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Zur Zulässigkeit einer Klageänderung im Berufungsverfahren nach § 125 Abs. 1 i. V. m. § 91 Abs. 1 VwGO (hier bejaht).
Die den Betrieb von Windenergieanlagen an Land betreffende Sondervorschrift des § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG findet im Rahmen der artenschutzrechtlichen Prüfung auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (erstmalig) Anwendung, wenn der Vorhabenträger dies nach § 74 Abs. 5 BNatSchG verlangt. Dem steht insbesondere der Wortlaut von § 74 Abs. 4 und 5 BNatSchG nicht entgegen; dieser ist vielmehr auslegungsoffen (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).
Die beispielhafte Aufzählung von Schutzmaßnahmen nach Abschnitt 2 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG zur Vermeidung der Tötung oder Verletzung von Exemplaren europäischer Vogelarten nach dem dortigen Abschnitt 1 durch Windenergieanlagen kann nicht als abschließende Konkretisierung einzelner Standardmaßnahmen bzw. eines Mindeststandards verstanden werden, von der in ihrem Anwendungsbereich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt abgewichen werden darf. Ebenso fehlt jeder normative Ansatz für die Annahme, die gesetzgeberische Vorgabe des § 45b Abs. 3 Nr. 2, 2. HS BNatSchG könne nur zum Tragen kommen, wenn die in Abschnitt 2 beschriebenen fachlich anerkannten Maßnahmen buchstabengetreu übernommen würden.
Die naturschutzfachlichen Erkenntnisse und Wertungen zum Brutgeschehen des Rotmilans, die der Vorschrift des § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG zugrunde liegen, können auf das Schlafplatzgeschehen dieser Art übertragen werden. Dies rechtfertigt es im Regelfall, die Abschaltung bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen als hinreichende Vermeidungsmaßnahme während des Schlafplatzgeschehens an einem traditionellen Schlafplatz des Rotmilans - jedenfalls außerhalb des Nahbereichs einer Windenergieanlage - anzusehen.
Ein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko besteht für den Uhu regelmäßig nicht, wenn der Abstand zwischen der Rotorunterkante einer Windenergieanlage und dem Erdboden mehr als 90 m beträgt; mögliche Ansitzwarten in Bäumen ändern hieran nichts.
Das auf die mündliche Verhandlung vom 8. März 2022 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg wird teilweise geändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn der jeweilige Vollstreckungsgläubiger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger, ein anerkannter Naturschutzverein, wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage in D. zwischen den Ortsteilen U. und X. im Bereich „T.“.
3Die Beigeladene beantragte unter dem 18. Dezember 2018 eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-138 EP3 (im Folgenden: HR 1) mit einer Nabenhöhe von 160 m, einem Rotorradius von 69,3 m und einer Nennleistung von 4.000 kW auf dem Grundstück Gemarkung X., G01, Flurstücke 93, 94 und 95 (UTM-Koordinaten: N01,16; N02,48). Ferner beantragte sie die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP).
4Der Standort der Anlage entspricht im Wesentlichen demjenigen der WEA 1 des Windparks „T.“. Die insoweit durch den Beklagten unter dem 9. Februar 2016 erteilte und mittlerweile mehrfach geänderte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für insgesamt elf Windenergieanlagen ist infolge der hiergegen gerichteten Klage des hiesigen Klägers noch nicht bestandskräftig. Unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung wies der erkennende Senat diese Klage durch Urteil vom 29. November 2022 ‑ 22 A 1184/18 - ab und ließ die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zu. Über die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers ‑ 7 B 2.23 - wurde noch nicht entschieden.
5Nördlich grenzt an den Vorhabenstandort der Windpark X. mit über 35 Windenergieanlagen. Südwestlich des Vorhabenstandorts schließen sich auf dem Gebiet der Stadt M. K. weitere elf Windenergieanlagen im Windpark „V. O.“ an.
6Der Vorhabenstandort wird ebenso wie die ihn umgebenden Flächen überwiegend landwirtschaftlich genutzt. Er liegt außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, aber nach der 60. Änderung des Flächennutzungsplans der Stadt D. - anders als noch nach dessen 11. Änderung - innerhalb einer Konzentrationszone für Windenergieanlagen.
7Der Beklagte führte das Genehmigungsverfahren als Verfahren nach § 10 BImSchG mit Öffentlichkeitsbeteiligung sowie eine Umweltverträglichkeitsprüfung durch.
8Der Kläger nahm über das Landesbüro der Naturschutzverbände Y. im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung mit Schreiben vom 21. März 2019 zu dem Vorhaben Stellung.
9Mit Bescheid vom 21. April 2020, dem Landesbüro der Naturschutzverbände Y. zugestellt am 27. April 2020, erteilte der Beklagte der Beigeladenen die beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung unter Beifügung zahlreicher artenschutzrechtlicher Nebenbestimmungen.
10Der Kläger hat dagegen am 7. Mai 2020 Klage erhoben.
11Mit Änderungsbescheid vom 15. Februar 2022 fasste der Beklagte die den Artenschutz betreffenden Nebenbestimmungen weitgehend neu. Dies betraf insbesondere nach Nr. III.8.4 die Abschaltung bei Mahd, Ernte und bodenwendenden Maßnahmen zugunsten des Rotmilans und der Wiesenweihe in der Zeit vom 20. Februar bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres („während der Brutzeit und während der Zeitspanne der nachbrutzeitlichen Schlafplatzgemeinschaft“) sowie nach Nr. III.8.5 die schlafplatzbedingte Abschaltung zugunsten des Rotmilans und des Schwarzmilans täglich ab 45 Minuten vor Sonnenaufgang bis Sonnenaufgang und ab vier Stunden vor Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang in der Zeit vom 1. August bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres bzw. zum Schutz der Rohrweihe und der Wiesenweihe in der Zeit vom 11. Juli bis zum 20. September eines jeden Jahres (Nr. III.8.6).
12Der Kläger hat diesen Änderungsbescheid mit Schriftsatz vom 16. Februar 2022 in seine Klage einbezogen.
13Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen: Die Genehmigung sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, da die durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung in verschiedener Hinsicht defizitär sei. Materiell-rechtlich verstoße das Vorhaben zunächst gegen die Ausschlusswirkung des Flächennutzungsplans der Stadt D. in der Fassung der hier maßgeblichen 11. Änderung. Die 60. Änderung sei unwirksam. Hinsichtlich des Rotmilans, der 2019 einen Brutplatz im 1.000 m-Radius um die Anlage gehabt habe, werde das artenschutzrechtliche Tötungsverbot verletzt. Für den Schwarzmilan, den Baumfalken und den Wanderfalken sei ebenfalls ein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko anzunehmen. Gleiches gelte für die Wiesenweihe, die Kornweihe, die Rohrweihe und den Uhu, dessen Vorkommen erst jüngst bekannt geworden sei. Zum Schutz der Fledermäuse vor Kollisionen seien nur unzureichende Auflagen erlassen worden. Weiter sei die geplante Anlage nur etwa 770 m von einem durch das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV Y.) ausgewiesenen Schwerpunktvorkommen des Mornellregenpfeifers entfernt. Der Beklagte habe zudem zu Unrecht den Mäusebussard, den Turmfalken, die Wachtel und die Feldlerche nicht als windenergiesensibel eingestuft. Das Vorhaben liege ferner in einem faktischen Vogelschutzgebiet und berücksichtige nicht hinreichend lärmempfindliche Arten im nächstgelegenen FFH-Gebiet. Auch die immissionsschutzrechtliche Lärmbewertung sei defizitär. Schließlich leide die naturschutzrechtliche Regelung hinsichtlich des mit dem Vorhaben verbundenen Eingriffs in den Naturhaushalt und das Landschaftsbild an verschiedenen Mängeln.
14Der Kläger hat beantragt,
15die der Beigeladenen erteilte Genehmigung des Beklagten vom 21. April 2020 zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage in der Gemarkung X., G01, Flurstücke 93, 94 und 95 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 15. Februar 2022 aufzuheben,
16hilfsweise, die der Beigeladenen erteilte Genehmigung des Beklagten vom 21. April 2020 zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage in der Gemarkung X., G01, Flurstücke 93, 94 und 95 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 15. Februar 2022 für rechtswidrig und nicht vollziehbar zu erklären.
17Der Beklagte hat beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er hat ausgeführt: Die vom Kläger angenommenen Mängel der Umweltverträglichkeitsprüfung lägen nicht vor. Eine Ausschlusswirkung der älteren Konzentrationszonenplanung der Stadt D. bestehe ebenso wenig. Für den Rotmilan habe für das Jahr 2019 kein Nachweis bzw. Verdacht einer Brut im 1.000 m-Radius um die Anlage vorgelegen. Im Übrigen sei der angeführte Brutplatz jedenfalls 2020 und 2021 unbesetzt gewesen. Artenschutzrechtliche Bedenken hinsichtlich weiterer Vogelarten oder der Fledermäuse bestünden nicht. Auch liege das Vorhaben außerhalb eines faktischen Vogelschutzgebiets und beeinträchtige schon aufgrund seiner Entfernung kein FFH-Gebiet. Nichts anderes gelte mit Blick auf die Lärmbewertung sowie die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung.
20Die Beigeladene hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Sie hat vorgetragen: Es sei nicht von einer Ruhestätte des Mornellregenpfeifers im fraglichen Bereich auszugehen. Entsprechendes gelte hinsichtlich des Goldregenpfeifers und des Kiebitzes. Im Übrigen sei der Mornellregenpfeifer ohnehin nicht windenergiesensibel.
23Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 21. April 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 15. Februar 2022 für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das genehmigte Vorhaben verstoße während der Brutzeit hinsichtlich des Rotmilans und des Uhus aufgrund von Ermittlungsdefiziten gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot, erweise sich aber im Übrigen als rechtmäßig. Der öffentliche Belang nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehe nicht entgegen. Die zugunsten des Rotmilans vorgesehenen Nebenbestimmungen - insbesondere bei bodenbewirtschaftenden Maßnahmen und während der Schlafplatzphase - seien als solche nicht zu beanstanden. Rechtsverstöße hinsichtlich des Schwarzmilans, des Baumfalken, des Wanderfalken, der Weihenarten und der windenergiesensiblen Fledermausarten ergäben sich nicht. Auch scheide ein artenschutzrechtlicher Verstoß hinsichtlich des Mornellregenpfeifers, des Kiebitzes und des Goldregenpfeifers aus. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Beklagte den Mäusebussard, den Turmfalken, die Wachtel und die Feldlerche nicht als windenergiesensibel eingestuft habe. Der Einwand des Klägers, der Vorhabenstandort liege in einem faktischen Vogelschutzgebiet, sei bereits ohne genügende Entschuldigung außerhalb der in § 6 Satz 1 UmwRG normierten Frist erfolgt. Die angegriffene Genehmigung verstoße auch ansonsten nicht gegen Habitatschutzrecht. Gleiches gelte bezüglich der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung sowie der Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Mit Blick auf die festgestellten Verstöße gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG während der Brutzeit zulasten des Rotmilans und des Uhus komme ein ergänzendes Verfahren in Betracht, so dass die Genehmigung nicht aufzuheben sei.
24Mit Beschlüssen vom 27. Februar 2023 hat der Senat den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung abgelehnt und auf den Antrag der Beigeladenen die Berufung gegen das vorgenannte Urteil zugelassen - also soweit darin die angefochtene Genehmigung für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt worden ist.
25Unter dem 16. Juni 2023 erließ der Beklagte auf Antrag der Beigeladenen einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem er die Nebenbestimmungen Nr. III.8.5 und Nr. III.8.6 zur schlafplatzbedingten Abschaltung aufhob. Dieser Bescheid wurde im Amtsblatt des Beklagten vom 23. Juni 2023 (dort Seiten 125 f.) öffentlich bekanntgemacht und lag danach mit weiteren dazugehörigen Unterlagen für zwei Wochen aus („in der Zeit vom 26.06.2023 bis zum 10.07.2023“).
26Der Kläger hat diesen Änderungsbescheid mit Schriftsatz vom 6. August 2023 in das Verfahren einbezogen.
27Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beigeladene im Wesentlichen vor: Ein Verstoß gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot während der Brutzeit zulasten des Rotmilans bzw. des Uhus liege nicht, jedenfalls nicht mehr vor. Sie beantrage gemäß § 74 Abs. 5 BNatSchG die Anwendung des neuen § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG. Ebenso beantrage sie nach § 6 Abs. 2 WindBG die Anwendung von § 6 Abs. 1 WindBG, dessen Voraussetzungen bei dem hier in eine Konzentrationszone hineingeplanten Vorhaben erfüllt seien. Das erstinstanzliche Urteil erweise sich vor dem Hintergrund der Ausführungen des Senats im „T.“-Urteil vom 29. November 2022 - 22 A 1184/18 - als falsch. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf die naturschutzfachlichen Stellungnahmen des Büros I. und B. zum Rotmilan vom 19. Mai 2022 und vom 12. Juli 2022 hinzuweisen. Hieraus ergebe sich, dass keine Hinweise auf eine Rotmilanbrut im Untersuchungsgebiet vorlägen. Die Abschaltung der Anlage HR 1 bei Bewirtschaftungsmaßnahmen nach Nr. III.8.4 der Genehmigung sei ausreichend. Auf die nach Nebenbestimmung Nr. III.8.8 vorgesehene Ablenkfläche komme es nicht mehr an. Auch die vom Verwaltungsgericht vermisste „verbal-argumentative“ Auseinandersetzung mit dem Uhu-Vorkommen habe das genannte Büro mit einer weiteren Stellungnahme vom 19. Mai 2022 geleistet. Nach der Höhe der Rotorunterkante scheide ein Kollisionsrisiko für diese Art aus. Schließlich sei auch während der Schlafplatzphase des Rotmilans die Abschaltung bei Bewirtschaftungsmaßnahmen nach Nr. III.8.4 der Genehmigung völlig ausreichend. Dies ergebe sich insbesondere aus einer fachkundigen Stellungnahme von Seiten des LANUV Y. in einem früheren Verfahren vor dem Senat.
28Die Beigeladene beantragt,
29die Klage unter Änderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 8. März 2022 insgesamt, d. h. auch bezüglich der vom Kläger beantragten Klageerweiterung, abzuweisen.
30Der Beklagte beantragt ebenfalls,
31die Klage unter Änderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 8. März 2022 insgesamt, d. h. auch bezüglich der vom Kläger beantragten Klageerweiterung, abzuweisen.
32Er trägt vor: Ein ergänzendes Verfahren sei nicht erforderlich, weil die Genehmigung vollumfänglich rechtmäßig sei. Das neue Artenschutzrecht nach § 45b BNatSchG finde gemäß § 74 Abs. 5 BNatSchG auf nicht bereits bestandskräftig genehmigte Vorhaben wie hier Anwendung, nachdem die Beigeladene dies im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich verlangt habe. Es ergebe sich kein Verstoß gegen das Tötungsverbot zulasten des Rotmilans. Dieser sei - unabhängig von der Frage nach dem Vorhandensein eines Brutplatzes im F. Wald - in Ansehung der artenschutzrechtlichen Nebenbestimmungen des angefochtenen Bescheides hinreichend geschützt. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die vorgesehene Abschaltung bei Mahd, Ernte und bodenwendenden Maßnahmen nach Nebenbestimmung Nr. III.8.4. Auch für den Uhu bestehe kein artenschutzrechtlich relevantes Tötungsrisiko. Schon die Annahme, das Gelände östlich des F. Waldes falle derartig in eine Senke ab, dass aufgrund erheblicher Höhenunterschiede mit Transferflügen im Rotorbereich der Anlage zu rechnen wäre, sei verfehlt. Im Übrigen sei die Art aufgrund der Anlagenkonfiguration mit einem Rotorblattdurchgang von knapp 91 m über Grund nach der Neuregelung in Abschnitt 1 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG ohnehin nicht kollisionsgefährdet.
33Der Kläger beantragt,
34die Berufung der Beigeladenen zurückzuweisen und den Genehmigungsbescheid vom 21. April 2020 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15. Februar 2022 und vom 16. Juni 2023 im Hinblick auf das Schlafplatzgeschehen an den Schlafplätzen des Rotmilans nach Maßgabe der Urteilsgründe der Entscheidung des Senats für rechtswidrig und nicht vollziehbar zu erklären.
35Er trägt vor: Auch ein entsprechendes Verlangen der Beigeladenen führe nicht dazu, dass die Vorschrift des § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG auf ein wie vorliegend bereits genehmigtes Vorhaben anzuwenden sei. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Wortlaut des § 74 Abs. 5 BNatSchG, der ein entsprechendes Verlangen des Vorhabenträgers nur in Bezug auf den allein bei noch ungenehmigten Vorhaben relevanten Stichtag des 1. Februars 2024 vorsehe. Zu der Frage, ob ein relevantes Brutvorkommen des Rotmilans im nördlichen Teil des F. Waldes zu berücksichtigen sei, bestehe keine hinreichende Tatsachengrundlage für eine diesbezügliche verneinende Aussage. Zudem sei die nach Nebenbestimmung Nr. III.8.4 vorgesehene bewirtschaftungsbedingte Abschaltung selbst bei Anwendung des § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG nicht ausreichend. Sie erfülle nicht die Anforderungen der in Anlage 1 Abschnitt 2 genannten Schutzmaßnahme „Abschaltung bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen“. Auch die durch Nebenbestimmung Nr. III.8.8 vorgesehene Ablenkfläche führe nicht zu einer Absenkung des Tötungsrisikos für den Rotmilan unter die Signifikanzschwelle, weil die Umsetzung nicht in der dort festgelegten Form möglich sei. Ein Tötungsrisiko bestehe ferner für den Uhu, der durchaus von seinem Ansitz in den Baumkronen insbesondere des F. Waldes in den Wirkraum der Rotoren der Anlage geraten könne. Schließlich könne der Kläger auch die mit dem Änderungsbescheid vom 16. Juni 2023 erfolgte Aufhebung der schlafplatzbedingten Abschaltung zugunsten des Rotmilans in das Berufungsverfahren einbeziehen. Sie verstoße gegen das Tötungsverbot. Das Schlafplatzgeschehen sei nicht an den für das Brutgeschehen geltenden oder gar geringeren Anforderungen zu messen. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die Szenarien aus naturschutzfachlicher Perspektive vergleichbar seien, bestünden nicht. Unbeschadet dessen sei die Abschaltung nach Nebenbestimmung Nr. III.8.4 selbst bei einer Vergleichbarkeit aus den zuvor genannten Gründen nicht ausreichend.
36Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die zulässige Berufung der Beigeladenen ist begründet. Die im Berufungsverfahren allein hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht angenommenen artenschutzrechtlichen Verstöße (zulasten des Rotmilans und des Uhus in der Brutzeit) sowie der mit Änderungsbescheid vom 16. Juni 2023 erfolgten Aufhebung der schlafplatzbedingten Abschaltung zugunsten des Rotmilans zu überprüfende Klage (dazu I.) hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig (dazu II.), aber unbegründet, weil die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zulasten keiner der beiden genannten Arten insoweit gegen das Tötungsverbot verstößt (dazu III.).
39I. Gegenstand der Berufung der Beigeladenen ist zunächst die Klage des Klägers in dem Umfang, in dem das Verwaltungsgericht einen Rechtsverstoß angenommen hat. Es geht damit allein um einen Verstoß gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot während der Brutzeit zulasten des Rotmilans und des Uhus. Dies folgt aus § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG und der danach - auch vom Verwaltungsgericht in seinem Urteil und den dortigen Entscheidungsgründen (Urteilsausfertigung Seiten 55 f.) - zugrunde gelegten Beschränkung auf ein ergänzendes Verfahren zur Fehlerheilung. Denn damit wurde gerichtlich festgestellt, dass die in Rede stehende Genehmigung über die Beanstandung des Gerichts hinaus nicht an weiteren Fehlern leidet.
40Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 2019 ‑ 7 C 28.18 -, BVerwGE 167, 250 = juris Rn. 29, m. w. N., vom 15. Juli 2016 ‑ 9 C 3.16 -, NVwZ 2016, 1631 = juris Rn. 61, und vom 8. Januar 2014 - 9 A 4.13 -, BVerwGE 149, 31 = juris Rn. 28; Seibert, NVwZ 2018, 97 (102); Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Jan. 2023, § 7 UmwRG Rn. 119.
41Dementsprechend hat der Senat mit Beschluss vom 27. Februar 2023 nur in diesem Umfang die Berufung der Beigeladenen zugelassen. Mit der Ablehnung des Antrags des Klägers auf Zulassung der Berufung durch Beschluss vom selben Tag wurde demgegenüber die Klageabweisung im Übrigen rechtskräftig, vgl. § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO. Auch eine Anschlussberufung des Klägers kam insoweit von vornherein nicht in Betracht.
42Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. November 2007 - 4 B 30.07 -, BauR 2008, 659 = juris Rn. 4 ff.
43Im Übrigen hat der Kläger eine solche nicht eingelegt.
44Der unter dem 16. Juni 2023 und damit nach Zulassung der Berufung ergangene Änderungsbescheid des Beklagten betrifft nicht den dargestellten Gegenstand der Berufung der Beigeladenen. Dieser Bescheid wächst zwar der Genehmigung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts automatisch an.
45Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18. Oktober 2022 - 7 B 1.22, 7 B 2.22 und 7 B 3.22 -, jeweils juris Rn. 6.
46Er bezieht sich aber allein auf die Aufhebung der schlafplatzbedingten Abschaltung zugunsten der Arten Rotmilan, Schwarzmilan, Rohrweihe und Wiesenweihe nach den Nebenbestimmungen Nr. III.8.5 und Nr. III.8.6 und damit auf einen anderen, im Rahmen der zugelassenen Berufung (zunächst) nicht in Rede stehenden Teil der insoweit bestandskräftig gewordenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung.
47Der Kläger hat jedoch mit Schriftsatz vom 6. August 2023 erklärt, dass er den Änderungsbescheid vom 16. Juni 2023 „im Hinblick auf das Schlafplatzgeschehen an den Schlafplätzen des Rotmilans“ in das Berufungsverfahren einbeziehe. Eine solche prozessuale Erklärung ist als Klageänderung im Berufungsverfahren an § 125 Abs. 1 i. V. m. § 91 VwGO zu messen. Sie ist jedenfalls deshalb nach § 125 Abs. 1 i. V. m. § 91 Abs. 1 VwGO zulässig, weil die Beigeladene mit ihrem Schriftsatz vom 11. August 2023 und der Beklagte in der mündlichen Verhandlung (Protokollausfertigung Seite 2) in diese eingewilligt haben. Auf die Frage der Sachdienlichkeit der Klageänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO kommt es damit nicht an.
48Die Klageänderung ist hier auch nicht mit dem Verweis darauf, dass sie im Berufungsverfahren nach einem stattgebenden Urteil erster Instanz mit Blick auf die Anforderungen an eine rechtzeitig eingelegte Anschlussberufung nach § 127 VwGO Beschränkungen unterliegen könne, an weiteren Voraussetzungen zu messen. Denn es entspricht hier dem Gebot der Waffengleichheit und Billigkeit, dem Kläger die Möglichkeit der Anpassung seiner Klage in Bezug auf Änderungen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung durch den Beklagten einzuräumen, die erst nach Zulassung der Berufung und aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs erfolgt sind (hier: nachträgliche Absenkung des gerichtlich unbeanstandet gebliebenen Schutzniveaus für das Schlafplatzgeschehen bestimmter Arten durch vollständige Streichung der Nebenbestimmungen Nr. III.8.5 und Nr. III.8.6). Eine solche Anpassung ist nicht an die Form- und Fristerfordernisse einer Anschlussberufung nach § 127 VwGO gebunden.
49Vgl. OVG Münster, Urteil vom 1. März 2021 ‑ 8 A 1183/18 -, BauR 2021, 1105 = juris Rn. 56 ff.; VGH Baden-Württ., Urteil vom 12. März 2015 - 10 S 1169/13 -, juris Rn. 31.
50II. Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1, 1. Fall VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
511. Der Kläger ist als anerkannte Umweltvereinigung abweichend von der allgemeinen Regelung in § 42 Abs. 2 VwGO nach § 2 Abs. 1 UmwRG klagebefugt.
52Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG kann eine nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen einlegen, wenn sie geltend macht, dass die Entscheidung oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften verletzt, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können (Nr. 1), dass sie in ihrem satzungsmäßigen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen berührt ist (Nr. 2) und dass sie im Falle eines Verfahrens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b UmwRG zur Beteiligung berechtigt war (Nr. 3).
53Die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung für das Vorhaben der Beigeladenen ist eine Entscheidung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UmwRG, da die Beigeladene die Durchführung einer UVP beantragt sowie der Beklagte das Entfallen einer Vorprüfung nach § 7 Abs. 3 UVPG als zweckmäßig erachtet und eine UVP auch tatsächlich durchgeführt hat. Die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG liegen ebenfalls vor.
542. Der Durchführung eines Vorverfahrens vor Klageerhebung bedurfte es nach § 68 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 110 JustG NRW nicht.
55Abweichend von § 110 Abs. 1 Satz 1 JustG NRW findet das Vorverfahren nach § 110 Abs. 3 Satz 1 JustG NRW Anwendung auf im Verwaltungsverfahren nicht beteiligte Dritte, die sich gegen den Erlass eines einen anderen begünstigenden Verwaltungsakts wenden. Das gilt grundsätzlich auch im Rahmen von immissionsschutzrechtlichen Drittanfechtungen wie hier. Der Kläger wurde jedoch nach § 13 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW als Beteiligter zum Verwaltungsverfahren hinzugezogen. Eine solche Hinzuziehung kann außer durch einen entsprechenden Verwaltungsakt grundsätzlich auch konkludent erfolgen. Hierfür reicht in der Regel jede Handlung der federführenden Behörde aus, mit der sie durch ausdrückliches oder konkludentes Verhalten unmissverständlich zu erkennen gibt, dass sie von einer Mitwirkung des Hinzugezogenen als Beteiligten ausgeht.
56Vgl. OVG NRW, Urteile vom 15. Dezember 2022 - 7 D 301/21.AK -, BauR 2023, 462 = juris Rn. 23, und vom 5. Oktober 2020 ‑ 8 A 894/17 -, ZNER 2020, 558 = juris 44, m. w. N.
57Danach war der Kläger Beteiligter im Verwaltungsverfahren. Ihm wurden mit an das Landesbüro der Naturschutzverbände Y. gerichtetem Schreiben vom 15. Januar 2019 die Antragsunterlagen übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 25. März 2019 gegeben. Hiervon hat der Kläger unter dem 21. März 2019 auch Gebrauch gemacht. Schließlich hat der Beklagte ihm (erneut über das Landesbüro der Naturschutzverbände Y.) den Genehmigungsbescheid vom 21. April 2020 individuell bekanntgegeben und ihn zugleich darüber belehrt, dass hiergegen das Rechtsmittel der Klage (und nicht: Widerspruch) zum erkennenden Gericht gegeben sei.
58Nichts anderes kann für die Änderungsbescheide vom 15. Februar 2022 und vom 16. Juni 2023 gelten, die nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dem ursprünglichen Genehmigungsbescheid automatisch anwachsen.
593. Der Kläger hat seine Klage zudem fristgerecht innerhalb der einmonatigen Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO, §§ 187 ff. BGB erhoben. Dies gilt auch für die Klage gegen den Änderungsbescheid vom 16. Juni 2023, der nach § 10 Abs. 8 BImSchG i. V. m. § 21a Abs. 1 der 9. BImSchV im Rahmen der im Amtsblatt des Beklagten vom 23. Juni 2023 erfolgten öffentlichen Bekanntmachung mit dem Ende der zweiwöchigen Auslegungsfrist („in der Zeit vom 26.06.2023 bis zum 10.07.2023“) als zugestellt gilt.
60III. Die Klage ist in dem Umfang, in dem sie Gegenstand dieser Berufung ist, unbegründet.
61Die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 21. April 2020 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15. Februar 2022 und vom 16. Juni 2023 verstößt weder während der Brutzeit zulasten des Rotmilans oder des Uhus noch während der Schlafplatzphase zulasten des Rotmilans gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Danach ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören.
621. Die Sondervorschrift des § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG findet im Rahmen der Prüfung von Verstößen des genehmigten Vorhabens gegen das Artenschutzrecht Anwendung. Diese Vorschrift betrifft den Betrieb von Windenergieanlagen an Land und dort die fachliche Beurteilung, ob nach § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare kollisionsgefährdeter Brutvogelarten im Umfeld ihrer Brutplätze durch den Betrieb von Windenergieanlagen signifikant erhöht ist, und fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen für diese Brutvogelarten.
63Nach § 74 Abs. 4 BNatSchG ist § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG nicht anzuwenden auf bereits genehmigte Vorhaben zur Errichtung und zum Betrieb von Windenergieanlagen an Land sowie auf solche Vorhaben,
641. die vor dem 1. Februar 2024 bei der zuständigen Behörde beantragt wurden oder
652. bei denen vor dem 1. Februar 2024 die Unterrichtung über die voraussichtlich beizubringenden Unterlagen nach § 2a der 9. BImSchV erfolgt ist.
66§ 74 Abs. 5 BNatSchG regelt, dass abweichend von Absatz 4 die Vorschrift des § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG bereits vor dem in Absatz 4 genannten Tag anzuwenden ist, wenn der Träger eines Vorhabens dies verlangt.
67Nachdem die Beigeladene „entsprechend § 74 Abs. 5 BNatSchG die Anwendung des neuen Artenschutzrechts“ mit Schriftsatz vom 2. März 2023 beantragt hat, gilt § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG auch hier und abweichend von § 74 Abs. 4 BNatSchG.
68Vgl. zu Einzelheiten der Begründung zunächst OVG NRW, Urteil vom 29. November 2022 - 22 A 1184/18 -, ZNER 2023, 53 = juris Rn. 136 ff., m. w. N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19. Dezember 2022 - 10 S 2295/22 -, NuR 2023, 275 = juris Rn. 32.
69Die vom Kläger im Schriftsatz vom 6. August 2023 angesprochenen Gesichtspunkte geben dem Senat keine Veranlassung, seine diesbezügliche Rechtsprechung zu ändern. Anders als der Kläger meint, ist der „auf bereits genehmigte Vorhaben“ abstellende Wortlaut des § 74 Abs. 4 BNatSchG auslegungsoffen und kann der vom Senat vorgenommenen Auslegung nicht entgegengehalten werden. Insbesondere ist die Annahme des Klägers, der Gesetzgeber hätte eine andere Gesetzesformulierung gewählt, wenn er ausschließlich den Inhabern bestandskräftiger Genehmigungen die Option des § 74 Abs. 5 BNatSchG hätte vorenthalten wollen, nicht zwingend und wird vom Kläger auch lediglich thesenhaft in den Raum gestellt. Hiergegen spricht ersichtlich auch die Begründung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, wonach „die Regelungen des § 45b Absatz 1 bis 6 nach dem neuen § 74 Absatz 4 keine Anwendung auf bereits bestandskräftig [Hervorhebung durch den Senat] genehmigte Vorhaben zur Errichtung und zum Betrieb von Windenergieanlagen an Land“ finden.
70Vgl. BT-Drs. 20/2354, S. 31.
71Entsprechendes gilt für den Verweis des Klägers auf eine im Gesetzgebungsverfahren abgegebene Stellungnahme des Bundesverbandes WindEnergie (BWE) zum Entwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (Ausschuss-Drs. 20(16)69). Dass der Gesetzgeber den dortigen Formulierungsvorschlag zu § 74 Abs. 5 BNatSchG („Abweichend von Absatz 4 ist § 45b Absatz 1 bis 6 bereits vor dem in Absatz 4 genannten Tag anzuwenden, wenn der Träger eines genehmigten oder beantragten Vorhabens dies verlangt.“) nicht aufgegriffen hat, kann auch schlicht damit erklärt werden, dass der Gesetzgeber eine solche, aus seiner Sicht hinsichtlich des Vorbehalts des Eintritts der Bestandskraft lediglich klarstellende Formulierung nicht für erforderlich gehalten hat. Im Übrigen ging dieser Vorschlag über die Anwendbarkeit auf noch nicht bestandskräftig genehmigte Anlagen hinaus und erfasste weitergehend auch die bestandskräftig genehmigten - eine Folge, die der Gesetzgeber - anders als für die hiesige Fallkonstellation - ausweislich der Gesetzesbegründung vermeiden wollte.
72Warum schließlich das mit § 74 Abs. 5 BNatSchG verfolgte gesetzgeberische Anliegen, den Vorhabenträgern „größtmögliche Flexibilität in der Übergangszeit“ zu gewähren,
73vgl. BT-Drs. 20/2354, S. 31,
74sich - wie der Kläger meint - offensichtlich nur auf noch nicht abgeschlossene Genehmigungsverfahren beziehen sollte, erschließt sich dem Senat ebenfalls nicht. Mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, den Ausbau von Windenergieanlagen an Land zu forcieren, indem die Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden.
75Vgl. BT-Drs. 20/2354, S. 1, 17.
76Dieses Ziel wird aber auch in den Fällen gefördert, in denen das Vorhaben zwar genehmigt, die Genehmigung aber von einem Dritten beklagt wird und damit noch nicht in Bestandskraft erwachsen ist. Denn die Anwendung der Sonderregelung des § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG kann gegebenenfalls dazu führen, dass die Genehmigung im gerichtlichen Verfahren - vorbehaltlich ihrer Rechtmäßigkeit im Übrigen - nicht (mehr) für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt oder aufgehoben wird. Damit entfiele im erstgenannten Fall die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens (vgl. § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG) und wäre im letztgenannten Fall die Stellung eines neuen, der Sache nach aber identischen Genehmigungsantrags entbehrlich. In beiden Fällen wäre auch nach Auffassung des Klägers ein Verlangen nach § 74 Abs. 5 BNatSchG rechtlich zulässig, so dass die Beschleunigungseffekte durch die Anwendung der Sonderregelung auf der Hand liegen, was nicht nur das vorliegende Verfahren exemplarisch veranschaulicht.
772. Das Vorhaben verstößt hinsichtlich des Rotmilans (Milvus milvus) während der Brutzeit nicht gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG.
78a) Der Rotmilan wird von dieser Schutzvorschrift als nach § 45b Abs. 1 bis 5 i. V. m. Anlage 1 Abschnitt 1 BNatSchG kollisionsgefährdete und damit wind-energieempfindliche Vogelart erfasst.
79Er ist ein wild lebendes Tier der geschützten Arten im Sinne von § 44 Abs. 1 BNatSchG. Denn er zählt als europäische Vogelart nach § 7 Abs. 2 Nr. 12 BNatSchG i. V. m. Art. 1 der Vogelschutzrichtlinie - dort zusätzlich in Anhang I aufgeführt - sowie als in Anhang A der Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels aufgeführte Tierart zu den besonders geschützten Arten im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 13 Buchst. a BNatSchG und zu den streng geschützten Arten im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 14 Buchst. a BNatSchG.
80Zudem ist der Rotmilan eine windenergieempfindliche und - mangels Meideverhaltens, weshalb ein Verstoß gegen das Störungsverbot im Sinne von § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG nicht zu untersuchen ist - kollisionsgefährdete Art. Dies ergibt sich hier unmittelbar aus § 45b Abs. 1 bis 5 i. V. m. Anlage 1 Abschnitt 1 BNatSchG. Der dortige Abschnitt 1 der Anlage 1 führt unter der Überschrift „Bereiche zur Prüfung bei kollisionsgefährdeten Brutvogelarten“ den Rotmilan auf.
81b) Das Tötungs- und Verletzungsverbot ist individuenbezogen und bereits dann erfüllt, wenn sich die Tötung/Verletzung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns erweist. Sind von einem in § 44 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG genannten Vorhaben ‑ hierzu zählen nach § 17 Abs. 1 BNatSchG immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Vorhaben - (unter anderem) europäische Vogelarten betroffen, liegt ein Verstoß gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann. Mit dieser durch das Gesetz vom 15. September 2017 (BGBl. I Seite 3434) eingefügten Vorschrift hat der Gesetzgeber den zum Tötungs- und Verletzungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG entwickelten Signifikanzansatz des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt.
82Vgl. BT-Drs. 18/11939, S. 17.
83Das anhand einer wertenden Betrachtung auszufüllende Kriterium der Signifikanz trägt dem Umstand Rechnung, dass für Tiere bereits vorhabenunabhängig ein allgemeines Tötungs- und Verletzungsrisiko besteht, welches sich nicht nur aus dem allgemeinen Naturgeschehen ergibt, sondern auch dann sozialadäquat sein kann und deshalb hinzunehmen ist, wenn es zwar vom Menschen verursacht ist, aber nur einzelne Individuen betrifft. Denn tierisches Leben existiert nicht in einer unberührten, sondern in einer von Menschen gestalteten Landschaft. Nur innerhalb dieses Rahmens greift der Schutz des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Umstände, die für die Beurteilung der Signifikanz eine Rolle spielen, sind insbesondere artspezifische Verhaltensweisen, häufige Frequentierung des durchschnittenen Raums und die Wirksamkeit vorgesehener Schutzmaßnahmen, darüber hinaus gegebenenfalls auch weitere Kriterien im Zusammenhang mit der Biologie der Art. Eine signifikante Steigerung des Tötungs- und Verletzungsrisikos erfordert Anhaltspunkte dafür, dass sich dieses Risiko durch den Betrieb der Anlage deutlich steigert. Dafür genügt es weder, dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen oder verletzt werden, noch, dass im Eingriffsbereich überhaupt Exemplare betroffener Arten angetroffen worden sind. Ein Nullrisiko ist daher nicht zu fordern.
84Vgl. BVerwG, Urteile vom 31. März 2023 ‑ 4 A 10.21 -, juris Rn. 124 f., vom 27. November 2018 ‑ 9 A 8.17 -, BVerwGE 163, 380 = juris Rn. 98 f., und vom 9. Februar 2017 - 7 A 2.15 -,BVerwGE 158, 1 = juris Rn. 466, jeweils m. w. N.
85Zum Umfang der gerichtlichen Kontrolle von naturschutzrechtlichen Bewertungsfragen und damit auch der Beurteilung, ob das Tötungs- und Verletzungsrisiko signifikant erhöht ist, gilt Folgendes: Wenn und solange es für die Erfassung und Bewertung vorhabenbedingter Einwirkungen an gesetzlichen Vorgaben oder einer untergesetzlichen Maßstabsbildung durch verbindliche Festlegungen etwa mittels Durchführungsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften fehlt, muss die Behörde auf außerrechtliche naturschutzfachliche Maßgaben zurückgreifen, zu denen vor allem Fachkonventionen und Leitfäden gehören. Fehlt es in den einschlägigen Fachkreisen und der einschlägigen Wissenschaft an allgemein anerkannten Maßstäben und Methoden für die fachliche Beurteilung, kann die gerichtliche Kontrolle des behördlichen Entscheidungsergebnisses mangels besserer Erkenntnis der Gerichte an objektive Grenzen stoßen. Sofern eine außerrechtliche Frage durch Fachkreise und Wissenschaft bislang nicht eindeutig beantwortet ist, lässt sich objektiv nicht abschließend feststellen, ob die behördliche Antwort auf diese Fachfrage richtig oder falsch ist. Dem Gericht ist durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht auferlegt, das außerrechtliche tatsächliche Erkenntnisdefizit aufzulösen. Es ist aber Aufgabe der Gerichte zu überprüfen, ob die vorliegenden Untersuchungen den aktuell besten wissenschaftlichen Erkenntnisstand widerspiegeln oder sich für die Bestandserfassung von betroffenen Arten oder für die Ermittlung des Risikos bestimmte Maßstäbe und Methoden durchgesetzt haben und andere Vorgehensweisen nicht mehr als vertretbar angesehen werden können. Fehlen diesbezügliche vereinheitlichende Vorgaben, muss das Gericht auf die konkrete Kritik hin überprüfen, ob die vorliegenden Untersuchungen sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichten, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sachgerecht zu prüfen. Ebenso kann und muss ein Gericht dann, wenn keine allgemein anerkannte fachliche Meinung existiert, kontrollieren, ob die von der Behörde verwendeten fachlichen Maßstäbe und Methoden vertretbar sind und die Behörde insofern im Ergebnis zu einer plausiblen Einschätzung der fachlichen Tatbestandsmerkmale einer Norm gelangt ist. In einem solchen Fall wird geprüft, ob der Behörde bei der Ermittlung und der Anwendung der von ihr aus dem Spektrum des Vertretbaren gewählten fachlichen Methode Verfahrensfehler unterlaufen, ob sie anzuwendendes Recht verkennt, von einem im Übrigen unrichtigen oder nicht hinreichend tiefgehend aufgeklärten Sachverhalt ausgeht, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt.
86Bei naturschutzfachlichen Bewertungsfragen hat das Gericht typischerweise zweischrittig zu prüfen. Es muss zunächst feststellen, ob es eine anerkannte Fachmeinung zu Methode oder Inhalt der aufgeworfenen Frage gibt; das ist eine Tatsachenfeststellung, die notfalls mit sachverständiger Hilfe erfolgen kann. Gibt es einen solchen „Standard“, dann prüft das Gericht dessen Befolgung bzw. die Gründe für eine Abweichung. Gibt es ihn nicht, sondern stattdessen ein wissenschaftliches „Erkenntnisvakuum“ im Sinne einer Grenze der tatbestandsbezogenen Erkenntnis- und Sachaufklärungsmöglichkeiten, gilt der Plausibilitätsmaßstab.
87Vgl. OVG NRW, Urteile vom 1. März 2021 ‑ 8 A 1183/18 -, BauR 2021, 1105 = juris Rn. 149 ff., m. w. N., und vom 29. November 2022 - 22 A 1184/18 -, ZNER 2023, 53 = juris Rn. 161 ff.
88Insbesondere mit der Sondervorschrift des § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG hat der Gesetzgeber nunmehr insoweit Vorgaben gemacht. Gemäß § 45b Abs. 1 BNatSchG gelten für die fachliche Beurteilung, ob nach § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare kollisionsgefährdeter Brutvogelarten im Umfeld ihrer Brutplätze durch den Betrieb von Windenergieanlagen signifikant erhöht ist, die Maßgaben der Absätze 2 bis 5. Danach erfolgt eine differenzierte Betrachtung nach dem Abstand zwischen dem Brutplatz einer Brutvogelart und der Windenergieanlage bzw. eine Einteilung in „Nahbereich“, „Zentraler Prüfbereich“ und „Erweiterter Prüfbereich“ und auf dieser Grundlage eine Beurteilung des Tötungs- und Verletzungsrisikos der den Brutplatz nutzenden Exemplare.
89Jenseits des hier ohnehin nicht in Rede stehenden Nahbereichs im Sinne von § 45b Abs. 2 BNatSchG i. V. m. Abschnitt 1 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG kommt ein Tötungs- und Verletzungsrisiko zulasten des Rotmilans vorrangig nach § 45b Abs. 3 BNatSchG i. V. m. Abschnitt 1 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG wegen eines Brutplatzes im zentralen Prüfbereich in Betracht.
90Nach § 45b Abs. 3 BNatSchG bestehen, wenn zwischen dem Brutplatz einer Brutvogelart und der Windenergieanlage ein Abstand liegt, der größer als der Nahbereich und geringer als der zentrale Prüfbereich ist, die in Anlage 1 Abschnitt 1 für diese Brutvogelart festgelegt sind, in der Regel Anhaltspunkte dafür, dass das Tötungs- und Verletzungsrisiko der den Brutplatz nutzenden Exemplare signifikant erhöht ist, soweit
911. eine signifikante Risikoerhöhung nicht auf der Grundlage einer Habitatpotenzialanalyse oder einer auf Verlangen des Trägers des Vorhabens durchgeführten Raumnutzungsanalyse widerlegt werden kann oder
922. die signifikante Risikoerhöhung nicht durch fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen hinreichend gemindert werden kann; werden entweder Antikollisionssysteme genutzt, Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Ereignissen angeordnet, attraktive Ausweichnahrungshabitate angelegt oder phänologiebedingte Abschaltungen angeordnet, so ist für die betreffende Art in der Regel davon auszugehen, dass die Risikoerhöhung hinreichend gemindert wird.
93c) Nach diesen Maßstäben wirken jedenfalls die der streitgegenständlichen Genehmigung beigefügten artenschutzrechtlichen Nebenbestimmungen einem Verstoß gegen das artenschutzrechtliche Verletzungs-/Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG während der Brutzeit des Rotmilans hinreichend entgegen.
94aa) Die Nebenbestimmung Nr. III.8.4 zum Genehmigungsbescheid vom 21. April 2020 in der insoweit maßgeblichen Fassung des Änderungsbescheids vom 15. Februar 2022 trifft zum Schutz des Rotmilans namentlich während der Brutzeit ausreichende Regelungen im Falle von bodenbewirtschaftenden Maßnahmen.
95Nach dieser Nebenbestimmung ist die Windenergieanlage bei Grünlandmahd, Ernte und bodenwendenden Maßnahmen auf Feldern im Umkreis von 100 m um die äußere Abmessung der Windenergieanlage (kreisförmige horizontale Projektion der Blattspitzen bei 90° zum Turm, entspricht einem Umkreis von 169,3 m um den Mastfuß der in Rede stehenden Anlage) oder auf Zwischenflurstücken (zwischen der HR 1 und den weiter östlich genehmigten HR 2 und HR 9 gelegenen Flurstücke, vgl. die als Anhang 1 zum Änderungsbescheid beigefügte Karte) insgesamt vom 20. Februar bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres abzuschalten.
96Der erkennende Senat hat - wie auch der 8. Senat des Gerichts auf der Basis der früheren Rechtslage - eine vergleichbare Nebenbestimmung auch in Anwendung des § 45b BNatSchG als fachlich anerkannt nicht beanstandet.
97Vgl. OVG NRW, Urteile vom 29. November 2022 ‑ 22 A 1184/18 -, ZNER 2023, 53 = juris Rn. 167 ff., und ausführlich vom 1. März 2021 ‑ 8 A 1183/18 -, BauR 2021, 1105 = juris Rn. 156 ff.
98Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus dem ablehnenden Beschluss vom 27. Februar 2023 zum Antrag des Klägers aus Zulassung der Berufung (vgl. Beschlussausfertigung Seiten 4 ff.).
99Zwar beschreibt der Abschnitt 2 „Schutzmaßnahmen“ der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG nunmehr für die „Abschaltung bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen“ einen eigenen fachlich anerkannten Mechanismus der vorübergehenden Abschaltung im Falle der Grünlandmahd und Ernte von Feldfrüchten sowie des Pflügens. Dies besagt - entgegen der Ansicht des Klägers - allerdings nicht, dass nicht auch ein anderer Abschaltmechanismus fachlich anerkannt sein kann und den Eintritt eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos verhindert. In diesem Sinne verdeutlicht auch der in § 45b Abs. 6 Satz 1 BNatSchG sowie einleitend im Abschnitt 2 der Anlage 1 verwendete Begriff „insbesondere“, dass die dort aufgeführten Schutzmaßnahmen - einschließlich der Schutzmaßnahme „Abschaltung bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen“ - nicht abschließend sind.
100Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. November 2022 ‑ 22 A 1184/18 -, ZNER 2023, 53 = juris Rn. 171 f. unter Bezugnahme auf BT‑Drs. 20/2354, S. 32.
101Anders als der Kläger meint, kann die beispielhafte Aufzählung von Schutzmaßnahmen nach Abschnitt 2 der Anlage 1 auch nicht als abschließende Konkretisierung einzelner Standardmaßnahmen bzw. eines Mindeststandards verstanden werden, von der in ihrem Anwendungsbereich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt abgewichen werden darf. Dies erscheint nicht nur aufgrund der hohen Komplexität naturschutzrechtlicher Fragestellungen - weswegen auch die Frage der Wirksamkeit von Vermeidungsmaßnahmen als komplexes Zusammenspiel verschiedenster Wirkfaktoren zu begreifen ist - nicht sachgerecht. Es widerspricht darüber hinaus den in der Gesetzesbegründung festgehaltenen ‑ einzelfallbezogenen - Überlegungen des Gesetzgebers, wonach aufgrund der unterschiedlichen Autoökologie von Arten, also deren Wechselwirkung mit ihrer Umwelt und den diese prägenden Faktoren, sowie der bundesweit unterschiedlichen landschaftsmorphologischen Merkmale und der am Standort vorherrschenden Habitatausstattung davon auszugehen ist, dass sich die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen artspezifisch und im Einzelfall unterscheidet. Für alle Maßnahmen gilt, dass im Einzelfall zu entscheiden ist, welche Maßnahmen bzw. Maßnahmenpakete unter Berücksichtigung von Umsetzbarkeit und Wirksamkeit sowie unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit am besten geeignet sind.
102Vgl. BT‑Drs. 20/2354, S. 32.
103Auch fehlt jeder normative Ansatz für die Annahme, die gesetzgeberische Vorgabe des § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG könne nur zum Tragen kommen, wenn die in Abschnitt 2 beschriebenen fachlich anerkannten Maßnahmen buchstabengetreu übernommen würden. Dies erscheint im Gegenteil jedenfalls hinsichtlich der hier in Rede stehenden Maßnahme zumindest fernliegend, nachdem diese in Teilen (insbesondere Satz 5) ersichtlich nicht abschließend ausformuliert ist.
104Der nach der Nebenbestimmung Nr. III.8.4 vorgesehene Mechanismus der Abschaltung geht sowohl nach seinem Gesamtzeitraum für mögliche Abschaltungen (20. Februar bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres) als auch hinsichtlich des im Falle eines Bewirtschaftungsereignisses vorgesehenen Abschaltzeitraums überwiegend deutlich über die im Abschnitt 2 der Anlage 1 beschriebene Schutzmaßnahme hinaus. Zudem erfasst er alle bodenwendenden Maßnahmen und erweitert auch insoweit die im Abschnitt 2 der Anlage 1 zu § 45b BNatSchG genannten landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen nicht unerheblich. Schließlich ist auch der Tageszeitraum, in dem die Windenergieanlage abzuschalten ist, länger. Die Anlage ist jeweils von Beginn bis Ende der bürgerlichen Dämmerung außer Betrieb zu setzen und nicht nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
105Hinsichtlich der räumlichen Erfassung der relevanten Flurstücke stellt die Schutzmaßnahme in Abschnitt 2 demgegenüber zwar auf eine Entfernung der Flächen von weniger als 250 m vom Mastfußmittelpunkt und damit auf einen anderen Parameter als die Nebenbestimmung Nr. III.8.4. ab. Dieser Unterschied wird durch den im Vergleich zur Nebenbestimmung Nr. III.8.4. veränderten Bezugspunkt (Umkreis von 100 m um die äußere Abmessung der Windenergieanlage) aber weitgehend angenähert. Hinzu tritt, dass die Flurstücke, die - auch nur teilweise - im Umkreis von 100 m um die äußere Abmessung der HR 1 liegen, grundsätzlich als Ganzes von der Nebenbestimmung Nr. III.8.4. erfasst werden. Damit wird vorliegend der Abstand von 250 m um die Anlage teilweise deutlich überschritten, wobei zusätzlich die Zwischenflurstücke zur WEA 2 des Windparks T. hinzukommen, vgl. Anhang 1 zum Änderungsbescheid vom 15. Februar 2022. Die innerhalb des 250 m-Radius nördlich der querenden Wegefläche gelegenen kleineren Anschnittflächen einzelner Flurstücke fallen vor diesem Hintergrund nicht entscheidend ins Gewicht. Für diejenigen Flurstücke, die innerhalb des sich südwestlich der Anlage anschließenden F. Waldes noch innerhalb des 250 m-Radius, aber außerhalb des Bezugraums der Nebenbestimmung Nr. III.8.4 liegen, erübrigt sich eine Abschaltung bei bodenwendenden Maßnahmen ohnehin. Somit steht zur Überzeugung des Senats die hiesige Regelung dem gesetzlichen Regelbeispiel in ihrer fachlichen Wirksamkeit (mindestens) gleich.
106Der hier vorgesehene eigenständige Mechanismus der Abschaltung bei den Zwischenflurstücken unter Einbeziehung eines landwirtschaftlich fachkundigen Betriebsbegleiters ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
107Vgl. dazu bereits ausführlich OVG NRW, Urteil vom 29. November 2022 - 22 A 1184/18 -, ZNER 2023, 53 = juris Rn. 174.
108Konkretisierte Einwendungen hat auch der Kläger nicht (mehr) erhoben.
109Die Abschaltung bei landwirtschaftlichen Ereignissen nach Nebenbestimmung Nr. III.8.4 ist danach als fachlich anerkannte Schutzmaßnahme einzustufen. Sie führt nach Maßgabe des § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG zu einer hinreichenden Minderung des Kollisionsrisikos für den Rotmilan unter die Signifikanzschwelle. Wie schon der Wortlaut der Vorschrift („entweder … oder“) nahe legt, genügt hierfür grundsätzlich bereits eine einzelne der genannten Schutzmaßnahmen. Nichts anderes ergibt sich aus Abschnitt 2 „Schutzmaßnahmen“ der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG. Zur Wirksamkeit der „Abschaltung bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen“ heißt es dort: „Die Abschaltung bei Bewirtschaftungsereignissen trägt regelmäßig zur Senkung des Kollisionsrisikos bei und bringt eine übergreifende Vorteilswirkung mit sich. Durch die Abschaltung der Windenergieanlage während und kurz nach dem Bewirtschaftungsereignis wird eine wirksame Reduktion des temporär deutlich erhöhten Kollisionsrisikos erreicht. Die Maßnahme ist insbesondere für Rotmilan und Schwarzmilan, Rohrweihe, Schreiadler sowie den Weißstorch wirksam.“ Die Abschaltung nach Nebenbestimmung Nr. III.8.4 der Genehmigung steht dieser nach dem Gesetz beispielhaft aufgeführten Schutzmaßnahme - wie festgestellt - um nichts nach, so dass die gesetzliche Einschätzung auch den vorliegenden Fall erfasst.
110Relativierungen der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen werden nach Abschnitt 2 der Anlage 1 - z. B. für die „Senkung der Attraktivität von Habitaten im Mastfußbereich“ oder im Einzelfall für Ausweichhabitate - ausdrücklich formuliert. Hieraus ist im Umkehrschluss zu folgern, dass Schutzmaßnahmen ohne solche Relativierungen der Wirksamkeit, zu denen die „Abschaltung bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen“ zählt, vom Gesetzgeber als allein ausreichend zur Vermeidung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos angesehen werden. Ferner ist die - alternativ letztlich allein in Betracht kommende - phänologiebedingte Abschaltung als Schutzmaßnahme nach dem Willen des Gesetzgebers nur ultima ratio („wenn keine andere Maßnahme zur Verfügung steht“). Saisonale und brutzeitbezogene Abschaltungen sollen nach Abschnitt 2 der Anlage 1 überhaupt nicht zulässig sein.
111Vgl. BT-Drs. 20/2354, S. 32.
112In diesem Zusammenhang ist im Blick zu halten, dass der Gesetzgeber mit diesen Konkretisierungen gerade den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügen wollte, nach denen er gehalten sein kann, bei naturschutzfachlichen Fragestellungen im Rahmen der Normanwendung für eine zumindest untergesetzliche Maßstabsbildung zu sorgen.
113Vgl. BT-Drs. 20/2354, S. 25 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2018 ‑ 1 BvR 2523/13 -, BVerfGE 149, 407 = juris Rn. 24.
114Dass die vorgenommene Konkretisierung naturschutzfachlich nicht vertretbar sein könnte, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht nachvollziehbar aufgezeigt.
115Im Übrigen führt hier die ergänzende Nebenbestimmung Nr. III.8.3 (Gestaltung des Mastfußbereichs) zu einer weiteren Reduzierung des Tötungsrisikos für den Rotmilan. Diese Maßnahme entspricht dem Leitfaden „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen“ vom 10. November 2017 (im Folgenden: Leitfaden 2017, dort Seite 59, vgl. auch Seite 33) und ist naturschutzfachlich anerkannt.
116Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 ‑ 8 A 1183/18 -, BauR 2021, 1105 = juris Rn. 220 ff.
117Insofern enthält auch der Entwurf des neuen Leitfadens „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen - Modul A: Genehmigungen außerhalb planerisch gesicherter Flächen/Gebiete -“ (im Folgenden: Entwurf des Leitfadens 2023, dort Seite 77, vgl. auch Seiten 40 f.),
118vgl. LT-Vorlage 18/1359,
119keine abweichende Einschätzung.
120Sie steht im Übrigen der nach Abschnitt 2 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG ausdrücklich auch für den Rotmilan als wirksam angesehenen Schutzmaßnahme „Senkung der Attraktivität von Habitaten im Mastfußbereich“ gleich. Auf die vom Kläger gerügte doppelte und aus seiner Sicht nicht widerspruchsfreie Vergabe der Maßnahmenfläche Gemarkung W., G02, Flurstück 23, nach Nebenbestimmung Nr. III.8.8 der Genehmigung einerseits für den Rotmilan und andererseits für den Mornellregenpfeifer kommt es danach nicht mehr an.
121bb) Keiner näheren Betrachtung bedarf es vor diesem Hintergrund, ob der Rotmilan einen Brutplatz im Sinne von § 45b Abs. 3 BNatSchG im Umfeld der genehmigten Windenergieanlage - also außerhalb des nicht in Frage stehenden Nahbereichs - besetzt hat.
122Der Senat hat sich bereits in dem Verfahren betreffend den Windpark „T.“ - einschließlich der dortigen WEA 1 - zu dieser Frage verhalten. Danach ist gerade umstritten, ob für 2021 - und auch die vorhergehenden Jahre - die genannten Kriterien für ein besetztes Revier des Rotmilans erfüllt wurden. Strittig ist zudem, ob die maßgeblich vom Vorstandsmitglied des Klägers, Herrn J., dokumentierten Beobachtungen, auf die sich der Kläger stützt, den einschlägigen Methodenstandards - insbesondere des Leitfadens 2017 (dort Seite 25) - entsprechen/entsprachen.
123Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. November 2022 ‑ 22 A 1184/18 -, ZNER 2023, 53 = juris Rn. 176 ff.
124In diese Richtung geht auch das von der Beigeladenen im Rahmen der Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung mit Schriftsatz vom 23. Mai 2022 vorgelegte Gutachten des Büros I. und B. vom 19. Mai 2022 „Naturschutzfachliche Hinweise zum Vorkommen der Vogelart Rotmilan im ‚F. Wald‘ im Umfeld des Vorhabens ‚T. HR-1‘“.
125Da nach dem Leitfaden 2017 Standorte von Wechselhorsten der windenergieempfindlichen Greifvögel (Rot- und Schwarzmilan) nicht zu betrachten sind, wenn sie nachweislich seit zwei Jahren nicht mehr besetzt werden (dort Seite 25), kommt es nunmehr insoweit maßgeblich auf die Jahre 2022 und 2023 an. Denn während im Rahmen einer immissionsschutzrechtlichen Drittanfechtungsklage nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zu Lasten des Anlagenbetreibers außer Betracht bleiben, sind solche zu dessen Gunsten zu berücksichtigen.
126Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26. September 2019 - 7 C 5.18 -, BVerwGE 166, 321 = juris Rn. 42 f., Beschluss vom 28. Juli 2022 - 7 B 15.21 -, NVwZ 2022, 1634 = juris Rn. 12; OVG NRW., Urteile vom 29. November 2022 ‑ 22 A 1184/18 -, ZNER 2023, 53 = juris Rn. 143 f., und vom 5. Oktober 2020 ‑ 8 A 894/17 -, ZNER 2020, 558 = juris Rn. 62 ff., Beschluss vom 20. November 2020 - 8 A 4256/19 -, juris Rn. 10 ff., jeweils m. w. N.
127Ein solcher Nachweis dürfte hier indes nicht als geführt anzusehen sein. Zwar enthält die vom Kläger mit Schriftsatz vom 20. August 2023 vorgelegte weitere Stellungnahme des Herrn J. keine Aussagen zu einem relevanten Brutgeschehen für diesen Zeitraum. Dies reicht indes für den Beweis des Gegenteils ersichtlich nicht aus. Belastbare Erkenntnisse hat auch die Beigeladene nicht beigebracht. Sie hat lediglich für das Jahr 2022 einen Bericht „Vorkommen des Rotmilans im Waldbereich ‚C.‘“ des Büros I. und B. vom 12. Juli 2022 vorgelegt, wonach nach Durchführung der ersten zwei Begehungen in der Brutperiode 2022 keine Hinweise auf eine Rotmilanbrut im Untersuchungsgebiet vorliegen. Diesbezüglich rügt der Kläger allerdings zu Recht, dass diese zwei Begehungen den methodischen Anforderungen nicht genügen, um einen Brutplatz im Sinne des § 45b Abs. 3 BNatSchG für das Jahr 2022 auszuschließen.
1283. Hinsichtlich des Uhus (Bubo bubo) ergibt sich ebenfalls kein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG.
129Zwar gibt es einen Brutplatz des grundsätzlich ortstreuen Uhus mit erfolgreicher Brut im Jahr 2019 am Südrand des F. Waldes, dessen Abstand zum Vorhabenstandort mehr als 500 m und weniger als 1.000 m beträgt und damit außerhalb des Nahbereichs, aber innerhalb des zentralen Prüfbereichs dieser Art im Sinne des Abschnitts 1 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG liegt.
130Ein Ausschluss des Tötungsrisikos für den Uhu folgt hier allerdings bereits aus der Fußnote 1 des Abschnitts 1 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG. Danach gilt für den Uhu als nach der tabellarischen Übersicht grundsätzlich kollisionsgefährdete Brutvogelart, dass er nur dann ‑ außerhalb des Nahbereichs - kollisionsgefährdet ist, wenn die Höhe der Rotorunterkante in Küstennähe (bis 100 Kilometer) weniger als 30 m, im weiteren Flachland weniger als 50 m oder in hügeligem Gelände weniger als 80 m beträgt. Die Höhe der Rotorunterkante der in Rede stehenden Anlage HR 1 des Typs Enercon E-138 EP3 liegt mit Blick auf die Nabenhöhe von 160 m, von der der Rotorradius von 69,3 m abzuziehen ist, bei 90,7 m. Damit erreicht sie ohne Weiteres die Höhe von 80 m, die selbst in hügeligem Gelände nach der gesetzlichen Regelung gefordert ist, um ein Tötungsrisiko für die Art von vornherein auszuschließen, und überschreitet diese Höhe sogar noch um circa 11 m. Demnach bedarf es hier auch keiner weiteren Vertiefung, ob der 2019 erfolgreich bebrütete Brutplatz des Uhus in den Folgejahren noch besetzt war und welche Auswirkungen dies - verneinendenfalls - auf die Gültigkeit der Einstufung als Brutplatz hätte
131Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hält dem nichts Substanzielles entgegen. Er führt zur Fußnote 1 des Abschnitts 1 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG in dem dem Beklagten und den Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen bekannten, am selben Tag verhandelten und ebenso einen Vorhabenstandort in D. betreffenden Verfahren 22 D 201/22.AK im Rahmen der Klagebegründung mit Schriftsatz vom 20. Januar 2023 im Gegenteil selbst aus, dass die Vorschrift - insbesondere hinsichtlich des Uhus - „Ausdruck eines Mindeststandards der fachwissenschaftlichen Erkenntnis“ sei (dort Seite 23). Warum deren Zugrundelegung hier dann naturschutzfachlich unvertretbar sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
132Selbst wenn man jedoch von einer Anwendung des § 45b BNatSchG und der dazugehörigen Anlage 1 absähe, verbliebe es dabei, dass der Beklagte entsprechend den Maßgaben des Leitfadens 2017 naturschutzfachlich vertretbar unter Berücksichtigung der topografischen Verhältnisse davon ausgegangen ist, dass kein Tötungsrisiko für den Uhu im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG besteht. Danach gilt für den als kollisionsgefährdet eingestuften Uhu ein Radius des Untersuchungsgebietes um die geplante Anlage für eine vertiefende Prüfung von 1.000 m, vgl. dort Anhang 2 Seite 48. Relevant seien vor allem die vom Brutplatz wegführenden Distanzflüge in größerer Höhe von 80 bis 100 m. Nach den Ergebnissen einer Telemetriestudie an Uhus im Münsterland sei vor allem im Flachland damit zu rechnen, dass die Tiere weniger in Rotorhöhe flögen als bislang gedacht. Flüge über 50 m Höhe müssten für die telemetrierten Tiere und im Untersuchungszeitraum als Ausnahme angesehen werden. Eine Übertragung auf andere Naturräume sei nicht ohne weitere Erkenntnisse zulässig (vgl. Anhang 1 Seite 43).
133Dies zugrunde gelegt, ist hier zunächst in den Blick zu nehmen, dass zwischen dem Vorhabenstandort und dem Brutplatz des Uhus südlich des F. Waldes lediglich eine moderate Höhendifferenz besteht. So liegt der Horst des Uhus auf einer Höhe von etwa 397 m ü. NHN („über Normalhöhennull“) und der Vorhabenstandort auf einem Niveau von circa 400 m ü. NHN. Die höchste Stelle des zwischen Horst und Vorhabenstandort liegenden F. Waldes befindet sich nicht auf einer Linie mit diesen beiden Punkten, sondern erhebt sich hiervon entfernt am östlichen Waldrand mit einem Niveau von gerade einmal 430 m ü. NHN. Auf einer gedachten Linie zwischen Horst und Vorhabenstandort liegt das höchste Geländeniveau etwa mittig dazwischen bei circa 415 m ü. NHN. Diese Werte ergeben sich anschaulich aus der als Anlage 5 zur Begründung des Zulassungsantrags der Beigeladenen mit Schriftsatz vom 23. Mai 2022 vorgelegten Karte sowie aus der entsprechenden Darstellung - einschließlich Höhenlinien - über das Internetangebot des Landes Nordrhein-Westfalen für amtliche Karten und sonstige amtliche Daten (TIM-online).
134Vgl. https://www.tim-online.nrw.de/tim-online2/.
135Entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts (Urteilsausfertigung Seiten 22 f.) handelt es sich demnach nicht um eine topografische Situation, die im Bereich des Horstes und der geplanten Anlage mit den Begriffen „Berg, Gipfel, Grat“ bzw. „Schlucht“ zu beschreiben ist, auch wenn die Abbildungen 2 bis 4 (Seiten 10 f.) in dem Gutachten zur Empfindlichkeit des Mornellregenpfeifers vom 29. Juli 2021 womöglich in eine andere Richtung interpretiert werden könnten. Abgesehen davon ging das Verwaltungsgericht ohnehin selbst davon aus, dass ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für den Uhu durch die geplante Anlage HR 1 nach einer detaillierten Aufnahme und Würdigung der Örtlichkeiten ausgeschlossen werden könne (Urteilsausfertigung Seite 56).
136Auf der Grundlage der dargestellten topografischen Verhältnisse macht es auch das Gutachten des Büros I. und B. „Windpark ‚T.‘ - Voraussichtliche Auswirkungen geplanter Windenergieanlagen auf den Uhu“ vom 19. Mai 2022 ohne Weiteres plausibel, dass im Bereich des genannten Horstes bei der hier in Rede stehenden Höhe der Rotorunterkante von circa 91 m keine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos für den Uhu im Sinne von § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG wegen einer Kollisionsgefahr besteht. Insbesondere die dortigen grafischen Darstellungen (Höhenkarten und Profilschnitte) belegen das Fehlen einer topografischen Sondersituation für den Uhu nach den konkreten örtlichen Verhältnissen, vgl. Seiten 31 ff. Sie verdeutlichen auch anschaulich, dass eine solche Sondersituation, wie sie nach der Darstellung in Abbildung 6 bildlich illustriert wird, schon von der Gestaltung des Anflugs des Uhus auf eine Windenergieanlage völlig anders ausgestaltet ist.
137Nichts anderes folgt aus dem Entwurf des Leitfadens 2023. Danach ergeben sich für den Uhu aufgrund vorhandener naturschutzfachlicher Erkenntnisse (Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten 2014, Langgemach und Dürr 2022, Sitkewitz 2009) in Mittelgebirgsregionen vereinzelt Werte bis zu 92 m beim Überqueren von Tallagen oder beim Flug von einer Hügelkuppe in die davorliegende Ebene (dort Seiten 54 f.). Selbst dieser Wert für vereinzelte Ereignisse wird bei der hier gegebenen Höhe der Rotorunterkante von circa 91 m noch weitestgehend abgedeckt.
138Schließlich kann - anders als der Kläger meint - bei der gegebenen Höhe der Rotorunterkante von circa 91 m und nach dem Vorstehenden auch nicht angenommen werden, dass der Uhu bei einem Start von seinem Ansitz in den Baumkronen in Richtung Offenland schnell in den Wirkraum der Rotoren geraten könne. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch im Flachland die Existenz von Bäumen und ihre potenzielle Nutzung als Ansitzwarte regelmäßig zu erwarten ist und deshalb in die Vorgabe einer regelmäßig ausreichenden Höhendifferenz von 50 m eingeflossen sein muss. Gleiches gilt für die Vorgabe von 80 m im hügeligen Gelände.
1394. Die mit dem Änderungsbescheid vom 16. Juni 2023 erfolgte Aufhebung der Nebenbestimmung zur Abschaltung während der Schlafplatzphase des Rotmilans (Nr. III.8.5) verstößt ebenfalls nicht gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG.
140Der Beklagte hat im Rahmen des genannten Änderungsbescheids ausgeführt, dass zum Schutz eines Schlafplatzgeschehens sowohl eine phänologiebedingte Abschaltung als auch eine Abschaltung bei Mahd, Ernte und bodenwendenden Maßnahmen in Betracht kämen. Zwar gelte § 45b BNatSchG nur für Brutgeschehen und sei weder unmittelbar noch analog auf Schlafplatzgeschehen anzuwenden. Die der gesetzlichen Novellierung des Artenschutzrechts zugrunde liegenden Erkenntnisse seien jedoch auch im Rahmen des Schlafplatzgeschehens heranzuziehen. So könne eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos durch Abschaltanordnungen bei landwirtschaftlichen Ereignissen im Sinne des § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG vermieden werden, wenn sich ein Schlafplatzgeschehen wie hier allenfalls innerhalb des zentralen Prüfbereichs befinde. Vor diesem Hintergrund könne die schlafplatzbedingte Abschaltung zugunsten der Art Rotmilan nach der Nebenbestimmung Nr. III.8.5 hier entfallen. Denn die Abschaltung bei landwirtschaftlichen Ereignissen nach Nebenbestimmung Nr. II.8.4 der Genehmigung sei ausreichend.
141Diese Ausführungen des Beklagten sind naturschutzfachlich nicht zu beanstanden. Sie stimmen mit den Erkenntnissen überein, die der Senat in dem den Beteiligten bekannten Vermerk vom 14. März 2023 zu einem Telefonat mit Herrn G. vom LANUV Y. vom selben Tag festgehalten hat. Danach gelte die Wertung des neuen § 45b BNatSchG, wonach einzelne fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen das Tötungsrisiko des Rotmilans unter die Signifikanzschwelle senken könnten, nicht nur für das Brutgeschehen, sondern sei auch auf das Schlafplatzgeschehen dieser Art übertragbar. Das Schlafplatzgeschehen sei wie das Brutgeschehen eine Phase hoher Flugaktivität. In der Schlafplatzphase lege der Rotmilan jedoch noch viel weitere Strecken als während der Brut zurück, so seien zum Beispiel fünf Kilometer für ihn kein Problem. Gerade Ernteereignisse seien in dieser Zeit für den Rotmilan interessant, so dass eine Abschaltung bei Mahd, Ernte und bodenwendenden Maßnahmen sachgerecht sei. Eine schlafplatzbedingte Abschaltung für den Rotmilan sei dann entbehrlich. Für die Schlafplatzphase des Rotmilans gebe es keinen „Nahbereich“ unter 500 m Entfernung zur Windenergieanlage, wie ihn § 45b Abs. 2 BNatSchG i. V. m. Anlage 1 Abschnitt 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG für die Brut vorsehe. Der Bereich unter 1.200 m Entfernung zur Anlage sei während der Schlafplatzphase des Rotmilans ein einheitlicher „Zentraler Prüfbereich“, auf den die Wertung des § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG insgesamt zu übertragen sei.
142In Übereinstimmung hiermit sieht der Entwurf des Leitfadens 2023 nunmehr ausdrücklich vor, dass bei Schlafplätzen des Rotmilans der Radius von 1.200 m um das Vorhaben einen einheitlichen „Zentralen Prüfbereich“ bildet und die Prüfung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos danach in Anlehnung an § 45b Abs. 3 BNatSchG stattfindet (dort Seite 20: „Die zuvor unter 2.) bis 4.) dargelegten Fallkonstellationen sind auch bei der Prüfung von Ansammlungen von Vögeln (Brutkolonien, Schlafplätzen) anzuwenden.“ sowie Seite 60 mit Tabelle 2b).
143Des Weiteren lässt sich dem im Verwaltungsvorgang zum Änderungsbescheid vom 16. Juni 2023 enthaltenen Schreiben des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2023 (Beiakte Heft 7, Register III. „Sonstige Unterlagen“, Blatt 5 ff.) an die Bezirksregierung Arnsberg entnehmen, dass es nach dessen fachlicher Einschätzung und derjenigen des LANUV Y. nicht zu bemängeln sei, wenn für die Wiesenweihe während der Schlafplatzphase zur Vermeidung des Kollisionsrisikos entweder die phänologiebedingte Abschaltung oder die Abschaltung bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen und damit - ausdrücklich - nur eine der beiden Maßnahmen zur Anwendung komme (Seiten 1 f. des Schreibens). Warum dies nicht auf das Schlafplatzgeschehen des Rotmilans übertragbar sein sollte, ist mit Blick auf die vergleichbaren Charakteristika dieses Geschehens bei beiden Arten nicht erkennbar und wurde vom Kläger auch nicht weiter plausibilisiert.
144Herr G. hat seine im Vermerk vom 14. März 2023 festgehaltenen Ausführungen zur Gleichbehandlung von Brutplätzen und Schlafplätzen des Rotmilans (mit Ausnahme des Nahbereichs) im Rahmen der mündlichen Verhandlung bekräftigt. So sei davon auszugehen, dass die allgemeinen Flüge, die mit dem Schlafplatzgeschehen einhergingen, zufällig und nicht „planbar“ seien. Insoweit habe man sich - dem Ansatz des Bundesgesetzgebers folgend - auf die Entstehung attraktiver Nahrungshabitate im Umfeld einer Windenergieanlage konzentriert. Die damit verbundene erhöhte Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Umkreis der Anlage sei vorhersehbar und das eigentliche Problem eines Kollisionsrisikos (vgl. Protokollausfertigung Seite 3).
145Diese Ausführungen liefern zur Überzeugung des Senats einen stimmigen Vergleich des Brutgeschehens des Rotmilans mit dem dynamischen Schlafplatzgeschehen und berücksichtigen auch deren Unterschiede angemessen. Dass die Nebenbestimmung Nr. III.8.4 der Genehmigung (Abschaltung bei Mahd, Ernte und bodenwendenden Maßnahmen) der „Abschaltung bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen“ im Sinne von § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG und Abschnitt 2 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG mindestens gleichsteht, wurde bereits festgestellt. Der zeitliche Anwendungsbereich der Nebenbestimmung Nr. III.8.4 deckt auch denjenigen der aufgehobenen Nebenbestimmungen Nr. III.8.5 und Nr. III.8.6 vollständig ab.
146Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob für das Schlafplatzgeschehen des Rotmilans auf einen Nahbereich - als „Tabubereich“ nach dem Gedanken des § 45b Abs. 2 BNatSchG - verzichtet werden kann und von einem einheitlichen zentralen Prüfbereich - in Anlehnung an § 45b Abs. 3 BNatSchG - im Radius von 1.200 m um das Vorhaben auszugehen ist. Denn die für das Schlafplatzgeschehen maßgeblichen traditionellen Schlafplätze des Rotmilans wurden nach dem erstinstanzlichen Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 20. Februar 2018 ‑ 4 K 459/16 - in dem unter anderem die nahezu standortgleiche WEA 1 des Windparks „T.“ betreffenden Verfahren - wie den Beteiligten bekannt ist - nach Auffassung des Beklagten und auch nach (unwiderlegten) Hinweisen Dritter in einer Entfernung von etwa 600 m bis 1.000 m zu den genehmigten Anlagenstandorten (insbesondere WEA 1 und WEA 2) verortet (Urteilsabdruck Seiten 34 f.). Diese Schlafplätze liegen danach außerhalb eines etwaigen Nahbereichs. Von dieser Situation ging auch der Beklagte im Rahmen seines Änderungsbescheids vom 16. Juni 2023 aus, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch einmal ausdrücklich bestätigt hat. Dass - worauf der Kläger hinweist - Kartierungen für 2019 bzw. 2022 kleinere Ansammlungen von Rotmilanen im nordöstlichen Bereich des F. Waldes während der Schlafplatzphase belegen mögen, steht dem nicht entgegen. Insofern ist nämlich nicht erkennbar, dass es sich tatsächlich um traditionelle - und damit von einer gewissen Beständigkeit gekennzeichnete - Schlafplätze handelt, was zusätzlich aufgrund der mittlerweile vorhandenen Kahlflächen in diesem Waldbereich in Zweifel zu ziehen wäre.
147Soweit der Kläger allgemein entgegenhält, dass das Vierte Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes ausschließlich für kollisionsgefährdete Brutvögel gelte und ausweislich der Gesetzesbegründung keine Aussage zur betriebsbedingten Kollisionsgefährdung von Schlafplatznutzungen treffe, verfängt dies nicht. Denn nach dem Vorstehenden geht es nicht um eine unmittelbare Anwendung des § 45b Abs. 1 bis 6 BNatSchG auf das Schlafplatzgeschehen, wie sie die genannte Gesetzesbegründung - und damit übereinstimmend wohl auch die vom Kläger zitierte Frau S. vom Bundesamt für Naturschutz (BfN), vgl. Protokollausfertigung Seite 4 - verneint. Hiervon gehen auch der Beklagte und der Senat aus.
148Vgl. zum Vorstehenden auch BT-Drs. 20/2354, S. 25; OVG NRW, Urteil vom 29. November 2022 - 22 A 1184/18 -, ZNER 2023, 53 = juris Rn. 194 f.
149Vielmehr wurden allein naturschutzfachliche Erkenntnisse zum Brutgeschehen, die der genannten Gesetzesnovelle zugrunde liegen, auf ihre Übertragung auf das Schlafplatzgeschehen überprüft.
150Auch der Einwand des Klägers, eine Übertragung der in § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG zum Ausdruck kommenden Wertung verbiete sich schon aus dem Grunde, weil das Schlafplatzgeschehen mit der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung von Grundflächen in keinem Zusammenhang stehe, da sich die Tiere insofern unabhängig von Bewirtschaftungsereignissen in diesem Gebiet aufhielten, bleibt ohne Erfolg. Er übersieht bereits, dass dies auch für das Brutgeschehen gilt, das ebenfalls überwiegend außerhalb der Bewirtschaftungsmaßnahmen stattfindet. Ebenso wenig beschränkt es sich auf Nahrungsflüge, sondern umfasst etwa auch Balz-, Horstbau- und Übungsflüge. Insofern wird das Tötungsrisiko durch die Windenergieanlage im Rahmen der naturschutzfachlichen Bewertung hier wie dort nicht allein durch den reinen Aufenthalt im zentralen Prüfbereich schon signifikant erhöht.
151Im Übrigen räumt der Kläger selbst ein, dass Mahd, Ernte und bodenwendende Maßnahmen eine Anlockwirkung auf nahrungssuchende Rotmilane entfalten. Dieser Anlockwirkung wird im Rahmen des § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG dadurch Rechnung getragen, dass die bestehende signifikante Risikoerhöhung im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG durch „Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Ereignissen“ als fachlich anerkannte Schutzmaßnahme in der Regel hinreichend gemindert werden kann. Anders als das Brutgeschehen weist das Schlafplatzgeschehen jedoch zusätzlich einen weitaus geringeren Bezug zu einer konkreten Örtlichkeit wie dem Brutplatz auf. Vielmehr zeichnet sich die Schlafplatzphase durch eine hohe Dynamik des Geschehens aus. Auch darauf weist der Kläger hin. Dies rechtfertigt es, die Abschaltung bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen als hinreichende Vermeidungsmaßnahme während des Schlafplatzgeschehens im (nach der dargestellten Auffassung sogar einheitlichen) zentralen Prüfbereich anzusehen. Entgegen dem klägerischen Vortrag ist es nach den Ausführungen von Herrn G. jedenfalls naturschutzfachlich vertretbar, die Flugaktivitäten an den Schlafplätzen und in deren Umfeld hinsichtlich des hier allein relevanten signifikant erhöhten Tötungsrisikos in einen Zusammenhang mit der Nahrungssuche und konkret den Bewirtschaftungshandlungen auf landwirtschaftlichen Flächen zu setzen. Das legt auch das bereits genannte Schreiben des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2023 nahe. Danach gehe es beim Schlafplatzgeschehen auch darum, Energiereserven für den Abzug in die Überwinterungsquartiere zu sammeln, und erfülle die im Umfeld von Schlafplätzen erbeutete Nahrung eine wichtige Funktion im Jahreszyklus (dort Seite 4).
152Darüber hinaus kann dem Kläger auch nicht darin gefolgt werden, dass die nach Nebenbestimmung Nr. III.8.4 vorgesehene Abschaltung bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen auch deshalb unzureichend sei, weil sie bei bestimmten Flächenstrukturen - wie einer stillgelegten landwirtschaftlichen Nutzfläche oder einer frühzeitigen Getreideernte - nicht eingreife. Dem ist - neben der identischen Sachlage bei einem Brutgeschehen - entgegenzuhalten, dass bei ausbleibenden landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen eine entsprechende Anlockwirkung für den Rotmilan nicht gegeben ist. Dies rechtfertigt es dann auch, dass diese Fläche wie beim Brutgeschehen keine Abschaltung auslöst. Soweit in früheren gerichtlichen Verfahren phänologiebedingte Abschaltungen während der Schlafplatzphase als rechtmäßig erachtet wurden, folgt daraus nicht, dass weniger weitreichende Betriebsbeschränkungen nicht den gesetzlichen Vorgaben genügten. Dies wurde vielmehr ausdrücklich offen gelassen.
153Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 ‑ 8 A 1183/18 -, BauR 2021, 1105 = juris Rn. 155, 198 ff.
154Auch das vom Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Auszügen zu Protokoll gereichte Werk von Aebischer „Der Rotmilan - Ein faszinierender Greifvogel“ spricht hier nicht gegen die naturschutzfachliche Vertretbarkeit der vorgenannten und im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung mit dem Brutgeschehen gewonnenen Annahmen des Beklagten zu Vermeidungsmaßnahmen beim Schlafplatzgeschehen. Abgesehen davon, dass sich der Auszug nicht mit dem herbstlichen Schlafplatzgeschehen in deutschen Mittelgebirgsregionen, sondern mit dem winterlichen beschäftigt, und damit den Zeitraum nach und nicht vor dem Flug in die Überwinterungsquartiere betrifft, ohne dass der Kläger auf diesen Unterschied auch nur ansatzweise eingegangen wäre, ergibt sich daraus anschaulich, dass dieses Geschehen von einer sehr hohen Dynamik - sowohl betreffend die Anzahl der beteiligten Exemplare als auch die konkrete Ausgestaltung des Aufenthalts und damit die Ortsbindung an einen Schlafbaum, einschließlich Ein- und Ausflug sowie Verbleib und mögliche Rückkehr an den Folgetagen bzw. -jahren („oftmals mehrere Dutzend, manchmal über 200 Vögel“, „Besiedlung der meisten Schlafplätze von Jahr zu Jahr unterschiedlich“, „Ortverschiebungen können von Abend zu Abend ganz unterschiedlich ablaufen“) - gekennzeichnet ist. Diese Dynamik macht es plausibel, die für das Brutgeschehen geltenden Maßstäbe im Rahmen des Schlafplatzgeschehens jedenfalls als ausreichend anzusehen.
155Soweit sich der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung (Protokollausfertigung Seite 4) ferner auf eine von ihm wiedergegebene Aussage von Frau S. vom BfN berufen hat, wonach es aus Sicht des Bundesamtes keinen Anhaltspunkt dafür gebe, dass Vermeidungsmaßnahmen für das Brutgeschehen auf Schlafplätze übertragen werden könnten, und er diesbezüglich auch auf das Flugverhalten der Rotmilane im Umkreis der Schlafplätze verwiesen hat, ist dieser Einwand in seiner Allgemeinheit nicht geeignet, die sich nach dem Vorstehenden im Einzelnen ergebende naturschutzfachliche Vertretbarkeit der Auffassung des Beklagten in Zweifel zu ziehen. Allenfalls könnte danach von einem gewissen Erkenntnisvakuum auszugehen sein, das den Maßstab der naturschutzfachlichen Vertretbarkeit gerade eröffnete und inhaltlich nicht beschränken könnte.
156Der mit Blick auf die allgemeinen - also zufälligen und nicht „planbaren“ - (An- und Ab-)Flüge, die mit dem Schlafplatzgeschehen des Rotmilans - hier gerade außerhalb des Nahbereichs - einhergehen, gestellte Beweisantrag zu 1. konnte dementsprechend aus den im zugehörigen Beschluss des Senats genannten Gründen (Protokollausfertigung Seite 5) abgelehnt werden.
157Gleiches gilt für den zur (gänzlich) fehlenden Wirksamkeit der temporären Abschaltung einer im Abstand von weniger als 1.000 m zu traditionellen Schlafplätzen gelegenen Windenergieanlage während Mahd, Ernte und bodenwendenden Maßnahmen auf Flächen im Umkreis von 169 m um den Anlagenstandort gestellten Beweisantrag zu 2. (Protokollausfertigung Seite 5). Insofern war mit Blick auf die (Un-)Erheblichkeit der Beweistatsache vom Senat zu berücksichtigen, dass sich die hier konkret in Rede stehende Abschaltverpflichtung - wie oben unter III. 2. c) im Einzelnen dargelegt - gerade nicht auf den vom Kläger ausdrücklich benannten Radius von 169 m um den Mastfußmittelpunkt beschränkt, sondern deutlich darüber hinausgeht, und die Behauptung, die Abschaltung leiste überhaupt keinen Beitrag zur Risikominimierung während der Schlafplatzphase, in schwerlich auflösbarem Widerspruch zu dem sonstigen Vorbringen des Klägers zur Anlockwirkung von Ernteereignissen steht.
158Schließlich führt die ergänzende Nebenbestimmung Nr. III.8.3 (Gestaltung des Mastfußbereichs) hier ebenfalls zu einer weiteren Reduzierung des Tötungsrisikos für den Rotmilan.
1595. Verstößt die angegriffene Genehmigung danach weder während der Brutzeit zulasten des Rotmilans oder des Uhus noch während der Schlafplatzphase zulasten des Rotmilans gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, kommt es auf die hier von der Beigeladenen mit Schriftsatz vom 17. August 2023 (dort Seite 4) beantragte Anwendung des § 6 WindBG nicht mehr an. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die vom Kläger aufgeworfene, ggf. auch unionsrechtlich konnotierte Frage, ob der Antrag des Vorhabenträgers nach § 6 Abs. 2 Satz 3 WindBG noch nach Erteilung der Genehmigung, aber vor deren Bestandskraft im laufenden gerichtlichen Verfahren - wie hier - gestellt werden kann. Auch ist nicht zu vertiefen, inwiefern der vom Gesetzgeber mit dem Windenergieflächenbedarfsgesetz beabsichtigten Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie an Land (vgl. § 1 Abs. 1 WindBG) im Rahmen der Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift im Einzelnen Rechnung zu tragen ist.
160Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die erstattungsfähig sind, aufzuerlegen. Die (notwendig) Beigeladene hat sich mit ihrem erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag und ihrer vom Senat zugelassenen Berufung einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
161Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
162Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 132 Abs. 2 VwGO; Zulassungsgründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.