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Vor der Auflösung einer Versammlung wegen eines Verstoßes gegen eine Auflage gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Polizei veränderte tatsächliche Umstände, die eine uneingeschränkte Auflagenerfüllung nicht mehr erfordern, berücksichtigt und zunächst die Durchsetzung der Auflage anmahnt, soweit sie deren Erfüllung weiterhin für erforderlich hält.
Die Polizei ist zur Durchsetzung einer Auflage, wonach die anmeldende Person eine bestimmte Anzahl an mobilen Toiletten für eine ortsfeste Versammlung bereitzustellen hat, nicht verpflichtet, für den Fall einer Nichterfüllung der Auflage auf Verdacht selbst die entsprechenden sanitären Einrichtungen vorzuhalten. Die Auflösung einer Versammlung stellt kein verwaltungsvollstreckungsrechtliches Zwangsmittel dar, mit dem eine Auflage durchgesetzt werden soll und vor dem eine Ersatzvornahme als milderes Zwangsmittel zur Durchsetzung der Auflage in Betracht zu ziehen ist.
1. Das Ablehnungsgesuch gegen Richter am Oberverwaltungsgericht S. wird als unzulässig verworfen.
2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
21. Das Ablehnungsgesuch gegen Richter am Oberverwaltungsgericht S. ist unzulässig.
3Es wird unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen, da Gründe für eine Besorgnis seiner Befangenheit nicht auch nur ansatzweise vorgetragen und glaubhaft gemacht sind, so dass das Gesuch rechtsmissbräuchlich ist. Ein Ablehnungsgesuch kann ausnahmsweise dann unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen werden oder überhaupt unberücksichtigt bleiben, wenn es sich - wie hier - als offenbarer Missbrauch des Ablehnungsrechts darstellt.
4Vgl. insoweit BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 22. Februar 2021 - 2 BvR 1387/20 -, juris Rn. 2; BVerwG, Beschluss vom 6. November 2017 - 5 PKH 14.17 D -, juris Rn. 2, jeweils mit weiteren Nachweisen.
5Der Senat durfte das in der auf den „31.06.2021“ datierten Beschwerdeschrift der Antragstellerin formulierte Ablehnungsgesuch, das sich auch gegen den nach der gegenwärtigen geschäftsverteilungsplanmäßigen Besetzung nicht an der Entscheidung mitwirkenden Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts C. und die ebenfalls nicht mitwirkende Richterin am Oberverwaltungsgericht T. - beide sind an der Mitwirkung anderweitig gehindert - richtet, als solches verstehen. Der Einwand der Antragstellerin, dass der abgelehnte Richter nunmehr an der Korrektur einer unter seiner Mitwirkung ergangenen angeblichen „Fehlentscheidung“ beteiligt ist, geht bereits aus dem Grunde fehl, dass es im vorliegenden Verfahren nicht um eine Korrektur der Entscheidung im Verfahren 15 B 1122/21 über die Rechtmäßigkeit der streitigen Auflage geht, sondern um einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch bezüglich weitergehender Maßnahmen im Falle eines Verstoßes gegen die Auflage. Soweit sie bemängelt, in jener Entscheidung sei nicht benannt worden, „welche Rechtsgüter Dritter betroffen sein sollen“, ist dieser Einwand zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet.
62. Die Beschwerde der Antragstellerin mit dem sinngemäßen Antrag,
7den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Juli 2021 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten es zu unterlassen, die für den 3. Juli 2021 von der Antragstellerin angemeldete Versammlung zu dem Thema "G. " durch Verbot oder Auflösung aus dem Grunde zu vereiteln, dass entgegen Ziffer 4 des Bescheides des Polizeipräsidiums C1. vom 25. Juni 2021 zum Aktenzeichen E. A. 00.00.00 – 000/2021 nicht 18 Toiletten mit Handwaschbecken, sondern lediglich vier mobile Toiletten von der Antragstellerin gestellt werden,
8hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen nicht zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
9Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch für die im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO begehrten Unterlassungsverpflichtungen nicht glaubhaft gemacht hat.
10Dies gilt zunächst, soweit die Antragstellerin vorbeugenden Rechtsschutz vor einem eventuellen Verbot der angemeldeten und bislang nicht verbotenen Versammlung sucht. Dass sie bei Nichterfüllung der Auflage zur Vorhaltung von 18 Toiletten mit Handwaschbecken ein darauf gestütztes Verbot der Versammlung zu befürchten hätte, ist bereits nicht zu erwarten. Bei einem Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG handelt sich im Gegensatz zur Auflösung einer begonnenen Versammlung um eine vorbeugende Maßnahme, die nur in Betracht kommt, bevor die geplante Versammlung begonnen hat.
11Vgl. Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsgesetz, 1. Aufl. 2016, § 15 Rn. 115.
12Bis zum Beginn der Versammlung wird aber voraussichtlich unklar bleiben, ob trotz gegenteiliger Anzeichen im bisherigen Verfahren nicht doch noch die streitgegenständliche Auflage erfüllt wird. Auch ist bis zum Beginn der Versammlung noch offen, ob nicht eine geringere Zahl an Teilnehmern als angemeldet zu der Versammlung erscheint, für die womöglich das von der Antragstellerin bereitgestellte Toilettenkontingent (noch) ausreichend ist. Für ein vorheriges Verbot fehlt es der Versammlungsbehörde demnach an einer hinreichenden Entscheidungsgrundlage, so dass mit einer solchen Anordnung bereits nicht hinreichend wahrscheinlich zu rechnen ist. Dem entspricht die Aussage des Antragsgegners in der erstinstanzlichen Antragserwiderung, wonach am Versammlungstag eine Bewertung anhand der dann gegebenen Lage erfolgen soll.
13Auch soweit die Antragstellerin vorbeugend eine Unterlassungsanordnung bezüglich einer Auflösung der Versammlung bei Verstoß gegen die Auflage unter Ziffer 4 des Bescheides des Polizeipräsidiums C1. vom 25. Juni 2021 begehrt, bleibt ihre Beschwerde ohne Erfolg.
14Der Senat hat in seinem Beschluss vom 1. Juli 2021 zum Aktenzeichen 15 B 1122/21, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, ausgeführt, dass die entsprechende Auflage sich voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird, weil hinreichende Anhaltspunkte für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung in Form von Verstößen gegen § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt C1. (C2. Sicherheitsverordnung - C3. ) vom 9. März 2012 in der Fassung der Vierten ordnungsbehördlichen Änderungsverordnung zur C2. Sicherheitsverordnung vom 15. Juli 2019 vorlägen, die sich als unzumutbare Beeinträchtigungen der Rechte Dritter erwiesen. Diese Einschätzung wird nicht durch den mit der Beschwerde vorgebrachten Einwand entkräftet, dass es in der Vergangenheit keine Versammlungen gegeben habe, bei denen mobile Toiletten beauflagt worden seien und die ohne entsprechende sanitäre Möglichkeiten hätten verboten werden müssen; der Senat hatte zur hier streitgegenständlichen Versammlung zu entscheiden. Dass einzelne Versammlungsteilnehmer auch bei Erfüllung der Auflage ihre Notdurft womöglich im Freien verrichten und somit Ordnungswidrigkeiten begehen, ändert an nichts an diesem Ergebnis, da die Vorhaltung der vorgegebenen Anzahl an Toiletten jedenfalls zu einer maßgeblichen Reduzierung der Zahl solcher Verstöße geeignet ist. Vor diesem Hintergrund bedarf es auch keines näheren Eingehens auf die - allein auf der eigenen Rechtsauffassung der Antragstellerin beruhenden und bereits im Verfahren 15 B 1122/21 erstinstanzlich thematisierten - Spekulationen, dass die Antragsgegnerseite offenbar „nur darauf lauere, das Versammlungsrecht der Antragstellerin zu beschneiden“.
15Gegen die im Senatsbeschluss vom 1. Juli 2021 - 15 B 1122/21 - angenommene Verhältnismäßigkeit der streitigen Auflage (S. 5) wendet die Antragstellerin auch im vorliegenden Beschwerdeverfahren nichts Erhebliches ein. Ihr Vortrag dazu, dass sie sich erfolglos „heute … bemüht“ habe, „Toiletten zu mobilisieren“, ist unbeschadet der Frage der Glaubhaftmachung schon deshalb nicht hinreichend substantiiert, weil sie lediglich einen konkreten Anbieter benennt, der ihren Angaben nach nicht habe „liefern“ können.
16Das Verwaltungsgericht hat zu Recht hervorgehoben, dass Versammlungen, die wegen der zu Recht angenommenen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung verboten werden müssten, durch die Erteilung von Auflagen, die sich als milderes Mittel gegenüber dem Verbot erweisen, ermöglicht werden können. Die Antragstellerin missversteht den angegriffenen Beschluss, wenn sie mit der Beschwerde einwendet, nach Auffassung des Verwaltungsgerichts „müsste“ die Versammlung bei Nichterfüllung der streitigen Auflage „verboten werden“. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zutreffend davon ausgegangen, dass die die Nichtbefolgung der Auflage zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit führt, aufgrund derer die Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 VersG gegebenenfalls aufgelöst werden könne; ob eine Auflösung unter den möglicherweise veränderten tatsächlichen Verhältnissen als verhältnismäßig anzusehen sei, bleibe der Beurteilung der Polizeiführung vor Ort zu Beginn und während der Versammlung vorbehalten (S. 3 des Beschlusses).
17Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet jedoch, dass die Polizei bei einem (festgestellten oder offen angekündigten) Verstoß gegen die Auflage bei Feststellung des Verstoßes zunächst die Durchsetzung der Auflage anmahnt, bevor sie als ultima ratio zur Auflösung greift.
18Vgl. Groscurth, in: Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2015, Abschnitt G Rn. 151; Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2018, juris Rn. 217.
19Dass vor einer Auflösung der Versammlung vorliegend auch eine Ersatzvornahme als milderes Mittel in Betracht käme, ist nicht ersichtlich, geschweige denn glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin verkennt bereits, dass es sich bei der Versammlungsauflösung nicht um ein verwaltungsvollstreckungsrechtliches Zwangsmittel handelt, mit dem eine Auflage durchgesetzt werden soll und vor dem andere mildere Maßnahmen zur Durchsetzung der Auflage in Betracht zu ziehen sind. Zudem könnte die Polizei eine Ersatzvornahme erst dann in Erwägung ziehen, wenn sie zum oder nach Beginn der Veranstaltung einen Verstoß gegen die Auflage feststellt. Ob dann noch so rechtzeitig die erforderliche Zahl an Sanitäreinrichtungen zu beschaffen sein könnte, bevor sich die hierdurch zu verhindernde Gefahr für die öffentliche Sicherheit realisiert, erscheint eher fernliegend. Anders als die Polizei, die im Vorhinein zu entsprechenden Vorkehrungen auf Verdacht nicht verpflichtet ist, hätte die Antragstellerin seit Bekanntgabe der Auflage entsprechende Vorbereitungen treffen und die Anmietung von Toiletten in die Wege leiten können, um die Durchführbarkeit der Versammlung zu sichern. Dies gilt umso mehr angesichts des vom Verwaltungsgericht zutreffend hervorgehobenen Umstands, dass die Antragstellerin auch im Falle einer Ersatzvornahme zur Kostentragung verpflichtet wäre, wobei diese Kosten höher ausfallen dürften als bei der Selbstbeschaffung der geforderten Toiletten. Mit Blick auf die Möglichkeiten der Antragstellerin, sich selbst rechtzeitig um eine Erfüllung der ihr bekannt gemachten Auflagen zu kümmern, bei denen sie trotz gegenteiliger Rechtsauffassung und eingelegter Rechtsmittel davon ausgehen musste, dass sie Bestand haben könnten, wird sich eine Auflösung der Versammlung voraussichtlich auch nicht als unverhältnismäßig erweisen, wenn die Antragstellerin die Erfüllung der als rechtmäßig anzusehenden Auflage weiterhin beharrlich verweigert und ihr auch auf Anmahnung seitens der Polizei nicht nachkommt.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
21Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2Nr. 1 GKG.
22Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).