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§ 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW ist mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar.
Die Zuordnung der Polizeipräsidenten zum Kreis der politischen Beamten i. S. v. § 37 Abs. 1 LBG NRW und die damit bestehende Möglichkeit ihrer jederzeitigen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand verletzt den Kernbereich des Lebenszeitprinzips.
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Bundesverfassungsgericht wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 37 Abs. 1 Nr. 5 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtenbesetz - LBG NRW) in der Fassung vom 21. April 2009 (GV. NRW. S. 224) gegen Art. 33 Abs. 5 GG verstößt.
G r ü n d e :
2I.
3Der Kläger wendet sich gegen seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand.
4Das beklagte Land verlieh dem Kläger, der Volljurist ist, am 19. Februar 1990 die Eigenschaft eines Beamten auf Lebenszeit. Nach Durchlaufen verschiedener Ämter wurde er schließlich mit Wirkung vom 4. Oktober 2011 zum Polizeipräsidenten ineinem Polizeibereich mit mehr als 300.000 Einwohnern und mit mehr als 3.500 Mitarbeitern (Besoldungsgruppe B 5) ernannt. Zugleich wurde er zum Polizeipräsidium L. versetzt und mit dessen Leitung beauftragt.
5In der Nacht 2015/2016 kam es im Bereich des L1. Doms und Hauptbahnhofs zu einem polizeilichen Einsatzgeschehen, das bundesweit für Aufsehen sorgte. Aus einer großen Gruppe von Personen heraus, die dem äußeren Eindruck nach aus dem nordafrikanischen bzw. arabischen Raum stammten, wurde eine Vielzahl von Straftaten begangen, namentlich Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie Raub- bzw. Diebstahlsdelikte. Am 1. Januar 2016 gab das Polizeipräsidium L. eine Presseerklärung mit der Überschrift „Ausgelassene Stimmung - Feiern weitgehend friedlich“ heraus. Die Erklärung enthielt zwar den Hinweis auf eine kurzfristige Räumung des Bahnhofsvorplatzes im Bereich des Treppenaufgangs zum . Sie endete aber mit dem Satz: „Trotz der ungeplanten Feierpause gestaltete sich die Einsatzlage entspannt - auch weil die Polizei sich an neuralgischen Orten gut aufgestellt und präsent zeigte“. Diese Presseerklärung bezeichnete der Kläger in einer Pressekonferenz am 4. Januar 2016 selbst als falsch. Ausweislich des Presseportals der Polizei „aktualisierte“ die Pressestelle des Polizeipräsidiums L. am 8. Januar 2016 die Pressemitteilung mit der Begründung, sie sei inhaltlich nicht korrekt.
6Die Ereignisse in der Nacht und ihre Darstellung durch das Polizeipräsidium L. waren in der Folge Gegenstand einer intensiven Diskussion in der (Medien-) Öffentlichkeit. Daraufhin entschloss sich der Minister für Inneres und Kommunales, der Landesregierung vorzuschlagen, den Kläger in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Er führte am 8. Januar 2016 ein persönliches Gespräch mit dem Kläger, im Rahmen dessen er ihn über diese Absicht informierte und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gab.
7Die Landesregierung beschloss in der Kabinettssitzung am 12. Januar 2016, den Kläger mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben als Polizeipräsident zu entbinden und ihn in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Das Ministerium für Inneres und Kommunales teilte dies dem Kläger mit Verfügung vom 18. Januar 2016 mit. Der einstweilige Ruhestand beginne mit der Aushändigung der Verfügung. Die Verfügung sowie die entsprechende Urkunde wurden dem Kläger am 18. Januar 2016 übergeben. Eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieb.
8Der Kläger hat am 3. Januar 2017 Klage erhoben. Zur Begründung der Klage hat er im Wesentlichen vorgetragen:
9Die Verfügung vom 18. Januar 2016 sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand sei ermessensfehlerhaft und willkürlich.
10Soweit das beklagte Land ihm im Hinblick auf das Einsatzgeschehen in der Nacht 2015/2016 Fehlverhalten vorwerfe, lasse es außer Acht, dass er sich am Einsatztag und auch schon einige Tage vorher im Erholungsurlaub befunden habe und weder mit dem Einsatz noch mit dessen Vorbereitung befasst gewesen sei.
11Der Vorwurf, in der Nacht hätten nicht genügend Einsatzkräfte zur Verfügung gestanden, sei nicht nur an das Polizeipräsidium L. , sondern vor allem an das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) zu richten. Dieses habe weniger Beamte zur Verfügung gestellt, als das Polizeipräsidium L. angefordert habe. Die Intervention des Polizeipräsidiums habe keinen Erfolg gehabt.
12Auch eine mangelnde Reaktion am Einsatztag könne der L1. Polizeiführung nicht vorgeworfen werden. Nach allgemeiner Einschätzung der Sicherheitsbehörden habe es sich um Ereignisse völlig neuer Dimension gehandelt. Da die Erkenntnisse der vor Ort eingesetzten Beamten zu spät an die für die Koordinierung zuständigen Beamten der Leitstelle weitergegeben worden seien, sei es der L1. Polizeiführung am Silvesterabend nicht mehr möglich gewesen, auf die außergewöhnliche Situation zu reagieren. Auf die Anforderung weiterer Kräfte habe das Polizeipräsidium L. , wie der Kläger näher erläutert hat, in der Nacht zu Recht verzichtet.
13Er habe auch nicht die Presse und die übergeordneten Behörden unzureichend über die Geschehnisse unterrichtet. Für die Presseerklärung vom 1. Januar 2016 habe er sich bereits in der Pressekonferenz am 4. Januar 2016 öffentlich entschuldigt und sie als falsch bezeichnet. Er habe in dieser Pressekonferenz und auch in der Pressekonferenz am 5. Januar 2016 darüber informiert, dass die Tatverdächtigen von den eingesetzten Kräften und auch den Opfern dem äußeren Eindruck nach als aus dem nordafrikanischen bzw. arabischen Raum stammend beschrieben worden seien. In der Dienstbesprechung am 7. Januar 2016 habe Staatssekretär O. zwar die Medienlage kritisch analysiert. Eine ausdrückliche Aufforderung seitens des Ministeriums für Inneres und Kommunales, die Medienarbeit des Polizeipräsidiums zu verändern oder von Flüchtlingen zu sprechen, habe es aber nicht gegeben. Die gesamte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums sei den Vorgaben des die „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei Nordrhein-Westfalen“ betreffenden Runderlasses des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 15. November 2011 - 401 - 58.02.05 - nebst Pressekodex und den „Leitlinien für die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen zum Schutz nationaler Minderheiten vor Diskriminierungen“ (Runderlass des Innenministeriums vom 15. Dezember 2008, MBl. NRW. 2009 S. 20) gefolgt. Die nach dem Runderlass des Innenministeriums vom 1. Juli 2008 - 41 - 60.23.02 - übermittelten Meldungen wichtiger Ereignisse (WE-Meldungen) der ersten Januartage hätten genau dem Stand der Erkenntnislage entsprochen. Die gesamte Dimension der Ereignisse sei erst später belegbar gewesen. Unhaltbar sei der Vorwurf, die Information des Ministeriums für Inneres und Kommunales sei zunächst unterlassen worden. Entsprechend dem normalen Geschäftsgang habe das Polizeipräsidium L. das LZPD und das Landeskriminalamt (LKA) informiert. Diese seien dann für die Information des Ministeriums zuständig gewesen.
14Der Minister für Inneres und Kommunales habe mit der streitbefangenen Verfügung die Anerkennung und Wertschätzung seiner, des Klägers, Arbeit als Polizeipräsident zum Ausdruck gebracht und ihn bei der Aushändigung der Verfügung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sich nichts vorzuwerfen habe. Die Entscheidung, ihn in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, beruhe offensichtlich auf Gründen, die nicht in seiner Person lägen. Nachdem der Druck der Öffentlichkeit infolge der zunächst unklaren Informationslage auch auf die Landesregierung gestiegen und durch einige unglückliche Äußerungen von Landes- und Bundespolitikern der Eindruck vermittelt worden sei, die Fehler im Umgang mit den Vorkommnissen in der Nacht seien in erster Linie bei der L1. Polizei zu suchen, habe man einen „Sündenbock“ gesucht und in seiner Person gefunden.
15Im Übrigen habe das beklagte Land nicht dargelegt, dass in seinem, des Klägers, Fall eine anderweitige amtsangemessene Beschäftigung nicht möglich gewesen wäre.
16Schließlich bestünden verfassungsrechtliche Bedenken. § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW verletze das in Artikel 33 Abs. 5 GG mit Verfassungsrang ausgestattete Lebenszeitprinzip.
17Der Kläger hat beantragt,
18die Zurruhesetzungsverfügung des Ministers für Inneres und Kommunales im Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Januar 2016 aufzuheben.
19Das beklagte Land hat beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Es hat zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen:
22Die Klage sei unbegründet. Die streitgegenständliche Verfügung gründe auf § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW, der verfassungsgemäß sei. Sie sei rechtmäßig. Der Anwendungsbereich des § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW sei nicht auf Fälle begrenzt, in denen dem Betroffenen eine mangelhafte fachliche Qualifikation oder Amtsführung oder ein persönliches Fehlverhalten vorgeworfen werde. Die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand beruhe auf dem dargestellten Einsatzgeschehen in der Nacht 2015/2016 und dem Kommunikations- und Informationsverhalten des Klägers sowie der ihm unterstellten Behörde in den nachfolgenden Tagen. Im Zusammenhang mit dem Einsatzgeschehen in der Nacht sei es aus Sicht des Ministeriums für Inneres und Kommunales zu nicht akzeptablen Fehlern des Polizeipräsidiums L. bei der Einsatzplanung sowie bei der Lagebeurteilung und -bewältigung gekommen. Insoweit werde Bezug genommen auf den Bericht des Ministers für Inneres und Kommunales und des Inspekteurs der Polizei in der öffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Landtags am 11. Januar 2016.
23Das LZPD habe schon im Vorfeld deutlich mehr Kräfte als im Vorjahr zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus hätten in der Nacht weitere Kräfte zur Verfügung gestanden und angefordert werden können bzw. müssen. Der Hergang belege die Fehleinschätzung, am Einsatztag die Lage mit den vorhandenen Kräften umfassend bewältigen zu können, und fehlerhafte Führungsentscheidungen der L1. Polizei.
24Die Geschehnisse in der Nacht und das anschließende Informations- und Kommunikationsverhalten des Klägers und der Pressestelle des Polizeipräsidiums L. hätten zu einem erheblichen Ansehens- und Vertrauensverlust der Polizei geführt. Am 1. Januar 2016 und an den folgenden Tagen habe sich aufgrund der Berichterstattung in L1. Medien das Ausmaß der Übergriffe abgezeichnet. Da die zwischen dem 1. und 3. Januar 2016 beim Ministerium für Inneres und Kommunales eingegangenen vier WE-Meldungen des Polizeipräsidiums L. dies nicht widergespiegelt und noch keine außergewöhnliche Dimension der Ereignisse dargestellt hätten, habe das Ministerium am 4. Januar 2016 einen ergänzenden Bericht angefordert. Am selben Tag habe der Kläger in einem Pressegespräch auf eine völlig neue Dimension der Ereignisse hingewiesen. Am 6. Januar 2016 habe eine Dienstbesprechung stattgefunden, an welcher der Kläger und Vertreter des Ministeriums, u. a. Staatssekretär O. , teilgenommen hätten. Zu diesem Zeitpunkt sei in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, das Polizeipräsidium L. oder der Kläger habe die Herkunft der an den Ereignissen in der Nacht Beteiligten „vertuschen“ wollen. Der Staatssekretär habe dem Kläger in der Dienstbesprechung dringlich empfohlen, dem in der Öffentlichkeit entstandenen Bild entgegenzutreten, die Polizei habe über die Herkunft der Beteiligten keine Erkenntnisse. Da eine entsprechende öffentliche Erklärung auch am 7. Januar 2016 nicht erfolgt sei, habe das Ministerium durch den Abteilungsleiter der Polizei die Empfehlung des Staatssekretärs telefonisch gegenüber dem Kläger mit Nachdruck wiederholt. Erst am 8. Januar 2016 habe der Kläger mit einem Pressestatement reagiert. An diesem Tag habe er auch den angeforderten Bericht übersandt. Abweichend von der Presseerklärung des Polizeipräsidiums L. vom 1. Januar 2016 habe sich aus diesem Bericht sowie weiteren ergänzenden Angaben ergeben, dass Führungskräften bereits in der Nacht bekannt geworden sei, dass mehrere größere Personengruppen, die von den Einsatzkräften dem äußeren Eindruck nach als „nordafrikanisch/arabisch“ bezeichnet worden seien, Frauen angegangen und sexuell belästigt hätten. Schon in der Nacht habe die Erkenntnislage bestanden, dass es zu zahlreichen Diebstahls- und Sexualdelikten gekommen sei. Bis zum 4. Januar 2016 hätten 92 Strafanzeigen aus denDeliktsbereichen sexuelle Nötigung/Vergewaltigung, Beleidigung auf sexueller Basis, Raub und Diebstahl vorgelegen, wobei die Geschädigten die Täter als „nordafrikanisch/arabisch aussehend“ beschrieben hätten.
25Der Kläger könne sich hinsichtlich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die er zu verantworten habe, nicht auf den Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 15. November 2011 - 401 - 58.02.05 - zurückziehen. Zu einer objektiven und vertrauensstärkenden Berichterstattung habe angesichts der Reaktionen in den Medien und in der Bevölkerung zwingend auch ein Eingehen auf die Frage der Herkunft der Tatverdächtigen gehört. Der Kläger habe dem in der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck, diesbezüglich solle etwas verschwiegen werden, zunächst nicht aktiv entgegengewirkt.
26Infolge der Ereignisse in der Nacht und der dadurch verursachten Diskussionen und Reaktionen in der Öffentlichkeit hätten die Landesregierung und insbesondere der Minister für Inneres und Kommunales die Wiederherstellung des verloren gegangenen Vertrauens in die L1. Polizei als ein landespolitisches Ziel mit hoher Priorität betrachtet. Der Minister habe sich daher entschlossen, der Landesregierung vorzuschlagen, den Kläger in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Berücksichtigung gefunden habe bei diesem Entschluss auf der einen Seite die hohe Bedeutung des Vertrauens der Öffentlichkeit in den Staat und die Polizei, die hohe Bedeutung der schnellen Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit des Polizeipräsidiums L. für die innere Sicherheit im Land und die Tatsache, dass der Kläger den in der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck, die Herkunft der Tatverdächtigen solle verschleiert werden, tagelang nicht wirkungsvoll ausgeräumt habe. Auf der anderen Seite habe der Minister die langjährige engagierte Tätigkeit des Klägers für das Land sowie die Tatsache berücksichtigt, dass ein persönliches Verschulden des Klägers nicht festgestellt worden und der Vorwurf, er habe die Öffentlichkeit belogen, nicht haltbar gewesen sei. Dabei habe auch eine Rolle gespielt, dass kurzfristig erneut Großveranstaltungen (Karneval) angestanden hätten. Es hätten erhebliche Zweifel bestanden, dass mit dem Kläger als Behördenleiter die polizeiliche Bewältigung dieser Veranstaltungen mit der dazu erforderlichen Durchsetzungskraft und Akzeptanz würde gelingen können.
27Seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand habe sich auch nicht durch eine Versetzung auf einen anderen Dienstposten vermeiden lassen. Seinerzeit habe kein entsprechendes vakantes Amt zur Verfügung gestanden.
28Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. Januar 2018 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
29Die zulässige Klage sei unbegründet. Die streitgegenständliche Verfügung sei rechtmäßig. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW, der verfassungsgemäß sei. Die Versetzung des Klägers in den einstweiligen Ruhestand sei ermessensfehlerfrei erfolgt. Die Ereignisse am L1. in der Nacht 2015/2016 seien ein sachlicher Grund, der zu dieser Maßnahme berechtigt habe. In dieser Nacht seien die vor Ort anwesenden Polizeikräfte nicht in der Lage gewesen, die öffentliche Sicherheit am L1. zu gewährleisten. Es sei zu unkontrolliertem Abfeuern von Feuerwerkskörpern auf die Menschenmenge auf dem Bahnhofsvorplatz, zu massiven sexuellen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen sowie zu Raub- und Diebstahlsdelikten gekommen. Die Täter hätten überwiegend unerkannt in der Menschenmenge entkommen können. Dass es in diesem Ausmaß zu Übergriffen habe kommen können, sei laut „Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses“ vom 23. März 2017 im Wesentlichen darauf zurückzuführen gewesen, dass die Polizei mit zu wenigen Kräften vor Ort gewesen sei und dass unter den eingesetzten Polizeikräften, insbesondere zur Einsatzleitung, keine ausreichende Kommunikation bestanden habe. Der unzureichende Polizeieinsatz habe im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums L. stattgefunden und sei dem Kläger als dessen Leiter zuzurechnen, ohne dass es auf sein persönliches Fehlverhalten ankomme. Die Vorkommnisse in der L1. Nacht hätten bundesweit nachhaltig für Aufsehen gesorgt und zu einer erheblichen Verunsicherung besonders der L1. Bevölkerung geführt. Die Verunsicherung habe sich insbesondere auch auf die Frage bezogen, ob es der L1. Polizei unter der Leitung des Klägers künftig gelingen werde, bei Großveranstaltungen die Sicherheit zu gewährleisten. Die Auswirkungen des Umstands, dass die Polizeikräfte nicht in derLage gewesen seien, die Ausschreitungen in der Nacht zu verhindern, seien durch die fehlerhafte Presseinformation des Polizeipräsidiums L. im Anschluss an diese Nacht noch verstärkt worden. Sie habe begünstigt, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden sei, die Herkunft der Täter solle vertuscht werden. Es sei nachvollziehbar, dass die Landesregierung bei dieser Sachlage ihrerseits nicht mehr darauf vertraut habe, dass sich das Vertrauen der Bevölkerung in eine funktionierende Polizeiarbeit in L. unter der Leitung des Klägers zeitnah wieder herstellen lasse.
30Der Kläger hat gegen das ihm am 22. Januar 2018 zugestellte Urteil am 14. Februar 2018 die Zulassung der Berufung beantragt und diesen Antrag am 19. März 2018 begründet. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 11. August 2020, dem Kläger zugestellt am 27. August 2020, zugelassen. Mit der am 25. September 2020 eingegangenen Berufungsbegründung verweist der Kläger auf sein erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend im Wesentlichen vor:
31§ 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW sei verfassungswidrig und daher nicht geeignet, seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand zu rechtfertigen. Die Aufnahme des Polizeipräsidenten in den Kreis der politischen Beamten verstoße gegen das in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Lebenszeitprinzip. Darüber hinaus werde mit der Möglichkeit der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand in das Leistungsprinzip eingegriffen. Selbst hervorragende Leistungen des Betroffenen könnten ihn nicht vor einer Versetzung in den einstweiligen Ruhestand schützen.
32Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 - könnten nur solche Beamte politische Beamte sein, die dem engsten Kreis unmittelbarer Berater der Träger politischer Ämter zuzuordnen seien. Dies sei jedoch im Fall der Polizeipräsidenten auch unter Berücksichtigung der Praxis, die er, der Kläger, in seiner vierzehnjährigen Dienstzeit als Polizeipräsident erlebt habe, nicht anzunehmen. Eine einer gewissen Regelmäßigkeit unterliegende Beratungstätigkeit habe es durch ihn gegenüber den für Inneres zuständigen Ministern nicht gegeben. Die Kontakte hätten sich auf Behördenleitertagungen beschränkt, auf welchen die Minister mit allen 50 Behördenleitern aktuelle Themen besprochen hätten. Dabei habe es sich allerdings überwiegend um Darstellungen des Ministeriums gehandelt, zu denen die Behördenleiter hätten Stellung nehmen können. Darüber hinaus habe es noch in Einzelfällen Gespräche zwischen ihm und den Ministern gegeben, die jedoch keine geschlossene Beratungsstruktur hätten erkennen lassen.
33Zur Einstufung der Polizeipräsidenten als politische Beamte passe es auch nicht, dass sie Leiter unterer Landesbehörden seien. Bei den anderen in § 37 Abs. 1 LBG NRW genannten Beamten handele es sich entweder um Leiter einer Landesmittelbehörde oder Personen, die ihren Wirkungsbereich unmittelbar in der Regierung hätten und in der Regel politisch tätig seien.
34Das Bundesverfassungsgericht habe sich in seinem Beschluss vom 24. April 2018- 2 BvL 10/16 - erneut mit der Institution des politischen Beamten beschäftigt und den engen Ausnahmecharakter bestätigt. Eine - die Zugehörigkeit zum Kreis der politischen Beamten rechtfertigende - Transformationsaufgabe im Sinne dieses Beschlusses komme den Polizeipräsidenten nach nordrhein-westfälischem Recht nicht zu. Sie stünden als Behördenleiter in einer administrativ-gesetzesvollziehenden Linie im hierarchischen Behördenaufbau. Zwar müssten Polizeipräsidenten politische Vorgaben zur Sicherheitspolitik in operatives Handeln umsetzen. Dies gelte aber für nahezu jeden Behördenleiter. Erfasst sein könnten vielmehr nur Stellen in der Nähe zur Politik, die vorrangig zur Ausarbeitung von politischen Zielen besetzt würden, nicht aber Stellen, mit denen politische Ziele, die schon in Gesetzesform gebracht worden seien, umgesetzt würden.
35Die Möglichkeit der Versetzung eines Polizeipräsidenten in den einstweiligen Ruhestand führe außerdem zu einer potenziell gefährlichen „Politisierung“ des Amtes und schwäche seine Stellung. Es bestehe die Gefahr einer politischen Abhängigkeit. In Nordrhein-Westfalen seien die Generalstaatsanwälte Ende des Jahres 2000 aus dem Kreis der politischen Beamten herausgenommen worden. Die obersten Ankläger sollten nämlich nicht die politischen Ansichten und Ziele der Regierung, sondern unabhängig von politischen Strömungen das Recht durchsetzen. Dies gelte für Polizeipräsidenten in gleichem Maße.
36Selbst wenn man annähme, eine Einbeziehung der Polizeipräsidenten in den Kreis der politischen Beamten sei verfassungsgemäß, seien die Voraussetzungen für seine, des Klägers, Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nicht erfüllt.
37Ungeschriebene, aber aus Sinn und Zweck der einschlägigen Norm zu entwickelnde tatbestandliche Voraussetzungen für die Versetzung eines politischen Beamten in den einstweiligen Ruhestand seien, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beamten und dem Verfassungsorgan, dem er zugeordnet sei, nachhaltig gestört erscheine und aus diesem Grund die fortdauernde Eignung des Beamten für sein spezielles, im Grenzbereich zwischen Politik und Verwaltung angesiedeltes Amt ernstzunehmenden Zweifeln ausgesetzt sei. Das Ermessen müsse pflichtgemäß ausgeübt werden. Ein politscher Beamter dürfe nur dann in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, wenn bei der Regierung Zweifel an seiner Amtsausübung in fortdauernder Übereinstimmung mit ihren grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen bestünden. Hierbei müsse es sich um Zweifel handeln, die in der Person des Beamten selbst begründet seien.
38Derartige Gründe seien in seinem Fall nach wie vor nicht dargetan. Der vom Verwaltungsgericht genannte „Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses“ sei gerade nicht zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen. Er, der Kläger, habe zu keinem Zeitpunkt Anlass gegeben, das Vertrauen in seine Amtsführung und die Vereinbarkeit seines Handelns mit den politischen Zielen der Landesregierung anzuzweifeln. Das mangelnde Vertrauen der Öffentlichkeit in die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung bzw. in die Sicherheitspolitik des für Inneres zuständigen Landesministers könne seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nicht rechtfertigen. Zu Unrecht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der (vermeintliche) Vertrauensverlust der Öffentlichkeit einem Verlust des Vertrauens des Ministers in ihn, den Kläger, gleichstehe. Vielmehr müsse der Vertrauensverlust in irgendeiner Weise auf sein Verhalten bzw. das seiner Behörde und damit seine Amtsführung zurückzuführen sein. Hierfür kämen nur zwei Vorwürfe in Betracht, die jedoch beide vorgeschoben seien. Ihm könne nicht vorgeworfen werden, die L1. Polizei habe in der Nacht nicht ausreichend Einsatzkräfte vorgehalten. Auch der Vorwurf der unglücklichen Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit oder der unzureichenden Unterrichtung der übergeordneten Behörden im Nachgang lasse sich nicht halten. Diesbezüglich ergänzt der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen um den Hinweis, über die WE-Meldungen des Polizeipräsidiums L. hinaus habe es zahlreiche telefonische Kontakte mit der damaligen stellvertretenden Leiterin derDirektion K des LKA gegeben, mit der auch er laufend Kontakt gehalten habe. Darüber hinaus habe er den damaligen Abteilungsleiter Polizei im Ministerium für Inneres und Kommunales direkt informiert. Im Übrigen belege der Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, dass die Behauptung des beklagten Landes unzutreffend sei, er, der Kläger, habe in den auf die Nacht folgenden Tagen den Eindruck erweckt, die Herkunft der Tatverdächtigen solle verschleiert werden.
39Der Kläger beantragt,
40das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid des Ministers für Inneres und Kommunales im Lande Nordrhein-Westfalen vom 18. Januar 2016 aufzuheben.
41Das beklagte Land beantragt,
42die Berufung zurückzuweisen.
43Es trägt im Wesentlichen vor:
44§ 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW sei verfassungsgemäß.
45Die Bestimmung der Ämter, deren Inhaber jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden könnten, sei Aufgabe des Gesetzgebers. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe, das Lebenszeitprinzip und das Institut des politischen Beamten,denen als hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums gleichermaßen Verfassungsrang zukomme, in Ausgleich zu bringen, habe er einen Gestaltungsspielraum. Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber habe seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten, indem er die Polizeipräsidenten in den Kreis der politischen Beamten einbezogen habe.
46Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 24. April 2018- 2 BvL 10/16 - bemerkt, die Beamtengesetze des Bundes und der Länder bildeten den wohl maximal zulässigen Kreis der politischen Beamten ab, ohne die auf die Ämter der Polizeipräsidenten bezogenen Regelungen zu problematisieren. Auch nach der Entscheidung des erkennenden Gerichts vom 20. Dezember 1957 - VI A 227/54 - bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Möglichkeit, den „Leiter der Polizei eines Stadtkreises“ jederzeit in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.
47Kennzeichen des politischen Beamten sei es, dass er für seine Amtsführung eines besonderen Vertrauens der Regierung bedürfe. Dies könne sich aus unterschiedlichen Gesichtspunkten ergeben:
48Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -) und das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -) hätten auf die „Transformationsleistung“ abgehoben, die ein politischer Beamter erbringe und für die dieses Vertrauen Voraussetzung sei. Diese Erwägung trage dem Umstand Rechnung, dass die Regierung ihr politisches Programm nur verwirklichen könne, wenn es von der Verwaltung effektiv umgesetzt werde. Dazu benötige sie Beamte, denen sie das Vertrauen entgegenbringe, ihre Politik nicht nur zu akzeptieren, sondern sie durch geeignete Maßnahmen auch gegenüber den ihnen hierarchisch nachgeordneten Beschäftigten aktiv zu fördern.
49Neben der Transformationsfunktion könnten auch Gesichtspunkte eine Rolle spielen, die wesentliche Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen hätten. Dazu gehöre die Erhaltung des Vertrauens in die Leistungsfähigkeit dieser Institutionen. Deshalb dürfe bei der Bestimmung der Ämter, deren Inhaber in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden könnten, auch berücksichtigt werden, ob die Amtsinhaber in der Öffentlichkeit typischerweise als wichtige Repräsentanten staatlichen Handelns und damit auch der Regierung wahrgenommen würden. Als Folge einer solchen Exponiertheit des Amtes in der Öffentlichkeit könne wirkliches oder vermeintliches Fehlverhalten oder unzweckmäßiges Vorgehen des Amtsinhabers oder ihm unterstellter Beschäftigter, für deren Handeln er die Verantwortung trage, das Ansehen des Staates und der Regierung erheblich beeinträchtigen, wenn sich die Regierung nicht schnell von dem Amtsinhaber trennen könnte. Dies illustriere das Beispiel des Klägers besonders deutlich. Wegen der Vorfälle in der Nacht 2015/2016 und des Verhaltens des Klägers in den nachfolgenden Tagen habe die Öffentlichkeit das Vertrauen in die Fähigkeit der L1. Polizei unter der Führung des Klägers verloren, die Sicherheit in L. zu gewährleisten. Sie habe daher von der Landesregierung schnelle Maßnahmen erwartet.
50Bei den nordrhein-westfälischen Polizeipräsidenten träfen diese beiden Elemente zusammen. Einerseits sei die Landesregierung in besonderem Maße auf die Polizeipräsidenten angewiesen, um ihre Politik im Bereich der inneren Sicherheit umzusetzen. Andererseits repräsentierten die Polizeipräsidenten die praktische Umsetzung dieser Politik in der Öffentlichkeit. Mängel bei der Gefahrenabwehr durch ein Polizeipräsidium könnten deshalb in der Öffentlichkeit den Eindruck entstehen lassen, die Regierung sei insgesamt nicht mehr in der Lage, die öffentliche Sicherheit aufrecht zu erhalten und damit eine zentrale Staatsaufgabe effektiv zu erfüllen.
51Im Unterschied zu Leitern anderer unterer Verwaltungsbehörden seien die Polizeipräsidenten schon organisatorisch enger an den zuständigen Minister gebunden, weil das für Inneres zuständige Ministerium ihnen im hierarchischen Behördenaufbau unmittelbar übergeordnet sei. Im Gegensatz zu anderen Politikbereichen existierten keine umfassend zuständigen Mittelbehörden, die die Umsetzung der Politik der Regierung im Bereich der inneren Sicherheit in allen Landesteilen sicherstellen könnten.
52Um eine bestimmte demokratisch legitimierte Politik im Bereich der inneren Sicherheit in der Fläche effektiv umsetzen zu können, sei die Regierung auf die aktive Mitwirkung der Polizeipräsidenten angewiesen. Für diese Transformationsfunktion der Polizeipräsidenten habe der vom Kläger angesprochene Gesichtspunkt der Beratung der Regierung nur eine untergeordnete Bedeutung; die Zahl der Kontakte zwischen dem für Inneres zuständigen Minister und dem Kläger sei deshalb ohne Relevanz. Es sei ausreichend, dass die Landesregierung - insbesondere das für Inneres zuständige Ministerium - die Polizeipräsidenten über ihre politische Linie informiere. Die Landesregierung könne die Umsetzung ihrer Vorgaben nicht im Detail steuern, weil polizeiliche Entscheidungen unter Ausschöpfung des dabei bestehenden großen Ermessensspielraums regelmäßig sehr schnell und unter Einbeziehung spezifischer örtlicher Umstände getroffen werden müssten.
53Die herausgehobene Stellung der Polizeipräsidenten komme auch in ihrer Besoldung zum Ausdruck. Diese unterscheide sich erheblich von den Leitern der übrigen unteren Verwaltungsbehörden, denen höchstens ein Statusamt der Besoldungsgruppe A 16 übertragen werden könne.
54Mit der Aufnahme der Polizeipräsidenten in den Kreis der politischen Beamten habe der nordrhein-westfälische Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum auch nicht deshalb überschritten, weil er im Jahr 2000 die Generalstaatsanwälte aus diesem Kreis herausgenommen habe. Dies habe er vor allem deshalb getan, weil die Generalstaatsanwälte strafprozessuale Entscheidungen allein aus juristischen Erwägungen heraus zu treffen hätten. Es habe dem Eindruck entgegengewirkt werden sollen, dass sie ihre Entscheidungen an von der Strafprozessordnung nicht gedeckten politischen Erwägungen ausrichteten. Die an das Amt des Generalstaatsanwalts und an dasjenige eines Polizeipräsidenten zu stellenden Anforderungen seien indes nicht vergleichbar. Der Polizeipräsident habe wegen der an einer zweckmäßigen und effektiven Gefahrenabwehr ausgerichteten polizeirechtlichen Vorschriften besonders weite Handlungsspielräume, die Raum für die Berücksichtigung allgemeiner sicherheitspolitischer Vorgaben ließen. Dies gelte bereits bei der allgemeinen Dienstorganisation. Hingegen sei der Generalstaatsanwalt nicht Repräsentant der Regierung im Bereich der inneren Sicherheit. Er stehe der Justiz näher, weil er dem Legalitätsprinzip unterworfen sei.
55Die Versetzung des Klägers in den einstweiligen Ruhestand sei rechtmäßig.
56Die Gründe für die Maßnahme seien im erstinstanzlichen Verfahren umfassend erläutert worden. Durch die Vorfälle in der Nacht 2015/2016 in L. und die Darstellung dieser Vorfälle in der Öffentlichkeit durch den Kläger und das von ihm geleitete Polizeipräsidium habe die Landesregierung das Vertrauen verloren, dass er in der Lage sei, ihre Politik im Bereich der inneren Sicherheit aktiv umzusetzen. Ausgangspunkt für diesen Vertrauensverlust seien die nächtlichen Geschehnisse vor dem L1. gewesen. Der L1. Polizei, für die der Kläger die Verantwortung getragen habe, sei es nicht gelungen, die dort begangenen Straftaten zu verhindern und die von den Tätern ausgehenden Gefahren effektiv abzuwehren. Maßgeblich dafür sei eine verfehlte strategische Einsatzplanung gewesen. Zum endgültigen Verlust des Vertrauens der Landesregierung in die Eignung des Klägers, ihre Politik im Bereich der inneren Sicherheit aktiv umzusetzen, habe sein Verhalten in den folgenden Tagen geführt. Die Landesregierung habe erwarten dürfen, dass der Kläger die Erforderlichkeit einer unverzüglichen Weitergabe aller Informationen an das zuständige Ministerium erkenne, um ihre Politik aktiv zu unterstützen. Nach der Einschätzung der Landesregierung habe der Kläger auch durch seine Öffentlichkeitsarbeit die nötige aktive Unterstützung ihrer Politik vermissen lassen. So habe er den durch seine Äußerungen erweckten Eindruck, die Herkunft der Tatverdächtigen solle verschleiert werden, nicht unverzüglich durch eine weitere öffentliche Erklärung richtiggestellt, obwohl er dazu vom zuständigen Staatssekretär aufgefordert worden sei. Erst nachdem er durch einen weiteren Beschäftigten des Ministeriums für Inneres und Kommunales erneut zur Abgabe einer öffentlichen Richtigstellung angehalten worden sei, sei er dem nachgekommen.
57Hinzu sei getreten, dass nach der Beurteilung der Landesregierung in der L1. Bevölkerung der berechtigte Eindruck entstanden sei, die L1. Polizei unter der Führung des Klägers sei insbesondere bei größeren Zusammenkünften von Menschen nicht in der Lage, die öffentliche Sicherheit aufrecht zu erhalten und die Bevölkerung effektiv zu schützen. Dies sei von besonderer Bedeutung gewesen, weil mit dem Karneval ein weiteres Großereignis bevorgestanden habe. Nach Einschätzung der Landesregierung sei es nur durch einen schnellen Wechsel im Amt des L1. Polizeipräsidenten möglich gewesen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die L1. Polizei wiederherzustellen.
58Die Landesregierung habe schließlich ihren weiten Ermessensspielraum nicht überschritten. Der Kläger verkenne, dass der einer Vertrauensstörung zugrunde liegende Sachverhalt nicht feststehen müsse und es auch nicht auf sein Verschulden ankomme. Er habe nach seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand selbst eingeräumt, die nötige Aufarbeitung der Vorfälle in der Nacht und die Wiederherstellung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Fähigkeit der L1. Polizei, die öffentliche Sicherheit zu garantieren, würden durch seine Person wesentlich erschwert, und Verständnis für die Entscheidung des Ministers geäußert.
59Falsch seien die Behauptungen des Klägers, der damalige Minister für Inneres und Kommunales habe unter starkem politischen Druck gestanden, der es erfordert habe, den Kläger als „Sündenbock“ in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, und Anlass für die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand sei ein mangelndes Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik des Ministers und in die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gewesen.
60Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
61II.
62Das Verfahren ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG i. V. m. §§ 13 Nr. 11, 80 Abs. 1 BVerfGG auszusetzen, um dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 37 Abs. 1 Nr. 5 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtenbesetz - LBG NRW) in der Fassung vom 21. April 2009 (GV. NRW. S. 224) gegen Art. 33 Abs. 5 GG verstößt.
63Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG ist ein Gerichtsverfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung des Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen, wenn ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG gilt dies auch, wenn es sich um die Verletzung des Grundgesetzes durch ein Landesgesetz handelt. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss die Begründung des Vorlagebeschlusses angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist. Der Beschluss ist in voller Spruchkörperbesetzung unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter (§ 9 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz VwGO i. V. m. § 109 Abs. 1 Satz 1 JustG NRW) zu fassen, weil ein Aussetzungs- und Vorlagebeschluss gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG in derjenigen Besetzung des Gerichts gefasst werden muss, in der das Gericht die Entscheidung hätte treffen müssen, für welche die Vorlagefrage erheblich ist.
64BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2010 - 2 BvL 21/08 -, juris Rn. 5 m. w. N.
65Die Voraussetzungen für die Vorlage sind erfüllt. Die streitgegenständliche Versetzung des Klägers in den einstweiligen Ruhestand gründet auf § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW in der Fassung vom 21. April 2009 (GV. NRW. S. 224), mithin einem zulässigen Vorlagegegenstand (A.). Diese Vorschrift ist zur Überzeugung des Senats unvereinbar mit Art. 33 Abs. 5 GG (B.). Die Entscheidung des Gerichts hängt im Streitfall von der Gültigkeit der genannten Rechtsvorschrift ab (C.).
66A. Die in Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG geregelte Vorlagepflicht besteht nur dann, wenn es sich bei der zur Nachprüfung gestellten entscheidungserheblichen Norm um ein formelles Gesetz handelt.
67BVerfG, Beschluss vom 27. September 2005 - 2 BvL 11/02 -, BVerfGE 114, 303 = juris Rn. 34 m. w. N.
68Ein solches liegt in Gestalt des § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW in der Fassung vom 21. April 2009 (GV. NRW. S. 224), auf den die streitgegenständliche Versetzung des Klägers in den einstweiligen Ruhestand gestützt ist, vor. Die Vorschrift lautet wie folgt:
69Die Landesregierung kann jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen
701. den Chef der Staatskanzlei und Staatssekretär sowie Staatssekretäre,
2. Regierungspräsidenten,
3. den Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung,
4. den Regierungssprecher,
5. Polizeipräsidenten,
soweit sie Beamte auf Lebenszeit sind.
77Durch Art. 1 des Dienstrechtsmodernisierungsgesetzes vom 14. Juni 2016 (GV. NRW. S. 310, ber. S. 642) ist die Regelung um die weibliche Form ergänzt worden, ansonsten aber unverändert geblieben. Sie lautet seither wie folgt:
78Die Landesregierung kann jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen
791. die Chefin der Staatskanzlei und Staatssekretärin oder den Chef der Staatskanzlei und Staatssekretär sowie Staatsekretärinnen und Staatssekretäre,
2. Regierungspräsidentinnen oder Regierungspräsidenten,
3. die Leiterin oder den Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung,
4. die Regierungssprecherin oder den Regierungssprecher,
5. Polizeipräsidentinnen oder Polizeipräsidenten,
soweit sie Beamtinnen oder Beamte auf Lebenszeit sind.
86Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der weiblichen und männlichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für alle Geschlechter.
87Mit der Vorschrift hat der Landesgesetzgeber von der Ermächtigung in § 30 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG Gebrauch gemacht, Ämter nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG zu bestimmen. Danach können Beamte auf Lebenszeit jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, wenn sie ein Amt bekleiden, bei dessen Ausübung sie in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen. Der Inhaber eines solchen Amtes wird als politischer Beamter bezeichnet.
88B. § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW ist zur Überzeugung des Senats mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar.
89Zu den hergebrachten Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG, die der Gesetzgeber nicht nur zu berücksichtigen, sondern zu beachten hat, gehört das Lebenszeitprinzip in Form der lebenszeitigen Übertragung aller (Status-)Ämter (I.). Die Zuordnung der Polizeipräsidenten zum Kreis der politischen Beamten i. S. v. § 37 Abs. 1 LBG NRW und die damit bestehende Möglichkeit ihrer jederzeitigen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand verletzt den Kernbereich des Lebenszeitprinzips und damit die institutionelle Garantie aus Art. 33 Abs. 5 GG (II.).
90I. Das Lebenszeitprinzip in Form der lebenszeitigen Übertragung aller (Status-)Äm-ter ist als hergebrachtes Strukturprinzip des Berufsbeamtentums vom Gesetzgeber angesichts seiner wesensprägenden Bedeutung nicht nur zu berücksichtigen, sondern zu beachten.
911. Nach Art. 33 Abs. 5 GG ist das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. Mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG ist der Kernbestand von Strukturprinzipien gemeint, die allgemein oder doch ganz überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, insbesondere unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind. Art. 33 Abs. 5 GG ist unmittelbar geltendes Recht und enthält einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber sowie eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums.
92BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 33, und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 =juris Rn. 31, jeweils m. w. N.; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 44.
932. Bezugspunkt des Art. 33 Abs. 5 GG ist nicht das gewachsene Beamtenrecht, sondern das Berufsbeamtentum. In ihrem Bestand geschützt sind daher nur diejenigen Regelungen, die das Bild des Berufsbeamtentums in seiner überkommenen Gestalt maßgeblich prägen, sodass ihre Beseitigung das Berufsbeamtentum als solches antasten würde. Dieses Erfordernis der Substanzialität ergibt sich bereits aus dem Wesen einer institutionellen Garantie, deren Sinn gerade darin liegt, den Kernbestand der Strukturprinzipien, mithin die Grundsätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass damit zugleich die Einrichtung selbst in ihrem Charakter grundlegend verändert würde, dem gestaltenden Gesetzgeber verbindlich als Rahmen vorzugeben. Das Bundesverfassungsgericht hat dies mit der Formulierung zum Ausdruck gebracht, dass Art. 33 Abs. 5 GG bei diesen Grundsätzen nicht nur Berücksichtigung, sondern auch Beachtung verlangt. Demgegenüber steht Art. 33 Abs. 5 GG einer Weiterentwicklung des Beamtenrechts nicht entgegen, solange eine strukturelle Veränderung an den für Erscheinungsbild und Funktion des Berufsbeamtentums wesentlichen Regelungen nicht vorgenommen wird. In der Pflicht zur Berücksichtigung ist eine Entwicklungsoffenheit angelegt, die den Gesetzgeber in die Lage versetzt, die Ausgestaltung des Dienstrechts den jeweiligen Entwicklungen der Staatlichkeit anzupassen und das Beamtenrecht damit in die Zeit zu stellen.
94BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 34, und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 = juris Rn. 33, jeweils m. w. N.; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 46.
953. Zu den das Beamtenverhältnis bestimmenden hergebrachten Grundsätzen, bei dem die Beachtenspflicht den Weg zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen durch den einfachen Gesetzgeber versperrt, gehört das Lebenszeitprinzip. Schon unter der Weimarer Reichsverfassung galt die lebenslängliche Anstellung als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums. Seither waren das Berufsbeamtentum und seine Regelungen ausgerichtet auf den Beamten, dem ein Amt auf Lebenszeit übertragen worden ist.
96BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 35, und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 =juris Rn. 34, jeweils m. w. N.; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 47.
97Der Beamte ist grundsätzlich auf Lebenszeit zu beschäftigen. Er hat seine gesamte Arbeitskraft dem Beruf zu widmen, in den Dienst des Staates zu stellen und den Anforderungen seines Berufes mit vollem Einsatz zu begegnen. Dies dient sowohl dem Allgemeininteresse an einer fachlich leistungsfähigen, rechtsstaatlichen und unparteiischen öffentlichen Verwaltung als auch der Sicherung der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Beamtenschaft.
98BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 -, BVerfGE 139, 19 = juris Rn. 78 m. w. N.; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016- 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 48.
99Das Lebenszeitprinzip hat - im Zusammenspiel mit dem die amtsangemessene Besoldung sichernden Alimentationsprinzip - die Funktion, die Unabhängigkeit der Beamten im Interesse einer rechtsstaatlichen Verwaltung zu gewährleisten. Erst rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit bietet die Gewähr dafür, dass das Berufsbeamtentum zur Erfüllung der ihm vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann. Dazu gehört auch und vor allem, dass der Beamte nicht willkürlich oder nach freiem Ermessen politischer Gremien aus seinem Amt entfernt werden kann. Die lebenslange Anstellung sichert dem Beamten persönliche Unabhängigkeit. Das Bewusstsein seiner gesicherten Rechtsstellung soll die Bereitschaft des Beamten zu einer an Gesetz und Recht orientierten Amtsführung fördern und ihn zu unparteiischem Dienst für die Gesamtheit befähigen. Die mit dem Lebenszeitprinzip angestrebte Unabhängigkeit der Amtsführung ist dabei nicht etwa ein persönliches Privileg des Beamten, das seiner Disposition unterliegen könnte, sondern soll dem Gemeinwohl dienen. Nur wenn die innere und äußere Unabhängigkeit gewährleistet ist, kann realistischerweise erwartet werden, dass ein Beamter auch dann auf rechtsstaatlicher Amtsführung beharrt, wenn sie (partei-)politisch unerwünscht sein sollte. Das Berufsbeamtentum wird so zu einem tragenden Element des Rechtsstaates.
100BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 35, und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 =juris Rn. 35, jeweils m. w. N.; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 49.
101Die von der Verfassung - unbeschadet der Gebundenheit an die rechtmäßigen Anordnungen von Vorgesetzten - gewährleistete Unabhängigkeit versetzt den Beamten in die Lage, Versuchen unsachlicher Beeinflussung zu widerstehen und seiner Pflicht zur Beratung seiner Vorgesetzten und der politischen Führung unbefangen nachzukommen, gegebenenfalls auch seiner Pflicht zur Gegenvorstellung zu genügen, wenn er Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit von Gesetzen oder dienstlichen Anordnungen hat. Hierzu soll ihn die grundsätzlich lebenszeitige Übertragung seines statusrechtlichen Amtes befähigen.
102BVerfG, Beschluss vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 = juris Rn. 36 m. w. N.; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 50.
103Zu den das deutsche Beamtenrecht seit jeher prägenden hergebrachten Grundsätzen gehört daher nicht nur die Anstellung der Beamten auf Lebenszeit, sondern auch das Prinzip der lebenszeitigen Übertragung der Ämter. Das Lebenszeitprinzip schützt nicht nur den Grundstatus der Beamten auf Lebenszeit, sondern auch das ihnen jeweils übertragene statusrechtliche Amt. Andernfalls könnte es seine Funktion, die Unabhängigkeit der Beamten zu gewährleisten, nicht voll entfalten. Der mit demLebenszeitverhältnis gewährleisteten Unentziehbarkeit des statusrechtlichen Amts kommt grundlegende Bedeutung zu, weil sie den Beamten gerade bei der Ausübung des übertragenen Amts die im Interesse ihrer Bindung an Gesetz und Recht erforderliche Unabhängigkeit sichert.
104BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 36 m. w. N., vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 =juris Rn. 36 m. w. N., und vom 16. Dezember 2015
105- 2 BvR 1958/13 -, NVwZ 2016, 682 = juris Rn. 39; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016- 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 50 f.
1064. Der Grundsatz der lebenszeitigen Übertragung aller statusrechtlichen Ämter galt indes schon im traditionsbildenden Zeitraum nie ausnahmslos. Bestimmte Beamtenverhältnisse sind traditionsgemäß aus dem geschützten Kernbereich des Art. 33 Abs. 5 GG herausgenommen und als Durchbrechungen des Lebenszeitprinzips anerkannt. Neben den Beamten auf Zeit im Allgemeinen (a) und den kommunalen Wahlbeamten als einem Sonderfall der Beamten auf Zeit (b) gehören hierzu insbesondere auch die politischen Beamten (c). Diese Ausnahmen stehen funktionsspezifisch in einem untrennbaren Begründungszusammenhang zu den jeweiligen Ämtern, aus deren normativen und faktischen Besonderheiten sie ihre Rechtfertigung schöpfen.
107BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 37, und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 = juris Rn. 37; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 52.
108a) Innerhalb des Beamtentums hat es seit jeher den Typus des Beamten auf Zeit gegeben. Das Beamtenverhältnis auf Zeit dient gemäß § 4 Abs. 2 lit. a BeamtStG der befristeten Wahrnehmung von Aufgaben nach § 3 Abs. 2 BeamtStG oder gemäß lit. b der zunächst befristeten Übertragung eines Amtes mit leitender Funktion. Nach der Regelungssystematik des § 4 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG bildet gleichwohl das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit die Regel; das Beamtenverhältnis auf Zeit ist als Ausnahme eng zu fassen. Weder § 4 Abs. 2 BeamtStG noch die frühere Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BRRG sind daher als Ermächtigung zur Ausdehnung von Beamtenverhältnissen auf Zeit unter Aufgabe des hergebrachten Grundsatzes der lebenszeitigen Anstellung und Übertragung aller statusrechtlichen Ämter zu verstehen. Eine Ausnahme vom Beamtenverhältnis auf Lebenszeit als verfassungsrechtliche Regel ist - erstens - nur in den Bereichen zulässig, in denen die besondere Sachgesetzlichkeit und die Art der wahrgenommenen Aufgaben eine Begründung von Beamtenverhältnissen auf Zeit nahelegen. Die Regelung muss - zweitens - geeignet und erforderlich sein, um diesen besonderen Sachgesetzlichkeiten Rechnung zu tragen.
109BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 38, und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 =juris Rn. 38; BVerwG, Vorlagebeschluss vom23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 =juris Rn. 53.
110b) Eine anerkannte Ausnahme vom Lebenszeitprinzip ist vor allem der kommunale Wahlbeamte als Sonderfall des Beamten auf Zeit. Seine Stellung wird durch seine politische Funktion charakterisiert, die den Grund für die zeitliche Befristung bildet. Seine Berufung erfolgt durch einen Akt demokratischer Willensbildung, der erneuert werden muss, wenn der Beamte nach Ablauf der Wahlperiode im Amt bleiben soll.
111BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 40, und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 =juris Rn. 39; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 54.
112Der Wahlakt (vgl. auch § 11 Abs. 1 Nr. 3 lit. c BeamtStG) als Akt demokratischer, periodisch zu erneuernder Willensbildung ist das bestimmende Sachmerkmal, das den kommunalen Wahlbeamten - Bürgermeister, Landrat oder auch Beigeordneter - von dem Normalfall des Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit unterscheidet. Die- regelmäßig - kommunalverfassungsrechtlich vorgesehene Möglichkeit der Abberufung des kommunalen Wahlbeamten verdeutlicht die konstitutive Bedeutung des Wahlakts und die durch ihn vermittelte Rückbindung an den fortdauernden - in erster Linie politischen - Rückhalt der Wähler oder des zuständigen Wahlgremiums. Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Abberufungsmöglichkeit selbst mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar ist, zumal durch die konkrete gesetzliche Ausgestaltung der Abwahlmodalitäten in Verbindung mit der dem Wahlbeamten zukommenden wirtschaftlichen Sicherung ein Mindestmaß an Unabhängigkeit von politischen Instanzen gewährleistet ist.
113BVerfG, Beschluss vom 24. April 2018 - 2 BvL10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 41 m. w. N.; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016- 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 55.
114c) Eine weitere Ausnahme vom Lebenszeitprinzip stellen die sogenannten politischen Beamten dar.
115BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 42, und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 =juris Rn. 40, jeweils m. w. N; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 56.
116Nach § 30 Abs. 1 BeamtStG können Beamtinnen und Beamte auf Lebenszeit jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, wenn sie ein Amt bekleiden, bei dessen Ausübung sie in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen (Satz 1). Die Bestimmung dieser Ämter ist im Geltungsbereich des BeamtStG dem Landesrecht vorbehalten (Satz 2). Innerhalb der Ausnahmegruppe der Durchbrechung des Lebenszeitprinzips nehmen diese politischen Beamten nochmals eine atypische Sonderstellung ein. Ihre Sonderstellung gründet in erster Linie darin, dass es sich bei ihnen zwar um Beamte auf Lebenszeit handelt, jedoch eine weitestgehend unbeschränkte Möglichkeit der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand mit entsprechenden Versorgungsbezügen besteht.
117BVerfG, Beschluss vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 42.
118Der Institution des politischen Beamten kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts indessen gegenüber dem Regelfall des Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit ein eng zu bestimmender Ausnahmecharakter zu. Die mit der jederzeitigen Versetzbarkeit in den einstweiligen Ruhestand verbundene Abweichung vom Lebenszeitprinzip ist nur zulässig, solange der Kreis der politischen Beamten eng begrenzt ist. Ihre Rechtfertigung findet die Ausnahmekategorie der politischen Beamten darin, dass diese nach der Art ihrer Aufgaben in besonderer Weise des politischen Vertrauens der Staatsführung bedürfen und in fortwährender Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen. Es handelt sich insoweit um „Transformationsämter“, zu deren Aufgaben es zählt, politische Vorgaben in gesetzeskonformes und rechtsstaatliches Verwaltungshandeln umzuwandeln. Die fortdauernde politische Übereinstimmung mit Auffassung und Zielsetzung weisungsberechtigter, demokratisch gewählter und verantwortlicher Organe des Staates ist konstituierendes und unerlässliches Element dieses Beamtenverhältnisses.
119BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 43, und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 =juris Rn. 40, 60 m. w. N.; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 56.
120Transformationsämter in diesem Sinne sind lediglich notwendige politische Schlüsselstellen für die wirksame Umsetzung der politischen Ziele der Regierung, die auf eine aktive Unterstützung seitens der betreffenden Amtsträger angewiesen ist.
121BVerfG, Beschluss vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 84 m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1964 - II C 182.61 -, BVerwGE 19, 332 = juris Rn. 36.
122Der Einsatzbereich der politischen Beamten muss auf den engsten Kreis unmittelbarer Berater der Träger politischer Ämter beschränkt bleiben; nur hier können sie als notwendiger Brückenkopf zwischen der politisch verantwortlichen Spitze der Verwaltung und dem sonstigen Personalkörper begriffen werden.
123BVerfG, Beschlüsse vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 84, und vom 28. Mai 2008 - 2 BvL 11/07 -, BVerfGE 121, 205 =juris Rn. 40, 60 m. w. N.
124II. Dies zugrunde gelegt verletzt die Zuordnung der Polizeipräsidenten zur Kategorie der politischen Beamten durch § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW und die somit bestehende Möglichkeit ihrer jederzeitigen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand den Kernbereich des Lebenszeitprinzips und damit die institutionelle Garantie aus Art. 33 Abs. 5 GG. Es liegt ein Eingriff in das Lebenszeitprinzip vor (1.), der nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht gerechtfertigt ist (2.) und sich überdies nicht mit der besonderen rechtsstaatlichen Bedeutung der politischen Unabhängigkeit von Polizeibehördenleitern vereinbaren lässt (3.).
1251. § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW normiert eine Ausnahme vom durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten Lebenszeitprinzip. Die Möglichkeit der jederzeitigen Versetzung des Polizeipräsidenten in den einstweiligen Ruhestand greift in das Lebenszeitprinzip und damit in seine Unabhängigkeit ein. Der Polizeipräsident hat als politscher Beamter keine gesicherte Rechtsstellung. Er muss - auch wenn er den Anforderungen des Amtes in vollem Umfang gerecht wird - ständig befürchten, in den einstweiligenRuhestand versetzt zu werden, mit allen damit verbundenen Nachteilen wie einer Besoldungseinbuße, versorgungsrechtlichen Nachteilen und einem Ansehensverlust.
126Der Umstand, dass das Amt eines politischen Beamten nur mit Zustimmung des Betroffenen übertragen werden kann,
127vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. November 2003- 6 A 404/02 -, NWVBl. 2004, 145 = juris Rn. 90; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28. Juni 2002 - 10 B 10709/02 -, ZBR 2002, 366 = juris Rn. 2 ff.; Lemhöfer, in Plog/Wiedow, BBG, Kommentar,Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 8; Franke, in: GKÖD, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 BBG Rn. 2; Kugele, Die politischen Beamten in der Bundesrepublik, Deutschland, ZBR 2007, 109 (113 f.); einschränkend v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 59,
128also die freiwillige Übernahme des Amtes voraussetzt, und die Möglichkeit der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand mithin Folge der persönlichen und eigenverantwortlichen Entscheidung über den Fortgang des beruflichen Lebensweges ist, vermag die objektive Dimension des Art. 33 Abs. 5 GG, der mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gerade den Kernbestand von anerkannten Strukturprinzipien beamtenrechtlicher Institutionen schützt, nicht zu schmälern. Es genügt den Anforderungen des Art. 33 Abs. 5 GG auch nicht, dass das Lebenszeitprinzip noch für die Mehrheit der Beamtenschaft Anwendung findet. Jede Durchbrechung des Grundsatzes ist rechtfertigungsbedürftig. Das Gebot gesetzestreuer Verwaltung durch unabhängige Beamte wird nur verwirklicht, wenn - grundsätzlich - jeder Beamte die durch das Lebenszeitprinzip gebotene gesicherte Rechtsstellung innehat.
129Vgl. zur Verbeamtung auf Zeit: BVerfG, Beschluss vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 54 m. w. N.
1302. Nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts ist die mit § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW einhergehende Durchbrechung des Lebenszeitprinzips nicht gerechtfertigt.
131Für die Verfassungswidrigkeit der Einbeziehung des Polizeipräsidenten in die Kategorie politischer Beamter auch v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 52; Steinbach, Der politische Beamte als verfassungsrechtliches Problem, VerwArch 2018, 6 (24); Lindner, Der politische Beamte als Systemfehler, ZBR 2011, 150 (160); Schröder, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2007, § 106 Rn. 39; Schunke, Die politischen Beamten, Diss. Saarbrücken, 1973, S. 362; a. A. BeckOK BeamtenR NRW/Martin, 18. Ed. 1. August 2020, LBG NRW § 37 Rn. 12, sowie (eingeschränkt) Schrapper/Günther, LBG NRW, Kommentar, 3. Aufl. 2021, § 37 Rn. 2; Zweifel im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der vorzufindenden Kataloge der politischen Beamten ferner etwa bei Höfling, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblattslg. Stand September 2021, Art. 33 Abs. 1 bis 3 Rn. 226; von der Weiden, Anm. zu BVerfG v. 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, jM 2018, 427 (429); v. Arnim, Bleibt Ämterpatronage straflos?, DVBl 2021, 481 (484); Thiele, Zur Problematik der Sonderstellung der politischen Beamten, DÖD 1986, 257 (261).
132Das Amt des Polizeipräsidenten stellt kein Transformationsamt im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar (a). Eine Rechtfertigung für die Abweichung vom Lebenszeitprinzip wegen des - vom beklagten Land angenommenen - Charakters als Repräsentationsamt besteht nicht (b).
133a) Das Amt des Polizeipräsidenten stellt kein Transformationsamt im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar, das eine Ausnahme vomLebenszeitprinzip rechtfertigt. Polizeipräsidenten gehören weder nach ihrer landesorganisatorischen Stellung (aa) noch nach der Art ihrer Aufgaben (bb) zum engeren Kreis der Berater politischer Instanzen an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung, für deren Amtsausübung es in besonderer Weise des politischen Vertrauens der Staatsführung bedarf und die fortdauernde Übereinstimmung mit der politischen Leitungsebene unerlässlich ist. Erst recht zählen sie nicht zum „engsten Kreis unmittelbarer Berater der Träger politischer Ämter“, auf den die Zuordnung zum Kreis politischer Beamter nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beschränken ist.
134aa) Die Polizeipräsidenten gehören nach ihrer Stellung innerhalb der Landesorganisation nicht zum Kreis unmittelbarer Berater der Träger politischer Ämter an der Schnittstelle von Politik und Administration, deren fortdauernde Übereinstimmung mit der Landesregierung in grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen für ihreeffektive Amtsausübung Voraussetzung ist, schon gar nicht zum engsten Kreis.
135Die Leiter der Kreispolizeibehörden und damit auch die Polizeipräsidenten sind(lediglich) Leiter unterer und damit nachgeordneter Landesbehörden. Als solchen fehlt es ihnen wie anderen leitenden Beamten nachgeordneter Behörden schon der organisatorischen Einbindung nach an einer hinreichenden Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern.
136Vgl. Lindner, Der politische Beamte als Systemfehler, ZBR 2011, 150 (159 f.); v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 52.
137Landesbehörden sind in Nordrhein-Westfalen die obersten Landesbehörden, die Landesoberbehörden, die Landesmittelbehörden und die unteren Landesbehörden (§ 2 LOG NRW). Oberste Landesbehörden sind die Landesregierung, der Ministerpräsident und die Landesministerien (§ 3 LOG NRW). Landesoberbehörden sindunter anderem das Landeskriminalamt, das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste, und das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (§ 6 Abs. 2 LOG NRW). Landesmittelbehörden wie u. a. die Bezirksregierungen (§ 7 Abs. 2 LOG NRW) gibt es im Bereich der Polizei nicht. Untere Landesbehörden sind Behörden, die einer Landesoberbehörde oder einer Landesmittelbehörde unterstehen (§ 9 Abs. 1 LOG NRW). Nach § 9 Abs. 2 LOG NRW sind untere Landesbehörden u. a. die Kreispolizeibehörden. Kreispolizeibehörden sind die Polizeipräsidien in Polizeibezirken mit mindestens einer kreisfreien Stadt und die Landrätinnen und Landräte, soweit das Kreisgebiet nach § 2 Abs. 2 POG NRW zu einem Polizeibezirk bestimmt wird (§ 2 Abs. 1 POG NRW). Bei den Polizeipräsidenten handelt es sich demnach um Leiter unterer Landesbehörden, die nicht am unmittelbaren Übergang der politischen Instanzen zur Verwaltung angesiedelt sind. Allein der vom beklagten Land hervorgehobene Umstand, dass im Polizeibereich anders als in anderen Verwaltungsbereichen keine umfassend zuständigen Mittelbehörden existieren, rückt sie nicht in hinreichende Nähe zur Regierung und in die erforderliche Mittlerposition zwischen Politik und Verwaltung; der Einwand, das für Inneres zuständige Ministerium sei den Polizeipräsidenten unmittelbar übergeordnet, trifft angesichts des Umstands, dass gemäß § 9 Abs. 1, 2 LOG NRW die Polizeipräsidenten den polizeilichen Landesoberbehörden unterstehen, so schon nicht zu.
138Erst recht kann angesichts dessen keine Rede davon sein, dass die Polizeipräsidenten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
139vgl. Beschluss vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 84,
140„den demokratisch gewählten und verantwortlichen Organen des Staates direkt zur Seite gestellt sind“. Die gegenteilige Annahme, zum „engsten“ Kreis unmittelbarer Berater der Träger politischer Ämter gehörten auch die Polizeipräsidenten, ließe sich im Übrigen schon kaum mit deren Anzahl - es sind nicht weniger als 18 - vereinbaren.
141Vorstehendes spiegelt auch die besoldungsrechtliche Einstufung der Polizeipräsidenten (vgl. Anlage 1 zum LBesG NRW) wider, die sich in Abhängigkeit von der Einwohnerzahl im jeweiligen Polizeibereich und der Zahl der Mitarbeiter unterhalb der Besoldungsgruppe B 6, nämlich (nur) zwischen den Besoldungsgruppen A 16 und B 5 bewegt. Zwar ist für Polizeipräsidenten eine Ausnahme von der Regel des § 28 Abs. 1 LBesG NRW normiert, wonach die Leitungsämter an unteren Verwaltungsbehörden mit einem beim jeweiligen Dienstherrn örtlich begrenzten Zuständigkeitsbereich nur in Besoldungsgruppen der Landesbesoldungsordnung A eingestuft werden dürfen; die übrigen in § 37 Abs. 1 bzw. § 106 Abs. 2 LBG NRW genannten Ämter sind jedoch oberhalb der Besoldungsgruppe B 5 eingestuft.
142Chefin der Staatskanzlei und Staatssekretärin oder Chef der Staatskanzlei und Staatssekretär sowie Staatsekretärinnen und Staatssekretäre: B 10, Regierungspräsidentinnen oder Regierungspräsidenten: B 8, Leiterin oder Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung: B 6 bzw. 7, Regierungssprecherin oder Regierungssprecher: derzeit B 6; Direktorin, Direktor beim Landtag: B 9.
143Vor dem Hintergrund der Bedeutung der Aufgaben der Polizeipräsidenten und der mit ihrem Amt einhergehenden erheblichen Personalverantwortung liegt auch die Annahme nicht nahe, die besoldungsrechtliche Einstufung berücksichtige das Risiko der jederzeitigen Ablösung und der damit verbundenen Besoldungseinbußen.
144bb) Dem Polizeipräsidenten kommt auch nach den mit seinem Amt verbundenen Aufgaben keine Transformationsfunktion im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu. Ihm obliegt nicht die Umsetzung politischer Zielvorstellungen an der Nahtstelle von Politik und Verwaltung. Er hat keinen politischen Gestaltungsauftrag und ist nicht in nennenswerter Weise in die Beratung der politischen Spitze eingebunden. Vielmehr nimmt er als Leiter eines Polizeipräsidiums im Wesentlichen administrativ-gesetzesvollziehende Aufgaben wahr.
145Ebenso Kugele, Der politische Beamte, Diss. München, 1976, S. 269; Lindner, Der politische Beamte als Systemfehler, ZBR 2011, 150 (160); Schunke, Die politischen Beamten, Diss. Saarbrücken, 1973, S. 362; v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 52.; a. A. Schrapper/Günther, LBG NRW, Kommentar, 3. Aufl. 2021, § 37 Rn. 2.
146(1) Das jeweilige Polizeipräsidium ist in seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich (vgl. § 7 POG NRW) sachlich zuständig für die Gefahrenabwehr insbesondere nach dem Polizeigesetz NRW, für die Erforschung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und für die Überwachung des Straßenverkehrs (§ 11 Abs. 1 POG NRW). Die Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW) sind nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (vgl. § 3 Abs. 1 PolG NRW). Im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörden steht nach § 47 Abs. 1 OWiG die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten. In diesen Bereichen gilt mithin das Opportunitätsprinzip. Wie stets bedeutet „pflichtgemäße Ermessenausübung“, dass das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben ist und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten sind (vgl. § 40 VwVfG NRW). Im Strafprozessrecht gilt grundsätzlich das Legalitätsprinzip (vgl. § 152 Abs. 2 StPO), das es den Polizeibehörden bei ihren Tätigkeiten im repressiven Bereich (vgl. § 163 StPO) zur Pflicht macht einzuschreiten. Damit sind dem Präsidium bzw. seinem Leiter im Wesentlichen administrativ-gesetzesvollziehende Aufgaben übertragen, wenn ihm bei der Aufgabenwahrnehmung auch vergleichsweise große Spielräume etwa hinsichtlich der Schwerpunktsetzung eröffnet sind. Bereits das Gesetz gibt dem Polizeipräsidenten dabei ebenso wie jedem anderen Beamten nicht nur auf, seine Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen (§ 35 Satz 1 BeamtStG), sondern auch, deren dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen (§ 35 Satz 2 BeamtStG).
147(2) Dem für Inneres zuständigen Minister stehen mit den beamtenrechtlichen und insbesondere mit den aufsichtlichen Weisungsbefugnissen ausreichende Instrumentarien zur Verfügung, um erforderlichenfalls auf die Aufgabenerfüllung der Polizeipräsidenten bzw. der Polizeipräsidien steuernd einzuwirken und so die politischen Vorgaben im Bereich der inneren Sicherheit umzusetzen. Das zweckmäßige Vorgehen und insbesondere die Ausfüllung bestehender Spielräume im Sinne der Vorstellungen der Landesregierung können mit diesen Befugnissen weitestgehend sichergestellt werden.
148Im Einzelnen gilt hinsichtlich der Weisungs- und Aufsichtsbefugnisse Folgendes: Vorgesetzte i. S. d. § 35 Abs. 1 BeamtStG, die jeder Beamte zu beraten und zu unterstützen und deren dienstliche Anordnungen er auszuführen hat, sind sowohl der Fachvorgesetzte als auch der Dienstvorgesetzte, gleich welcher hierarchischen Stufe.
149Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. September 2018 - 2 C 45.17 -, BVerwGE 163, 129 = juris Rn. 16.
150Dienstvorgesetzte Stelle der Polizeipräsidenten ist die oberste Dienstbehörde (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBG NRW). Oberste Dienstbehörde ist für die Beamten des Landes die oberste Behörde des Geschäftsbereichs, in dem sie ein Amt bekleiden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBG NRW), im Fall der Polizeipräsidenten somit das für Inneres zuständige Ministerium. Von diesem können folglich individuelle oder generelle beamtenrechtliche Weisungen ausgehen.
151Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der aufsichtlichen Weisung. § 5 POG NRW normiert ein hierarchisches System der Dienst- und Fachaufsicht. Die Dienstaufsicht erstreckt sich auf den Aufbau, die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten der Behörde (§ 12 Abs. 1 LOG NRW). Die Fachaufsicht erstreckt sich auf die rechtmäßige und zweckmäßige Wahrnehmung der Aufgaben (§ 13 Abs. 1 LOG NRW). Das POG NRW in der bis zum 30. September 2020 geltenden Fassung (im Folgenden: POG NRW a. F.) sah vor, dass das Innenministerium die Aufsicht (Dienst- und Fachaufsicht) über das LKA, das LZPD, das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (LAFP) sowie über die Kreispolizeibehörden und Polizeieinrichtungen (vgl. § 5 Abs. 1) und das LAFP die Aufsicht über die Kreispolizeibehörden in dienstrechtlichen Angelegenheiten führt (vgl. § 5 Abs. 4). Durch die - auf §§ 5 Abs. 2, 7 Abs. 5 POG NRW a. F. - gründende Verordnung über die Wahrnehmung von Aufsichtsaufgaben durch das LAFP, das LKA und das LZPD (AufsichtsVO Polizei) vom 2. Juli 2007 (GV. NRW. S. 214) hat das Innenministerium dem LAFP, dem LKA und dem LZPD im Rahmen ihrer Aufgabenbereiche nach §§ 13, 13a und 13b POG NRW a. F. die in der Verordnung genannten Aufsichtsbefugnisse über die Kreispolizeibehörden übertragen. Nach dem POG NRW in der seit dem 1. Oktober 2020 geltenden Fassung ist die Dienst- und Fachaufsicht wie folgt geregelt: Das für Inneres zuständige Ministerium führt die Dienstaufsicht über das LKA, das LZPD, das LAFP sowie über die Kreispolizeibehörden und Polizeieinrichtungen (§ 5 Abs. 1). Das LAFP führt die Dienstaufsicht über die Kreispolizeibehörden, soweit es Angelegenheiten des Dienst- und Arbeitsrechts betrifft (§ 5 Abs. 2). Das für Inneres zuständige Ministerium führt die Fachaufsicht über das LKA, das LZPD und das LAFP. Diese führen die Fachaufsicht über die Kreispolizeibehörden und Polizeieinrichtungen (§ 5 Abs. 3). Das für Inneres zuständige Ministerium führt die oberste Dienst- und Fachaufsicht über die Kreispolizeibehörden und Polizeieinrichtungen (§ 5 Abs. 5). Insgesamt ergibt sich also - nach wie vor - ein durchgegliedertes System von Weisungsbefugnissen, das bis zum für Inneres zuständigen Ministerium reicht. Da die Fachaufsicht sich nicht nur auf die Recht-, sondern auch auf die Zweckmäßigkeitskontrolle erstreckt, kann gerade auch in Bereichen Einfluss genommen werden, in denen die Polizeipräsidien als Ausfluss des Opportunitätsprinzips Entscheidungsspielräume haben. Hier ist - im Rahmen des rechtlich Zulässigen - Raum für politische Zweckmäßigkeitserwägungen.
152(3) Es ändert nichts an der Einschätzung, dass das Amt des Polizeipräsidenten kein Transformationsamt im oben dargestellten Sinne darstellt, dass durch § 1 der auf § 2 Abs. 3 Satz 1 POG NRW gründenden Verordnung über die Bestimmung von Polizeipräsidien zu Kriminalhauptstellen (KHSt-VO) vom 26. August 2013 (GV. NRW. S. 502), zuletzt geändert durch Verordnung vom 12. August 2020 (GV. NRW. S. 752), 16 der insgesamt 18 Polizeipräsidien zu Kriminalhauptstellen bestimmt worden sind, indem ihnen bestimmte Aufgaben der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr anderer Kreispolizeibehörden übertragen worden sind. Diese sind nach § 2 Abs. 1 KHSt-VO in ihrem Bereich für die Erforschung und Verfolgung der dort unter Nr. 1 bis 9 genannten Straftaten und im Rahmen der Erforschung und Verfolgung der Straftaten auch für die Gefahrenabwehr und ferner zuständig für die Verhütung und vorbeugende Bekämpfung sowie für die Erforschung und Verfolgung der politisch motivierten Kriminalität, insbesondere von Straftaten auf dem Gebiet des strafrechtlichen Staatsschutzes (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 KHSt-VO). Sechs der 16 Polizeipräsidien sind zudem sachlich zuständig für die Gefahrenabwehr, die Erforschung und Verfolgung der in § 4 Abs. 1 KHSt-VO genannten schweren Straftaten.
153Damit sind zunächst nicht alle Polizeipräsidien (wenn auch mit 16 von 18 die große Mehrzahl) zu Kriminalhauptstellen bestimmt worden. Darüber hinaus ist mit der KHSt-VO eine Aufgabenkonzentration zur fachlichen Qualitätssicherung unter anderem bezüglich der Verfolgung besonders schwerer bzw. spezieller Straftaten (z.B. vorsätzliche Tötungen, Straftaten, die im Rahmen organisierter Kriminalität begangen werden, und Wirtschaftsstraftaten) erfolgt; die Polizeipräsidenten sind damit aber nicht näher an den politischen Raum herangerückt und schon gar nicht in den Kreis engster Berater der Träger politischer Ämter einbezogen worden.
154(4) Die vorbenannte Einschätzung wird ferner gestützt durch die im Runderlass „Meldung wichtiger Ereignisse (WE-Meldung)“ des Innenministeriums - 41 - 60.23.02 - vom 1. Juli 2008, MBl. NRW. 2008 S. 432, enthaltenen Regelungen, die im vorliegend streitbefangenen Zeitraum maßgebend waren, bzw. nunmehr durch die im Wesentlichen gleichlautenden Regelungen im Runderlass „Meldung wichtiger Ereignisse (WE-Meldung)“ des Ministeriums des Innern - 412 - 60.23.02 - vom 2. November 2018, MBl. NRW. 2018 S. 627. Mit ihm wird den Polizeibehörden und damit auch den Polizeipräsidien eine Meldepflicht für wichtige Ereignisse auferlegt. Dies sind nach Ziff. 1 Satz 2 des Erlasses Sachverhalte, die geeignet sind, die öffentliche Sicherheit erheblich zu beeinträchtigen, in der Öffentlichkeit Aufsehen oder Beunruhigung zu erregen, in den Medien oder den sozialen Netzwerken zu besonderen Erörterungen zu führen, im Zusammenhang mit polizeilichen Aufgaben oder der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung einen politischen Bezug aufzuweisen oder für die Bewertung dienstrechtlicher oder personalrechtlicher Maßnahmen von besonderer Bedeutung zu sein. Die Meldungen sollen nach Ziff. 2 des Erlasses dem für Inneres zuständigen Ministerium beziehungsweise den Landesoberbehörden der Polizei - deren Leiter der Landesgesetzgeber bemerkenswerterweise im Übrigen gleichwohl nicht in den Kreis der politischen Beamten einbezogen hat - zeitgerechte politische, strategische, aufsichtliche sowie taktische Bewertungen und Entscheidungen ermöglichen. Darüber hinaus bilden WE-Meldungen nach Ziff. 2 Satz 2 des Erlasses die Grundlage für das „Tägliche Landeslagebild“ des LZPD. Adressat der Meldungen sind das für Inneres zuständige Ministerium und die Landesoberbehörden der Polizei (Ziff. 4 Satz 1). Nach dem Erlass beschränkt sich auch und gerade bei „wichtigen Ereignissen“ die den Polizeipräsidien bzw. den Polizeipräsidenten obliegende Aufgabe auf die Meldung dieser Ereignisse, während diesbezügliche politische und strategische Bewertungen und Entscheidungen den übergeordneten Behörden - dem für Inneres zuständigen Ministerium und den Landesoberbehörden der Polizei - vorbehalten sind. Eine Beratungsfunktion der Polizeipräsidenten ist dabei gerade nicht vorgesehen; ihre Rolle erschöpft sich nach dem Erlass in der Informationsverschaffung für die übergeordneten Ebenen.
155(5) Auch nach dem Vorbringen des beklagten Landes fungieren die Polizeipräsidenten nicht als unmittelbare Berater der Träger politischer Ämter, insbesondere des für Inneres zuständigen Ministers. Diesbezüglich hat der Kläger vorgetragen, in seiner vierzehnjährigen Dienstzeit als Polizeipräsident habe es eine einer gewissen Regelmäßigkeit unterliegende Beratungstätigkeit gegenüber den für Inneres zuständigen Ministern nicht gegeben. Die Kontakte hätten sich auf Behördenleitertagungen beschränkt, auf welchen die Minister mit allen 50 Behördenleitern - mithin den Leitungen der 47 Kreispolizeibehörden sowie des LKA, des LZPD und des LAFP - aktuelle Themen besprochen hätten. Dabei habe es sich überwiegend um Darstellungen des für Inneres zuständigen Ministeriums gehandelt, zu denen die Behördenleiter hätten Stellung nehmen können. Darüber hinaus habe es noch in Einzelfällen Gespräche zwischen ihm und den Ministern gegeben, die jedoch keine geschlossene Beratungsstruktur gehabt hätten. Dass diese Ausführungen zutreffend sind, hat das beklagte Land nicht in Abrede gestellt und ihnen erst recht keine abweichende Darstellung entgegengesetzt. Es hat lediglich geltend gemacht, dass nach seiner Rechtsauffassung der Gesichtspunkt der Beratung der Landesregierung nur eine untergeordnete Bedeutung habe und die Zahl der direkten Kontakte zwischen den für Inneres zuständigen Ministern und dem Kläger nicht entscheidungserheblich sei. Dem ist zu entnehmen, dass auch nach Auffassung des beklagten Landes die Polizeipräsidenten in Nordrhein-Westfalen nicht zum Kreis der engen Berater der politischen Führung zu rechnen sind.
156(6) Überdies belegt die Bestimmung der weit überwiegenden Zahl der Landräte (29 von 31) zu Kreispolizeibehörden nachdrücklich, dass eine sachgerechte Erfüllung der dem Leiter einer Kreispolizeibehörde obliegenden Aufgaben auch nach der Einschätzung des Gesetzgebers selbst unabhängig von der Frage gewährleistet werden kann, ob dieser sich in politischer Übereinstimmung mit den Auffassungen und Zielsetzungen der Regierung bzw. des für Inneres zuständigen Ministers befindet. Die Landräte, die die Leitung von 29 der insgesamt 47 Kreispolizeibehörden in Nordrhein-Westfalen stellen, sind wie die Polizeipräsidien für die Gefahrenabwehr insbesondere nach dem Polizeigesetz NRW, für die Erforschung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und für die Überwachung des Straßenverkehrs (vgl. § 11 Abs. 1 POG NRW) sachlich zuständig. Bei ihnen handelt es sich indessen um kommunale Wahlbeamte (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 KrO NRW, § 118 Abs. 10 i. V. m. Abs. 2 LBG NRW), bei denen es allein vom Wählerwillen abhängig ist, wer in das Amt gelangt und in ihm verbleibt. Es kann insoweit ohne Weiteres dazu kommen, dass sich einzelne Landräte nicht in politischer Übereinstimmung mit der Landesregierung, namentlich dem für Inneres zuständigen Ministerium, befinden. Es ist weder vom beklagten Land vorgetragen noch sonst bekannt geworden, dass dies zu unvertretbaren Unzuträglichkeiten bei der Bewältigung der den Kreispolizeibehörden obliegenden Aufgaben geführt hätte. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich nicht begründen, dass ein Polizeipräsident in fortwährender Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung bzw. des für Inneres zuständigen Ministers stehen muss, eine solche Übereinstimmung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts also „unerlässlich“ ist, dies im Übrigen auch nicht unter dem vom beklagten Land noch angesprochenen Aspekt des Innehabens einer Schlüsselposition.
157Dagegen spricht zudem, dass die überwiegende Zahl anderer Bundesländer,
158nämlich Baden-Württemberg (vgl. § 42 Abs. 1 LBG), Bremen (vgl. § 37 BremBG), Mecklenburg-Vorpom-mern (vgl. § 37 LBG M-V), Rheinland-Pfalz (§ 41 Abs. 1 LBG), Saarland (vgl. § 51 Abs. 1 SBG), Sachsen (vgl. § 57 SächsBG), Sachsen-Anhalt (§ 41 LBG LSA), Schleswig-Holstein (vgl. § 37 LBG) sowie Bayern, das von der Möglichkeit des § 30 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG keinen Gebrauch gemacht hat,
159Polizeipräsidenten nicht in den Kreis der politischen Beamten einbezogen haben. Ein länderübergreifender Vergleich ist allerdings wegen der jeweils unterschiedlichen Gegebenheiten - insbesondere hinsichtlich des Verwaltungsaufbaus - nur bedingt aussagekräftig.
160(7) Der Umstand, dass in Nordrhein-Westfalen die Polizeipräsidenten von jeher zum Kreis der Beamten gezählt haben, die jederzeit in den Wartestand bzw. in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können, rechtfertigt kein anderes Ergebnis.
161So war die Versetzung von Leitern (Chefs) der Polizei in den Wartestand bzw. in den einstweiligen Ruhestand auch in Nordrhein-Westfalen schon in den Jahren nach 1945 möglich.
162Vgl. hierzu sowie zur Rechtsentwicklung vor 1945: OVG NRW, Bescheid vom 20. Dezember 1957- VI A 227/54 -, OVGE MüLü 13, 176.
163Gemäß § 33 LBG NRW in der Fassung vom 15. Juni 1954 (GV. NRW. S. 237) konnte die Landesregierung u. a. Polizeipräsidenten und Polizeidirektoren jederzeit in den Wartestand versetzen. Die Regelungen zum Wartestand wurden durch Art. 1 Nr. 29 des Gesetzes zur Änderung der Disziplinarordnung vom 10. April 1962 (GV. NRW. S. 187) gestrichen und in der Neufassung des Landesbeamtengesetzes vom 1. Juni 1962 (GV. NRW. S. 271) durch die Regelungen zum einstweiligen Ruhestand (§§ 38 ff.) ersetzt. Zu dem Kreis derjenigen, die jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden konnten, gehörten danach nicht mehr die Oberstaatsanwälte, weiterhin aber die Polizeipräsidenten (§ 38 Abs. 1 Nr. 6). Hieran änderte sich weder durch Art. 1 Nr. 10 des Zweiten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 31. März 1981 (GV. NRW. S. 194) noch durch Art. 1 Nr. 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 5. Juli 1983 (GV. NRW. S. 236) etwas. Hierdurch wurden in § 38 Abs. 1 Nr. 6 lediglich die Wörter „und Polizeidirektoren“ gestrichen. Durch das Gesetz zur Änderung des Landesbeamtengesetzes vom 29. April 1997 (GV. NRW. S. 746) wurde der Direktor des Landtags in den Kreis der jederzeit in den einstweiligen Ruhestand zu versetzenden Beamten aufgenommen (vgl. § 182 Abs. 3). Durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Landesbeamtengesetzes vom 12. Dezember 2000 (GV. NRW. S. 746) wurden die Generalstaatsanwälte aus dem Kreis der politischen Beamten herausgenommen; die bisherige - die Polizeipräsidenten betreffende - Nr. 6 der Regelung wurde zu Nr. 5. Die Begründung des zugrundeliegenden Gesetzentwurfs der Fraktion der FDP vom 20. September 2000 (LT-Drs. 13/196) verhält sich zu den Polizeipräsidenten nicht. Mit dieser Gesetzesänderung erhielt § 38 Abs. 1 den Wortlaut, der bis zur Neufassung des Landesbeamtengesetzes durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 21. April 2009 (GV. NRW. S. 224) erhalten blieb und als § 37 Abs. 1 in die Neufassung übernommen wurde. Durch Art.1 des Dienstrechtsmodernisierungsgesetzes vom 14. Juni 2016 (GV. NRW. S. 310, ber. S. 642) ist die Regelung lediglich um die weibliche Form ergänzt worden.
164Dieser rechtstatsächliche Befund kann jedoch für sich genommen nicht entscheidend sein für die Frage, ob die in § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW geregelte Einbeziehung der Polizeipräsidenten zur Kategorie der politischen Beamten und die damit gegebene Möglichkeit der jederzeitigen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nach den nunmehr formulierten Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts (noch) gerechtfertigt ist.
165b) Dahinstehen kann, ob - worauf sich das beklagte Land maßgeblich beruft - das Amt des nordrhein-westfälischen Polizeipräsidenten als sogenanntes Repräsentationsamt zu charakterisieren ist. Denn dies rechtfertigt jedenfalls nicht den gegebenen Eingriff in das Lebenszeitprinzip.
166aa) Bei einem sogenannten Repräsentationsamt soll nicht die möglichst wirksame Umsetzung der politischen Ziele der Regierung bzw. des zuständigen Ministers Grund für die Zuordnung des Amtsinhabers zum Kreis der politischen Beamten sein. Dieser soll vielmehr darin liegen, dass aufgrund der Exponiertheit des Amtes in Fällen wirklichen oder vermeintlichen Fehlverhaltens des Amtsinhabers Nachteile für das öffentliche Ansehen der Regierung bzw. des zuständigen Ministers (und in der Folge möglicherweise auch für staatliche Institutionen als solche) entstehen können, wenn sie sich nicht schnell von dem jeweiligen Amtsinhaber trennen könnten.
167Vgl. Steinbach, Der politische Beamte als verfassungsrechtliches Problem, VerwArch 2018, 6 (8, 22); Kugele, Die politischen Beamten in der Bundesrepublik Deutschland, ZBR 2007, 109 (113); Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 12.
168bb) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bietet indessen keinen Anhalt dafür, dass auch das Vermeiden solcher Nachteile - insbesondere der Ansehensbeeinträchtigung der Regierung - den Eingriff in das Lebenszeitprinzip, der mit der Zuordnung des Amtsinhabers zum Kreis der politischen Beamten verbunden ist, rechtfertigen kann. Dies hat das Bundesverfassungsgericht - wie dargestellt - ausdrücklich lediglich für Transformationsämter angenommen, die notwendige politische Schlüsselstellen für die wirksame Umsetzung der politischen Ziele der Regierung darstellen.
169Insoweit verfängt auch das Argument des beklagten Landes nicht, das Bundesverfassungsgericht habe den derzeit normierten Kreis politischer Beamter als verfassungsgemäß erachtet. Dergleichen kann der Senat der hierfür in Bezug genommenen Bemerkung in dem Beschluss vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris, die Beamtengesetze des Bundes und der Länder bildeten den wohl maximal zulässigen Rahmen der hierfür in Betracht kommenden Ämter ab (Rn. 84), nicht entnehmen. Mit dieser Bemerkung hat das Bundesverfassungsgericht eine Grenzziehung vorgenommen, nicht aber eine vollständige Prüfung der vom Bund (vgl. § 54 BBG) und von den Ländern bestimmten Kataloge der politischen Beamten.
170Bis auf Bayern haben alle Länder von der Ermächtigung des § 30 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG Gebrauch gemacht: Baden-Württemberg: § 42 LBG; Berlin: § 46 LBG; Brandenburg: § 105 LBG; Bremen: § 37 BremBG, ferner § 106 Abs. 2 BremBG; Hamburg: § 37 HmbBG; Hessen: § 7 HBG (der mit Wirkung vom 24. November 2021 auch den Präsidenten des Landeskriminalamtes umfasst, vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 6 HBG in der Fassung vom 15. November 2021, GVBl. 2021, 718); Mecklenburg-Vorpommern: § 37 LBG M-V; Niedersachsen: § 39 NBG; Nordrhein-Westfalen: § 37 LBG NRW, ferner § 106 Abs. 2 LBG NRW; Rheinland-Pfalz: § 41 LBG; Saarland: § 51 SBG; Sachsen: § 57 SächsBG; Sachsen-Anhalt: § 41 LBG LSA; Schleswig-Holstein: § 37 LBG;Thüringen: § 27 ThürBG, ferner § 98 Abs. 2 ThürBG.
171Letzterer Annahme widerstreitet schon der Umstand, dass sich die Kataloge nach der Anzahl und nicht zuletzt auch nach der Art der erfassten Ämter deutlich unterscheiden. So hat etwa das Land Thüringen anders als der Bund und die anderen Bundesländer die „Beauftragte für die Gleichstellung von Frau und Mann beim Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit“ und den „Ausländerbeauftragten beim Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit“ in den Katalog der politischen Beamten aufgenommen (vgl. § 27 Abs. 1 Nrn. 5 und 6 ThürBG). Gegen die Annahme, das Bundesverfassungsgericht habe eine vollständige Prüfung der Kataloge vorgenommen und die von ihnen erfassten Ämter als verfassungsgemäß erachtet, spricht ferner die Tatsache, dass es im unmittelbaren Zusammenhang mit der genannten Bemerkung die Verfassungsmäßigkeit des § 54 Abs. 1 Nr. 1 BBG, soweit mit ihr auch Ministerialdirektorinnen und Ministerialdirektoren zu politischen Beamten bestimmt worden sind, zumindest in Zweifel gezogen hat.
172Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. April 2018 - 2 BvL 10/16 -, BVerfGE 149, 1 = juris Rn. 84; dazu von der Weiden, jM 2018, 427(429), sowie Lindner, Das Transformationsamt des politischen Beamten, DÖV 2018, 983 (986), und ders., Der Beamte auf Zeit, ZBR 2018, 361 (364). Die Regelung ist gleichwohl bislang nicht geändert worden.
173Die Möglichkeit, auch Ämter in den Kreis der politischen Beamten einzubeziehen, bei denen die Vermeidung einer Ansehensbeeinträchtigung der Regierung im Falle des (tatsächlichen oder vermeintlichen) Fehlverhaltens des Amtsinhabers im Vordergrund steht, hat dementsprechend auch in § 30 Abs. 1 BeamtStG keinen Niederschlag gefunden. Denn die Norm verlangt hierfür ein Amt, dessen Inhaber in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen muss. Dieser Gesichtspunkt ist im Fall des Repräsentationsamts indessen allenfalls von untergeordneter Bedeutung.
174cc) Soweit es - erstens - abweichend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Grundsatz als zulässig erachtet würde, Repräsentationsämter dem Kreis der politischen Beamten zuordnen, und - zweitens - das Amt des Polizeipräsidenten als Repräsentationsamt im oben genannten Sinne anzusehen wäre, stünde überdies die Erforderlichkeit der Einbeziehung der Polizeipräsidenten in diesen Kreis in Zweifel.
175Zu diesem Gesichtspunkt BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 111; von der Weiden, jurisPR-BVerwG 3/17 Anm. 5.
176Denn bei Fehlleistungen oder anderen Eignungsmängeln der betreffenden Amtsinhaber und insbesondere einer Amtsführung, die geeignet ist, das Vertrauen in staatliche Institutionen beeinträchtigen, bestünde wie bei jedem anderen Beamten bei dienstlichem Bedürfnis in der Regel die Möglichkeit ihrer Versetzung (vgl. § 25 LBG NRW), so dass es für ihre Ablösung nicht zwingend der Möglichkeit der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand bedürfte. Aufgrund der im Vergleich der politischen Beamten niedrigen Besoldungseinstufung der Polizeipräsidenten in Nordrhein-Westfalen (Besoldungsgruppen A 16 bis B 5) ist - wenn auch die Zahl der Statusämter der entsprechenden Wertigkeit begrenzt sein mag und ferner eine freie, besetzbare Planstelle vorhanden sein muss - nicht anzunehmen, dass dies von Vornherein auf unüberwindbare Schwierigkeiten stieße.
177Vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 2016 - 2 C 1.15 -, BVerwGE 155, 300 = juris Rn. 111 für ein Amt der Besoldungsgruppe B 3; Lindner, Der politische Beamte als Systemfehler, ZBR 2011, 150 (160); v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 53 m. w. N.
1783. Der mit der Zugehörigkeit der Polizeipräsidenten zum Kreis der politischen Beamten i. S. v. § 37 Abs. 1 LBG NRW einhergehende Eingriff in das Lebenszeitprinzip und die somit bestehende Möglichkeit ihrer jederzeitigen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand lässt sich überdies nicht mit der besonderen rechtsstaatlichen Bedeutung der politischen Unabhängigkeit (gerade) von Polizeibehördenleitern vereinbaren.
179Vgl. auch Lindner, Der politische Beamte als Systemfehler, ZBR 2011, 150 (160); Steinbach, Der politische Beamte als verfassungsrechtliches Problem, VerwArch 2018, 6 (17, 23, 24).
180Die durch das Lebenszeitprinzip gewährleistete äußere und innere Unabhängigkeit des Polizeipräsidenten und die Distanz zur politischen Führung ist namentlich in den sensiblen Bereichen der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr mit den dabei bestehenden Handlungsspielräumen von besonderer Bedeutung. Auch und insbesondere bei polizeilichen Aufgaben bestehen die Erwartung und das Vertrauen der Allgemeinheit, dass sie rechtsstaatlich und unparteiisch erfüllt werden. Dies gilt erst recht für die Amtsführung der Leiter von Behörden mit polizeilichen Aufgaben. Nur wenn deren Unabhängigkeit durch eine lebenslange, vom Wohlwollen der Regierung unabhängige Anstellung gesichert ist, kann realistischerweise erwartet werden, dass sie auch dann an einer allein sachorientierten Amtsführung festhalten, wenn sie (partei-)politisch unerwünscht sein sollte. Hingegen ist es naheliegend, dass es die Bereitschaft zu einer konsequenten rechtsstaatlichen Amtsführung schwächt und politische Opportunitätserwägungen das Handeln zumindest mitbestimmen, wenn der Beamte bei Abweichung von der Auffassung politischer Entscheidungsträger jederzeit mit der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand rechnen muss.
181Vgl. Gesetzentwurf der Fraktion der FDP „Gesetz zur Entpolitisierung der Polizei“, LT-Drs. 16/2336.
182III. Ergänzend merkt der Senat an, dass die - nach dem Vorstehenden bereits nicht gerechtfertigte - Einbeziehung der Polizeipräsidenten in den Kreis politischer Beamter auch unter dem Gesichtspunkt der damit verbundenen Beeinträchtigung des Leistungsprinzips, d.h. des in Art. 33 Abs. 2 GG verankerten Bestenauswahlgrundsatzes Bedenken begegnet.
183Nach allgemeiner Auffassung gilt im Grundsatz das Leistungsprinzip des Art. 33 Abs. 2 GG, wonach für den Zugang zu jedem öffentlichen Amte Eignung, Befähigung und fachliche Leistung entscheidend zu sein haben, auch für politische Beamte.
184Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 25. April 2007
185- 1 WB 31.06 -, BVerwGE 128, 329 = juris Rn. 45; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar,Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 9 m. w. N.; Franz, Zur Geltung des Leistungsprinzips bei sogenannten politischen Beamten, DÖV 2009, 1141; ders., Staatssekretäre und das Leistungsprinzip, ZBR 2008, 236; Steinbach, Der politischeBeamte als verfassungsrechtliches Problem,VerwArch 2018, 6 (14 f.).
186Dieser Grundsatz kommt bei der Besetzung der Ämter politischer Beamter indessen nur eingeschränkt zum Tragen. Denn aus dem Umstand, dass bei Verlust des politischen Vertrauens die Ablösung des politischen Beamten möglich ist, wird zutreffend gefolgert, dass die Übereinstimmung des Bewerbers mit der politischen Leitungsebene, mithin dessen politische Anschauungen - sonst ein gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG sogar verpöntes Kriterium - und das hierauf gründende Vertrauen des politischen Entscheidungsträgers bereits als Anforderungsmerkmal beim Zugang zu entsprechenden Ämtern herangezogen werden dürfen.
187BVerwG, Beschluss vom 25. April 2007 - 1 WB 31.06 -, BVerwGE 128, 329 = juris Rn. 45; OVG NRW, Beschluss vom 20. November 1998 - 12 B 2446/98 -, juris Rn. 3.
188Dabei kommt dem politischen Vertrauen die Bedeutung eines vorgeschalteten konstitutiven Auswahlkriteriums zu, das sich allerdings - anders als konstitutive Anforderungsmerkmale im üblichen Sinn - nahezu ausschließlich in der subjektiven Überzeugung des betreffenden politischen Entscheidungsträgers erschöpft: Solange dessen politisches Vertrauen nicht gegeben ist, sind Leistung, Befähigung und Eignung der Kandidaten im Übrigen ohne Belang.
189OVG NRW, Beschluss vom 20. November 1998
190- 12 B 2446/98 -, juris Rn. 3; Bracher, Vertrauen in politische Anschauungen und persönliche Loyalität bei beamtenrechtlichen Auswahlentscheidungen, DVBl. 2001, 19 (21); Franz, Staatssekretäre und das Leistungsprinzip, ZBR 2008, 236 (238).
191Dies birgt die Gefahr der Politisierung und damit einhergehend der Entprofessionalisierung der betroffenen Ämter. Die Beeinträchtigung des Leistungsgrundsatzes wird überdies perpetuiert, wenn sich der auf diese Weise ins Amt gelangte politische Beamte um ein anderes Amt bewirbt. Es entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass der Vergleich der Bewerber im Rahmen einer Auswahlentscheidung vor allem anhand dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen hat.
192Vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 9. August 2016
193- 2 BvR 1287/16 -, NVwZ 2017, 46 = juris Rn. 78; BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 2 VR 1.16 -, BVerwGE 157, 168 = juris Rn. 23.
194Dabei ist der Beamte, der zumindest auch aufgrund eines politischen Näheverhältnisses ein gehobenes Statusamt erreicht hat, in zweierlei Weise begünstigt: Einerseits aufgrund des Grundsatzes, dass der im höheren Amt erteilten dienstlichen Beurteilung regelmäßig höheres Gewicht zukommt,
195vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 1207/18 -, DRiZ 2018, 310 = juris Rn. 10 f.,
196andererseits durch den Umstand, dass die Beurteilung häufig durch ebenden politischen Entscheidungsträger zu erstellen sein wird, zu dem das besondere politische Vertrauensverhältnis besteht.
197Zu dieser Problematik Nds. OVG, Beschluss vom 23. Mai 2018 - 5 ME 32/18 -, RiA 2018, 199; kritisch dazu Neuhäuser, Die Besetzung von Spitzenämtern in der Justiz mit politischen Beamten, NVwZ 2018, 1745 (1748 ff.).
198Die spiegelbildliche Marginalisierung des Leistungsprinzips bei der Beendigung des (aktiven) Beamtenverhältnisses des politischen Beamten aufgrund eines nicht (fehl)leistungsbedingten Vertrauensverlusts tritt hinzu.
199C. Die Frage der Vereinbarkeit des § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW mit Art. 33 Abs. 5 GG ist entscheidungserheblich. Der Erfolg der Berufung hängt davon ab, ob § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar und gültig (I.) oder mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig ist (II.).
200I. Ist § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW verfassungsgemäß und gültig, hat die zulässige Berufung mangels Begründetheit keinen Erfolg. Die zulässige Anfechtungsklage wäre als unbegründet abzuweisen.
2011. Die Anfechtungsklage ist zwar zulässig.
202a) Sie ist fristgerecht erhoben worden. Da eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben ist, konnte die Klage noch innerhalb eines Jahres seit der am 18. Januar 2016 erfolgten Bekanntgabe der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand erhoben werden (vgl. § 74 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Der Eingang der Klage am 3. Januar 2017 beim Verwaltungsgericht war deshalb rechtzeitig.
203b) Ein Vorverfahren war gemäß § 54 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG I. V. m. § 103 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW nicht erforderlich.
204c) Der angefochtene Verwaltungsakt hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Kläger zwischenzeitlich die für ihn geltende Regelaltersgrenze (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 2 LBG NRW) erreicht hat und mit Ablauf des Monats September 2020 als dauernd in den Ruhestand getreten gilt (vgl. § 31 Abs. 5 Satz 1 LBG NRW).
205Eine Erledigung liegt dann nicht vor, wenn der angefochtene Verwaltungsakt rechtlich noch irgendeine unmittelbar belastende Wirkung für den Betreffenden entfaltet. Eine solche Fortwirkung kann auch darin bestehen, dass der Verwaltungsakt noch Grundlage für einen anderen Verwaltungsakt bildet oder als Rechtsgrund und Rechtfertigung eingetretener Rechtswirkungen fortwirkt, indem er z. B. Erstattungs- oder Beseitigungsverlangen entgegensteht bzw. sich sonst wie noch belastend auf den Betreffenden auswirkt, weil sein Regelungsgehalt nicht erschöpft ist.
206Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. März 2009 - 1 A 107/07 -, NZWehrr 2009, 214 = juris Rn. 38; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 250.
207So liegt der Fall hier. Die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand bildet den Rechtsgrund für die Einstellung der Bezüge nach der Besoldungsgruppe B 5 ab dem 1. Mai 2016 (vgl. § 4 Abs. 1 BBesG i. V. m. § 1 Abs. 2 LBesG NRW in der seit dem 1. Juni 2013 geltenden Fassung bzw. § 4 Abs. 1 LBesG NRW in der Fassung vom 14. Juni 2016). Würde der Klage gegen die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand rechtskräftig stattgegeben, lebte der Besoldungsanspruch rückwirkend wieder auf. Der bis zum Eintritt in den Altersruhestand entstandene Differenzbetrag zwischen der Besoldung und den Versorgungsbezügen (vgl. § 14 Abs. 6 LBeamtVG NRW in der Fassung vom 16. Mai 2013 bzw. § 16 Abs. 5 LBeamtVG NRW in der seit dem 1. Juli 2016 geltenden Fassung: vom 1. Mai 2016 bis 30. April 2019 - also drei Jahre lang - volles Ruhegehalt [71,75 %] aus B 5, vom 1. Mai 2019 bis zum 30. September 2020 keine Versorgungsbezüge/Besoldung) wäre trotz der nicht erbrachten Dienstleistung vorbehaltlich der Anrechnung eines etwa in Folge der unterbliebenen Dienstleistung erzielten anderen Einkommens nachzuzahlen. Dem Besoldungsanspruch stünde nicht entgegen, dass der Kläger die unterbliebene Dienstleistung nicht ausgleichen kann.
208Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2001- 2 C 39.00 -, BVerwGE 115, 89 = juris Rn. 15, 17; OVG NRW, Urteile vom 5. März 2009 - 1 A 107/07 -, NZWehrr 2009, 214 = juris Rn. 38 ff., und vom 6. Mai 1998 - 12 A 7633/95 -, juris Rn. 13; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 46.
209Schon vor diesem Hintergrund hat sich die Anfechtungsklage auch nicht etwa durch die noch im Januar 2016 erfolgte Neubesetzung des Amtes des Polizeipräsidenten L. erledigt.
210Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2001- 2 C 39.00 -, BVerwGE 115, 89 = juris 12 ff.; ferner Franke, in: GKÖD, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 BBG Rn. 15; Reich,BeamtStG, Kommentar, 3. Aufl. 2018, § 30 Rn. 6; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar,Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 46, v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer,BeamtStG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 101.
2112. Im Fall der Verfassungsmäßigkeit des § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW wäre die Klage aber als unbegründet abzuweisen. Die dem Kläger mit Verfügung vom 18. Januar 2016 bekannt gegebene Versetzung in den einstweiligen Ruhestand wäre rechtmäßig und verletzte ihn daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
212a) Formelle Fehler sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
213aa) Die streitbefangene Entscheidung ist von der nach § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW hierfür zuständigen Landesregierung getroffen worden.
214Die Landesregierung hat in der Kabinettssitzung vom 12. Januar 2016, wie zuvor vom für Inneres zuständigen Minister unter Mitteilung der Stellungnahme des Finanzministeriums vorgeschlagen, beschlossen, den Kläger in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Dieses Vorgehen entspricht § 10 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 der seinerzeit geltenden Geschäftsordnung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung des Ministerpräsidenten vom 1. Juni 2005 - II. 7 - 02.01.02.30 (MBl. NRW. 2005 S. 604) - im Folgenden: GOLR 2005. Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund, ob der Kläger sich auf eine Verletzung der Geschäftsordnung überhaupt berufen könnte.
215bb) Auch gegen andere Verfahrensvorschriften ist nicht verstoßen worden.
216(1) Bei einer Versetzung der in § 37 LBG NRW bezeichneten Beamten in den einstweiligen Ruhestand handelt es sich nicht um eine Personalangelegenheit, bei der der Personalrat mitzustimmen hat (vgl. § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 LPVG).
217(2) Beamte, die nach § 37 LBG NRW jederzeit in den Ruhestand versetzt werden können, sind keine Beschäftigten im Sinne des Landesgleichstellungsgesetzes (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 2 LGG), so dass die Gleichstellungsbeauftragte an der Maßnahme nicht zu beteiligen war.
218(3) Der Polizeibeirat ist nach § 16 Abs. 4 POG NRW nur vor der Besetzung der Stelle der Behördenleitung mit einem Polizeipräsidenten zu hören, nicht hingegen bei dessen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand.
219(4) Eine Anhörung i. S. d. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW ist erfolgt. Der Minister für Inneres und Kommunales hat den Kläger am 8. Januar 2016 im Rahmen eines persönlichen Gesprächs über die Absicht informiert, ihn in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob im Fall einer Versetzung in den einstweiligen Ruhestand eine Verpflichtung zur vorherigen Anhörung besteht. Dies wird in der Rechtsprechung verneint,
220vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 1992 - 2 B 13.92 -, ZBR 1992, 284 = juris Rn. 9; OVG NRW,Urteil vom 1. Oktober 1991 - 1 A 1619/90 -, NWVBl. 1992, 132 = juris Rn. 2 ff.,
221in der Literatur indes kontrovers beurteilt.
222Vgl. hierzu Steinbach, Die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand - materielle und formelle Fragen zum politischen Beamten, ZBR 2017, 335 (339) m. w. N.
223cc) Die streitbefangene Maßnahme leidet auch nicht an einem Formfehler.
224(1) Dass die Verfügung vom 18. Januar 2016 nicht mit einer Begründung versehen worden ist, ist nicht zu beanstanden.
225Die Verfügung über die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand bedarf, so die einhellige Rechtsprechung und die herrschende Literaturmeinung, abweichend von der allgemeinen Regel des § 39 Abs. 1 Satz 1 VwVfG - der dem § 39 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW entspricht - angesichts der Eigenart der Maßnahme (zunächst) keiner Begründung. Allein schon das Ergreifen der Maßnahme als solche gibt zu erkennen, dass das erforderliche Vertrauensverhältnis zur Regierung nicht mehr im erforderlichen Maße gegeben ist. Außerdem kann es vielfach sowohl im öffentlichen Interesse als auch im Interesse des Betroffenen selbst liegen, von einer Offenlegung undeinem schriftlichen Festhalten der Umstände und Gesichtspunkte, die im Einzelnen zu dem Vertrauensverlust geführt haben, abzusehen.
226Zu § 50 Abs. 1 SG: BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 1992 - 2 B 13.92 -, NVwZ-RR 1993, 90 = juris Rn. 5 m. w. N.; zu § 36 Abs. 1 BBG: OVG NRW, Urteile vom 6. Mai 1998 - 12 A 7633/95 -, juris Rn. 18, und vom 1. Oktober 1991 - 1 A 1619/90 -, NWVBl. 1992, 132 = juris Rn. 14; ferner zur Versetzung in den „Wartestand“: BVerfG, Beschlüsse vom 2. Dezember 1958 - 1 BvL 27/55 -, BVerfGE 8, 332 = juris Rn. 85, und vom 17. Oktober 1957 - 1 BvL 1/57 -, BVerfGE 7, 155 = juris Rn. 41; BeckOK BeamtenR NRW/Mar-tin, 18. Edition 1. August 2020, LBG NRW, § 37 Rn. 15; Franke, in: GKÖD, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 BBG Rn. 13; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 38.
227Der durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotene effektive Rechtsschutz bleibt dadurch gewahrt, dass im Fall eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die oberste Dienstbehörde den die Maßnahme begründenden Vertrauensverlust so weit zu substantiieren hat, dass der Betroffene und das Gericht sich von dessen Vorliegen und von einer insgesamt rechtmäßigen Ermessensausübung überzeugen können.
228Zu § 50 Abs. 1 SG: BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 1992 - 2 B 13.92 -, NVwZ-RR 1993, 90 = juris Rn. 6; zu § 36 Abs. 1 BBG: OVG NRW, Urteile vom 6. Mai 1998 - 12 A 7633/95 -, juris Rn. 18, und vom 1. Oktober 1991 - 1 A 1619/90 -, NWVBl. 1992, 132 = juris Rn. 17 f.; Franke, in: GKÖD, Kommentar,Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 BBG Rn. 15; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 38, 44.
229Vertreten wird in der Literatur aber auch die Ansicht, die Verfügung über die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand sei nach § 39 Abs. 1 Satz 1 VwVfG schriftlich zu begründen, es sei denn, es bedürfe einer solchen Begründung nach § 39 Abs. 2 VwVfG - der dem § 39 Abs. 2 VwVfG NRW entspricht - nicht.
230Gunkel, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 37 LBG NRW Rn. 66; v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 78.
231Die Vertreter dieser Ansicht gehen allerdings davon aus, dass bei einer Versetzung in den einstweiligen Ruhestand in der Regel ein Fall des § 39 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG vorliegt, wonach die schriftliche Begründung entbehrlich ist, wenn die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtlage dem Betroffenen bereits bekannt oder auch ohne schriftliche Begründung für ihn ohne Weiteres erkennbar ist. Da grundsätzlich bei jeder Versetzung in den einstweiligen Ruhestand aufgrund des sehr weiten Ermessensspielraums des Dienstherrn schon das Ergreifen der Maßnahme allein zu erkennen gebe, dass das erforderliche Vertrauensverhältnis nicht mehr im erforderlichen Maße gegeben sei, trage sie die Rechtfertigung gleichsam in sich und lege den Vertrauensverlust durch ihren Erlass offen.
232Gunkel, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 37 LBG NRW Rn. 67 f.; v. Roette-ken, in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 81.
233Letzteres ist im vorliegenden Fall anzunehmen, so dass auch nach dieser Ansicht die streitgegenständliche Verfügung über die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nicht aufgrund des Umstands, dass sie nicht mit einer Begründung versehen worden ist, formell rechtswidrig ist.
234Im Übrigen wäre ein etwaiger Formfehler nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 VwVfG NRW unbeachtlich. Das beklagte Land hat die Versetzung des Klägers in den einstweiligen Ruhestand im erstinstanzlichen Verfahren begründet.
235(2) Schließlich ist auch dem in § 13 Abs. 1 lit. a GOLR 2005 enthaltenen Formerfordernis Genüge getan. Die Urkunde über den Eintritt in den einstweiligen Ruhestand ist von der damaligen Ministerpräsidentin und dem für Inneres zuständigen Minister vollzogen worden. Auch insoweit kann somit offenbleiben, ob der Kläger sich aufeine Verletzung der Geschäftsordnung überhaupt berufen könnte.
236b) Die Versetzung des Klägers in den einstweiligen Ruhestand wäre auch materiell rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW lägen vor (aa). Ermessensfehler wären nicht festzustellen (bb).
237aa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW lägen vor.
238Im maßgeblichen Zeitpunkt der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand war der Kläger Beamter auf Lebenszeit und seine Zugehörigkeit zu dem von der Norm bestimmten Kreis der politischen Beamten gegeben. Er ist am 19. Februar 1990 in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen und am 1. Juli 2002 zum Polizeipräsidenten in einem Bereich mit mehr als 300.000 Einwohnern (Besoldungsgruppe B 4) und schließlich mit Wirkung vom 4. Oktober 2011 zum Polizeipräsidenten in einem Polizeibereich mit mehr als 300.000 Einwohnern und mit mehr als 3.500 Mitarbeitern (Besoldungsgruppe B 5) ernannt worden.
239Auch die nach § 32 BeamtStG vorgeschriebene versorgungsrechtliche Wartezeit (vgl. § 41 Satz 2 LBG NRW in der bis zum 30. Juni 2016 geltenden Fassung i. V. m. § 4 Abs. 1 BeamtVG) war im Zeitpunkt der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand erfüllt.
240§ 37 Abs. 1 LBG NRW nennt keine weiteren Tatbestandsvoraussetzungen. Der Verzicht hierauf kommt nach herkömmlichem Verständnis des Wortlauts in dem Wort „jederzeit“ zum Ausdruck.
241Vgl. zu § 50 Abs. 1 SG: BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1993 - 2 BvR 1107/92 -, NVwZ 1994, 477 = juris Rn. 3, und OVG NRW, Urteil vom 5. März 2009 - 1 A 107/07 -, NZWehrr 2009, 214 = juris Rn. 64; zu § 54 BBG: Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 23.
242Es kann dahinstehen, ob man das Vorliegen eines nur eingeschränkt überprüfbaren sachlichen Grundes für die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand in Gestalt einer Vertrauensstörung sowie (weit aufzufassenden) Eignungszweifeln dem Tatbestand der Bestimmung zuordnet,
243so Schnellenbach/Bodanowitz, Beamtenrecht in der Praxis, 10. Aufl. 2020, § 5 Rn. 37,
244oder verlangt, dass die sachgerechte Ermessensausübung sich am Ziel einer Beseitigung einer solchen Vertrauensbeeinträchtigung ausrichten muss. Dies wäre für die Entscheidung des Streitfalls ohne Bedeutung, denn beides ist der Fall. Hierfür wird auf die nachfolgenden Ausführungen unter bb) verwiesen.
245bb) Ermessensfehler wären nicht festzustellen, wenn § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW verfassungsgemäß wäre.
246Die Anwendung des § 37 Abs. 1 LBG NRW ist in das Ermessen der Landesregierung gestellt. Dieses Ermessen ist - wie stets - ein durch den Gesetzeszweck bestimmtes und begrenztes pflichtgemäßes Verwaltungsermessen. Dass die Versetzung „politischer Beamter“ in den einstweiligen Ruhestand „jederzeit“ ausgesprochen werden kann, kennzeichnet zwar die Weite, besonders die zeitliche Unbeschränktheit, des Ermessensspielraums, befreit diesen aber nicht von jeder rechtlichen Begrenzung.
247Zu § 41a BremBG i. d. F. vom 18. Juni 1969: BVerwG, Urteil vom 13. September 2001 - 2 C39.00 -, BVerwGE 115, 89 = juris Rn. 23; zu § 36 Abs. 1 BBG i. d. F. vom 18. September 1957 bzw. 17. Juli 1971: BVerwG, Urteile vom 17. September 1981 - 2 C 12.80 -, RiA 1982, 170 = juris Rn. 16, und vom 29. Oktober 1964 - II C 182.61 -, BVerwGE 19, 332 = juris Rn. 35; OVG NRW, Urteil vom 6. Mai 1998 - 12 A 7633/95 -, juris Rn. 24; Franke, in: GKÖD, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 BBG Rn. 9; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 23; Gunkel, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 37 LBG NRW Rn. 56.
248Die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand muss sich daher am Zweck der Möglichkeit, einen politischen Beamten in den einstweiligen Ruhestand versetzen zu können, orientieren. Diese soll dazu dienen, das reibungslose Funktionieren des Übergangs von der politischen Führungsspitze in die administrative Hierarchiesicherzustellen. Beamte in politischen Schlüsselpositionen sollen die Politik derRegierung aktiv unterstützen, weshalb sie jederzeit des vollen Vertrauens der Regierung bedürfen.
249Vgl. zu § 36 Abs. 1 BBG i. d. F. vom 18. September 1957 bzw. 17. Juli 1971: BVerwG, Urteile vom 17. September 1981 - 2 C 12.80 -, RiA 1982, 170 = juris Rn. 16, und vom 29. Oktober 1964 - II C 182.61 -, BVerwGE 19, 332 = juris Rn. 36; OVG NRW, Urteil vom 12. November 2003 - 6 A 404/02 -, NWVBl. 2004, 145 = juris Rn. 113; zu § 50 Abs. 1 SG: BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1993 - 2 BvR 1107/92 -, NVwZ 1994, 477 = juris Rn. 3; und OVG NRW, Urteil vom 5. März 2009 - 1 A 107/07 -, juris Rn. 71.
250Der Ermessensrahmen ist demnach sehr weit und nur insofern begrenzt, als die Versetzung politischer Beamter in den einstweiligen Ruhestand allein aus solchen Erwägungen gerechtfertigt werden kann, die der eingetretenen Vertrauensstörung Rechnung tragen sollen. Wie allgemein angenommen wird, kann die Beeinträchtigung des entsprechenden Vertrauens der politischen Entscheidungsträger aufgrund einer Vielzahl von Umständen und Erwägungen eintreten. Sie kann nicht nur beieiner Abweichung in grundlegenden politischen Ansichten, sondern auch etwa dann vorliegen, wenn die Regierung Zweifel daran hegt, dass die fachliche oder die persönliche Eignung des Beamten, seine Amtstätigkeit oder auch nur sein außerdienstliches Verhalten den höchstmöglichen Grad einer zielstrebigen, wirkungsvollen Zusammenarbeit im Sinne der von ihr verfolgten Politik gewährleistet. Derartige Zweifel können sogar schon durch Unwägbarkeiten, sogenannte „Imponderabilien“, veranlasst sein, die nicht stets genau zu umreißen sind und deren Offenbarung im Einzelnen weder stets im Sinne der gesetzlichen Regelung noch im Sinne des betroffenen Beamten liegen muss.
251vgl. zu § 36 Abs. 1 BBG i. d. F. vom 18. September 1957 bzw. 17. Juli 1971: BVerwG, Urteile vom 17. September 1981 - 2 C 12.80 -, RiA 1982, 170 = juris Rn. 16, und vom 29. Oktober 1964- II C 182.61 -, BVerwGE 19, 332 = juris Rn. 36; OVG NRW, Urteile vom 12. November 2003 - 6 A 404/02 -, NWVBl. 2004, 145 = juris Rn. 113, und vom 6. Mai 1998 - 12 A 7633/95 -, juris Rn. 22; VGH BW, Beschluss vom 2. Mai 2016 - 4 S 212/16 -, NVwZ-RR 2016, 630 = juris Rn. 13; zu § 50 Abs. 1 SG: BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1993 - 2 BvR1107/92 -, juris Rn. 3, und OVG NRW, Urteil vom 5. März 2009 - 1 A 107/07 -, NZWehrr 2009, 214 = juris Rn. 73 ff.; Franke, in: GKÖD, Kommentar,Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 BBG Rn. 9; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 24; Gunkel, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 37 LBG NRW Rn. 59; v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 67 f; Hebeler, in: Battis (Hg.), BBG, Kommentar, 5. Aufl. 2017, § 54 Rn. 9; Kugele, Die politischen Beamten in der Bundesrepublik Deutschland, ZBR 2007, 107 (114).
252Der einer Vertrauensstörung zu Grunde liegende Sachverhalt muss nicht auf Grund tatsächlicher Umstände feststehen. Ein schuldhaftes oder auch nur objektiv pflichtwidriges Verhalten wird ebenfalls nicht vorausgesetzt. Die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand stellt keine Disqualifizierung des Beamten dar; sie ist ausschließlich eine dienstrechtliche Maßnahme im Interesse der politischen Staatsführung.
253Vgl. OVG NRW, Urteile vom 12. November 2003
254- 6 A 404/02 -, NWVBl. 2004, 145 = juris Rn. 113, und vom 6. Mai 1998 - 12 A 7633/95 -, juris Rn. 22; zu § 50 Abs. 1 SG: OVG NRW, Urteil vom 5. März 2009 - 1 A 107/07 -, NZWehrr 2009, 214 = juris Rn. 75; Franke, in: GKÖD, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 BBG Rn. 10.
255Indem § 30 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG auf die „fortdauernde Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung“ abstellt, hält er den Kreis politischer Beamter in engen Grenzen, beschränkt den Bereich der zulässigen Ermessenserwägungen aber nicht auf solche, die die grundsätzliche politische Übereinstimmung betreffen.
256Zu § 31 Abs. 1 BRRG: BVerwG, Urteile vom 17. September 1981 - 2 C 12.80 -, RiA 1982, 170 = juris Rn. 17, und vom 29. Oktober 1964 - II C182.61 -, BVerwGE 19, 332 = juris Rn. 37; zu § 50 Abs. 1 SG: BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1993- 2 BvR 1107/92 -, NVwZ 1994, 477 = juris Rn. 3; Gunkel, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 37 LBG NRW, Rn. 59 m. w. N.
257Ermessensfehlerhaft wäre lediglich eine solche Versetzung in den einstweiligen Ruhestand, die nicht der Sicherung der „Transformationsfunktion“, mithin der Behebung eines Vertrauensverlustes auf Seiten der politischen Spitze, sondern anderen Zwecken dienen soll, indem beispielsweise dem Beamten der Wechsel in eine andere Tätigkeit zu günstigeren Konditionen als auf dem Weg über eine Beurlaubung ohne Dienstbezüge oder Entlassung ermöglicht werden oder ein Beamter wegen Erreichens eines bestimmten höheren Lebensalters aus dem Dienst entfernt werden soll, um die „Überalterung“ der Beamtenschaft in bestimmten Führungspositionen zu verhindern.
258Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1977 - II C 70.73 -, BVerwGE 52, 33 = juris Rn. 20 ff.; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 Rn. 25; v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 71 ff.; Hebeler, in: Battis (Hg.), BBG, Kommentar, 5. Aufl. 2017, § 54 Rn. 9; BeckOK BeamtenR Bund/Brinktrine, 24. Ed. 1. November 2021, BBG § 54 Rn. 16.
259Ausgehend von der (unterstellten) Verfassungsmäßigkeit des § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW und den vorstehenden Grundsätzen sind Ermessensfehler hier nicht ersichtlich.
260(1) Das beklagte Land hat nachvollziehbar dargelegt, dass das Vertrauen der Landesregierung in den Kläger im Zeitpunkt seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand erheblich beeinträchtigt war.
261Es hat ausgeführt, dass es im Zusammenhang mit dem Einsatzgeschehen in der Nacht 2015/2016 zu Fehlern des Polizeipräsidiums L. bei der Einsatzplanung sowie bei der Lagebeurteilung und -bewältigung gekommen sei, und dies näher erläutert. Der hierdurch eingetretene Verlust des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Polizei sei durch das anschließende Informations- und Kommunikationsverhalten des Klägers und der Pressestelle des Polizeipräsidiums L. noch verstärkt worden. Die Wiederherstellung des verloren gegangenen Vertrauens der Öffentlichkeit in die L1. Polizei habe die Landesregierung und insbesondere der Minister für Inneres und Kommunales als ein landespolitisches Ziel mit hoher Priorität betrachtet. Es hätten Zweifel bestanden, dass mit dem Kläger als Leiter des Polizeipräsidiums L. dieses Ziel hätte erreicht und die polizeiliche Bewältigung der seinerzeit kurzfristig anstehenden Großveranstaltungen (Karneval) mit der dazu erforderlichen Durchsetzungskraft und Akzeptanz würde gelingen können.
262Die vom beklagten Land umfassend dargestellte Chronologie sowie die Qualität der Geschehnisse in der Nacht 2015/2016 und in den nachfolgenden Tagen sind ohne Weiteres geeignet, diese Zweifel zu plausibilisieren. Den mit diesen Bedenken einhergehenden Vertrauensverlust der Landesregierung stellen die Einwendungen des Klägers nicht durchgreifend in Frage. Insbesondere besteht kein tragfähiger Anhaltspunkt dafür, dass die Vertrauensstörung bzw. die angeführten Zweifel nur vorgeschoben worden sind, um unzulässige Beweggründe zu verschleiern.
263Der Kläger stellt im Übrigen, ohne dass es entscheidend darauf ankommt, nicht bzw. nicht nachvollziehbar in Abrede, dass es zum einen im Zusammenhang mit dem Einsatzgeschehen in der Nacht (auch) zu Fehlern des Polizeipräsidiums L. insbesondere bei der Lagebeurteilung und -bewältigung sowie in der internen Kommunikation gekommen ist, die zur Folge hatten, dass auf die Ausschreitungen nicht in der gebotenen Weise reagiert worden ist bzw. werden konnte, und dass zum anderen die Öffentlichkeit nach dem Einsatzgeschehen fehlerhaft informiert worden ist.
264Vgl. auch Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV vom 23. März 2017, LT-Drs. 16/14450, etwa S. 431 ff., 563 ff.
265Er kann sich namentlich vor dem Hintergrund der vom Polizeipräsidium L. herausgegebenen, offenkundig unzutreffenden Presseerklärung vom 1. Januar 2016 nicht darauf zurückziehen, dass - so sein Vortrag - die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit den in den diesbezüglichen Erlassen des für Inneres zuständigen Ministeriums enthaltenen Vorgaben gefolgt ist. Angesichts der Dimension der Geschehnisse drängt es sich außerdem auf, dass diese dem Kläger hätte Anlass geben müssen, selbst schnellstens das Ministerium für Inneres und Kommunales möglichst umfassend über den jeweiligen Stand der Erkenntnisse zu informieren und sich nicht, wie zunächst geschehen, auf sog. WE-Meldungen zu beschränken. Dass auch das Informationsverhalten des Klägers zu einer Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und dem Minister für Inneres und Kommunales geführt hat, erscheint nach den Gesamtumständen naheliegend. Jedenfalls aber hat er als Behördenleiter Fehler des Polizeipräsidiums L. ungeachtet der Frage, ob und inwieweit er selbst mit der Einsatzplanung, der Lagebeurteilung und -bewältigung sowie der Kommunikation befasst war und ob etwa auch dem LZPD Fehler bei der Einsatzplanung unterlaufen sind, (mit) zu verantworten. Von entscheidender Bedeutung bleibt, dass nicht nur die Geschehnisse in der Nacht, sondern auch die nachfolgende mediale Aufbereitung durch die Pressestelle des Polizeipräsidiums L. und den Kläger selbst zu einer erheblichen Verunsicherung insbesondere in der L1. Bevölkerung und zu einem Verlust des Vertrauens in die L1. Polizei und namentlich ihreFähigkeit geführt haben, vergleichbare Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu verhindern. Dies hat im Übrigen der Kläger selbst in seiner persönlichen Erklärung vom 8. Januar 2016 bestätigt, in der er ausgeführt hat, er verstehe die Entscheidung, ihn in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen; es gehe darum, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen.
266Dass Zweck der Maßnahme war, diesem Vertrauensverlust Rechnung zu tragen, wird auch nicht durch den vom Kläger angeführten Umstand in Zweifel gezogen, dass der Minister für Inneres und Kommunales in der streitbefangenen Verfügung die Anerkennung und Wertschätzung seiner Arbeit als Polizeipräsident zum Ausdruck gebracht hat. Die Verwendung dieser - bei einer Zurruhesetzung nicht unüblichen - Formulierung besagt ersichtlich nichts über den Stand des Vertrauens, das derMinister dem Kläger seinerzeit entgegengebracht hat.
267(2) Die Versetzung des Klägers in den einstweiligen Ruhestand ist ferner nicht etwa wegen unzureichender Berücksichtigung seiner persönlichen Interessen ermessensfehlerhaft.
268Der Dienstherr wird nur in Ausnahmefällen von der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand aufgrund widerstreitender Interessen des Beamten abzusehen haben. Die Berücksichtigung solcher gegenläufiger Interessen etwa unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. § 45 BeamtStG) kommt aufgrund des dargestellten staatspolitischen Zwecks des § 37 Abs. 1 LBG NRW nur in engen Grenzen in Betracht; zudem hat der Gesetzgeber den Belangen des Beamten bereits über die zeitweise Weitergewährung der Dienstbezüge und die Erhöhung des Ruhegehalts (s. dazu o. C.I.1.c) Rechnung getragen. Eine Ermessensfehlerhaftigkeit der Maßnahme aufgrund gegenläufiger Interessen des Beamten an der weiteren Wahrnehmung seiner Dienstgeschäfte kann daher nur ausnahmsweise bei besonders schwerwiegenden - also über die regelmäßig gegebenen Belastungen wesentlich hinausgehenden - persönlichen Gründen gegeben sein.
269Zu § 36 Abs. 1 BBG: BVerwG, Urteile vom 17. September 1981 - 2 C 12.80 -, RiA 1982, 170 = juris Rn. 26, und vom 29. Oktober 1964 - II C 182.61 -, BVerwGE 19, 332 = juris Rn. 46; OVG NRW, Urteil vom 12. November 2003 - 6 A 404/02 -, NWVBl. 2004, 145 = juris Rn. 116; Franke, in: GKÖD, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 54 BBG Rn. 10, 12. Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 54 Rn. 33.
270Derartige Gründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
271(3) Es kann dahinstehen, ob die Landesregierung verpflichtet war, vor der Versetzung des Klägers in den einstweiligen Ruhestand zu prüfen, ob die Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung besteht. Eine den Anforderungen des § 26 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und 3 BeamtStG - in der bis zum 6. Dezember 2018 geltenden und damit im Zeitpunkt der streitbefangenen Maßnahme noch geltenden Fassung (im Folgenden: BeamtStG a. F.) bzw. in der seit dem 7. Dezember 2018 geltenden Fassung - entsprechende Suche nach einer Weiterverwendungsmöglichkeit ist vor einer Versetzung in den einstweiligen Ruhestand allerdings nicht geboten, da § 37 LBG NRW eine § 26 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und 3 BeamtStG a. F. bzw. BeamtStG entsprechende Bestimmung, die eine formalisierte Suche gegebenenfalls auch nach einer geringerwertigen Weiterverwendungsmöglichkeit erforderte, nicht enthält. Die Verpflichtung zur Suche nach einer anderweitigen Verwendungsmöglichkeit stünde vielmehr im Widerspruch dazu, dass § 37 Abs. 1 LBG NRW die Möglichkeit eröffnet, den Beamten jederzeit in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, und der Zielsetzung dieser Regelung, möglichst schnell eine Stellenbesetzung in politischer Übereinstimmung mit der politischen Leitungsebene zu gewährleisten.
272V. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Kommentar, Loseblattslg. Stand Oktober 2021, § 30 Rn. 69 f. m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 8. Juni 1993 - 1 B 828/93 -; ZBR 1994, 25; Brockhaus, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Loseblattslg. Stand November 2021, § 30 BeamtStG Rn. 17.
273Ob gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht eine Prüfung dahin geboten ist, ob eine anderweitige Verwendung möglich ist,
274hierauf deuten die Ausführungen in: BVerwG, Urteil vom 17. September 1981 - 2 C 12.80 -, RiA 1982, 170 = juris Rn. 26, sowie OVG NRW, Urteile vom 12. November 2003 - 6 A 404/02 -, NWVBl. 2004, 145 = juris Rn. 123, und vom 6. Mai 1998 - 12 A 7633/95 -, juris Rn. 51, hin,
275kann auf sich beruhen. Denn nach den Ausführungen des beklagten Landes im gerichtlichen Verfahren stand seinerzeit ein für den nach der Besoldungsgruppe B 5 besoldeten Kläger geeigneter Dienstposten nicht zur Verfügung. Ein Anhaltspunkt dafür, dass diese Angabe unzutreffend wäre, ist dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich.
276II. Ist § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW verfassungswidrig und nichtig, hat die Berufung des Klägers Erfolg. Die zulässige Klage wäre begründet. Die Versetzung des Klägers in den einstweiligen Ruhestand wäre gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben. Denn sie wäre rechtswidrig und verletzte ihn in seinen Rechten, weil sie auf einer unwirksamen Rechtsgrundlage beruhte.
277III. Eine die Verfassungswidrigkeit vermeidende verfassungskonforme Auslegung von § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW in dem Sinne, dass Polizeipräsidenten nicht von dieser Regelung erfasst werden, ist nicht möglich. Die Bestimmung ist wegen ihres eindeutigen Wortlauts und des klar gegensätzlichen Willens des Gesetzgebers einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich.
278Vgl. Hebeler, in: Battis (Hg.), BBG, Kommentar, 5. Aufl. 2017, § 54 Rn. 7.
279D. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.