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Gehört zu den Merkmalen der endgültigen Herstellung von Straßen nach der Erschließungsbeitragssatzung, dass die Kommune Eigentümerin der Flächen für die Erschließungsanlagen sein muss, ist diese Regelung im Allgemeinen so zu verstehen, dass die Gemeinde entweder die vermessenen Flächen von Dritten erworben oder die aus ihrem sonstigen Grundeigentum für die Erschließungsanlage bereitgestellten Flächen vermessen und von den anderen Grundstücken abgeschrieben haben sowie als Eigentümerin der so getrennten Flächen im Grundbuch eingetragen sein muss. Das Erfordernis der Eintragung der Gemeinde für den Abschluss des Grunderwerbs soll sicherstellen, dass auch die damit verbundenen Kosten zum abrechenbaren Erschließungsaufwand gehören (ständige Rechtsprechung).
Fallen Kosten für eine Grundbucheintragung nicht an, weil die entsprechenden Parzellen nach § 3 Abs. 2 GBO von der Buchungspflicht befreit sind und auch kein Antrag auf Anlegung eines Grundbuchblatts gestellt wird, entsteht die Beitragspflicht mit der Eintragung der Änderungen im Liegenschaftskataster und dem Eingang des für die Vermessung und Flurstücksbildung erteilten Gebührenbescheides.
Maßgeblich für die Wahrung der Frist des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB-AG NRW ist, dass der Erschließungsbeitragsbescheid vor Ablauf des 20. Jahres nach Eintritt der Vorteilslage erlassen worden ist. In dieser Auslegung verstößt die Vorschrift nicht gegen Verfassungsrecht.
Die 25-Jahres-Frist des § 3 Abs. 4 BauGB-AG NRW findet nur auf solche Erschließungsbeitragsbescheide Anwendung, die nach dem Inkrafttreten der Vorschrift erlassen worden sind.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Erhebung eines Erschließungsbeitrags für die erstmalige Herstellung einer Teilstrecke der N.----straße zwischen der T.-------straße und der L.-----straße in C. .
3Die Klägerin ist Eigentümerin einer aus 14 Flurstücken bestehenden, 13.885 qm großen Fläche, die im Süden an die N.----straße , im Westen an die T.-------straße und im Norden teils unmittelbar an die K.-----------straße und teils - von dieser zurückspringend - an ein mit Wohnblocks bebautes Grundstück grenzt. Diese in der Flur 51 der Gemarkung C. gelegenen Flurstücke werden seit dem 23. Juli 2007 im Grundbuch von C. , Blatt 12229, gemeinsam unter der laufenden Nummer 24 geführt. Auf dem mit mehreren Gebäuden bebauten Grundstück befindet sich ein Betrieb zur Arzneimittelherstellung. Es liegt im Geltungsbereich des im Jahr 1999 in Kraft getretenen Bebauungsplans Nr. II/2/54.00 (N.----straße -West), der für den nordwestlichen, 2.119 qm umfassenden Teil der Grundstücksfläche Mischgebiet, im Übrigen Gewerbegebiet festsetzt. Baugrenzen sind nicht vorgesehen.
4Die N.----straße verläuft von der T1.-------straße im Westen bis zur T2. Straße im Osten in etwa in West-Ost-Richtung. Der technische Straßenbau der hier abgerechneten Teilstrecke der N.----straße zwischen T.-------straße und L.-----straße wurde ausweislich des vorliegenden Protokolls am 5. September 1996 abgenommen und - nach Mängelbeseitigung - am 10. September 1996 endgültig abgeschlossen. Nach Fassung eines Kostenspaltungsbeschlusses zog die Beklagte die Anlieger im Jahr 1999 unter Zurückstellung des seinerzeit noch nicht abgeschlossenen Grunderwerbs zu Erschließungsbeiträgen heran. In den Folgejahren bemühte sich die Beklagte letztlich erfolgreich um den Erwerb der noch nicht in ihrem Eigentum stehenden Straßenflächen. Zuletzt wurde das Eigentum an dem Flurstück 289, das teilweise im Bereich der Straßenfläche liegt, am 2. Januar 2012 auf die Beklagte umgeschrieben.
5Mit Bescheid vom 7. Oktober 2013 zog die Beklagte die Klägerin hinsichtlich der Grunderwerbskosten zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 69.776,92 Euro heran. Diesen Bescheid hob das Verwaltungsgericht Minden durch Urteil vom 23. Juni 2015 (5 K 3518/13) mit der Begründung auf, dass die sachliche Beitragspflicht mangels Abschluss des Grunderwerbs noch nicht entstanden sei. Es fehle an der Vermessung und Abschreibung der der Erschließung dienenden Teilflächen der für den Straßenbau erworbenen Grundstücke (insbesondere der Flurstücke 289 und 738).
6In der Folge ließ die Beklagte diejenigen Teilflächen der Flurstücke 289, 738, 1271 und 1277, die in der festgesetzten Verkehrsfläche liegen, vermessen und abschreiben. Während die aus dem Flurstück 289 neu gebildeten Flurstücke 1337 und 1338 am 4. Februar 2016 und die aus dem Flurstück 738 neu gebildeten Flurstücke 945 und 946 am 1. Februar 2016 in das Grundbuch eingetragen wurden, sah die Beklagte hinsichtlich der aus den Flurstücken 1271 und 1277 neu gebildeten Flurstücke 1335 und 1336 bzw. 1339 und 1340 (zunächst) von einer Eintragung in das Grundbuch ab. Für diese erteilte das Katasteramt der Beklagten Flurstücks- und Eigentumsnachweise, in denen auf die Befreiung von der Buchungspflicht nach § 3 Abs. 2 GBO Bezug genommen wird.
7Mit Bescheid vom 19. September 2016 zog die Beklagte die Klägerin hinsichtlich der Grunderwerbskosten zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 68.749,30 Euro heran. Dabei wendete sie auf diejenigen Flächen, für die im Bebauungsplan Mischgebiet festgesetzt ist, einen Art- und Maßzuschlag von 115 v. H. sowie auf die im festgesetzten Gewerbegebiet liegenden Flächen einen Zuschlag von 280 v. H. an.
8Am 19. Oktober 2016 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Beitragspflicht sei nach wie vor nicht entstanden, weil der Grunderwerb immer noch nicht vollständig abgeschlossen sei. Soweit Teilflächen von zuvor im Grundbuch verzeichneten Grundstücken ausgebucht worden seien, hätten diese Ausbuchungen im Grundbuch in den Veränderungsnachweisen vermerkt werden müssen, um eine Übereinstimmung von Kataster und Grundbuch herzustellen. Dessen ungeachtet sei die Bemessung des Beitrags fehlerhaft. Die Beklagte habe zu Unrecht die einzelnen in ihrem Eigentum stehenden Flurstücke zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefasst. Der Bebauungsplan enthalte eine auffällige Trennlinie, die eine wirtschaftliche Einheit von bebauten und unbebauten Grundstücken ausschließe. Fehlerhaft sei auch der Zuschlag für sechsgeschossige Bebaubarkeit. Nach dem Bebauungsplan sei das Grundstück nur teilweise sechsgeschossig bebaubar. Für das Flurstück 1252 sei durch eine baurechtliche Befreiung aus dem Jahr 1987 lediglich eine fünfgeschossige Bebauung zugelassen worden. Weiterhin seien zahlreiche Flurstücke nicht durch die N.----straße erschlossen, da sie durch auf anderen Flurstücken errichtete Baukörper von dieser getrennt seien. Die nach dem Bebauungsplan im Mischgebiet gelegenen Flächen seien nicht als faktisches Gewerbegebiet im Sinne von § 4 Abs. 9 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Stadt C. vom 14. Juni 2010 (im Folgenden: Erschließungsbeitragssatzung - EBS -) anzusehen. Außerdem sei ihr zu Unrecht die sog. Eckgrundstücksvergünstigung vorenthalten worden. Die Beitragserhebung verstoße zudem gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, weil der wirtschaftliche Vorteil durch die Straßenbaumaßnahme bereits mit deren technischem Abschluss vor mehr als 20 Jahren eingetreten sei. Schließlich seien der Beklagten Rechenfehler unterlaufen. Nach deren eigenen Vorgaben sei der festgesetzte Erschließungsbeitrag für die im Gewerbegebiet liegenden Flächen um ca. 0,0115 Euro und für die im Mischgebiet liegenden Flächen um ca. 26,99 Euro überhöht.
9In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte den streitbefangenen Erschließungsbeitrag um 16,89 Euro auf 68.732,41 Euro reduziert. Insoweit haben die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
10Die Klägerin hat beantragt,
11den streitbefangenen Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 19. September 2016 in der Gestalt der Reduzierung vom 19. September 2017 aufzuheben.
12Die Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung hat sie vorgetragen, die sachliche Beitragspflicht sei mit dem Abschluss des Grunderwerbs entstanden. Die zur Verkehrsfläche gehörenden Flächen seien ausparzelliert und von ihrem übrigen Grundvermögen getrennt worden. Die neu entstandenen Flurstücke 1335 und 1339 seien dabei nicht in das Grundbuch eingetragen worden, weil diese Flächen nach § 3 Abs. 2 GBO von der Buchungspflicht befreit und auch zuvor nicht im Grundbuch geführt worden seien. Anders als Flurstücke, die von Privaten erworben würden und deshalb schon im Grundbuch verzeichnet seien, würden Wegeparzellen, die schon seit längerer Zeit im Eigentum der Stadt stünden und als öffentliche Verkehrsfläche gewidmet seien, häufig nicht im Grundbuch gebucht.
15Die vom Heranziehungsbescheid erfassten Flurstücke der Klägerin bildeten eine wirtschaftliche Einheit, da sie im Grundbuch unter einer laufenden Nummer verzeichnet seien. Darüber hinaus würden sie auch einheitlich für gewerbliche Zwecke genutzt. Der durch die N.----straße vermittelte Erschließungsvorteil erfasse die gesamte Grundstücksfläche. Auf die Erreichbarkeit sämtlicher Teile des Grundstücks von dort aus komme es nicht an, zumal eine dafür hinderliche Bebauung im Einflussbereich der Eigentümerin liege. Das einheitliche Grundstück sei nach § 4 Abs. 7 EBS mit einem Zuschlag für sechsgeschossige Bebaubarkeit in die Verteilung einzubeziehen, weil mit Befreiungsbescheid vom 10. September 1987 für eine Teilfläche eine Aufstockung auf fünf Obergeschosse genehmigt worden sei und sich mit dem Erdgeschoss insgesamt sechs Vollgeschosse ergäben. Der Artzuschlag nach § 4 Abs. 3 EBS sei auf die im Gewerbegebiet gelegenen Flächen des Grundstücks beschränkt worden, weil die Satzung einen derartigen Zuschlag für Mischgebiete nicht vorsehe. Eine Eckgrundstücksvergünstigung komme auch für die im Mischgebiet gelegene Teilfläche nicht in Betracht, weil diese so weit von der Erschließungsanlage entfernt liege, dass sie nach § 5 Abs. 2 EBS selbst dann keine Vergünstigung erhalten würde, wenn das gesamte Grundstück im Mischgebiet läge. Die Berechnung des Erschließungsbeitrags sei tatsächlich zu Lasten der Klägerin fehlerhaft, und zwar in Höhe von 16,89 Euro.
16Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. September 2017 abgewiesen. Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Bescheides seien §§ 127 ff. BauGB i. V. m. der Erschließungsbeitragssatzung (EBS) der Beklagten. Gemäß § 133 Abs. 2 BauGB entstehe die sachliche Beitragspflicht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Gemäß § 7 Abs. 1 Buchst. a EBS setze die endgültige Herstellung von Straßen u. a. voraus, dass die Stadt Eigentümerin der Flächen für die Erschließungsanlagen sei. Dieses Herstellungsmerkmal sei aber nicht bereits dann erfüllt, wenn die Straßenfläche im zivilrechtlichen Eigentum der Gemeinde stehe, sondern erst dann, wenn die der Erschließung dienende Fläche vermessen, von den anderen Grundstücken abgeschrieben und die Gemeinde als Eigentümerin der so getrennten Flächen im Grundbuch eingetragen sei. In diesem Sinne sei der Grunderwerb nunmehr abgeschlossen, weil die Beklagte bei sämtlichen Grundstücken, deren Fläche nur teilweise zur Erschließungsanlage gehört hatte, die entsprechenden Teilflächen vermessen und abgeschrieben habe. Zwar habe sie nur die aus den vormaligen Flurstücken 289 und 738 herausgetrennten neuen Flurstücke 1338 (Blatt 44078) und 946 (Blatt 44079) unter ihrer Eigentümerstellung in das Grundbuch eintragen lassen, nicht aber die aus den vormaligen Flurstücken 1271 und 1277 herausgetrennten neuen Flurstücke 1335 und 1339. Dies stehe dem Abschluss des Grunderwerbs aber nicht entgegen. Das Herstellungsmerkmal „Eigentümerin der Flächen für die Erschließungsanlagen“ sei dahingehend auszulegen, dass sämtliche unter § 128 BauGB fallenden Kosten des Grunderwerbs und damit auch die Kosten der Grundbucheintragung erfasst werden sollten. Entstünden solche Eintragungskosten im Einzelfall aber nicht, weil die Gemeinde von ihrem Wahlrecht aus § 3 Abs. 2 GBO Gebrauch mache und von einer erstmaligen Eintragung der schon länger in ihrem Eigentum stehenden, nicht der Buchungspflicht nach § 3 Abs. 1 GBO unterliegenden Verkehrsflächen absehe, sei der Grunderwerb bezüglich solcher Flächen mit dieser Entscheidung abgeschlossen. Durch die vom Katasteramt ausgestellten Flurstücks- und Eigentumsnachweise bezüglich der Flurstücke 1335 und 1339 vom 5. Januar 2016 bzw. vom 19. Januar 2016 seien die Eigentumsverhältnisse auch insoweit hinreichend dokumentiert.
17Die Bemessung des dem Grunde nach entstandenen Beitrags sei jedenfalls nicht zu Lasten der Klägerin fehlerhaft. Die Beklagte habe zu Recht die gesamte Fläche der im Erschließungsbeitragsbescheid aufgeführten Flurstücke als ein einheitliches Grundstück im beitragsrechtlichen Sinne angesehen. Auch eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass das gesamte Buchgrundstück als von der Anlage erschlossen anzusehen sei, liege nicht vor. Den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. II/2/54.00 lasse sich eine zweifelsfreie Zuordnung einzelner Bereiche des Buchgrundstücks zu einer bestimmten Erschließungsanlage nicht entnehmen. Gemäß § 4 Abs. 3 EBS sei der Betrag der nach § 4 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 11 EBS maßgeblichen Grundstücksfläche um einen die Art und das Maß der baulichen Ausnutzbarkeit berücksichtigenden Zuschlag in Höhe von 280 v. H. der Grundstücksfläche zu erhöhen, weil das Grundstück im Sinne dieser Regelung „im Gewerbegebiet“ liege und mit bis zu sechs Vollgeschossen bebaut sei. Die Regelung finde auch dann Anwendung, wenn ein Grundstück - wie hier - nicht vollständig in einem Gewerbegebiet liege. Für eine rechnerische Aufteilung des Grundstücks in eine zuschlagspflichtige Gewerbegebiets- und eine zuschlagsfreie Mischgebietsteilfläche, wie sie die Beklagte vorgenommen habe, gebe die Regelung in § 4 Abs. 2 und 3 EBS nichts her.
18Zu Recht sei die Beklagte von einer sechsgeschossigen Bebaubarkeit des Grundstücks ausgegangen. Denn nach § 4 Abs. 7a) EBS sei bei Grundstücken in beplanten Gebieten, für die der Bebauungsplan weder die Anzahl der Vollgeschosse noch die Baumassenzahl festsetze, die Höchstzahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse maßgebend. Aufgrund des Befreiungsbescheides der Beklagten vom 10. Juli 1987 sei das Produktionsgebäude auf dem Buchgrundstück um das 5. Obergeschoss, auf mithin sechs Vollgeschosse, aufgestockt worden.
19Eine sog. Eckgrundstücksvergünstigung wegen der Erschließung des Grundstücks durch mehrere Erschließungsanlagen scheide nach § 5 Abs. 5 Buchst. a EBS für Grundstücke in Gewerbegebieten aus, zu denen - ungeachtet der Teilfläche im Mischgebiet - auch das streitbefangene Grundstück zähle. Ob der Beklagten bei der Beitragsberechnung im streitbefangenen Erschließungsbeitragsbescheid ein rechnerischer Fehler in Höhe von ca. 36 Euro unterlaufen sei, wie die Klägerin meine, könne offen bleiben, weil insoweit eine Rechtsverletzung zu ihren Lasten ausgeschlossen sei. Denn der von der Beklagten festgesetzte Erschließungsbeitrag sei durch die rechtsfehlerhafte Beschränkung des erhöhten Artzuschlags auf die von der Gewerbegebietsfestsetzung erfasste Teilfläche hinter der für das streitbefangene Grundstück entstandenen sachlichen Beitragspflicht zurückgeblieben, und zwar in einem Umfang, der den Betrag des angeblichen Rechenfehlers bei Weitem übertreffe.
20Die Beitragserhebung verstoße schließlich auch nicht gegen das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Danach sei die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen nach der in Nordrhein-Westfalen geltenden Rechtslage ausgeschlossen, wenn zwischen dem Entstehen einer abzugeltenden Vorteilslage und dem Bescheiderlass mehr als 30 Jahre vergangen seien. Dies sei hier nicht der Fall.
21Zur Begründung ihrer mit Beschluss vom 8. November 2019 vom Senat zugelassenen Berufung führt die Klägerin aus: Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 3 Abs. 2 GBO greife zu kurz. Nach der Parzellierung der ehemaligen Flurstücke 1271 und 1277 müssten die aus den genannten Flurstücken gebildeten neuen Flurstücke, die zur Straßenfläche der N.----straße gehörten, zwar nicht in das Grundbuch eingebucht werden, allerdings müsse ihre Nicht-Buchung in den Veränderungsnachweisen des Grundbuchs vermerkt sein. Diesen Anforderungen sei im Hinblick auf die Flurstücke 1335 und 1339 nicht Genüge getan, weshalb die sachliche Beitragspflicht bislang nicht entstanden sei. Der Beitrag sei ferner der Höhe nach unrichtig, weil die Erschließungswirkung der N.----straße planerisch eindeutig auf eine Teilfläche des klägerischen Grundstücks begrenzt sei. Den Festsetzungen des Bebauungsplans lasse sich eine Zuordnung einzelner Bereiche des Buchgrundstücks zu bestimmten Erschließungsanlagen entnehmen. Durch sog. Perlschnüre seien einzelne Teilbereiche des Grundstücks verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten (Mischgebietsfläche im Nordwesten sowie mehrere Gewerbegebietsflächen) zugeordnet worden. Diese Teilflächen, für die jeweils ein unterschiedliches Maß und eine unterschiedliche Art der baulichen Nutzung festgesetzt seien, könnten angesichts ihrer Lage jeweils (nur) einer bestimmten Anbaustraße zugeordnet werden.
22Soweit das Verwaltungsgericht den Artzuschlag nach § 4 Abs. 3 EBS auch auf solche Grundstücke erstreckt habe, die nur teilweise im Gewerbegebiet lägen, lasse sich dies mit der genannten Satzungsnorm nicht in Einklang bringen. Weder der Wortlaut der Vorschrift noch der Gedanke der Vorteilsgerechtigkeit gäben etwas für ein solches Verständnis her. Der größere Vorteil, den die Festsetzung als Gewerbegebiet mit sich bringe, beschränke sich auf den entsprechenden Teilbereich des Grundstücks. Die gesamte Grundstücksfläche sei deshalb in zuschlagspflichtige Gewerbegebiets- und zuschlagsfreie Mischgebietsflächen aufzuteilen. Das Verwaltungsgericht gehe ferner zu Unrecht von einer sechsgeschossigen Bebaubarkeit der gesamten Grundstücksfläche aus. Der in § 4 Abs. 7 Buchst. a EBS verwendete Begriff des „Grundstücks“ müsse restriktiv dahingehend verstanden werden, dass lediglich das jeweilige Flurstück gemeint sei. Ausgehend davon müsse für jedes Flurstück die Höchstzahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse gesondert ermittelt werden. Es sei unzulässig, die gesamte Grundstücksfläche einheitlich nach der lediglich auf einem Flurstück vorhandenen Höchstzahl von sechs Vollgeschossen zu behandeln.
23Schließlich komme vorliegend der am 1. Juni 2022 in Kraft getretene § 3 BauGB-AG NRW zur Anwendung. Nach dessen Absatz 2 sei eine Beitragserhebung ausgeschlossen, weil der Eintritt der Vorteilslage spätestens mit der Widmung am 25. Oktober 1996 erfolgt sei und im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits mehr als 20 Jahre zurückgelegen habe. Lege man die Norm so aus, dass lediglich der Beitragsbescheid vor Ablauf von 20 Jahren erlassen worden sein müsse, so verstoße dies gegen den Grundsatz der Belastungsklarheit und überdies - im Verhältnis zu den Absatz 1 unterfallenden Konstellationen - gegen Art. 3 Abs. 1 GG, so dass die Vorschrift dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen sei. Zudem sei jedenfalls für die Teilstrecke der N.----straße zwischen L.-----straße und Meller Straße die Beitragserhebung nach § 3 Abs. 4 BauGB-AG NRW ausgeschlossen, weil mit den entsprechenden Bauarbeiten bereits vor 1985 begonnen worden sei.
24Die Klägerin beantragt,
25das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 19. September 2017 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 19. September 2016 in der Fassung der in der mündlichen Verhandlung vom 19. September 2017 durch die Beklagte erklärten Beitragsreduzierung auf 68.732,41 Euro aufzuheben.
26Die Beklagte beantragt,
27die Berufung zurückzuweisen.
28Sie trägt zur Begründung vor: Der Grunderwerb sei abgeschlossen. Bei den von der Klägerin thematisierten Flurstücken 1335 und 1339 handele es sich um solche, die aus den bereits zuvor als Straßenflächen im Eigentum der Beklagten stehenden Flurstücken 1271 und 1277 herausparzelliert worden seien. Diese seien nicht im Grundbuch geführt worden und von der Buchungspflicht nach § 3 Abs. 2 GBO befreit gewesen. Gleiches gelte für die Teilungsvorgänge.
29Ein Abweichen vom im Erschließungsbeitragsrecht maßgeblichen Grundstücksbegriff des bürgerlichen Rechts - dem Buchgrundstück - bei der Veranlagung komme nicht in Betracht. Zwar treffe der maßgebliche Bebauungsplan für verschiedene Bereiche des Grundstücks unterschiedliche Festsetzungen. Weder die Unterteilung in Misch- und Gewerbegebiet noch die durch die sog. Perlschnüre erfolgte Trennung von Bereichen, in denen unterschiedliche Gebäudehöhen zulässig seien, rechtfertige jedoch eine daran anknüpfende Zuordnung der Erschließung zu den umliegenden Straßen. Das gesamte Grundstück erfahre vielmehr durch jede der angrenzenden Anlagen eine Gebrauchswerterhöhung.
30Für die Geschossanzahl sei die Höchstzahl der Vollgeschosse auf dem Grundstück maßgeblich und irrelevant, ob sich diese nur auf einen Teilbereich erstrecke. Der Gewerbezuschlag sei hingegen - wie von der Klägerin für richtig befunden - nur für die Teilfläche erhoben worden, die im Gewerbegebiet belegen sei. Die Berechnung für den als Mischgebiet ausgewiesenen Teil des Grundstücks habe ursprünglich einen Rechenfehler enthalten. Dieser sei korrigiert und der Beitrag um 16,89 Euro gesenkt worden.
31Die neu geschaffene Regelung des § 3 BauGB-AG NRW stehe einer Beitragserhebung nicht entgegen. Die Vorteilslage sei erst im Jahr 2012 mit dem Abschluss des Grunderwerbs eingetreten. Etwas anderes ergebe sich aber auch nicht, wenn man auf die Beendigung der technischen Herstellung im Jahr 1996 abstelle. Da der Erschließungsbeitrag im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits mit noch nicht bestandskräftigem Bescheid festgesetzt gewesen sei, komme die 20-Jahres-Frist des § 3 Abs. 2 BauGB-AG NRW zur Anwendung. Diese führe auf einen Fristablauf mit dem 31. Dezember 2016. Maßgeblich sei allein, dass der streitgegenständliche Bescheid vor Fristablauf erlassen worden sei. Es komme allenfalls ein Ausschluss nach § 3 Abs. 4 BauGB-AG NRW in Betracht, weil mit den Bauarbeiten eines Teils der N.----straße (L.-----straße bis N1. Straße) bereits im Jahr 1985 begonnen worden sei. Insofern stehe aber wegen der in § 3 Abs. 4 Satz 2 BauGB-AG NRW vorgesehenen Begrenzung des Ausschlusses auf die entsprechende Teilstrecke allenfalls eine Neuberechnung im Raum.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
33Entscheidungsgründe:
34Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, weil der streitgegenständliche Bescheid vom 19. September 2016 in der Fassung vom 19. September 2017 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
35Der Erschließungsbeitragsbescheid beruht auf §§ 127 ff. BauGB i. V. m. der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten. Ausgehend davon ist die sachliche Beitragspflicht entstanden (dazu I.) und die festgesetzte Beitragshöhe nicht zu beanstanden (dazu II.). Einer Beitragsfestsetzung steht auch nicht die am 1. Juni 2022 in Kraft getretene Regelung des § 3 BauGB-AG NRW entgegen (dazu III.).
36I. Die sachliche Beitragspflicht ist mit der Eintragung des Flurstücks 1338 in das Grundbuch am 4. Februar 2016 und dem damit zugleich erfolgten Abschluss des Grunderwerbs entstanden.
37Nach § 7 Abs. 1 Buchst. a EBS gehört zu den Merkmalen der endgültigen Herstellung von Straßen u. a., dass „die Stadt Eigentümerin der Flächen für die Erschließungsanlagen ist“. Eine Regelung dieses Inhalts ist im Allgemeinen so zu verstehen, dass die Gemeinde entweder die vermessenen Flächen von Dritten erworben oder die aus ihrem sonstigen Grundeigentum für die Erschließungsanlage bereitgestellten Flächen vermessen und von den anderen Grundstücken abgeschrieben haben sowie als Eigentümerin der so getrennten Flächen eingetragen sein muss.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 1975- IV C 76.73 -, BeckRS 1975, 31291231; OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Dezember 2008 - 15 A 528/08 -, juris Rn. 27, und vom 18. Juli 2008- 15 A 4139/06 -, juris Rn. 7, sowie Urteil vom 27. September 2002 - 3 A 2259/99 -, juris Rn. 26.
39Hintergrund dieser Auslegung ist die Überlegung, dass ein den Grunderwerb zum Herstellungsmerkmal bestimmender Ortsgesetzgeber aller Wahrscheinlichkeit nach mit seiner Satzung von den durch §§ 127 ff. BauGB eingeräumten Möglichkeiten in einem solchen Umfang Gebrauch machen will, dass alle Kosten, die unter § 128 BauGB fallen - mithin auch jene der Vermessung und Grundbucheintragung -, umgelegt werden können und auch dann nicht zu Lasten des allgemeinen Gemeindehaushalts gehen, wenn sie in der Kette der zur Herstellung der Erschließungsanlage aufzuwendenden Kosten - mehr oder weniger zufällig - als letzte entstanden sind.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 1975- IV C 76.73 -, BeckRS 1975, 31291231; OVG NRW, Urteil vom 27. September 2002 - 3 A 2259/99 -, juris Rn. 28.
41Ausgehend von diesem Zweck bedarf die dargestellte Rechtsprechung der Konkretisierung für den Fall, dass ein Grundstück nach § 3 Abs. 2 GBO im Grundbuch nicht geführt wird. Nach dieser Vorschrift erhalten u. a. Grundstücke der Gemeinden sowie die öffentlichen Wege ein Grundbuchblatt nur auf Antrag des Eigentümers oder eines Berechtigten. War danach für die Fläche, aus der Teilstücke für die Erschließungsanlage herausparzelliert worden sind, zuvor kein Grundbuchblatt angelegt, und wird ein entsprechender Antrag - mit der Folge des Anlegens eines entsprechenden Grundbuchblattes nebst Eintragung der Gemeinde als Eigentümerin - auch nicht im Zuge der Parzellierung gestellt, bedarf es für die Entstehung der Beitragspflicht der Grundbucheintragung der Gemeinde abweichend vom oben dargestellten Grundsatz nicht. Denn das Erfordernis der Eintragung der Gemeinde für den Abschluss des Grunderwerbs soll lediglich sicherstellen, dass auch die damit verbundenen Kosten zum abrechenbaren Erschließungsaufwand gehören. Entstehen Kosten für eine Grundbucheintragung aber gar nicht, weil kein Antrag auf Anlegung eines Grundbuchblatts gestellt wird, besteht kein Grund für die Anknüpfung an den Eintrag als Voraussetzung für die Entstehung der Beitragspflicht. In diesem Fall bedarf es für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht vielmehr (nur) der Eintragung der Änderungen im Liegenschaftskataster sowie des Eingangs des für die Vermessung und Flurstücksbildung erteilten Gebührenbescheides.
42Gemessen daran ist das Herstellungsmerkmal des Grunderwerbs vorliegend erfüllt, weil die Beklagte nicht nur Eigentümerin der gesamten Fläche der Erschließungsanlage ist, sondern darüber hinaus bei sämtlichen Grundstücken, deren Flächen nur teilweise zur Erschließungsanlage gehört hatten, diese Teilflächen vermessen und abgeschrieben hat. Soweit nach dem vorgehend Dargestellten erforderlich, ist die Beklagte auch als Eigentümerin der Flächen im Grundbuch eingetragen. Dies gilt namentlich für die Teilflächen der ehemaligen Flurstücke 289 und 738, an deren Vermessung und Abschreibung es im Jahr 2013 ausweislich der damaligen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung noch gefehlt hatte.
43Der Umstand, dass eine Grundbucheintragung der Beklagten im Hinblick auf die zur Fläche der Erschließungsanlage gehörenden Flurstücke 1335 und 1339 unterblieben ist, hindert die Entstehung der Beitragspflicht hingegen nicht. Diese Flurstücke sind durch Parzellierung der vormaligen Flurstücke 1271 und 1277 entstanden, die bereits vor ihrer Teilung im Eigentum der Beklagten standen und deshalb nach § 3 Abs. 2 GBO nicht im Grundbuch erfasst waren. Eine Eintragung ist auch im Zuge der Parzellierung nicht erfolgt und musste auch grundbuchrechtlich nicht erfolgen. Gleiches gilt - ohne dass dies für die Entstehung der Beitragspflicht relevant wäre - im Hinblick auf die durch die notwendige Abschreibung entstandenen Flurstücke 1336 und 1340, die außerhalb der Erschließungsanlage liegen. Die Teilung der Flurstücke ist im Liegenschaftskataster ausweislich der Mitteilungen des Amtes für Geoinformation und Kataster vom 6. Januar 2016 (Flurstück 1335) und vom 20. Januar 2016 (Flurstück 1339) übernommen worden, wobei die Fortführungsmitteilungen jeweils auf die Befreiung von der Buchungspflicht Bezug nehmen. Die Gebührenbescheide für Vermessung und Flurstücksbildung lagen am 11. Januar bzw. am 1. Februar 2016 bei der Beklagten vor.
44Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang ausführt, die Nicht-Buchung der parzellierten Flurstücke müsse in den Veränderungsnachweisen des Grundbuchs vermerkt sein, besteht ein solches Erfordernis schon deswegen nicht, weil bereits für die Flurstücke 1271 und 1277, aus denen die neuen Flurstücke 1335, 1336, 1339 und 1340 hervorgegangen sind, nach § 3 Abs. 2 GBO keine Grundbuchblätter angelegt waren. Insofern bedarf es auch keines Nachweises in den Grundakten, wie diese Flurstücke fortgeführt werden. Schließlich hätte ein derartiges Versäumnis nach dem oben Gesagten auch keinen Einfluss auf die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht, weil mit der Vorlage eines (hier bereits erstellten) Veränderungsnachweises beim Grundbuchamt keine Kosten einhergehen.
45II. Der Erschließungsbeitrag ist nicht zu Lasten der Klägerin zu hoch festgesetzt. Das Grundstück ist mit seiner gesamten Fläche bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands zu berücksichtigen (dazu 1.). Der zur Anwendung kommende Artzuschlag beträgt 280 %; Vergünstigungen sind nicht zu gewähren (dazu 2.).
461. a) Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das gesamte unter Nr. 24 des Bestandsverzeichnisses im Grundbuch geführte Grundstück, d. h. alle 14 Flurstücke, der Veranlagung zu Grunde zu legen sind. Im Rahmen der erschließungsbeitragsrechtlichen Aufwandsverteilung ist im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit grundsätzlich vom bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff im Sinne des Grundbuchrechts auszugehen (formeller Grundstücksbegriff). Unter einem Grundstück in diesem Sinne ist ein solcher Teil der Erdoberfläche zu verstehen, der auf einem besonderen Grundbuchblatt unter einer besonderen Nummer im Verzeichnis der Grundstücke gebucht ist. Nur ausnahmsweise können Aspekte des Vorteilsausgleichs dazu führen, dass von diesem - hier alle Flurstücke erfassenden - Grundstücksbegriff abzuweichen ist. Die Verkleinerung eines Grundstücks im bürgerlich-rechtlichen Sinn kommt dabei nur dann in Betracht, wenn von einem beplanten Buchgrundstück nur ein Teil bebaubar oder erschließungsbeitragsrechtlich relevant nutzbar, der übrige abgrenzbare Teil aber schlechthin von einer Bebaubarkeit ausgeschlossen ist (vgl. § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB).
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1977 - IV C 35.74 -, juris Rn. 12 f.
48Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben; das gesamte klägerische Grundstück, das überwiegend im Gewerbegebiet und zu einem nur geringen Teil im Mischgebiet liegt, ist baulich nutzbar und auch tatsächlich weitgehend bebaut.
49b) Auch die Erschließungswirkung der Anlage erstreckt sich auf das gesamte Grundstück der Klägerin. Auszugehen ist davon, dass bei einem beplanten Grundstück, das an eine Anbaustraße angrenzt und durch diese erschlossen wird, grundsätzlich die gesamte vom Bebauungsplan erfasste Fläche als durch die Anlage erschlossen anzusehen ist, und zwar auch dann, wenn das Grundstück zusätzlich noch an eine andere Anbaustraße angrenzt. Von diesem Grundsatz kann eine Ausnahme zu machen sein, wenn sich die von einer Anbaustraße ausgehende Erschließungswirkung eindeutig auf eine Teilfläche des Grundstücks beschränkt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein übergroßes Grundstück zwei ihrem Charakter nach völlig unterschiedlichen Baugebieten angehört und der Bebauungsplan die Teilflächen an verschiedene Anbaustraßen anbindet. Derartige planerische Festsetzungen begründen die Vermutung einer ihnen entsprechenden Begrenzung der Erschließungswirkung. Diese Vermutung kann jedoch durch die tatsächlichen Umstände widerlegt werden, und sie wird jedenfalls dann widerlegt, wenn bei einer solchen Sachlage die Voraussetzungen erfüllt sind, bei deren Vorliegen das Erschlossensein des rückwärtigen Grundstücksteils selbst dann zu bejahen wäre, wenn es sich um ein selbständiges Hinterlieger(buch)grundstück desselben Eigentümers handelte. Das liegt als Konsequenz auf der Hand. Denn die Anforderungen an das Erschlossensein des rückwärtigen Teils eines an eine Anbaustraße angrenzenden Buchgrundstücks können nicht höher sein als die Anforderungen an das Erschlossensein eines Hinterliegergrundstücks, wenn dieses und das trennende Anliegergrundstück im Eigentum derselben Person stehen.
50Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1989 - 8 C 78.88 -, juris Rn. 23 f. m. w. N.
51Hinterliegergrundstücke sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als erschlossen anzusehen und lösen eine Beitragspflicht aus, wenn das Hinterliegergrundstück durch eine dauerhafte, rechtlich gesicherte Zufahrt mit der Anlage verbunden ist. Doch auch ohne eine solche Zufahrt ist ein Erschlossensein des Hinterliegergrundstücks anzunehmen, wenn entweder das Hinterliegergrundstück zwar durch ein selbständig bebaubares Anliegergrundstück desselben Eigentümers von der Erschließungsanlage getrennt, jedoch tatsächlich durch eine Zufahrt über dieses Grundstück mit der Anlage verbunden ist, oder wenn bei Eigentümeridentität Hinter- und Anliegergrundstück zulässigerweise einheitlich genutzt werden.
52Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Januar 1988 - 8 C 111.86 -, juris Rn. 17 ff., vom 23. Februar 1989- 8 C 78.88 -, juris Rn. 24, vom 12. November 2014 - 9 C 4.13 -, juris Rn. 13, und vom 7. März 2017 - 9 C 20.15 -, juris Rn. 39, sowie Beschluss vom 6. September 2018 - 9 C 8.18 -, juris Rn. 10, 16.
53Ausgehend davon kann hier dahinstehen, ob die planerischen Festsetzungen die Vermutung für eine begrenzte Erschließungswirkung der Anlage N.----straße für das klägerische Grundstück begründen. Dagegen spricht - wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat -, dass keine Baufenster festgelegt wurden, deren Erschließung einer bestimmten Anbaustraße zugeordnet worden sein könnte, sondern die Grundstückfläche - vorbehaltlich des insofern zulässigen Maßes der baulichen Nutzung - insgesamt überbaubar ist. Ferner handelt es sich bei den abgegrenzten Teilbereichen unterschiedlicher Nutzungsmöglichkeiten - eine Mischgebietsfläche im Nordwesten sowie Gewerbegebietsflächen - nicht um völlig unterschiedliche Baugebiete. Den damit verbundenen Fragen muss der Senat jedoch nicht weiter nachgehen. Denn die (unterstellte) Vermutung für eine begrenzte Erschließungswirkung wird jedenfalls durch die tatsächlichen Umstände widerlegt, weil die rückwärtigen Grundstücksteile - etwa die potentiell auf die T.-------straße ausgerichtete Mischgebietsfläche - auch dann als erschlossen anzusehen wären, wenn es sich um ein selbständiges Hinterlieger(buch)grundstück desselben Eigentümers handelte. Dies folgt hier daraus, dass das Grundstück in zulässiger Weise einheitlich gewerblich genutzt wird.
542. Auf die nach § 4 Abs. 11 EBS maßgebliche Grundstücksfläche von 13.885 qm ist der die Art und das Maß der baulichen Nutzung berücksichtigende Zuschlag in Höhe von 280 v. H. nach § 4 Abs. 3 EBS für eine sechsgeschossige Bebaubarkeit im Gewerbegebiet anzuwenden.
55a) Das klägerische Grundstück unterfällt dem Regime des § 4 Abs. 3 EBS, der die Höhe der Zuschläge für Grundstücke „in Kern-, Gewerbe- und Industriegebieten sowie in Gebieten [regelt], die entsprechende Festsetzungen aus der Zeit vor Inkrafttreten der Baunutzungsverordnung vom 26.06.1962 (BGBl. I S. 429) enthalten“. Es handelt sich bei dem Grundstück um ein solches in einem Gewerbegebiet im Sinne der Vorschrift, auch wenn nach dem Bebauungsplan für die Teilfläche im Nordwesten die Festsetzung „Mischgebiet“ erfolgt ist. Dies ergibt sich daraus, dass die im Mischgebiet liegende Fläche des (einheitlichen) Grundstücks weniger als 50 % der Gesamtfläche beträgt, und beruht in diesem Zusammenhang auf folgenden Überlegungen:
56Die Satzungsregelung in § 4 EBS zur Höhe des Zuschlags nach Art und Maß der baulichen Nutzung differenziert im Ausgangspunkt - lässt man die hier unerhebliche Sonderkonstellation der ausschließlichen Festlegung von Baumassezahlen (Absatz 4) außer Betracht - zwischen Grundstücken in Kern-, Gewerbe- und Industriegebieten bzw. Gebieten mit entsprechenden Festsetzungen (Absatz 3, sog. gebietsbezogener Artzuschlag) und sonstigen Grundstücken (Absatz 2). Mangels anderweitiger Anhaltspunkte in der Satzung ist dabei davon auszugehen, dass der Begriff des Grundstücks in § 4 Abs. 3 EBS nach den allgemeinen im Erschließungsbeitragsrecht geltenden Grundsätzen zu bestimmen ist, hier also der bürgerlich-rechtliche Grundstücksbegriff zur Anwendung kommt.
57Danach liegt das Grundstück mit 85 % seiner Gesamtfläche in einem festgesetzten Gewerbegebiet und im Übrigen in einem Mischgebiet. Die Erschließungsbeitragssatzung enthält indes weder eine Begrenzung des höheren Zuschlags nach § 4 Abs. 3 EBS auf die im Gewerbegebiet belegene Teilfläche („soweit“) noch eine sonstige ausdrückliche (Sonder-)Regelung für derartige Konstellationen. Aus diesem Grund kommt lediglich die Anwendung der Regelung in Absatz 3 oder - wenn deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind - der „Auffangregelung“ des Absatz 2 jeweils in Bezug auf das gesamte Grundstück in Betracht. Für die Erhebung unterschiedlicher, zwischen den Teilflächen differenzierender Zuschläge, wie sie die Beklagte vorgenommen hat, bietet der Normtext hingegen keinen Anhalt.
58Dies zugrunde gelegt, ist § 4 Abs. 3 EBS auch auf solche Grundstücke anzuwenden, deren im Gewerbe-, Kern- oder Industriebetrieb liegender Flächenanteil mehr als 50 % beträgt. Zwar ließe der Wortlaut der Vorschrift auch Raum für eine noch weitergehende Auslegung, nach der jegliche in einem der genannten Gebiete liegende Teilfläche eines Grundstücks - unabhängig von ihrer Größe - den gebietsbezogenen Artzuschlag auslöst. Allerdings sprechen Sinn und Zweck der Regelung sowie systematische Aspekte für das dargestellte restriktivere Verständnis. Der im Vergleich zu den sonstigen Grundstücken erhöhte, die Art der baulichen Nutzung berücksichtigende Zuschlag für Grundstücke in Gewerbe- und Industriegebieten dient dem Grundsatz der Vorteilsgerechtigkeit. Die durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer hergestellten Straße ausgelösten Erschließungsvorteile für gewerblich und industriell genutzte Grundstücke fallen im Vergleich zu anderen Nutzungsarten erheblich größer aus.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 9 C 28.14 -, juris Rn. 16; OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2010 - 15 A 3231/07 -, juris Rn. 47.
60Der mit der Belegenheit im beplanten Gewerbe- und Industriegebiet bei typisierender Betrachtung verbundene erhöhte Erschließungsvorteil setzt aber voraus, dass das Grundstück zumindest mit einem relevanten Anteil einer entsprechenden Festsetzung unterliegt. Bei der Höhe dieses Anteils ist aus systematischen Erwägungen auf die Regelungen des § 4 Abs. 9 Satz 2 und 3 EBS zurückzugreifen. Für den dort normierten, sog. grundstücksbezogenen Artzuschlag, der für im unbeplanten Bereich liegende Grundstücke gilt, hat der Satzungsgeber zum Ausdruck gebracht, dass im Falle eines Zusammentreffens von qualifizierten und sonstigen Nutzungsarten der Zuschlag des Absatz 3 nur bei einem Überwiegen der qualifizierten Nutzung zur Anwendung gelangen soll. Der Gesichtspunkt der auch in dieser Konstellation zu berücksichtigenden Vorteilsgerechtigkeit sowie der aus § 4 Abs. 9 Satz 2 und 3 EBS abzuleitende mutmaßliche Wille des Satzungsgebers sprechen für eine Übertragung der 50 + x %-Grenze auf den gebietsbezogenen Artzuschlag.
61b) Die gesamte Grundstücksfläche ist nach § 4 Abs. 3 EBS bei der Berechnung des Beitrags mit einem Zuschlag in Höhe von 280 v. H. zu berücksichtigen, weil von einer sechsgeschossigen Bebaubarkeit auszugehen ist. Mangels Festsetzung einer höchstzulässigen Geschosszahl (vgl. § 4 Abs. 5 EBS) oder Baumassenzahl (§ 4 Abs. 4 EBS) im Bebauungsplan ist nach § 4 Abs. 7 Buchst. a EBS die Höchstzahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse maßgebend. Aufgrund des Befreiungsbescheides der Beklagten vom 10. Juli 1987 wurde das Produktionsgebäude auf dem Buchgrundstück um das 5. Obergeschoss, auf mithin sechs Vollgeschosse, aufgestockt. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist im Hinblick auf die Höchstzahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse nicht nach den verschiedenen Flurstücken des Buchgrundstücks zu differenzieren, sondern bezieht sich der Zuschlag einheitlich auf die gesamte Grundstücksfläche. Zunächst bietet der Wortlaut der Satzung, der an das jeweilige „Grundstück“ anknüpft, für ein solches Verständnis keinen Anhalt. Im Rahmen der erschließungsbeitragsrechtlichen Aufwandsverteilung ist vielmehr, wie bereits dargelegt, im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit grundsätzlich vom bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff im Sinne des Grundbuchrechts auszugehen. Ferner setzt die nach der Satzung maßgebliche „Höchstzahl“ der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse auch nicht voraus, dass diese für sämtliche Flurstücke des Buchgrundstücks identisch ist, sondern nimmt ersichtlich - auch für den Fall „gestaffelter“ tatsächlich vorhandener Geschosszahlen - auf die höchste Geschosszahl Bezug. Eine solche Satzungsregelung ist rechtlich nicht zu beanstanden und insbesondere mit dem Grundsatz der Vorteilsgerechtigkeit zu vereinbaren.
62Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1986- 8 C 9.86 -, juris Rn. 36 f.; OVG NRW, Beschluss vom 24. August 2017 - 15 A 705/15 -, juris Rn. 12 ff. m. w. N. (jeweils zu einer Regelung, die auf die „höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse“ abstellt); vgl. ferner OVG NRW, Beschluss vom 13. August 2018 - 15 A 1869/17 -, juris Rn. 10 ff. (zum Straßenausbaubeitragsrecht).
63c) Ob für das Grundstück der Klägerin eine Vergünstigung nach § 5 EBS zu gewähren war, weil es durch mehrere Erschließungsanlagen erschlossen wird, kann dahinstehen. Die dadurch eintretende Ermäßigung auf zwei Drittel (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 EBS) wäre nach § 5 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 EBS jedenfalls auf eine 900 qm große Teilfläche beschränkt. Die sich daraus potentiell für die Klägerin ergebende Reduktion ist daher deutlich geringer als der Mehrbetrag, der sich aus der zutreffenden Anwendung des Zuschlags in Höhe von 280 v. H. auch für die Mischgebietsfläche ergibt (2.119 qm, die mit einem Zuschlag von nur 115 v. H. statt 280 v. H. berücksichtigt worden sind). Im Übrigen spricht aber auch Vieles für die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Auffassung, dass auf das klägerische Grundstück die Eckgrundstücksvergünstigung nach § 5 Abs. 5 Buchst. a EBS keine Anwendung findet, weil es ganz überwiegend im Gewerbegebiet belegen ist und insofern die Ausführungen zu § 4 Abs. 3 EBS entsprechend gelten. Darüber hinaus dürfte die Begrenzung der Vergünstigung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 EBS auf die an der Ecke belegene Teilfläche des jeweiligen Grundstücks bezogen sein, die hier gerade im Gewerbegebiet liegt.
64Auch etwaige, von der Klägerin angesprochene Rechenfehler in Höhe eines zweistelligen Betrags, die die Beklagte zudem bereits in gewissem Umfang eingeräumt und den Bescheid insoweit im erstinstanzlichen Verfahren aufgehoben hat, hätten jedenfalls einen geringeren Umfang als der durch den höheren Zuschlag entstehende Mehrbetrag.
65III. Einer Beitragsfestsetzung steht schließlich auch weder die am 1. Juni 2022 in Kraft getretene Regelung des § 3 BauGB-AG NRW noch das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit entgegen.
661. Gemäß § 3 Abs. 1 BauGB-AG NRW ist die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen nach § 127 BauGB durch die Gemeinden unabhängig vom Entstehen der Beitragspflicht mit Ablauf des zehnten Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen. Für Erschließungsbeitragsbescheide, die - wie der streitgegenständliche - im Zeitpunkt des Inkrafttretens von Absatz 1 noch nicht bestandskräftig waren, beträgt die Frist nach der dem Absatz 1 vorgehenden Sonderregelung des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB-AG NRW jedoch 20 Jahre. Diese Frist gilt nach Absatz 2 Satz 2 auch für die nach dem Inkrafttreten der Vorschrift erfolgende Erhebung von Erschließungsbeiträgen, wenn die Vorteilslage am 1. Juni 2022 bereits bestand.
67Die 20-jährige Frist ist vorliegend - ausgehend vom Eintritt der Vorteilslage im September 1996 - gewahrt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es im Erschließungsbeitragsrecht für das Entstehen der Vorteilslage maßgeblich auf die tatsächliche - bautechnische - Durchführung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme an, nicht jedoch darauf, ob darüber hinaus auch die weiteren, für den Betroffenen nicht erkennbaren rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht vorliegen. Entscheidend ist, ob die Anlage sowohl im räumlichen Umfang als auch in der bautechnischen Ausführung endgültig technisch fertiggestellt ist, d. h. dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht. Unerheblich für den Eintritt der Vorteilslage ist hingegen das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten, wie die Widmung der Anlage, die planungsrechtliche Rechtmäßigkeit ihrer Herstellung, die Wirksamkeit der Beitragssatzung oder der vollständige Grunderwerb.
68Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Dezember 2019 - 9 B 53.18 -, juris Rn. 7, und vom 6. September 2018 - 9 C 5.17 -, juris Rn. 55; anders zum - hier nicht vorliegenden - Sonderfall geringfügiger Abweichungen vom Bauprogramm OVG NRW, Urteil vom 20. April 2021 - 15 A 4037/19 -, juris Rn. 122 ff.
69Ausgehend davon ist die Vorteilslage vorliegend im September 1996 mit dem Abschluss der Bauarbeiten und der Abnahme des Werks erfolgt.
70Entgegen der Auffassung der Klägerin ist unerheblich, dass die Vorteilslage bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juni 2022 bereits länger als 20 Jahre bestanden hat. Maßgeblich ist allein, dass der streitgegenständliche Bescheid vor Ablauf des 20. Jahres nach Eintritt der Vorteilslage erlassen worden ist. Denn die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB-AG NRW ist im Zusammenhang mit § 3 Abs. 1 BauGB-AG NRW zu lesen, der die „Festsetzung“ von Erschließungsbeiträgen nach Ablauf der Frist untersagt. Da die Beitragserhebung erst mit Ablauf des 20. Jahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen ist, fällt das Fristende auf den 31. Dezember 2016. Der streitgegenständliche Beitragsbescheid ist aber bereits am 19. September 2016 und damit vor Fristablauf ergangen.
71Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 BauGB-AG NRW verstößt - auch in der dargelegten Auslegung - nicht gegen Verfassungsrecht, weshalb das Verfahren entgegen dem Begehren der Klägerin nicht auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG vorzulegen war.
72Die wegen des Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit erforderliche, an den Eintritt der Vorteilslage anknüpfende Höchstfrist für die Beitragserhebung, die in Nordrhein-Westfalen bis zum Inkrafttreten des § 3 BauGB-AG NRW fehlte,
73vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 20. April 2021- 15 A 4037/19 -, juris Rn. 91 ff.,
74ist nunmehr für Erschließungsbeiträge in der besagten Norm ausdrücklich geregelt. Die Vorschrift umfasst mit Absatz 2 auch „Altfälle“, d. h. insbesondere noch nicht bestandskräftige Beitragsbescheide, die - wie der streitgegenständliche - vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung erlassen worden waren. Die Einbeziehung dieser Fälle war angesichts einer entsprechenden Vorgabe an den Gesetzgeber in der das rheinland-pfälzische Erschließungsbeitragsrecht betreffenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geboten.
75Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. November 2021- 1 BvL 1/19 -, juris Rn. 92.
76Dieser Beschluss ist zwar nicht an den nordrhein-westfälischen Landesgesetzgeber adressiert und betrifft ihn daher nicht unmittelbar. Die rechtlichen Maßgaben lassen sich aber wegen der in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen vergleichbaren früheren Rechtslage übertragen. Danach stellt die adäquate Bemessung der zeitlichen Obergrenze für die Beitragserhebung eine primär dem Gesetzgeber überantwortete Frage dar. Er hat einen weiten Einschätzungsspielraum hinsichtlich des Ausgleichs zwischen allgemeinen Interessen und dem Interesse der in Anspruch zu nehmenden Bürgerinnen und Bürger. Je weiter aber der anspruchsbegründende Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Jedenfalls genügt eine 30-jährige Ausschlussfrist losgelöst von den Besonderheiten der Wiedervereinigung den Anforderungen des Gebots der Belastungsklarheit und-vorhersehbarkeit bei vorteilsausgleichenden Abgaben nicht, weil anders als im Falle des § 53 Abs. 2 Satz 1 VwVfG kein titulierter Anspruch vorliegt, sodass die Beitragspflichtigen nicht sicher wissen, ob, in welcher Höhe und wann sie zu einem Beitrag herangezogen werden.
77Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. November 2021- 1 BvL 1/19 -, juris Rn. 91 m. w. N.
78Diesen Maßgaben genügt die hier zur Anwendung kommende Frist des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB-AG NRW, weil sie deutlich weniger als 30 Jahre beträgt.
79Die 20-Jahres-Frist des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB-AG NRW verstößt schließlich auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsgleichheit. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches seinem Wesen entsprechend ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht alle Differenzierungen. Diese bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Aus dem Gleichheitssatz folgt für das Steuer- und Abgabenrecht der Grundsatz der Belastungsgleichheit. Bei der Auswahl des Abgabengegenstands sowie bei der Bestimmung von Beitragsmaßstäben und Abgabensatz hat der Gesetzgeber einen weitreichenden Gestaltungsspielraum. Werden Beiträge erhoben, verlangt Art. 3 Abs. 1 GG, dass die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen wird, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll.
80Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014- 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10 -, juris Rn. 47 ff. m. w. N.
81Daran gemessen wird die Regelung unterschiedlicher Höchstfristen für die Erhebung von Erschließungsvorteilen nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB-AG NRW dem Gebot der Belastungsgleichheit gerecht. Da die 20-Jahres-Frist nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB-AG NRW auch für die Abrechnung aller Erschließungsanlagen gilt, bei denen die Vorteilslage am 1. Juni 2022 bereits bestand, kommt die 10-Jahres-Frist letztlich nur dann zur Anwendung, wenn am 1. Juni 2022 noch keine Vorteilslage vorlag, eine Anlage also - vereinfacht gesagt - noch nicht technisch fertiggestellt war.
82Ausweislich der Gesetzesbegründung soll mit der im Vergleich zu Absatz 1 längeren Frist des Absatzes 2 für Bestands- und Altfälle die „Verkürzung“ der Erhebungsfrist abgefedert werden.
83Vgl. LT-Drs. 17/16916, S. 3.
84Der Vorschrift des § 3 Abs. 2 BauGB-AG NRW kommt damit die Funktion einer Übergangsregelung zu. Die unterschiedslose und sofortige Einführung der 10-Jahres-Frist aus § 3 Abs. 1 BauGB-AG NRW für alle Konstellationen, in denen noch kein bestandskräftiger Bescheid vorliegt, hätte zur Folge gehabt, dass die Kommunen in erheblichem Umfang bereits erhobene Erschließungsbeiträge zurückzahlen müssen und die Kosten für bereits hergestellte Erschließungsanlagen nicht mehr abrechnen können. Die dafür angefallenen Aufwendungen müssen in einem solchen Fall aus Haushaltsmitteln - und damit trotz Sondervorteil der grundsätzlich Beitragspflichtigen - von der Allgemeinheit getragen werden. Die Nichtheranziehung dieser „Altfälle“ trotz Erschließungsvorteils wegen Ablaufs der Höchstfrist ist ihrerseits jedenfalls dann unter Gerechtigkeitsaspekten problematisch, wenn die Kommunen sich - wie hier - auf die neue Rechtslage nicht ausreichend einstellen konnten und eine Heranziehung letztlich daran scheitert.
85Vgl. zur Verfassungskonformität anderer Übergangsregelungen bei Einführung einer an die Vorteilslage anknüpfenden Höchstfrist im Beitragsrecht LVerfG LSA, Urteil vom 24. Januar 2017 - LVG 1/16 -, KommJur 2017, 137, 140; BVerfG, Beschluss vom 16. September 2020- 1 BvR 1185/17 -, juris Rn. 3.
86Angesichts des letztgenannten Umstands sowie unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Senats, wonach auch ohne eine gesetzliche Regelung - sozusagen zumindest - eine Höchstgrenze von 30 Jahren einzuhalten war,
87vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. April 2021 - 15 A 4037/19 -, juris Rn. 91 ff.,
88ist die Flankierung der Einführung der 10-Jahres-Frist durch längere Übergangsfristen für Bestands- und Altfälle sachlich gerechtfertigt und verfassungsrechtlich unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Die dabei vorgenommene Anknüpfung der Differenzierung an die Existenz eines Beitragsbescheides bzw. den Eintritt der Vorteilslage vor Inkrafttreten des § 3 BauGB-AG NRW ist rechtlich unbedenklich, weil in diesen Fällen bei Inkrafttreten des Gesetzes die Erhebungsfrist bereits lief und der Regelung insofern eine Rückwirkung zukommt. Der Einwand der Klägerin, dass die Differenzierung nach dem Vorliegen oder Nichtvorliegen eine Beitragsbescheides innerhalb der Frist zu einer Ungleichbehandlung führe, wenn einzelne Beitragspflichtige trotz gleicher Begünstigung einen Beitragsbescheid nicht rechtzeitig (innerhalb der Frist) erhielten, rechtfertigt keine andere Bewertung. Abgesehen davon, dass dies nach der Erhebungspraxis der Gemeinden der Ausnahmefall sein dürfte, wäre die Ungleichbehandlung sachgerecht, weil bei Vorliegen eines Bescheides ein Vertrauen des Adressaten, von der Beitragspflicht verschont zu werden, in der Folge ausscheidet.
892. Die 25-Jahres-Frist des § 3 Abs. 4 Satz 1 BauGB-AG NRW steht der Rechtmäßigkeit des Bescheides ebenfalls nicht entgegen. Danach ist unabhängig von dem Eintritt der Vorteilslage die Festsetzung der Beitragspflicht für solche Erschließungsanlagen ausgeschlossen, wenn seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung mindestens 25 Jahre vergangen sind. Diese Vorschrift ist vorliegend schon nicht anwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung richtet sich der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts nicht nach dem Prozessrecht, sondern nach dem jeweiligen materiellen Recht. Danach ergibt sich für die Anfechtungsklage im Allgemeinen, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, es sei denn, das materielle Recht regelt etwas Abweichendes.
90Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2011 - 8 C 11.10 -, juris, Rn. 17.
91Letzteres lässt sich lediglich für § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB-AG NRW feststellen, der ausdrücklich bereits vorhandene, aber noch nicht bestandskräftige Bescheide betrifft. Im Hinblick auf § 3 Abs. 4 BauGB-AG NRW fehlen indes Hinweise darauf, dass es für die rechtliche Beurteilung von Erschließungsbeitragsbescheiden auf einen späteren Zeitpunkt als den der letzten Behördenentscheidung ankommt, dass also auch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erlassene Bescheide unter die Regelung fallen. Denn die Vorschrift knüpft - ebenso wie Absatz 1 - allein an die (erst noch vorzunehmenden) Erhebung bzw. Festsetzung eines Erschließungsbeitrags an und sieht keine Rückwirkung vor. Die Einbeziehung nicht bestandskräftiger Bescheide in den Anwendungsbereich der Norm war auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht erforderlich, weil die Regelung in § 3 Abs. 4 BauGB-AG NRW nicht aus der dem Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit folgenden Pflicht zur Schaffung einer an den Eintritt der Vorteilslage anknüpfenden Höchstfrist erwächst, sondern eine darüber hinausgehende lediglich einfach-rechtlich begründete zeitliche Obergrenze für die Beitragserhebung darstellt. Das oben erwähnte, vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Gebot der Einbeziehung von Altfällen,
92vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. November 2021- 1 BvL 1/19 -, juris Rn. 92,
93erstreckt sich mithin nicht auf die Frist des § 3 Abs. 4 BauGB-AG NRW.
94Zudem enthalten auch die Gesetzesmaterialien keinen Hinweis darauf, dass die Vorschrift auf vor dem 1. Juni 2022 erlassene Erschließungsbeitragsbescheide Anwendung finden soll.
95Vgl. die Ausführungen zur Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB-AG NRW in LT-Drs. 17/16916, S. 4.
96Der dort enthaltene Hinweis auf Art. 5a Abs. 7 BayKAG, an dem sich die nordrhein-westfälische Norm orientiert, spricht vielmehr ebenfalls gegen eine Anwendung auf schon vor dem Inkrafttreten der Norm erlassene Bescheide. Die in Bezug genommene bayerische Regelung ist zwar durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 8. März 2016 (GVBl. 36) erlassen worden, trat aber erst am 1. April 2021 in Kraft (vgl. § 2 Abs. 2), sodass den Kommunen sogar noch einige Jahre verblieben, um Anlagen, die diesen Maßgaben nicht entsprachen, noch abzurechnen (vgl. auch Art. 13 Abs. 6 BayKAG).
97Vgl. Bay. LT-Drs. 17/8225, S. 6.
98Auch in Bayern findet die Ausschlussfrist dementsprechend grundsätzlich nur Anwendung auf Bescheide, die nach dem Stichtag ergangen sind.
99Vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 26. Mai 2021- AN 3 S 21.00729 -, juris Rn. 81; vgl. ferner VG München, Urteil vom 1. September 2021 - M 28 K 21.1559 -, juris Rn. 32 f. (zur Sonderkonstellation der erst nachträglich entstandenen Beitragspflicht).
100Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
101Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
102Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Revisionsgründe vorliegt.