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1. § 5 Abs. 4 AWoV NRW hält sich nicht im Rahmen der bundesrechtlichen Ermächtigungsnorm des § 12a Abs. 9 AufenthG und ist damit unwirksam.
2. Es spricht Vieles dafür, dass § 12a Abs. 1 AufenthG mit höherrangigem Recht vereinbar ist.
Das angegriffene Urteil wird geändert.
Der Bescheid des Beklagten vom 3. April 2017 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Der am 10. Juni 1998 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger.
3Im Rahmen seines Asylverfahrens wurde er mit Bescheid der Bezirksregierung B. vom 31. August 2016 der Stadt L. im S. -F. -Kreis zugewiesen.
4Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 20. März 2017 wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt.
5Mit Bescheid vom 3. April 2017 wies die Bezirksregierung B. den Kläger daraufhin gemäß § 12a Abs. 1 S. 1, Abs. 3 und Abs. 9 AufenthG i.V.m. § 5 der nordrheinwestfälischen Ausländer-Wohnsitzregelungsverordnung – AWoV – vom 15. November 2016 (GV. NRW S. 971) für die Dauer seines erlaubten Aufenthalts, längstens für drei Jahre ab Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, der Stadt L. zu.
6Der Kläger hat daraufhin am 20. April 2017 Klage erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgetragen: Er sei vor Erlass des Bescheides nicht angehört worden, so dass sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden sei. Zudem sei der Bescheid nicht hinreichend begründet. Es lägen aber auch inhaltliche Fehler vor: Nach der Rechtsprechung des EuGH seien Wohnsitzregelungen für anerkannte Flüchtlinge als Beschränkung der unionsrechtlich garantierten Freizügigkeit nur dann zulässig, wenn sie der Förderung der Integration dieses Personenkreises dienten. Die vom beklagten Land vorgenommenen Wohnungszuweisungen knüpften an die Verteilung nach dem Asylgesetz an. Diese Verteilung sei aber ohne Berücksichtigung individueller Interessen und Integrationsgesichtspunkte allein nach fiskalischen Erwägungen vorgenommen worden. Ihre Fortschreibung führe nicht zu einer anderen Zwecksetzung. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass am Ort der asylrechtlichen Verteilung bereits erhebliche Integrationsansätze erfolgt seien, denn während des Asylverfahrens seien integrationsfördernde Maßnahmen nicht vorgesehen. Damit verstoße die erneuerte Wohnsitzzuweisung gegen Art. 29 und 33 der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU und Art. 26 der Genfer Flüchtlingskonvention. Es gebe keine empirischen Nachweise, dass die in Nordrhein Westfalen vorgenommene pauschale Zuweisung die Integration der Betroffenen erleichtere. Vom Grundsatz her werde die Integration im Gegenteil erschwert, denn sie beschneide die Möglichkeiten der Betroffenen, Integrationschancen wahrzunehmen. Diese Nachteile würden auch nicht durch die Möglichkeit ausgeglichen, die Wohnsitzauflage im Härtefall aufzuheben. Zum einen würden an das Vorliegen eines Härtefalls zu hohe Anforderungen gestellt. Zum anderen bedeute dieses Vorgehen ein erneutes bürokratisches Verfahren bei einer überlasteten Behörde. Aus integrationspolitischer Sicht sei der Verzicht auf Wohnsitzvorgaben zur Integrationsförderung ebenso geeignet. Nach allgemeiner Lebenserfahrung blieben Ausländer bei entsprechenden Integrationsfortschritten ohnehin solange am bisherigen Aufenthaltsort, bis sich andernorts bessere Chancen böten.
7Schließlich verstoße die Wohnsitzauflage gegen Art. 2 des Protokolls Nr. 4 zur EMRK in der Fassfassung vom zweiten 20. Oktober 2010 (BGBl. II. S. 1198, 1220). Die Förderung der Integration gehöre nicht zu den in der Norm vorgesehenen Einschränkungsmöglichkeiten. Abgesehen davon dürfe die freie Wohnsitzwahl nicht ohne Einzelfallabwägung eingeschränkt werden. Dies folge im Übrigen auch aus Art. 12a Abs. 3 AufenthG. Schon dessen Tatbestand liege nicht vor, weil nicht erkennbar sei, weshalb die Anmietung von Wohnraum, der Erwerb von Deutschkenntnissen und die Arbeitsaufnahme in L. leichter fallen sollten als an anderen Orten. Insoweit handele sich um Tatbestandsvoraussetzungen und nicht etwa nur um ermessenslenkende Kriterien. Deshalb sei Ermessen nicht eröffnet und im Übrigen auch nicht ausgeübt worden. Die Zuweisung in Nordrhein-Westfalen erfolge pauschal ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls.
8Der Kläger hat beantragt,
9den Bescheid der Beklagten vom 3. April 2017 aufzuheben.
10Das beklagte Land hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Die Bezirksregierung B. hat in ihrer schriftlichen Klageerwiderung und in der mündlichen Verhandlung ausführlich dargelegt, warum die Zuweisungsentscheidung aus ihrer Sicht auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens rechtmäßig ist. Gleichzeitig hat sie angeboten, bei Vorlage entsprechender Nachweise das Verfahren auf Umverteilung des Klägers unter Beteiligung des aufnehmenden Landes einzuleiten.
13Mit Urteil vom 9. Oktober 2017 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
14Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 24. Mai 2018 die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Im Berufungsverfahren hat er Kläger seinen Vortrag vertieft und ergänzend vorgetragen: Die Annahme begonnener Integration am Ort der asylrechtlichen Zuweisung werde auch dadurch widerlegt, dass sich die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren mittlerweile auf zweieinhalb Monate reduziert habe und die Asylbewerber zudem zu Beginn des Verfahrens noch in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht seien. Zudem gebe es innerhalb von Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf Integrationsansätze schon während des Asylverfahrens erhebliche regionale Unterschiede. Soweit mit der Wohnsitzauflage eine räumliche Konzentration einzelner Ausländergruppen an bestimmten Orten verhindert werden solle, böten sich mildere Mittel als eine generelle Zuweisung an. Die mögliche Nachsteuerung der Zuweisung in Härtefällen mache die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung vor der Zuweisung nicht obsolet. Die gleichförmige Ermessenssteuerung durch eine Landesverordnung sei zudem mit der nach § 12a Abs. 3 AufenthG gebotenen Einzelfallprüfung ebenfalls nicht vereinbar.
15Der Kläger beantragt,
16das angegriffene Urteil zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 3. April 2017 aufzuheben.
17Das beklagte Land vertieft seine bisherigen Ausführungen und beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21Die Berufung des Klägers hat Erfolg.
22Der angegriffene Bescheid des beklagten Landes ist jedenfalls wegen fehlerhafter Ermessensausübung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23Bundesrechtliche Rechtsgrundlage des Bescheides ist § 12a Abs. 3 AufenthG. Diese Norm eröffnet der zuständigen Behörde – bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen – die in ihrem Ermessen stehende Möglichkeit, einen Ausländer zur Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort zu verpflichten. Bei dieser Ermessensausübung hat das beklagte Land sich zu Unrecht von der ermessenslenkenden Vorgabe in der landesrechtlichen Bestimmung des § 5 Abs. 4 AWoV leiten lassen. Diese materiell-rechtliche Bestimmung ist unwirksam, da dem beklagten Land die Kompetenz für ihren Erlass fehlt. Sie hält sich nicht im Rahmen der bundesrechtlichen Ermächtigungsnorm des § 12a Abs. 9 AufenthG, nach der das Land insoweit lediglich zum Erlass von Regelungen bezüglich der Organisation und des Verfahrens bei Verpflichtungen nach § 12a Abs. 3 AufenthG befugt ist.
24Nach § 12a Abs. 3 AufenthG kann ein Ausländer, welcher der Verpflichtung nach § 12a Abs. 1 AufenthG unterliegt, zur Förderung der nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von sechs Monaten nach Anerkennung oder erstmaliger Erteilung der Aufenthaltserlaubnis verpflichtet werden, längstens bis zum Ablauf der nach Abs. 1 geltenden Frist seinen Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen, wenn dadurch ‑ erstens ‑ seine Versorgung mit angemessenem Wohnraum, - zweitens - sein Erwerb hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und – drittens – unter Berücksichtigung der örtlichen Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erleichtert werden kann.
25Es kann – weil entscheidungsunerheblich – offenbleiben, ob die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm vorliegen. Unterstellt man deren Vorliegen zugunsten des beklagten Landes, so eröffnete dies erst das durch § 12a Abs. 3 AufenthG eingeräumte und nach § 40 VwVfG NRW rechtmäßig auszuübende Ermessen. An einer rechtmäßigen Ermessensausübung fehlt es hier (§ 114 VwGO). Diese hat sich an der rechtswidrigen - und damit unwirksamen ‑, den durch § 12a Abs. 3 AufenthG eröffneten Spielraum verengenden Vorgabe des § 5 Abs. 4 AWoV orientiert. Nach der letztgenannten Vorschrift sollen Ausländer, die zum Zeitpunkt ihrer Zuweisung ihren tatsächlichen Wohnsitz in einer Gemeinde unterhalten, dort nicht in einer Landeseinrichtung untergebracht und nicht verpflichtet sind, in einem anderen Bundesland zu wohnen, dieser Gemeinde zugewiesen werden sollen. Das beklagte Land ist damit zu Unrecht von einer Soll-Entscheidung ausgegangen, von der nur bei atypischen Konstellationen abgewichen werden kann. § 5 Abs. 4 AWoV ist rechtswidrig, weil diese materiell-rechtliche Verordnungsregelung sich nicht im Rahmen der bundesrechtlichen Verordnungsermächtigung des § 12a Abs. 9 AufenthG hält, die sich im Wesentlichen auf Regelungen hinsichtlich Organisation, Verfahren und angemessenen Wohnraums beschränkt (A). Im Hinblick auf zukünftige Verfahren vergleichbarer Art weist der Senat darauf hin, dass der Kläger jedoch der – im vorliegenden Verfahren nicht streitigen – gesetzlichen Wohnsitzverpflichtung nach § 12a Abs. 1 AufenthG unterliegen dürfte und dass insbesondere vieles dafür spricht, dass diese Verpflichtung nicht gegen höherrangiges Recht verstößt (B).
26A) Nach § 12a Abs. 9 AufenthG können die Länder im Hinblick auf Ausländer, die der Verpflichtung nach § 12a Abs. 1 AufenthG unterliegen, hinsichtlich Organisation, Verfahren und angemessenen Wohnraums durch Rechtsverordnung der Landesregierung oder andere landesrechtliche Regelungen Näheres bestimmen zu den in § 12a Abs. 9 Nr. 1 bis 5 AufenthG aufgeführten Materien. Dazu zählt nach § 12a Abs. 9 Nr. 2 AufenthG u.a. auch das Verfahren für Zuweisungen und Verpflichtungen nach den Absätzen 2 bis 4 des § 12a AufenthG. Hinsichtlich der hier vom beklagten Land vorgenommenen Verteilung nach § 12a Abs. 3 AufenthG beschränkt sich die Ermächtigung mithin auf nähere Regelungen zur Organisation und – was im vorliegenden Zusammenhang eher relevant ist – zum Verfahren.
27Der in § 12a Abs. 9 AufenthG verwendete Verfahrensbegriff bezieht sich auf das Verwaltungsverfahren. Insoweit kann auf das Begriffsverständnis in Art. 84 Abs. 1 GG zurückgegriffen werden, nach dem die Länder – neben der Einrichtung der Behörden – das Verwaltungsverfahren regeln, wenn sie – wie hier – die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen. In Art. 84 Abs. 1 GG ist damit – wie in §12a Abs. 9 AufenthG – hinsichtlich der Verteilung der (Gesetzgebungs-) Kompetenzen die Unterscheidung zwischen Organisations- und Verfahrensrecht einerseits und materiellem Recht andererseits vorgegeben. Ungeachtet der teilweise erheblichen Probleme der Abgrenzung von Verwaltungsverfahren und materiellem Recht,
28vgl. etwa Hermes, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, 3. Auflage 2018, Art. 84 Rn. 36 ff., 43,
29ist jedenfalls eine Regelung wie § 5 Abs. 4 AWoV dem materiellen Recht zuzuordnen. Dies ergibt sich mit Blick auf den Regelungszusammenhang zwischen § 5 Abs. 4 AWoV und § 12a Abs. 3 AufenthG aus folgenden Erwägungen: Nach der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 12a Abs. 3 AufenthG,
30vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 45 (Zu § 12a Absatz 3),
31ermöglicht die Vorschrift die Wohnsitzauflage aufgrund einer Prognoseentscheidung hinsichtlich der für eine Integration wesentlichen Kriterien Wohnraumversorgung, Erwerb von Deutschkenntnissen sowie Integrationsmöglichkeiten in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Diese Prognoseentscheidung ist ebenso wie ‑ bei positiver Prognose und damit Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ‑ die im Ermessen stehende Entscheidung über den Erlass der Wohnsitzauflage dem materiellen Recht zuzuordnen und nicht etwa (auch) als Regelung des Verwaltungsverfahrens anzusehen.
32Vgl. Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 40 Rn. 97 („Ermessensfehler sind materielle Fehler und keine Verfahrensfehler“); zur Übertragung des Rechtsgedankens des nicht unmittelbar anwendbaren § 46 VwVfG auf Ermessensfehler: BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 1990 – 1 WB 36/88 –, juris Rn. 32; Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 46 Rn. 20; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Auflage 2014, § 46 Rn. 36.
33§ 5 Abs. 4 AWoV betrifft und modifiziert unmittelbar diese materiell-rechtliche Bestimmung und teilt daher deren materiell-rechtlichen Charakter. § 5 Abs. 4 AWoV gibt nämlich auf der Tatbestandsebene des § 12a Abs. 3 AufenthG eine positive Prognoseentscheidung für den Fall vor, dass der Ausländer zum Zeitpunkt der Zuweisung in einer Gemeinde seinen tatsächlichen Wohnsitz unterhält, dort nicht in einer Landeseinrichtung untergebracht und nicht verpflichtet ist, in einem anderen Bundesland zu wohnen. Zugleich verändert § 5 Abs. 4 AWoV für die von ihm geregelte Konstellation die in § 12a Abs. 3 AufenthG vorgesehene Kann-Entscheidung in eine Soll-Entscheidung. Gegen die Klassifizierung des § 5 Abs. 4 AWoV als materiell-rechtliche Regelung spricht nicht der Umstand, dass die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder jeweils in § 40 VwVfG auch eine Bestimmung zur Ausübung des Ermessens enthalten. Daraus folgt nicht etwa die Einschätzung der jeweiligen Gesetzgeber, es handele sich um eine verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung. Das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes beruht auf der kompetenzrechtlichen Überlegung, dass der Bund seine materiellen Gesetzgebungskompetenzen auch in der Weise ausüben kann, dass er als Annexkompetenz dazu auch die zugehörigen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen zum Zwecke der Vereinheitlichung quasi vor die Klammer zieht und in einem eigenständigen Gesetz zusammenfasst.
34Vgl. nur Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Auflage 2014, § 1 Rn. 32 m.w.N.
35Eine demensprechende Kompetenz, Regelungen zum Zwecke der Vereinheitlichung quasi vor die Klammer zu ziehen und in einem eigenständigen Gesetz zusammenzufassen steht dem Bund hinsichtlich der Umsetzung der in seiner Kompetenz erlassenen Gesetze erst recht hinsichtlich materiell-rechtlicher Regelungen zu. Das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes enthält deshalb sowohl materiell-rechtliche als auch verfahrensrechtliche Bestimmungen. Entsprechendes gilt für die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder.
36Vgl. zu den kompetenzrechtlichen Grundlagen für deren Geltungsvorrang Ramsauer, in: Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 18. Auflage 2017, § 1 Rn. 42.
37Entgegen der vom VG Köln vertretenen Auffassung kann § 5 Abs. 4 AWoV auch nicht mit Blick auf § 5 Abs. 6 AWoV als Regelung zum Verfahren der Zuweisung angesehen werden.
38Vgl. VG Köln, Gerichtsbescheid vom 10. August 2018 – 5 K 3419/17 –.
39Das VG Köln gelangt zu dieser Einschätzung, weil § 5 Abs. 4 AWoV regle, dass Ausgangspunkt der Prüfung im Zuweisungsverfahren der bisherige tatsächliche Wohnort des betroffenen Ausländers sei und gemäß § 5 Abs. 6 AWoV der Anwendung des § 5 Abs. 4 AWoV entgegenstehende individuelle integrationsrelevante Umstände nach § 5 Abs. 6 AWoV nur dann zu berücksichtigen seien, wenn der betroffene Ausländer diese im Einzelfall geltend mache oder solche Gründe sonst ohne weitere aufwändige Ermittlungen der Behörde ersichtlich seien. Dieser – vom Verwaltungsgericht betonte – Regelungszusammenhang ändert nichts am materiell-rechtlichen Charakter von § 5 Abs. 4 AWoV. Diese Norm beschränkt sich insoweit nicht auf eine verfahrensrechtliche Strukturierung des bundesrechtlich vorgegebenen materiell-rechtlichen Entscheidungsprogramms, sondern verändert dieses – wie oben beschrieben – inhaltlich. Dass § 5 Abs. 4 und 6 AWoV vom Verordnungsgeber auch nicht in dem vom Verwaltungsgericht gemeinten Sinne konzipiert worden sind, wird dadurch bestätigt, dass nach § 5 Abs. 7 Satz 2 AWoV eine Anhörung bei der Zuweisung nach § 5 Abs. 4 AWoV und damit die Geltendmachung individueller integrationsrelevanter Umstände durch den Ausländer vor der Zuweisung gar nicht vorgesehen ist.
40Entgegen der Ansicht des VG Minden,
41Urteil vom 23. Juli 2018 – 2 K 4892/17 –,
42ist § 5 Abs. 4 AWoV auch nicht deshalb eine Regelung der Organisation der Verteilung innerhalb des Landes, weil sie deren Durchführung und Verwirklichung dient. Das Verwaltungsgericht gelangt zu dieser Qualifizierung unter Übernahme der im Duden u.a. aufgeführten Synonyma „Durchführung“ und „Verwirklichung“ des Begriffs „Organisation“. Zwar kommt dem Gesetzeswortlaut besondere Bedeutung zu. Dessen Auslegung darf aber, zumal bei – wie hier im kompetenz-rechtlichen Bereich – spezifisch juristisch geprägten Begriffen, nicht maßgeblich durch Rückgriff auf ein im Duden genanntes Synonym erfolgen, wenn dieses die erforderliche Abgrenzung zu materiell-rechtlichen Regelungen weder leisten soll noch kann.
43Die materiell-rechtliche Qualifizierung von § 5 Abs. 4 AWoV wird auch durch das weitere Vorbringen des beklagten Landes nicht durchgreifend in Frage gestellt. Insbesondere sind entgegen der Auffassung des Landes zu Organisation und Verfahren nicht etwa solche Bestimmungen zu zählen, die der Verordnungsgeber bzw. die zuständige oberste Landesbehörde zur Steuerung des Verfahrens andernfalls auch im Erlasswege durch ermessenslenkende Bestimmungen regeln könnte. Bereits der unterschiedliche Rechtscharakter von Erlassen und Rechtsverordnungen verbietet einen Schluss von einer Erlass-Befugnis auf eine Rechtsverordnungsbefugnis. Denn das Recht zum Erlass einer (Verwaltungs-) Vorschrift beinhaltet nicht etwa denklogisch auch das Recht zum Erlass einer Vorschrift, die – wie eine Rechtsverordnung – in der Normhierarchie einen höheren Rang einnimmt. Der Normzweck des § 12a AufenthG spricht ebenfalls nicht für ein über den Wortlaut hinausgehendes Verständnis des Begriffs des Verwaltungsverfahrens in § 12a Abs. 9 AufenthG. Soweit das Land zur Stützung seiner Argumentation auf eine vom Bundesgesetzgeber beabsichtigte verbesserte Steuerung der Wohnsitznahme von Schutzberechtigten abhebt,
44vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 42 am Ende,
45soll diese im zitierten Kontext gerade durch die bundesrechtliche Neuregelung in § 12a AufenthG, nicht aber durch materiell-rechtliche Vorschriften des Landesrechts erreicht werden. Einem etwaigen Bedürfnis nach ermessenslenkenden Regelungen kann durch den Erlass von Verwaltungsvorschriften Rechnung getragen werden. Dieser ist unbedenklich, solange sich die Verwaltungsvorschriften im Rahmen der gesetzlichen Regelung halten. Soweit das beklagte Land auf dementsprechende Erlasse verschiedener Bundesländer verweist, dürften diese Erlasse Ausdruck der in den jeweiligen Bundesländern gewonnenen Erkenntnis sein, dass ein Erlass inhaltsgleicher Rechtsverordnungen auf der Grundlage von § 12a Abs. 9 AufenthG aus den vorstehenden Gründen gerade nicht zulässig wäre.
46Der damit gegebene Ermessensfehler ist auch nicht etwa unbeachtlich, weil eine sachgerechte Integrationsprognose und Ermessenausübung zwingend zum selben Ergebnis – Wohnsitzverpflichtung für drei Jahre in L. – geführt hätte.
47Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass die – im Hinblick auf § 12a Abs. 3 AufenthG – tatbestandskonkretisierende und ermessenslenkende Vorgabe des § 5 Abs. 4 AWoV auch dann rechtswidrig sein dürfte, wenn sie in Form einer Verwaltungsvorschrift erlassen würde. § 12a Abs. 3 AufenthG enthält nämlich Tatbestandsvoraussetzungen, denen der darauf bezogene Tatbestand des § 5 Abs. 4 AWoV keine Rechnung trägt. Nach § 12a Abs. 3 AufenthG darf die nach Landesrecht zuständige Behörde einen Ausländer nur dann zur Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort verpflichten, wenn dadurch ‑ kumulativ -,
48vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 12a AufenthG Rn. 33,
49die Erreichung der in der Vorschrift genannten Integrationsziele (Versorgung mit angemessenem Wohnraum, Erwerb hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse, Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) erleichtert werden kann. Insoweit bedarf es einer Prognoseentscheidung.
50Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18, 8615, S. 45.
51Diese Prognose hat sich u.a. auf eine vergleichende Betrachtung der integrationsrelevanten Infrastruktur am beabsichtigten Zuweisungsort und an anderen möglichen Aufenthaltsorten im jeweiligen Bundesland zu beziehen, denn nur so kann abgeschätzt werden, ob die Zuweisung die Erreichung der Integrationsziele erleichtern kann.
52Ähnlich VG B. , Beschluss vom 9. Februar 2017 – 9 L 5/17 –, juris Rn. 10.
53Bei diesem Vergleich hat die zuständige Behörde nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 12a Abs. 3 Nr. 3 AufenthG u.a. die örtliche Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Mit örtlichem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt dürfte dabei nicht zwingend nur der der jeweiligen Wohnortgemeinde gemeint sein. Vielmehr kann auf den Einzugsbereich abgestellt werden, der vom Betroffenen mit vertretbarem Aufwand in zeitlicher und finanzieller Hinsicht erreicht werden kann.
54Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 12a AufenthG Rn. 35.
55Schon die gesetzlich vorgegebene Berücksichtigung dieses Parameters wird durch § 5 Abs. 4 AWoV ausgeblendet, so dass offen bleiben kann, was insoweit hinsichtlich der anderen Parameter gilt. Bei der Zuweisung nach § 5 Abs. 4 AWoV wird die Lage am Arbeitsmarkt auch nicht mittelbar über den Integrationsschlüssel nach § 4 AWoV berücksichtigt, in den gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 AWoV auch der Anteil der als arbeitslos gemeldeten erwerbsfähigen Personen an der Bevölkerung der Gemeinde einfließt. Die Zuweisung entsprechend dem Integrationsschlüssel erfolgt nämlich gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 AWoV vorbehaltlich der Absätze 2 bis 6 des § 5 AWoV und damit auch vorbehaltlich der Zuweisung nach § 5 Abs. 4 AWoV. Es kann deshalb offen bleiben, ob eine mittelbare Berücksichtigung der örtlichen Lage am Arbeitsmarkt etwa über den Integrationsschlüssel der bundesrechtlichen Vorgabe in § 12a Abs. 3 Nr. 3 AufenthG genügen würde.
56Es sei ergänzend angemerkt, dass erhebliche rechtliche Bedenken auch gegen § 5 Abs. 7 Satz 3 AWoV bestehen, wonach es bei der Zuweisung nach § 5 Abs. 4 AWoV keiner Anhörung des Ausländers bedarf.
57Vgl. VG Köln, Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2017 – 5 K 1559/17 –, juris Rn. 45 ff. Entsprechende Regelungen sehen die vom Beklagten benannten Vorschriften anderer Bundesländer auch nicht vor.
58Diese Verfahrensregelung bewegt sich zwar im Rahmen der Verordnungsermächtigung in § 12a Abs. 9 AufenthG. § 1 VwVfG NRW lässt auch grundsätzlich landesrechtliche Regelungen zu, die von den Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und damit auch von dem Anhörungsgebot des § 28 VwVfG NRW abweichen. Der Verordnungsgeber, der die Abweichungen im vorliegenden Fall angeordnet hat, ist dabei aber nicht frei von rechtlichen Bindungen.
59Der in § 28 VwVfG NRW niedergelegte Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren beruht nicht auf Art. 103 Abs. 1 GG, der sich lediglich auf Verfahren vor Gericht bezieht. Im Verwaltungsverfahren leitet sich der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ab aus dem rechtsstaatlichen Gebot eines fairen Verfahrens und der Menschenwürde sowie dem verfahrensrechtlichen Gehalt der jeweils betroffenen Grundrechte. Neben dieser subjektiven Schutzfunktion stellt die Anhörung auch ein wirkungsvolles objektivrechtliches Mittel der Sachverhaltsermittlung dar, die nach § 24 Abs. 1 VwVfG NRW von der zuständigen Behörde von Amts wegen vorzunehmen ist.
60Vgl. Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG-Kommentar, 8. Auflage 2014, § 28 VwVfG Rn. 2 ff. m.w.N.
61Bei der Zuweisung nach § 5 Abs. 4 AWoV erfordern sowohl die subjektive Schutzfunktion der Anhörung als auch die gebotene Sachverhaltsaufklärung durch die zuständige Behörde grundsätzlich die Anhörung des betroffenen Ausländers. Die in § 5 Abs. 4 AWoV enthaltene Soll-Vorgabe der Zuweisung in die Gemeinde, in der der Ausländer seinen tatsächlichen Wohnsitz unterhält, gilt entsprechend der allgemeinen Bedeutung von Soll-Regelungen nicht in Ausnahmefällen. Ob ein dementsprechender Ausnahmefall vorliegt, ist deshalb von der Behörde von Amts wegen zu ermitteln. Da die Umstände, die den Ausnahmefall begründen, häufig in der persönlichen Sphäre des Betroffenen liegen, können sie ohne dessen Anhörung oftmals nicht ermittelt werden. Schon zur Sicherstellung einer gesetzmäßigen Handhabung der materiell-rechtlichen Bestimmung des § 5 Abs. 4 AWoV bedarf es deshalb der Anhörung. In gleicher Weise ist diese zur Wahrung der Rechte des Zuweisungsadressaten grundsätzlich unerlässlich. Dieser kann nicht darauf verwiesen werden, etwaige einen Ausnahmefall begründenden Umstände erst im nachgelagerten Verfahren auf Aufhebung der Zuweisung nach § 12a Abs. 5 AufenthG geltend zu machen. Das durch § 12a Abs. 3 AufenthG begründete Erfordernis einer individuellen Ermessensentscheidung gebietet es, die der Behörde bekannten oder erkennbaren Belange des Ausländers von Amts wegen bereits bei der Entscheidung über die Auflagenerteilung zu berücksichtigen und nicht erst in einem nachgelagerten, vom Ausländer einzuleitenden Verfahren auf Streichung oder Änderung einer Auflage.
62Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2008 – 1 C 17.07 –, juris Rn.15. Vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 12a AufenthG Rn. 27, der den Verzicht auf eine Anhörung im Falle des § 5 Abs. 7 Satz 3 AWoV aber wohl für zulässig hält.
63Dies gilt umso mehr, je pauschalierender die Sachverhaltsermittlung von Amts wegen bei der Zuweisung nach § 12a Abs. 3 AufenthG im Übrigen gehandhabt wird.
64Die Rechtmäßigkeit des in § 5 Abs. 7 Satz 3 AWoV gleichfalls vorgesehene Verzichts auf die in § 39 VwVfG NRW grundsätzlich vorgegebene Begründung ist ebenfalls fraglich, zumal das beklagte Land die Zuweisungsentscheidung in seiner Verwaltungspraxis durchaus begründet und deshalb ein Bedürfnis für eine Entbehrlichkeit der Begründung nicht erkennbar ist.
65B) Wie oben ausgeführt weist der Senat für künftige Verfahren vergleichbarer Art darauf hin, dass der Kläger der gesetzlichen Wohnsitzverpflichtung nach § 12a Abs. 1 AufenthG unterliegen dürfte. Es spricht Vieles dafür, dass § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit den einschlägigen unionsrechtlichen Vorgaben in Einklang (I.) steht, so dass kein Anwendungsvorrang des Unionsrechtsrechts gegeben ist.
66Ebenso: BayVGH, Beschluss vom 19. März 2018 – 10 C 17.2591 –, juris Rn. 6 ; Nds.OVG, Beschluss vom 2. August 2017 – 8 ME 90/17 –, juris Rn. 33 ff.; Kluth, Die neue Wohnsitzregelung des Aufenthaltsgesetzes, ZG 2016, 289 ff. Zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 –, juris Rn. 53 ff.
67Ebenso wenig dürfte § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gegen das Grundgesetz (II.) oder gegen Regelungen des Völkerrechts (III.) verstoßen.
68I. Nach der auf das Vorabentscheidungsersuchen des BVerwG,
69BVerwG, Beschluss vom 19. August 2014 – 1 C 1.14 –, juris Rn. 19 ff.,
70ergangenen Rechtsprechung des EuGH zur Zulässigkeit von Wohnsitzauflagen,
71vgl. Urteil vom 1. März 2016 – C-443/14 und C -444/14 –, juris Rn. 22 ff.,
72stellt eine Wohnsitzauflage eine Einschränkung der durch Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU gewährleisteten Freizügigkeit dar. Dies gilt auch dann, wenn sie dieser Person nicht verbietet, sich frei im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zu bewegen und sich dort vorübergehend außerhalb des in der Wohnsitzauflage bezeichneten Orts aufzuhalten. Wohnsitzauflagen müssen sich deshalb zunächst am Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU messen lassen, wonach die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit von Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen zu gestatten haben, wie anderen Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten. Maßgeblich für die Zulässigkeit von Wohnsitzauflagen ist auch die Bestimmung des Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU, der hinsichtlich der Gewährung von Sozialhilfe eine Gleichbehandlung von Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, mit Staatsangehörigen des Mitgliedstaats fordert. Die vorgenannten Artikel stehen deshalb einer Wohnsitzauflage entgegen, die subsidiär Schutzberechtigten im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung dieser Leistungen verbundenen Lasten auf den jeweiligen Träger zu erreichen, wenn eine dementsprechende Regelung nicht vorgesehen ist für Angehörige des Mitgliedstaats und für Drittstaatsangehörige, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufhalten. Nicht entgegen steht Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU aber einer Wohnsitzauflage, die subsidiär Schutzberechtigten im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wird, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens, die Wohnsitzauflage wird mit dem Ziel erteilt, die Integration in den Mitgliedstaat zu erleichtern. Zweitens, der Umstand, dass eine dementsprechende Wohnsitzauflage nicht vorgesehen ist für Drittstaatsangehörige, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufhalten, beruht darauf, dass die Personen mit subsidiärem Schutzstatus sich im Hinblick auf das Integrationsziel in einer mit dem vorgenannten Personenkreis objektiv nicht vergleichbaren Situation in dem Sinne befinden, dass sie in stärkerem Maße mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sein werden. Die Prüfung dieser beiden Voraussetzungen ist Sache der Gerichte des jeweiligen Mitgliedstaats. Von Bedeutung für die Bestimmung des Aussagegehalts der Entscheidungen des EuGH ist auch der Umstand dass der EuGH hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Wohnsitzauflagen aus integrationspolitischen Gründen nicht dem Schlussantrag des Generalanwalts Villalon gefolgt ist. Der Generalanwalt hatte insoweit strengere Voraussetzungen aufgestellt und u.a. gefordert, dass die Gründe hinreichend schwerwiegend seien und an konkrete Sachverhalte anknüpften. Ferner – so der Generalanwalt – dürfe die nationale Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit den Anwendungsbereich der in Rede stehenden Einschränkung nicht ausschließlich auf Personen beschränken, denen internationaler Schutz zuerkannt worden sei. Nicht ausdrücklich aufgegriffen hat der EuGH die dritte, auf die integrationspolitische Zielsetzung von Wohnsitzauflagen bezogene Vorlagefrage des BVerwG insoweit, als diese auch darauf gerichtet war, ob abstrakte migrations- oder integrationspolitische Gründe ausreichten, oder ob solche Gründe konkret festzustellen seien. Diese Frage knüpfte an an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit von Wohnsitzauflagen gegenüber anerkannten Flüchtlingen, die Sozialhilfeleistungen beziehen.
73Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2008 – 1 C 17.07 –, juris Rn. 20 ff.
74Diese Wohnsitzauflagen hatte das Bundesverwaltungsgericht – ebenso wie später der EuGH in der zitierten Entscheidung – für zulässig gehalten, wenn damit z.B. aus migrationspolitischen Gründen eine Gruppe von Ausländern erfasst werden solle, für die ein besonderer Bedarf an Integrationsmaßnahmen gesehen werde.
75Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2008, a.a.O., Rn. 20.
76Dabei hatte das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, abstrakte migrationspolitische Gründe, wie die Eignung von Wohnsitzauflagen zur Vermeidung der Konzentrierung von sozialhilfepflichtigen Ausländern und der Entstehung von sozialen Brennpunkten, reichten nicht aus. In Ausübung des gesetzlich eingeräumten Ermessens müssten die integrationspolitischen Gründe vielmehr beschrieben, mögliche soziale Brennpunkte benannt und die Eignung von Wohnsitzauflagen, einen Beitrag zur Lösung der Probleme zu leisten, jedenfalls in Umrissen angegeben werden, ohne dass die dabei anzuerkennende generelle Einschätzungsprärogative der Verwaltung von dieser Darlegungsverpflichtung berührt werde.
77Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2008, a.a.O., Rn. 23.
78Zulässig sei es allerdings, wenn sich Vorgaben in ermessenslenkenden Erlassen nicht auf einzelne Ausländer, sondern auf Gruppen von Ausländern bezögen, hinsichtlich derer bestimmte Verhaltensweisen zu erwarten oder zu befürchten seien, ohne dass für jeden Einzelfall geprüft werden müsse, ob eine solche Beschränkung gerechtfertigt sei. Bekannte oder erkennbare wesentliche Besonderheiten des Einzelfalls seien aber von Amts wegen zu berücksichtigen.
79Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2008, a.a.O., Rn. 15.
80Der Umstand, dass der EuGH für die Zulässigkeit der Wohnsitzauflage allein abstellt auf das „Ziel…, die Integration…zu erleichtern“, und auf die weitere Frage des Bundesverwaltungsgerichts keine Antwort gibt und dementsprechend auch von weiteren Vorgaben absieht, spricht dafür, dass die Prüfung der Zulässigkeit von Wohnsitzauflagen im Rahmen einer integrationspolitischen Zielsetzung den nationalen Gerichten obliegt. Nach alledem anerkennt der EuGH einen besonderen Gestaltungs- und Steuerungsbedarf hinsichtlich der Integration und beschränkt die Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten nicht von vornherein auf bestimmte Lösungskonzepte.
81Vgl. Kluth, a.a.O., S. 289, 297.
82Auch wenn der EuGH eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht ausdrücklich fordert, ist diese gleichwohl vorzunehmen, da das Gebot der Verhältnismäßigkeit ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts ist,
83vgl. Thym, Ausschussdrucksache 18(11)681, S.124,
84dessen Einhaltung bei der den nationalen Gerichten obliegenden Prüfung der Zulässigkeit von integrationspolitisch motivierten Wohnsitzauflagen besondere Bedeutung zukommt.
85Misst man § 12a Abs. 1 AufenthG an den vom EuGH aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen für Wohnsitzauflagen, so erweist sich die Regelung voraussichtlich als unionsrechtskonform. Ihr liegt zunächst eine integrationspolitische Zielsetzung zu Grunde: Die in § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgegebene Verpflichtung zur Wohnsitznahme in dem Bundesland, in das der Ausländer zur Durchführung seines Asylverfahrens oder im Rahmen seines Aufnahmeverfahrens zugewiesen war, beruht nach der Begründung des Gesetzentwurfs,
86BT-Drs. 18/8615, S.44,
87auf der Überlegung, dass bereits die auf der Grundlage des sog. Königsteiner Schlüssels erfolgende Erstzuweisung zur Durchführung des Asylverfahrens wegen der überwiegenden Gewichtung dieses Verteilungsschlüssels nach Wirtschaftskraft ein wesentliches integrationspolitisches Element enthält. Denn danach seien die für eine gelungene Integration wichtigen Kriterien Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und vorhandene (Bildungs-)Infrastruktur bereits in der Erstzuweisung in dem für den Bund insoweit leistbaren Umfang abgebildet. Auch trage die bundesweite Verteilung auf alle Bundesländer schon als solche dazu bei, integrationshemmenden räumlichen Ballungen entgegenzuwirken. Zudem seien den Ländern im Rahmen der Erstzuweisung jeweils unterschiedliche Gruppen von Staatsangehörigen schwerpunktmäßig zugewiesen. Dadurch werde der Aufbau von Erfahrungswissen bei der Integration verschiedener Volksgruppen begünstigt. Zur Erreichung dieser integrationspolitischen Zielsetzung erweist sich die Regelung des § 12a Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der dem Gesetzgeber zukommenden Einschätzungsprärogative als geeignet. Da der sog. Königsteiner Schlüssel sich zu zwei Dritteln aus dem Steueraufkommen und zu einem Drittel aus der Bevölkerungszahl der Länder zusammensetzt, ist er ein vertretbarer Maßstab auch für die vergleichende Bestimmung der Aufnahmefähigkeit der Bundesländer in integrationspolitischer Hinsicht. Zudem ist der Gedanke nicht fernliegend, dass in den Ländern der asylrechtlichen Zuweisung typischerweise Integrationsansätze bereits stattgefunden haben, deren Fortsetzung durch § 12a Abs. 1 AufenthG gesichert werden kann. Auch mit Blick darauf resultieren keine durchgreifenden Bedenken gegen die integrationspolitische Zielsetzung der Prolongierung der Zuweisung nach dem Königsteiner Schlüssel aus dem Asylverfahren. Zwar soll durch diesen im Asylverfahren allein eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Bundesländern gewährleisten werden.
88Vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2016 – 18 B 767/16 –, juris Rn. 3 .
89Diese begrenzte Zielsetzung erklärt sich aber aus dem Umstand, dass integrationspolitische Überlegungen im Zeitraum vor der Gewährung internationalen Schutzes nur eine untergeordnete Rolle spielen (vgl. u.a. § 44 Abs. 1 AufenthG einerseits und Abs. 4 andererseits). Die Funktion des Königsteiner Schlüssels im Asylverfahren schließt damit keineswegs aus, dass diesem auch Aussagekraft hinsichtlich der Integrationsmöglichkeiten zukommt.
90§ 12a Abs. 1 Satz 1 AuenthG ist dabei im Kontext mit den Regelungen in § 12a Abs. 2 und 3 AufenthG zu sehen, die eine Weiterverteilung innerhalb der Länder ermöglichen und damit dem Befund Rechnung tragen, dass es dieser Weiterverteilung in der Regel bedarf, weil die konkrete Integration insbesondere auf der Ebene der lokalen Gebietskörperschaften stattfindet, die jeweils auch innerhalb eines Bundeslandes über unterschiedliche Infrastruktur und Möglichkeiten des Ausbildungs- und Arbeitsmarktzugangs verfügen.
91Vgl. BT-Drs. 18/8615, S.44.
92Ein zur beabsichtigten Zweckerreichung gleichermaßen geeignetes milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Beschränkte man das Instrumentarium entsprechend § 12a Abs. 4 AufenthG auf die Möglichkeit der Untersagung des Zuzugs in Gebiete mit erhöhtem Segregationsrisiko, so verzichtete man auf eine vorausschauende Planung, die Fehlentwicklungen im Hinblick auf die Entstehung eines Segregationsrisikos bereits zu einem früheren Zeitpunkt entgegenwirkt.
93Mit Blick auf die Befristung der gesetzlichen Wohnsitzauflage auf drei Jahre dürfte die Verhältnismäßigkeit der Bestimmung zu bejahen sein,
94vgl. Kluth, a.a.O., S. 289, 305; Thym, a.a.O., S.
95124,
96die zudem durch die in § 12a Abs. 5 AufenthG vorgesehene Möglichkeit gesichert wird, die Verpflichtung auf Antrag des Ausländers in besonderen Konstellationen aufzuheben. Diese Bestimmung ist mit der Bezugnahme auf den normativ wertausfüllungsbedürftigen Begriff der „Vermeidung einer Härte“ in § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG insbesondere offen für die angemessene Berücksichtigung von Einzelfällen, in denen sich eine Verpflichtung oder Zuweisung nach § 12a Abs. 1 bis 4 AufenthG als unverhältnismäßig erweist. Sofern der zuständigen Behörde ein derartiger Fall z.B. im Rahmen der Anhörung bekannt wird, hat sie dem schon bei der Zuweisung Rechnung zu tragen.
97Die im Hinblick auf die Wohnsitzauflage unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen bzw. subsidiär Schutzberechtigten und sonstigen Drittstaatsangehörigen dürfte durch sachliche Unterschiede gerechtfertigt sein. In der Begründung des Gesetzentwurfs,
98BT-Drs. 18, 8615, S. 43,
99wird nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass schutzbedürftige Drittstaatsangehörige aufgrund ihrer Fluchterlebnisse und Verfolgungsschicksale vor besonderen Herausforderungen stehen, was ihre Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und die Gesellschaft angeht. Anders als beispielsweise Arbeitsmigranten und Familiennachzügler können sie ihre Einreise und ihren Aufenthalt nicht planen und vorbereiten. Auch verfügen sie seltener über berufliche oder persönliche Kontakte zu Menschen, die bereits fest im Bundesgebiet integriert sind. Ihre Voraussetzungen hinsichtlich Sprache, Qualifikation und Motivation unterscheiden sich wesentlich von denen anderer zugewanderter Drittstaatsangehöriger. Teilhabe am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und die Möglichkeit, sich selbst wirtschaftlich zu versorgen, ist deshalb für Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht auf der Gewährung von humanitärem oder internationalem Schutz beruht, in der Regel ungleich schwerer zu erreichen. Drittstaatsangehörige, die nicht zu den oben genannten Schutzbedürftigen zählen, haben sich häufig bereits längere Zeit im Voraus und nicht unter dem Druck von Krieg oder Verfolgung vor ihrer Einreise nach Deutschland mit den hiesigen Bedingungen vertraut gemacht und sich einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz verschafft sowie mit dem Spracherwerb begonnen. Damit haben sie einen signifikanten Integrationsvorsprung gegenüber Menschen, die kurzfristig und ohne die Möglichkeit einer integrationsfördernden Vorbereitung hier Schutz suchen. Zudem können bzw. müssen solche nicht schutzbedürftige Drittstaatsangehörige, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst decken können, in der Regel Deutschland wieder verlassen (§ 5 Absatz 1 Nummer 1 AufenthG). Für diese Personengruppe sind daher integrationsfördernde Maßnahmen nicht zwingend geboten. Soweit gesetzliche Ausnahmen hiervon bestehen, beruhen diese im Wesentlichen auf insbesondere grundrechtlich gebotener Privilegierung zum Beispiel beim Familiennachzug zu minderjährigen Kindern. Diese Vergleichsgruppe kann daher nur in besonderen Fallgestaltungen ihren rechtmäßigen Aufenthalt auch ohne eigenständige Lebensunterhaltssicherung fortsetzen (zum Beispiel Verlängerung des Aufenthalts nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von erheblicher Dauer, etwa nach Erteilung einer Niederlassungserlaubnis). Ein solcher Aufenthalt indiziert aber, dass die davon betroffenen Drittstaatsangehörigen hinreichend in Deutschland integriert sind, sodass sie einer besonderen Integrationsförderung durch eine Wohnsitzregelung nicht mehr bedürfen. Daher wird diese Gruppe auch nicht vom Gesetz erfasst.
100II. § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG verstößt voraussichtlich auch nicht gegen Be-stimmungen des Grundgesetzes. Die Norm beruht als Regelung der Freizügigkeit i.S. der Kompetenzvorschriften auf dem Kompetenztitel aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG. Im Hinblick auf die Grundrechte scheidet Art. 11 GG (Freizügigkeit) als Deutschengrundrecht als Prüfungsmaßstab aus. Der Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit dürfte gerechtfertigt. Insbesondere dürfte § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG aus den vorstehenden Gründen den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen.
101Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Die Wohnsitzregelung nach dem Entwurf des Integrationsgesetzes aus verfassungsrechtlicher Sicht – WD 3-3000 – 157/16 –.
102III. § 12a Abs. 1 AufenthG verstößt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit schließlich auch nicht gegen die völkerrechtlichen Regelungen in Art. 2 des Protokolls Nr. 4 (Prot. Nr. 4) zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 16. September 1963 (BGBl 1968 II S. 423,1109) und in Art. 12 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) vom 19. Dezember 1966 (BGBl 1973 II S. 1533, 1976 II S. 1068). Zwar garantieren diese Regelungen übereinstimmend das Recht der freien Wohnsitzwahl für Personen, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Unterzeichnerstaats aufhalten. Dieses Recht darf aber Einschränkungen unterworfen werden, die – so Art. 2 Abs. 3 des Prot. Nr. 4 zur EMRK – gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind u.a. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung – bzw. – so Art. 12 Abs. 3 IPBPR – gesetzlich vorgesehen und zum Schutz u.a. der öffentlichen Ordnung notwendig sind. Diese im Wesentlichen inhaltsgleichen,
103vgl. BayVGH, Beschluss vom 19. März 2018, a.a.O., juris Rn. 8; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zur Vereinbarkeit der Wohnsitzregelung nach dem Integrationsgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen mit völkerrechtlichen Freizügigkeitsvorgaben – WD 2-3000 – 084/16 –, S. 7,
104Einschränkungsmöglichkeiten dürften hier gegeben sein. Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 2 Abs. 4 des Prot. Nr. 4 zur EMRK,
105EGMR, Urteil vom 23. Februar 2016 ‑ 43494/09 ‑, NLMR 2/2016, 170 ff.,
106muss eine Einschränkung gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt sein. Dabei bedarf es einer Abwägung des Rechts auf freie Wahl des Wohnsitzes gegen die mit der einschränkenden Regelung verfolgten öffentlichen Interessen nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Diese Rechtsprechung zu Abs. 4 ist auch für die Auslegung des Abs. 3 des Art. 2 des Prot. Nr. 4 zur EMRK heranzuziehen. Die Unterschiede im Wortlaut der Regelungen (Abs. 3: „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“; Abs. 4: „in einer demokratischen Gesellschaft durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt“) bedeuten keine erheblichen inhaltlichen Abweichungen, da es auch bei Abs. 3 im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit des Eingriffs maßgeblich auf dessen Verhältnismäßigkeit ankommt.
107Hoppe, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Auflage 2015, Art. 2 ZP IV Rn. 12.
108Insoweit hat das Gericht bei der Prüfung Zurückhaltung zu üben. Der EGMR hat in der zitierten Entscheidung betont, es sei nicht Aufgabe des Gerichtshofs, sich bei der Entscheidung über die geeignetste Politik zur Regulierung des Wohnsitzes an die Stelle der zuständigen Behörden zu setzen. Der Gerichtshof habe nicht zu beurteilen, ob die gerügte Maßnahme die beste Problemlösung darstelle oder ob das gesetzgeberische Ermessen auf andere Weise hätte ausgeübt werden müssen. Der Spielraum des Staates umfasse grundsätzlich sowohl seine Entscheidung, in einem Bereich zu intervenieren, als auch die Regelungen zur Erreichung eines angemessenen Ausgleichs zwischen den widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen. Aufgabe des Gerichtshofs sei es, die Argumente sorgfältig zu untersuchen, die während des Gesetzgebungsverfahrens berücksichtigt worden seien und zu der gesetzgeberischen Entscheidung geführt haben und zu beurteilen, ob ein gerechter Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen geschaffen worden sei. Dieser Prüfungsmaßstab dürfte dem entsprechen, den das Bundesverfassungsgericht bei Wahrung der gebotenen richterlichen Zurückhaltung an die Überprüfung von nationalen Gesetzen anlegt.
109Von diesen Grundsätzen ausgehend spricht Vieles dafür, dass § 12a Abs. 1 AufenthG den Einschränkungsanforderungen der zitierten Bestimmungen genügt, zumal – wie bereits oben ausgeführt – die gesetzliche Wohnsitzauflage auf drei Jahre begrenzt ist und § 12a Abs. 5 AufenthG die Möglichkeit bietet, im Einzelfall bestehenden Besonderheiten unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung zu tragen.
110Vgl. BayVGH, Beschluss vom 19. März 2018, a.a.O., juris Rn. 8; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zur Vereinbarkeit der Wohnsitzregelung nach dem Integrationsgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen mit völkerrechtlichen Freizügigkeitsvorgaben – WD 2-3000 – 084/16 –, S. 7.
111Es kann deshalb offenbleiben, ob – wofür allerdings einiges sprechen dürfte – überhaupt ein Eingriff in das garantierte Recht gegeben ist.
112Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 2014, a.a.O., juris Rn. 16.
113Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
114Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.