weisen, die Einwände mit Nichtwissen zu bestreiten und auf Beschwerden schließlich nur im jeweiligen Einzelfall „die Akte zu schließen“. Da die Beschwerdeführer jeweils angegeben hatten, die Internetseite www.xxx.de besucht und sich dort registriert zu haben, war die Übermittlung ihrer IP-Adresse sowie der technischen Bestelldaten und der bei der Registrierung abgefragten persönlichen Daten durch die Auftraggeberin zur Prüfung der gravierenden und zahlreich erhobenen Einwände über unlautere und sogar betrügerische Praktiken schon im Ansatz unzureichend. Ergänzend hätte sich hier eine sofortige Nachfrage des Geschäftsführers der Antragstellerin bei seinem IT-Administrator aufgedrängt. Nach eigenen Angaben hat die Antragstellerin erst Mitte April 2019 die Internetseite www.xxx.de aufgerufen und sich dort erstmalig selbst registriert. Dass sie – wie sie in ihrer Stellungnahme vom 15.4.2019 (Beiakte Heft 24, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_20, Bl. 115) suggeriert – hiermit erstmalig Erkenntnisse über die Gestaltung der Website und dem dahinterstehenden Geschäftskonzept gewonnen haben will, ist im Übrigen nicht einmal plausibel. Der seinerzeitige IT-Administrator der Antragstellerin – X. W. – war nach den polizeilichen Feststellungen zugleich Verantwortlicher für die Internetseite www.xxx.de sowie mitverantwortlich für die sog. Landingpages. Die erst vergleichsweise spät erfolgte eigene Prüfung der Internetseite www.xxx.de, deren Gestaltung nach Einschätzung der Antragstellerin angeblich seinerzeit nicht (mehr) zu beanstanden gewesen sein soll, genügte zudem einer den konkreten Umständen angemessenen Rechtsprüfung nicht, weil jedenfalls dem IT-Administrator der Antragstellerin spätestens seit März 2018 bekannt war, dass der ebenfalls in den Aufbau und die Gestaltung der Internetseite www.xxx.de eingebundene E. E1. – welcher mit seinem Unternehmen größter Affiliate-Partner einiger Mandanten der Antragstellerin war, eigene Landingpages (u. a. www.xxx.co) betrieb und von X. W. eigene „API Zugänge“ gewährt bekommen hatte – Internetseiten gezielt verbraucherunfreundlich und in unlauterer Absicht gestaltete. So heißt es in der an X. W. adressierten E-Mail von E. E1. vom 27.3.2018:
62„Wir haben die Seiten auch noch einmal optimiert – was ich hiermit gerne als Inspiration herantrage ;)
63I. Wir haben die Boxen mit AGB, Gebühren und Co. auf die Seite gepackt (Desktop) und diese rutschen (bei Mobile) wie bei Sofort.Credit Prefill so schön nach unten ;)
64Dann nur eine Checkbox und der rotierende Kaufen-Button. ‚Klicke Jetzt‘ -> ‚Weiter‘ -> ‚Credify kaufen‘
65II. Bei dem Upsell für Sofort.Credit rotieren wir den Button auch ‚Klicke Jetzt‘ -> ‚Weiter‘ -> ‚Credit kaufen‘. Und den ‚Nein, Danke‘ Button raus. So hat der User die Wahl zwischen klicken und Fenster schließen ;)“.
66Angesichts dessen und unter Berücksichtigung der mit den Beschwerden aufgezeigten Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der die Forderungen begründenden Bestellvorgänge hätte es sich der Antragstellerin frühzeitig aufdrängen müssen, nicht nur den Bestellvorgang auf der Seite www.xxx.de auf seine oberflächliche Gestaltung hin zu kontrollieren – dessen Ablauf dem IT-Administrator der Antragstellerin als für die Internetseite Verantwortlichem offenkundig bekannt war –, sondern die Auftraggeber aufzufordern, nachvollziehbar darzulegen, über welche Seiten die einzuziehenden Forderungen tatsächlich generiert worden sind und die konkreten Bestellvorgänge zu überprüfen sowie eine vertiefte Kontrolle auch unter Einbeziehung des IT-Administrators auf die Landingpages zu erstrecken. Dass die Antragstellerin substantiierten Beschwerden nicht angemessen nachgegangen ist und mitunter Beschwerdeführer nur auf die ermittelte IP-Adresse verwiesen sowie formelhaft im Beschwerdeverfahren behauptet hat, die Betroffenen über die Vertragsumstände aufgeklärt zu haben, sich aber trotz massiver Anhaltspunkte für Missbrauch weiter für berechtigt hielt, „auch bestrittene Forderungen weiterhin geltend“ zu machen, lässt jedenfalls eine für eine qualifizierte Rechtsdienstleistung nicht hinnehmbare Gleichgültigkeit gegenüber mutmaßlich betrügerischen Geschäftsgebaren ihrer Auftraggeber erkennen.
67Diese Gleichgültigkeit im Hinblick auf die Berechtigung der von der Antragstellerin geltend gemachten Forderungen prägte auch ihr Geschäftsgebaren bei der Einziehung von vermeintlichen Schadensersatzforderungen aus Parkverstößen. Die Antragstellerin hat in der Vergangenheit auch erheblich gegen ihre unternehmerischen Sorgfaltspflichten verstoßen, indem sie – worauf der Antragsgegner in der Beschwerdeschrift zutreffend abgestellt hat – gegen Fahrzeughalter gerichtete deliktische Schadensersatzforderungen aus Parkverstößen eingezogen und dabei jedenfalls billigend in Kauf genommen hat, dass die für ihre Mandanten geltend gemachten Schadensersatzansprüche nicht bestanden.
68Die Antragstellerin hat in der Vergangenheit die Anwendungssoftware „Q. & D. “ selbst betrieben. Über die App konnten ausweislich des von ihr vorgelegten Screenshots (vgl. Beiakte Heft 53, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_40, Bl. 23) private Parkplatzbesitzer „Falschparker“ erfassen. Hierzu waren Datum, Uhrzeit und Parkplatz anzugeben sowie ein „Tarif“ auszuwählen, dessen Höhe in 1,00 Euro-Schritten von 1,00 Euro bis 40,00 Euro von dem App-Nutzer selbst bestimmt werden konnte. Die Antragstellerin hat auf die Eingabe des App-Nutzers hin eine Halteranfrage bei der zuständigen Kfz-Zulassungsbehörde gestellt und den so ermittelten Halter schriftlich aufgefordert, einen Gesamtbetrag, der sich zusammensetzte aus den von dem Mandanten angegebenen „Tarif“, welcher als Schaden ausgewiesen wurde (beispielsweise in Höhe von „mindestens 20,00 Euro“, vgl. Beiakte Heft 53, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_40, Bl. 5), den „außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (hier: Inkassokosten)“ sowie den Halter-Ermittlungskosten, binnen einer von der Antragstellerin gesetzten Frist auf ihr Konto zu überweisen. Dabei lagen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der von dem App-Nutzer angegebene „Tarif“ regelmäßig nicht der Höhe eines tatsächlich entstandenen Schadens entsprach, ein bezifferbarer Schaden vielmehr regelmäßig schon gar nicht eingetreten war und die geltend gemachten Schadensersatzforderungen damit zumindest ganz überwiegend unberechtigt waren.
69Das unbefugte Abstellen eines Fahrzeugs auf einem fremden Privatgrundstück stellt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine verbotene Eigenmacht – nämlich eine Besitzstörung – im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB dar.
70Vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2015 – V ZR 160/14 –, juris, Rn. 13, m. w. N.
71Wird der Besitzer durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört, so kann er nach § 862 Abs. 1 BGB von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen und auf Unterlassung klagen, soweit weitere Störungen zu besorgen sind. Dem Grunde nach kann er auch Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 i. V. m. § 858 Abs. 1 BGB verlangen. Ein Schadensersatzanspruch besteht der Höhe nach aber nur in dem Umfang, in welchem aus der verbotenen Eigenmacht ein Schaden auch tatsächlich entstanden ist (vgl. § 249 Abs. 1 BGB).
72Vgl. BGH, Urteil vom 4.7.2014 – ZR 229/13 –, juris, Rn. 13, m. w. N.
73Ersatzfähig sind solche Schäden, die in adäquatem Zusammenhang mit der verbotenen Eigenmacht stehen und von dem Schutzbereich der verletzten Norm erfasst werden.
74Vgl. BGH, Urteil vom 4.7.2014 – ZR 229/13 –, juris, Rn. 15, m. w. N.
75Nicht ersatzfähig sind dagegen die Kosten für die Bearbeitung, die außergerichtliche Abwicklung und die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs sowie die Kosten für die Überwachung des Grundstücks im Hinblick auf unberechtigtes Parken.
76Vgl. BGH, Urteile vom 5.6.2009 – V ZR 144/08 –, BGHZ 181, 233 = juris, Rn. 21, und vom 4.7.2014 – ZR 229/13 –, juris, Rn. 17 und 19, jeweils m. w. N.
77Für den Nutzer der App – wie der Antragsgegner in der Beschwerdebegründung zutreffend näher ausgeführt hat – war hingegen nicht erkennbar, dass es eines konkreten Schadens bedurfte und der „Tarif“ der Höhe des entstandenen Schadens entsprechen musste. Als damalige Betreiberin der Applikationssoftware dringt die Antragstellerin auch nicht mit dem Einwand durch, die geltend gemachte Schadenshöhe sei jeweils plausibel gewesen, zumal die von ihr genannten Schadenspositionen – Feststellung und Dokumentation des Parkverstoßes, Aufwand der Parkraumüberwachung sowie Einrichtung und Registrierung der (kostenlosen) App – keinen ersatzfähigen Schaden darstellten. Sie hat die Forderungen entgegen ihrem Vorbringen in der Beschwerdeerwiderung auch weder als auf vertraglicher Grundlage entstanden angesehen noch hilfsweise einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag geltend gemacht. In den von ihr selbst mit dem Antrag beispielhaft vorgelegten Forderungsschreiben hat sie den Anspruch ausschließlich auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 858 Abs. 1 BGB gestützt. Hieran muss sie sich schon mit Blick auf ihre Darlegungs- und Informationspflichten nach § 11a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 RDG a. F. (heute § 13a Abs. 1 Nr. 2 RDG) festhalten lassen.
78Die ungeprüfte Geltendmachung von Forderungen, hinsichtlich derer regelmäßig begründete Zweifel an ihrer Berechtigung bestanden, ist als erheblicher Sorgfaltspflichtverstoß zu werten. Dabei ist auch und gerade zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin als Inkassounternehmen gegenüber Schuldnern eine Machtposition innehat, die es ihr ermöglicht, auf Schuldner, etwa wegen im Schreiben eines Inkassounternehmens enthaltener Drohung mit gerichtlichen Schritten, besonderen Druck auszuüben.
79Vgl. zu § 4a Abs. 1 Satz 1 UWG BGH, Urteil vom 22.3.2018 – I ZR 25/17 –, juris, Rn. 12.
80Diese Machtposition hat die Antragstellerin ausgenutzt, um die Fähigkeit der Fahrzeughalter zu einer informierten Einschätzung über die Berechtigung der ihnen gegenüber geltend gemachten Schadensersatzforderung wesentlich einzuschränken. Sie hat nicht nur keinerlei nachvollziehbare Angaben zum – für das Bestehen der Forderung ganz entscheidenden – Schaden und zu den Grundlagen der geltend gemachten Schadenssumme gemacht. Sie hat zudem schon im ersten Anschreiben zur Geltendmachung einer Schadensersatzforderung weitere rechtliche Schritte angedroht. Bei Ausbleiben der Zahlung sei sie von ihrem Mandanten beauftragt, die Forderung im gerichtlichen Mahnverfahren geltend zu machen; der Mandant behalte sich zudem vor, den Fahrzeughalter durch die der Antragstellerin angeschlossene Rechtsanwaltsgesellschaft kostenpflichtig abmahnen zu lassen. Weiter hat sie ihrerseits keine Bereitschaft erkennen lassen, sich mit etwaigen Einwänden des Betroffenen außerhalb eines für den Fahrzeughalter kostenpflichtigen gerichtlichen Verfahrens auseinanderzusetzen. So heißt es in den dem Schreiben beigefügten „FAQ“ (vgl. elektronische Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts, Bl. 107) unter Nr. 4 zu der Frage „Warum wurde mir kein Beweisphoto zugesendet?“: „Wir sind erst im gerichtlichen Verfahren verpflichtet, Bildmaterial auszuhändigen.“ Erschwerend kommt hinzu, dass die beigefügten FAQ zur Grundlage des von der Antragstellerin behaupteten Anspruchs irreführend waren. Im Einzelnen heißt es dort, eine „schnellstmögliche“ Klärung der Angelegenheit könne durch Zahlung der „Gebühr“ – hier ist schon nicht mehr von Schadensersatz die Rede – erzielt werden. Dann werde sie ihrem Mandanten mitteilen, der Falschparker habe mit der Zahlung signalisiert, dass eine zusätzliche Abmahnung nicht nötig und eine weitere Rechtsverfolgung (vorausgesetzt es gebe keine Wiederholung des Parkverstoßes) nicht notwendig sei (vgl. Nr. 6 der FAQ). Dem Betroffenen werde der kostengünstigste Weg vorgeschlagen. Immerhin hätte der Eigentümer aufgrund seines Selbsthilferechts das Fahrzeug auch abschleppen lassen oder die Unterlassungsklage direkt anstreben können. Dies wäre mit deutlich höheren Kosten verbunden (vgl. FAQ, kleiner Hinweis). Die eigentlich geltend gemachte Schadensersatzforderung tritt in den FAQ völlig in den Hintergrund (vgl. hierzu auch FAQ Nr. 5: „Nach Ablauf der Zahlungsfrist sind wir mit einer Unterlassungsklage über unsere Vertragsanwälte […] beauftragt“). In der Gesamtschau war für den betroffenen Fahrzeughalter letztlich nicht mehr mit der nach § 11a Abs. 1 Nr. 2 RDG a. F. erforderlichen Klarheit und Verständlichkeit zu erkennen, ob seine Zahlung der Begleichung eines angeblichen Schadensersatzanspruchs dienen oder „kostengünstig“ die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs abwenden sollte.
81(2) Zwar hatte die Antragstellerin von der Geltendmachung von über die Internetseite www.xxx.de generierten Forderungen sowie von Schadensersatzforderungen wegen Parkverstößen noch vor Erlass des Widerrufsbescheids abgesehen und betreibt auch die App „Q1. & D. “ nicht mehr selbst. Das hinter der zuletzt genannten Applikationssoftware stehende Geschäftskonzept hat sie – jedenfalls zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids und soweit ersichtlich bis heute – indessen nicht aufgegeben, wenn auch in abgeänderter Form. Private Parkplatzbesitzer konnten – und können noch – über die zwischenzeitlich von der AppGrade UG betriebene Anwendungssoftware namens „Q. & D. Pro“ weiterhin Parkverstöße melden. Hierzu waren und sind in der Maske zur Erfassung des Falschparkers wie zuvor Datum, Uhrzeit, Parkplatz, Grund sowie ein „Tarif“ anzugeben. Gegenüber den betroffenen Fahrzeughaltern trat die Antragstellerin jedenfalls bei Erlass des Widerrufsbescheids weiterhin unter Nutzung des Briefkopfs der „Q1. & D. “, aber mit Angabe ihres eigenen Firmennamens in ihrer Funktion als Inkassodienstleister auf. Statt Schadensersatzansprüche geltend zu machen, unterbreitete sie diesen nunmehr im Auftrag der Parkplatzinhaber außergerichtliche Vergleichsangebote, damit die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen vermieden werden könne.
82Vgl. beispielhaft Beiakte Heft 21, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_139, Bl. 2; Beiakte Heft 28, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_123, Bl. 2; Beiakte Heft 36, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_136, Bl. 2; Beiakte Heft 37, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_192, Bl. 5; Beiakte Heft 52, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_179, Bl. 15; Beiakte Heft 53, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_156, Bl. 2; Beiakte Heft 53, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_178, Bl. 22.
83Unabhängig davon, dass sie mit ihrem zeitlich befristeten „außergerichtlichen Vergleichsangebot“ durch den Hinweis, der Mandant werde bei einem Scheitern der Einigung die bereits bevollmächtigte Rechtsanwaltsgesellschaft mit der Abmahnung und Klage auf Unterlassung sowie Zahlung beauftragen,
84vgl. beispielhaft Beiakte Heft 52, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_179, Bl. 15; Beiakte Heft 53, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_178, Bl. 22; Beiakte Heft 54, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_143, Bl. 4,
85den unzutreffenden Eindruck erweckt hat, es sei zwecks Vermeidung weiterer Kosten am besten, die Einigungsofferte anzunehmen, obgleich jedenfalls auch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung möglich gewesen wäre,
86vgl. BGH, Urteil vom 21.9.2012 – V ZR 230/11 –, juris, Rn. 12,
87hat sie damit in erheblichem Umfang Rechtsdienstleistungen über die eingetragene Befugnis der Erbringung von Inkassodienstleistungen hinaus erbracht (§ 14 Nr. 3 Halbsatz 2 Var. 1 RDG a. F.). Die Unterbreitung eines Vergleichsangebots zur Abwendung der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs fällt weder in den Anwendungsbereich der Inkassodienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG noch ist sie im konkreten Fall als Nebenleistung hierzu zu qualifizieren [hierzu unter (2.1)]. Die bewusste und auf Dauer angelegte Überschreitung ihrer Befugnisse als Rechtsdienstleister erweist sich im Ergebnis auch als erheblich [hierzu unter (2.2)].
88(2.1) Die Unterbreitung eines Vergleichsangebots zur Abwendung der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs ist selbst Rechtsdienstleistung im Sinne des § 2 Abs. 1 RDG a. F., weil sie eine konkrete Subsumtion des Sachverhalts (Parkverstoß) unter die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen (§§ 1004, 862, 858 Abs. 2 BGB) erfordert. Die Rechtsdienstleistung fällt nach den oben darlegten höchstrichterlich geklärten Maßstäben eindeutig nicht in den Anwendungsbereich der Inkassodienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG a. F. Die Tätigkeit war schon nicht auf die Einziehung einer bestimmten, gegenüber dem Adressaten konkretisierten Forderung als Hauptleistung gerichtet. Ob der jeweilige Parkplatzinhaber gegen den von der Antragstellerin angeschriebenen Fahrzeughalter einen Unterlassungsanspruch hatte und darüber hinaus gegebenenfalls unter weiteren nicht festgestellten Voraussetzungen auch eine Geldforderung aus Vertrag, deliktischer Haftung oder Geschäftsführung ohne Auftrag hätte geltend machen können, bedarf hier deshalb keiner näheren Prüfung. Die Antragstellerin hat eine auf eine Zahlung gerichtete Hauptforderung gegenüber den Fahrzeughaltern mit ihrem Vergleichsangebot nicht einmal behauptet; ihre Tätigkeit zielte damit auch nicht auf die Einziehung einer solchen Hauptforderung. Das Vergleichsangebot bezog sich allein darauf, „durch Zahlung einer Kompensation für die Besitzstörung […] die Sache auf sich beruhen zu lassen und [den betroffenen Fahrzeughalter] nicht gerichtlich auf Unterlassung der Nutzung/Störung des Privatparkplatzes in Anspruch zu nehmen (§§ 1004, 862, 858 Abs. 2 BGB)“. Die Unterbreitung eines außergerichtlichen Vergleichsangebots war auch nicht als Hilfstätigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 RDG a. F. erlaubt. Sie erfolgte gerade nicht als Nebentätigkeit im Zusammenhang mit einer Inkassotätigkeit, sondern war vielmehr selbst Hauptgeschäft. Hieran ändert nichts, dass die Antragstellerin mit selben Schreiben darauf hingewiesen hat, die Halterermittlungskosten seien wegen der „widerrechtlichen Handlung gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. 858 Abs. 2 BGB“ von dem Betroffenen zu übernehmen, und diese in ihrer Forderungsaufstellung gesondert ausgewiesen hat. Der Einzug dieser Forderung erfolgte nicht als Hauptgeschäft, sondern lediglich als Annex zu dem Vergleichsangebot. Zudem konnten deliktische Forderungen wegen fehlendem Verschulden des Halters ohnehin nur gegenüber dem Fahrer bestehen und es besteht nach der ausweislich ihres Vorbringens im Beschwerdeverfahren auch der Antragstellerin bekannten höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade kein Anscheinsbeweis dafür, dass der Fahrzeughalter jeweils auch Fahrzeugführer war.
89Vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2019 – XII ZR 13/19 –, juris, Rn. 30, 32.
90(2.2) Die Erbringung von Rechtsdienstleistungen über die eingetragene Befugnis hinaus erfolgte in erheblichem Umfang. Insbesondere ist ein Überschreiten der Rechtsdienstleistungsbefugnis nicht nur in Einzelfällen erfolgt, sondern war – und ist – in dem von der Antragstellerin betriebenen Geschäftsmodell angelegt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Antragstellerin die Überschreitung ihrer Befugnisse als Inkassodienstleister bewusst war. Ausweislich ihrer Stellungnahme vom 29.7.2020 in einem der Beschwerdeverfahren (Beiakte Heft 53, Beschwerdevorgang 3712 E 1 – 6.480_178, Bl. 37) war sie selbst zutreffend davon ausgegangen, bei den Vergleichsangeboten handele es sich nicht um einen Forderungseinzug.
91Ihr war danach erkennbar bewusst, dass kein Zusammenhang zwischen den Vergleichsvorschlägen zur Abwendung von Unterlassungsklagen und einer etwaigen Inkassotätigkeit bestand. Obwohl sie dies wusste, hat sie sich in ihrer Beschwerdeerwiderung darauf berufen, rechtliche Wertungen hätten gerade außen vor gelassen werden sollen, weil lediglich ein Vergleichsangebot habe unterbreitet werden sollen. Tatsächlich hat sie entgegen ihrem Bekunden nicht davon abgesehen, ihre Vergleichsangebote rechtlich daraufhin zu werten, ob diese eine erlaubte Inkassotätigkeit waren. Denn sie hatte die hierfür erforderlichen rechtlichen Wertungen – wie ausgeführt – bereits vorgenommen und zu Recht keinen Zusammenhang mit einer Inkassotätigkeit als Hauptgeschäft herstellen können. Zutreffend hat der Antragsgegner in dem angefochtenen Bescheid (dort Seite 35) ausgeführt, das Verhalten der Antragstellerin im Zusammenhang mit dem Q. & D. -Geschäftsmodell lasse erkennen, dass sie den ihr als Rechtsdienstleister obliegenden Pflichten vollkommen gleichgültig gegenüberstehe. Zugleich offenbare die geänderte Vorgehensweise die Bereitschaft der Antragstellerin, auf der Grundlage eines Sachverhalts, der in aller Regel nur zu der Entstehung eines Unterlassungsanspruchs führe, dennoch Zahlungen zu generieren – unabhängig davon, ob tatsächlich eine Geldforderung bestehe oder nicht. Art und Umfang der aufgezeigten Überschreitung ihrer Rechtsdienstleistungsbefugnis sind von einer solchen Schwere, dass diese als erheblich im Sinne des § 14 Nr. 3 Halbsatz 2 RDG a. F. einzustufen ist. Einer Auflagenerteilung nach § 13a Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 10 Abs. 3 Satz 3 RDG a. F. zur Einhaltung des Rechtsdienstleistungsgesetzes vor Erlass des Widerrufsbescheids war angesichts dessen auch unter Berücksichtigung des mit dem Widerruf einhergehenden Eingriffs in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Antragstellerin und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht geboten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Schutz des Rechtsverkehrs etwa durch eine auf die Tätigkeit der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Unternehmung „Q1. & D. “ beschränkte Teiluntersagung hätte erzielt werden können. Die Antragstellerin hat bereits mit ihren aufgezeigten Geschäftsmodellen hinreichend zum Ausdruck gebracht, sich nicht an den Schutzzwecken des Rechtsdienstleistungsgesetzes orientieren zu wollen oder ihnen jedenfalls gleichgültig gegenüberzustehen. Auf die weiteren Vorwürfe, schon in der Gestaltung ihrer Anschreiben lägen unseriöse Geschäftspraktiken, kommt es danach für sich genommen schon nicht mehr entscheidungserheblich an. Da diese beanstandeten Gestaltungsformen auch im Rahmen der aufgezeigten „Geschäftsmodelle“ verwendet worden sind, bei denen die Antragstellerin ihre Befugnisse ohnehin bereits erheblich und systematisch überschritten hatte, runden sie lediglich das Gesamtbild ab.
92bb) Die Antragstellerin hat sich auch als unzuverlässig im Sinne von § 14 Nr. 1 RDG a. F. erwiesen. Die vorstehend dargelegten erheblichen Verstöße gegen Berufspflichten begründen durchgreifende Zweifel an der ordnungsgemäßen Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch die Antragstellerin. Sie rechtfertigen die Annahme, dass die Antragstellerin nicht willens oder in der Lage ist, die im öffentlichen Interesse zu fordernde einwandfreie Erbringung der Rechtsdienstleistung entsprechend der gesetzlichen Vorschriften zu gewährleisten und lassen einen Hang zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften erkennen. Unabhängig davon, dass die Antragstellerin verschiedene vom Antragsgegner als unzulässig beanstandete Gestaltungsformen ihres Schriftverkehrs mit angeblichen Schuldnern häufig in einer Weise abgeändert hatte, dass sich hinsichtlich der Neugestaltung erneut die Frage ihrer Zulässigkeit stellte und unabhängig davon, dass die ihr erteilten Auflagen nicht für sofort vollziehbar erklärt worden waren, ergab sich ihre Unzuverlässigkeit gerade auch daraus, dass sie keine Gewähr dafür bot, die rechtlichen Grenzen ihrer Befugnis, qualifizierte Rechtsdienstleistungen in Form von Inkassodienstleistungen zu erbringen, nach nahezu unübersehbarem Schriftverkehr mit der Aufsichtsbehörde von sich aus zu wahren und ihren in diesem Zusammenhang bestehenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Auch besteht weiterhin die berechtigte Besorgnis, die Antragstellerin werde unzuverlässigen Personen maßgeblichen Einfluss auf ihre Geschäftstätigkeit einräumen. Obwohl der Hauptverantwortliche IT-Administrator positive Kenntnis von den Einzelheiten der manipulativen Gestaltung von Internetseiten zu Lasten argloser Internetnutzer hatte, bestimmte die Geltendmachung nicht bestehender Forderungen noch lange nach Beginn massiver Beschwerden über systematisch betrügerisches Vorgehen von Hauptauftraggebern der Antragstellerin deren Geschäftspraxis. Die Grenzen zulässiger Inkassotätigkeit überschreitet sie weiterhin systematisch auch durch Vergleichsangebote im Zusammenhang mit Parkverstößen.
93cc) Liegen – wie hier – die Voraussetzungen des § 14 Nr. 1 und 3 RDG a. F. vor, ist der Widerruf zwingend. Ob eine Bestätigung des Widerrufs der Registrierung dann nicht erfolgen darf, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts zweifelsfrei die Voraussetzungen für eine erneute Registrierung vorliegen,
94vgl. dies offenlassend: BVerwG, Urteil vom 17.8.2005 – 6 C 15.04 –, BVerwGE 124, 110 = juris, Rn. 21 f.,
95kann hier dahinstehen. Diese Voraussetzungen liegen entgegen der Beteuerung der Antragstellerin, sie habe ihr Geschäftsverhalten stets überprüft und Beanstandungen ausgeräumt, nicht vor, zumal diese Überprüfungen in der Vergangenheit gänzlich unzulänglich waren und eine Bereitschaft, ohne vorherige Beanstandungen qualifizierte Rechtsdienstleistungen zu erbringen, auch aus der rückblickenden Verteidigung ihres früheren Handelns in Kenntnis der Erkenntnisse des Polizeiberichts vom 15.3.2021 weiterhin nicht ersichtlich ist.
962. Es ist auch ein besonderes Vollzugsinteresse gegeben, welches das Aufschubinteresse der Antragstellerin überwiegt. Der Widerruf erfolgt zum Schutz des Rechtsverkehrs und wird nur so umgehend wirksam. Ein weiteres Tätigwerden der Antragstellerin und Erbringen von Rechtsdienstleistungen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ist nicht vertretbar. Dies gilt gerade angesichts der massiven Sorgfaltspflichtverstöße, die auf einer Gleichgültigkeit beruhen hinsichtlich der Berechtigung der von der Antragstellerin geltend gemachten Forderungen, selbst bei konkreten Anhaltspunkten für betrügerische Geschäftsgebaren ihrer Geschäftspartner, und der erheblichen Überschreitung ihrer Rechtsdienstleistungserlaubnis. Es besteht die konkrete Gefahr, dass den von der Tätigkeit der Antragstellerin Betroffenen ein wirtschaftlicher Schaden entsteht.
973. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin zu Recht die Fortsetzung des Inkassodienstleistungsbetriebs untersagt (Nr. 2 der angefochtenen Verfügung) und für jeden Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro angedroht (Nr. 4 der angefochtenen Verfügung).
98Rechtsgrundlage der Untersagungsanordnung ist § 15b RDG. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Fortsetzung des Betriebs verhindern, wenn Rechtsdienstleistungen ohne erforderliche Registrierung oder vorübergehende Registrierung erbracht werden. Es begegnet keinen Bedenken, dass der Antragsgegner den sofort vollziehbaren Widerruf der Registrierung mit der sofortigen Vollziehbarkeit einer vollstreckbaren Untersagungsverfügung verbunden hat. Denn hiermit verfolgt er das berechtigte Interesse, dass der Betrieb unmittelbar eingestellt wird. Jedweder Zeitgewinn durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Aufhebungsentscheidung würde zunichtegemacht, wenn in solchen Fällen vor Erlass der (einzig vollstreckbaren) Schließungsverfügung das weitere Verhalten des Gewerbetreibenden abgewartet werden müsste.
99Vgl. Dötsch, in: Deckenbrock/Henssler, Rechtsdienstleistungsgesetz, 5. Aufl. 2021, RDG, § 15b Rn. 37.
100Schließlich begegnet die unter Nr. 4 der angefochtenen Verfügung ausgesprochene Zwangsgeldandrohung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
101Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
102Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
103Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.