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Das Akteneinsichtsrecht aus § 55 Abs. 4 GO NRW kann durch zumindest gleichrangige gesetzliche Regelungen über den Schutz von Daten - etwa durch das Steuergeheimnis aus § 30 Abs. 1 und 2 AO oder gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflichten - beschränkt oder sogar ausgeschlossen werden.
Die Vorschrift des § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW begründet eine Berichtspflicht i. S. d. § 394 AktG und ist mit dem vorrangigen Bundesrecht des Aktiengesetzes vereinbar. Entgegen einer verbreiteten Meinung lässt sich § 394 AktG nicht entnehmen, dass Bestimmungen nach Satz 3, mit denen eine Berichtspflicht begründet wird, ein besonderes Maß an Vertraulichkeit gewährleisten müssen und dies bei einer größeren Zahl von Berichtsempfängern (etwa allen Ratsmitgliedern einer Gemeinde) von vornherein nicht der Fall sein könne.
Die Berichtspflicht nach § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW erstreckt sich auf alle Ange-legenheiten von besonderer Bedeutung, wobei Letztere aus Sicht der Gemeinde, nicht des jeweiligen Unternehmens zu bewerten ist. Von besonderer Bedeutung für die Gemeinde sind jedenfalls diejenigen Angelegenheiten, die nach den kommunalverfassungsrechtlichen Vorgaben zwingend einer Entscheidung des Rates bedürfen.
Der Rat ist nach § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW so frühzeitig zu unterrichten, dass ihm eine Willensbildung und eine diesbezügliche Einflussnahme noch möglich ist, er mithin die Gelegenheit hat, durch sein in § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW geregeltes Weisungsrecht Einfluss auf die in den betreffenden Gremien anstehenden Entscheidungen ausüben zu können.
Wird eine frühzeitige Unterrichtung versäumt, lässt dies die Notwendigkeit einer späteren Information des Rates - auch wenn sich die „Angelegenheit“ erledigt hat - nicht entfallen. Anderenfalls könnten sich die Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden im Aufsichtsrat durch Untätigkeit und Zeitablauf ihrer Berichtspflicht entziehen, was dem Zweck des Gesetzes erkennbar zuwiderliefe.
Soweit der Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt und ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 14. August 2020 wirkungslos.
Im Übrigen wird das Urteil geändert. Unter Zurückweisung seiner Berufung wird der Beklagte auf die Anschlussberufungen der Klägerinnen zu 2. und 3. verurteilt, der Klägerin zu 2. durch das Ratsmitglied H. und der Klägerin zu 3. durch das Ratsmitglied T. Einsicht in das an den Beklagten adressierte Schreiben des Beteiligungsmanagements der Stadt N. vom 28. Mai 2018 zu TOP 5 der Aufsichtsratssitzung der NEW AG vom Juni 2018 zu gewähren, soweit nicht andere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder Informationen über vertrauliche Berichte und Beratungen enthalten sind.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerinnen zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerinnen sind bzw. waren Fraktionen im Rat der Stadt N. . Sie begehren vom Beklagten die Gewährung von Einsicht in näher bezeichnete Unterlagen im Zusammenhang mit der Beteiligung der O. GmbH an der T. GmbH. Gegenstand der T. GmbH ist die Entwicklung und Bereitstellung von Mobilitätsangeboten sowie die Herstellung von Spezialfahrzeugen für die „shared mobility“.
3Die O. GmbH ist eine 100 %ige Tochtergesellschaft der O. AG, deren Gesellschafter die O. Kommunalholding GmbH (mit einem Anteil von 60,05 %) und die X. AG (mit einem Anteil von 39,95 %) sind. An der O. Kommunalholding GmbH sind die Stadt N. mit 20,05 %, die Entwicklungsgesellschaft der Stadt N. mbH mit 43,25 %, die Stadt W. mit 20,04 % sowie die Kreiswerke I. GmbH mit 16,66 % beteiligt. Die X. AG ist eine 100 %ige Tochtergesellschaft der F.. Durchgerechnet beträgt der Anteil der Stadt N. an der O. AG 38 %. Neben dem Beklagten gehören zwei weitere Mitglieder des Rates der Stadt N. dem Aufsichtsrat der O. AG an.
4Der Aufsichtsrat der O. AG stimmte in seiner Sitzung vom 7. Juni 2018 der Beteiligung der O. GmbH an der T. GmbH zu. In der Folgezeit leitete die Bezirksregierung E. auf Anregung der ehemaligen Fraktion DIE LINKE im Rat der Stadt N. wegen der unterbliebenen vorherigen Entscheidung des Rates der Stadt N. nach § 108 Abs. 6 Satz 1 Buchst. a GO NRW, der fehlenden vorherigen Anzeige der Beteiligung bei der Bezirksregierung nach § 115 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Buchst. b GO NRW und der Frage der materiellen Zulässigkeit des gemeindewirtschaftlichen Tätigwerdens nach §§ 107 ff. GO NRW ein kommunalaufsichtsrechtliches Verfahren ein; sie war der der Auffassung, dass die Beteiligung an der T. GmbH gegen geltendes Recht verstoße.
5Am 27. Juni 2019 teilte der Vorstand der O. AG mit, dass sich die O. GmbH von ihrer Beteiligung an der T. GmbH trennen werde. In der Sitzung des Rates der Stadt N. vom 3. Juli 2019 gab der Beklagte einen mündlichen Bericht zu der Beteiligung an der T. GmbH ab.
6Mit E-Mail an den Beklagten vom 4. Juli 2019 bat die Vorsitzende der ehemaligen FDP-Fraktion im Rat der Stadt N. darum, ihrer Fraktion Einsicht in die Korrespondenz nebst Aktennotizen zwischen den Aufsichtsbehörden und der Stadt N. , in die Korrespondenz nebst Aktennotizen zwischen der Stadt N. und der O. AG sowie in das Protokoll der Aufsichtsratssitzung der O. AG von Juni 2018 zu gewähren. Sie wies darauf hin, dass noch nicht geklärt sei, inwieweit der Vorstandsvorsitzende der O. AG für die Vorgänge verantwortlich sei und bat um weitere Informationen zu der Laufzeit des Vertrages des Vorstandsvorsitzenden sowie zu entstandenen Kosten.
7Mit Schreiben vom 16. Juli 2019 teilte der Beklagte der ehemaligen FDP-Fraktion mit, er gebe der beantragte Akteneinsicht nach § 55 Abs. 4 Satz 1 GO NRW mit Ausnahme des Protokolls der Aufsichtsratssitzung der O. AG von Juni 2018 und der mit dieser Sitzung in Zusammenhang stehenden Korrespondenz nebst Aktennotizen zwischen der Stadt N. und der O. AG statt; die ausgenommenen Dokumente unterlägen der gesellschaftsrechtlichen Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflicht. Zudem bot der Beklagte allen weiteren im Rat der Stadt N. vertretenen Fraktionen an, im genannten Umfang Akteneinsicht zu nehmen. Die Mehrheit der im Rat der Stadt N. vertretenen Fraktionen nahm daraufhin Einsicht in die von dem Beklagten nach Maßgabe seines Schreibens vom 16. Juli 2019 zusammengestellten Unterlagen.
8Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 23. Juli 2019 forderten die damaligen Fraktionen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der LINKEN den Beklagten auf, ihnen abweichend von dessen Schreiben vom 16. Juli 2019 auch Einsicht in die mit der Aufsichtsratssitzung der O. AG von Juni 2018 in Zusammenhang stehende Korrespondenz nebst Aktennotizen zwischen der Stadt N. und der O. AG zu gewähren; lediglich hinsichtlich des Protokolls der Aufsichtsratssitzung von Juni 2018 werde das Einsichtsbegehren nicht weiter verfolgt. Hierauf erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 13. August 2019, an seiner Rechtsauffassung festzuhalten. Der Verschwiegenheitspflicht unterlägen neben dem Protokoll der Aufsichtsratssitzung auch mit solchen Sitzungen in Zusammenhang stehende Unterlagen, denn andernfalls könnten Rückschlüsse auf Inhalte von Aufsichtsratssitzungen gezogen werden, was eine Aushebelung der gesellschaftsrechtlichen Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten nach sich zöge.
9Am 23. September 2019 haben die ehemaligen Fraktionen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der LINKEN Klage erhoben und ihr Begehren weiterverfolgt. Sie haben angeführt, aufklären zu wollen, wie es zum Kauf der Anteile an der T. GmbH habe kommen können, der nunmehr rückabgewickelt werden solle. Ihr Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht nach Maßgabe von § 55 Abs. 4 Satz 1 GO NRW werde nicht durch § 116 Satz 2 AktG ausgeschlossen. Adressat der Verschwiegenheitspflicht seien die Mitglieder des Aufsichtsrates, nicht der Beklagte. Das Einsichtsbegehren sei nicht auf Berichte der Aufsichtsratsmitglieder, sondern lediglich auf Unterlagen gerichtet, die der Beklagte im Zusammenhang mit der fraglichen Aufsichtsratssitzung von der O. AG, der Bezirksregierung oder Aufsichtsratsmitgliedern erhalten habe. Zudem ergebe sich aus § 394 Satz 1 AktG, dass der Beklagte im Umfang seiner nach § 113 Abs. 5 GO NRW bestehenden Berichtspflicht nicht der Verschwiegenheitspflicht unterliege. Schließlich bestehe auch keine Gefahr, dass der Inhalt vertraulicher Unterlagen bekannt würde, denn Ratsmitglieder, denen Einsicht in vertrauliche Unterlägen gewährt werde, unterlägen selbst einer Verschwiegenheitspflicht. Ohne die begehrte Akteneinsicht könnten die damaligen Fraktionen die ihnen im kommunalverfassungsrechtlichen Gefüge zugewiesene Kontrollfunktion nicht effektiv wahrnehmen.
10Die früheren Klägerinnen haben zunächst beantragt,
11den Beklagten zu verurteilen, ihnen - der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen durch das Ratsmitglied T1. , der Fraktion der FDP durch das Ratsmitglied G. , der Fraktion der LINKEN durch das Ratsmitglied T. - Einsicht in die Korrespondenz und die Aktennotizen im Schriftverkehr zwischen der Stadt N. und der Bezirksregierung E. und in Schriftverkehr zwischen der Stadt N. und der O. AG zu gewähren, auch soweit diese mit der Aufsichtsratssitzung der O. AG im Juni 2018 im Zusammenhang stehen.
12In der mündlichen Verhandlung haben sie beantragt,
13den Beklagten zu verurteilen, ihnen - der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen durch das Ratsmitglied T1. , der Fraktion der FDP durch das Ratsmitglied G. , der Fraktion der LINKEN durch das Ratsmitglied T. - Einsicht in die Korrespondenz und die Aktennotizen im Schriftverkehr zwischen der Stadt N. und der O. AG zu gewähren, soweit diese mit der Aufsichtsratssitzung der O. AG im Juni 2018 betreffend den dortigen Tagesordnungspunkt 5 im Zusammenhang stehen.
14Der Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Er hat geltend gemacht: Hinsichtlich des im Zusammenhang mit der Aufsichtsratssitzung der O. AG im Juni 2018 stehenden Schriftverkehrs zwischen der Stadt N. und der O. AG stehe die gesellschaftsrechtlich begründete Verschwiegenheitspflicht des Beklagten dem Akteneinsichtsgesuch entgegen; insoweit werde auf die Schreiben vom 16. Juli und vom 13. August 2019 Bezug genommen. Die von den Klägerinnen angeführte Regelung des § 113 Abs. 5 GO NRW sei hier weder einschlägig, noch könne sie nach überwiegend vertretener Auffassung überhaupt eine Berichtspflicht gegenüber dem Rat oder gar Fraktionen begründen. Die nach den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben gebotene Verschwiegenheitspflicht könne bei der Gewährung von Akteneinsicht an eine Fraktion tatsächlich nicht im erforderlichen Maße gewährleistet werden.
17Nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Aufsichtsrat der O. AG bereits im Dezember 2019 entschieden, den Mitgliedern des Rates der Stadt N. Einsicht in das Protokoll seiner Sitzung von Juni 2018 zu Tagesordnungspunkt 5 (unter dem die Entscheidung über die Beteiligung an der T. GmbH erfolgte) zu gewähren. Im Rahmen der Einsichtnahme durften keine Fotos der Dokumente angefertigt werden, lediglich Notizen waren gestattet.
18Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren eingestellt, soweit die Klägerinnen die Klage durch ihre Antragsbeschränkung konkludent zurückgenommen haben. Bezüglich des nicht zurückgenommenen Teils hat es der Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten verurteilt, den vormaligen Fraktionen durch die benannten Fraktionsmitglieder Einsicht in die Korrespondenz und die Aktennotizen im Schriftverkehr zwischen der Stadt N. und der O. AG im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung der O. AG von Juni 2018 zu gewähren, soweit inhaltlich ein Zusammenhang mit Tagesordnungspunkt 5 der Aufsichtsratssitzung der O. AG von Juni 2018 besteht und soweit nicht andere Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder Informationen über vertrauliche Berichte und Beratungen enthalten sind. Im Übrigen (d. h. betreffend eine Korrespondenz und Aktennotizen im Anschluss an die Aufsichtsratssitzung) hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
19Der gegenständliche Anwendungsbereich des Akteneinsichtsrechts nach § 55 Abs. 4 GO NRW sei eröffnet. Das Akteneinsichtsrecht könne indes durch zumindest gleichrangige gesetzliche Regelungen über den Schutz von Daten beschränkt oder sogar ausgeschlossen sein. Die streitgegenständliche Korrespondenz nebst Aktenvermerken im Schriftverkehr der Stadt N. mit der O. AG mit Zusammenhang mit Tagesordnungspunkt 5 der Aufsichtsratssitzung von Juni 2018 unterfalle grundsätzlich insgesamt der aus § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 sowie § 116 Satz 2 AktG folgenden Verschwiegenheitspflicht des Beklagten als Aufsichtsratsmitglied der O. AG. Es liege auch keine Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht nach § 394 Satz 1 AktG vor. Danach unterliegen Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt worden sind, hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten haben, keiner Verschwiegenheitspflicht. Eine von der Norm vorausgesetzte Berichtspflicht mit dem von den Klägerinnen begehrten Inhalt, dass ihnen als im Rat der Stadt N. vertretenen Fraktionen (Akten-)Einsicht in die benannten Dokumente zu gewähren sei, existiere aber nicht. Eine solche Pflicht ergebe sich insbesondere nicht aus § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW, weil es sich bei dem von den Klägerinnen verfolgten Akteneinsichtsbegehren nicht um einen „Bericht“ handele. Entsprechendes gelte auch für die Pflicht zur Gewährung von Akteneinsicht nach § 55 Abs. 4 Satz 1 Var. 3 GO NRW. Außerdem erfordere § 394 Satz 1 AktG eine spezifisch für Aufsichtsratsmitglieder in Ansehung der diese grundsätzlich treffenden Verschwiegenheitspflicht geltende Berichtspflicht. Diese Voraussetzung erfülle § 55 Abs. 4 GO NRW ebenfalls nicht. Der Klage sei dennoch teilweise stattzugeben, weil die zunächst gegebene Vertraulichkeit später teilweise aufgehoben worden sei, indem der Aufsichtsrat der O. AG im Dezember 2019 entschieden habe, den Mitgliedern des Rates der Stadt N. zur Schaffung von Transparenz den Inhalt des Protokolls seiner Sitzung von Juni 2018 zum dortigen Tagesordnungspunkt 5 zugänglich zu machen. Hierdurch habe er zugleich gegenüber allen Mitgliedern der vormaligen Klägerinnen in Bezug auf Tagesordnungspunkt 5 der Aufsichtsratssitzung - also hinsichtlich der Übernahme von Anteilen an der T. GmbH - Inhalte offenbart und insoweit eine Vertraulichkeit aufgehoben, als Vorgänge in Rede stünden, die sich in diesem Kontext im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung und bei dieser zugetragen hätten. In diesem Umfang sei damit gleichzeitig die Verschwiegenheitspflicht einzelner Aufsichtsratsmitglieder gegenüber dem durch die Offenlegung des Aufsichtsrates begünstigten Personenkreis entfallen. Beschränkungen wie der drohenden Übermittlung anderer Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder Informationen über andere vertrauliche Berichte und Beratungen könne der Beklagte bei der von ihm zu gewährenden Akteneinsicht etwa durch Vornahme entsprechender Schwärzungen Rechnung tragen.
20Nach den Kommunalwahlen am 13. September 2020 sind im Gemeinderat der Stadt N. an die Stelle der ehemaligen Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, FDP und der LINKEN die gleichnamigen neu gebildeten Fraktionen getreten. Die Klägerin zu 1. hat den von ihr geführten Rechtsstreit daraufhin für in der Hauptsache erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich der Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeschlossen. Die neu gebildeten Fraktionen der FDP und der LINKEN führen den Rechtsstreit der bisherigen Klägerinnen zu 2. und 3. fort. Auch im Amt des Beklagten hat es im Zuge der Kommunalwahlen einen personellen Wechsel gegeben.
21Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 27. Juni 2022 zugelassen Berufung macht der Beklagte geltend: Die Klage sei vollumfänglich abzuweisen. Es müsse bereits in Frage gestellt werden, ob die streitgegenständlichen Informationen vom Anspruch des § 55 Abs. 4 GO NRW erfasst würden. Das Amt des Hauptverwaltungsbeamten sei von seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der O. AG zu trennen. Bei Informationen, die der Hauptverwaltungsbeamte als Mitglied des Aufsichtsrates einer (kommunalen) Aktiengesellschaft erlange, handele es sich nicht um „amtliches Wissen“, das allein vom Akteneinsichtsrecht umfasst sei. Im Übrigen beziehe sich die gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder auch auf die streitgegenständlichen Unterlagen. Der Umstand, dass die Aufsichtsratsmitglieder der O. AG entschieden hätten, den Ratsmitgliedern das Protokoll der Sitzung vom Juni 2018 zum Tagesordnungspunkt 5 zugänglich zu machen, ändere hieran nichts. Die Freigabe sei auf den Umfang begrenzt, den der Aufsichtsrat beschlossen habe.
22Der Beklagte beantragt,
23unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts E. vom 14. August 2022 - 1 K 7000/19 - die Klage gemäß dem erstinstanzlichen Antrag des Beklagten in vollem Umfang abzuweisen.
24Die Klägerinnen zu 2. und 3. beantragen,
25den Beklagten zu verurteilen, den Klägerinnen, der Klägerin zu 2. durch das Ratsmitglied H. , der Klägerin zu 3. durch das Ratsmitglied T. , Einsicht in die Korrespondenz und die Aktennotizen im Schriftverkehr zwischen der Stadt N. und der O. AG im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung der O. AG vom Juni 2018 zu gewähren, soweit inhaltlich ein Zusammenhang mit Tagesordnungspunkt 5 der Aufsichtsratssitzung der O. AG von Juni 2018 besteht und soweit nicht andere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder Informationen über vertrauliche Berichte und Beratungen enthalten sind.
26Sie machen zur Begründung geltend: Das Verwaltungsgericht gehe zu Recht davon aus, dass die Voraussetzungen des Einsichtsrechts nach § 55 Abs. 4 Satz 1 Var. 3 GO NRW gegeben seien. Nicht sämtliche streitgegenständliche Informationen seien von der Verschwiegenheitspflicht nach § 116 Satz 1 AktG erfasst. Die Verschwiegenheit sei zu wahren „über erhaltene Berichte und vertrauliche Beratungen“. Deshalb seien z. B. Berichte, die der Beklagte nicht erhalten, sondern selbst der O. AG übermittelt habe, nicht erfasst. Gleiches gelte etwa im Hinblick auf Anregungen und Vorschläge des Beklagten. Außerdem stehe eine Verschwiegenheitspflicht dem kommunalrechtlichen Akteneinsichtsrecht auch nicht entgegen. Der Beklagte unterliege einer Berichtspflicht nach § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW; insofern könne es sich nicht um Sachverhalte handeln, über die Stillschweigen zu bewahren sei. Dies bringe auch § 394 Satz 1 AktG zum Ausdruck.
27Diese Auslegung sei auch deshalb geboten, weil mit dem Akteneinsichtsrecht eine Kontrollfunktion verbunden sei, die zugleich Ausdruck der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der vollziehenden Gewalt gegenüber der Volksvertretung sei. Aus dem Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) folge, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch die vollziehende Gewalt haben müsse. Der Grundsatz gelte nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG auch auf der Ebene von Städten und Gemeinden. Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch eine Aktiengesellschaft stelle sich als Aufgabe der vollziehenden Gewalt dar.
28Eine Kontrolle der vollziehenden Gewalt sei hier notwendig, um zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinde, insbesondere aus § 108 Abs. 4 GO NRW, beachtet worden seien. Gesetzesverstöße blieben unkontrollierbar, wenn das Akteneinsichtsrecht durch Vorschriften des Aktienrechts ausgeschlossen werde. Die Vorschriften über die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht müssten deshalb - soweit sie dem Begehren der Klägerinnen tatsächlich entgegenstünden - jedenfalls verfassungskonform ausgelegt werden. Zumindest dort, wo die Sachverhalte einer aktienrechtlich vorgesehenen Berichtspflicht unterlägen, könne eine Verschwiegenheitspflicht nicht greifen. Überdies stelle es ein widersprüchliches Verhalten dar, wenn sich der Beklagte trotz einer bestehenden Berichtspflicht auf die Verpflichtung zur Verschwiegenheit berufe.
29Der Beklagte hält eine etwaige Anschlussberufung der Klägerinnen für unzulässig. Schriftsätzlich sei kein hinreichender Vortrag erfolgt, der in Richtung dieses Rechtsmittels verstanden werden könne. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob eine Anschlussberufung fristgerecht erhoben worden sei.
30Auf Nachfrage des Senats hat der Beklagte im Berufungsverfahren mitgeteilt, dass er im Hinblick auf das Akteneinsichtsbegehren lediglich über ein Dokument verfüge. Es handele sich um ein Schreiben vom 28. Mai 2018, das vom Beteiligungsmanagement der Stadt N. über den Kämmerer an den Oberbürgermeister gesendet worden sei. Inhaltlich befasse es sich mit der Vorbereitung der Aufsichtsratssitzung der O. AG im Juni 2018. Darin sei auch ein Abschnitt zum TOP 5 der Sitzung - der geplanten Beteiligung - enthalten. Dieser Abschnitt umfasse etwa eine Seite.
31Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
32Entscheidungsgründe:
33I. Im Hinblick auf die Klage der ehemaligen Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen wird das Verfahren eingestellt, nachdem die Klägerin zu 1. und der Beklagte den zwischen ihnen geführten Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben. Zur Klarstellung ist das angefochtene Urteil in diesem Umfang für wirkungslos zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO).
34II. Im verbliebenen Umfang ist die zulässige Berufung des Beklagten unbegründet. Die Klage ist in der Gestalt, die sie durch die Anschlussberufung der Klägerinnen zu 2. und 3. erhalten hat, zulässig und begründet.
351. Die Anschlussberufung der Klägerinnen zu 2. und 3. ist zulässig. Dass die Klägerinnen sich damit nur gegen den der Klage stattgebenden Teil des verwaltungsgerichtlichen Urteils wenden, der sie als solcher nicht beschwert, steht der Zulässigkeit der Anschlussberufung nicht entgegen. Eine Anschlussberufung setzt keine Beschwer voraus.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1962 - VI C 164.59 -, VerwRspr 1962, 764, 765; OVG NRW, Beschluss vom 28. August 1997 - 15 A3432/94 -, juris Rn. 7 f. m. w. N.
37Entscheidend ist vielmehr, dass mit der Anschlussberufung mehr erstrebt wird als die bloße Zurückweisung der Berufung. Das ist hier der Fall. Die Klägerinnen zu 2. und 3. begehren neben der Zurückweisung der Berufung des Beklagten eine subjektive und objektive Klageänderung. Anstelle der früheren Klägerinnen (die Ratsfraktionen von FDP und der LINKEN in der 2020 endenden Kommunalwahlperiode), klagen nunmehr die neu gebildeten Ratsfraktionen von FDP und der LINKEN; ferner soll die Akteneinsicht nunmehr durch andere Fraktionsmitglieder wahrgenommen werden.
38Eine solche Klageänderung kann nach einem stattgebenden Urteil erster Instanz nur im Wege der Anschlussberufung der obsiegenden Klägerinnen erfolgen, weil das im Berufungsverfahren verfolgte Klagebegehren von dem abweicht, was Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war.
39Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. August 1997 - 15 A 3432/94 -, juris Rn. 7 f.; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 - 7 C 20.09 -, juris Rn. 15 ff.
40Die Klägerinnen zu 2. und 3. haben mit ihrem Schriftsatz vom 22. August 2022 eine Anschlussberufung mit dem Ziel einer subjektiven und objektiven Klageänderung eingelegt. Ihre dortigen Ausführungen lassen eindeutig erkennen, dass sie über die Zurückweisung der Berufung des Beklagten hinaus eine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils anstreben. Dies ist ausreichend, die Anschlussberufung muss nicht zwingend als solche bezeichnet werden.
41Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. September 1994 - 11 B 78.94 -, juris Rn. 2.
42Die Anschlussberufung der Klägerinnen zu 2. und 3. erfolgte auch fristgerecht. Sie ist binnen der Monatsfrist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift, die hier am 25. Juli 2022 erfolgt ist, eingelegt und begründet (vgl. § 127 Abs. 3 Satz 1 VwGO) worden. Aus § 127 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO folgt, dass die Anschlussberufungsbegründung einen hinreichend bestimmten Antrag und die Darlegung der Anschlussberufungsgründe enthalten muss. Dieses Erfordernis ist entgegen der Auffassung des Beklagten (noch) erfüllt. Was den Antrag betrifft, so ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass und in welchem Umfang die Anschlussberufung eingelegt werden soll.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. März 2004 - 4 C6.03 -, juris Rn. 21.
44Die Einlegung der Anschlussberufung zum Zwecke der Klageänderung war dem Schriftsatz vom 22. August 2022 hinreichend deutlich zu entnehmen, für die Darlegung der Berufungsgründe der allein die Klageänderung bezweckenden Anschlussberufung war der Verweis auf den Ablauf der Wahlperiode und den Eintritt der jetzigen Klägerinnen ausreichend.
452. Die subjektive und objektive Klageänderung der Klägerinnen zu 2. und 3. ist zulässig. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung in die Änderung der Klage in Form des Beteiligtenwechsels eingewilligt (vgl. § 91 Abs. 1 Var. 1 VwGO). Die mit der Anschlussberufung verfolgte Klageänderung ist aber auch unabhängig von der Einwilligung des Beklagten zulässig, weil sie sachdienlich ist (vgl. § 91 Abs. 1 Var. 2 VwGO). Der Beteiligtenwechsel auf Seite der Klägerinnen zu 2. und 3. nebst der Änderung der für die Akteneinsicht benannten Mitglieder schafft die Voraussetzung für eine - gegenüber den früheren Klägerinnen nicht mehr mögliche - Sachentscheidung. Die früheren Klägerinnen zu 2. und 3. sind aufgelöst. Mit dem Ablauf des kommunalen Mandats ihrer Mitglieder und dem Zusammentritt des neugewählten Rates haben sie ihren Zweck erreicht und können als Träger gemeindeinterner Mitwirkungsbefugnisse nicht mehr weiterbestehen. Sie sind vielmehr - soweit erforderlich - mit dem Ziel der (vollständigen) Beendigung abzuwickeln. Ausgehend davon kann den früheren Klägerinnen zu 2. und 3. kein Anspruch auf Akteneinsicht zustehen.
46Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. März 1990- 15 A 2666/86 -, juris Rn. 5 f.
47Der Beteiligtenwechsel vermeidet deshalb eine anderenfalls zu erwartende neue Klage, die zu denselben Rechtsfragen führen müsste, weil der Beklagte die begehrte Akteneinsicht auch den neuen Fraktionen gegenüber (jedenfalls konkludent) verweigert. Auch ist der Streitstoff der geänderten Klage im Wesentlichen derselbe wie derjenige der alten Klage.
483. Die danach zulässigerweise geänderte Klage ist ihrerseits zulässig. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (S. 5 f. des Umdrucks) Bezug genommen.
494. Die Klage ist in der Gestalt, die sie durch die Anschlussberufung der Klägerinnen zu 2. und 3. erhalten hat, auch begründet. Ausgehend davon war der stattgebende Teil des verwaltungsgerichtlichen Ausspruchs im Tenor des Berufungsurteils entsprechend der Klageänderung anzupassen; die in Rechtskraft erwachsene teilweise Klageabweisung durch das Urteil des Verwaltungsgerichts sowie die teilweise Verfahrenseinstellung bleibt durch die Tenorierung unberührt.
50Den Klägerinnen zu 2. und 3. steht ein Anspruch darauf zu, durch die von ihnen benannten Fraktionsmitglieder Einsicht in die Korrespondenz und die Aktennotizen im Schriftverkehr zwischen der Stadt N. und der O. AG im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung der O. AG von Juni 2018 zu nehmen, soweit inhaltlich ein Zusammenhang mit Tagesordnungspunkt 5 der Aufsichtsratssitzung der O. AG von Juni 2018 besteht und soweit nicht andere Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder Informationen über vertrauliche Berichte und Beratungen - d. h. solche, die lediglich bei Gelegenheit des vorgenannten Tagesordnungspunktes Erwähnung finden - enthalten sind.
51Dieser Anspruch folgt aus § 55 Abs. 4 Satz 1 GO NRW. Danach muss in Einzelfällen auf Beschluss des Rates mit der Mehrheit der Ratsmitglieder oder auf Verlangen eines Fünftels der Ratsmitglieder oder einer Fraktion auch einem einzelnen, von den Antragstellern jeweils zu benennenden Ratsmitglied Akteneinsicht gewährt werden. Die Vorschrift dient dem Kontrollrecht des Rats gegenüber der Verwaltung.
52Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 4 Satz 1 Var. 3 GO NRW liegen vor. Der Beklagte verfügt über ein Dokument, das vom klägerischen Begehren umfasst ist und der Bestimmung unterfällt (dazu a]). Der Akteneinsicht - mit den aus dem Tenor ersichtlichen Beschränkungen - steht auch kein Ausschlussgrund entgegen (dazu b]).
53a) Unterlagen, die dem streitgegenständlichen Einsichtsbegehren zuzuordnen sind, sind beim Beklagten vorhanden. Er hat auf Nachfrage des entscheidenden Gerichts erklärt, dass er (lediglich) ein Dokument besitze, das sich dem Einsichtsbegehren zuordnen lasse. Es handele sich um ein Schreiben vom 28. Mai 2018, das vom Beteiligungsmanagement der Stadt verfasst und - über den Kämmerer - an den Beklagten gerichtet war. Wenngleich es sich bei dem Dokument nicht um den vom Akteneinsichts- und Klageantrag ausdrücklich umfassten Schriftverkehr zwischen der Stadt N. und der O. AG handelt, ist das Schriftstück dem klägerischen Begehren zuzuordnen. Das Akteneinsichtsgesuch der Klägerinnen zu 2. und 3. richtet sich neben dem „Schriftverkehr“ mit der O. AG nämlich auch auf „Aktennotizen“. Der Senat versteht diese Formulierung dahingehend, dass hiermit neben externen Schreiben, die von außen eingegangen sind bzw. nach außen gerichtet waren, auch verwaltungsinterne Schriftstücke erfasst werden sollten. Um ein solches internes Schriftstück handelt es sich bei dem bezeichneten Schreiben.
54Dieses Schriftstück unterfällt auch dem inhaltlichen Anwendungsbereich des Akteneinsichtsrechts nach § 55 Abs. 4 Satz 1 GO NRW. Das Akteneinsichtsrecht dient der Kontrolle der Verwaltung und erstreckt sich damit gegenständlich auf Dokumente, die die Durchführung der Beschlüsse des Rates und der Beschlüsse der Bezirksvertretungen und Ausschüsse sowie den Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten betreffen. Zu Letzteren zählen alle Angelegenheiten der Gemeinde, die in den Zuständigkeitsbereich des Bürgermeisters fallen.
55Vgl. Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, Stand: Januar 2022, § 55 GO Rn. 23; Rohde, in: Dietlein/Heusch, BeckOK Kommunalrecht NRW, Stand: September 2022, § 55 GO Rn. 27.
56In diesen Anwendungsbereich des Akteneinsichtsrechts nach § 55 Abs. 4 Satz 1 GO NRW fällt auch die Überwachung und konzeptionelle Steuerung der Beteiligungen einer Gemeinde. Es umfasst grundsätzlich auch solche Unterlagen, die Informationen zu kommunalen Gesellschaften enthalten, auch wenn diese in privatrechtlicher Form organisiert sind.
57Der sinngemäße Einwand des Beklagten, seine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied sei schon keine Angelegenheit der Gemeindeverwaltung, sondern mit der Funktion eines gemeindlichen Mitglieds im Verwaltungsrat einer Sparkasse zu vergleichen, so dass nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 17. November 2020 - 15 A 3460/18 -) von vornherein kein Auskunfts- bzw. Akteneinsichtsrecht bestehe, geht fehl. Die Sachverhalte sind nicht vergleichbar. Die Gemeinde bzw. der Zweckverband als Träger der Sparkasse soll außerhalb der ihm in § 8 SpkG NRW explizit zugewiesenen Kompetenzen keinen Einfluss ausüben und die Sparkassen sollen unabhängig tätig sein. Sie erfüllen die ihnen durch das Sparkassengesetz und ihrer Satzung zugewiesenen Aufgaben in eigener Verantwortung durch ihre Organe. Aus diesem Grund sind die von der Trägervertretung gewählten Mitglieder des Verwaltungsrats - anders als die gemeindliche Vertretung in Unternehmen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW) - nicht an Weisungen gebunden (§ 15 Abs. 6 Satz 2 SpkG NRW). Auch der Vorstand leitet nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SpkG NRW die Sparkasse in eigener Verantwortung. Der Senat hat deshalb bereits in der vorgenannten Entscheidung betont, dass es sich dabei um Besonderheiten handelt, die mit der Stellung eines Gesellschafters in einer privatrechtlichen Gesellschaft, wie sie hier vorliegt, nicht vergleichbar sind.
58Siehe dazu OVG NRW, Urteil vom 17. November 2020 - 15 A 3460/18 -, juris Rn. 119 ff.
59b) Der Anspruch der Klägerinnen zu 2. und 3. auf Einsichtnahme in das Schreiben vom 28. Mai 2018 ist auch nicht aufgrund sonstiger Vorschriften ausgeschlossen. Dem Wortlaut nach knüpft § 55 Abs. 4 Satz 1 GO NRW die Gewährung von Akteneinsicht zwar an keine besonderen materiellen Voraussetzungen. Gleichwohl besteht dieses Akteneinsichtsrecht nicht unbegrenzt. Es kann durch zumindest gleichrangige gesetzliche Regelungen über den Schutz von Daten - etwa durch das Steuergeheimnis aus § 30 Abs. 1 und 2 AO - beschränkt oder sogar ausgeschlossen werden.
60Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. November 2018- 15 A 2638/17 -, juris Rn. 27 f. m. w. N.
61Dem Akteneinsichtsrecht können auch gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflichten in einer Aktiengesellschaft entgegenstehen. Dies kommt hier in Betracht, weil der Beklagte zugleich Mitglied des Aufsichtsrats der O. AG ist. Vorliegend spricht vieles dafür, dass das vom Klagebegehren umfasste Dokument - wie vom Beklagten geltend gemacht - Informationen enthält, die im Ausgangspunkt von seiner damit verbundenen Geheimhaltungspflicht umfasst sind (siehe aa]). Auch wenn dies der Fall ist, unterliegt der Beklagte mit Blick auf den Inhalt der streitigen Unterlage gegenüber den Klägerinnen indes unter Berücksichtigung der tenorierten Einschränkungen ausnahmsweise keiner Verschwiegenheitspflicht (siehe bb]).
62aa) Dem Akteneinsichtsbegehren kann grundsätzlich die Verschwiegenheitspflicht des Klägers als Aufsichtsratsmitglied entgegenstehen. Nach § 116 Satz 1 AktG gilt für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder § 93 AktG mit Ausnahme seines Absatzes 2 Satz 3 sinngemäß. Demgemäß haben Aufsichtsratsmitglieder entsprechend § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen durch ihre Aufsichtsratstätigkeit bekannt geworden sind, Stillschweigen zu bewahren. Zudem verpflichtet § 116 Satz 2 AktG Aufsichtsratsmitglieder zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen.
63Der Inhalt des streitgegenständlichen Schriftstücks dürfte dieser Verschwiegenheitspflicht unterfallen. Die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder und der Ausschluss Dritter von den Aufsichtsratssitzungen nach § 109 Abs. 1 AktG indiziert die Vertraulichkeit der in den Sitzungen thematisierten und ausgetauschten Informationen; dies schließt die zur Vorbereitung verfassten Unterlagen und die Niederschriften über die Sitzungen regelmäßig ein. Die gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht ist aber nicht in dem Sinne umfassend, dass jede erörterte oder im Vorfeld einer Aufsichtsratssitzung angefallene Information von sich aus vertraulich wäre, sondern ist vielmehr auf die materielle Geheimhaltungsbedürftigkeit der ausgetauschten Informationen bezogen.
64Vgl. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 28. Januar 2015 - 12 B 21.13 -, juris Rn. 19, 22.
65Ausgehend davon erscheint es naheliegend, dass der Inhalt des an den Beklagten gerichteten Schreibens der Beteiligungsverwaltung vom 28. Mai 2018 der Verschwiegenheitspflicht unterfällt, weil es der Vorbereitung einer Aufsichtsratssitzung diente. Auch das von dem Beklagten angegebene Thema des Schriftstückes zu TOP 5 der Aufsichtsratssitzung (Fragen der Beteiligung und der Umstände der Beteiligung, möglicherweise auch taktische Erwägungen) deutet darauf hin.
66Zweifel an der Geheimhaltungsbedürftigkeit folgen auch nicht daraus, dass es um ein Schreiben der Beteiligungsverwaltung der Stadt N. geht, das an den Beklagten gerichtet war. Auch die Beteiligungsverwaltung verfügt in der Regel über der Geheimhaltungspflicht unterliegende Informationen. Es handelt sich dabei um eine Verwaltungseinheit, die der Beklagte, der gleichzeitig Vertreter der Gemeinde (§ 63 Abs. 1 Satz 1 GO NRW) und Leiter der Verwaltung (§ 62 Abs. 1 GO NRW) ist, in seiner Verwaltungspraxis regelmäßig in die Vorbereitung von Aufsichtsratssitzungen einbindet. Dementsprechend sind die dortigen Bediensteten über Überlegungen des Aufsichtsrates in der Regel unterrichtet. Einer Weitergabe auch vertraulicher Daten in einem solchen Verhältnis steht die Verschwiegenheitspflicht nicht entgegen; der Beklagte muss gegenüber den Dritten, die er zur Unterstützung seiner Aufgabe als Aufsichtsratsmitglied heranzieht, lediglich ebenfalls die Verschwiegenheit sichern, was in der Regel durch arbeitsvertragliche oder beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflichten gewährleistet wird.
67Vgl. Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOK AktG, Stand: Juli 2022, § 116 Rn. 114; Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 10, § 111 Rn. 87, jew. m. w. N.
68Schließlich kann der Inhalt des Schreibens auch dann der Verschwiegenheitspflicht unterfallen, wenn es keine Informationen enthält, die der Beklagte aufgrund seiner Stellung als Aufsichtsrat der O. AG zuvor erhalten und an die Beteiligungsverwaltung weitergegeben hat. So fällt etwa auch das eigene Stimmverhalten des Aufsichtsratsmitglieds in der Regel unter die geheim zu haltenden vertraulichen Angaben, da sonst Rückschlüsse auf die Beratungen im Aufsichtsrat gezogen werden könnten.
69Vgl. Spindler, in: Spindler/Stilz, BeckOK AktG, Stand: Juli 2022, § 116 Rn. 120; Habersack, in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rn. 57, jew. m. w. N.
70Letzteres kann auch dann eintreten, wenn Vermerke, die das Aufsichtsratsmitglied selbst verfasst hat, oder Dossiers, die für ihn in Vorbereitung der Sitzung zusammengestellt worden sind, bekannt werden, weil aus der Zielrichtung oder Schwerpunktsetzung solcher Schriftstücke ebenfalls Rückschlüsse auf die Beratungen und insbesondere die Position und Ziele des betroffenen Mitglieds gezogen werden können.
71bb) Der Frage nach dem konkreten bzw. genauen Inhalt des streitgegenständlichen Schreibens und der Vertraulichkeit dieser Informationen braucht der Senat jedoch nicht weiter nachzugehen, weil eine Verschwiegenheitspflicht jedenfalls durch § 394 AktG gegenüber den Klägerinnen zu 2. und 3. suspendiert ist. Nach Satz 1 dieser Bestimmung unterliegen Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat entsandt worden sind, hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten haben, keiner Verschwiegenheitspflicht. Für vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, gilt dies nicht, wenn ihre Kenntnis für die Zwecke der Berichte nicht von Bedeutung ist (Satz 2). Die Berichtspflicht wird von § 394 AktG nicht begründet, sondern vorausgesetzt; sie kann auf Gesetz, auf Satzung oder auf dem Aufsichtsrat in Textform mitgeteiltem Rechtsgeschäft beruhen (Satz 3). Zu den Bestimmungen, die eine Berichtspflicht begründen, gehört § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW. Nach dieser Vorschrift haben die Vertreter und Vertreterinnen der Gemeinde (im Aufsichtsrat) den Rat über alle Angelegenheiten von besonderer Bedeutung frühzeitig zu unterrichten.
72Der Beklagte ist als Oberbürgermeister der Stadt N. vom Rat in den Aufsichtsrat der O. AG entsandt worden; als Mitglied des Aufsichtsrates ist er deshalb nach § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW dem Rat grundsätzlich berichtspflichtig und unterliegt insoweit ausnahmsweise keiner Verschwiegenheitspflicht. Die Vorschrift ist mit Bundesrecht vereinbar (dazu [1]). Der Inhalt des streitgegenständlichen Schreibens vom 28. Mai 2018 zu TOP 5 der Aufsichtsratssitzung unterfällt auch der genannten Berichtspflicht (dazu [2]). Ausgehend davon steht dem Akteneinsichtsbegehren der Klägerinnen zu 2. und 3. die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht nicht entgegen (dazu [3]).
73(1) Die Vorschrift des § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW ist mit dem vorrangigen Bundesrecht des Aktiengesetzes, insbesondere §§ 394 f. AktG, vereinbar. Entgegen einer verbreiteten Meinung lässt sich § 394 AktG nicht entnehmen, dass Bestimmungen nach Satz 3, mit denen eine Berichtspflicht begründet wird, ein besonderes Maß an Vertraulichkeit gewährleisten müssen, und dies bei einer größeren Zahl von Berichtsempfängern (etwa dem gesamt Rat einer Gemeinde) von vornherein nicht der Fall sein könne.
74So aber etwa Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 394 Rn. 43; Schockenhoff, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 47; Dünchheim, KommJur 2016, 441, 447; Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, Stand: Januar 2022, § 113 Rn. 34; Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht NRW, Stand: August 2022, § 113 GO, Ziffer 9.1.
75Als Empfänger des Berichts benennt § 394 Satz 1 AktG zunächst in relativ unbestimmter Weise die Gebietskörperschaft als solche. Die konkreten Adressaten werden ausgehend davon durch das Organisationsrecht der Gebietskörperschaft bestimmt, wobei aufgrund des systematischen Zusammenhangs mit § 395 Abs. 1 AktG dafür allerdings nur in Frage kommt, wer zugleich Adressat der durch diese Vorschrift verlagerten Verschwiegenheitspflicht ist. Der Bericht darf danach nur an diejenigen Personen gerichtet werden, welche die Beteiligung der Gebietskörperschaft verwalten oder prüfen.
76Vgl. etwa Schockenhoff, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2021, § 394 Rn. 37; Müller-Michaels, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, §394 Rn. 26; Rochlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 30.
77Insofern gehört die Möglichkeit einer Befassung von Gemeinde- bzw. Stadträten zum realtypischen Hintergrund der §§ 394 f. AktG,
78vgl. Rochlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 30,
79weil die Verantwortlichkeit für Entscheidungen über Beteiligungen von Kommunen an Gesellschaften in Privatrechtsform nach den kommunalverfassungsrechtlichen Vorgaben i. d. R. (auch) dem Rat obliegt.
80Siehe etwa § 41 Abs. 1 Buchst. l und m, § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW; Art. 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7, Art. 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO; § 58 Abs. 1 Nr. 11 NKomVG; § 51 Nr. 11 HGO.
81Hiervon ausgehend kann der Begriff des „Verwaltens“ in § 395 Abs. 1 AktG auch auf Angehörige des Rates bezogen werden.
82Wenn der Gesetzgeber gleichwohl keine Veranlassung gesehen hat, den Kreis der Berichtsadressaten in §§ 394 f. AktG explizit zu beschränken, spricht nichts dafür, dass die genannten Organe dafür nach Bundesrecht nicht in Frage kommen sollen. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber auch die letzte, erst wenige Jahre zurückliegende Novellierung des § 394 AktG trotz der zum damaligen Zeitpunkt bereits bestehenden Regelung (etwa) des § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW nicht zum Anlass genommen hat, eine entsprechende Einschränkung aufzunehmen. Vielmehr wurde mit der Anfügung des Satzes 3 in § 394 AktG klargestellt, dass als rechtliche Grundlagen von Berichtspflichten neben Gesetzen auch Satzungen und Rechtsgeschäfte in Betracht kommen, mögliche Berichtspflichten in der Sache also ausgeweitet. Auch in diesem Kontext bestand aus Sicht des Gesetzgebers offenbar keine Veranlassung, eine beschränkende Regelung im Hinblick auf die potentiellen Berichtsempfänger und -empfängerinnen aufzunehmen.
83Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass eine rechtliche Verpflichtung der Ratsmitglieder zur Verschwiegenheit durch § 395 Abs. 1 AktG i. V. m. § 30 Abs. 1 GO NRW gewährleistet wird und sich deren Einhaltung nötigenfalls durch flankierende Vorkehrungen - wie etwa Beratung in nicht-öffentlicher Sitzung, Delegation auf einen Ausschuss o. ä. - auch in tatsächlicher Hinsicht hinreichend sicherstellen lässt. Zwar liegt der Gedanke nahe, dass mit zunehmender Größe des zu informierenden Vertretungsorgans die Wahrscheinlichkeit einer Relativierung der Verschwiegenheitspflicht steigt; dies ist jedoch im Interesse einer effektiven demokratischen Kontrolle zu akzeptieren,
84vgl. Werner, NVwZ 2019, 449, 452; Rochlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 395 Rn. 30; Schall, in: BeckOK Großkommentar, Stand: Oktober 2022, § 394 AktG Rn. 15; zur Bedeutung demokratisch legitimierter Einflussmöglichkeiten auf Unternehmen in öffentlicher Hand vgl. auch BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 - 2 BvE 2/11 -, juris Rn. 225,
85und wird nach dem hier vertretenen Verständnis der §§ 394 f. AktG vom (Bundes-)Gesetzgeber in Kauf genommen.
86(2) Im Hinblick auf den Inhalt des Schreibens vom 28. Mai 2018 zu TOP 5 der Aufsichtsratssitzung der O. AG vom Juni 2018 war bzw. ist der Beklagte - mit den aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkungen - dem Rat nach § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW berichtspflichtig. Die Berichtspflicht erstreckt sich auf alle Angelegenheiten von besonderer Bedeutung, wobei Letztere aus Sicht der Gemeinde, nicht des jeweiligen Unternehmens zu bewerten ist. Von besonderer Bedeutung für die Gemeinde sind jedenfalls diejenigen Angelegenheiten, die nach den kommunalverfassungsrechtlichen Vorgaben zwingend einer Entscheidung des Rates bedürfen.
87Vgl. Kaster, in: BeckOK KommunalR NRW, 22. Edition Dezember 2022, § 113 GO NRW Rn. 25.
88Dieser ist so frühzeitig zu unterrichten, dass eine Willensbildung im Rat und eine diesbezügliche Einflussnahme noch möglich ist, mithin der Rat die Gelegenheit hat, durch sein in § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW geregeltes Weisungsrecht Einfluss auf die in den betreffenden Gremien anstehenden Entscheidungen ausüben zu können.
89Vgl. Kleerbaum/Palmen, Gemeindeordnung NRW, 3. Aufl. 2017, § 113 Ziffer VI; Kaster, in: BeckOK KommunalR NRW, 22. Edition Dezember 2022, § 113 GO NRW Rn. 26 m. w. N.
90Gemessen daran sind die im streitgegenständlichen Abschnitt des Schreibens vom 28. Mai 2018 enthaltenen Informationen, die die thematisierte geplante Beteiligung der O. GmbH an der T. GmbH, deren Umstände sowie ggf. dazu angestellte taktische Erwägungen betreffen, von besonderer Bedeutung im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW. Die Zuständigkeit für Entscheidungen über eine erstmalige mittelbare Beteiligung an einer Gesellschaft in privater Rechtsform kann der Rat nach § 41 Abs. 1 Satz 2 Buchst. m GO NRW nicht übertragen. Die besondere Bedeutung einer solchen Entscheidung wird auch durch § 108 Abs. 6 Satz 1 Buchst. a GO NRW verdeutlicht, wonach Vertreter und Vertreterinnen der Gemeinde in einer Gesellschaft, an der Gemeinden, Gemeindeverbände oder Zweckverbände unmittelbar oder mittelbar mit mehr als 25 vom Hundert beteiligt sind, einer Beteiligung der Gesellschaft an einer anderen Gesellschaft in einer Rechtsform des privaten Rechts nur zustimmen dürfen, wenn die vorherige Entscheidung des Rates vorliegt. Eine solche Entscheidung über die erstmalige mittelbare Beteiligung an einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft dürfte hier bei der geplanten Beteiligung der O. GmbH an der T. GmbH vorgelegen haben. Eine Angelegenheit von besonderer Bedeutung wäre aber selbst dann gegeben, wenn es sich - wie von der O. AG offenbar vertreten,
91siehe dazu Niederschrift über die 39. Sitzung des Rates der Stadt N. am 3. Juli 2019, S. 32, -
92bei der Beteiligung nicht um eine „wirtschaftliche Betätigung“ im Sinne des § 107 GO NRW gehandelt hätte und eine Zustimmung des Rates daher möglicherweise entbehrlich war. Denn auch wenn der Rat nicht zwingend zu beteiligen war, so war diese Frage jedenfalls nicht offensichtlich zu verneinen und eine Unterrichtung des Rates schon deshalb geboten, um ihm eine eigenständige Einschätzung dieser Frage und ggf. ein entsprechendes Tätigwerden zu ermöglichen.
93Es ist auch davon auszugehen, dass - mit der tenorierten Einschränkung - der gesamte Inhalt des streitgegenständlichen Abschnitts des Schreibens vom 28. Mai 2018 der Berichtspflicht unterfällt. Zwar ist ein „Bericht“ schon begrifflich grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass es allein dem Berichtspflichtigen obliegt, die Informationen aufzubereiten und weiterzugeben. Deshalb begründet eine Berichtspflicht in aller Regel nicht die Pflicht, eine bestimmte Unterlage herauszugeben oder vollständig zu zitieren. Vorliegend ist aber zu berücksichtigen, dass der fragliche Abschnitt des Dokuments ausschließlich ein berichtspflichtiges Thema in gedrängter Form (nach Angaben des Prozessvertreters des Beklagten in der Berufungsverhandlung lediglich ca. eine Seite) behandelt. Insoweit ist davon auszugehen, dass sämtliche enthaltenen Informationen auch der Berichtspflicht nach § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW unterfallen. Dies gilt jedenfalls, soweit in diesem Kontext nicht andere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder Informationen über andere vertrauliche Berichte und Beratungen enthalten sind. Der Berichtspflicht unterfallen im Übrigen auch möglicherweise im Dokument enthaltene Überlegungen oder rechtliche Einschätzungen zur Notwendigkeit der Einbeziehung des Rates bezüglich der fraglichen Beteiligung, da - wie oben bereits erläutert - auch insoweit ein Unterrichtungsrecht des Rates besteht, um ihm eine eigene Einschätzung und ein entsprechendes Tätigwerden überhaupt zu ermöglichen.
94(3) Dem Akteneinsichtsbegehren der Klägerinnen zu 2. und 3. nach § 55 Abs. 4 GO NRW steht die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht nicht entgegen, weil der Beklagte im Hinblick auf den Inhalt des streitgegenständlichen Abschnitts des Schreibens vom 28. Mai 2018 nach den obigen Darlegungen dem Rat gegenüber berichtspflichtig war bzw. - mangels Erfüllung dieser Pflicht - noch immer ist. Der Umstand, dass der Bericht nicht „frühzeitig“ - nämlich zumindest vor der entsprechenden Umsetzung des Beschlusses über die Beteiligung - erstattet worden ist, lässt die Notwendigkeit einer Information nicht entfallen. Anderenfalls könnten sich die Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden im Aufsichtsrat durch Untätigkeit und Zeitablauf ihrer Berichtspflicht entziehen, was dem Zweck des Gesetzes erkennbar zuwiderliefe.
95Für den geltend gemachten Anspruch ist es ferner unschädlich, dass Adressat der Berichtspflicht nach § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW der Rat ist, es sich bei den Klägerinnen zu 2. und 3. aber um Ratsfraktionen handelt. Denn sie machen nicht die Erfüllung der Berichtspflicht geltend, sondern ihr Recht auf Akteneinsicht nach § 55 Abs. 4 Satz 1 GO NRW. Dabei steht der Erfüllung dieses Anspruchs die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Beklagten nicht entgegen, soweit seine Befreiung von dieser Pflicht nach § 394 Satz 1 AktG reicht, mithin im Umfang seiner Berichtspflicht. Da der Inhalt des streitgegenständlichen Abschnitts des Schreibens vom 28. Mai 2018 - mit den tenorierten Einschränkungen - wie ausgeführt der Berichtspflicht unterfällt und die Mitglieder der Klägerinnen zu 2. und 3. als Ratsmitglieder zugleich zum Kreis der Adressaten dieses Berichts gehören, kommt ihnen gegenüber die Berufung auf die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht nicht in Betracht.
96Ob die gesellschaftsrechtlich begründete Vertraulichkeit, der das streitgegenständliche Schriftstück dem Grundsatz nach unterfallen dürfte, (auch) durch den Beschluss des Aufsichtsrates aufgehoben worden ist, nach dem den Ratsmitgliedern der Inhalt des Protokolls der Sitzung von Juni 2018 zum dortigen Tagesordnungspunkt 5 zugänglich gemacht worden ist, kann daher im Ergebnis dahinstehen.
97Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Die von Amts wegen vorgenommene Änderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung trägt dem Umstand Rechnung, dass nach den Angaben des Beklagten in der Berufungsinstanz wohl keine weiteren Dokumente vorhanden sind, die vom Einsichtsbegehren umfasst sein könnten. Hinsichtlich des von Kläger- und Beklagtenseite für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits entspricht es der Billigkeit, die Kosten insoweit ebenfalls dem Beklagten aufzuerlegen, weil die Klage der Klägerin zu 1. ausschließlich aufgrund des Endes der Wahlperiode und ihrer daraus folgenden Auflösung unzulässig geworden ist, in der Sache aber - soweit sie noch Gegenstand des Berufungsverfahrens war - ursprünglich begründet war.
98Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
99Die Revision ist zuzulassen, weil die Frage der Vereinbarkeit des § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW mit den aktienrechtlichen Vorschriften von grundsätzlicher Bedeutung ist (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).