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Der aus § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 folgende Verweis auf die Wochenfrist nach den §§ 36 Abs. 3 Satz 1 und 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG gilt auch dann, wenn das Bundesamt nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG zur Verfahrensbeschleunigung keine erneute Abschiebungsandrohung erlassen hat.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
2I.
3Nach eigenen Angaben wurde der Kläger am 00.00.1992 in B. , Syrien, geboren und ist kurdischer Volks- sowie syrischer Staatsangehörigkeit.
4Am 13. Januar 2015 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag. Gegenüber dem Bundesamt gab er unter anderem an, er habe sein Herkunftsland im August 2014 verlassen und sei am 29. Dezember 2014 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Zwischenzeitlich habe er sich in Istanbul aufgehalten. Die Reise habe 8.000 € gekostet. Die Kosten habe seine Familie übernommen. Eine Eurodac-Abfrage des Bundesamts ergab einen Treffer der Kategorie 1 in Bezug auf Bulgarien. Auf das Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamts teilten die bulgarischen Behörden mit, dass dem Kläger am 3. November 2014 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Mit - in Bestandskraft erwachsenem - Bescheid vom 23. März 2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Bulgarien an.
5Am 12. April 2016 stellte der Kläger beim Bundesamt einen ersten Folgeantrag. Mit Bescheid vom 13. Mai 2016 lehnte das Bundesamt diesen Antrag als unzulässig ab und drohte dem Kläger erneut die Abschiebung nach Bulgarien an. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage und beantragte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Den vorläufigen Rechtschutzantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Juni 2016 ab. Bereits am 13. Juni 2016 war der Kläger nach Bulgarien abgeschoben worden. Das Klageverfahren wurde in der Hauptsache für erledigt erklärt und eingestellt.
6Am 20. August 2019 stellte der Kläger einen weiteren Folgeantrag. Mit - bestandskräftig gewordenem - Bescheid vom 19. Januar 2021 lehnte das Bundesamt diesen Antrag als unzulässig sowie die Abänderung des Bescheides vom 13. Mai 2016 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Bulgarien an.
7Am 22. Februar 2021 stellte der Kläger erneut einen Folgeantrag. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend: Nach Bulgarien könne er nicht zurück, weil er dort wegen eines gegen ihn bestehenden Haftbefehls ins Gefängnis müsse. Sollte er rücküberstellt werden, werde er sich umbringen. In Deutschland habe er Familie, nämlich zwei Brüder und zwei Schwestern. Er habe einen Job und sei integriert. Nach einem Brand in seiner Unterkunft, bei dem er alles verloren habe, sei er traumatisiert.
8Mit Bescheid vom 28. April 2021 - zugestellt am 4. Mai 2021 - lehnte das Bundesamt den erneuten Folgeantrag ab. Auch die Abänderung des Bescheids vom 23. März 2015 bezüglich der Feststellung von Abschiebeverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde abgelehnt und das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet. Die beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung weist darauf hin, gegen den Bescheid könne innerhalb einer Woche nach Zustellung Klage erhoben werden.
9Am 12. Mai 2021 hat der Kläger Klage erhoben und insbesondere geltend gemacht, die vom Bundesamt erteilte Rechtsmittelbelehrung sei falsch, sodass für seine Klage die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO gelte. Er hat beantragt,
10den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. April 2021 aufzuheben,
11hilfsweise, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. April 2021 zu verpflichten, festzustellen, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz in Bezug auf Bulgarien vorliegt.
12Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Mit Urteil vom 25. November 2021 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Sie sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Wochenfrist des § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 i. V. m. § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 und § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhoben worden sei.
15Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, seine Klage sei nicht verfristet gewesen. § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 i. V. m. § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 und § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG finde in Fällen des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG keine Anwendung. Es bleibe bei der Zwei-Wochen-Frist des § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG. Die vom Bundesamt erteilte Rechtmittelbelehrung sei falsch. Für seine Klage habe deshalb die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegolten. Indem das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig behandelt habe, habe es seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Seine Klage sei zulässig und begründet.
16Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
17unter Aufhebung des abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts Aachen vom 25. November 2021 - Aktenzeichen: 8 K 1177/21.A - den Bescheid der Beklagten vom 28. April 2021, zugestellt am 4. Mai 2021 - aufzuheben,
18hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung dieses Bescheides zu verpflichten, zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
19weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
20weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Klägers bzgl. Bulgarien vorliegen.
21Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
22die Berufung zurückzuweisen.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
24II.
25Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 130a VwGO).
26Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist unzulässig, weil sie - wie auch vom Verwaltungsgericht angenommen - nicht innerhalb der Klagefrist erhoben worden ist.
271. Gemäß den §§ 71 Abs. 4 Halbsatz 1, 36 Abs. 3 Satz 1 und 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG war die Klage innerhalb einer Woche nach Zustellung der Entscheidung zu erheben.
28§ 71 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG verweist für Fälle wie den vorliegenden, in denen das Bundesamt die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG verneint hat, auf eine entsprechende Anwendbarkeit der §§ 34, 35 und 36 AsylG. Dabei handelt es sich um einen Rechtsfolgenverweis - ungeachtet der Frage nach dem statthaften Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - jedenfalls auf die Wochenfrist. Dies legt schon der Wortlaut nahe („entsprechend“). Im Übrigen liefe die Verweisung anderenfalls leer.
29Vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 12. Oktober 2022 - 3 D 23/22 -, juris, Rn. 21 m. w. N.
30Der Verweis gilt auch dann, wenn das Bundesamt nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG zur Verfahrensbeschleunigung keine erneute Abschiebungsandrohung erlassen hat.
31Vgl. etwa VG Magdeburg, Urteil vom 20. August 2019 - 11 A 16/19 -, juris, Rn. 21; VG Schleswig, Beschluss vom 11. Dezember 2017 - 4 B 168/17 -, juris, Rn. 10 ff.; a. A. etwa VG Minden, Beschluss vom 28. April 2021 - 1 L 741/20.A -, juris, Rn. 21 ff. m. w. N., sowie (jeweils ohne nähere Begründung): VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 21. Dezember 2018 - 9a L 2160/18.A -, juris, Rn. 20; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 27. November 2020 - 2 K 925/18.A -, juris, Rn. 19; Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 1. April 2023, § 71 AsylG Rn. 32; Stern, in: Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 29 Rn. 74; wohl auch: Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, 135. EL, Januar 2022, § 71 Rn. 403.
32Zwar ist der Verweis auf § 36 AsylG nur in § 71 Abs. 4 AsylG enthalten und § 71 AsylG regelt erst nachstehend in Absatz 5 Satz 1, dass eine erneute Abschiebungsandrohung nicht erlassen werden muss, wenn der Folgeantrag nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt. Allein diese Abfolge der einzelnen Regelungen führt jedoch nicht zum Ausschluss des in § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG enthaltenen Verweises in den Fällen, in denen die Antragsgegnerin in Übereinstimmung mit § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG keine neue Abschiebungsandrohung erlässt. Einen solchen Ausschluss legt schon der Wortlaut nicht nahe. Dass der Folgeantrag „nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt“, ist, wenn nicht ausschließlich, so jedenfalls insbesondere dann der Fall, wenn - wie § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG geregelt - die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Auch § 71 Abs. 5 Satz 2 VwVfG nimmt ausdrücklich darauf Bezug, „dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen“.
33In systematischer Hinsicht spricht für diese Auslegung - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - zum einen die Regelung des § 36 Abs. 3 Satz 10 AsylG i. V. m. § 11 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Gemäß § 36 Abs. 3 Satz 10 AsylG sind Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes u. a. gegen die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Nach § 11 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kann das Bundesamt gegen einen Ausländer, dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des AsylG wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Gerade bei einer wiederholten Folgeantragsstellung bietet sich aber der Verzicht auf eine erneute Abschiebungsandrohung nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG in besonderem Maße an, sodass eine Anordnung nach § 11 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 AufenthG regelmäßig mit einer Anwendung des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG zusammenfallen wird. Würde die Wochenfrist nicht über § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG auch bezüglich der Hauptentscheidung, also der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG, gelten, käme es in diesen Fällen regelmäßig zu einem Auseinanderfallen der Rechtsbehelfs-fristen bezüglich der Haupt- und der Nebenentscheidung. Die mit der Regelung des § 36 Abs. 3 Satz 10 AsylG bezweckte Harmonisierung hinsichtlich der Frist „im Zusammenhang mit einer Abschiebungsandrohung“,
34vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 33,
35und damit auch betreffend die Hauptentscheidung würde verfehlt.
36Zum anderen sprechen auch Sinn und Zweck des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG für eine entsprechende Geltung der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Die Vorschrift dient der Verfahrensbeschleunigung, indem sie es ermöglicht, dass der Asylbewerber unmittelbar nach Bekanntgabe des Folgeantragsbescheids auf der Grundlage der weiterhin gültigen und bereits bestandskräftigen Abschiebungsandrohung abgeschoben werden kann, sobald die Mitteilung des Bundesamts nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG ergangen ist. Dieser Zielrichtung des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG wird durch die Anwendung der §§ 71 Abs. 4 Halbsatz 1, 36 Abs. 3 Satz 1 und 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG effektiver Rechnung getragen.
372. Die nach den §§ 71 Abs. 4 Halbsatz 1, 36 Abs. 3 Satz 1 und 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG geltende Frist zur Klagerhebung von einer Woche nach Zustellung der Entscheidung hat der Kläger nicht gewahrt.
38Gemäß den §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB begann die Klagefrist - nach Zustellung des mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheids am 4. Mai 2021 - am 5. Mai 2021, endete mit Ablauf des 11. Mai 2021 (einem Dienstag) und war bei Klageerhebung am 12. Mai 2021 verstrichen.
393. Ergänzend weist der Senat daraufhin, dass die Klage im Übrigen auch unbegründet sein dürfte. Auf die Rechtsprechung des Senats zur Situation nicht vulnerabler anerkannt Schutzberechtigter, die nach Bulgarien zurückkehren,
40vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 2023 - 11 A 3153/20.A -, juris,
41wird verwiesen.
424. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß den §§ 83b, 83c AsylG nicht erhoben.
43Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
44Die Revision war nicht zuzulassen, weil die in den §§ 132 Abs. 2 VwGO, 78 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe nicht vorliegen.