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Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 7. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Verfahren beider Instanzen auf 7.500,- Euro festgesetzt.
Gründe:
2Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
3Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 22. September 2016 zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage unbegründet ist, nicht durchgreifend in Frage.
4Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, der gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO hier entsprechend gilt, kann jeder Beteiligte bei dem Gericht der Hauptsache die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über Anträge nach § 80 Absatz 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Die insoweit gebotene gerichtliche Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus.
5Nachdem die Beigeladene die artenschutzrechtlichen Unterlagen ergänzt und der Antragsgegner auf dieser Grundlage die allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls in ihrer dritten Ergänzungsfassung durchgeführt hat, unterliegt deren ordnungsgemäße Durchführung und Nachvollziehbarkeit keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken mehr (dazu I.). Im Rahmen der von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs losgelösten allgemeinen Interessenabwägung überwiegt das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs (dazu II.).
6I. Die Rüge der Antragstellerin, dass die streitbefangene Genehmigung vom 22. September 2016 aufzuheben sei, weil die durchgeführte allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls in der Fassung der dritten Ergänzung vom 5. Dezember 2017 fehlerhaft und nicht nachvollziehbar sei, ist unbegründet.
7Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist eine Heilung von Verfahrensfehlern im Eil- bzw. im Abänderungsverfahren zu prüfen (dazu 1.). Die vom Senat festgestellte Verletzung von Verfahrensvorschriften durfte vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens behoben werden; dieser Heilungsmöglichkeit steht nicht entgegen, dass die streitbefangene Anlage bereits errichtet war (dazu 2.). Die vom Antragsgegner durchgeführte allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls leidet in der Fassung der dritten Ergänzung vom 5. Dezember 2017 nicht länger an einem Verfahrensfehler (dazu 3.).
81. Anders als die Antragstellerin meint, hat der Senat in seinem Beschluss vom 23. Oktober 2017 - 8 B 566/17 - nicht zum Ausdruck gebracht, dass eine mögliche Behebung des festgestellten Verfahrensfehlers ausschließlich im Hauptsacheverfahren geprüft werden könne. Der Senat hat vielmehr ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG im Eilverfahren nicht zu prüfen sind. Wenn nach dieser Vorschrift trotz festgestellten Verfahrensfehlers im Hauptsacheverfahren die Aufhebung der angegriffenen Genehmigung nicht in Betracht kommen sollte, würde der Verfahrensfehler jedenfalls zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Außervollzugsetzung der Genehmigung zum Zwecke der Durchführung eines ergänzenden Genehmigungsverfahrens führen. Auch in diesem Fall wäre die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen. Deshalb kann im Eilverfahren auf die Prüfung verzichtet werden, ob der Fehler im Hauptsacheverfahren zur Aufhebung der Genehmigung oder nur zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit führen würde.
9Vgl. Seibert, NVwZ 2018, 97 (103).
10Diese Überlegungen haben nichts mit der Frage zu tun, ob ein Verfahrensfehler während des gerichtlichen Verfahrens geheilt werden kann (dazu unter 2.). Ist dies der Fall, ist eine Heilung auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bzw. im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zu berücksichtigen.
11Auf die von der Antragstellerin zitierte Vorschrift des § 75 Abs. 1a VwVfG NRW kommt es schon deshalb nicht an, weil sie nur auf Planfeststellungsbeschlüsse, nicht jedoch auf das hier in Rede stehende immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren Anwendung findet.
122. Die im Beschluss des Senats vom 23. Oktober 2017 festgestellte Verletzung von Verfahrensvorschriften im Rahmen der allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls durfte vom Antragsgegner in einem ergänzenden Verfahren geheilt werden.
13Die Annahme der Antragstellerin, eine fehlende UVP-Vorprüfung könne nach Errichtung der Anlage nicht mehr nachgeholt werden, trifft nicht zu. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b), Abs. 1b Satz 2 UmwRG i. V. m. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW,
14vgl. zur Anwendbarkeit der letztgenannten Vorschrift OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 -, BauR 2015, 1138 = juris Rn. 163,
15kann diese Prüfung grundsätzlich bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens (in erster Instanz) nachgeholt werden. Gleiches gilt auch für die Heilung von gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG relevanten Verfahrensfehlern einer Vorprüfung des Einzelfalls.
16Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 -, BauR 2015, 1138 = juris Rn. 145 ff.; Beschlüsse vom 29. Juni 2017 - 8 B 187/17 -, ZNER 2017, 301 = juris Rn. 12, vom 18. Dezember 2015 ‑ 8 B 400/15 -, juris Rn. 52 ff., und vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, juris Rn. 62 ff.
17Die Möglichkeit der Nachholung einer UVP-Vorprüfung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b), Abs. 1b Satz 2 UmwRG i. V. m. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW ist auch mit Unionsrecht grundsätzlich vereinbar. Insbesondere liegt in der Nachholung keine Legalisierung von Projekten, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung hätten unterzogen werden müssen. Das gilt jedenfalls, wenn die nachgeholte UVP-Vorprüfung zu dem Ergebnis kommt, dass es einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht bedurfte. Das Unionsrecht steht nationalen Rechtsvorschriften, die unter bestimmten Umständen die Legalisierung unionsrechtswidriger Vorgänge oder Handlungen zulassen, nicht grundsätzlich entgegen. Untersuchungen und Prüfungen, die erst nach dem Bau und der Inbetriebnahme einer Anlage durchgeführt werden, dürfen sich allerdings nicht auf die künftigen Auswirkungen der Anlage beschränken, sondern müssen auch die seit der Errichtung eingetretenen Umweltauswirkungen berücksichtigen.
18Vgl. EuGH, Urteile vom 3. Juli 2008 - C-215/06 -, juris Rn. 57, und vom 26. Juli 2017 - C-196/16, 197/16 -, juris Rn. 37 ff., 41 m. w. N. (für die Nachholung einer UVP); BVerwG, Urteil vom 20. August 2008 - 4 C 11.07 -, BVerwGE 131, 352 = juris Rn. 27 ff.; OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 165, und Beschluss vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, juris Rn. 65.
193. Das Verwaltungsgericht hat schließlich zu Recht angenommen, dass die durchgeführte allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls in der Fassung der dritten Ergänzung vom 5. Dezember 2017 den Anforderungen der § 3a Satz 4, § 3c Sätze 1 und 3, § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG in der bis zum 16. Mai 2017 geltenden Fassung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I, S. 94), die nach § 74 Abs. 1 UVPG in der aktuellen Fassung (Art. 1 Nr. 36 des Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung vom 20. Juli 2017, BGBl. I, S. 2808) für vor dem 16. Mai 2017 eingeleitete Verfahren auch weiterhin Anwendung findet [und im Folgenden zitiert wird, soweit nicht abweichend angegeben], genügt und Verfahrensfehler im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG nicht vorliegen.
20Insbesondere wurde entgegen der Auffassung der Antragstellerin in der aktuellen Fassung der allgemeinen Vorprüfung die im Beschluss des Senats vom 23. Oktober 2017 - 8 B 566/17 - gerügte fehlende Betrachtung (etwaiger) kumulierender Wirkungen mit den östlich gelegenen zwölf Bestandsanlagen nachgeholt. Das Fehlen von anderen Verfahrensfehlern der Vorprüfung ergibt sich aus dem genannten Beschluss.
21Die Antragstellerin zeigt mit ihren Einwänden gegen die gutachterlichen Feststellungen zum Fehlen einer Kumulationswirkung keinen Verfahrensfehler i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG auf. Insbesondere ist die Einschätzung des Antragsgegners, wonach die artenschutzrechtliche Betrachtung zu den Flugrouten des Baumfalken keinen fachlichen Bedenken unterliegt, nicht aus rechtlichen oder fachlichen Gründen – unter Berücksichtigung der artenschutzfachlichen Einschätzungsprärogative – unvertretbar.
22Für eine Unvertretbarkeit bestehen keine Anhaltspunkte. Die auf den 5. Dezember 2017 datierte dritte Ergänzung der allgemeinen Vorprüfung nimmt im Wesentlichen Bezug auf die „Artenschutzrechtliche Einschätzung zum Baumfalken […]“ des Dr. P. E. vom 2. November 2017. Darin hat eine umfassende Betrachtung möglicher kumulativer Wirkungen der streitbefangenen Anlage und des im Parallelverfahren 8 B 1621/17 streitgegenständlichen Vorhabens mit den östlich gelegenen Bestandsanlagen stattgefunden; im Ergebnis wurde eine Kumulationswirkung verneint.
23Die im Beschwerdeverfahren unter Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Schriftsatz vom 27. November 2017 geltend gemachten Einwände der Antragstellerin, wonach zahlreiche ernsthafte Hinweise auf eine intensive Nutzung des Vorhabengebiets durch den Baumfalken vorgelegen hätten, so dass Nahrungshabitate und Flugbewegungen hätten erfasst bzw. kartografisch dargestellt werden müssen, zeigen keine durchgreifenden Mängel bei der Ermittlung der artenschutzrechtlichen Belange und ihrer Bewertung auf. Eine flächendeckende Kartierung von Nahrungshabitaten auch im Hinblick auf die Bestandsanlagen und deren unmittelbare Umgebung ist für die Feststellung kumulierender Wirkungen nicht zwingend erforderlich, soweit die Bewertung auf der Basis des vorhandenen Materials getroffen werden kann. Davon ist vorliegend mangels substantiierter gegenteiliger Anhaltspunkte auszugehen.
24Für die Erforderlichkeit einer Ausweitung der Prüfung auf das erweiterte Untersuchungsgebiet im Sinne der rechten Spalte des Anhangs 2 des Leitfadens „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen" des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen und des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 10. November 2017 ergaben die durchgeführten avifaunistischen Ermittlungen keine Anhaltspunkte. Die weiteren Ausführungen der Antragstellerin zu vorhandenen Biotopstrukturen und artspezifischen Wirkungen auf den Baumfalken setzen sich auf materiell-inhaltlicher Ebene mit der gutachterlichen Bewertung auseinander, die der Antragsgegner sich im Rahmen der durchgeführten Vorprüfung zu eigen gemacht hat. Sie zeigen jedoch keine Verfahrensfehler hinsichtlich der ihr zugrunde liegenden artenschutzfachlichen Erkenntnisse auf. Diese enthalten insbesondere eine umfassend begründete und in der Sache jedenfalls vertretbare Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten.
25Mit den fachgutachterlichen Schlussfolgerungen, die näher begründet zu dem Ergebnis gelangen, dass mögliche Beeinträchtigungen in Form von kumulierenden Wirkungen durch die Bestandsanlagen sowohl wegen fehlender regelmäßiger Flugbewegungen des Baumfalken als auch aufgrund der allgemeinen Anlagenkonstellation im Raum ausgeschlossen werden können (vgl. S. 3 f. in der „Artenschutzrechtliche[n] Einschätzung zum Baumfalken […]“ des Dr. P. E. vom 2. November 2017), setzt sich die Antragstellerin nicht im Einzelnen auseinander. Gleiches gilt für die dieser Einschätzung zugrunde liegenden Annahmen, dass kein regelmäßig genutzter Flugkorridor zwischen dem bekannten Brutplatz und den möglichen Nahrungshabitaten in den Naturschutzgebieten „A. W. “ und „F. G. “ bestehe und dass der Baumfalke auf die bestehende Vorbelastung bereits durch Ausweichbewegungen reagieren könne, welche die streitbefangene Windenergieanlage einschließe.
26II. Da bei summarischer Prüfung ein Unterliegen der Antragstellerin im Klageverfahren nunmehr wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, überwiegt im Rahmen der notwendigen allgemeinen Interessenabwägung auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens insgesamt das wirtschaftliche Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung des Genehmigungsbescheids und damit am Betrieb der Windenergieanlage das Interesse der Antragstellerin an einer aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs.
27Vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Mai 2016 ‑ 8 B 866/15 -, BauR 2016, 1760 = juris Rn. 43, und vom 9. Juni 2017 - 8 B 1264/16 -, juris Rn. 102 ff.
28Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, da sie im Beschwerdeverfahren einen substantiiert begründeten Sachantrag gestellt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
29Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der Senat ist befugt, den erstinstanzlich nicht festgesetzten Streitwert von Amts wegen festzusetzen, vgl. § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG analog. Der Senat orientiert sich in Fällen der vorliegenden Art an Nr. 19.2 i. V. m. Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs 2013 und setzt bis zum Erreichen einer Obergrenze in Höhe von 30.000,- Euro im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für jede streitgegenständliche Windenergieanlage einen Streitwert in Höhe von 7.500,- Euro fest.
30Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Mai 2017 - 8 B 1081/16 -, juris Rn. 33 ff. (mit näherer Begründung), und vom 28. März 2017 - 8 E 928/16 -, juris Rn. 7 ff., 13.
31Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 3 GKG).