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Der Antrag der Beigeladenen wird abgelehnt.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2Der Antrag der Beigeladenen,
3den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 17. Oktober 2016 - 4 L 756/16 - dahingehend abzuändern, dass die sofortige Vollziehung der der Beigeladenen erteilten Genehmigung vom 9. März 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16. Februar 2018 für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage vom Typ Enercon E‑101 mit 99 m Nabenhöhe, 50,50 m Rotorradius und 3.050 kW Nennleistung auf dem Grundstück Gemarkung F. , Flur X, Flurstück X unter gleichzeitiger Zurückweisung des auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichteten Antrags des Antragstellers wieder angeordnet wird,
4ist zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gebotene gerichtliche Interessenabwägung fällt zu Lasten der Beigeladenen aus, weil die streitgegenständliche Genehmigung gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verstößt und daher rechtswidrig ist.
5Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, der gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO hier entsprechend gilt, kann jeder Beteiligte bei dem Gericht der Hauptsache die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
6Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene gerichtliche Eilentscheidung richtig ist. Es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage oder zuvor schuldlos nicht geltend gemachten Umständen Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung ist regelmäßig in erster Linie an den Erfolgsaussichten des Verfahrens der Hauptsache auszurichten. Sind diese Erfolgsaussichten nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nur möglichen überschlägigen Prüfung offen, sind die gegenläufigen Interessen unabhängig vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwägen.
7Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2011 - 8 VR 2.11 -, juris Rn. 8 f., 11 f.; OVG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 8 B 296/18 -, n. v. (Beschlussabdruck, S. 4 f.).
8Der Abhilfebescheid vom 16. Februar 2018, mit dem der Antragsgegner die ursprüngliche Genehmigung vom 9. März 2016 hinsichtlich der artenschutzrechtlichen Nebenbestimmungen geändert hat, stellt einen veränderten Umstand i. S. v. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO dar. Er rechtfertigt es jedoch nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 17. Oktober 2016 - 4 L 756/16 - ganz (dazu 1.) oder teilweise (dazu 2.) abzuändern.
91. Bei summarischer Prüfung verstößt die angefochtene Genehmigung auch in der Fassung des Abhilfebescheides gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG.
10a) Nach dieser Vorschrift ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören.
11Dieser Verbotstatbestand ist individuenbezogen und setzt kein zielgerichtetes Handeln voraus. Damit das Tötungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Planungshindernis für Vorhaben wie Straßen, Windenergieanlagen oder Hochspannungsleitungen wird, weil sich die Gefahr von Kollisionen mit Tieren nie vollständig ausschließen lässt, legt das Bundesverwaltungsgericht § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG in ständiger Rechtsprechung einschränkend aus: Der Tatbestand des Tötungsverbotes ist dann nicht erfüllt, wenn ein Vorhaben jedenfalls aufgrund von Vermeidungsmaßnahmen kein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren verursacht, also unter der Gefahrenschwelle in einem Risikobereich bleibt, der mit einem solchen Vorhaben im Naturraum immer verbunden ist; ein Nullrisiko ist nicht zu fordern. Das anhand einer wertenden Betrachtung auszufüllende Kriterium der Signifikanz trägt dem Umstand Rechnung, dass für Tiere bereits vorhabenunabhängig ein allgemeines Tötungsrisiko besteht. Dieses ergibt sich nicht nur aus dem allgemeinen Naturgeschehen, sondern kann auch dann sozialadäquat sein und ist deshalb hinzunehmen, wenn es zwar vom Menschen verursacht ist, aber nur einzelne Individuen betrifft. Denn tierisches Leben existiert nicht in einer unberührten, sondern in einer vom Menschen gestalteten Landschaft. Diese birgt aufgrund ihrer Nutzung durch den Menschen ein spezifisches Grundrisiko, das nicht nur mit dem Bau neuer Verkehrswege, sondern z. B. auch mit dem Bau von Windenergieanlagen oder Hochspannungsleitungen verbunden ist. Nur innerhalb dieses Rahmens greift der Schutz des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Das bedeutet nicht, dass gerade in einem Umfeld, in dem bereits aufgrund anderweitiger Vorbelastungen ein erhöhtes Tötungsrisiko besteht, eine umso größere Gefährdung zulässig wäre. Umstände, die für die Beurteilung der Signifikanz eine Rolle spielen, sind vielmehr insbesondere artspezifische Verhaltensweisen, häufige Frequentierung des durchschnittenen Raums und die Wirksamkeit vorgesehener Schutzmaßnahmen.
12Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2018 - 9 B 25.17 -, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschluss vom 27. April 2018 - 8 B 418/18 -, juris Rn. 5 f., jeweils m. w. N.
13Mittlerweile hat der Gesetzgeber den Signifikanzansatz durch das Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 15. September 2017 (BGBl. I S. 3434) in die Neufassung des § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG aufgenommen.
14Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2018 - 9 B 25.17 -, juris Rn. 13.
15Bei der Beurteilung der Frage, ob das Tötungsrisiko signifikant erhöht ist, steht der Genehmigungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu, weil die behördliche Beurteilung sich auf außerrechtliche Fragestellungen richtet, für die weithin allgemein anerkannte fachwissenschaftliche Maßstäbe und standardisierte Erfassungsmethoden fehlen. Die behördliche Einschätzungsprärogative bezieht sich sowohl auf die Erfassung des Bestands der geschützten Arten als auch auf die Bewertung der Gefahren, denen die Exemplare der geschützten Arten bei Realisierung des zur Genehmigung stehenden Vorhabens ausgesetzt sein würden.
16Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2018 - 9 B 25.17 -, juris Rn. 12, sowie Urteile vom 21. November 2013 - 7 C 40.11 -, juris Rn. 14, und vom 27. Juni 2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 23. Mai 2017 - 8 B 1303/16 -, juris Rn. 15 f.; zum naturschutzfachlichen Einschätzungsspielraum im Rahmen von § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG siehe auch BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14 -, juris.
17Ist einer Behörde eine solche Einschätzungsprärogative eingeräumt, beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf zu überprüfen, ob die Behörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen der Einschätzungsprärogative eingehalten und allgemeine Bewertungsgrundsätze missachtet hat oder ob sonst sachfremde Erwägungen für die Entscheidung bestimmend geworden sind. Das Gericht prüft, ob im Gesamtergebnis die artenschutzrechtlichen Untersuchungen sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichen, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sachgerecht zu überprüfen. Die Behörde muss ihre Entscheidung im Rahmen einer Einschätzungsprärogative so begründen, dass die (beschränkte) verwaltungsgerichtliche Überprüfung ermöglicht wird. Dazu gehört auch, dass die Behörde die tatsächlichen und rechtlichen Beurteilungsmaßstäbe erkennen lässt, die sie ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat.
18Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juni 2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 16, vom 16. Januar 1986 - 3 C 66.84 -, juris Rn. 36, vom 25. Juni 1981 - 3 C 35.80 -, juris Rn. 35, und vom 16. Dezember 1971 - I C 31.68 -, juris Rn. 23; OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Februar 2019 - 8 B 973/18 -, n. v. (Beschlussabdruck, S. 3), und vom 23. Mai 2017 - 8 B 1303/16 -, juris Rn. 15 f.; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 52; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 39 Rn. 28; Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 39 VwVfG Rn. 27; Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2014, § 39 Rn. 41.
19Die Ausübung der naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative und Offenlegung der dabei leitenden Erwägungen muss die Behörde selbst leisten. Das Vorbringen des Vorhabenbetreibers kann dies nicht ersetzen.
20Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2019 ‑ 8 B 973/18 -, n. v. (Beschlussabdruck, S. 3).
21b) Ausgehend davon ist die Genehmigung vom 9. März 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16. Februar 2018 rechtswidrig. Sie verstößt gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, weil beim Betrieb der Windenergieanlage ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für den Rotmilan besteht, das durch die brutzeitbedingten Abschaltungen in Nebenbestimmung Nr. 8.5.1 nur unzureichend abgefangen wird.
22Nach dieser Nebenbestimmung ist jährlich zwischen dem 15. März und dem 30. April durch mindestens vier Untersuchungen eine Erfassung der Nutzung des bekannten Horstes Nr. 16 und weiterer Nachbarhorste im 1.000 m‑Radius zur Windenergieanlage durch Rotmilane zu Brutzwecken sowie etwaiger Balzflüge bzw. des Territorialverhaltens vorzunehmen; im Bereich des Horstes Nr. 16 ist zudem eine Wildkamera mit Bewegungsauslöser anzubringen. Die Windenergieanlage ist sofort täglich von 9:00 Uhr bis 16:00 Uhr und bis zum 15. Juli abzuschalten, wenn Brutaktivitäten oder Balzflüge an einem Horst im 1.000 m-Radius zur Windenergieanlage im Rahmen der Erfassungen oder durch eine Wildkamera festgestellt werden. Es ist nicht plausibel dass die täglich vorgesehenen Abschaltzeiten zwischen 9:00 Uhr und 16:00 Uhr genügen, um das signifikant erhöhte Tötungsrisiko für Rotmilane, die im 1.000 m-Radius der Windenergieanlage brüten, in hinreichendem Maße auszuräumen.
23aa) Der Rotmilan ist entgegen der Zweifel der Beigeladenen nach derzeitigem Kenntnisstand eine kollisionsgefährdete und windenergieempfindliche Art. Dies ist nach der Einschätzung des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen und des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen im Leitfaden „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen“ vom 10. November 2017 (im Folgenden: Leitfaden 2017), der auf umfangreichen fachwissenschaftlichen und empirischen Erkenntnissen zu den Gefährdungen von u. a. Rotmilanen durch Windenergieanlagen beruht, in Fachkreisen allgemein anerkannt und durch Untersuchungen belegt (S. 11 oben, 13). Davon geht auch der Antragsgegner im Änderungsbescheid vom 16. Februar 2018 und im gerichtlichen Verfahren aus.
24bb) Für Rotmilane, die im 1.000 m-Radius einer Windenergieanlage brüten, besteht durch deren Betrieb grundsätzlich ein Tötungsrisiko durch Kollisionen mit der Anlage. Diese Einschätzung ergibt sich aus der Begründung des Abhilfebescheides (dort S. 5, letzter Absatz zu den Nebenbestimmungen 8.5.1 und 8.5.2) und entspricht den Annahmen im Leitfaden 2017 (S. 18, 42, 48).
25Dieses Tötungsrisiko ist im Vergleich zum vorhabenunabhängigen allgemeinen Tötungsrisiko ohne Vermeidungsmaßnahmen signifikant erhöht. Der Leitfaden 2017 (S. 42) geht aufgrund verschiedener Untersuchungen davon aus, dass Rotmilane besonders häufig in Nestnähe fliegen, um ihre Jungen mit Nahrung zu versorgen. Wird in diesem Bereich, den die Rotmilane deutlich intensiver nutzen als andere Landschaftsbereiche, in denen sie auch anzutreffen sind, eine Windenergieanlage betrieben, ist das Risiko, mit dieser zu kollidieren, gegenüber dem Risiko, im allgemeinen Naturgeschehen oder an anderen menschlich geschaffenen Vorhaben zu Tode zu kommen, wegen der intensiven Nutzung signifikant erhöht. Das Vorbringen des Antragsgegners ist nicht geeignet, diese fachliche Einschätzung derart zu erschüttern, dass die Annahme der Windenergiesensibilität von Rotmilanen als unvertretbar angesehen werden müsste.
26Entgegen der Annahme der Beigeladenen ist das Grundrisiko für den Rotmilan am Vorhabenstandort nicht deswegen schon deutlich erhöht und könnte das aus der in Rede stehenden Windenergieanlage folgende Risiko vernachlässigt werden, weil sich unmittelbar südöstlich an die streitgegenständliche Windenergieanlage ein Bestandswindpark mit 13 Anlagen anschließt. Nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist in einem Umfeld, in dem bereits aufgrund anderweitiger Vorbelastungen ein erhöhtes Tötungsrisiko besteht, keine umso größere Gefährdung zulässig. Andernfalls würde das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG durch immer größere Windparks nach und nach ausgehöhlt.
27cc) Die Ausübung der naturschutzrechtlichen Einschätzungsprärogative des Antragsgegners dahin, dass die in der Nebenbestimmung Nr. 8.5.1 vorgesehenen brutzeitbedingten täglichen Abschaltzeiten zwischen 9:00 Uhr und 16:00 Uhr ausreichten, um das Tötungsrisiko unter die Signifikanzschwelle abzusenken, ist nicht plausibel. Eine Plausibilisierung wäre indes spätestens auf den hinreichend substantiierten Einwand des Antragstellers hin erforderlich gewesen, um die gerichtliche Kontrolle zu ermöglichen.
28Der Antragsgegner hat aber weder im Abhilfebescheid noch im Gerichtsverfahren eine nachvollziehbare Begründung dafür gegeben, wodurch sich seine Annahme naturschutzfachlich rechtfertigt, dass brütende Rotmilane im 1.000 m-Radius einer Windenergieanlage vor 9:00 Uhr morgens und ab 16:00 Uhr nachmittags nicht in rechtlich relevanter Weise gefährdet seien.
29Der Antragsgegner stützt sich für die Festlegung der Abschaltzeiten pauschal auf seine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative. Eine ausdrückliche Begründung, welche naturschutzfachlichen Erwägungen zu dieser Entscheidung geführt haben, enthält der Abhilfebescheid vom 16. Februar 2018 jedoch nicht. Da die Behörde ihre naturschutzfachliche Einschätzung selbst plausibilisieren muss, ist es nicht Aufgabe der Gerichte, aus in der Bescheidbegründung unspezifisch in Bezug genommenen Erkenntnisquellen dasjenige herauszufiltern, was möglicherweise für die Vertretbarkeit der behördlichen Einschätzung sprechen könnte. Abgesehen davon ergibt sich die erforderliche Plausibilisierung hier ohnehin nicht aus den in der Bescheidbegründung in Bezug genommenen Quellen oder dem Vorbringen des Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren. Danach liegt die naturschutzfachliche Vertretbarkeit der festgesetzten brutbedingten Abschaltzeiten weder auf der Hand noch sind sie nachvollziehbar begründet worden.
30(1) Der vom Antragsgegner angeführte Leitfaden 2017 sieht keine Tageszeiten für brutzeitbedingte Abschaltungen zugunsten des Rotmilans vor. Er verhält sich in Anhang 6 lediglich zu mahd- und erntebedingten Abschaltzeiten. Dort wird empfohlen, die Windenergieanlage im Zeitraum zwischen Beginn und Ende der bürgerlichen Dämmerung abzuschalten, also beginnend vor Sonnenaufgang und endend nach Sonnenuntergang, wenn sich die Mitte der Sonnenscheibe 6° unter dem Horizont befindet.
31Vgl. zum Begriff der bürgerlichen Dämmerung Art. 2 Nr. 97 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 923/2012 der Kommission vom 26. September 2012 zur Festlegung gemeinsamer Luftverkehrsregeln und Betriebsvorschriften für Dienste und Verfahren der Flugsicherung u. a.
32Will die Behörde aus mahd- und erntebedingten Abschaltzeiten naturschutzfachliche Rückschlüsse für die Brutzeit ziehen, muss sie dies aber – wenn dies wie hier nicht selbstverständlich ist – nachvollziehbar begründen.
33(2) Für die im Abhilfebescheid festgesetzten täglichen Abschaltzeiten verweist der Antragsgegner ohne Erfolg auf die bei T. u. a., Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands, 2005, angegebenen „täglichen Aktivitätsspitzen des Rotmilans im Zusammenhang mit dem Brutgeschehen“. Diese Erkenntnisquelle stützt die die naturschutzfachliche Einschätzung des Antragsgegners nicht, sondern zieht sie im Gegenteil sogar in Zweifel. Die dort (S. 242) genannten Aktivitätsgipfel des Rotmilans liegen zwischen 10:00 Uhr und 12:00 Uhr sowie zwischen 16:00 Uhr und Sonnenuntergang. Sie rechtfertigen es keinesfalls, die Abschaltung einer den Rotmilan potentiell gefährdenden Anlage bereits um 16:00 Uhr zu beenden.
34Der Antragsgegner beruft sich damit selbst auf naturschutzfachliche Erkenntnisse, die seiner hier getroffenen Entscheidung entgegenstehen. Seine weiteren Erwägungen zeigen nicht nachvollziehbar auf, dass die von ihm verfügten Abschaltzeiten dennoch ebenfalls naturschutzfachlich vertretbar sein könnten.
35(3) So heißt es in der Aktionsraumanalyse Rotmilan des Ing. Büros K.‑H. M. aus August 2016 zwar auf S. 46, für den Fall der Balz, des Brutverdachts oder des Brutnachweises sei die Windenergieanlage für die Dauer der Brut (einschließlich der Selbstständigkeit der Jungvögel) beim Rotmilan bis zum 15. Juli in der Zeit von 8:00 Uhr bis 16:00 Uhr abzuschalten. Eine nähere Begründung für gerade diese Uhrzeiten fehlt dort jedoch. Außerdem hat der Antragsgegner im Abhilfebescheid auch keine Begründung dafür genannt, weshalb er die in der Aktionsraumanalyse Rotmilan vorgeschlagenen Abschaltzeiten noch um eine Stunde verringert hat.
36(4) Eine Begründung für die täglichen brutzeitbedingten Abschaltungen lässt sich auch nicht dem im Abhilfebescheid (S. 1) in Bezug genommenen fachgutachterlichen Konzept zu den Vermeidungsmaßnahmen für WEA-empfindliche Vogelarten des Ingenieurbüros für Umweltplanung T1. + S. vom 15. Januar 2018 entnehmen. In diesem Konzept (S. 5 f., 10, 11) sind zwar brütende Rotmilane im 1.000 m-Umkreis der Windenergieanlage erwähnt und es werden Abschaltalgorithmen für Mahd- oder Erntemaßnahmen im 100 m‑Umkreis erörtert. Von einer brutzeitbedingten Abschaltung ist jedoch keine Rede.
37(5) Selbst wenn Thermikflüge und sich daran anschließende Gleitflüge des Rotmilans vor allem in den Stunden mit intensiver Sonneneinstrahlung in der Tagesmitte stattfinden mögen, wie der Antragsgegner geltend macht, folgt auch daraus nicht ohne Weiteres, dass Rotmilane ab 16:00 Uhr nur noch in einem Umfang fliegen, der rechtlich zu vernachlässigen wäre.
38(6) Soweit der Antragsgegner pauschal behauptet, nach Ansicht des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) und „andere[r] fachwissenschaftliche[r] Stimmen“ senkten Abschaltzeiten von 9:00 Uhr bis 16:00 Uhr ein Tötungsrisiko unter die Signifikanzschwelle, ist dies nicht hinreichend belegt und die Behauptung schon deshalb nicht nachvollziehbar. Das insoweit allein ausdrücklich zitierte Abschaltszenario 1 von Schreiber u. a. in „Abschaltzeiten für Windkraftanlagen zur Vermeidung und Verminderung von Vogelkollisionen – Handlungsempfehlungen für das Artenspektrum im Landkreis P. “ vom 6. Januar 2016 (dort S. 70; im Folgenden: Handlungsempfehlungen T2. ) genügt nicht. Diese Handlungsempfehlungen zielen darauf ab, für die im Landkreis P. vorkommenden und besonders kollisionsgefährdeten Brutvogelarten effiziente und für die Anlagenbetreiber zumutbare Abschaltzeiten auszuarbeiten und die dabei entstehenden Ertragseinbußen zu ermitteln (S. 4). Sie stellen Daten zur Verfügung, um die naturschutzfachliche Bewertung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos zu erleichtern, nehmen den zuständigen Behörden diese Bewertung für einen konkreten Fall jedoch nicht ab. Dies zeigt sich schon daran, dass die Autoren keine bestimmte Signifikanzschwelle festsetzen (S. 7, Fußnote 4). Sie gehen im Übrigen davon aus, dass sich nicht abstrakt bestimmen lasse, wo genau die Grenze der Zumutbarkeit verlaufe, sondern dass dies im Einzelfall zu prüfen sei (S. 10). Auf Seite 30 dieser Handlungsempfehlungen heißt es dementsprechend: „Zur optimalen Ausschöpfung eines begrenzten Abschaltkontingents wird es deshalb der Prüfung einiger Szenarien bedürfen, in denen für die konkrete Situation (Standort; Anlagentyp; wirtschaftliche Überlegungen) die günstigsten Kombinationen aus saisonalen, tageszeitlichen und wetterbezogenen Kriterien für eine Abschaltung in ihrer Wirksamkeit überprüft werden.“ Die Handlungsempfehlungen enthalten verschiedene Abschaltszenarien für einige Vogelarten, aus denen sich die durchschnittliche Ertragsminderung für bestimmte Typen von Windenergieanlagen ergibt, die in bestimmten Zeiträumen zu bestimmten Tageszeiten bei bestimmten Niederschlägen, Windgeschwindigkeiten und Temperaturen sowie bei bestimmter Bewölkung abgeschaltet wurden.
39Das Abschaltszenario 1 (Rotmilan) listet für die Jahre 2008 bis 2010 die durchschnittliche Ertragsminderung (im Mittel des Dreijahreszeitraums zwischen 1,8 % und 2,6 %) für drei Typen von Windenergieanlagen auf, die jeweils im Zeitraum vom 1. März bis zum 10. Juni täglich von 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr bei näher bestimmten Niederschlägen, Windgeschwindigkeiten und Temperaturen abgeschaltet wurden; außerdem ist die sich durch die jeweilige Abschaltung ergebende Risikominderung für Rotmilane angeführt (im Mittel zwischen 25,3 % und 28,3 %). Diesem Abschaltszenario ist jedoch schon keine allgemeine Wertung des Inhalts zu entnehmen, dass unter den genannten Bedingungen das signifikant erhöhte Tötungsrisiko für den Rotmilan in ausreichendem Maße abgesenkt würde. Eine solche Wertung erscheint schon deswegen zweifelhaft, weil in den Handlungsempfehlungen T2. unter der Rubrik „Angaben zum Flugverhalten“ (S. 66) Studien angeführt sind, aus denen sich ergibt, dass der Rotmilan auch vor 9:00 Uhr und nach 16:00 Uhr in nicht unerheblichem Maße aktiv ist (nach Flore von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr, Maximum von 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr; bei Beobachtungen in Großbritannien Nahrungssuche von 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr, vor allem jedoch von 8:00 Uhr bis 9:00 Uhr bzw. am Vormittag, nachmittags stärker nachlassend ab 18:00 Uhr; bei Beobachtungen in Spanien von 7:00 Uhr bis 18:00 Uhr mit einem Schwerpunkt gegen 8:00 Uhr sowie von 9:00 Uhr bis 17:00 Uhr). Auch wenn unklar ist, auf welche konkreten Bedingungen sich diese Studien beziehen und inwieweit sie auf den vorliegenden Fall übertragbar sind, ist auf ihrer Grundlage nicht nachvollziehbar, weshalb der Betrieb einer Windenergieanlage in der Nähe von brütenden Rotmilanen bis 9:00 Uhr morgens und ab 16:00 Uhr nachmittags unproblematisch sein könnte.
402. Die von der Beigeladenen und vom Antragsgegner angeregte Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses hinsichtlich bestimmter Betriebszeiten (im Winter, nachts) kommt hier unabhängig von der Frage einer Teilbarkeit der angefochtenen Genehmigung nicht in Betracht.
41Grundsätzlich ist es Sache des Anlagenbetreibers, zur Verwirklichung seines Vorhabens ein prüffähiges und schlüssiges Vermeidungskonzept vorzulegen, und Sache der Genehmigungsbehörde, dieses unter Ausübung ihrer Einschätzungsprärogative zu bewerten.
42Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 27. Mai 2016 - 22 BV 15.1959 -, juris Rn. 38, 51.
43Eine Modifikation der Abschaltzeiten innerhalb der Brutzeit durch den Senat scheidet schon deshalb aus, weil für eine dahingehende naturschutzfachliche Einschätzung des Gerichts grundsätzlich kein Raum ist.
44Vgl. zur Ablehnung einer geltungserhaltenen Auslegung eines Bescheides in Bezug auf Abschaltzeiten einer Windenergieanlage Sächs. OVG, Beschluss vom 5. Februar 2018 - 4 B 127/17 -, juris Rn. 21; eine Teilabschaltung selbst festsetzend dagegen Hess. VGH, Beschluss vom 21. Dezember 2015 ‑ 9 B 1607/15 -, juris Rn. 49.
45Von einer teilweisen Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses für den Zeitraum außerhalb der Brutzeiten sieht der Senat ebenfalls ab, weil es wiederum der naturschutzfachlichen Einschätzung unterliegt, den schutzwürdigen Zeitraum der Brut zu bestimmen. Mit Blick auf die vom Antragsgegner selbst herangezogenen naturschutzfachlichen Erkenntnisquellen ist es z. B. keineswegs selbstverständlich, dass dieser erst Mitte März beginnt.
46Vgl. Südbeck u. a., Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands, 2005, S. 242.
47Da der Abhilfebescheid vom 16. Februar 2018 es aus den genannten Gründen nicht rechtfertigt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 17. Oktober 2016 abzuändern, kann offen bleiben, ob auch weitere Festsetzungen des Abhilfebescheides rechtswidrig sind und ob die Flächennutzungsplanung der Stadt N. der sofortigen Vollziehung der streitgegenständlichen Genehmigung entgegensteht.
48Der Senat kann ebenfalls offen lassen, ob der voraussichtlich vorliegende Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG durch eine Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann (§ 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG); dies wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein (vgl. Urteil des VG Arnsberg vom 20. Februar 2018 - 4 K 1411/16 -, das Zulassungsverfahren ist beim Senat anhängig unter dem Aktenzeichen 8 A 1183/18). Auch wenn im Hauptsacheverfahren die Aufhebung der angegriffenen Genehmigung nicht in Betracht kommt, würde dieser Verstoß jedenfalls zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Außervollzugsetzung der Genehmigung zum Zwecke der Durchführung eines ergänzenden Genehmigungsverfahrens führen. Die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO, die auch Gegenstand des Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO ist, entspricht der im Hauptsacheverfahren jedenfalls erreichbaren Feststellung der Nichtvollziehbarkeit.
49Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Oktober 2017 ‑ 8 B 565/17 -, juris Rn. 75 f., m. w. N.
50Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO.
51Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der Senat orientiert sich in Fällen der vorliegenden Art an Nr. 19.2 i. V. m. Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs 2013 und setzt bis zum Erreichen einer Obergrenze in Höhe von 30.000 Euro im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für jede streitgegenständliche Windenergieanlage einen Streitwert in Höhe von 7.500 Euro fest.
52Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).