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1. Die volle Wirksamkeit eines Antrags gemäß § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine auf der Grundlage der §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Wochenfrist für die freiwillige Ausreise mit Bekanntgabe des Bundesamtsbescheids zu laufen beginnt (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, und Beschluss vom 5. Juli 2018, PPU, C-269/18, EU:C:2018:544).
2. Der Verstoß gegen unionsrechtliche Informationspflichten, die sicherstellen sollen, dass der Betroffene von den Rechten, die die verfahrensrechtlichen Komponenten des Grundsatzes der Nichtzurückweisung absichern, effektiv Gebrauch machen kann, führt nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit der nachfolgenden Verwaltungsentscheidung, sondern nur dann, wenn er sich auf den Inhalt der Entscheidung aus-gewirkt hat (hier verneint).
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die am 16. Februar 1982 und am 5. April 1993 in Karrar/Aserbaidschan geborenen Kläger zu 1. und 2. sind die Eltern der am 17. Mai 2011 in Baku/Aserbaidschan geborenen Klägerin zu 3. Sie sind eigenen Angaben zufolge aserbaidschanische Staatsangehörige islamischen Glaubens und reisten am 28. Dezember 2016 auf dem Luftweg über Ungarn nach Deutschland ein. Am 16. Januar 2017 stellten die Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte. Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 24. Mai 2018 gaben sie im Wesentlichen an, sie hätten Aserbaidschan weder aus wirtschaftlichen noch aus politischen Gründen verlassen. Ziel der Ausreise sei es vielmehr gewesen, der Klägerin zu 3., die an einer Skoliose dritten Grades leide und von Geburt an in medizinischer Behandlung gewesen sei, eine adäquate medizinische Behandlung in Deutschland zu ermöglichen.
3Mit Bescheid vom 1. Oktober 2018 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.) und auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 2.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 3.) und forderte die Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Aserbaidschan oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen (Ziffer 4.). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäߠ § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 5.).
4Die Kläger haben am 15. Oktober 2018 Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (10 L 1601/18.A VG Arnsberg) gestellt.
5Die Kläger haben beantragt,
6die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 2018, zugestellt am 8. Oktober 2018, zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
7hilfsweise ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
8weiter hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Abs. 1 AufenthG festzustellen,
9weiter hilfsweise das Offensichtlichkeitsurteil aufzuheben und die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides zu verpflichten, die Einreise- und Aufenthaltsverbote auf einen Monat zu befristen.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie hat sich zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags auf die Gründe des angefochtenen Bescheids bezogen.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Januar 2019 abgewiesen und den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 11. Januar 2019 abgelehnt. Wegen der Begründung des klageabweisenden Urteils wird auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen.
14Der Senat hat einem Antrag der Kläger auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stattgegeben (11 B 255/19.A) und die Berufung zugelassen, soweit mit dem angefochtenen Urteil die Klage auch hinsichtlich der begehrten Aufhebung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Ziffer 4. des Bescheids des Bundesamts vom 1. Oktober 2018 abgewiesen worden ist. Im Übrigen hat der Senat den Zulassungsantrag abgelehnt.
15Zur Begründung der Berufung tragen die Kläger im Wesentlichen vor, der EuGH habe in seinem Urteil vom 19. Juni 2018, C-181/16, Gnandi, ausgeführt, dass einem Ausländer grundsätzlich ein wirksamer Rechtsbehelf zustehe, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfalten müsse. Während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und im Fall seiner Einlegung bis zur Entscheidung über ihn müssten alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung ausgesetzt werden. Hiermit sei nicht zu vereinbaren, dass im angefochtenen Bescheid die Ausreisefrist von einer Woche grundsätzlich bereits mit der Bekanntgabe des Bescheids und nicht erst nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu laufen beginne.
16Die Kläger beantragen,
17das angefochtene Urteil zu ändern und Ziffer 4. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. Oktober 2018 aufzuheben.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids. Ergänzend führt sie aus, dass die Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung in Ziffer 4. des ablehnenden Bescheids nicht unionsrechtswidrig sei.
21Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens und des Verfahrens 10 L 1601/18.A VG Arnsberg Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe:
24Die zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.
25Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht auch insoweit abgewiesen, als die Kläger die Aufhebung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung beantragt haben. Denn Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 1. Oktober 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Weder liegt ein Verstoß gegen nationales Recht vor (dazu A.) noch ein Verstoß gegen Unionsrecht, der auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids durchschlägt (dazu B.).
26A. Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids, mit der die Kläger unter Androhung ihrer Abschiebung zur Ausreise binnen einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheids aufgefordert worden sind, steht mit nationalem Recht im Einklang.
27Rechtsgrundlage für die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind die §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG. Danach beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist u. a. in den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags eine Woche (§ 34 Abs. 1 AsylG). Das Bundesamt erlässt in diesen Fällen unter Bestimmung dieser Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 1 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung unter Bestimmung des Abschiebezielstaats (§ 59 Abs. 2 AufenthG).
28Diesen Anforderungen wird Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids unstreitig gerecht.
29B. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist nicht mit Blick auf entgegenstehendes Unionsrecht rechtswidrig.
30Den unionsrechtlichen normativen Vorgaben (dazu I. und II.) und ihrer in der Rechtsprechung des EuGH präzisierten Auslegung (dazu III.) wird das deutsche Asylverfahrensrecht bei unionsrechtskonformer Auslegung gerecht (dazu IV.). Der Verstoß gegen die unionsrechtlichen Informationspflichten führt nicht zur Rechtswidrigkeit von Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids (dazu V.).
31I. Unionsrechtliche Maßgaben für die vorliegende Fallkonstellation ergeben sich aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98, Rückführungsrichtlinie). Denn nach ihrem Art. 2 Abs. 1 findet die Richtlinie Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Aus der Definition des Begriffs „illegaler Aufenthalt“ in Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2008/115/EG geht hervor, dass jeder Drittstaatsangehörige, der sich, ohne die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt zu erfüllen, in dessen Hoheitsgebiet befindet, schon allein deswegen dort illegal aufhältig ist. Mangels einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Aufenthaltstitels auf einer anderen Rechtsgrundlage - insbesondere nach Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG -, die es dem erfolglosen Antragsteller ermöglicht, die Voraussetzungen für die Einreise in den betreffenden Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt zu erfüllen, hat die Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde daher zur Folge, dass der Antragsteller danach diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, so dass sein Aufenthalt illegal wird.
32Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 37 ff., 41 = juris, Rn. 37 ff.; BVerwG, Urteil vom 21. August 2018 - 1 C 21.17 -, InfAuslR 2019, 3 ff. = juris, Rn. 18; Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit Unionsrecht - Das Urteil „Gnandi“ des EuGH, ZAR 2018, 325 ff, 327 f.
331. Ausgehend von der Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/115/EG handelt es sich bei der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids um eine Rückkehrentscheidung i. S. d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG, namentlich um eine behördliche Entscheidung, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.
34Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 36 = juris, Rn. 36.
352. Diese Rückkehrentscheidung darf grundsätzlich mit der Ablehnung des Asylantrags in einem Bescheid verbunden werden. Denn Art. 6 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115/EG gestattet es den Mitgliedstaaten ausdrücklich, mit einer einzigen behördlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung des legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.
36Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 49, 59 = juris, Rn. 49 ff.; Wittkopp, ZAR 2018, 325 ff, 327.
373. Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG sieht eine Rückkehrentscheidung eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise vor. Hat ein Mitgliedstaat eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß Art. 7 eingeräumt, so kann die Rückkehrentscheidung regelmäßig erst nach Ablauf dieser Frist vollstreckt werden (Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG).
38II. Weitere unionsrechtliche Maßgaben für die Rechtmäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ergeben sich aus der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60, Verfahrensrichtlinie n. F.), die nach ihrem Art. 3 Abs. 1 für alle Anträge auf internationalen Schutz gilt, die - wie hier - im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nach dem 21. Juli 2015 (vgl. hierzu Art. 52 bis 54 der Richtlinie 2013/32/EU) gestellt worden sind.
391. Nach Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU, der insoweit inhaltlich mit Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union weitgehend übereinstimmt, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Antragsteller gegen eine Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben.
402. Nach Art. 46 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU gestatten die Mitgliedstaaten den Antragstellern den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf. Im Fall einer Entscheidung, einen Antrag als offensichtlich unbegründet zu betrachten, ist das Gericht nach Art. 46 Abs. 6 der Richtlinie 2013/32/EU befugt, entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist. Nach Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU gestatten die Mitgliedstaaten dem Antragsteller, bis zur Entscheidung in dem Verfahren nach den Abs. 6 und 7 darüber, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, im Hoheitsgebiet zu verbleiben.
41III. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung Grundsätze aufgestellt, die bei der Auslegung der hiernach maßgeblichen unionsrechtlichen Vorschriften zu beachten sind.
421. In seinem Urteil vom 19. Juni 2018 in der Rechtssache C-181/16, Gnandi, hat sich der EuGH zur Auslegung der Richtlinien 2008/115/EG sowie der - vorliegend nicht mehr anwendbaren - Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13, Verfahrensrichtlinie a. F.) verhalten und entschieden, dass sie dem Erlass einer Rückkehrentscheidung, die gleich nach der Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung und somit vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ergeht, nicht entgegensteht, sofern der betreffende Mitgliedstaat u. a. gewährleistet, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden.
43Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 61 ff. = juris, Rn. 61 ff.
44Der EuGH hat weiter ausgeführt, dass bei einer Rückkehrentscheidung und einer etwaigen Abschiebungsentscheidung der dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung innewohnende Schutz dadurch zu gewährleisten ist, dass der Person, die internationalen Schutz beantragt hat, das Recht zuzuerkennen ist, vor mindestens einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat.
45Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 58 = juris, Rn. 58; ebenso Urteil vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen, C-175/17, EU:C:2018:776, Rn. 33 = juris, Rn. 33.
46In diesem Zusammenhang haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass dieser Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet, wobei der Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren ist, so dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u. a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind. Insoweit genügt es nach der Rechtsprechung des EuGH nicht, dass der betreffende Mitgliedstaat davon absieht, die Rückkehrentscheidung zwangsweise umzusetzen. Vielmehr müssen alle Rechtswirkungen dieser Entscheidung ausgesetzt werden, und daher darf insbesondere die in Art. 7 der Richtlinie 2008/115/EG vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat. Zudem kann er während dieses Zeitraums nicht gemäß Art. 15 der Richtlinie für die Zwecke der Abschiebung inhaftiert werden.
47Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 61 ff. = juris, Rn. 61 ff.; ebenso Urteil vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen, C-175/17, EU: C:2018:776, Rn. 33 = juris, Rn. 33.
48Schließlich sollen die Mitgliedstaaten nach dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115/EG ein faires und transparentes Rückkehrverfahren gewährleisten. Hierbei haben sie, wenn die Rückkehrentscheidung gleich nach der erstinstanzlichen Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung ergeht, dafür Sorge zu tragen, dass die Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in transparenter Weise über die Einhaltung der genannten Garantien informiert wird.
49Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 65 = juris, Rn. 65.
502. Diese Entscheidung des EuGH ist zwar zum einen zur hier nicht mehr anwendbaren Richtlinie 2005/85/EG ergangen und betrifft (nur) die Ablehnung von Asylanträgen als „einfach“ unbegründet. Der EuGH hatte in seinem Beschluss vom 5. Juli 2018 in der Rechtssache C-269/18, PPU, jedoch im Anwendungsbereich der - auch vorliegend anwendbaren - Richtlinie 2013/32/EU für einen Fall der offensichtlichen Unbegründetheit die Frage der Abschiebungshaft zu beurteilen und hat die Grundsätze aus seiner Gnandi-Entscheidung jedenfalls auf diese Fallkonstellation übertragen.
51Vgl. EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018, PPU, C-269/18, EU:C:2018:544, Rn. 49 ff. = juris, Rn. 49 ff.; ebenso Urteil vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie, C-180/17, EU:C:2018:775, Rn. 28 ff. = juris, Rn. 28 ff.; Wittkopp, ZAR 2018, 325 ff, 328.
52IV. Ausgehend von den dargestellten unionsrechtlichen normativen Vorgaben und ihrer in der aufgezeigten Rechtsprechung des EuGH präzisierten Auslegung liegt hier ein Verstoß gegen Unionsrecht, der auf die Rechtmäßigkeit der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung durchschlägt, nicht vor. Das nationale Recht sieht einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vor, der bei unionsrechtskonformer Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften seine volle Wirksamkeit entfaltet.
531. Nach § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO wird einem Antragsteller die Möglichkeit eingeräumt, beim zuständigen Gericht einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Bescheid einzulegen, mit dem sein Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist. In diesem Verfahren, das einem Verfahren auf der Grundlage des Art. 46 Abs. 6 der Richtlinie 2013/32/EU entspricht, entscheidet das Gericht nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Den Anforderungen des nach Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU vorzusehenden Bleiberechts wird dadurch Rechnung getragen, dass nach § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG eine Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist. Im Ergebnis ist der Betroffene daher bis zu einer Entscheidung in dem gerichtlichen Eilverfahren vor einer Abschiebung geschützt; vor Einlegung des Rechtsbehelfs durch den Abschiebungsschutz während des Laufs der Ausreisefrist (vgl. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG), nach Einlegung des Rechtsbehelfs durch das in § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG normierte Bleiberecht.
54Vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 18. April 2019 - 20 L 1179/19.A -, juris, Rn. 35 ff., und vom 25. Januar 2019 - 3 L 2586/18.A -, juris, Rn. 112; VG Freiburg, Beschluss vom 6. Februar 2019 - A 14 K 221/19 -, juris, Rn. 6; VG Aachen, Beschluss vom 14. Februar 2019 - 2 L 1865/18.A -, juris, Rn. 36 ff., 43; VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 - 31 L 682.18 A -, juris, Rn. 21 ff.; VG Frankfurt, Beschluss vom 26. November 2018 - 5 L 4508/18.F.A -, juris, Rn. 19 f.; VG Münster, Beschluss vom 8. Oktober 2018 - 9 L 976/18.A -, juris, Rn. 11; Wittkopp, ZAR 2018, 325 ff, 328; kritisch, insbesondere mit Blick auf die Zulassung neuen Vorbringens: Gutmann, Rückführungsschutz eines Asylbewerbers bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf - Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention, NVwZ 2018, 1625 ff., 1629 f.; zu weitgehend: Hruschka, Umfassender Rechtsschutz im Asylverfahren, Asylmagazin 9/2018, S. 290 ff., 291, der eine aufschiebende Wirkung der Klage für erforderlich hält; ders., Voller Rechtsschutz! Abschiebungen sind auch nach verweigertem Eilrechtsschutz europarechtswidrig, in: Verfassungsblog, 28. November 2018, im Internet abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/ voller-rechtsschutz-warum-abschiebungen-ohne-asylrechtlichen-eilrechtsschutz-europarechtswidrig-sind/; a. A. auch VG Aachen, Beschluss vom 15. Januar 2019 - 3 L 1715/18.A -, juris, Rn. 29 ff., 33; VG Arnsberg, Beschlüsse vom 22. Februar 2019 - 3 L 1991/18.A -, S. 7 ff. des Beschlussabdrucks, und vom 17. Dezember 2018 - 3 L 1935/18.A -, juris, Rn. 12 ff., 23.
552. Den Anforderungen, die der EuGH an die volle Wirksamkeit des Rechtsbehelfs gegen eine Rückkehrentscheidung stellt, die gemeinsam mit der Ablehnung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes ergeht, wird das deutsche Asylverfahrensrecht bei unionsrechtskonformer Auslegung gerecht. Das gilt insbesondere für die Frist zur freiwilligen Ausreise, die gemäß § 36 Abs. 1 AsylG im Einklang mit Art. 7 der Richtlinie 2008/115/EG eine Woche beträgt. Dass die vom Bundesamt gesetzte Ausreisefrist regelmäßig - wie auch hier - bereits mit der Bekanntgabe des ablehnenden Bescheids zu laufen beginnt (vgl. insoweit § 31 Abs. 2 VwVfG), führt nicht zu ihrer Unionsrechtswidrigkeit. Denn die Frist wird durch den gegen die Rückkehrentscheidung eingelegten Rechtsbehelf, der dem Betroffenen (erst) ein (vorläufiges) Bleiberecht vermittelt, unterbrochen und beginnt mit Bekanntgabe der ablehnenden gerichtlichen Entscheidung (neu) zu laufen.
56a. Nach der Rechtsprechung des EuGH darf die Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat.
57Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 62 = juris, Rn. 62.
58Als Bleiberecht im vorgenannten Sinn kann nicht der Abschiebungsschutz angesehen werden, der dem Asylantragsteller nach § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG während und aufgrund des Laufs der Ausreisefrist zugutekommt. Denn dieses in einem vorübergehenden Vollstreckungsschutz bestehende faktische Bleiberecht wird erst durch den Lauf der Ausreisefrist begründet. Wenn der EuGH aber ausführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gerade nicht zu laufen beginnen soll, muss das von ihm angesprochene Bleiberecht denknotwendig ein anderes sein.
59Vgl. VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028/18 -, juris, Rn. 62.
60Die Aussage des EuGH, dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u. a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind,
61vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 61 = juris, Rn. 61,
62kann im Hinblick auf das Nichtanlaufen der Ausreisefrist nur so verstanden werden, dass dem Betroffenen ein Bleiberecht zustehen muss, das nicht bereits aus dem Lauf der Ausreisefrist selbst folgt. Als Bleiberecht im Sinn der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH kommt somit allein das Bleiberecht in Betracht, das einem Asylantragsteller aufgrund der Einlegung des Rechtsbehelfs gegen die Rückkehrentscheidung durch den Mitgliedstaat gewährt wird.
63b. Ausgehend hiervon steht der Beginn der Frist für die freiwillige Ausreise zu einem Zeitpunkt, in dem der Asylantragsteller (noch) kein Bleiberecht im vorgenannten Sinn hat, weil er (noch) keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH.
64Vgl. VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028/18 -, juris, Rn. 62; VG Leipzig, Beschluss vom 28. März 2019 - 3 L 152/19.A -, juris, Rn. 31; abweichend VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris, Rn. 52 und 122, und VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - A 2 K 10728/18 -, juris, Rn. 5, die § 36 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Satz 8 AsylG unionsrechtskonform so auslegen, dass die Ausreisefrist regelmäßig erst nach Ablauf der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs zu laufen beginnen soll; kritisch hierzu: Wittmann, Die Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ nach EuGH Rs. C-181/16 („Gnandi“) und C-269/18 PPU („C, J und S“), ZAR 2019, 45 ff., 52; von einer Unionsrechtswidrigkeit ausgehend: VG Aachen, Beschluss vom 14. Februar 2019 - 2 L 1865/18.A -, juris, Rn. 44; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 11 S 2125/18 -, juris, Rn. 14; Wittkopp, ZAR 2018, 325 ff, 328.
65c. Die volle Wirksamkeit des Rechtsbehelfs gegen die Rückkehrentscheidung wird auch im Fall der Einlegung eines Rechtsbehelfs, namentlich der Stellung eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO, nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Ausreisefrist bereits mit Bekanntgabe zu laufen begonnen hat.
66aa. Im Fall der Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet folgt das nach dem zuvor Gesagten maßgebliche Bleiberecht aus Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU, dem zufolge die Mitgliedstaaten dem Antragsteller gestatten, bis zur Entscheidung in dem Verfahren, in dem nach Abs. 6 über den Verbleib im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats entschieden wird, im Hoheitsgebiet zu verbleiben. Der Antragsteller erhält daher ein (vorläufiges) Bleiberecht (nur) bis zur gerichtlichen Entscheidung, ob ihm auch bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung internationalen Schutzes ein weiterer Verbleib im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats gestattet wird. Dem entspricht die Regelung des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG, nach der bei rechtzeitiger Stellung des Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung eine Abschiebung nicht zulässig ist. Ein weiter gehendes Bleiberecht erhält der Antragsteller nur im Fall einer stattgebenden gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. § 37 Abs. 2 AsylG).
67Vgl. zu dem eingeschränkten Bleiberecht bei einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet: EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018, PPU, C-269/18, EU:C:2018:544, Rn. 53 = juris, Rn. 53.
68bb. Das Asylgesetz enthält für den Fall eines erfolglosen Eilverfahrens keine ausdrückliche Regelung zur Aussetzung oder Unterbrechung des Laufs der Ausreisefrist. Zudem wird die Regelung des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG über die Unzulässigkeit einer Abschiebung während des gerichtlichen Eilverfahrens nicht als Fall des vorübergehenden Wegfalls der Vollziehbarkeit der Ausreisefrist oder der Abschiebungsandrohung angesehen.
69Vgl. u. a. Wittmann, ZAR 2019, 45 ff., 51; Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Asylgesetz (GK-AsylG), Loseblatt-Sammlung (Stand: März 2019), § 36 Rn. 15 und 48; VG Leipzig, Beschluss vom 28. März 2019 - 3 L 152/19.A -, juris, Rn. 33.
70Zur Sicherung der praktischen Wirksamkeit der dargestellten unionsrechtlichen Vorgaben und insbesondere zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit dieses Rechtsbehelfs ist jedoch eine entsprechende Anwendung von § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG angezeigt. Nach dieser Vorschrift wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen, wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es in diesem Fall nicht (§ 59 Abs. 1 Satz 7 AufenthG).
71Die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift führt dazu, dass die Ausreisefrist durch das gerichtliche Eilverfahren unterbrochen wird und mit Bekanntgabe der ablehnenden gerichtlichen Eilentscheidung neu zu laufen beginnt. Damit ist sichergestellt, dass entsprechend den Vorgaben des EuGH die Ausreisefrist erst läuft, sobald der Betroffene kein Bleiberecht mehr hat. Entspricht das Verwaltungsgericht hingegen dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und ordnet die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Rückkehrentscheidung an, endet die Ausreisefrist gemäß § 37 Abs. 2 AsylG erst 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.
72Vgl. VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028/18 -, juris, Rn. 61; VG Leipzig, Beschluss vom 28. März 2019 - 3 L 152/19.A -, juris, Rn. 32 f.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 11 S 2125/18 -, juris, Rn. 17; VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 - 31 L 682.18 A -, juris, Rn. 27; im Ergebnis ebenso (allerdings über eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 36 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Satz 8 AsylG): VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris, Rn. 52 und 122; VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - A 2 K 10728/18 -, juris, Rn. 5; vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Loseblatt-Sammlung (Stand: März 2019), § 36 Rn. 15.2; Wittmann, ZAR 2019, 45 ff., 52, der überdies - wohl zutreffend - darauf hinweist, dass sich mit Blick hierauf eine Zustellungsbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung ergeben dürfte; a. A. Thiel, EuGH: Zur Verbindung von Ablehnungs- und Rückkehrentscheidung, Entscheiderbrief 11-12/2018, S. 4 ff.
73V. Der Verstoß gegen die unionsrechtlichen Informationspflichten führt nicht zur Rechtswidrigkeit von Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids.
741. Die Kläger sind weder mit dem angefochtenen Bescheid noch im vorangegangenen Verwaltungsverfahren in transparenter Weise über die Einhaltung der vom EuGH benannten Garantien (keine Abschiebung, keine Verlassenspflicht, kein Anlauf der Frist für die freiwillige Ausreise, keine Abschiebungshaft, Fortgeltung der Rechte als Asylbewerber nach der Richtlinie 2013/33/EU, Zulässigkeit des Vorbringens neuer Umstände im gerichtlichen Verfahren) informiert worden.
75Vgl. zur allgemeinen Praxis des Bundesamts auch: VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028/18 -, juris, Rn. 69 f.; VG Leipzig, Beschluss vom 28. März 2019 - 3 L 152/19.A -, juris, Rn. 34; VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris, Rn. 173; VG Aachen, Beschluss vom 14. Februar 2019 - 2 L 1865/18.A -, juris, Rn. 53; Wittkopp, ZAR 2018, 325 ff, 329.
762. Dieser Fehler führt jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung.
77a. Der EuGH entscheidet in ständiger Rechtsprechung, dass nicht jeder Fehler zwangsläufig Folgen habe, die sich auf den Inhalt der Entscheidung auswirken könnten, so dass ein Fehler, bei dem dies nicht der Fall sei, denjenigen, der ihn geltend mache, nicht in seinen Rechten verletze. Eine Rechtsverletzung könne aber nur dann verneint werden, wenn das Gericht, ohne dem Rechtsbehelfsführer insoweit in irgendeiner Form die Beweislast aufzubürden, zu der Feststellung in der Lage sei, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Fehler nicht anders ausgefallen wäre.
78Vgl. EuGH, Urteile vom 15. Oktober 2015, Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland, C-137/14, EU:C:2015:683, Rn. 56, 60 = juris, Rn. 56 ff., vom 7. November 2013, Altrip, C-72/12, EU:C:2013:712, Rn. 49, 53 f. = juris, Rn. 49 ff., vom 10. September 2013, PPU, C-383/13, EU:C:2013:533, Rn. 39 ff. = juris, Rn. 39 ff., vom 15. November 2011, Gibraltar, C-106/09, EU:C:2011: 732, Rn. 179 = juris, Rn. 179, vom 5. Oktober 2000, JAKO, C-288/96, EU:C:2000:537, Rn. 101 = juris, Rn. 101, und vom 14. Februar 1990, Boussac, C-301/87, EU:C:1990:67, Rn. 31 = juris, Rn. 31.
79Zudem hat der EuGH, abgeleitet von entsprechenden völkerrechtlichen Auslegungsregeln, für die Interpretation europarechtlicher Vorschriften die Maximen des „effet utile“, der „praktischen Wirksamkeit“ sowie der gebotenen „Sicherung der Funktionsfähigkeit“ der Regelung im Rahmen einer dynamischen teleologischen Auslegung entwickelt.
80Vgl. etwa EuGH, Urteile vom 7. November 2013, Altrip, C-72/12, EU:C:2013:712, Rn. 45 = juris, Rn. 45, vom 10. September 2013, PPU, C-383/13, EU:C:2013:533, Rn. 41 = juris, Rn. 41, und vom 20. März 1997, Alcan, C-24/95, EU:C:1997:163, Rn. 37 = juris, Rn. 37; vgl. auch BVerwG, Vorlagebeschluss vom 10. Juli 2013 - 8 C 9.12 -, GewArch 2014, 74 ff. = juris, Rn. 17; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. (1984), S. 494; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. (2011), § 12 Rn. 36.
81Danach darf die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften die Verwirklichung des Ziels der durchzuführenden unionsrechtlichen Bestimmungen nicht praktisch unmöglich machen. Eine Auslegung darf nicht dazu führen, deren praktische Wirksamkeit in Frage zu stellen.
82b. Ausgehend hiervon führt der Verstoß gegen unionsrechtliche Informationspflichten, die sicherstellen sollen, dass der Betroffene von den Rechten, die die verfahrensrechtlichen Komponenten des Grundsatzes der Nichtzurückweisung absichern, effektiv Gebrauch machen kann,
83vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12. Dezember 2018 - A 11 S 1923/17 -, juris, Rn. 265; VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028/18 -, juris, Rn. 69,
84nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit der nachfolgenden Verwaltungsentscheidung, sondern nur dann, wenn er sich auf den Inhalt der Entscheidung ausgewirkt hat. Um die praktische Wirksamkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen sicherzustellen, darf dem Rechtsbehelfsführer die Beweislast für diesen Kausalzusammenhang jedoch nicht aufgebürdet werden. Umgekehrt darf die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2008/115/EG, durch die vor allem eine wirksame Rückkehr- und Rückübernahmepolitik gewährleistet werden soll,
85vgl. EuGH, Urteile vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 48 ff. = juris, Rn. 48 ff., und vom 10. September 2013, PPU, C-383/13, EU:C:2013:533, Rn. 42 = juris, Rn. 42,
86nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass Fehler, die das Ergebnis der Entscheidung nicht beeinflusst haben, zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung mit der Folge des weiteren Verbleibs eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen führen. Es ist daher im Einzelfall Sache des Gerichts, unter Berücksichtigung der Schwere des geltend gemachten Fehlers und des gesamten Akteninhalts zu beurteilen, ob die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Fehler nicht anders ausgefallen wäre.
87Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2. Mai 2017 - A 4 S 1001/17 -, juris, Rn. 16, und Urteil vom 12. Dezember 2018 - A 11 S 1923/17 -, juris, Rn. 263 ff.; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 - 13 A 1490/13.A -, juris, Rn. 36, nachfolgend: BVerwG, Vorlagebeschluss vom 27. Juni 2017 - 1 C 26.16 -, Buchholz 451.902 Europ Ausländer- und Asylrecht Nr. 91 = juris, Rn. 38 ff. (auch zu § 46 VwVfG).
88c. Der Senat ist davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass den Klägern durch die hier fehlende vollständige Information über ihre Rechte kein relevanter Vortrag abgeschnitten worden ist und sie in ihren Verteidigungsrechten nicht eingeschränkt worden sind. Dies ist auf der Grundlage des Akteninhalts unter keinem Gesichtspunkt erkennbar und von den Klägern zudem nicht vorgetragen. Die Kläger haben fristgerecht Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung gerichtlichen Eilrechtsschutzes gestellt, über den das Gericht hier sogar erst nach Durchführung der mündlichen Verhandlung im Klageverfahren, in der die Kläger persönlich zu ihren Asyl- und Abschiebungsschutzgründen angehört worden sind, entschieden hat. Selbst wenn ihnen nur die schriftliche Geltendmachung ihrer Belange möglich gewesen wäre, hätten sie diese umfänglich in dem gerichtlichen Eilverfahren vortragen können. Dafür, dass sie dies nicht tatsächlich auch getan haben, fehlt es an Anhaltspunkten. Dass die Prüfdichte der gerichtlichen Entscheidung den Anforderungen an einen wirksamen Rechtsbehelf nicht gerecht geworden ist, ist ebenfalls nicht erkennbar. Die Kläger, denen eine Abschiebung während der Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs und nach Einlegung des Rechtsbehelfs bis zur Entscheidung über diesen nicht drohte, waren in ihren Verteidigungsrechten angesichts dessen nicht beschränkt. Die unzureichende Erfüllung der unionsrechtlichen Informationspflichten hat sich auf die Entscheidung der Behörde offenkundig nicht ausgewirkt. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot, der auf die Rechtmäßigkeit der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung durchschlägt, liegt daher nicht vor.
89Vgl. auch VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028/18 -, juris, Rn. 69 f.; VG Leipzig, Beschluss vom 28. März 2019 - 3 L 152/19.A -, juris, Rn. 34; VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris, Rn. 190; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12. Dezember 2018 - A 11 S 1923/17 -, juris, Rn. 263 ff., 266; a. A. VG Aachen, Beschluss vom 15. Januar 2019 - 3 L 1715/18.A , juris, Rn. 29 ff., 33; VG Arnsberg, Beschluss vom 22. Februar 2018 - 3 L 1991/18.A -, S. 9 f. des Beschlussabdrucks.
90Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO, 83b AsylG.
91Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
92Die Revision ist zuzulassen, weil die Frage von grundsätzlicher Bedeutung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist, ob die volle Wirksamkeit eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 4. des Bundesamtsbescheids verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung dadurch beeinträchtigt wird, dass die Ausreisefrist mit Bekanntgabe des Bundesamtsbescheids zu laufen beginnt.