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1. Eine Unterlage im Sinne der § 11 Abs. 6 und § 1 Nr. 9 BArchG ist das einzelne, in einer Akte enthaltene Dokument bzw. Schriftstück.
2. Ein Vorgang im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG ist im Geschäftsbereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine Teileinheit der Gesamtakte, nicht die Gesamtakte als Ganzes.
3. Eine Verkürzung der Frist des § 11 Abs. 6 BArchG ist nicht im Ermessensweg möglich (wie BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 A 5.13 -, zur Vorgängervorschrift des § 5 Abs. 8 BArchG a.F.).
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. Juli 2013 wird teilweise geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30. April 2013 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Nutzung der Unterlagen betreffend Alois Brunner unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats hinsichtlich solcher Unterlagen neu zu bescheiden, die bis zum 4. Juli 1988 zur Akte des Bundesamtes für Verfassungsschutz genommen worden sind. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der Kläger. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig voll-streckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen, soweit die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet ist.
Tatbestand:
2Der Kläger ist Journalist und Redakteur der Bild-Zeitung. Am 1. März 2012 und 15. Mai 2012 beantragte er bei der Beklagten Akteneinsicht in und Kopien von bei dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) befindlichen Akten zu verschiedenen Personen, darunter Alois Brunner, einem Mitarbeiter Adolf Eichmanns. Er war u.a. verantwortlich für die Deportation und den Tod von über 120.000 Menschen in nationalsozialistischen Vernichtungslagern.
3Nachdem die Beklagte den Antrag nicht beschied, hat der Kläger am 21. August 2012 Untätigkeitsklage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, er habe nach § 5 Abs. 1 und 8 Bundesarchivgesetz (BArchG) in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung (a.F.) einen Anspruch auf Nutzung der Dokumente. Ausschlussgründe lägen nicht vor. Hinsichtlich der Person von Alois Brunner sei zwar die 30-Jahresfrist nach dem Tod des Betroffenen noch nicht abgelaufen. Bei den Unterlagen handele es sich aber gemäß § 5 Abs. 5 Satz 4 BArchG a.F. um Informationen über eine Person der Zeitgeschichte, so dass die schutzwürdigen Belange des Betroffenen lediglich zu berücksichtigen seien. Alois Brunner sei nach dem Zweiten Weltkrieg Mitarbeiter des BND gewesen; es sei schwer vorstellbar, dass über ihn keine Unterlagen vorhanden seien, die den Zeitraum vor 1982 beträfen.
4Mit Bescheid vom 30. April 2013 lehnte die Beklagte eine Einsichtnahme in Akten zu Alois Brunner ab, da die Voraussetzungen des § 5 Abs. 8 BArchG a.F. nicht vorlägen.
5Der Kläger hat beantragt,
6die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. April 2013 zu verpflichten, ihm die Nutzung in Form von Einsicht in und Herstellung von Kopien aus dem bei der Beklagten befindlichen Archivgut betreffend Alois Brunner zu gestatten,
7hilfsweise die Beklagte zur Neubescheidung des Antrags zu verpflichten.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Das BfV verfüge über keine Unterlagen zur Person des Alois Brunner, die älter als 30 Jahre seien.
11Mit angefochtenem Urteil vom 25. Juli 2013 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Nutzung des Archivguts betreffend Alois Brunner unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:
12Der Kläger habe keinen Anspruch auf Einsicht in und Herstellung von Kopien des fraglichen Archivguts, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorlägen und auch eine Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich einer Verkürzung der Schutzfristen nicht in Betracht komme. Die personenbezogenen Schutzfristen des § 5 Abs. 2 i.V.m. Abs. 8 BArchG a.F. seien noch nicht abgelaufen. Zudem seien bei der Beklagten Unterlagen erst ab dem Zeitraum von 1984 an vorhanden, so dass die 30-jährige Schutzfrist nach § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 8 BArchG a.F. also frühestens ab 2014 auszulaufen beginne. Es bestehe auch kein Anspruch auf Verkürzung der Schutzfristen auf der Grundlage des § 5 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Abs. 8 BArchG a.F. Eine Verkürzung von Schutzfristen komme nicht nur für Unterlagen, die älter als 30 Jahre seien, in Betracht. Durch die Anordnung der entsprechenden Anwendung der Absätze 1 bis 7 in § 5 Abs. 8 BArchG a.F. sei klargestellt, dass auch die Stellen des Bundes denselben Regelungen wie das Bundesarchiv unterworfen seien und sie auch dieselben Befugnisse – etwa zur Verkürzung von Schutzfristen – hätten. Die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf Null lägen indes nicht vor, auch wenn für eine Verkürzung der Schutzfrist spreche, dass Alois Brunner als einer der schlimmsten NS-Verbrecher eine Person der Zeitgeschichte sei, schutzwürdige Belange zu seinen Gunsten nur schwer vorstellbar seien und unter Berücksichtigung der bisher bekannten Einzelheiten zu den Umständen seines jahrzehntelangen Untertauchens ein herausgehobenes Informationsinteresse gegeben sei. Da die Beklagte in ihrem Bescheid jedoch noch gar kein Ermessen hinsichtlich der Verkürzung der Schutzfristen ausgeübt habe, sei sie zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.
13Mit Beschluss vom 10. Oktober 2017 ist auf den Antrag der Beklagten die Berufung zugelassen worden, soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat.
14Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor: Der Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 BArchG in der inzwischen in Kraft getretenen neuen Fassung (n.F.) erfasse – entsprechend der Vorgängernorm des § 5 Abs. 8 BArchG a.F. – nur Unterlagen, die älter seien als 30 Jahre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne die Frist des § 5 Abs. 8 BArchG a.F. bzw. § 11 Abs. 6 BArchG n.F. nicht im Ermessensweg verkürzt werden. Die in diesen Vorschriften normierte entsprechende Anwendung der Bestimmungen über Schutzfristen bzw. ihre Verkürzung komme erst zum Tragen, wenn die Unterlagen in der Verfügungsgewalt der jeweiligen Stelle des Bundes älter als 30 Jahre seien. Die Vorschrift des § 12 Abs. 4 Satz 1 BArchG n.F. habe keine Rechtsänderung zu Gunsten des Klägers bewirkt, denn eine gleichlautende Vorgabe habe bereits § 5 Abs. 5 Satz 6 BArchG a.F. enthalten.
15Die vom Kläger begehrte Nutzung betreffe Unterlagen, die noch nicht älter als 30 Jahre seien. Die 30-Jahresfrist beginne gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 BArchG n.F. mit der „Entstehung der Unterlagen“. Den Begriff der Entstehung definiere § 1 Nr. 5 BArchG n.F. als den Zeitpunkt der letzten inhaltlichen Bearbeitung der Unterlagen eines Vorgangs. Dabei sei zu beachten, dass beim BfV eine sach- bzw. betreffsbezogene Aktenbildung erfolge. Dies führe dazu, dass sich einzelfallbezogene Vorgänge nur in Ausnahmefällen abgrenzen ließen, was einer Unterteilung der Akteninhalte entgegenstehe. Abzustellen sei für den Entstehungszeitpunkt daher auf die letzte inhaltliche Bearbeitung der Gesamtakte. Die Sammlungs- und Auswertungsaufgabe des BfV unterscheide sich von der Arbeit anderer Behörden dadurch, dass sich nicht einzelne Vorgänge, an deren Ende etwa eine Verwaltungsentscheidung stehe, definieren ließen. Die „Geschäftsvorfälle“ des BfV seien vielmehr frühestens dann abgeschlossen, wenn die Gründe für die Beobachtung entfallen seien. Das Wesen der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des BfV ermögliche es daher auch nicht, etwa innerhalb einer Personenakte einzelne „Geschäftsvorfälle“ zu identifizieren, die als Teileinheit einer Akte bearbeitet, abgeschlossen und sodann als „erledigt“ zur Akte verfügt worden seien. Denn auch wenn einzelne Erkenntnisse zu den Akten genommen würden, werde die Gesamtakte zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt dadurch ergänzt und bleibe eine in ihrer Gesamtheit weiter zu bearbeitende und daher weiter der substanziellen inhaltlichen Bearbeitung unterliegende Informationssammlung im Sinne der Aufgabenwahrnehmung des BfV. Auch der Gesetzgeber gehe von einer vorgangsbezogenen Aktenführung beim BfV aus. In der Begründung des Entwurfs zur Neufassung des Bundesverfassungsschutzgesetzes werde erklärt, dass aus Gründen der Aktenvollständigkeit eine Akte erst dann vernichtet werden könne, wenn die jeweilige Akte insgesamt nicht mehr zur Aufgabenerfüllung erforderlich sei. Akten, die zu vernichten bzw. zu löschen seien, seien an das Bundesarchiv zu übergeben. Hieraus folge, dass eine Akte des BfV insgesamt erst dann an das Bundesarchiv übergeben werden könne, wenn der Beobachtungsgrund entfalle. Es wäre auch sinnwidrig, Informationen über eine Person bzw. Organisation, die über Jahre beobachtet werde, teilweise zu vernichten bzw. an das Bundesarchiv zu übergeben, während andere Informationen zu dieser Person bzw. Organisation noch Gegenstand der nachrichtendienstlichen Bearbeitung seien. Die letzte inhaltliche Bearbeitung der streitgegenständlichen Akte sei 1998 erfolgt, so dass ihre Schutzfrist erst 2028 ende.
16Auf das Vorhandensein von Ausschlussgründen komme es damit nicht an. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehe allerdings § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG n.F. nicht nur der Anbietungspflicht, sondern auch dem Nutzungsanspruch nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG n.F. entgegen.
17Die Beklagte beantragt,
18das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
19Der Kläger beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Zur Begründung trägt er vor: Nach dem Vortrag der Beklagten gebe es Unterlagen, die älter als 30 Jahre seien. Die Beklagte behaupte, Unterlagen seien bei ihr (erst) ab 1984 vorhanden. Auf Unterlagen, die zwischen 1984 und 1987 entstanden seien, sei aber der Nutzungsanspruch anwendbar. Sie seien im Sinne des Bundesarchivgesetzes vor mehr als 30 Jahren entstanden. Die kleinste Sammlung von zusammengehörenden Dokumenten im Sinne der Registraturrichtlinie bestehe angesichts der Aktenführung der Beklagten aus wenigen Seiten. Dies entspreche auch Sinn und Zweck der Registraturrichtlinie, die ein transparentes Verwaltungshandeln sicherstellen wolle. Sie gelte auch für das BfV. Die Beklagte stelle auf die letzte inhaltlich substanzielle Bearbeitung ab, führe aber nicht aus, worin diese bestanden haben solle. Es werde bestritten, dass es 1998 wirklich zu einer substanziellen Bearbeitung gekommen sei. Es werde beantragt, dass das Gericht Einsicht in die Verfahrensakte nehme, um die Behauptung zu überprüfen. Im Übrigen sei es sicherlich falsch, dass die Unterlagen erst ab 1984 datierten. Es werde beantragt, dass das Gericht der Beklagten per verfahrensleitender Anordnung nach § 87b Abs. 2 VwGO aufgebe, eine Aufstellung der Unterlagen vorzulegen. Es werde weiter beantragt, dass das Gericht per Beweisbeschluss die Akten der Beklagten zu Alois Brunner beiziehe, um die Behauptung zu überprüfen, dass die Unterlagen erst 1984 begönnen. Dieser Vortrag sei angesichts der Rolle Brunners im Nationalsozialismus und nach 1945 unglaubwürdig.
22Es bestehe zudem ein Anspruch auf Verkürzung der Schutzfristen nach § 11 Abs. 6 BArchG n.F. i.V.m. § 12 Abs. 1 BArchG n.F. Die Rechtslage habe sich durch Erlass des neuen Bundesarchivgesetzes 2017 zu Gunsten des Klägers verändert. Denn § 12 Abs. 4 BArchG n.F. fordere, dass bei der Verkürzung einer Sperrfrist die abgebende öffentliche Stelle des Bundes dem zustimmen müsse. Es wäre dann aber widersinnig, wenn die abgebende Stelle in dem Fall, dass die Unterlagen sich noch bei ihr befinden, nicht selbst über eine Verkürzung befinden könnte und ein Antrag auf Verkürzung der Sperrfrist nicht möglich wäre. Dabei sei das Ermessen dahingehend gebunden, dass dem Antrag auf Verkürzung der Schutzfristen stattzugeben sei, da dies im öffentlichen Interesse liege. Zudem sei die an die Geburt anknüpfende Sperrfrist, die nach § 11 Abs. 2 BArchG n.F. nunmehr 100 Jahre betrage, bereits abgelaufen, weil Brunner am 12. April 1912 geboren wurde. Ein Ausschluss nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG n.F. komme nicht in Betracht und werde von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.
23Wegen der weiteren Einzelheiten Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte verwiesen.
24E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
25A. Gegenstand der Berufung der Beklagten ist allein ihre Verpflichtung zur Neubescheidung des geltend gemachten Nutzungsanspruchs des Klägers betreffend Unterlagen zu Alois Brunner. Der Neubescheidungsausspruch des Verwaltungsgerichts erfasst dabei in zeitlicher Hinsicht nur Unterlagen, die ab dem Januar 1984 entstanden sind. Einen (gebundenen) Anspruch auf Nutzung von Unterlagen hat das Verwaltungsgericht u.a. mit der Begründung abgelehnt, Unterlagen aus der Zeit vor 1984 seien beim BfV nicht vorhanden. Die – tragend auch auf dieser tatsächlichen Feststellung beruhende – teilweise Klageabweisung des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig geworden. Die Beteiligten – und der Senat – sind nach § 121 Nr. 1 VwGO an sie gebunden. Demgemäß sind vom Neubescheidungsanspruch, den das Verwaltungsgericht bejaht hat und der Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, allein Akten ab dem Jahr 1984 erfasst.
26B. Die solchermaßen in ihrer Reichweite eingegrenzte Berufung ist begründet, soweit das Verwaltungsgericht die Beklagte dazu verpflichtet hat, den Antrag auf Nutzung von Unterlagen (auch) für solche Unterlagen zu Alois Brunner neu zu bescheiden, die im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat,
27vgl. insoweit allgemein etwa BVerwG, Urteil vom 3. November 1987 - 9 C 254.86 -, juris Rn. 8; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 113 Rn. 102; speziell zu einem archivrechtlichen Nutzungsanspruch siehe BVerwG, Beschlüsse vom 25. September 2017 - 6 A 4.15 -, juris Rn. 2, und vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 -, juris Rn. 2,
28noch nicht älter als 30 Jahre sind, d.h. nach dem 4. Juli 1988 zur Akte des BfV genommen wurden (II.). Im Hinblick auf bis zu diesem Datum zur Akte genommene Unterlagen ist die Berufung hingegen unbegründet (I.).
29I. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über die Nutzung von Unterlagen, die bis zum 4. Juli 1988 (einschließlich) zur Akte des BfV genommen worden sind (dazu 1.), unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (dazu 2.) erneut entscheidet.
30Nach § 11 Abs. 6 BArchG n.F. sind auf die Nutzung von Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind und noch der Verfügungsgewalt der öffentlichen Stellen des Bundes unterliegen, § 11 Abs. 1 bis 5 und die § 10, § 12 und § 13 BArchG n.F. entsprechend anzuwenden. Ein Nutzungsanspruch folgt aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG n.F. Aus der Verweisung des § 11 Abs. 6 BArchG n.F. ergibt sich dabei auch die Anwendbarkeit der Regelungen über Schutzfristen für Archivgut, vgl. § 11 BArchG n.F.
311. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 6 BArchG n.F. sind für die Unterlagen gegeben, die vor mehr als 30 Jahren, mithin bis zum 4. Juli 1988 zur Akte des BfV genommen worden sind. Solche Unterlagen sind auch beim BfV vorhanden, denn nach den Angaben der Beklagten enthält die Alois Brunner betreffende Akte Unterlagen ab dem Jahr 1984.
32a) Eine Unterlage i.S.d. § 11 Abs. 6 BArchG n.F. ist dabei das einzelne, in einer Akte enthaltene Dokument bzw. Schriftstück. Dies ergibt sich bereits aus § 1 Nr. 9 BArchG n.F., der als Unterlagen „Aufzeichnungen jeder Art, unabhängig von der Art ihrer Speicherung“ definiert. Unterlage ist demnach die einzelne Aufzeichnung, nicht eine Sammlung von Aufzeichnungen in Form einer Akte o.ä. Dieses Begriffsverständnis deckt sich auch mit der Definition der Unterlagen in § 2 Abs. 8 BArchG a.F. Hierzu gehörten Akten, Schriftstücke, Karten, Pläne sowie Träger von Daten-, Bild-, Film-, Ton- und sonstigen Aufzeichnungen. Während unter „Akten“ eine in der Verwaltung bewusst formierte Sachgesamtheit von Schriftstücken zu verstehen war, sollte die zusätzliche Nennung von „Schriftstücken“ klarstellen, dass auch Teile einer solchen Sachgesamtheit der Anbietungspflicht unterlagen.
33Vgl. Becker/Oldenhage, BArchG, 2007, § 2 Rn. 66.
34Dass der Gesetzgeber an diesem auf das einzelne Schriftstück abstellenden Begriffsverständnis etwas ändern wollte, ist nicht ersichtlich. Der Verzicht auf eine § 2 Abs. 8 BArchG a.F. entsprechende Aufzählung im neuen Bundesarchivgesetz erfolgte nach der Gesetzbegründung vor allem, um für neue Informationsträger offen zu sein.
35Vgl. BT-Drs. 18/9633, S. 44 f.
36b) Älter als 30 Jahre sind zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung alle Unterlagen, die zu Vorgängen gehören, die bis zum 4. Juli 1988 zur Akte des BfV genommen wurden.
37Ausgangspunkt für die Berechnung des Alters einer Unterlage ist der Zeitpunkt ihrer Entstehung. Dies ist nach § 1 Nr. 5 BArchG n.F. der Zeitpunkt der letzten inhaltlichen Bearbeitung der Unterlagen eines Vorgangs. Maßgebend ist damit die letzte inhaltlich substanzielle Bearbeitung eines Vorgangs.
38Vgl. BT-Drs. 18/9633, S. 43.
39aa) Ein Vorgang ist dabei nach § 3 der Registraturrichtlinie (Registraturrichtlinie für das Bearbeiten und Verwalten von Schriftgut in Bundesministerien), auf die die Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang Bezug nimmt, die kleinste Sammlung von zusammengehörenden Dokumenten aus der Bearbeitung eines Geschäftsvorfalls; es handelt sich um die Teileinheit einer Akte. Ein Geschäftsvorfall ist die kleinste Bearbeitungseinheit im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung. Aus der Bearbeitung des Geschäftsvorfalls entsteht der Vorgang.
40Dies zugrunde gelegt, ist als „Vorgang“ i.S.d. § 1 Nr. 5 BArchG n.F. im Geschäftsbereich des BfV nicht die Gesamtakte als Abbild der gesamten, unter Umständen jahrzehntelangen Beobachtungstätigkeit betreffend ein Beobachtungsobjekt zu verstehen. Dies liefe den Begriffsdefinitionen der Registraturrichtlinie zuwider, die der Gesetzgeber – ungeachtet der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie auf das BfV – seinem Verständnis des § 1 Nr. 5 BArchG n.F. zu Grunde gelegt hat. Es ist – wie auch die Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergeben hat – möglich, bei den vom BfV geführten Akten Vorgänge i.S.d. § 1 Nr. 5 BArchG n.F. zu identifizieren, die kleinere Teileinheiten bilden als die Gesamtakte. So kann als ein Geschäftsvorfall als kleinste Bearbeitungseinheit der Aufgabenwahrnehmung etwa der Erhalt einer Quellenmitteilung oder eine Presseberichts identifiziert werden; dieser Bericht wäre eine Unterlage. Ihre Bearbeitung führt zur Entstehung eines Vorgangs. Bei diesem Verständnis kommt es auch nicht darauf an, ob mehrere Schriftstücke bzw. Vorgänge sinnvollerweise zu weiteren – größeren – Einheiten zusammengefasst werden können. Insbesondere ist es unerheblich, dass in der hier streitgegenständlichen Personenakte nach den Angaben des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung die sogenannten Hochzahlakten, die zusammenhängende Themenbereiche kennzeichnen, fehlen. Dies bedeutet gerade nicht, dass nicht sinnvoll kleinere Einheiten als die Gesamtakte identifiziert werden könnten. Die einzelnen Schriftstücke (= Unterlagen) sind nicht nur per se als solche erkennbar, sondern nach den Angaben des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch einzeln mit chronologisch vergebenen Aktenzeichen versehen.
41Die in der mündlichen Verhandlung von Beklagtenseite angesprochene Frage, ob die Einsicht in Unterlagen zu laufenden Beobachtungen den Zweck der Beobachtung gefährden könnte, ist eine solche materieller Geheimhaltungsinteressen, deren Berücksichtigung etwa § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 BArchG n.F. ermöglicht, nicht aber des Unterlagen- bzw. Vorgangsbegriffs.
42Damit ist als Entstehungszeitpunkt i.S.d. § 1 Nr. 5 BArchG n.F. nicht die letzte inhaltliche Bearbeitung der Gesamtakte anzusehen; vielmehr ist die Entstehung und damit auch das Alter für jede Unterlage, die in einer Gesamtakte enthalten ist, gesondert festzustellen. Dies entspricht auch der Spruchpraxis des Bundesverwaltungsgerichts bei Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes.
43Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 ‑ 6 A 1.15 -, juris Rn. 20 und 24.
44Auch die Art der Aktenführung im BfV, bei der nach den Darlegungen der Beklagten – zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – über einen gegebenenfalls jahrzehntelangen Zeitraum Informationen zu einem Beobachtungsobjekt zusammengefasst werden, zwingt nicht dazu, das Alter der Gesamtakte zum Anknüpfungspunkt der 30jährigen Frist des § 11 Abs. 6 BArchG n.F. zu machen. Zwar mag es sinnwidrig sein, wie die Beklagte vorträgt, einzelne ältere Unterlagen auszusondern und zu vernichten oder an das Bundesarchiv abzugeben, wenn andere Informationen zum jeweiligen Beobachtungsobjekt noch Gegenstand der nachrichtendienstlichen Bearbeitung sind. Diese Gefahr besteht jedoch auch bei dem obigen Verständnis des Vorgangs nicht. Im Hinblick auf die Anbietungspflicht der öffentlichen Stellen des Bundes trägt § 5 Abs. 1 Satz 1 BArchG n.F. dem Bedürfnis, die Vollständigkeit der Akten zu erhalten, dadurch Rechnung, dass eine Anbietung von Unterlagen nur dann in Betracht kommt, wenn diese zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben einschließlich der Wahrung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nicht mehr benötigt werden (Nr. 1) und wenn der Behörde ihre weitere Aufbewahrung nicht durch besondere Rechtsvorschriften gestattet ist (Nr. 2.). Der Gesetzgeber hat aber darauf verzichtet, ein entsprechendes Erfordernis in die Voraussetzungen des Nutzungsanspruchs nach § 11 Abs. 6 BArchG i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG n.F. zu integrieren. Damit kann es zu der Situation kommen, dass Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind, in der Behörde noch benötigt werden und daher dem Bundesarchiv nicht anzubieten sind, sie aber dennoch dem Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG n.F. unterliegen. Dies ist auch kein Widerspruch. Das Bedürfnis der Aktenvollständigkeit kommt beim Nutzungsanspruch nicht in gleicher Weise wie bei der Anbietungspflicht zum Tragen, denn die Behörde bleibt im Besitz der Unterlagen und kann über sie verfügen. Deshalb kann auch nicht argumentiert werden, die Gesetzesbegründung zum Bundesverfassungsschutzgesetz gehe davon aus, dass aus Gründen der Aktenvollständigkeit dem Bundesarchiv nur Gesamtakten angeboten oder vernichtet werden sollen.
45Vgl. BT-Drs. 18/4654 S. 29 f.,
46Ein Gleichlauf der Voraussetzungen der Anbietungspflicht und des Nutzungsanspruchs ist nach dem gerade Gesagten nicht erforderlich.
47Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass das Bundesverwaltungsgericht einen Gleichlauf zwischen Anbietungs- und Nutzungsvoraussetzungen im Fall des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG n.F. bejaht.
48Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 ‑ 6 A 1.15 -, juris Rn 3 ff.
49Nach dieser Vorschrift sind Unterlagen der Nachrichtendienste (nur) anzubieten, wenn sie deren Verfügungsberechtigung unterliegen und zwingende Gründe des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes sowie der Schutz der Identität der bei ihnen beschäftigten Personen einer Abgabe nicht entgegenstehen. Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG n.F. soll sicherstellen, dass als hochgradig geheimschutzbedürftig zu qualifizierende Unterlagen überhaupt nicht mehr, also auch nicht in eingeschränkter Form zur Verfügung gestellt werden müssen. Dem entspricht es, nicht nur die Anbietung, sondern auch die Nutzung entsprechend einzuschränken.
50So BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 -, juris Rn. 7.
51Im Hinblick auf die Voraussetzung der Anbietungspflicht, dass die Unterlagen bei der abgebenden Stelle nicht mehr benötigt werden, besteht ein derartiges Bedürfnis jedoch wie gesagt nicht; die Interessenlage ist insoweit nicht vergleichbar.
52bb) Im Anschluss daran ist im vorliegenden Fall als letzte inhaltliche Bearbeitung eines Vorgangs der Zeitpunkt zu verstehen, in dem eine Unterlage zur (Personen-)Akte des Alois Brunner genommen wurde, ohne dass weitere Bearbeitungsschritte beabsichtigt waren. Damit wurde der durch den Eingang eines Schriftstücks, etwa eines Presseberichts oder einer Quellenmeldung, ausgelöste Geschäftsvorfall abschließend bearbeitet, der Vorgang insoweit abgeschlossen. Die Vertreter der Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass im Fall der hier streitgegenständlichen Unterlagen die Bearbeitung eines eingehenden Schriftstücks regelmäßig in der Weise erfolgte, dass vom zuständigen Sachbearbeiter geprüft wurde, ob die Unterlage neue Erkenntnisse enthielt, um sie dann gegebenenfalls zur Akte zu nehmen. Diese Prüfung der eingegangenen Dokumente und gegebenenfalls Aufnahme in die Personenakte ist auch angesichts der Aufgabe des BfV nach § 3 BVerfSchG, dem Sammeln und Auswerten von Informationen, als inhaltliche Bearbeitung i.S.d. § 1 Nr. 5 BArchG n.F. zu verstehen. Auch die Registraturrichtlinie geht davon aus, dass durch die Verfügung „zdA“ der Vorgang abgeschlossen wird (vgl. Anlage 1 zur Registratur-richtlinie). Die Unterlage ist damit in dem Augenblick im Sinne des Archivrechts entstanden, in dem sie Teil der in der Akte enthaltenen Informationssammlung geworden ist. Eine spätere erneute Befassung mit dem entsprechenden Dokument – etwa eine Auswertung im Hinblick auf neu eingegangene Erkenntnisse – aktualisiert den Entstehungszeitpunkt der Unterlage nicht; die Unterlage kann denklogisch nur einmal entstehen.
53Da danach der Zeitpunkt der letztmaligen inhaltlichen Bearbeitung der Gesamtakte nicht entscheidungserheblich ist, kommt es auf die Frage, ob diese im Jahr 1998 oder im Jahr 2001 stattgefunden hat, nicht an. Eine Beweiserhebung hierzu ist daher nicht angezeigt.
54c) Ablehnungsgründe sind von der Beklagten weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung substantiiert geltend gemacht worden. Angesichts des seit der letzten Bearbeitung von Vorgängen in der Akte zu Alois Brunner im Jahr 1998 oder auch im Jahr 2001 verstrichenen Zeitraums spricht auch nichts Belastbares für ein Eingreifen der Ausschlussgründe nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG n.F. bzw. § 13 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 6 BArchG n.F.
552. Im Rahmen des Berufungsverfahrens ist damit für Unterlagen, die vor mehr als 30 Jahren, mithin bis zum 4. Juli 1988 (einschließlich) entstanden sind, ein Anspruch des Klägers auf Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats festzustellen.
56Sind nach dem Gesagten die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 6 BArchG n.F. für einen Teil der Unterlagen – nämlich diejenigen, die bis zum 4. Juli 1988 (einschließlich) zur Akte genommen wurden – erfüllt, sind auf diese die Vorschriften über den Nutzungsanspruch nach § 10 Abs. 1 BArchG n.F. und über die Schutzfristen sowie deren Verkürzung nach § 11 Abs. 1 und 2 sowie § 12 Abs. 1 und 2 BArchG n.F. anzuwenden.
57Dabei wird die Beklagte bei der Neubescheidung zugrunde zu legen haben, dass nach neuer, hier maßgeblicher Rechtslage die an das Geburtsjahr anknüpfende Schutzfrist des § 11 Abs. 2 Satz 2 BArchG n.F. nur noch 100 Jahre beträgt. Diese ist für Alois Brunner, der am 12. April 1912 geboren wurde, bereits abgelaufen.
58Trotz des Ablaufs dieser Schutzfrist kann der Senat allerdings im Rahmen der von der Beklagten eingelegten Berufung nicht auf einen gebundenen Anspruch erkennen. Nach § 128 Satz 1 VwGO wird der Prüfungsumfang des Oberverwaltungsgerichts durch den Berufungsantrag bestimmt. Gemäß § 129 VwGO darf das Urteil des Verwaltungsgerichts nur so weit geändert werden, als eine Änderung beantragt ist. Eine reformatio in peius zu Lasten des Berufungsführers ist ausgeschlossen.
59Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2009 - 10 B 16.09 -, juris Rn. 2 f.; Blanke, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 129 Rn. 1 und 4; Roth, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Auflage 2014, § 129 Rn. 5.
60Angegriffen ist durch die von der Beklagten eingelegte Berufung – wie oben bereits angesprochen – allein die Verpflichtung zur Neubescheidung, so dass allein diese (teilweise) aufgehoben werden kann, für eine die rechtliche Situation der Beklagten verschlechternde Entscheidung aber kein Raum ist.
61Dieser Befund ändert aber nichts daran, dass der Senat die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung seiner Rechtsauffassung verpflichten kann. Zwar spricht Einiges dafür, dass die Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts grundsätzlich nur in Betracht kommt, wenn dessen Rechtsauffassung für den Rechtsmittelführer günstiger ist als diejenige des Verwaltungsgerichts.
62Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 6 B 47.06 -, juris Rn. 16, Urteil vom 3. November 1994 ‑ 3 C 30.93 -, juris Rn. 31; Happ, in: Eyermann/Fröhler, VwGO, 14. Auflage 2014, Vor § 124 Rn. 42.
63Dass dies hier der Fall ist, ist zweifelhaft, weil das Verwaltungsgericht unter Geltung des Bundesarchivgesetzes alter Fassung von einer im Ermessen stehenden Entscheidung über die Verkürzung der persönlichen Schutzfrist ausgegangen ist, während der Senat angesichts des hier zugrunde zu legenden neuen Bundesarchivrechts von einem Ablauf der persönlichen Schutzfrist ausgeht. Eine Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts kommt aber ohnehin nicht mehr in Betracht, da die Beklagte angesichts der Änderung der Rechtslage durch Einführung des § 11 Abs. 2 Satz 2 BArchG n.F. zum 16. März 2017 nicht mehr an die Auffassung des Verwaltungsgerichts zur Abkürzung der personenbezogenen Schutzfristen gebunden ist. Die Bindung an die einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil zugrundeliegende Rechtsauffassung entfällt nämlich dann, wenn sich die entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtslage – wie hier – nachträglich geändert hat.
64Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 2014 - 10 B 25.13 -, juris Rn. 3, Urteile vom 1. März 2012 - 10 C 8.11 -, juris Rn. 10, und vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 -, juris Rn. 14 mit weiteren Nachweisen.
65II. Soweit das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, den Antrag des Klägers auf Aktennutzung auch hinsichtlich solcher Unterlagen erneut zu bescheiden, die ab dem 5. Juli 1988 zur Akte des BfV genommen wurden, ist die Berufung begründet.
661. Ein Anspruch des Klägers auf Ermessensentscheidung nach §§ 11 Abs. 6, 12 Abs. 1 und 2 BArchG n.F. besteht insoweit nicht.
67§ 11 Abs. 6 BArchG n.F. erfasst Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind. Dies sind im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat alle Unterlagen, die bis zum 4. Juli 1998 zur Akte betreffend Alois Brunner genommen wurden (s.o.). Unterlagen jüngeren Entstehungsdatums fallen nicht in den Anwendungsbereich der Norm.
68Eine Verkürzung der Frist des § 11 Abs. 6 BArchG n.F. ist nicht im Ermessensweg möglich. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. November 2013 - 6 A 5.13 -, juris Rn. 17 f., zu der im Wesentlichen gleichlautenden Vorschrift des § 5 Abs. 8 BArchG a.F. entschieden:
69„Die Frist von 30 Jahren in § 5 Abs. 8 BArchG kann nicht verkürzt werden. Die Vorschriften insbesondere der Absätze 2 und 5 des § 5 BArchG sind nach dem eindeutigen, weder auslegungsfähigen noch auslegungsbedürftigen Wortlaut des § 5 Abs. 8 Satz 1 BArchG auf die dort normierte Frist nicht anwendbar. Ihre Anwendbarkeit hängt vielmehr umgekehrt vom Ablauf dieser Frist ab. Die Absätze 1 bis 7 des § 5 BArchG sind mit allen ihren Regelungen erst anwendbar, wenn die Unterlagen in der Verfügungsgewalt der Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 BArchG älter als 30 Jahre sind. Erst nach Ablauf von 30 Jahren werden Unterlagen, über die noch die Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 BArchG verfügt, dem Archivgut gleichgestellt und entstehen archivrechtliche Nutzungsansprüche für diese Unterlagen. Soweit zu diesem Zeitpunkt noch Schutzfristen im Sinne der § 5 Abs. 1 bis 5 BArchG bestehen, kommt die Verkürzung (oder Verlängerung) dieser Fristen in Betracht. Die entsprechende Anwendung nach § 5 Abs. 8 Satz 1 BArchG bezieht sich mithin auf die Schutzfristen nach den Absätzen 1 bis 7 und auf deren Verkürzung oder Verlängerung, nicht hingegen auf die Frist in § 5 Abs. 8 Satz 1 BArchG. Das Bundesarchivgesetz enthält keine Frist, nach deren Ablauf die in § 2 Abs. 1 genannten Stellen verpflichtet wären, ihre Akten dem Bundesarchiv als Archivgut anzudienen, mit der weiteren Folge, dass ihre Benutzung dann jedermann offenstünde. Damit sollte den vielfältigen und unterschiedlichen Belangen der aktenführenden und potentiell ablieferungspflichtigen Stellen an einer weiteren eigenen Nutzung der Akten Rechnung getragen werden. Diese Interessen und Belange hat der Gesetzgeber mit der Frist von 30 Jahren zwar begrenzt, indem vom Ablauf dieser Frist an auch die aktenführende Stelle archivrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt ist; dadurch wird zugleich darauf hingewirkt, dass sie für sie entbehrliche Akten auch tatsächlich dem Bundesarchiv andient. Bis zum Ablauf dieser Frist hat der Gesetzgeber aber die eigenen Nutzungsinteressen der aktenführenden Stelle in einer pauschalierenden Weise berücksichtigt wissen wollen und deshalb bewusst von der Möglichkeit abgesehen, eine Verkürzung der Frist für die Anwendbarkeit archivrechtlicher Benutzungsregelungen nach Maßgabe einer auf den Einzelfall bezogenen Interessenabwägung zuzulassen.“
70Der Senat macht sich diese Auffassung zu eigen und überträgt sie auf § 11 Abs. 6 BArchG n.F. Die Regelung in § 12 Abs. 4 BArchG n.F. gebietet keine abweichende Bewertung. Eine entsprechende Bestimmung war auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in § 5 Abs. 5 Satz 6 BArchG a.F. enthalten, ohne dass dies etwas an der oben referierten Interpretation geändert hat.
712. Ein Neubescheidungsanspruch des Klägers betreffend Akten, die nicht älter als 30 Jahre sind, lässt sich auch nicht auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 10 EMRK oder Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG stützen.
72a) Der presserechtliche Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und aus dem in der Eigenschaft als Pressevertreter geltend gemachten Art. 10 EMRK ist ein gegenüber dem archivrechtlichen Anspruch eigenständiger Streitgegenstand, der vom Kläger nicht in das Rechtsmittelverfahren der Beklagten eingeführt werden kann.
73Vgl. zum parallel zu bewertenden Verhältnis zwischen einem Anspruch nach dem IFG und dem presserechtlichen Auskunftsanspruch: BVerwG, Beschlüsse vom 22. März 2018 - 7 C 1.17 -, juris Rn. 13, und vom 3. Mai 2016 - 7 C 7.15 -, juris Rn. 3 ff.
74Zudem gewährleistet das Grundrecht der Pressefreiheit grundsätzlich nicht eine Aktennutzung durch Einsichtnahme in Behördenakten oder eine Kopie von Behördenakten.
75Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 A 5.13 -, juris Rn. 24; siehe dazu auch OVG NRW, Beschlüsse vom 29. September 2017 - 15 B 778/17 ‑, juris Rn. 50, und vom 17. März 2017 ‑ 15 B 1112/15 ‑, juris Rn. 65.
76Dies kann lediglich ausnahmsweise in Konstellationen der Fall sein, in denen eine hinreichend konkrete Frage sachgemäß nur durch die Gewährung von Akteneinsicht beantwortet werden kann, weil nur auf diese Weise vollständige und wahrheitsgemäße Sachverhaltskenntnis vermittelt werden kann.
77Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. September 2017 - 15 B 778/17 -, juris Rn. 52, und vom 17. März 2017 - 15 B 1112/15 -, juris Rn. 70; VG Cottbus, Beschluss vom 19. September 2013 - 1 L 219/13 -, juris Rn. 25; Burkhardt, in: Löffler, Presserecht, 6. Aufl. 2015, § 4 LPG Rn. 87; Soehring, in: Soehring/Hoene, Presserecht, 5. Aufl. 2013, § 4 Rn. 22b; siehe insoweit auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. September 2015 - 1 BvR 857/15 -, juris Rn. 18 f.
78Voraussetzung hierfür ist aber dennoch zunächst, dass es sich nach Lage der Dinge noch um ein zulässiges Auskunftsbegehren handelt,
79vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 29. September 2017 - 15 B 778/17 -, juris Rn. 59, und vom 17. März 2017 - 15 B 1112/15 -, juris Rn. 72.
80was hier bereits deshalb nicht der Fall ist, weil der Kläger keine konkrete Frage gestellt hat.
81b) Der Kläger kann auch aus der Wissenschaftsfreiheit keinen Anspruch auf Neubescheidung seines Nutzungsantrags herleiten. Ihm geht es weder um die Abwehr eines Eingriffs in die Wissenschaftsfreiheit noch um die Teilhabe am staatlichen Wissenschaftsbetrieb. Aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG lässt sich kein Anspruch auf Unterstützung journalistischer Recherchearbeiten durch Gewährung von Akteneinsicht ableiten.
82Vgl. insoweit BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 1986 - 1 BvR 1352/85 -, juris Rn. 7; BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 A 5.13 -, juris Rn. 26; OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 2018 - 15 A 25/17 -.
83III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie berücksichtigt zum einen, dass der Kläger im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils mangels Verkürzbarkeit der Schutzfrist vollständig unterlegen wäre, zum anderen das Verhältnis, in dem die Beteiligten im Berufungsverfahren obsiegt haben bzw. unterlegen sind.
84Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
85Soweit die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet ist, lässt der Senat die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Im Übrigen liegt keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vor.