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Die Frage, ob § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW (Versammlungsverbot auf Bundesautobahnen) das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG verletzt, ist im Rahmen einer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung als offen zu bewerten.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
2Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen nicht zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
3Dies gilt zunächst für den Hauptantrag zu 1.,
4die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers vom 21. Juli 2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Juli 2022 (Az.: ZA 11-57.02.01- 229/22) festzustellen, soweit die Nutzung der Bundesautobahn X untersagt wurde.
5Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, das als Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der unter dem Aktenzeichen 6 K 1691/22 erhobenen Klage zu verstehende Begehren des Antragstellers analog § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, ist nicht zu beanstanden. Der Argumentation, dass die Untersagung der Nutzung der Bundesautobahn X nicht aus dem streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners, sondern unmittelbar aus § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW folge - so dass der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels keine Bedeutung zukommt -, setzt der Antragsteller nichts Durchgreifendes entgegen. Sein Einwand, das Gericht setze sich nicht hinreichend mit der Systematik des Versammlungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen und des deutschen Versammlungsrechts im Allgemeinen auseinander, denen selbstvollziehende Versammlungsverbote grundsätzlich fremd seien, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Unabhängig davon, ob § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW grundrechtskonform ist - hierzu noch unten - und ihm ein selbstvollziehender Gehalt zukommt, ist der Antragsgegner jedenfalls von beidem ausgegangen und hat mit dem erlassenen Bescheid keine Nutzungsuntersagung ausgesprochen, gegen die ein Rechtsbehelf gemäß § 80 Abs. 1 VwGO eine aufschiebende Wirkung entfalten könnte. Gegen die diesbezüglichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts, wonach in dem Bescheid des Antragsgegners bezüglich des Verbots der Nutzung der Bundesautobahn ausdrücklich nur ein „Hinweis“ auf die gesetzliche Regelung erteilt werde und auch ein Tenor fehle, der unter Angabe der Ermächtigungsgrundlage eine beschränkende Verfügung erlässt, erhebt die Beschwerde keine Einwände.
6Auch bezüglich des hilfsweise gestellten Antrags zu 2.,
7gemäß § 123 Abs. 1 VwGO festzustellen, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, die Durchführung der vom Antragsteller für den 30. Juli 2022 angemeldeten Versammlung einschließlich der Wegstrecke auf der Bundesautobahn X zu ermöglichen,
8zeigt die Beschwerde keine durchgreifenden Gründe auf, die zu einer Änderung der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts führen könnten.
9Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Mit seinen Feststellungsbegehren erstrebt der Antragsteller der Sache nach keine vorläufige Maßnahme, sondern eine endgültige Entscheidung zur Ermöglichung der Nutzung der Bundesautobahn X im Rahmen der von ihm geplanten Versammlung, was sein Begehren in der Hauptsache vorwegnehmen würde. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist dies im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn der Erfolg der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist und das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Dabei ist dem jeweils betroffenen Grundrecht und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn nicht ausnahmsweise überwiegende gewichtige Gründe entgegenstehen.
10OVG NRW, Beschluss vom 12. Januar 2015 - 15 B 45/15 -, juris Rn. 2, m. w. N. zur Rspr. des BVerfG und des beschließenden Senats.
11Nach diesen Maßgaben kann der Hilfsantrag bereits deswegen keinen Erfolg haben, weil die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht vorliegen.
12So ist ein Erfolg in der Hauptsache derzeit nicht überwiegend wahrscheinlich, vielmehr stellt sich die Rechtslage im Rahmen der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung als offen dar. Dass die Verbotsnorm des § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wegen Verstoßes gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG unwirksam ist, ist nämlich aktuell nicht feststellbar.
13Dies gilt bereits mit Blick auf den Schutzbereich dieses Grundrechts. Zwar wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung teilweise vertreten, dass der Schutzbereich des Versammlungsrechts auch Versammlungen auf Bundesautobahnen erfasst.
14Sächs. OVG, Beschluss vom 8. Oktober 2021 - 6 B 376/21 -, juris Rn. 7; Hamb. OVG, Beschluss vom 11. Dezember 2020 - 4 Bs 229/20 -, BeckRS 2020, 48778, Rn. 17; Hess. VGH, Beschluss vom 30. Oktober 2020 - 2 B 2655/20 -, juris Rn. 6; Nds. OVG, Beschluss vom 4. Juni 2021 - 11 ME 126/21 - juris Rn. 10.
15Es finden sich aber auch ablehnende Stimmen.
16Schönenbroicher, VersG NRW, 2022, § 13 Rn. 9 f.; Blanke, in: Stern/Becker, Grundrechte, 3. Aufl. 2019, Art. 8 GG Rn. 43; Gusy, NdsVBl 2017, 257, 263; Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Aufl. 2019, Teil I Rn. 146.
17Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW ausgegangen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat, soweit ersichtlich, ebenso wie der beschließende Senat,
18vgl. Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15 A 296/16 -, juris Rn. 17 ff.,
19zu der vorgenannten Frage bisher nicht Stellung genommen. Ausgehend von dem etwa in der Fraport-Entscheidung formulierten Schutzbereich, wonach die Versammlungsfreiheit dem Bürger keinen Zutritt zu Orten gewähre, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird,
20BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 65,
21ist die Frage, was insofern für Bundesautobahnen gilt, im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht eindeutig zu beantworten.
22Zwar ist die auch vom Verwaltungsgericht in seiner Beschlussbegründung herangezogene Fraport-Entscheidung in einem anderen Zusammenhang ergangen, aber die allgemeine Definition der versammlungsfreien Orte wurde in der Entscheidung generalisierend vorgenommen und ist etwa in einer Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen worden, in der es um eine Versammlung auf einem kommunalen Friedhof ging.
23BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2014 - 1 BvR 980/13 -, juris Rn. 16.
24In der letztgenannten Entscheidung wurde insbesondere auch darauf abgestellt, dass es sich bei einem Friedhof jedenfalls in der Regel um einen Ort handele, der sowohl nach seiner Widmung als auch den äußeren Umständen nach nur für begrenzte Zwecke zugänglich ist und nicht als Stätte des allgemeinen öffentlichen Verkehrs und Ort allgemeiner Kommunikation anzusehen ist. Ein Unterfallen unter die Versammlungsfreiheit wurde darin nur deswegen angenommen, weil in der konkreten Situation tatsächlich eine allgemeine Kommunikation mit Blick auf eine dort bereits unabhängig von der strittigen Versammlung stattfindende Gedenkveranstaltung eröffnet war.
25BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2014 - 1 BvR 980/13 -, juris Rn. 19.
26Soweit schließlich für eine Erstreckung des Schutzbereiches der Versammlungsfreiheit auf Bundesautobahnen angeführt wird, dass § 1 Abs. 3 FStrG zwar den Widmungszweck der Bundesautobahnen gesetzlich bestimme, dieser jedoch abweichende - und danach atypische Nutzungen - nicht ausnahmslos ausschließe, weil § 8 Abs. 1 FStrG Sondernutzungen ermögliche, so dass Versammlungen jedenfalls im Rahmen einer Sondernutzung zulässig seien,
27Dübbers, SVR 2022, 245, 246 m. w. N. aus der Rspr.,
28bedarf dies ebenfalls einer vertiefenden Prüfung im Hauptsacheverfahren.
29Vor dem vorgenannten Hintergrund, dass § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in den Schutzbereich von Art. 8 GG eingreift, kommt es auf die weitere Rüge des Antragstellers, dass eine Grundrechtseinschränkung nicht nur abstrakt-generell, sondern auch im Einzelfall verhältnismäßig sein müsse, nicht an. Denn dieser Einwand bezieht sich auf die nachgelagerte Frage der Eingriffsrechtfertigung.
30Im Übrigen drohen dem Antragteller auch keine schweren und unzumutbaren, nachträglich nicht mehr zu beseitigenden Nachteile, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht. Für die Durchführung der Versammlung mit dem Motto „Klimakämpfe verbinden ….“ ist der Antragsteller trotz des thematischen Bezugs zum Autobahnverkehr nicht zwingend auf die Nutzung der Autobahn selbst als Versammlungsort angewiesen, um sein kommunikatives Anliegen zu transportieren.
31Vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2021 - 15 B 1445/21 -, juris Rn. 13 f., m. w. N.
32So hat bereits der Antragsgegner in seiner Erwiderung vom 25. Juli 2022 darauf hingewiesen, dass der Antragsteller nicht vollständig gehindert sei, die geplante Versammlung durchzuführen, sondern nur einen kurzen Abschnitt auf der Autobahn nicht nutzen könne. Selbst ohne die Nutzung der Autobahn bleibe der Bezug zum Motto der Versammlung gewahrt, da die Versammlung bei der übrig bleibenden Route mindestens zweimal Autobahnen quere. Diese, vom Antragsteller nachfolgend nicht bestrittenen Feststellungen zugrunde gelegt, ist vorliegend nicht erkennbar, dass dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit droht, die eine Vorwegnahme der Hauptsache gebieten würde.
33Ob der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass die für den 30. Juli 2022 angemeldete Versammlung tatsächlich stattfinden soll, kann nach den vorstehenden Ausführungen dahinstehen. Seine eidesstattliche Versicherung vom 29. Juli 2022 verhält sich allerdings nicht zu tatsächlichen Umständen der Vorbereitung der Versammlung.
34Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlagen in §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und entspricht der ständigen Praxis des Senats.
35Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.