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Eine Rechtsmittelbelehrung, die den unzutreffenden Hinweis enthält, die Klage könne auch „mündlich zur Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle“ des erstinstanzlich zuständigen Oberverwaltungsgericht erhoben werden, ist unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Gegenstand von Auflagen nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG können auch sog. Hilfspflichten sein, mit denen die Einhaltung der materiellen Anforderungen des Anlagenbetriebs kontrolliert werden soll.
Eine Regelung, die den Betreiber einer Windenergieanlage verpflichtet, der Genehmigungsbehörde den direkt lesenden Zugriff mittels Fernüberwachungssoftware auf bestimmte, im Zusammenhang mit dem Anlagenbetrieb im Zusammenhang stehende Parameter zu gewähren, ist im Regelfall nicht zur Erreichung des Ziels erforderlich im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG, eine effektive Überwachung von Windenergieanlagen in Form sog. unvermuteter Kontrollen sicherzustellen.
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat und das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.
Im Übrigen wird die Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 30 % und der Beklagte zu 70 %.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der jeweilige Vollstreckungsgläubiger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Nebenbestimmungen eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheides für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage in C. X. .
3Die Klägerin beantragte beim Beklagten im Mai 2019 die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen, je eine des Typs Vestas V162-5.6 MW (WEA 1) und des Typs Vestas V136-4.2 MW (WEA 2), unter gleichzeitigem Rückbau von zwei errichteten und betriebenen Anlagen des Typs Vestas V-66 und V-90. Durch Bescheid vom 27. Mai 2021, der Klägerin zugstellt am 5. Juni 2021, erteilte der Beklagte die beantragte Genehmigung (zunächst nur) für die WEA 2 und fügte diesem unter der Überschrift „III. Inhalts- und Nebenbestimmungen“ etwa 100 Regelungen insbesondere aus den Bereichen Immissionsschutz, Baurecht, Brandschutz, Natur-, Landschafts- und Arbeitsschutz sowie Flugsicherheit bei. Dem Bescheid beigefügt war eine Rechtsmittelbelehrung, wonach die Klage „schriftlich beim Oberverwaltungsgericht Münster […] oder mündlich zur Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Oberverwaltungsgerichts Münster [...]“ zu erheben sei.
4In der beim erkennenden Gericht am 5. Juli 2021 eingegangenen Klageschrift vom gleichen Tag hat die Klägerin mitgeteilt, sie erhebe Klage gegen „einzelne Nebenbestimmungen“ des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021. In einer noch nachzureichenden Begründung werde dargelegt, gegen welche Nebenbestimmungen sich die Klage im Einzelnen richten solle. Diese Konkretisierung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13. September 2021 vorgenommen und erklärt, dass sich ihre Klage gegen die Nebenbestimmungen Nrn. III. B) 5., III. D), III. E) 5., III. E) 31., III. E) 55., III. E) 57., III. E) 58. sowie III. E) 59. bis III. E) 65. richte.
5Mit Schriftsatz vom 26. August 2022 hat die Klägerin die Klage hinsichtlich der Nebenbestimmungen Nrn. III. D), III. E) 31. und III. E) 55. zurückgenommen. In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten das Verfahren bezüglich der Nebenbestimmungen Nrn. III. B) 5., III. E) 57. bis III. E) 65. übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
6Zur Begründung der damit nur noch gegen die Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. aufrecht erhaltenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Die in dieser Nebenstimmung auferlegte Verpflichtung, dem Beklagten einen direkt lesenden Zugriff mittels Fernüberwachungssoftware auf einzelne emissionsrelevante Daten zu gewähren, sei weder begründet noch erforderlich, da sie lediglich der Arbeitserleichterung diene. So könne der Beklagte etwa jederzeit vor Ort kontrollieren, ob sie ihren Abschaltverpflichtungen bei Ernte und Mahd nachkomme, ohne dass es eines elektronischen Zugriffs bedürfe. Eine Pflicht zur elektronischen Datenübermittlung sei nur für Anlagen nach der Industrie-Emissionsrichtlinie vorgesehen. Auch sei ein unerlaubter Zugriff auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse möglich. Darüber hinaus sei auf die Gefahren hinzuweisen, die durch die für einen elektronischen Zugriff erforderlichen Schnittstellen zum Internet entstünden. Erst kürzlich sei die Fernüberwachung und Steuerung von tausenden Windenergieanlagen in Zentraleuropa durch Störungen der Satellitenverbindung eingeschränkt worden, die vermutlich auf russische Hackerangriffe zurückzuführen seien.
7Die Klägerin beantragt,
8die Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 aufzuheben.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Er trägt im Wesentlichen vor: Die Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. diene der Überwachung des rechtmäßigen Anlagenbetriebs und sei für eine effektive Anlagenüberwachung unbedingt erforderlich. Hierzu gehörten grundsätzlich auch unangekündigte Kontrollen, die bei Windenergieanlagen vor Ort aber nicht möglich seien, da diese sich durch einen eigenständigen, automatisierten Betrieb ohne direkte Beaufsichtigung durch Personal auszeichneten und über elektronische Systeme fernüberwacht würden. Die Vorgabe in Nebenbestimmung Nr. III. E) 4. sei für eine effektive Anlagenüberwachung alleine nicht ausreichend. Es habe in der Vergangenheit Fälle gegeben, in denen ihm, dem Beklagten, gefälschte und nicht die tatsächlich aufgezeichneten Daten zur Verfügung gestellt worden seien. Im Ergebnis gehe es ihm darum, dass die Überwachungsbehörde Zugriff auf Daten in „Echtzeit" bekomme, die ihr ohnehin auf Anforderung zur Verfügung zu stellen seien und deren etwaiger betriebswirtschaftlicher Aussagegehalt unabhängig davon bereits über den veröffentlichten Jahresabschluss öffentlich zugänglich sein dürfte. Durch den Lesezugriff werde ‑ zumindest bei Anlagen des Herstellers ENERCON - nicht auf den Server der Windenergieanlage, sondern auf denjenigen von ENERCON zugegriffen.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Das Verfahren ist gemäß bzw. entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Klägerin die Klage in Bezug auf die Nebenbestimmungen Nrn. III. D), III. E) 31. und III. E) 55. des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 mit Schriftsatz vom 26. August 2022 zurückgenommen hat und die Beteiligten das Verfahren hinsichtlich der Nebenbestimmungen Nrn. III. B) 5., III. E) 57. bis III. E) 65. in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
15Die danach nur noch gegen die Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 gerichtete Klage ist zulässig (dazu I.) und begründet (dazu II.).
16I. Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO statthaft (dazu 1.) und auch im Übrigen zulässig (dazu 2.).
171. Bei der hier in Rede stehenden Regelung, dem Beklagten „den direkt lesenden Zugriff mittels Fernüberwachungssoftware auf die o. g. [d. h. die in Nebenbestimmung Nr. III. E) 4. des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 genannten] emissionsrelevanten Daten zu gewähren“, handelt es sich um eine isoliert anfechtbare Nebenbestimmung in Form einer selbstständig durchsetzbaren Auflage im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG.
18Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts, einschließlich der Auflage, die Anfechtungsklage gegeben. Ob dies zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, hängt davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann. Dies ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet.
19Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2012 ‑ 4 C 5.11 -, BVerwGE 144, 341 = juris Rn. 5, m. w. N.
20Letzteres ist u. a. der Fall, wenn die fragliche Regelung eine Inhaltsbestimmung ist.
21Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2019 ‑ 8 B 10.18 -, juris Rn. 5; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Mai 2021 - OVG 11 S 26/20 -, juris Rn. 37.
22Eine Inhaltsbestimmung ist ein Element der Hauptregelung, die das genehmigte Tun oder Verhalten entsprechend dem Antrag oder hiervon abweichend festlegt und konkretisiert, indem sie die genehmigte Handlung bzw. das Verhalten räumlich und inhaltlich bestimmt und damit die Genehmigung erst ausfüllt. Demgegenüber ist die durch eine Auflage im Sinne von § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW, die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorschreibt, statuierte Verhaltenspflicht mit dem begünstigenden Hauptverwaltungsakt akzessorisch verknüpft und selbstständig durchsetzbar.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2018 ‑ 7 C 11.17 -, NVwZ 2019, 886 = juris Rn. 28, m. w. N.
24Danach ist Nr. III. E) 5. des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 nicht als Inhalts-, sondern - in Übereinstimmung mit der Überschrift unter Nr. III. E) „Auflagen“ - als Nebenbestimmung in Form einer selbstständig durchsetzbaren Auflage einzuordnen. Diese Bestimmung dient nach der ihr vom Beklagten zugedachten Konzeption allein der Überwachung des rechtmäßigen Anlagenbetriebs durch die Überwachungsbehörde (vgl. § 52 BImSchG, § 28 UVPG) und trifft daher eine von der Hauptregelung des Genehmigungsbescheides - Legalisierung der Errichtung und des Betriebs einer Windenergieanlage - zu unterscheidende zusätzliche Regelung. Sie begründet die Pflicht des Anlagenbetreibers zur Gewährung eines direkt lesenden Zugriffs mittels Fernüberwachungssoftware auf bestimmte emissionsrelevante Daten, die im Zusammenhang mit dem Anlagenbetrieb stehen, ohne ihn aber räumlich oder inhaltlich zu bestimmen.
252. Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor, insbesondere ist die Klage fristgerecht erhoben worden. Zwar spricht Überwiegendes dafür, dass die Klageschrift vom 5. Juli 2021 die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht gewahrt haben dürfte, weil sie die gesetzlichen Anforderungen an eine Klageerhebung nicht erfüllt (dazu a)). Allerdings ist die dem Genehmigungsbescheid vom 27. Mai 2021 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig erteilt worden; damit gilt hier die Jahresfrist, die jedenfalls durch den Schriftsatz der Klägerin vom 13. September 2021 gewahrt wurde (dazu b)).
26a) Der Eingang der Klageschrift vom 5. Juli 2021 als solcher erfüllte mangels einer hinreichend bestimmten Bezeichnung des Klagebegehrens nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Klageerhebung.
27Gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Klage - neben dem Kläger und dem Beklagten - auch den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Dieser Anforderung ist schon dann genügt, wenn der Sachverhalt, über den das Gericht entscheiden soll, angegeben wird. Die Herausarbeitung eines bestimmten Antrags, den die Klage gemäß § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur enthalten „soll“ und der für die Bestimmung des Streitgegenstandes erforderlich ist, kann im weiteren gerichtlichen Verfahren erfolgen.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. September 2016 ‑ 2 C 16.15 -, NVwZ 2017, 489 = juris Rn. 12, und Beschluss vom 23. Mai 2013 - 9 B 46.12 -, juris Rn. 4 f.; Aulehner, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 82 Rn. 18 ff.
29Diesen Anforderungen genügte die Klageschrift vom 5. Juli 2021 nicht. Zur Bezeichnung des Klagebegehrens war hier nicht die Angabe ausreichend, dass sich die Klage gegen „einzelne Nebenbestimmungen“ des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 richten soll. Denn dieser Bescheid enthält unter „III. Inhalts- und Nebenbestimmungen“ etwa 100 Regelungen, die zudem - als Ausfluss der Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 13 BImSchG - unterschiedliche Rechtsbereiche zum Gegenstand haben, namentlich Immissionsschutz, Baurecht, Brandschutz, Natur-, Landschafts- und Arbeitsschutz sowie Flugsicherheit. Durch die Verwendung des Adjektivs „einzelne“ hat die Klägerin zwar hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, dass sie sich nicht gegen alle (und wohl auch nicht gegen eine Vielzahl der) Nebenbestimmungen des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 wenden möchte und erst recht nicht dessen vollständige Aufhebung erstrebt. Mangels weiterer genügender Anhaltspunkte in der Klageschrift vom 5. Juli 2021 war eine Eingrenzung der als Gegenstand des Klagebegehrens in Betracht kommenden Regelungen aber auch im Wege der Auslegung nicht ansatzweise möglich. Damit war nicht hinreichend bestimmt, über welchen Sachverhalt das Gericht entscheiden sollte.
30Ob dieser Mangel der Klageschrift vom 5. Juli 2021 in zulässiger Weise durch die Angaben im Schriftsatz vom 13. September 2021 (rückwirkend) behoben wurde, ist hier angesichts der nachstehenden Ausführungen (dazu b)) nicht zu entscheiden. Zur Klärung der genannten Frage wäre dabei insbesondere § 82 Abs. 2 VwGO näher in den Blick zu nehmen. Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine Klageschrift, die die in § 82 Abs. 1 VwGO genannten zwingenden Voraussetzungen nicht vollständig enthält, auch nach Ablauf der Klagefrist mit der Folge ergänzt werden kann, dass die Klage wegen des ursprünglichen Formmangels nicht mehr als unzulässig abgewiesen werden darf.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1984 ‑ 3 C 48.83 -, juris Rn. 24, sowie Beschlüsse vom 5. Mai 1982 ‑ 7 B 201.81 -, DVBl 1982, 1001 = juris Rn. 3, vom 6. Februar 1990 ‑ 9 B 498.89 -, juris Rn. 4, vom 12. Februar 1993 - 9 B 25.93 -, NJW 1993, 2824 = juris Rn. 4 f. (jeweils für den Fall der nachträglichen Berichtigung, Ergänzung bzw. Klarstellung der Bezeichnung eines Verfahrensbeteiligten), und vom 17. Mai 2004 ‑ 9 B 29.04 -, juris Rn. 5, 9 (für den Fall der Vervollständigung des Klagebegehrens bei Unklarheit bzw. Unvollständigkeit); siehe auch BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 ‑ 2 BvR 170/85 -, NVwZ 1992, 259 = juris Rn. 11.
32Unter den hier gegebenen Umständen dürfte der Schriftsatz vom 13. September 2021 über eine danach jedenfalls zulässige nachträgliche Berichtigung, Ergänzung, Klarstellung oder Verdeutlichung des ursprünglichen Klagebegehrens hinausgehen. Vielmehr dürfte die Klägerin tatsächlich erstmals mit diesem Schriftsatz - wie von vornherein mit ihrer Klageschrift vom 5. Juli 2021 angekündigt - zu erkennen gegeben haben, welche der etwa 100 unter „III. Inhalts- und Nebenbestimmungen“ des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 aufgeführten Regelungen sie einer gerichtlichen Überprüfung zuführen möchte.
33Gegen eine zulässige nachträgliche Konkretisierung des zunächst bewusst offen gelassenen Klagebegehrens spricht auch, dass anderenfalls der Streitgegenstand während des laufenden gerichtlichen Verfahrens jederzeit - vorbehaltlich einer Verfügung nach § 82 Abs. 2 VwGO - erweitert werden könnte, ohne an die Anforderungen des § 91 Abs. 1 VwGO gebunden zu sein. Desgleichen könnte die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO durch weitere nachträgliche Erklärungen umgangen werden. Dementsprechend ließe sich keine verlässliche Aussage darüber treffen, welche Regelungen des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 zu welchem Zeitpunkt bereits in formeller und materieller Bestandskraft erwachsen sind und wie weit die der Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 1 VwGO zukommende aufschiebende Wirkung reicht. Gerade solchen - hier nach dem objektiven Empfängerhorizont mit der Anrufung des Gerichts durch die Klägerin bewusst erzeugten - Unsicherheiten zu begegnen, ist indes Sinn und Zweck der Fristenregelung in § 74 Abs. 1 VwGO unter Berücksichtigung der in § 82 Abs. 1 VwGO formulierten Mindestanforderungen an die Klageschrift und damit an eine ordnungsgemäße Klageerhebung. Beide einander bedingenden Bestimmungen sollen für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden sorgen.
34b) Dies bedurfte indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn (auch) die erstmalig mit Schriftsatz vom 13. September 2021 den Anforderungen des § 81 Abs. 1 VwGO genügende Bezeichnung des Klagebegehrens - unter konkreter Angabe der angefochtenen Nebenbestimmungen - wahrte als solche jedenfalls die hier wegen einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung einschlägige Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
35Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Klagefrist nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Einlegung des Rechtsbehelfs grundsätzlich innerhalb eines Jahres seit Zustellung der angegriffenen Entscheidung zulässig. Unrichtig ist eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur, wenn ihr eine der in § 58 Abs. 1 VwGO aufgeführten Angaben fehlt oder fehlerhaft ist, sondern auch dann, wenn sie einen nicht erforderlichen Zusatz enthält, der fehlerhaft oder irreführend und dadurch generell geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen bzw. materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch davon abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. August 2020 ‑ 1 C 28.19 -, BVerwGE 169, 192 = juris Rn. 30; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2018 ‑ 2 BvR 2726/17 -, juris Rn. 20, jeweils m. w. N.
37Unerheblich ist es, ob die Belehrung tatsächlich einen Irrtum hervorgerufen und dazu geführt hat, dass ein Rechtsmittel nicht rechtzeitig eingelegt worden ist. Es kommt allein auf die objektive Eignung und damit auf eine abstrakte Sichtweise an.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 ‑ 7 A 4.07 -, NVwZ 2009, 588 = juris Rn. 15; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 58 Rn. 18.
39Die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrung ist in diesem Sinne unrichtig. Denn sie enthält den unzutreffenden Hinweis, die Klage könne auch „mündlich zur Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle“ des erkennenden Gerichts erhoben werden. Diese Form der Klageerhebung ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO jedoch nur „bei dem Verwaltungsgericht“ zulässig; sie ist mit Blick auf den Vertretungszwang in § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO, der nach Satz 2 der Vorschrift auch für die Einleitung des Verfahrens gilt, auf das erstinstanzliche Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht nicht - auch nicht entsprechend - anwendbar. Nach der Zielsetzung dieser Bestimmung soll gerade der rechtskundige Vertreter eine eigene Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs vornehmen. Das wäre bei einer Antragstellung zu der insoweit nur zu protokollierenden Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht der Fall.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 1995 ‑ 4 A 1.93 -, BVerwGE 98, 126 = juris Rn. 14, für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 81 Rn. 2; Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 81 VwGO Rn. 10 (Stand der Kommentierung: Januar 2020).
41Die hier in Rede stehende Rechtsmittelbelehrung erweist sich damit bezüglich der - nicht erforderlichen -,
42vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 29. August 2018 ‑ 1 C 6.18 -, BVerwGE 163, 26 = juris Rn. 13, m. w. N.,
43Belehrung über die Form des einzulegenden Rechtsbehelfs als irreführend und objektiv geeignet, die ordnungsgemäße Erhebung der Klage zu erschweren.
44Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 1995 ‑ 4 A 1.93 -, BVerwGE 98, 126 = juris Rn. 14, sowie Beschlüsse vom 27. August 1997 ‑ 1 B 145.97 -, NVwZ 1997, 1211 = juris Rn. 6 ff., vom 14. Oktober 1997 - 1 B 164.97 -, NVwZ 1998, 170 = juris Rn. 6 ff., und vom 14. Februar 2000 - 7 B 200.99 -, juris Rn. 3 ff.
45II. Die Klage ist - soweit sie noch anhängig ist - auch begründet. Die Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
46Die Voraussetzungen der vom Beklagten herangezogenen Rechtsgrundlage des § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG liegen nicht vor. Danach kann die Genehmigung unter Bedingungen erteilt und mit Auflagen verbunden werden, soweit dies erforderlich ist, um die Erfüllung der in § 6 BImSchG genannten Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen. Dabei ist die Funktion einer solchen Nebenbestimmung grundsätzlich darauf beschränkt, den Fortbestand der Genehmigungsvoraussetzungen für die Zukunft zu garantieren.
47Vgl. Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 12 BImSchG Rn. 140, 150 (Stand der Kommentierung: Januar 2014).
48Gegenstand von Auflagen nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG können aber auch sog. Hilfspflichten sein, mit denen die Einhaltung der materiellen Anforderungen kontrolliert werden soll.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Februar 1997 ‑ 7 C 47.95 -, NVwZ 1997, 998 = juris, vorhergehend: Nds. OVG, Urteil vom 15. März 1995 ‑ 7 K 1182/93 -, UPR 1996, 34 = juris Rn. 45; OVG NRW, Urteil vom 25. Oktober 2001 ‑ 21 A 1022/97 -, NWVBl. 2002, 229 = juris; OVG M.-V., Beschluss vom 2. Juli 2012 ‑ 3 M 95/12 -, NordÖR 2013, 43 = juris Rn. 18; Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 12 BImSchG Rn. 140 (Stand der Kommentierung: Januar 2014); Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 12 Rn. 18; Giesberts, in: BeckOK Umweltrecht, 63. Edition, § 12 BImSchG Rn. 18; anders Scheidler, UPR 2022, 50.
50Erforderlich im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG ist eine Auflage, wenn die damit auferlegte Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zweckes geeignet und notwendig ist, weil andere, den Betroffenen weniger belastende Mittel hierfür nicht in gleicher Weise geeignet sind, und der mit der Auflage verbundene Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck steht.
51Vgl. Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 12 BImSchG Rn. 142 (Stand der Kommentierung: Januar 2014).
52Dies ist in Bezug auf die in der angefochtenen Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. geregelte Pflicht, dem Beklagten den direkt lesenden Zugriff mittels Fernüberwachungssoftware auf die o. g. (d. h. die in Nebenbestimmung Nr. III. E) 4. genannten) emissionsrelevanten Daten zu gewähren, nicht der Fall.
53Dabei geht der Beklagte im Ausgangspunkt noch zutreffend davon aus, dass „unvermutete“, d. h. dem Anlagenbetreiber zuvor nicht angekündigte Kontrollen im Regelfall von der Überwachungsermächtigung in § 52 BImSchG gedeckt sind und nach dem Sinn und Zweck der Kontrolle keiner einzelfallbezogenen und auch keiner schriftlichen Begründung bedürfen.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. November 2021 ‑ 8 A 513/19 -, ZUR 2022, 304 = juris Rn. 74 ff., m. w. N.
55In diesem Rahmen sind Anlagenbetreiber gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG u. a. verpflichtet, den Angehörigen der zuständigen Behörde und deren Beauftragten die Vornahme von Prüfungen einschließlich der Ermittlung von Emissionen und Immissionen zu gestatten sowie Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind. Dass - wie die Klägerin meint - das Bundes-Immissionsschutzgesetz eine Pflicht zur elektronischen Datenübermittlung nur bei Anlagen vorsieht, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (Industrieemissions-Richtlinie) fallen, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Vielmehr ermächtigt § 31 Abs. 5 Satz 2 BImSchG, der § 31 Satz 2 BImSchG in der bis zum 1. Mai 2013 gültigen Fassung entspricht, die zuständige Behörde, die Art der Übermittlung der Messergebnisse vorzuschreiben. Aus dieser Vorschrift hat das Bundesverwaltungsgericht die Befugnis der Überwachungsbehörde abgeleitet, den Anlagenbetreiber zur fortlaufenden Übermittlung der aufzuzeichnenden Ergebnisse kontinuierlicher Messungen durch Fernübertragung von Emissionsdaten zu verpflichten.
56Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Februar 1997 ‑ 7 C 47.95 -, NVwZ 1997, 998 = juris, vorhergehend: Nds. OVG, Urteil vom 15. März 1995 ‑ 7 K 1182/93 -, UPR 1996, 34 = juris Rn. 45; OVG NRW, Urteil vom 25. Oktober 2001 ‑ 21 A 1022/97 -, NWVBl. 2002, 229 = juris.
57Für die in § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG aufgezählten Überwachungsmaßnahmen gilt im Ergebnis nichts anderes. Das Gesetz schreibt für die jeweilige Überwachungsmaßnahme weder eine bestimmte Form verbindlich vor noch verbietet es einzelne Vorgehensweisen ausdrücklich von vornherein. Es obliegt daher der Überwachungsbehörde in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens, nähere Bestimmungen über die Art und Weise der Durchführung der Überwachung zu treffen.
58Vgl. nur Lechelt, in: Führ, GK-BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rn. 82.
59Allerdings geht die vom Beklagten gewählte Form des direkt lesenden Zugriffs mittels Fernüberwachungssoftware auf bestimmte, im Zusammenhang mit dem Anlagenbetrieb stehende Daten im hier zu entscheidenden Einzelfall über solche Informations- und Vorlagepflichten schon deshalb hinaus, weil sie ihn in die Lage versetzt und versetzen soll, sich diese Informationen und Unterlagen eigenmächtig zu verschaffen. Sie ist auch nicht zur Erreichung des von ihm benannten Ziels erforderlich, eine effektive Überwachung von Windenergieanlagen in Form sog. unvermuteter Kontrollen sicherzustellen. Dabei braucht nicht weiter vertieft zu werden, inwiefern die in der nicht angefochtenen Nebenbestimmung Nr. III. E) 4., auf die sich die Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. bezüglich der „emissionsrelevanten Daten“ bezieht, aufgeführten „Parameter“ (Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Temperatur, erzeugte elektrische Leistung und Drehzahl des Rotors) überhaupt dem Emissionsbegriff des § 3 Abs. 3 BImSchG zugeordnet werden können. Jedenfalls hat der Beklagte nicht nachvollziehbar aufgezeigt, dass diese Maßnahme für eine effektive Anlagenüberwachung in Form unangekündigter Kontrollen notwendig ist und hierfür keine gleich geeigneten, die Klägerin zugleich weniger belastenden Mittel zur Verfügung stehen.
60Schon die von ihm dabei zugrunde gelegte Annahme, bei Windenergieanlagen seien keine unangekündigten Kontrollen des Betriebs möglich, weil sie sich insbesondere durch einen eigenständigen, automatisierten Betrieb ohne direkte Beaufsichtigung durch Personal auszeichneten und über elektronische Systeme fernüberwacht würden, vermag nicht zu überzeugen. So kann beispielsweise, worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat, am Anlagenstandort eine unangekündigte Kontrolle durchgeführt werden, ob der Anlagenbetreiber seinen Abschaltverpflichtungen im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen nachkommt, wobei im hier vorliegenden Einzelfall eine solche Abschaltverpflichtung nach Aufhebung der (ebenfalls angefochtenen) Nebenbestimmung Nr. III. E) 57. des Genehmigungsbescheides vom 27. Mai 2021 ohnehin nicht besteht. Weiterhin denkbar sind unangekündigte Kontrollen an der Stätte, von der aus die Windenergieanlage vom Anlagenbetreiber überwacht wird. Diese Möglichkeit kommt namentlich in Betracht, wenn diese Stätte - wie hier - ebenfalls im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Überwachungsbehörde liegt. In diesem Rahmen könnten sich die vor Ort anwesenden Behördenmitarbeiter über die vom Anlagenbetreiber verwendete Fernüberwachungssoftware Zugriff auf die von ihnen für erforderlich gehaltenen Daten verschaffen und sich hiervon gegebenenfalls Ausdrucke geben lassen oder Lichtbilder anfertigen.
61Vgl. zu der letztgenannten Befugnis der Überwachungsbehörde bei Vor-Ort-Kontrollen: OVG NRW, Urteil vom 30. November 2021 ‑ 8 A 513/19 -, ZUR 2022, 304 = juris Rn. 120 ff.
62Zu denken wäre ferner daran, dass der Beklagte die Klägerin während der üblichen Geschäftszeiten telefonisch oder per E-Mail auffordert, ihm binnen einer sehr kurzen Frist die von ihm gewünschten Daten auf elektronischem Weg zu übermitteln, gegebenenfalls direkt vom Anlagenhersteller.
63Sämtliche der vorgenannten, vom Beklagten bislang offenbar nicht erwogenen Alternativen besitzen eine im Wesentlichen vergleichbare Eignung für das mit der angefochtenen Nebenbestimmung letztlich verfolgte Ziel, möglichst unverfälschte Daten zu erhalten. Sie belasten die Klägerin indes weniger als der direkt lesende Zugriff über die Fernüberwachungssoftware der Windenergieanlage. Insoweit hat die Klägerin (ebenso wie die Klägerin im Parallelverfahren 22 D 80/22.AK) für den Senat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass mit der Eröffnung einer weiteren Schnittstelle zum Internet zum Zwecke des elektronischen Zugriffs auf die Fernüberwachungssoftware eine zusätzliche potenzielle Angriffsfläche für Hacker und Schadsoftware geschaffen wird. Im Falle einer solchen Cyberattacke, d. h. eines gezielten Angriffs auf informationstechnische Systeme zur Sabotage, Informationsgewinnung oder Erpressung, beschränkten sich die damit einhergehenden Auswirkungen aller Voraussicht nach nicht nur auf die Klägerin bzw. die hier genehmigte Windenergieanlage, sondern beträfen eine Vielzahl weiterer Anlagenbetreiber bzw. Windenergieanlagen desselben Herstellers. Dies wiederum könnte negative Folgen für die Stromversorgung haben, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens als kritische Dienstleistung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 BSIG eingestuft ist (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 der Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz (BSI-KritisV)), deren Ausfall oder Beeinträchtigung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 BSI-KritisV zu erheblichen Versorgungsengpässen oder zu Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit führen würde. Auch wenn das Realisierungsrisiko einer Cyberattacke gering sein mag, ist sie gleichwohl nicht lediglich hypothetischer Natur, wie sich erst jüngst an den Cyberangriffen auf die Fernüberwachung der Windenergieanlagen des Herstellers ENERCON GmbH durch Störung der Satellitenverbindung,
64vgl. https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Fernueberwachung-Tausender-Windraeder-weiter-eingeschraenkt,enercon328.html,
65sowie auf die informationstechnischen Systeme des Windenergieanlagenherstellers Nordex SE gezeigt hat.
66Vgl. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/windkraftanlagen-windturbinenhersteller-nordex-ist-opfer-eines-hackerangriffs/28223426.html.
67Hieran vermag der allgemein gehaltene Hinweis des Beklagten im Parallelverfahren 22 D 80/22.AK, er verfüge über eine ausführliche Dienstanweisung zum Datenschutz und zur Datensicherheit sowie über ein intranetbasiertes Behörden-IT-Sicherheitstraining, ebenso wenig etwas zu ändern wie der Umstand, dass die Fernüberwachungssoftware SCADA des Windenergieanlagenherstellers ENERCON GmbH auf dessen Internetseite zum Download zur Verfügung steht. Letzteres ist hier auch deswegen unerheblich, weil die Errichtung und der Betrieb einer Anlage des Herstellers Vestas genehmigt wurde.
68Zudem ist nach der Erörterung in der mündlichen Verhandlung offen geblieben, ob und wenn ja mit welchem Aufwand sich technisch sicherstellen ließe, dass der direkte Zugriff auf die vom Beklagten angegebenen „emissionsrelevanten“ Daten beschränkt bleibt und nicht auch etwaige Betriebsgeheimnisse tangieren kann. Es versteht sich jedenfalls nicht von selbst, dass die in der Nebenbestimmung Nr. III. E) 4. aufgeführten Parameter in der Fernüberwachung selbst isoliert erfasst werden.
69Darüber hinaus steht der mit der Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. verbundene Eingriff zulasten der Klägerin nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck. Denn die darin geregelte Verpflichtung ist sowohl nach ihrem eindeutigen Wortlaut als auch der ihr vom Beklagten zugedachten Funktion - dies hat dessen Vertreterin in der mündlichen Verhandlung bestätigt - auf die dauerhafte Gewährung eines direkt lesenden Zugriffs mittels Überwachungssoftware gerichtet; jeder von ihm durchgeführte Datenabruf steht hingegen über die gesamte Betriebsdauer der Windenergieanlage hinweg nicht mehr unter der Voraussetzung eines vorherigen einzelfallbezogenen Verlangens gegenüber der Klägerin. Damit ist zum einen nicht sichergestellt, dass die Klägerin Kenntnis insbesondere darüber erhält, wer zu welchem Zeitpunkt auf welche Daten zugegriffen hat. Zum anderen wäre durch die Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. ein durchgängiger Datenabruf durch den Beklagten rechtlich möglich. Beides lässt sich nicht mit Sinn und Zweck einer unangekündigten und anlasslosen Vor-Ort-Kontrolle auf der Grundlage des § 52 BImSchG rechtfertigen, die nach Auffassung des Beklagten durch diese Nebenbestimmung ermöglicht werden soll. Verdachtsunabhängige Kontrollen eines immissionsschutzrechtlich genehmigten Betriebs auf dem Anlagengrundstück umfassen typischerweise einen kurzen Zeitraum und sind nicht auf eine Dauerüberwachung gerichtet. Dementsprechend wird eine kontinuierliche, laufende Überwachung, etwa durch die Installation einer Video-Überwachungsanlage, als nicht von der Überwachungsermächtigung des § 52 BImSchG gedeckt angesehen.
70Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Februar 2014 - 3 L 132/14 -, juris Rn. 17; Kenyeressy, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, 2021, § 52 Rn. 62; Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 52 Rn. 44; Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, 60. Update, § 52 BImSchG Rn. 56; Schwertner, in: BeckOK Umweltrecht, 63. Edition, § 52 BImSchG Rn. 14; vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 31. Juli 2007 - 22 ZB 07.554 -, NVwZ-RR 2008, 23 = juris Rn. 19, wonach die Verpflichtung, eine ständige Durchsuchung oder eine pausenlose Ausforschung hinzunehmen, auf gravierende rechtliche Bedenken stoße.
71Nichts anderes gilt für den hier in Rede stehenden direkt lesenden Zugriff mittels Fernüberwachungssoftware mit dem durch die angefochtene Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. ausgestalteten Inhalt, die ebenfalls eine Dauerüberwachung ermöglicht.
72Ferner dürfen unangekündigte und anlasslose Vor-Ort-Kontrollen nach § 52 Abs. 2 BImSchG grundsätzlich nicht ohne Kenntnis des jeweiligen Anlagenbetreibers durchgeführt werden. Zu der gebotenen rechtsstaatlichen Gestaltung der Art und Weise einer solchen Überwachungsmaßnahme gehört u. a., dass sich die die Kontrolle durchführenden Behördenmitarbeiter zu Beginn der Kontrolle bei der an dem betreffenden Tag vor Ort anwesenden, für den Betrieb der Anlage verantwortlichen, das Hausrecht ausübenden Person anmelden.
73Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. November 2021 ‑ 8 A 513/19 -, ZUR 2022, 304 = juris Rn. 88, m. w. N.
74Eine hiermit vergleichbare verlässliche Möglichkeit der Kenntnisnahme der Klägerin von Zeitpunkt und Umfang der behördlichen Überwachungsmaßnahme gewährleistet die Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. nicht. Der Datenabruf durch den Beklagten ist weder von einem vorgeschalteten einzelfallbezogenen Verlangen gegenüber der Klägerin abhängig noch sieht der Genehmigungsbescheid vom 27. Mai 2021 diesbezüglich vor- bzw. nachgelagerte Informationspflichten des Beklagten vor. Dass die Klägerin durch die Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. allgemein Kenntnis davon hätte, dass sich der Beklagte (jederzeit und dauerhaft) Zugriff auf die über die Fernüberwachungssoftware abrufbaren Daten verschaffen kann, steht dem nicht gleich und reicht für sich genommen nicht aus.
75Der Verweis des Beklagten, ihm seien in der Vergangenheit in zwei Fällen gefälschte Unterlagen vorgelegt worden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dabei mag dahinstehen, ob gegenüber Anlagenbetreibern, denen Manipulationen nachgewiesen wurden bzw. bei denen hierfür hinreichend begründete Hinweise vorliegen, eine der Nebenbestimmung Nr. III. E) 5. entsprechende Regelung erlassen werden könnte, wobei einiges dafür sprechen dürfte, dass derjenige Anlagenbetreiber, bei dem Tatsachen die Annahme seiner Unzuverlässigkeit rechtfertigen, mehr an Überwachung und Kontrolle hinnehmen muss. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Auch sind dem Vorbringen des Beklagten keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass ihm nicht lediglich in einigen wenigen Einzelfällen, sondern in einer signifikanten Fallzahl gefälschte Unterlagen vorgelegt worden sind. Es handelt sich daher insoweit um ein immer bestehendes (Rest-)Risiko. Auch der Beklagte hat nicht geltend gemacht, dass dieses Risiko aus in der Person der Klägerin liegenden Gründen erhöht sein könnte.
76Die vorstehenden Ausführungen gelten in gleicher Weise für die vom Beklagten ebenfalls herangezogene Überwachungsvorschrift in § 28 UVPG. Unabhängig davon, ob diese Regelung lediglich eine - subsidiäre - Aufgabenzuweisung und keine Ermächtigungsgrundlage zum Eingriff in Rechte Dritter ist,
77so Beckmann, in: Hoppe/Beckmann/Kment, UVPG/UmwRG, 5. Aufl. 2018, § 28 UVPG Rn. 12 f.,
78stellt sie jedenfalls im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Überwachungsmaßnahme keine anderen Anforderungen als § 52 Abs. 2 BImSchG auf.
79Vgl. zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Anwendungsbereich des § 28 UVPG Beckmann, in: Hoppe/Beckmann/Kment, UVPG/UmwRG, 5. Aufl. 2018, § 28 UVPG Rn. 12.
80Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des streitig entschiedenen Teils (Nebenbestimmung Nr. III. E) 5.) auf § 154 Abs. 1 VwGO, im Umfang der Klagerücknahme (Nebenbestimmungen Nrn. III. D), III. E) 31. und III. E) 55.) auf § 155 Abs. 2 VwGO und im Übrigen (Nebenbestimmungen Nrn. III. B) 5., III. E) 57. bis 65.) auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Bei der nach der letztgenannten Vorschrift gebotenen Ermessensentscheidung über die Kostentragung des für erledigt erklärten Teils des Verfahrens berücksichtigt der Senat hinsichtlich der Nebenbestimmungen Nrn. III. B) 5. sowie III. E) 59. bis 65., dass sich die Beteiligten durch gegenseitiges Nachgeben jeweils auf eine vergleichsweise Regelung geeinigt haben. Es erscheint daher gerechtfertigt, dass die Verfahrenskosten insoweit der Klägerin und dem Beklagten je zur Hälfte zur Last fallen. Bezüglich der Nebenbestimmungen Nrn. III. E) 57. und 58. entspricht es billigem Ermessen, die hierauf entfallenden Kosten dem Beklagten aufzuerlegen, da er sich durch deren Aufhebung und die Abgabe einer Kostenübernahmeerklärung in die Rolle des Unterlegenen begeben hat. Die auf der Grundlage des § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Tenor ausgeworfene Kostenquote entspricht dabei ausgehend vom festgesetzten Streitwert dem Verhältnis des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens.
81Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO und §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
82Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 132 Abs. 2 VwGO; Zulassungsgründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.