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Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen eine Verfügung des Beklagten, die ihm unter Androhung von Zwangsgeldern die Beseitigung im Außenbereich errichteter baulicher Anlagen aufgibt und untersagt, weitere bauliche Anlagen, die zum Aufenthalt geeignet sind, dort zu errichten oder errichten zu lassen.
3Der Kläger ist seit dem Jahr 2012 Eigentümer des Grundstücks Gemarkung N. , Flur , Flurstück . Das Grundstück liegt nordwestlich der Ortschaft N. im freien Feld und grenzt im Norden unmittelbar an den I. Forst. Das Grundstück liegt ebenso wie die Ortschaft N. selbst im Geltungsbereich des Braunkohleplans „Teilplan 12/1-I1. -Abbau und Außenhaldenfläche des Tagebaus I1. “. Der Kläger hat das Grundstück für ein „Protestcamp“ namentlich nicht näher bezeichneten Personen zur Verfügung gestellt.
4Im Dezember 2012 wies die Gemeinde N1. den Beklagten auf die Errichtung eines „Aktivistencamps“ auf dem Grundstück hin. Daraufhin hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 20.12.2012 zum beabsichtigten Erlass einer Beseitigungs- und Untersagungsverfügung an. Bei einer Ortsbesichtigung am 18.3.2013 stellten Mitarbeiter des Beklagten fest, dass sich auf dem Grundstück 19 bauliche Anlagen befanden. Diese wurden in einer Skizze und mit Lichtbildern dokumentiert. Mit sofort vollziehbarer Ordnungsverfügung vom 22.3.2013 gab der Beklagte dem Kläger auf, innerhalb von vier Wochen nach Zustellung der Verfügung die im beigefügten Lageplan bezeichneten 19 baulichen Anlagen zu beseitigen oder beseitigen zu lassen (Ziffer 1 der Verfügung) und untersagte diesem des Weiteren, ab Zustellung der Ordnungsverfügung weitere bauliche Anlagen, die zum Aufenthalt geeignet sind, zu errichten oder durch Dritte errichten zu lassen (Ziffer 2 der Verfügung). Zugleich drohte der Beklagte dem Kläger für den Fall, dass er den Anordnungen nicht, nicht fristgerecht oder nicht ausreichend Folge leisten werde, Zwangsgelder i.H.v. 2.000 € zu Ziffer 1 der Verfügung bzw. für jeden Fall der Zuwiderhandlung in Höhe von jeweils 500 € zu Ziffer 2 der Verfügung an. Zur Begründung führte er aus, der Kläger sei als Eigentümer Zustandsstörer und richtiger Adressat der Verfügung. Die einzelnen Handlungsstörer wechselten offenkundig ständig und könnten vor Ort nicht ermittelt werden. Die baulichen Anlagen seien bauplanungsrechtlich nicht zulässig. Sie verstießen gegen das materielle Recht. Bei den Baukörpern handele es sich um keine privilegierten Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB. Ebenso lägen die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 35 Abs. 4 und 5 BauGB nicht vor. Die einzelnen baulichen Anlagen beeinträchtigten öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB. Die Zulassung der Baukörper laufe einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zuwider, da der rechtsverbindliche Flächennutzungsplan das Grundstück als Fläche für die Landwirtschaft ausweise. Der Erlass der Verfügung sei auch ermessensgerecht. Das Einschreiten sei geboten, da durch die vorhandene Bebauung bereits ein rechtswidriger Zustand entstanden sei, von dem eine negative Vorbildwirkung ausgehe.
5Am 12.4.2013 hat der Kläger Klage erhoben. Den von ihm am 3.5.2013 gestellten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3.7.2013 abgelehnt (VG Aachen 5 L 193/13). Der Senat hat diesen Beschluss mit Beschluss vom 11.10.2013 (7 B 858/13) geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Beseitigungs- und Unterlassungsanordnung wiederhergestellt und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung angeordnet. Zur Begründung hat er u. a. ausgeführt, ob es sich bei dem Protestcamp um eine dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfallende Versammlung handele, müsse im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
6Daraufhin hat der Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid mit Schriftsatz vom 4.11.2014 dahingehend abgeändert und ergänzt, dass der Kläger der Beseitigungsanordnung erst binnen vier Wochen nach der Vollziehbarkeit der Verfügung Folge leisten müsse und ihm ab Vollziehbarkeit der Verfügung untersagt werde, weitere bauliche Anlagen, die zum Aufenthalt geeignet sind, zu errichten oder durch Dritte errichten zu lassen. Die zur Begründung der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung aufgeführten Erwägungen ergänzte der Beklagte dahingehend, dass sich die Aktivisten und der Kläger nicht auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG berufen könnten. Das Aufstellen von Zelten, Wohnwagen und ähnlichen Unterkünften in der freien Landschaft, um dort zu übernachten, zu kochen und zu essen, sei für sich genommen versammlungsrechtlich neutral. Solange das Camp primär als Basislager zur Organisation des Widerstands diene, sei der gemeinsame Zweck nicht auf die unmittelbare Teilnahme an einer der Meinungsäußerung und Meinungsbildung dienenden Veranstaltung gerichtet. Die Errichtung des Camps habe vielmehr die Schaffung derjenigen Infrastruktur zum Ziel, die für die Erhaltung der Protestorganisation bzw. des „Protestorganismus“ erforderlich sei. Eine feste Infrastruktur falle aber nicht unter den Schutz des Grundgesetzes. Zudem erfolgten von dem Aktivistencamp aus Waldbesetzungen, die unter anderem darauf abzielten, anstehende Rodungsarbeiten im Wald durch das Errichten von Barrikaden und Baumhäusern zu verhindern.
7Zur Klagebegründung hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen: Das Protestcamp sei eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG. Dass schon das Protestcamp selbst in den Dienst der Zielsetzung der Versammlung gestellt sei und nicht lediglich als Obdach der Bewohner und als Ausgangsbasis für anderweitige auf die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit zielende Aktionen diene, werde durch seinen Standort in unmittelbarer Nähe des I. Forstes, des Braunkohletagebaus, der Umsiedlungsorte N. und N2. und der vom Tagebau betroffenen A 4 belegt. Die Bewohner hätten ihre Zelte und deren Umgebung mit Aufschriften und Plakaten versehen, die auf ihre Anliegen hinwiesen. Eine Forderung der Aktivisten laute: „Change system, not climate“.
8Der Kläger hat beantragt,
9die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 22.3.2013 in der Fassung des Schriftsatzes vom 4.11.2014 aufzuheben.
10Hilfsweise hat er beantragt,
11das Verfahren in den Zustand des Verwaltungsverfahrens zurückzuversetzen.
12Der Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21.5.2015 abgewiesen und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die baulichen Anlagen des Protestcamps unterfielen nicht dem Schutzbereich des Art. 8 GG. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
15Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung im Wesentlichen vor: Der streitgegenständliche Bescheid sei formell rechtswidrig, da der Beklagte für den Erlass des Bescheides nicht zuständig gewesen sei. Das Protestcamp auf dem betroffenen Wiesengrundstück unterfalle als Dauerversammlung dem Schutzbereich des Art. 8 GG. Der Einordnung als Versammlung stünden auch die errichteten „Behelfsunterkünfte“ bzw. die streitgegenständliche Hütte nicht entgegen. Es liege in der Natur des „Dauerprotestes“, dass für längere Aufenthalte der Versammlungsteilnehmer entsprechend Sorge zu tragen sei. Im Wesentlichen solle zur sofortigen Beendigung des Tagebaus, zum Schutz des I. Forstes, zur Verminderung des Kohlendioxid-Ausstoßes und der sonstigen Belastungen der Umwelt aus der Gewinnung und Verstromung der Braunkohle, sowie zum Stopp der in Gang befindlichen Umsiedlungen von N2. und N. und zur Zurückverlegung der A4 auf ihre alte Trasse auf die Öffentlichkeit eingewirkt werden. Darüber hinaus wende sich „die Wiese“ gegen die Verfahren zur Genehmigung des Tagebaus sowie gegen die Institutionen und Handlungsträger in Gesetzgebung, Administration, Justiz und Polizei, die für diese Verfahren und deren Durchsetzung verantwortlich seien. Verkürzt richte sich „die Wiese“ gegen eine staatliche Ordnung in Nordrhein-Westfalen, die nicht mehr mit der Verfassung und den Gesetzen im Einklang gesehen werde. Die Räumung hätte das Ende des Protestorganismus zur Folge, der sich seit Beginn der Waldbesetzung gebildet habe. Es bestünde kein Unterschied zwischen einem mit Aufschriften und Plakaten versehenen Romalager vor dem nordrhein-westfälischen Landtag zur Durchsetzung eines Bleiberechts in Deutschland und dem mit Aufschriften und Plakaten versehenen Wiesencamp vor dem I. Forst zur Durchsetzung eines Bleiberechts des I. Forstes. Zwischenzeitlich hätten sich die Verhältnisse vor Ort derart geändert, dass von den 19 von der Verfügung erfassten baulichen Anlagen nur noch eine, die Nr. 15, existiere. Diese Massivbauhütte sei um 16 m² auf insgesamt 36 m² erweitert worden und sei wegen ihrer Multifunktionalität auf den Zweck der Versammlung ausgerichtet. Der Vollzug der Beseitigungsverfügung sei somit unmöglich geworden. Aufgrund der fehlenden Duldungsverfügung hinsichtlich der Nutzer bzw. Errichter der baulichen Anlagen liege ein Vollstreckungshindernis vor. Der angefochtene Bescheid sei ermessensfehlerhaft. Die Ordnungsverfügung sei mit Blick auf den Gesichtspunkt des Art. 8 GG ohne jede Ermessensbetätigung ergangen. Insoweit könne hier nicht von einer „Anknüpfung“ an eine Ermessenserwägung die Rede sein. Es handele sich vielmehr bei dem Schriftsatz vom 4.11.2014 um eine erstmalige Ausübung des Ermessens.
16Der Kläger beantragt,
17den angegriffenen Bescheid aufzuheben.
18Der Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Er verteidigt den angefochtenen Bescheid.
21Der Berichterstatter des Senats hat die Örtlichkeit am 30.5.2016 in Augenschein genommen. Wegen der im Ortstermin getroffenen Feststellungen wird auf das Terminsprotokoll und die gefertigten Lichtbilder verwiesen.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, insbesondere der staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren und der Gerichtsakten in den vorläufigen Rechtsschutzverfahren beim Verwaltungsgericht Aachen - 5 L 193/13 - und - 5 L 194/13 - sowie der Gerichtsakte in diesem Verfahren Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe:
24Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
25Mit Blick auf die Veränderung der Verhältnisse vor Ort lässt der Senat es zugunsten des Klägers offen, ob hinsichtlich der Beseitigungsanordnung das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen ist. Entgegen dem klägerischen Vorbringen führen diese Veränderungen nicht zur Rechtswidrigkeit der Beseitigungsanordnung, weil ihre Umsetzung unmöglich geworden wäre; sie können allenfalls dem Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung der Beseitigungsanordnung entgegengehalten werden. Die Klage ist jedenfalls insgesamt unbegründet.
26Die streitgegenständliche Ordnungsverfügung des Beklagten vom 22.3.2013 in der Fassung vom 4.11.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
27Der Beklagte war für den Erlass der bauliche Anlagen betreffenden, auf § 61 BauO NRW gestützten Beseitigungs- und Unterlassungsanordnung als untere Bauaufsichtsbehörde zuständig (vgl. § 62 BauO NRW, § 60 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b BauO NRW). Dagegen wendet der Kläger ohne Erfolg ein, es habe eine vorrangige versammlungsrechtliche Zuständigkeit bestanden. Der Landrat des Kreises E. war aber nicht als Kreispolizeibehörde gemäß § 1 der Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz vom 2.2.1987 in Verbindung mit § 1 b) Nr. 3 der Verordnung über die Kreispolizeibehörden des Landes Nordrhein-Westfalen zuständig. Die Anordnungen betrafen nicht die in § 1 der genannten Verordnung aufgeführten Angelegenheiten nach dem Versammlungsgesetz. Die erfassten baulichen Anlagen waren nicht Teil einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes bzw. des Grundgesetzes.
28Vgl. zum Versammlungsbegriff BVerwG, Urteil vom 16.5.2007 - 6 C 23.06 -, BVerwGE 129, 42, m. w. N.
29Die baulichen Anlagen des Protestcamps unterfielen weder zum Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung noch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dem Schutzbereich des Art. 8 GG, deshalb bedarf es keiner abschließenden Klärung, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung abzustellen ist.
30Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und -äußerung mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken. Der Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst nicht nur das gewählte Thema der Veranstaltung, sondern auch die Entscheidung, welche Maßnahmen der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.5.2007 - 6 C 23.06 -, BVerwGE 129, 42, m. w. N.
32Auch die Errichtung von „baulichen Anlagen“ wie das Aufstellen von Zelten, Pavillons, Sitzelementen, Ver- und Entsorgungseinrichtungen und das Schlafen am Versammlungsort kann ggf. von dem Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst sein.
33Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23.9.1991 - 5 B 2541/91 -, NVwZ-RR 1992, 360 (Roma-Lager), vom 25.7.2012 - 5 B 853/12 -, juris (Aufstellen von Zelten), und vom 26.7.2012, - 5 B 853/12 -, juris (Schlafen am Versammlungsort); OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 16.8.2012 – OVG 1 S 108.12 -, juris (Pavillon und Sitzgelegenheiten); Bay. VGH, Beschlüsse vom 12.4.2012 - 10 CS 12.767 -, juris (Zelte und Pavillons, auch zum Übernachten), vom 20.4.2012 - 10 CS 12.845 -, juris (Mannschaftszelt), und vom 2.7.2012 - 10 CS 12.1419 -, BayVBl. 2012, 756 (Mannschaftszelt und Pavillons), sowie Urteil vom 22.9.2015 ‑ 10 B 14.2246 -, NVwZ-RR 2016, 498 (Pavillons, Betten).
34Jedoch ist das Aufstellen von Zelten oder Pavillons bei Durchführung einer Versammlung nicht gleichsam automatisch als „notwendiger Bestandteil“ der Versammlung und der dabei beabsichtigten kollektiven Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit umfasst. Eine derartige bauliche Anlage stellt nur dann einen geschützten Teil der Versammlung dar, d.h. sie unterfällt lediglich dann dem besonderen Schutz des Art. 8 GG, sofern ihr eine funktionale oder symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zukommt und diese Art Kundgebungsmittel damit einen erkennbaren inhaltlichen Bezug zur kollektiven Meinungskundgabe aufweist. Dieser besondere Schutz des Art. 8 GG greift unter Hinnahme der straßen- und wegerechtlichen sowie ordnungsrechtlichen Beeinträchtigungen vor allem dann, wenn es sich dabei um inhaltsbezogene Bestandteile der Versammlung handelt, ohne die die geplante gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung nicht möglich ist.
35Bay. VGH Bay., Beschlüsse vom 12.4.2012 - 10 CS 12.767 -, juris und vom 2.7.2012 - 10 CS 12.1419 -, BayVBl. 2012, 756.
36Als geschützter Teil der Versammlung kann eine solche bauliche Anlage auch dann angesehen werden, wenn es sich bei dieser um ein „gemischtes“ Element in dem Sinne handelt, dass es sowohl kommunikativen wie auch nichtkommunikativen Zwecken dient.
37Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 20.4.2012 - 10 CS 12.845 -, juris.
38Ob ein solches „gemischtes“ Element versammlungsrechtlichen Schutz genießt, richtet sich danach, ob es nach seinem Gesamtgepräge als Teil einer Versammlung anzusehen ist. Für die Abgrenzung kann auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, nach denen ‘gemischten‘ Veranstaltungen im Rahmen einer Gesamtschau versammlungsrechtlicher Schutz zuerkannt werden kann.
39Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese "gemischte" Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Die Beurteilung, ob eine "gemischte" Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Die Betrachtung ist aber nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die nicht von einem Außenstehenden "vor Ort" wahrgenommen werden können. Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind. Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.5.2007 - 6 C 23.06 -, BVerwGE 129, 42.
41In Anwendung dieser Grundsätze waren und sind die in Rede stehenden Anlagen nicht geschützter Teil einer gegen den Braunkohleabbau im Bereich des I. Forstes gerichteten – möglicherweise als Versammlung zu wertenden – Zusammenkunft von Teilnehmern des Protestcamps, weil den Anlagen nach dem Gesamtgepräge keine funktionale oder symbolische Bedeutung für ein entsprechendes Versammlungsthema zukam bzw. zukommt.
42Die baulichen Anlagen des Protestcamps dienten und dienen vielmehr primär als Obdach für die dort lebenden Bewohner und als Ausgangsbasis für anderweitige Aktionen gegen den Braunkohletagebau und für den Schutz des I. Forstes. Die Gesamtheit der baulichen Anlagen selbst wirkt aus Sicht eines „vor Ort“ Anwesenden nicht im Sinne eines solchen Versammlungsthemas auf die öffentliche Meinungsbildung ein. Die einzelnen Anlagen erscheinen für sich als „meinungsmäßig“ neutral. Soweit auf den in den Akten befindlichen Lichtbildern eine „Anarchistenflagge“ oder Botschaften auf Plakaten und Spruchbändern zu sehen sind, wie z. B. „REFUGEES… WELCOME“, „BRENNT DIE KNÄSTE NIEDER“, „fracking stoppen“, prägen Aussagen das Bild des Protestcamps, die in keinem spezifischen Zusammenhang zum Braunkohletagebau und zum Schutz des I. Forstes stehen. Insbesondere nach den Eindrücken des Berichterstatters in dem Ortstermin, die er dem Senat vermittelt hat, sind es im wesentlichen nur die Lage der baulichen Anlagen in der Nähe des I. Forstes und im Bereich des Tagebaus, die einen ortsanwesenden Betrachter einen solchen Zusammenhang in Betracht ziehen lassen. Neben diesen von einem Außenstehenden „vor Ort“ wahrnehmbaren Umständen sind dem Blog (http://I...blogsport.de/) verschiedene Einträge und Aufrufe zu entnehmen, die sich teilweise auch auf das Wiesencamp beziehen. Ebenso existieren zahlreiche Presseartikel über das Protestcamp. Auf der zweiten Stufe sind die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung zu würdigen und insgesamt zu gewichten. Das Protestcamp dient der Unterbringung und Versorgung der sich dort aufhaltenden Personen und als deren Treffpunkt. Es gab bzw. gibt z. B. Zelte und Bauwagen, die der Übernachtung dienen, eine Küche, eine Bibliothek, eine Kleiderkammer, Gemeinschaftsräume und sonstige Infrastruktur. Die baulichen Anlagen des Protestcamps dienen auf dem ansonsten offenen Gelände zunächst dem Schutz der Bewohner vor Witterungseinflüssen. Sie ermöglichen den längerfristigen Aufenthalt auf dem Grundstück. Ebenso werden die baulichen Anlagen zum Teil zur Lagerung unterschiedlicher Dinge sowie als „Tagungsstätte “genutzt. Bei dem - auf der dritten Stufe vorzunehmenden - Vergleich der auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters überwiegt das Gewicht der auf der zweiten Stufe festgestellten Umstände deutlich. Die baulichen Anlagen dienen den Aktivisten des Protestcamps nach ihrem Gesamtgepräge vorrangig als Basislager für die in der Umgebung des Protestcamps stattfindenden Protestaktionen im Bereich des I. Forstes. Es geht maßgeblich um die Schaffung einer Infrastruktur für die Protestbewegung. Das Camp stellt die Logistik für den außerhalb desselben - insbesondere im I. Forst - stattfindenden Protest dar, ist aber selbst nicht prägender Bestandteil dieser Meinungskundgaben. Die Infrastruktureinrichtungen des Protestcamps könnten auch auf einem anderen Grundstück vorgehalten werden, wie z. B. auf einem innerhalb der Ortschaft N. liegenden Grundstück.
43Die auf der Grundlage der Regelung des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW ergangene Beseitigungsanordnung ist nicht zu beanstanden.
44Nach § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW haben die Bauaufsichtsbehörden in Wahrnehmung der Aufgaben nach § 61 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Auf diese Rechtsgrundlage kann eine Beseitigungsanordnung gestützt werden, wenn ein Gebäude formell und materiell illegal ist.
45Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.8.2014 - 7 A 2665/12 -, juris; Maske, in: Schönenbroicher/Kamp, Bauordnung Nordrhein-Westfalen, § 61, Rn. 13 m. w. N.
46Bei den streitgegenständlichen Objekten handelt es sich um bauliche Anlagen, deren Errichtung formell und materiell illegal war. Das hat das Verwaltungsgericht im Urteil näher ausgeführt. Dem ist der Kläger im Berufungsverfahren nicht mehr entgegen getreten.
47Der Beklagte hat auch das ihm durch § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Soweit der Kläger geltend macht, der angefochtene Bescheid sei deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Ordnungsverfügung mit Blick auf den Gesichtspunkt des Art. 8 GG ohne jede Ermessensbetätigung ergangen sei und es sich insoweit bei dem Schriftsatz vom 4.11.2014 um eine „erstmalige“ Ausübung des Ermessens handele, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Aus obigen Gründen unterfällt das Protestcamp nicht dem Schutz des Art. 8 GG. Die darauf bezogenen Ausführungen runden den Ausgangsbescheid lediglich ab, ohne aber wesentliche Ermessenserwägungen auszutauschen oder nachzuschieben.
48Die auf der Grundlage des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW ergangene Unterlassungsanordung ist ebenso rechtmäßig, wie die Zwangsgeldandrohung. Auch insoweit verweist der Senat auf die Begründung in dem angegriffenen Urteil und schließt sich dieser an. Insbesondere steht der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung kein Vollstreckungshindernis mit Blick auf Rechtspositionen der „Bewohner“ des Protestcamps entgegen. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger das Vorliegen eines Vollzugshindernisses mangels hinreichend konkreter Benennung des/der behaupteten Vertragsverhältnisse(s) nicht substantiiert vorgetragen hat. Auch im Berufungsverfahren hat der Kläger das Bestehen eines solchen Vertragsverhältnisses nicht substantiiert.
49Der Hilfsantrag des Klägers hat bereits mangels einer Rechtsgrundlage keine Erfolgsaussicht.
50Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Schutzbereich des Art. 8 GG die in Rede stehenden Anlagen selbst dann nicht erfassen würde, wenn sie Teil einer Versammlung wären, weil es an den Merkmalen der Friedlichkeit und Unbewaffnetheit des Protestcamps fehlt.
51Die Verfassung gewährleistet lediglich das Recht, sich "friedlich und ohne Waffen zu versammeln". Mit dem Erfordernis der Friedlichkeit, das schon in der Paulskirchen-Verfassung und ebenso in der Weimarer Verfassung enthalten war, wird etwas klargestellt, was bereits aus der Rechtsnatur der Versammlungsfreiheit folgt, soweit sie als Mittel zur geistigen Auseinandersetzung und zur Einflussnahme auf die politische Willensbildung verstanden wird. Ein Teilnehmer verhält sich jedenfalls dann unfriedlich, wenn er Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begeht. Auf deren Vermeidung muss eine Rechtsordnung, die die Ausübung von Gewalt nicht zuletzt im Interesse schwächerer Minderheiten beim Staat monopolisiert hat, strikt bestehen. Das ist Vorbedingung für die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit als Mittel zur aktiven Teilnahme am politischen Prozess und - wie die Erfahrungen mit den Straßenkämpfen während der Weimarer Republik gezeigt haben - für eine freiheitliche Demokratie auch deshalb unverzichtbar, weil die Abwehr von Gewalttätigkeiten freiheitsbegrenzende Maßnahmen auslöst. Von den Demonstranten kann ein friedliches Verhalten um so mehr erwartet werden, als sie dadurch nur gewinnen können, während sie bei gewalttätigen Konfrontationen am Ende stets der Staatsgewalt unterliegen werden und zugleich die von ihnen verfolgten Ziele verdunkeln. Die Anordnung eines Versammlungsverbotes wirft verfassungsrechtlich keine besonderen Probleme auf, wenn die Prognose mit hoher Wahrscheinlichkeit ergibt, dass der Veranstalter und sein Anhang Gewalttätigkeiten beabsichtigen oder ein solches Verhalten anderer zumindest billigen werden. Eine derartige Demonstration wird als unfriedlich von der Gewährleistung des Art. 8 GG überhaupt nicht erfasst.
52Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315.
53Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat aufgrund der Ermittlungsergebnisse der Polizei in den beigezogenen Akten davon überzeugt, dass Aktivisten aus dem Camp u. a. maßgeblich an gewalttätigen Angriffen auf Mitarbeiter der S. und Polizeibeamte beteiligt gewesen sind. Nach den aktenkundigen Angaben der Polizei sind im Umfeld des Protestcamps zahlreiche Gewalt- und Straftaten zu verzeichnen. Nach der von der Polizei gefertigten und von dem Beklagten eingereichten Auflistung gab es allein in diesem Jahr bis Anfang August bereits 42 im Zusammenhang mit dem Protestcamp stehende Vorgänge, wie z. B. Steinwürfe, Zwillenbeschuss, Bewurf eines Polizeiwagens mit einem Molotowcocktail. Bei der mit Beschlüssen des Amtsgerichts Aachen vom 8.3.2016 - 622 Gs-1 UJs 289/16-329/16 - , vom 6.4.2016 - 622 Gs-1 UJs 289/16-453/16 -, und vom 11.4.2016 - 622 Gs-1 UJs 289/16-469/16 - angeordneten Durchsuchung des als „Wiesencamp“ bezeichneten Protestcamps fand die Polizei zahlreiche als Waffen verwendbare Gegenstände, wie z. B. mehrere Zwillen mit Munition, eine Steinschleuder, „Krähenfüße“, Golfbälle und mit Steinen gefüllte Socken sowie geflexte Eisenkrampen. Den beigezogenen Ermittlungsakten ist zu entnehmen, dass die im Umfeld des Protestcamps - von in der Regel unerkannt gebliebenen Aktivisten - durchgeführten Angriffe auf das Sicherheitspersonal von S. und auf Polizeibeamte teilweise mit derartigen Gegenständen durchgeführt worden sind. Nach der Strafanzeige vom 2.3.2016 zum Aktenzeichen 609000-007735-16/6 flüchteten die Täter in das Wiesencamp und konnten dort untertauchen.
54Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
55Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
56Die Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, beruht auf § 132 Abs. 2 VwGO. Gründe für eine Revisionszulassung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.