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Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, den Antragsteller vorläufig erneut zur praktischen Abschlussprüfung im Ausbildungsberuf "Koch" zuzulassen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Antrag,
3den angegriffenen Beschluss zu ändern und der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Antragsteller erneut zur praktischen Abschlussprüfung im Ausbildungsberuf "Koch" zuzulassen,
4hilfsweise die praktische Prüfung des Antragstellers vom 19. November 2020 nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts erneut bewerten zu lassen,
5hat bereits mit dem Hauptantrag Erfolg.
6Dem Hauptantrag ist wegen der im Beschwerdeverfahren dargelegten, vom Senat alleine zu prüfenden Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑) stattzugeben. Ein im Hauptsacheverfahren zu verfolgender und hier zu sichernder oder zu regelnder Anordnungsanspruch auf einen weiteren Prüfungsversuch ist glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
7Ein Anordnungsanspruch auf einen weiteren Prüfungsversuch folgt zwar nicht aus einer verfahrensfehlerhaften Durchführung der praktischen Prüfungen vom 5.7.2018 und 16.1.2019. Denn die Prüfungsbescheide vom 5.7.2018 und 17.1.2019 sind bestandskräftig geworden. Die Antragsgegnerin hat den auch gegen diese Prüfungsbescheide gerichteten Widerspruch des Antragstellers mit Widerspruchsbescheid vom 9.10.2020 nicht sachlich beschieden, so dass eine verwaltungsgerichtliche Prüfung nicht eröffnet wurde. Zwar hat die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers gegen die Bescheide vom 5.7.2018 und 17.1.2019 als zulässig, aber nicht begründet bezeichnet. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine Entscheidung in der Sache, sondern lediglich um eine Falschbezeichnung der eigentlich gewollten Zurückweisung als unzulässig. Denn die Antragsgegnerin hat weder zu dem Verfahrensablauf noch zur Bewertung der diesen Bescheiden zugrunde liegenden Prüfungsversuche Stellung genommen, sondern sich vielmehr sinngemäß auf die Bestandskraft dieser Bescheide berufen, indem sie darauf verwiesen hat, dass die Prüfungsversuche vom 5.7.2018 und 16.1.2019 nicht Gegenstand des Prüfungsbescheids vom 29.6.2020 seien.
8Mit Blick auf die Besetzung des Prüfungsausschusses der Prüfung am 19.11.2020 (Bescheid vom 23.11.2020) hat der Antragsteller jedoch einen Verfahrensfehler glaubhaft gemacht, der mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf einen weiteren Wiederholungsversuch begründet.
9Der Antragsteller weist zutreffend darauf hin, dass die Zahl der Prüfer nicht hinreichend bestimmt war. Zur Gewährleistung der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) muss die konkrete Zahl der Prüfer rechtssatzmäßig hinreichend bestimmt festgelegt werden. Dies gilt entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch für die Abschlussprüfung zum Koch. Es geht um eine den Zugang zum Beruf des Kochs eröffnende Prüfung im Sinne eines berufsqualifizierenden Abschlusses, der in den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fällt. Die im Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelte Berufsausbildung (hier: Koch) hat die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit) in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BBiG). Dem Nachweis dieser beruflichen Handlungsfähigkeit zur Ausübung des staatlich anerkannten Ausbildungsberufs Koch (§ 1 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Koch/zur Köchin ‑ KochAusbV ‑) dient die hier in Rede stehende Abschlussprüfung.
10Im Zeitpunkt der Prüfung des Antragstellers am 19.11.2020 war die Besetzung des Prüfungsausschusses weder durch das Berufsbildungsgesetz (BBiG) noch durch die Verordnung über die Berufsausbildung zum Koch/zur Köchin noch durch die Prüfungsordnung der Antragsgegnerin für die Durchführung von Abschluss- und Umschulungsprüfungen vom 5.5.2020 (PO) geregelt. § 40 Abs. 1 Satz 1 BBiG und § 2 Abs. 1 Satz 1 PO regeln lediglich eine Mindestgröße des Prüfungsausschusses von drei Personen. Die Kochausbildungsverordnung enthält zur Besetzung des Prüfungsausschusses keinerlei Regelungen.
11Für das Prüfungsverfahren, d. h. für Form und Verlauf der Prüfung, müssen jedoch einheitliche Regeln gelten, die auch einheitlich angewandt werden, um Bevorzugungen oder Benachteiligungen einzelner Prüflinge zu verhindern und um gleiche Erfolgschancen zu gewährleisten. Die Zahl der Prüfer ist wesentlich für das Prüfungsergebnis, weil bei einer Bewertung der Prüfungsleistung durch mehrere Prüfer sich die Bewertung nicht als Ergebnis einer einzelnen, sondern von auf den verschiedenen subjektiven Wertungen und Gewichtungen beruhenden Bewertungsentscheidungen der jeweiligen Prüfer darstellt. Durch die Einschaltung mehrerer Prüfer wird das Ergebnis objektiviert, was zugleich Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Prüflinge minimiert. Hängt das Resultat der Prüfung aber maßgeblich von der gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Ausübung des Beurteilungsspielraums durch den jeweiligen Prüfer ab, ist die Zahl der Prüfer wesentlich für das Prüfungsergebnis und muss für alle Teilnehmer einer berufsbezogenen Abschlussprüfung vorab und vorhersehbar festgelegt sein; ihre Bestimmung darf nicht der Verwaltungspraxis überlassen bleiben.
12Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.2020 - 6 C 8.19 -, juris, Rn. 21 f.
13Ist die Zahl der einzusetzenden Prüfer nicht rechtssatzmäßig hinreichend bestimmt, ist sie bis zum Inkrafttreten einer ordnungsgemäßen Regelung zur Vermeidung einer noch verfassungsferneren Regelungslücke und zur Wahrung der Berufsfreiheit anhand der Verwaltungspraxis der zuständigen Behörde festzulegen.
14Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.2020 - 6 C 8.19 -, juris, Leitsatz 2 und Rn. 20.
15Eine solche ständige und einheitliche Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin in Bezug auf die Besetzung des Prüfungsausschusses bei der praktischen Abschlussprüfung zum Koch lässt sich nach den vorliegenden Verwaltungsvorgängen nicht feststellen. So waren an den praktischen Abschlussprüfungen des Antragstellers im Juli 2018, im Januar 2019 und Juni 2020 ‑ ausweislich der unleserlichen Unterschriften, denen nicht durchgängig Namen im Klartext beigefügt waren ‑ jeweils fünf Prüfer beteiligt. Von diesen Prüfern haben jeweils drei das Nichtbestehen der Abschlussprüfung insgesamt festgestellt, die einzelnen Teile der praktischen Prüfung wurden in unterschiedlicher Besetzung auch von den beiden weiteren Prüfern abgenommen. Die praktische Abschlussprüfung im November 2020 wurde einheitlich von drei Prüfern abgenommen, die auch das Nichtbestehen der Abschlussprüfung insgesamt festgestellt haben. Vor diesem Hintergrund ist eine Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin nicht erkennbar. Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, dass die Prüfungsausschüsse für die Abschlussprüfung Koch seit 2014 aus drei Mitgliedern bestehen, lässt sich dies nach Aktenlage nicht nachvollziehen. Bei einer regelmäßigen Besetzung mit drei Mitgliedern hätten die Abschlussprüfungen des Antragstellers auch jeweils von drei Prüfern bewertet und abschließend beschieden werden müssen (§ 39 Abs. 2 BBiG). Dem steht nicht entgegen, dass die Abschlussprüfung aus einem schriftlichen und einem praktischen Teil besteht. Da es sich um eine einheitliche Prüfung handelt, muss sowohl der schriftliche als auch der praktische Teil von dem für die Prüfung bestellten Prüfungsausschuss bewertet werden. Nur im Vertretungsfall können andere Prüfer zum Einsatz kommen. Dass bei den Abschlussprüfungen des Antragstellers (abgesehen von der Prüfung im November 2020) ein Vertretungsfall vorlag, ist nicht ersichtlich. In diesem Fall hätte der am Tag der praktischen Prüfung verhinderte und vertretene Prüfer nicht - wie die jeweiligen Unterschriften belegen - an der Entscheidung über das Nichtbestehen der Prüfung mitwirken können. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin die nach ihren Angaben seit 2014 bestehende Praxis der Prüfungsausschussbesetzung mit drei Mitgliedern nicht durch entsprechende Unterlagen (Bestellungsbeschlüsse) belegt.
16Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, dass das Berufsbildungsgesetz seinerseits umfangreiche Regelungen zur Ausgestaltung der Prüfungsausschüsse enthalte und in den jeweiligen Ausbildungsberufen unterschiedliche Anforderungen bestünden, entbindet dies nicht von der Festlegung der Personenzahl, die die Abschlussprüfung abnimmt. Solange das Berufsbildungsgesetz oder die jeweiligen Ausbildungsverordnungen hierzu keine Regelungen enthalten, obliegt es der Antragsgegnerin, in ihrer Prüfungsordnung entsprechende Regelungen zu treffen und bis dahin eine Übergangsregelung nach der Prüfungspraxis zu etablieren.
17Schließlich ergibt sich auch nichts anderes aus dem Umstand, dass nach § 42 Abs. 5 Satz 1 BBiG der Prüfungsausschuss die Abnahme und Bewertung schriftlicher oder sonstiger Prüfungsleistungen, deren Bewertung unabhängig von der Anwesenheit bei der Erbringung erfolgen kann, von zweien seiner Mitglieder vornehmen lassen kann. Das würde nichts an dem Befund ändern, dass die drei ersten Prüfungen vor einem fünfköpfigen Prüfungsausschuss abgelegt wurden.
18Die Antragsgegnerin wird vor der Durchführung der hier aufgegebenen weiteren praktischen Abschlussprüfung entweder eine ‑ zu dokumentierende ‑ Entscheidung zu treffen haben, welche Verwaltungspraxis sie in Bezug auf die Anzahl der Mitglieder der Prüfungsausschüsse für die Zukunft übergangsweise bis zur rechtssatzmäßigen Festlegung der Anzahl zu verfolgen gedenkt, und sodann gegebenenfalls als zuständige Stelle (§ 71 Abs. 2 BBiG) entsprechende Bestellungen vorzunehmen haben (§ 40 Abs. 3 Satz 1 BBiG) oder die Zahl zeitnah rechtssatzmäßig festzuschreiben haben.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes.
20Dieser Beschluss ist unanfechtbar.