Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 18.12.2019 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist unbegründet.
2Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 5979/19 (VG Köln) gegen die Nr. 4., 6. und 7. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 23.8.2019 hinsichtlich Nr. 4. wiederhergestellt und hinsichtlich Nr. 6. und 7. angeordnet.
3Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die genannten Regelungen des Bescheides vom 23.8.2019 deshalb rechtswidrig seien, weil die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO notwendig die Untersagung eines tatsächlich betriebenen Gewerbes nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO voraussetze, woran es beim hier erfolgten Widerruf von glücksspielrechtlichen Erlaubnissen fehle, wird durch das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht erschüttert.
4In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO nur in Verbindung mit einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgesprochen werden darf. Eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ist danach nur zulässig, wenn – abgesehen von dem Fall des § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO – in demselben Verfahren zumindest ein tatsächlich betriebenes Gewerbe nach Maßgabe von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO untersagt wird. Diese Abhängigkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung von der Untersagung eines tatsächlich ausgeübten Gewerbes kommt sprachlich durch die zweimalige Verwendung des Wortes „auch“ in Satz 2 des § 35 Abs. 1 GewO zum Ausdruck und wird zudem durch den historisch gewachsenen Gesetzeszweck bestätigt, in erster Linie tatsächlich ausgeübte Gewerbe zu erfassen und nur in verfahrensmäßiger Verbindung mit einer solchen Untersagung zur Vermeidung des Ausweichens in andere Gewerbe das Verbot auf erst mögliche gewerbliche Betätigungen zu erstrecken.
5Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.2.1982 – 1 C 14.78 –, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 40 = juris, Rn. 39, unter Bezugnahme auf die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 7/111, S. 5 f.
6Deshalb kommt eine erweiterte Gewerbeerlaubnis nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO in den Fällen nicht in Betracht, in denen – wie hier – ein erlaubnispflichtiges Gewerbe betrieben und anstelle einer hier nicht möglichen Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO die erforderliche Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit widerrufen wurde. Auch wenn die spezialgesetzliche Regelung ermöglicht, die Fortführung des Betriebs aufgrund der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zu unterbinden, aber (lediglich) nicht die Möglichkeit vorsieht, daran anknüpfend Maßnahmen in Bezug auf andere Gewerbe oder Tätigkeiten zu treffen, ist ein Rückgriff auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ausgeschlossen und eine erweiterte Gewerbeuntersagung nicht zulässig.
7Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 30.9.2016 – 4 B 601/16 –, GewArch 2017, 113 = juris, Rn. 6 ff.; ebenso Hamb. OVG, Beschluss vom 5.4.2005 – 1 Bs 64/05 –, GewArch 2005, 257 = juris, Rn. 3 f.; Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 82. EL Oktober 2019, GewO § 35 Rn. 196 ff.
8Einer Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO steht in solchen Fällen nicht nur der Wortlaut der Norm entgegen. Die fehlende Anwendbarkeit des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ergibt sich auch aus der Gesetzessystematik. Nach § 35 Abs. 8 Satz 1 GewO sind die Absätze 1 bis 7a nicht anzuwenden, soweit für einzelne Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, oder eine für das Gewerbe erteilte Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zurückgenommen oder widerrufen werden kann. Damit soll der Vorrang der für bestimmte Gewerbe geltenden Sonderregelungen sichergestellt werden.
9Vgl. BT-Drs. 3/318, S. 19; Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 82. EL Oktober 2019, GewO § 35 Rn. 195 ff., m. w. N.
10Der Ausschluss nach § 35 Abs. 8 Satz 1 GewO setzt voraus, dass aufgrund der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden für einzelne Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften bestehen oder eine für das ausgeübte Gewerbe erteilte Zulassung zurückgenommen oder widerrufen werden kann. Durch § 35 Abs. 8 GewO soll vermieden werden, dass ein Gewerbe wegen Unzuverlässigkeit aufgrund zweier verschiedener Vorschriften untersagt werden kann. Eine Untersagung kann folglich nach § 35 Abs. 8 GewO nicht auf § 35 GewO gestützt werden, wenn für die Untersagung des ausgeübten Gewerbes in der Gewerbeordnung oder in gewerberechtlichen Nebengesetzen eine abschließende Regelung besteht. Setzt die jeweilige Gewerbeerlaubnis spezialgesetzlich die gewerberechtliche Zuverlässigkeit voraus, haben die Vorschriften über die Rücknahme (§ 48 Abs. 1 VwVfG NRW) und den Widerruf (§ 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW) nach § 35 Abs. 8 GewO somit regelmäßig Vorrang vor der Untersagung nach § 35 GewO. Die Gesamtheit der Vorschriften des § 35 Abs. 1 bis 7a GewO ist dann nicht anwendbar.
11Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.8.1986 – 1 B 98.86 –, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 43 = juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 30.9.2016 – 4 B 601/16 –, GewArch 2017, 113 = juris, Rn. 6 ff., m. w. N.
12Dies entspricht dem Regelungszweck. Der Gesetzgeber hat die Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO als notwendiges Korrelat zur Gewerbefreiheit bewusst auf das zulassungsfreie Gewerbe beschränkt und die Möglichkeit einer erweiterten Gewerbeuntersagung für andere Gewerbe, die an die Gewerbeuntersagung für das ausgeübte Gewerbe anknüpft, ebenfalls auf diesen Bereich beschränkt, um ein im zulassungsfreien Gewerbe besonders leichtes Unterlaufen der Regelung durch ein Ausweichen auf andere Gewerbe zu verhindern. Die Regelung sollte auch die in der Öffentlichkeit und von interessierten Berufskreisen erhobene Forderung nach Schaffung neuer Berufszulassungsregelungen eindämmen.
13Vgl. BT-Drucks. 7/111, S. 4, 5 f.
14Anhaltspunkte dafür, dass darüber hinaus eine erweiterte Gewerbeuntersagung zugleich mit Widerruf oder Rücknahme einer Erlaubnis für das ausgeübte zulassungspflichtige Gewerbe ermöglicht werden sollte, finden sich hingegen nicht. Sie lassen sich auch nicht aus der durch das Wort „soweit“ begrenzten Sperrwirkung des § 35 Abs. 8 GewO ableiten. Daraus kann insbesondere nicht geschlossen werden, dass eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO immer dann hätte möglich sein sollen, wenn eine vergleichbare spezialgesetzliche Regelung fehlt.
15So aber VG Regensburg, Urteil vom 16.5.2017 – RN 5 K 16.620 –, juris, Rn. 48 ff.
16Die einschränkende Formulierung „soweit“ in § 35 Abs. 8 GewO begrenzt nach Wortlaut und Systematik die Sperrwirkung nur insoweit, als besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften bzw. Rücknahme- oder Widerrufsmöglichkeiten für einzelne Gewerbe bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, die also wegen der Unzuverlässigkeit die Untersagung des konkreten Betriebs ermöglichen. Sie stellt aber gerade nicht darauf ab, ob die jeweilige Spezialregelung auch eine Bestimmung über die Erweiterung auf andere Gewerbe enthält. Eine Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO soll (nur) möglich bleiben, soweit die spezialgesetzlichen Vorschriften bezogen auf das ausgeübte Gewerbe keine abschließenden, an die Unzuverlässigkeit anknüpfenden Betriebsunterbindungsregelungen enthalten. Dies wird etwa dann für denkbar gehalten, wenn eine Regelung auf einzelne besondere Fälle der Unzuverlässigkeit beschränkt ist oder ein (teilbarer) Mischbetrieb vorliegt, der durch Spezialregelungen nicht vollständig verhindert werden kann.
17Vgl. Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 82. EL Oktober 2019, § 35 GewO Rn. 196 und § 15 Rn. 17; BT-Drs. 7/111, S. 7.
18Der Gesetzgeber hat sich mithin bewusst dafür entschieden, die Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO sowie der daran anknüpfenden Regelungen in Abs. 1 bis Abs. 7a insoweit auszuschließen, als nach spezialgesetzlichen Vorschriften eine Unterbindung des tatsächlich ausgeübten Betriebs möglich ist. Mit dem Vorrang der Rücknahme oder des Widerrufs einer für die Gewerbeausübung erforderlichen Erlaubnis wird zudem eine systemwidrige Vermischung unterschiedlicher Regelungstechniken vermieden. Rücknahme oder Widerruf einer Erlaubnis entziehen regelmäßig eine Erlaubnis, die – wie auch hier nach § 24 GlüStV i. V. m. § 16 AG GlüstV NRW – nur für einen bestimmten Betrieb erteilt wurde. Sie verbieten aber nicht wie im Fall der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO weitergehend ‒ weil dies im Bereich des erlaubnispflichtigen Gewerbes für einen effektiven Verwaltungsvollzug nicht erforderlich ist ‒ die Ausübung des ganzen ausgeübten Gewerbes.
19Vgl. auch die Diskussion auf der Sitzung des Bund-Länder-Ausschusses „Gewerberecht“ am 11./12.11.1997, wiedergegeben bei Fuchs, GewArch 1998, 60 (63).
20Die § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO einschließende Sperrwirkung nach § 35 Abs. 8 GewO führt auch nicht zu unbilligen Ergebnissen. Durch die Möglichkeit, die erforderliche Erlaubnis zurückzunehmen oder zu widerrufen und – soweit erforderlich – die Fortführung des Betriebs nach § 15 Abs. 2 GewO zu unterbinden, ist sichergestellt, dass die weitere Gewerbeausübung durch einen unzuverlässigen Gewerbetreibenden in jedem Fall verhindert werden kann. Sollte der unzuverlässige Gewerbetreibende anschließend eine erlaubnisfreie Gewerbetätigkeit aufnehmen, obwohl die festgestellten Tatsachen eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit begründen, kann die Ausübung des neu aufgenommenen Gewerbes durch die dafür zuständige Behörde nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO untersagt und erforderlichenfalls mit einer erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO verbunden werden.
21Die fehlende Möglichkeit, die Rücknahme oder den Widerruf einer Erlaubnis mit einer auf sämtliche Gewerbe bezogenen Gewerbeuntersagung zu verbinden, stellt auch keine unzulässige Privilegierung derjenigen Gewerbetreibenden dar, die ein erlaubnispflichtiges Gewerbe ausüben. Gerade weil die Anforderungen an den Betrieb eines erlaubnispflichtigen Gewerbes typischerweise höher sind als bei einem nur anzeigepflichtigen Gewerbe, kann hier eher der Fall auftreten, dass der Gewerbetreibende die für dieses Gewerbe geltenden Zuverlässigkeitsanforderungen nicht erfüllt, ohne dass dies seine Zuverlässigkeit für andere Gewerbe in Frage stellt.
22Vgl. auch die Diskussion auf der Sitzung des Bund-Länder-Ausschusses „Gewerberecht“ am 24./25.11.1998, wiedergegeben bei Fuchs, GewArch 1999, 102 (104).
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
24Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
25Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.