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Die verfassungsrechtliche Fundierung des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes hat zur Konsequenz, dass auch Veränderungen der Kräftekonstellationen in der Zusammensetzung des Gemeinderates während der Wahlperiode grundsätzlich durch eine Anpassung der Ausschussbesetzungen nachvollzogen werden müssen, wenn sie wesentlich sind.
Abweichungen vom Spiegelbildlichkeitsgrundsatz sind nur zulässig, wenn sie durch entsprechend gewichtiges kollidierendes Verfassungsrecht - etwa mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der Gemeindegremien und die Effektivität der Gremienarbeit - gerechtfertigt sind.
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die von ihm gebildeten Ratsausschüsse Haupt- und Finanzausschuss, Ausschuss für Bau, Straßen und Umwelt, Betriebsausschuss, Ausschuss für Schulen, Bildung, Kultur und Sport, Ausschuss für Wirtschaftsförderung, Stadtmarketing und -entwicklung, Ausschuss für Soziales, Familien, Jugend und Senioren, Rechnungsprüfungsausschuss aufzulösen und neu zu bilden.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,- € festgesetzt.
G r ü n d e :
2Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
3Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
4Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch (dazu 1.) als auch einen Anordnungsgrund (dazu 2.) glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
51. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass sie einen Anspruch auf die begehrte Auflösung und Neubildung der von ihr bezeichneten - aus dem Tenor ersichtlichen - Ratsausschüsse hat. Dieser Anspruch folgt aus § 58 Abs. 6 GO NRW in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Spiegelbildlichkeitsgrundsatz.
6Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG überträgt die Grundentscheidung der Verfassung in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie auf die Ebene der Gemeinden. Daraus folgt, dass die Gemeindevertretung, auch wenn sie kein Parlament, sondern Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft ist, die Gemeindebürger repräsentiert. Diese Repräsentation vollzieht sich nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen der Gemeindevertretung. Deswegen muss grundsätzlich jeder Gemeindeausschuss ein verkleinertes Bild des Plenums der Gemeindevertretung sein und in seiner Zusammensetzung deren Zusammensetzung widerspiegeln. Auch Gemeindeausschüsse dürfen nicht unabhängig von dem Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt werden, über das die Gemeindebürger bei der Wahl der Gemeindevertretung mit entschieden haben. Vielmehr müssen auch diese Ausschüsse grundsätzlich als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln. Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit soll sicherstellen, dass der Ausschuss die Zusammensetzung des Plenums in seiner konkreten, durch die Fraktionen geprägten organisatorischen Gestalt verkleinernd abbildet. Da der Abgeordnete frei ist, sich in Fraktionen zu organisieren, sind die Fraktionen als politische Kräfte ebenso gleich und entsprechend ihrer Stärke zu behandeln wie die gewählten Gemeindevertreter untereinander.
7Vgl. zu alledem BVerwG, Urteile vom 28. April 2010 ‑ 8 C 18.08 -, juris Rn. 20, vom 9. Dezember 2009 ‑ 8 C 17.08 -, juris Rn. 18 ff., und vom 10. Dezember 2003 - 8 C 18.03 -, juris Rn. 12 ff., Beschluss vom 27. März 1992 - 7 C 20.91 -, juris Rn. 17, jeweils unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 ‑ 2 BvE 1/88 -, juris Rn. 113, sowie BVerwG, Beschluss vom 7. Dezember 1992 - 7 B 49.92 -, juris Rn. 4 f.; OVG NRW, Beschluss vom 27. Mai 2005 ‑ 15 B 673/05 -, juris Rn. 9, Urteile vom 15. September 2004 - 15 A 4544/02 -, juris Rn. 36, und vom 2. März 2004 - 15 A 4168/02 -, juris Rn. 57; zum Bundesverfassungsrecht siehe zuletzt auch BVerfG, Urteil vom 22. September 2015 - 2 BvE 1/11 -, juris Rn. 93.
8Die verfassungsrechtliche Fundierung des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes hat zur Konsequenz, dass auch Veränderungen der Kräftekonstellationen in der Zusammensetzung des Gemeinderates während der Wahlperiode grundsätzlich durch eine Anpassung der Ausschussbesetzungen nachvollzogen werden müssen, wenn sie wesentlich sind.
9Vgl. dazu Meyer, Recht der Ratsfraktionen, 8. Aufl. 2015, S. 183; Faber, in: Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, Band I, Loseblatt, Stand Dezember 2015, § 50 GO Erl. 6.13.2.; Franz, LKV 2004, 497, 500 f.
10Abweichungen vom Spiegelbildlichkeitsgrundsatz sind nur zulässig, wenn sie durch entsprechend gewichtiges kollidierendes Verfassungsrecht - etwa mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der Gemeindegremien und die Effektivität der Gremienarbeit - gerechtfertigt sind.
11Vgl. insofern auch BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2009 - 8 C 17.08 -, juris Rn. 23 und 26, unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 8. Dezember 2004 ‑ 2 BvE 3/02 -, juris Rn. 64; OVG NRW, Beschluss vom 27. Mai 2005 - 15 B 673/05 -, juris Rn. 9, Urteile vom 15. September 2004 - 15 A 4544/02 -, juris Rn. 36, und vom 2. März 2004 - 15 A 4168/02 -, juris Rn. 57 (jeweils zu Ausnahmen in sachlich begründeten Fällen); Hess. VGH, Beschluss vom 13. März 2012 ‑ 8 B 1928/11 -, juris Rn. 38 (zum weiten Ermessensspielraum der kommunalen Körperschaft bei ihrer Selbstorganisation und zum Gesichtspunkt der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen und effektiven Geschäftsgangs); Sächs. OVG, Beschluss vom 14. September 2010 - 4 B 87/10 -, juris Rn. 20 f. (ebenfalls zum Organisationsermessen der Gemeinde bei der Bestimmung der Mitgliederzahl der Ausschüsse und zum sachlichen Gesichtspunkt der Gewährleistung einer effektiven Ausschussarbeit).
12Nach diesen Grundsätzen steht der Antragstellerin der geltend gemachte Anspruch auf Auflösung und Neubildung von Ratsausschüssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu.
13a) Die aktuelle Zusammensetzung der in Rede stehenden Ratsausschüsse, in denen die CDU-Fraktion jeweils die absolute Mehrheit der Mitglieder stellt, verstößt gegen den Spielbildlichkeitsgrundsatz. Durch den Austritt der Stadtverordneten T. und C. aus der CDU-Fraktion und die Gründung der neuen Ratsfraktion Freie Bürger O. durch sie ist eine wesentliche Änderung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen im Antragsgegner eingetreten. Diese Änderung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen resultiert bereits aus dem Umstand, dass die CDU-Fraktion infolge des Austritts der Stadtverordneten T. und C. ihre absolute Mehrheit im Rat verloren hat. Während sie zuvor 17 von insgesamt 32 Ratsmandaten innehatte, sind es nunmehr 15. Damit repräsentiert die CDU-Fraktion nur noch ca. 47 % der Wählerstimmen. Sie ist jetzt auf den Hinzugewinn der Stimmen anderer Fraktionen angewiesen, um Ratsmehrheiten zu erzielen, was ihr politisches Gewicht im Rat grundlegend vermindert.
14Die Wesentlichkeit dieser Änderung des Stärkeverhältnisses entfällt nicht durch die besonderen Umstände des Einzelfalls. Dass die Stadtverordneten T. und C. nach wie vor Parteimitglieder der CDU sind, ändert daran nichts. Durch den Austritt aus der CDU-Fraktion sowie die Neugründung der Ratsfraktion Freie Bürger O. haben sie demonstriert, dass sie mit der kommunalpolitischen Ausrichtung der CDU-Fraktion im Antragsgegner nicht konform gehen, sondern sich von dieser abgrenzen wollen. Andernfalls - d. h. wenn der Dissens allein auf Fragen der Gestaltung der (Grund-)Schullandschaft in Bad E. begrenzt wäre - hätte es eines solchen einschneidenden Schrittes nicht bedurft. Dementsprechend haben die Mitglieder der Fraktion Freie Bürger O. angekündigt, ihr kommunalpolitisches Profil in Zukunft durch eigene Projekte schärfen zu wollen. Daher haben sie dem Grunde nach auch einen Anspruch auf „originäre“ Mitgliedschaft in den in Rede stehenden Ratsausschüssen sowie auf eine - etwa erforderliche - Vertretung im Ausschuss durch das jeweils andere Mitglied ihrer eigenen Fraktion und nicht durch ein Mitglied der CDU-Fraktion, die sie gerade verlassen haben.
15b) Eine Abweichung vom Spiegelbildlichkeitsgrundsatz trotz der wesentlichen Änderung des Stärkeverhältnisses der Ratsfraktionen ist nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Funktionsfähigkeit der Gemeindegremien der Stadt Bad E. oder die Gewährleistung einer effektiven Ausschussarbeit beeinträchtigt wird, wenn der Antragsgegner der Pflicht zur Auflösung und Neubildung der Ratsausschüsse nachkommt. Die Gefahr einer völligen Zersplitterung der kommunalen Gremien und ihre dadurch verursachte Funktionsunfähigkeit zeichnet sich ebenso wenig konkret ab wie eine dauerhafte Gefährdung der Entscheidungsfindung innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung. Die Bedenken des Antragsgegners teilt der Senat nicht. Wie Ratsfraktionen mit eventuellen Drohungen ihrer Mitglieder umgehen, eine eigene Fraktion bilden zu wollen, falls bestimmte politische Forderungen nicht erfüllt werden, ist eine politisch zu lösende Frage, welche die Handhabung des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes nicht determiniert. Ratsfraktionen und ihre Mitglieder tragen das politische Risiko, bei der nächsten Kommunalwahl womöglich weniger Stimmen auf sich zu vereinigen, wenn die wahlberechtigte Bevölkerung den Eindruck gewinnen sollte, während der vorangegangenen Wahlperiode habe in der betreffenden Fraktion überwiegend Uneinigkeit geherrscht und sei keine konsistente Gemeindepolitik betrieben worden.
162. Im Anschluss daran hat die Antragstellerin auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
17In einem Kommunalverfassungsstreit ist im Hinblick auf den Anordnungsgrund zu berücksichtigen, dass es hier grundsätzlich nicht auf die subjektive Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers ankommt, sondern darauf, ob die einstweilige Anordnung im Interesse der Körperschaft, der er angehört, objektiv notwendig bzw. - bei einer Vorwegnahme der Hauptsache - unabweisbar erscheint. Ob eine solche Situation gegeben ist, richtet sich nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalles.
18Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. April 2015 - 15 B 395/15 -, vom 2. April 2015 - 15 B 293/15 -, vom 22. Januar 2010 - 15 B 1797/09 -, juris Rn. 27, vom 27. September 2002 - 15 B 855/02 -, juris Rn. 20, vom 20. Juli 1992 - 15 B 1643/92 -, juris Rn. 38 ff., vom 12. Juni 1992 - 15 B 2283/92 -, juris Rn. 6 ff., und vom 21. November 1988 - 15 B 2380/88 -, juris Rn. 41 ff.
19Ausgehend davon ist die zur Entscheidung gestellte Auflösung und Neubildung von Ratsausschüssen nach Lage der Dinge unabweisbar. Sie ist nach dem oben Gesagten zur Durchsetzung des verfassungsrechtlichen Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes geboten. Das aus diesem abzuleitende Recht auf gleiche Repräsentation und gleichberechtigte Mitwirkung würde für die Dauer des Hauptsacheverfahrens vereitelt, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erginge. Eine derartige auch nur vorübergehende Verletzung demokratischer Grundprinzipien, die das Mitgliedschaftsrecht im Ausschuss als Ganzes und nicht nur dessen Ausgestaltung beträfe, kann insbesondere bei der Besetzung beschließender Ausschüsse nicht hingenommen werden.
20Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 27. September 2002 - 15 B 855/02 -, juris Rn. 22; Sächs. OVG, Beschluss vom 14. September 2010 - 4 B 87/10 -, juris Rn. 25 ff.
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
22Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).