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Zu den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Ruhensbescheids nach § 55b SVG, wobei sich die Ruhensregelung auf einen an Versorgungs statt empfangenen Kapitalbetrag bezieht.
In Anwendung der Übergangsvorschrift des § 96 Abs. 5 Satz 2 SVG kann sich die dort vorgesehene Vergleichsberechnung nach § 55b SVG Fassung 1994 bei einer Gesamtbewertung auch deswegen "als für den Versorgungsempfänger günstiger" erweisen, weil § 55b SVG Fassung 1994 erstmals auch unter Einbeziehung der hier interessierenden Fallgruppe (Kapitalbetrag) bestimmt hat, dass der Ruhensbetrag die von der zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung gezahlte Versorgung nicht übersteigen darf.
Jedenfalls ab der Anwendbarkeit der Fassung 1994 des § 55b SVG muss in dem Ruhensbescheid deswegen auch ein Endzeitpunkt für das Ruhen der Versorgungs-bezüge festgelegt und angegeben werden (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 – 2 C 47.11 –). Fehlt es daran, ist der Bescheid schon gemessen am Maßstab des einfachen Gesetzesrechts von Beginn an rechtswidrig.
Ist der an Versorgungs statt empfangene Kapitalbetrag durch eine bestehende Ruhensregelung nach § 55b SVG (Verwaltungsakt mit Dauerwirkung) bereits vollständig aufgezehrt, so kann der Dienstherr die von dem Betroffenen begehrte Rücknahme des Ruhensbescheids ab diesem Zeitpunkt in aller Regel nicht mehr ermessensfehlerfrei ablehnen. Das in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Bund eingeräumte Ermessen hat sich hier vielmehr – im Sinne einer Zäsur – grundsätzlich "auf Null" reduziert.
Das angefochtene Urteil wird teilweise geändert und im Hauptausspruch wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird unter entsprechend teilweiser Aufhebung des Bescheides der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 1. Juli 2011 und deren Widerspruchsbescheides vom 29. August 2011 verpflichtet, bezogen auf die Zeit ab dem 28. März 2008 über den Antrag des Klägers vom 28. April 2011 auf Rücknahme bzw. Abänderung des Ruhensbescheides der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 29. Juni 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen – unter Einbeziehung des rechtskräftig gewordenen Teils der Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts – der Kläger zu drei Vierteln und die Beklagte zu einem Viertel. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Der am 18. Juni 1949 geborene Kläger stand in der Zeit vom 1. November 1974 bis zu seiner Zurruhesetzung mit Ablauf des 30. Juni 2007 als Berufssoldat im Dienst der Beklagten.
3In der Zeit vom 17. April 1990 bis zum 31. Dezember 1995 war der Kläger gemäß § 9 Soldatenurlaubsverordnung ohne Dienstbezüge zur Wahrnehmung einer hauptberuflichen Tätigkeit bei der NATO MAINTAINACE AND SUPPLY AGENCY (NAMSA), einer zwischen- bzw. überstaatlichen Einrichtung, beurlaubt. Diese zahlte ihm anlässlich seines Ausscheidens einen Betrag von insgesamt 159.441,82 DM – das entspricht ca. 81.500 Euro – aus. Dieser setzte sich zusammen aus den vom Kläger während seiner Tätigkeit bei der NAMSA einbehaltenen Beiträgen zur Altersversorgung und einer „Leaving Allowance“. Der Kläger führte diese Beträge in der Folgezeit nicht an die Beklagte ab.
4Mit Bescheid der Wehrbereichsverwaltung (WBV) Süd vom 27. Juni 2007 setzte die Beklagte ausgehend von einem Ruhegehaltssatz von 75 % die Versorgungsbezüge des Klägers fest. Mit weiterem Bescheid der WBV Süd vom 29. Juni 2007 ordnete sie ferner an, dass die Versorgungsbezüge des Klägers mit Blick auf den aus der Verwendung bei der NAMSA erhaltenen Kapitalbetrag gemäß § 55b SVG in Höhe von (seinerzeit) monatlich 492,69 Euro ruhen. Dieser Betrag ergab sich aus dem gemäß § 96 Abs. 5 Satz 2 SVG anwendbaren § 55b SVG in der vom 1. Januar 1992 bis zum 30. September 1994 geltenden Fassung vom 18. Dezember 1989 (im Folgenden: SVG 1992). Er wurde auf der Grundlage der vorgenannten Bestimmungen festgesetzt, weil die nach § 96 Abs. 5 SVG durchzuführende Vergleichsberechnung auf der Grundlage des § 55b SVG in der vom 1. Oktober 1994 bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung vom 19. Januar 1995 (im Folgenden: SVG 1994) zu keinem dem Kläger günstigeren Ergebnis geführt habe. Die Einzelheiten der Ermittlung des Ruhensbetrages ergeben sich aus den Anlagen des Ruhensbescheids. Der Ruhensbetrag erhöhte sich in der Folgezeit aufgrund von Versorgungsanpassungen.
5Mit Urteil vom 27. März 2008 – 2 C 30.06 – beanstandete das Bundesverwaltungsgericht eine aufgrund der dem § 55b SVG gleichlautenden Bestimmung des § 56 BeamtVG durchgeführte Ermittlung der fiktiven Rente, weil das Gesetz die maßgeblichen Rechengrößen nicht selbst bestimmt habe. Zugleich ordnete es an, dass die Vorschrift bis zu einer gesetzlichen Regelung in der Weise anzuwenden sei, dass das Kapital unverzinst bleibe und die Laufzeit anhand des für Frauen und Männer vom Statistischen Bundesamt festgestellten Mittelwertes der Lebenserwartung für Männer und Frauen festzulegen sei. Der Gesetzgeber ergänzte daraufhin § 55b Abs. 4 SVG mit Gesetz vom 5. Februar 2009 um einen Verweis auf § 55a Abs. 1 Satz 8 und 9 SVG und setzte diesen rückwirkend zum 28. März 2008 in Kraft. Mit Urteil vom 15. April 2011 – 10 A 11144/10 – entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, dass die in diesen Bestimmungen festgelegte Berechnungsmethode, die auf für Männer und Frauen unterschiedliche allgemeine Sterbetafeln Bezug nehme, gegen das europarechtlich geregelte Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts verstoße. Das habe zur Folge, dass der Ruhensbetrag weiterhin nach den vom Bundesverwaltungsgericht in dessen Urteil vom 27. März 2008 aufgestellten Grundsätzen zu ermitteln sei.
6Anknüpfend an diese gerichtlichen Entscheidungen beantragte der Kläger unter dem 28. April 2011 gestützt auf § 48 Abs. 1 VwVfG die Neuberechnung des monatlichen Ruhensbetrages nach § 55b SVG rückwirkend ab dem 1. Juli 2007 sowie die Nachzahlung der auf der Basis der bisherigen Ruhensberechnung zuviel gekürzten Versorgungsbezüge.
7Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid der WBV Süd vom 1. Juli 2011 ab. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28. Juli 2011 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid der WBV Süd vom 29. August 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Zwar sei der Ruhensbescheid „infolge“ der rückwirkenden Neuregelung des § 55b SVG für die Zeit vom 1. Juli 2007 bis zum 27. März 2008 rechtswidrig, weil er ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses einer mit der Rechtsordnung in Einklang stehenden Rechtsgrundlage entbehrt habe. Der Kläger habe aber keinen Anspruch auf Rücknahme dieses Bescheides, weil keine Umstände vorlägen, die ausnahmsweise zu einer Reduzierung des Ermessens „auf Null“ führten. Denn die Aufrechterhaltung der Ruhensregelung für den streitbefangenen Zeitraum sei nicht schlechthin unerträglich. Die negativen Folgen des Bescheides seien im Wesentlichen dem Kläger selbst zuzurechnen, weil er es in der Hand gehabt habe, den Bescheid anzufechten. Auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung sei ein Festhalten an dem Bescheid für den Kläger nicht unzumutbar, denn das Bundesministerium der Verteidigung habe auch in vergleichbaren Fällen eine Rücknahme der Ruhensregelung stets abgelehnt.
8Der Kläger hat am 20. September 2011 Klage erhoben und beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2011 zu verpflichten, seinen Antrag auf Neuberechnung des Ruhensbetrags vom 28. Januar 2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung hat sie auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide verwiesen und ergänzend ausgeführt: Nach den Erlassen des Bundesministeriums der Verteidigung vom 4. August 2011 und vom 12. August 2008 würden bei bestandskräftiger Ruhensregelung Anträge auf Neuberechnung des Ruhensbetrages sowohl für die Zeit bis zum 27. März 2008 als auch für die Zeit danach abgelehnt.
13Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides der WBV Süd vom 1. Juli 2011 und des Beschwerdebescheides (richtig: Widerspruchsbescheides) der WBV Süd vom 29. August 2011 verpflichtet, den Bescheid vom 29. Juni 2007 teilweise, nämlich für die Zeit ab dem 28. März 2008 aufzuheben und den Ruhensbetrag von diesem Zeitpunkt an neu zu berechnen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
14Gegen das Urteil hat (allein) die Beklagte am 20. August 2013 die Zulassung der Berufung beantragt. Nach Zulassung der Berufung durch den Senat mit Beschluss vom 13. Juli 2015 führt sie zur Begründung ihres Rechtsmittels im Wesentlichen aus: Eine Verpflichtung zur Anpassung der Ruhensregelung habe hier nicht bestanden; das Verwaltungsgericht sei somit zu Unrecht von einer Reduzierung des Rücknahmeermessens „auf Null“ ausgegangen. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 55b SVG, auf dessen Grundlage die hier interessierende Ruhensberechnung vorgenommen worden sei, sei durch das Bundesverfassungsgericht bisher nicht geklärt; in den betreffenden Normenkontrollverfahren sei noch nicht entschieden worden. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfe die Verwaltung die Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts mit Dauerwirkung, der auf einer für nichtig erklärten Norm beruhe, für die Zeit bis zu der Nichtigerklärung nach der gesetzlichen Wertung des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ermessensfehlerfrei ablehnen. Bis zum Zeitpunkt der Nichtigerklärung habe insofern der Grundsatz der Rechtssicherheit Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit. Für eine Abweichung hiervon sei allerhöchstens dann Raum, wenn ein gewichtiger Grund die Vornahme der Anpassung schon zu einem früheren Zeitpunkt als unabweisbar erscheinen lasse. Das könne in Betracht kommen, wenn bei einem schon vollständigen Aufzehren des Kapitalbetrages der Anspruch auf amtsgemäße Versorgung als Folge des Fortbestandes der Ruhensregelung über viele Jahre und in insgesamt beträchtlichem Umfang unerfüllt geblieben sei. Dafür gebe es hier aber keinen Anhalt, auch nicht für eine den Kläger vor diesem Hintergrund treffende existenzielle, zumindest schwerwiegende finanzielle Notlage. Die vom Verwaltungsgericht angesprochenen Zweifel an der Europarechtskonformität der Gesetzeslage führten in dem hier interessierenden Zusammenhang nicht auf ein anderes Ergebnis, zumal noch keine einschlägige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorliege. Schließlich unterscheide sich der vorliegende Fall von demjenigen, welcher Gegenstand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2013– 2 C 47.11 – gewesen sei. Denn hier gehe es anders als dort um einen bestandskräftigen Ruhensbescheid.
15Die Beklagte beantragt,
16das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
17Der Kläger beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Er vertieft und ergänzt seinen erstinstanzlichen Vortrag und trägt dazu vor: Der zugrunde liegende Ruhensbescheid vom 29. Juni 2007 erweise sich aus entsprechenden Gründen als rechtswidrig, wie sie das Bundesverwaltungsgericht für den dortigen Fall mit Urteil vom 5. September 2013 – 2 C 47.11 – aufgezeigt habe. Weder habe die Beklagte einen Endzeitpunkt für das Ruhen nach Maßgabe der statistischen Lebenserwartung festgelegt noch habe die Kapitalabfindung für die Zeit der Auszahlung bis zum Eintritt in den Ruhestand dynamisiert werden dürfen. Durch diesen rechtswidrigen Bescheid werde er sein Leben lang finanziell belastet. Dies führe auf einen unerträglichen Zustand, auch wenn der ihm ausbezahlte Kapitalbetrag derzeit noch nicht in vollem Umfang aufgezehrt sei. Letzteres werde aber in wenigen Jahren der Fall sein mit der Folge, dass jedenfalls dann rechtswidrig in seinen erdienten und verfassungsrechtlich geschützten Versorgungsanspruch eingegriffen werde. Nach einer der Berufungserwiderung beigefügten Aufstellung habe er bis einschließlich September 2015 bereits eine Gesamtsumme von 51.984,25 Euro – das entspreche 101.6772,36 DM – von seiner Kapitalabfindung in der Gesamthöhe von 159.441,82 DM „zurückgezahlt“. Aber auch schon jetzt sei der inzwischen bei über 600 Euro liegende monatliche Ruhensbetrag für ihn insofern von wesentlicher wirtschaftlicher Bedeutung, als er 15% seines Ruhegehaltes ausmache. Auf die Argumentation der Beklagten zur Steuerung des Rücknahmeermessens in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Nichtigkeitsfeststellung einer Norm durch das Bundesverfassungsgericht komme es davon ausgehend nicht mehr an. Im Übrigen sei hier der Gesetzgeber einer solchen Nichtigkeitserklärung lediglich zuvorgekommen, indem er rückwirkend zum 28. März 2013 eine Ergänzung des § 55b SVG durch einen Hinweis auf § 55a Abs. 1 Satz 8 und 9 SVG vorgenommen habe. Ein auf einer wie hier nach (fach-)gerichtlicher Beanstandung vom Gesetzgeber aufgehobenen bzw. geänderten Norm beruhender Verwaltungsakt könne keinesfalls mehr Rechtsgrundlage für die von ihm geregelten Rechtsbeziehungen sein.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (1 Heft) Bezug genommen.
21E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
22Die zulässige Berufung der Beklagten hat zum Teil Erfolg.
23Der Kläger dringt mit seinem Verpflichtungsbegehren auf Rücknahme des Ruhensbescheids vom 29. Juni 2007 entgegen dem Ausspruch des Urteils erster Instanz auch für die im Berufungsrechtszug allein noch streitgegenständliche Zeit ab dem 28. März 2008 nicht durch. Er hat bezogen auf diesen Zeitraum aber gegen die Beklagte einen Anspruch auf erneute, die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts berücksichtigende ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Rücknahme des Ruhensbescheids.
24Grundlage des klageweise verfolgten Anspruchs auf Rücknahme des bestandskräftigen Ruhensbescheides vom 29. Juni 2007 ist § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG des Bundes (im Folgenden: VwVfG). Hiernach kann – was auch als Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne bezeichnet wird – ein unanfechtbarer, also bestandskräftiger rechtswidriger Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden.
25Der gegenüber dem Kläger ergangene Ruhensbescheid vom 29. Juni 2007 ist ein im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG (von Anfang an) rechtswidriger Verwaltungsakt (nachfolgend 1.). Die Beklagte hat über den Antrag vom 28. April 2011 auf Rücknahme dieses Verwaltungsakts nicht ermessensfehlerfrei entschieden und ist daher zu einer Neubescheidung verpflichtet (nachfolgend 2.). Die weitergehenden Voraussetzungen für eine Reduzierung des Rücknahmeermessens „auf Null“ zugunsten des Klägers liegen hier aber nicht vor (nachfolgend 3.). Im Rahmen der Neubescheidung des Rücknahmeantrags des Klägers wird die Beklagte die nachfolgend unter 4. wiedergegebenen Erwägungen zu berücksichtigen haben.
261. Der Ruhensbescheid vom 29. Juni 2007, ein zur Minderung der ausgezahlten Versorgung führender und insofern den Kläger belastender Verwaltungsakt, ist ein im Sinne des § 48 VwVfG vom Zeitpunkt seines Erlasses an rechtswidriger Dauerverwaltungsakt.
27Die Rechtswidrigkeit ergibt sich bereits auf der Ebene der Anwendung des einfachen Gesetzesrechts. Auf eine etwaige Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden (formellen) Gesetzesnormen und die daran anknüpfende Steuerung des Rücknahmeermessens,
28vgl. zu Letzterem etwa BVerwG, Urteil vom 26. September 2012 – 2 C 48.11 –, ZBR 2013, 131 = juris, Rn. 25 ff.,
29sowie auf einen etwaigen Verstoß gegen Vorgaben des Unionsrechts kommt es daher nicht an.
30Der rechtliche Ausgangspunkt des Ruhensbescheides findet sich in der Übergangsregelung des § 96 Abs. 5 SVG in der bei Erlass des Ruhensbescheides anzuwendenden Fassung. Nach dessen Satz 1 findet § 55b SVG (das bezieht sich auf die ab 1. Januar 1999 geltende Fassung) Anwendung, soweit Zeiten im Sinne dieser Vorschrift erstmals nach dem 1. Januar 1999 zurückgelegt worden sind, was vorliegend keine Rolle spielt. Maßgebend ist daher Satz 2, wonach im Übrigen § 55b in der von 1992 bis zum 30. September 1994 geltenden Fassung (Fassung 1992) anzuwenden ist (Ausgangsberechnung), es sei denn, die Anwendung des § 55b in der von Oktober 1994 bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung (Fassung 1994; Vergleichsberechnung) ist für den Versorgungsempfänger günstiger. Satz 3 ordnet an, dass § 94b Abs. 5 SVG bei der Anwendung des Satzes 2 unberührt bleibt (mit Ausnahme von Zeiten, die erstmals ab dem 1. Januar 1999 zurückgelegt worden sind, was hier ebenfalls ohne Bedeutung ist). Der hier allenfalls interessierende § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG bezieht sich auf die Ausgangsberechnung und bestimmt Folgendes: Bei Zeiten im Sinne des § 55b Abs. 1 SVG, die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegt sind, ist § 55b SVG in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung anzuwenden (Vomhundertsatz 2,14); soweit Zeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 SVG nach diesem Zeitpunkt zurückgelegt sind, ist § 55b SVG in der vom 1. Januar 1992 an geltenden Fassung mit der Maßgabe anzuwenden, dass u.a. an die Stelle des Vomhundertsatzes von 1,875 der Satz von 1,0 tritt.
31Demzufolge ist der Ruhensbetrag auf der Grundlage zweier miteinander zu vergleichender Berechnungen zu ermitteln, wobei die für den Versorgungsempfänger günstigere Berechnung den Ausschlag gibt. Die Beklagte hat in ihrer dem Bescheid vom 29. Juni 2007 als Anlage beigefügten Berechnung in Anwendung des § 55b SVG Fassung 1992 auf der Grundlage eines mit einem Verwendungszeitraum von sechs vollen Jahren multiplizierten Minderungssatzes von 11,25 Prozent einen monatlichen Ruhensbetrag in Höhe von (seinerzeit) 492,69 Euro errechnet (Ausgangsberechnung). Diesen Betrag hat sie der getroffenen Ruhensregelung auch im Ergebnis zugrunde gelegt, weil die Vergleichsberechnung nach Maßgabe des § 55b SVG Fassung 1994 nach Auffassung der Beklagten nicht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis geführt hat. Namentlich ergab sich aus dieser Vergleichsberechnung kein für den Kläger günstigerer monatlicher Ruhensbetrag; vielmehr ergab sich mit Blick auf die Ermittlung eines Mindestruhensbetrages (§ 55b Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SVG Fassung 1994) derselbe Monatsbetrag.
32Der Senat kann offen lassen, ob bereits die Ausgangsberechnung rechtsfehlerhaft erfolgt ist. Dies kommt allerdings in Betracht vor dem Hintergrund, dass die Beklagte auf Nachfrage des Senats im Schriftsatz vom 18. Januar 2016 die Auffassung vertreten hat, im Falle des Klägers sei § 96 Abs. 5 Satz 3 SVG mit dem Verweis auf § 94b Abs. 5 SVG anwendbar gewesen. In diesem Falle wäre die dem Ruhensbescheid zugrunde gelegte Ausgangsberechnung fehlerhaft. Diese berücksichtigt nämlich für die vollen Dienstjahre, die der Kläger bei der NAMSA verbracht hat, den einheitlichen Multiplikator 1,875. Auf der Grundlage des § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG hätte für die Jahre bis einschließlich 1991 jedoch der Mulitiplikator 2,14 und für die nachfolgenden Dienstjahre der Mulitiplikator 1,00 angesetzt werden müssen, woraus sich insgesamt ein um etwa 60 Euro niedrigerer Ruhensbetrag errechnet hätte. Bedenken gegen diesen Ansatz ergeben sich allerdings daraus, dass die Vorschrift des § 94b SVG nach dessen Abs. 3 Satz 1 wohl nur Anwendung findet, wenn die Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach der bis Ende 1991 anwendbaren, degressiv verlaufenden Ruhegehaltssatzkurve zu einem für den betroffenen Beamten günstigeren Ergebnis führt als die ab 1992 durchzuführende lineare Berechnung des Ruhegehaltssatzes.
33Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Oktober 1996 – 10 A 10751/96 –, juris, Rn. 25.
34Ausweislich der dem Bescheid über die Festsetzung der Versorgungsbezüge vom 27. Juni 2007 beigefügten Berechnung des Ruhegehaltssatzes erreichte der Kläger aber schon bei linearer Berechnung den maximalen Ruhehaltssatz von 75 vom Hundert, so dass in seinem Fall der Ruhegehaltssatz nicht nach § 94b SVG berechnet wurde. Letztlich bedarf die Anwendung des § 94b SVG und namentlich seines Absatzes 5 aber keiner Entscheidung. Der Ruhensbescheid erweist sich auch bei unterstellter rechtsrichtiger Berechnung des Ruhensbetrages in der Ausgangsberechnung als rechtswidrig, weil die erforderliche Vergleichsberechnung zum Nachteil des Klägers fehlerhaft durchgeführt worden ist.
35Denn die auf der Grundlage der Fassung 1994 des § 55b SVG durchzuführende Vergleichsberechnung erweist sich auch in der von der Beklagten angenommenen Situation der einander der Höhe nach entsprechender Monats(end)beträge aus einem anderen, offenbar von der Beklagten nicht mit bedachten Gesichtspunkt als für den Kläger günstiger. Im Ergebnis hätte die Beklagte deswegen nicht die Fassung 1992, sondern die Fassung 1994 des SVG als nach der Übergangsregelung des § 96 Abs. 5 Satz 2 SVG für die Ruhensberechnung maßgebliche Gesetzesfassung dem Ruhensbescheid zugrunde legen müssen.
36Das vollständige Aufzehren der verrenteten Kapitalabfindung muss – auch in zeitlicher Hinsicht – die prinzipiell maßgebliche Grenze für die Gesamtheit der in dem betreffenden Versorgungsfall anfallenden Ruhensbeträge nach § 55b SVG bilden. Das folgt bei Soldaten, für die – und sei es auch nur im Rahmen einer Vergleichsrechnung nach dem Günstigkeitsprinzip – das Soldatenversorgungsgesetz in den ab 1. Oktober 1994 geltenden Fassungen Anwendung findet, unmittelbar aus dem Gesetz, und zwar aus § 55 Abs. 4 Satz 1 SVG mit der dortigen Verweisung (u.a.) auf den Absatz 1 der Norm. Im Satz 3 des Absatzes 1 ist geregelt, dass der Ruhensbetrag die von der zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung gewährte Versorgung nicht übersteigen darf (Hervorhebung durch den Senat).
37Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss in den Fällen der Anrechnung einer Kapitalabfindung auf das Ruhegehalt der Ruhensbescheid den Zeitpunkt festlegen (und somit auch angeben), zu dem die Laufzeit des Ruhens eines Teils der Versorgungsbezüge eines Beamten oder Soldaten endet (Endzeitpunkt). Diese Festlegung hat regelmäßig auf den Zeitpunkt zu erfolgen, zu dem der Beamte oder Soldat die sich aus der Sterbetafel ergebende statistische Lebenserwartung erreicht. Ein anderer Zeitpunkt kann sich ausnahmsweise dann ergeben, wenn etwa infolge eines gesetzlich vorgegebenen Mindestruhebetrags der in Rede stehende Kapitalbetrag schon vor dem vorgenannten Zeitpunkt vollständig abgegolten sein wird.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. September 2013– 2 C 47.11 –, ZBR 2014, 98 = juris, Rn. 18 und 22.
39Die zeitliche Begrenzung von Ruhensregelungen entspricht deren Zweck, in Gestalt eines Auszahlungshindernisses (allein) zu verhindern, dass im Ruhestand befindliche Soldaten oder Beamte aus öffentlichen Kassen insgesamt mehr erhalten als die Versorgung, die sie erdient haben. Ruhensregelungen dürfen deswegen nicht dazu führen, dass ein Teilbetrag der festgesetzten Versorgung einbehalten wird, obwohl die so herbeigeführte Versorgungslücke nicht durch eine anderweitige Versorgungsleistung aus einer öffentlichen Kasse ausgeglichen wird. Ein Ruhen ohne eine vollständige Kompensation stellt sich nämlich als eine Kürzung der festgesetzten Versorgung dar, die nicht vom Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation gedeckt wird bzw. bei Soldaten – unter Anwendung entsprechender Maßstäbe – ohne Rechtfertigung in deren Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG eingreift.
40Demgegenüber enthielt das Soldatenversorgungsgesetz in der Fassung 1992 (und davor) an der betreffenden Stelle eine Verweisung lediglich auf den § 55b Abs. 1 Satz 1. Wesentlich diesem Umstand hat das Bundesverwaltungsgericht entnommen, dass eine Auslegung des damaligen einfachen Gesetzesrechts– auch unter dem Gesichtspunkt der verfassungskonformen Auslegung – nicht auf die Geltung der in Abs. 1 Satz 3 enthaltenen Kappungsgrenze auch in der Fallgruppe der Anrechnung einer Kapitalabfindung auf das Ruhegehalt führen könne, vielmehr das damalige Gesetz in diesem Punkt verfassungswidrig sei.
41Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2011 – 2 C 25.09 –, Buchholz 449.4 § 55b SVG Nr. 1 = juris, Rn. 10 ff.
42Daraus ergibt sich, dass – Fragen der Verfassungskonformität des einfachen Gesetzesrechts angesichts der noch fehlenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgeklammert – Betroffene erst ab der Fassung 1994 des § 55b SVG davon „profitieren“ können, dass schon im Rahmen der Anwendung des einfachen Gesetzesrechts die (Summe aller) Ruhensbeträge die anderweitig gewährte Versorgung insgesamt nicht übersteigen darf. Soweit darauf aufbauend in dem Ruhensbescheid ein begrenzender Endzeitpunkt festzulegen ist, wirkt sich das bei wertender Betrachtung für den Betroffenen positiv, nämlich im Sinne einer Absicherung seiner Rechtsstellung, aus.
43Somit hätte die Beklagte im Rahmen ihrer Vergleichsberechnung nach der Fassung 1994 des § 55b SVG die Laufzeit der Ruhensbeträge von vornherein im Wege der Bestimmung eines Endzeitpunktes begrenzen müssen. Das hätte sich für den Kläger im Verhältnis zu der Fassung 1992 des § 55b SVG günstig ausgewirkt. Infolgedessen hätte die Fassung 1994 dem Ruhensbescheid einschließlich der dortigen Berechnung des Ruhensbetrags als hier im Sinne des § 96 Abs. 5 Satz 2 SVG maßgeblich zugrunde gelegt werden müssen. Das hätte – mit Blick auf die Mindestruhensbetragsregelung – zwar nicht zu einem abgesenkten Monatsbetrag des Ruhens, wohl aber zu einer Begrenzung des Gesamtruhensbetrages durch die Bestimmung eines Endzeitpunktes geführt. Weil dies nicht geschehen ist, erweist sich der Ruhensbescheid vom 29. Juni 2007 als rechtswidrig.
44Auf weiter hinzutretende Rechtsfehler kommt es, um die Voraussetzungen für eine Rücknahme dieses Ruhensbescheides nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu begründen, nicht an. Der Senat merkt allerdings an, dass sich zwei noch in Betracht zu ziehende Fehler in dem konkreten Fall auf das Ergebnis der Ruhensregelung nicht ausgewirkt haben.
45Für die erfolgte „Dynamisierung“, also Verzinsung des Kapitalbetrags für die Zeit zwischen seiner Auszahlung im Jahr 1995 und dem Eintritt des Klägers in den Ruhestand im Jahr 2007 fehlte es bis einschließlich 27. März 2008 an einer erforderlichen gesetzlichen Grundlage und die seither geltende gesetzliche Regelung ist auf Soldaten, die sich wie der Kläger am 28. März 2008 bereits im Ruhestand befanden, nicht anzuwenden.
46Vgl. zum entsprechend ausgestaltet gewesenen Beamtenversorgungsrecht BVerwG, Urteile vom 5. September 2013 – 2 C 47.11 –, ZBR 2014, 98 = juris, Rn. 11, 12, und zur Verfehlung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts bereits vom 27. März 2008 – 2 C 30.06 –, BVerwGE 131, 29 = juris, Rn. 24 ff.
47Die Vergleichsberechnung der Beklagten geht demzufolge von einem zu hohen Kapitalbetrag (statt 93.735,33 Euro hätten nur 81.521 Euro berücksichtigt werden dürfen) aus, weswegen auch der angenommene verrentete Kapitalbetrag von 710,96 Euro entsprechend zu hoch ausgefallen ist. Das hat sich hier aber im Ergebnis nicht ausgewirkt, weil die Vergleichsberechnung nach mehreren weiteren Rechenschritten auf den mit 492,69 Euro ermittelten Mindestruhensbetrag geendet hat. Der Mindestruhensbetrag war aber vorliegend in der schon für die Ausgangsberechnung vorgesehenen Art, für die die Dynamisierung keine Rolle spielt, zu berechnen.
48Des Weiteren verstieß es hier zunächst gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, dass die wesentlichen Determinanten für die Verrentung des Kapitalbetrages nicht auf gesetzlichen Vorgaben beruhten, sondern vom Dienstherrn selbsttätig gesetzt worden waren.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 2008 – 2 C 30.06 –, BVerwGE 131, 29 = juris, Rn. 25, 30 ff.
50Der insofern im Erlasszeitpunkt rechtswidrige Ruhensbescheid vom 29. Juni 2007 ist aber – für den gesamten im Berufungsrechtszug streitgegenständlichen Zeitraum – mit Wirkung vom 28. März 2008 in diesem Punkt vom Grundsatz her rechtmäßig geworden, weil der Gesetzgeber rückwirkend zu jenem Zeitpunkt die erforderlichen gesetzlichen Festlegungen mit Gesetz vom 5. Februar 2009 geschaffen hat (durch § 55b Abs. 4 Satz 3 SVG, der u.a. auf § 55a Abs. 1 Satz 9 verweist, der seinerseits Vorschriften des Bewertungsgesetzes in Bezug nimmt). Diese Rechtsänderung, welche die bisherige Praxis der Beklagten gesetzlich normierte, ist auch für die Ruhestandsbeamten bzw. Soldaten im Ruhestand zu berücksichtigen, die wie der Kläger am 28. März 2008 vorhanden waren.
51Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. September 2013– 2 C 47.11 –, ZBR 2014, 98 = juris, Rn. 15, 16.
52Dass im Falle des Klägers eine Verzinsung während der ersten 9 Monate nach Beginn des Ruhestandes nicht vorgenommen werden durfte, ist in diesem Zusammenhang ein vernachlässigbarer Faktor, der nicht zu einem unterhalb von 492,69 Euro liegenden Monatsbetrag geführt haben dürfte.
532. Die Beklagte hat das in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumte Ermessen, den Ruhensbescheid vom 29. Juni 2007 (teilweise) zurückzunehmen, um ihn – hier durch Festlegung eines Endzeitpunktes für den Ruhenszeitraum – der maßgeblichen Rechtslage anzupassen, nicht fehlerfrei ausgeübt. Das betrifft gerade den hier noch streitbefangenen Zeitraum ab dem 28. März 2008.
54Der Ablehnungsbescheid vom 1. Juli 2011 verhält sich überhaupt noch nicht zu der Frage der Rücknahme nach § 48 VwVfG, sondern bezieht sich ausschließlich auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG. In der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2011 wird dann zwar die Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG behandelt. Es ist in diesem Zusammenhang aber ausdrücklich (nur) davon die Rede, der Ruhensbescheid vom 29. Juni 2007 erweise sich infolge der rückwirkenden Neuregelung des § 55b SVG für die Zeit vom 1. Juli 2007 bis zum 27. März 2008 als rechtswidrig (Hervorhebung durch den Senat). Zur Begründung ist angegeben, der Bescheid habe im Zeitpunkt seines Erlasses einer Rechtsgrundlage entbehrt, denn die bei der Ermittlung des Ruhensbetrages angewandte Berechnungsmethode habe nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. März 2008 nicht mit der Rechtsordnung in Einklang gestanden.
55Dies zugrunde gelegt, ist auch im Widerspruchsbescheid nicht erkennbar geworden, dass die Beklagte hinsichtlich der Zeit ab dem 28. März 2008 überhaupt eine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Frage einer Rücknahme des Ruhensbescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG getroffen hat. Denn offenbar hatte sie für jenen Zeitraum bereits das Vorliegen eines rechtswidrigen Verwaltungsakts – als Voraussetzung seiner Rücknahme – verneint.
563. Allerdings vermag der Senat – insofern abweichend von dem erstinstanzlichen Urteil – nicht festzustellen, dass sich das Rücknahmeermessen der Beklagten zugunsten des Klägers „auf Null“, also in Richtung auf einen strikten Anspruch auf Rücknahme, reduziert hat. Die betreffende Beurteilung hat für die vorliegende Verpflichtungsklage von den Verhältnissen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren auszugehen, weil das einschlägige materielle Recht keinen davon abweichenden Zeitpunkt bestimmt.
57Wie das in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffnete Rücknahmeermessen belegt, ist der zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führende Rechtsverstoß als solcher prinzipiell noch kein ausreichender Grund für eine Ermessensreduzierung. Vielmehr räumt der Gesetzgeber bei der Aufhebung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes bzw. dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung noch den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit– jeweils als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips – einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr (im Ausgangspunkt) gleichberechtigt nebeneinander. Dementsprechend gibt es auch keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben.
58Vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 – 2 BvR 669/04 –, BVerfGE 116, 24 = juris, Rn. 80, und Beschluss vom 27. Februar 2007 – 1 BvR 1982/01 –, BVerfGE 117, 302 = juris, Rn. 33; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011 – 2 C 50.09 –, NVwZ 2011, 888 = ZBR 2012, 35 = juris, Rn. 14.
59Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht jedoch ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ ist. Ob solches angenommen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab.
60Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011– 2 C 50.09 –, a.a.O. = juris, Rn. 11, m.w.N.
61Unbeschadet der insoweit – zumindest als etwaiges Korrektiv – stets gebotenen Betrachtung des Einzelfalles haben sich in der Rechtsprechung bestimmte Fallgruppen herausgebildet, in denen die geforderte Unerträglichkeit einer Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes im Allgemeinen zu bejahen sein wird. Hierunter fällt etwa, dass die Aufrechterhaltung als Verstoß gegen die guten Sitten oder das Gebot von Treu und Glauben erscheint, dass der Verwaltungsakt schon im Erlasszeitpunkt offensichtlich rechtswidrig war oder dass das einschlägige Fachrecht dem Rücknahmeermessen eine bestimmte Richtung vorgibt.
62Vgl. Hamburgisches OVG, Urteil vom 28. Februar 2013 – 1 Bf 10/12 –, ZBR 2013, 309 = juris, Rn. 37, mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
63Ferner kommt eine Ermessensreduzierung in Anwendung des Gleichheitssatzes in Betracht, wenn die Behörde in vergleichbaren Fällen den rechtswidrigen Verwaltungsakt zurückgenommen hat.
64Schließlich ist für die Abwägung der oben genannten widerstreitenden Rechtsgüter auch von Bedeutung, ob es um eine Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit, namentlich schon vom Erlasszeitpunkt an, oder aber (nur) um eine solche mit Wirkung von einem späteren Zeitpunkt an bzw. für die Zukunft geht.
65Vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2011 – 4 S 1790/10 –, juris,Rn. 31 ff. bzw. 41 ff.
66Dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit kommt dabei namentlich bezogen auf die Vergangenheit ein besonderes und insoweit zumeist überwiegendes Gewicht zu. Das hat vor allem Bedeutung für Verwaltungsakte mit Dauerwirkung.
67Eine zeitliche Zäsur besonderer Art greift nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Fallgruppe derjenigen bestandskräftigen Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, deren Rechtswidrigkeit darauf beruht, dass sie auf der Grundlage eines verfassungswidrigen Gesetzes ergangen sind, wobei die Frage eines Verfassungsverstoßes im Zeitpunkt ihres Erlasses noch nicht abschließend geklärt war. Insoweit gilt, dass es unter Orientierung an der gesetzlichen Wertung des § 79 Abs. 2 BVerfGG für die Determinierung des Rücknahmeermessens maßgeblich auf den Zeitpunkt des Nichtigkeitsausspruchs durch das Bundesverfassungsgericht ankommt. Während die Verwaltung für die vor diesem Zeitpunkt liegende Zeit die Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts mit Dauerwirkung ermessensfehlerfrei ablehnen kann, wenn nicht sogar ablehnen muss (Rückabwicklungsverbot), setzt sich für die Zeit danach der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit im Konfliktfall gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit durch, ist also der bestandskräftige Verwaltungsakt im Regelfall ab diesem Zeitpunkt an die sich aus der Nichtigerklärung ergebende Rechtslage anzupassen.
68Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2012– 2 C 59.11 –, BVerwGE 145, 14 = NVwZ 2013, 444 = juris, Rn. 20 ff., vom 26. September 2012– 2 C 48.11 –, ZBR 2013, 131 = juris, Rn. 24 ff., und auch bereits vom 24. Februar 2011– 2 C 50.09 –, a.a.O. = juris, Rn. 15, sowie den Beschluss vom 8. Mai 2013 – 2 B 5.13 –, ZBR 2013, 306 = juris, Rn. 10 f.
69Hiervon ausgehend gibt es für eine Ermessensreduzierung „auf Null“ zugunsten des Klägers bezüglich einer die Zeit ab dem 28. März 2008 betreffenden Rücknahme des Ruhensbescheids vom 29. Juli 2007 unter dem Blickwinkel einer etwaigen Verfassungswidrigkeit der in dem Ruhensbescheid angewendeten Rechtsgrundlagen derzeit (noch) keinen Raum. Allerdings sind vor dem Bundesverfassungsgericht Normenkontrollverfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 1987 (BGBl. I S. 843) sowie in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften (BeamtVGÄndG) vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2218) und– bei paralleler Rechtslage – der Verfassungsmäßigkeit des § 56 Abs. 2BeamtVG in der bis zum 31. Januar 1991 geltenden Fassung anhängig (die dortigen Aktenzeichen lauten 2 BvL 10/11 und 2 BvL 28/14).
70Vgl. die Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des OVG Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011 – 10 A 10757/11.OVG – (n.v.) und des VG München vom 18. November 2014 – M 21 K 12.2042 –, juris.
71Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und damit eine mögliche Nichtigkeitsfeststellung der einschlägigen Rechtsgrundlagen steht bisher aber noch aus.
72Auch nach allgemeinen Grundsätzen im Wege einer Gewichtung der widerstreitenden Rechtsgüter und Interessen unter Berücksichtigung der anerkannten Fallgruppen ergibt sich für die Sachlage im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats nicht, dass die Beklagte das ihr zukommende Ermessen nur durch die Rücknahme des Ruhensbescheids hätte rechtmäßig ausüben können.
73Zunächst besteht kein Anhalt dafür, dass die Beklagte den Fall des Klägers zu dessen Nachteil – und dabei ggf. zugleich treuwidrig – anders behandelt hätte als sonstige Fälle, die mit diesem Fall wesentlich vergleichbar sind.
74Es lässt sich ferner nicht eindeutig bejahen, dass der hier in Rede stehende Ruhensbescheid nach § 55b SVG von Anfang an als offensichtlich rechtswidrig zu bewerten oder eine solche offensichtliche Rechtswidrigkeit jedenfalls zum 28. März 2008 eingetreten ist. Insofern ist vorliegend zu bedenken, dass die von der Beklagten durchgeführte Ausgangsberechnung des Ruhensbetrages nach dem unter 1. Ausgeführten jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaft ist. Die der Vergleichsberechnung anhaftenden Rechtsanwendungsfehler sind entweder erst etliche Jahre später in der Rechtsprechung klar hervorgetreten,
75vgl. für die Notwendigkeit der Bestimmung eines Endzeitpunktes für die Verrentung eines Kapitalbetrages BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 – 2 C 47.11 –, ZBR 2014, 98 = juris, Rn. 18,
76oder haben sich wie die rechtswidrige Dynamisierung des Kapitalbetrages oder das Fehlen gesetzlicher Determinanten seiner Verrentung im Fall des Klägers im Ergebnis auf den Ruhensbetrag nicht ausgewirkt.
77Im Übrigen kann in die Ermessenserwägungen eingestellt werden, dass es eine Reihe von (verfassungsrechtlichen und/oder unionsrechtlichen) Rechtsbedenken gibt hinsichtlich der für die Fallgruppe der Kapitalbeträge im Gesetz bestimmten konkreten Berechnungsfaktoren und -größen für das Ruhen der Versorgungsbezüge nach § 55b SVG. Das bezieht sich namentlich auf die im Wege der Verweisung auf die Maßstäbe des § 14 des Bewertungsgesetzes erfolgten Vorgaben wie den fixen Zinssatz von 5,5 % für die Verrentungsphase und die Verwendung unterschiedlicher Sterbetafeln für Männer und Frauen.
78Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. September 2013– 2 C 47.11 –, ZBR 2014, 98 = juris, Rn. 23 ff.; ferner etwa auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. April 2011 – 10 A 11144/10 –, IÖD 2011, 137 = juris, Rn. 32 ff., insb. 54 ff.
79Auch steht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Bestimmungen des Beamten- und Soldatenversorgungsrechts noch aus. Die Beklagte kann diese Gesichtspunkte unter dem Blickwinkel in ihre Ermessenserwägungen einbeziehen, dass eine zeitnahe Aufhebung des Ruhensbescheides vom 29. Juni 2007 und eine Neuberechnung und -regelung des Ruhensbetrages auf der Grundlage des einfachgesetzlich geltenden Rechts ihrerseits sogleich wieder angreifbar wäre und auch neue Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen könnte.
80Ist allerdings der Kapitalbetrag (einschließlich einer gesetzlich vorgegebenen Verzinsung in der Verrentungsphase) durch das Ruhen von Versorgungsbezügen aufgezehrt, tritt dieser Aspekt in den Vordergrund der Ermessensausübung. Das hängt damit zusammen, dass es hier um Dauerverwaltungsakte mit einer unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles mitunter ganz erheblichen finanziellen Bedeutung für den betroffenen Versorgungsempfänger geht. Relevante Faktoren für diese Bedeutung sind zum einen die Höhe des monatlichen Ruhensbetrages (in Relation zum gezahlten Ruhegehalt), zum anderen – und gerade dies in besonderem Maße – aber auch die (Gesamt-)Dauer des Ruhenszeitraums. Denn die durch das Ruhen der Bezüge für den Betroffenen in den Rücknahmefällen rechtswidrig ausgelöste Belastung summiert sich in der Regel über eine Vielzahl von Jahren, wenn nicht häufig sogar Jahrzehnten. Gerade daraus kann sich im Ergebnis die objektive Unerträglichkeit und Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung eines solchermaßen belastenden rechtwidrigen Zustandes in Abwägung mit der Bestandskraft zugrunde liegender Bescheide ergeben. Denn es geht hier nicht um die Kürzung irgendwelcher Zahlungen. Inmitten steht vielmehr der verfassungsrechtlich geschützte Anspruch der Beamten und Soldaten auf eine gesetzmäßige und ungeschmälerte Versorgung.
81Der Senat bewertet in diesem Zusammenhang namentlich solche Eingriffe in den Versorgungsanspruch als schlechthin unerträglich, welche im Wesentlichen nur mit Blick auf die Bestandskraft des zugrunde liegenden Verwaltungsakts fortgesetzt werden, obwohl der tragende Grund und Zweck für ein Fortdauern der Ruhensregelung schon klar entfallen ist. Das meint die Fälle, in denen der ehedem an Versorgungs statt empfangene Kapitalbetrag auf der Grundlage einer an den gesetzlichen Maßgaben orientierten Verrentungsberechnung bereits vollständig abgeschmolzen, also aufgebraucht ist, gleichwohl die Ruhensregelung aber noch weiter aufrecht erhalten wird. Durch ein solches Vorgehen werden die Betroffenen typischerweise deutlich stärker belastet als bei einem etwa infolge unrichtiger Berechnung „nur“ zu hoch angesetzten monatlichen Ruhensbetrag in der Phase vor dem Erreichen des Zeitpunktes des vollständigen Aufzehrens des Kapitalbetrags. Denn in der Phase nach jenem Zeitpunkt erweisen sich alle weiterhin einbehaltenen Ruhensbeträge in ihrem vollen Umfang als unberechtigt. Dieser besonders gewichtige Umstand rechtfertigt es, an ihn bereits regelmäßig– und nicht nur bei im Einzelfall besonders hohen Monatsbeträgen – eine zeitliche Zäsur für ein „auf Null“ reduziertes Rücknahmeermessen zu knüpfen. Das meint, dass der Dienstherr dann, wenn dieser Zeitpunkt erreicht ist, die Rücknahme des Ruhensbescheides in aller Regel nicht mehr ermessensfehlerfrei wird ablehnen können.
82Die vorstehenden Erwägungen erlangen vor allem in den Fällen Bedeutung, in denen wie hier in dem Ruhensbescheid rechtswidrig von vornherein kein Endzeitpunkt festgelegt wurde. Denn gerade dort kommt es wesentlich darauf an, ob der Ruhensbescheid über den Zeitpunkt des vollständigen Abschmelzens des Kapitalbetrags hinaus aufrechterhalten worden ist bzw. wird.
83Die zur Ermittlung dieses Zeitpunkts nötige Berechnung zu erstellen, fällt in den Verantwortungsbereich des Dienstherrn. Über das Ergebnis dieser Berechnung ist der Soldat (bzw. Beamte) im Rahmen des dienstlichen Fürsorge- und Treueverhältnisses rechtzeitig, d.h. mindestens sechs Monate vor dem Erreichen des Zeitpunkts des „Umschlagens“, in Kenntnis zu setzen, damit er darauf ggf. mit einem Rücknahmeantrag und der Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes reagieren kann, wenn die Behörde sich nicht von sich aus zur Rücknahme des Ruhensbescheides entschließt.
84Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall: Der Kläger hat in seiner Berufungserwiderung (Schriftsatz vom 25. September 2015, Seite 4) unter ergänzender Bezugnahme auf die beigefügte Anlage K 1 – Aufstellung der bisherigen Abzüge bis einschließlich September 2015 – selbst mitgeteilt, dass der von ihm erhaltene Kapitalbetrag noch nicht aufgezehrt sei, sondern dies (bei einer keine Verzinsung enthaltenen Berechnung) erst in etwa vier Jahren eintreten werde. Dies ist anhand des mit beigefügten Zahlenwerks nachvollziehbar. Da die mündliche Verhandlung vor dem Senat nur ca. vier Monate später stattgefunden hat, hat sich daran in der Zwischenzeit nichts Wesentliches geändert. Damit liegt derzeit aber (noch) kein Sachverhalt vor, der das Ermessen der Beklagten in Richtung auf die Rücknahme des Ruhensbescheides vom 29. Juni 2007 als einzige rechtmäßige Entscheidung reduziert hat. Etwaige sonst durchgreifende Gesichtspunkte, z.B. besondere einzelfallbezogene Härtegründe, die ggf. auch eine Ermessensreduzierung „auf Null“ zur Folge gehabt haben könnten, sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Deswegen muss der Senat in diesem Zusammenhang nicht abschließend darüber entscheiden, ob auch in einem Hauptsacheverfahren ein Fall der Ermessensreduzierung „auf Null“ anzunehmen ist, wenn der Betroffene durch eine ungerechtfertigt aufrechterhaltene Ruhensregelung nach § 55b SVG (im Einzelfall) in eine existenzielle, zumindest aber schwerwiegende finanzielle Notlage gerät.
85Vgl. in diesem Zusammenhang – dort allerdings Eilverfahren betreffend – die Beschlüsse des erkennenden Senats vom 12. Februar 2013 – 1 B 1316/12, 1 B 1318/12 und 1 B 1319/12 –, jeweils juris, Rn. 22 (vor dem Hintergrund der Anforderungen an eine durch das bisherige Fehlen der Nichtigerklärung einer Norm durch das Bundesverfassungsgericht nicht gesperrte vorläufige Regelung im Verfahren nach § 123 VwGO).
864. Bei ihrer Neubescheidung des Antrags auf Rücknahme des Ruhensbescheids vom 29. Juni 2007, was den Zeitraum ab dem 28. März 2008 betrifft, wird die Beklagte Folgendes zu beachten haben: Sie muss zunächst eine Ermessensentscheidung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auch bezogen auf den o.g. Zeitraum treffen. In diese Entscheidung muss sie gewichtend die abwägungsrelevanten Ermessensgesichtspunkte einstellen, die für bzw. gegen eine Rücknahme sprechen. Welche das sind, ergibt sich hier im Wesentlichen aus den vorstehenden Ausführungen unter Gliederungspunkt 3. der Entscheidungsgründe dieses Urteils. Davon ausgehend kommt hier insbesondere dem Gesichtspunkt des vollständigen Aufzehrens/Abschmelzens des Kapitalbetrags im Sinne einer zeitlichen Zäsur Bedeutung zu. Diesen Zeitpunkt wird die Beklagte rechnerisch konkret bestimmen müssen, und zwar unter Durchführung einer Verrentung des für die Phase bis zum Ruhestand nicht „dynamisierten“ vom Kläger erhaltenen, bis zum 28. März 2008 bereits zu einem Teil abgeschmolzenen und auch in der Folgezeit weiter abschmelzenden Kapitalbetrags. Die nähere Bestimmung des Verrentungszeitraums und die Höhe einer darauf bezogenen Verzinsung haben sich, solange die hier anwendbaren gesetzlichen Vorschriften vom Bundesverfassungsgericht nicht für nichtig erklärt worden sind, nach dem einschlägigen Gesetzesrecht in der für diesen Fall anwendbaren Fassung zu richten, mit Blick auf die Heranziehung von Sterbetafeln allerdings unter Beachtung eines ggf. bestehenden Anwendungsvorrangs des Unionsrechts. Über das Ergebnis der Berechnung hat die Beklagte den Kläger, wie hier schon an anderer Stelle bemerkt, rechtzeitig vorab in Kenntnis zu setzen.
87Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
88Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 Abs. 1 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
89Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.